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Rußlandbericht

Der Rußlandbericht von Gisela Mikuteit

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Schüsse und Schreie.

Was war geschehen? Wir erfuhren es erst nach langem Warten. Aus Angst traute sich

niemand von der Stelle. Im Hinterhaus wohnte eine junge Frau mit ihrem Kleinkind.

Ihr Mann war vor wenigen Tagen in voller Uniform von der Front in Urlaub

gekommen. Da die Russen schon in der Nähe waren, baten alle, er solle die Uniform

ausziehen und die Waffen verstecken. Er hörte nicht, denn er wollte wieder zurück

zur Truppe. An dem Tag, als die Russen in unsere Straße kamen, war der

leichtsinnige Soldat gerade draußen und wurde von den russischen Soldaten gesehen.

Er rannte ins Haus und zu seiner Frau und dem Kind. Die Russen rannten hinterher

und glaubten, dass in dem Haus noch Soldaten sind. Ahnungslos kam unser Kutscher

mit dem Jungen aus dem Zimmer im oberen Stock, als die Russen ins Haus stürmen.

Sie erschossen, den Kutscher, der unbewaffnet war. Der Junge konnte sich noch

retten, weil er ins Zimmer zurück flüchtete. Die Russen suchten den Hof ab. Sie

stürmten in die Wohnung des Soldaten. Er wurde regelrecht hingerichtet. Seine Frau

wurde vergewaltigt und gequält.

Dann durchsuchten sie das ganze Haus. Sie betraten die Zimmer mit Gewehr im

Anschlag. Alle Menschen mussten mit erhobenen Händen aufstehen und wurden

abgetastet. Die Räume wurden durchwühlt. Man kann nicht beschreiben, wie uns

zumute war. Die Angst nahm uns gefangen. Es wurde uns befohlen, in den Räumen

zu bleiben. Jetzt kamen immer wieder Russen und schnüffelten herum. Sie zerstörten

Möbel und anderes.

Wir hatten auch Leute dabei, die russisch verstanden. Zwei Russen verlangten, dass

meine Schwester und ich aufstehen sollten. Sie begutachteten uns und sprachen über

uns. Als sie gegangen waren, sagte man uns, dass sie uns abends holen wollten.

Sofort sprach Mutti mit dem Bauern: "Wo können wir uns verstecken?“Er brachte

uns in seine Scheune. Jetzt erst wurden meine Schwester und ich aufgeklärt, was die

Russen von uns wollten. Wir hatten über Sexualität und Vergewaltigung noch kaum

etwas gehört. In einer Ecke in der Scheune unter Heu versteckten wir uns. Nachts

wollte uns der Bauer zu einem abgelegenen Hof führen.

Stunden lagen wir in der Ecke. Unruhe hörten wir auf dem Hof. Dann lautes und

erregtes Sprechen drang näher. Die Scheunentür wurde geöffnet. Man suchte nach

uns. Mit Lampen wurde geleuchtet. Sie fanden uns nicht und verließen die Scheune

wieder. Wir hatten nicht unter hohen Haufen gelegen, sondern in einer flachen Ecke.

Da vermuteten sie uns nicht.Man kann sich unsere Angst kaum vorstellen. Noch

lange warteten wir auf den Bauern. Die Russen hätten ihn beinahe gefangen

genommen, weil sie uns nicht fanden. Wir sind dem Bauern sehr dankbar, dass er so

mutig war, uns zu beschützen.

Endlich kam der Bauer und führte uns hinten aus der Scheune. Es war eine kalte

Nacht mit leichtem Schneefall und sehr dunkel. Wir hatten nur wenige Sachen zu

tragen. Niemand durfte sprechen, denn es wurde immer wieder geschossen, und

Scheinwerfer leuchteten die Gegend in Kreisen ab. Mehrmals mussten wir uns

hinlegen, wenn die Scheinwerfer in unsere Richtung leuchteten.

Der Weg führte am Schönfliießer See entlang durch Schilf. Das Eis war hier nicht

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