Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
und ein viertes Kind an Diphtherie gestorben. Sie wollte mit den Kindern nach
Berlin, um einige Tage aus zu spannen. Ich bot meine Hilfe an. Sie hatte auf dem Hof
einen Knecht und eine Haushaltshilfe, die die Arbeit machten. Ich sollte sie nur
beaufsichtigen. Dafür sollte ich einige Lebensmittel als Lohn bekommen. Sie war
zufrieden mit mir, als sie zurück kam, aber behalten wollte sie mich nicht. Ich war ihr
zu dünn und zu schwach.
Gegenüber unserer Wohnung gab es eine große Gärtnerei. Ich hatte immer den
Wunsch in die Landwirtschaft zu gehen, d.h. ich wollte die Landfrauenschule
besuchen und Lehrerin werden. Dazu brauchte ich auch die Lehre im
landwirtschaftlichen Haushalt. Da die Bäuerin, Frau Hielscher, mich nicht nahm,
versuchte ich in die Gärtnerei als Lehrling zu kommen. Man nahm mich erst drei
Tage versuchsweise. Ich habe mich so bemüht, schob die volle Karre, grub mit den
Boden um, es fiel mir schwer. Der Gärtner meinte, dass das zu schwer für mich ist.
Ich gab Nachhilfe für Grundschüler, ich ging im Russenhotel Zimmer putzen. alles
war nur kurzzeitig. Plakate habe ich beschriftet gegen etwas Geld, doch es gab kaum
Schreibfedern. So war auch das eine Mühe, die sich nicht lohnte.
Im Sommer holte die Bäuerin mich dann doch, weil sie die Haushaltshilfe bei Betrug
ertappt hatte. Sie schmiss das Mädchen raus. Nun endlich konnte ich beweisen, dass
ich arbeiten kann. Anfangs habe ich mich übernommen, weil ich bleiben wollte. Ich
bekam geschwollene Hand- und Fußgelenke. So musste ich viel ruhen, aber ich
durfte bleiben. Ich kümmerte mich um die drei Jungen im Alter von 6, 8 und 10
Jahren. Da die Mutter durch den Verlust der Mannes und der Tochter depressiv war,
kümmerte sie sich kaum um die Jungen. Sie ließen sich gern von mir helfen.
Allmählich erholt ich mich zusehends. Die Ernährung war gut und kräftigte mich. Ich
habe dann den ganzen Haushalt, die Kinder und das Vieh versorgt und auch die
Feldarbeit gemacht. Die Bäuerin schlief oft lange und verließ sich auf mich. Da sie
von der Landwirtschaft allein nicht leben konnte, unterrichtete sie einige Stunden in
der Dorfschule. Ich habe von morgens um 6 Uhr bis spät abends gearbeitet und hielt
das gut durch, weil ich alles selbst einteilen konnte und Spaß daran hatte. Jetzt merkte
ich auch, dass ich schaffen kann. Ich überlegte, was ich weiter machen könnte.
Eineinhalb Jahre war ich auf dem Hof, dann kündigte ich. Ich wollte in die
Landwirtschaftsschule in Neustrelitz gehen.
Man ließ mich nicht gern gehen.ich habe die Zeit auf dem Hof als Lehre anerkannt
bekommen und auch die Gehilfinnenprüfung bestanden. Zwei Semester
Landwirtschaftsschule mit viel Büffelei halfen mir zu guten Abschlüssen. Ich bin
morgens um 4 Uhr zum Lernen aufgestanden, weil ich viel Nachholbedarf hatte. Aber
es klappte auch gut und ich hielt durch. Man schickte mich weiter zur Ausbildung
nach Stralsund als Berufsschullehrerin.
Nun konnte ich wieder ein normales Leben führen und musste Mutti nicht mehr
belasten. Mit mir ging eine Kameradin der Landwirtschaftsschule nach Stralsund. Zur
Universität in Greifswald gehörte die Ausbildungsstätte für Berufsschullehrerinnen.
Ich wohnte mit Annemarie zusammen in einer kleinen Wohnung. Wir kochten für uns
selber und mussten 30 Mark Miete bezahlen. Ich bekam ein Stipendium von 125
62