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Rußlandbericht

Der Rußlandbericht von Gisela Mikuteit

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werden sie noch gröber, aber ich war so fertig, ich konnte nicht aufhören. Es war ein

so schrecklicher Anblick, wenn die Männer mit schmerzverzerrtem Gesicht sich bis

zum Zusammenbruch schlagen und treten lassen mussten. Wir waren Zeugen und

konnten nichts dagegen tun.

Als ich ziemlich heftig schluchzte, trat ein tschechischer Soldat mit heiserer Stimme

auf mich zu und fragte:"Wie alt bist du?“ Als ich ihm mein Alter sagte, meinte er:“

Armes Mädel, ihr habt das nicht verdient, aber die Männer. Eure Männer können

nicht genug bestraft werden. Diesen Hitlermännern verdankt ihr das alles. Die

deutschen Frauen sind unschuldig!“So, danach wurden wir auch behandelt!“

Als alle Männer und Frauen angetreten waren, wurden wir Gruppenweise in

Baracken geführt. In unserer Baracke waren wir etwa 150 Frauen. Eng lagen wir

nebeneinander auf Holzpritschen. Bald schliefen wir sehr abgespannt ein. Am

nächsten Morgen stellte ich fest, dass die Baracke noch ziemlich neu war. Es waren

oben und unten Bretter aneinandergereiht, auf denen wir ohne Unterlage geschlafen

haben. Einige Frauen waren schon auf und aßen von mitgebrachten Lebensmitteln.

Allmählich wurden alle wach.

Wir saßen den ganzen unendlich langen Tag in der Baracke, durften nicht raus und

dachten sehnsüchtig an unsere Lieben in der Ferne. Wir machten uns Sorgen um

unsere Zukunft. Früh gab es eine Graupenkartoffelsuppe und etwas Brot. Abends

bekamen wir Kartoffelsuppe. Mein Appetit war so schlecht, dass ich nicht mit zum

Essen ging. Das Warten kostete Nerven. So war die Stimmung sehr wechselhaft. Die

Eintönigkeit und die Ungewissheit waren unerträglich.

Nicht nur Deutsche gab es im Lager. Das merkten wir erst, als wir zum Essen gehen

mussten, außerhalb der Baracke. Franzosen, Polen und Tschechen wurden auch

gefangen gehalten. Bei den Mahlzeiten kamen wir mit ihnen ins Gespräch.

Hier traf ich Franzosen, die in Rufen als Kriegsgefangene beim Bauern gearbeitet

haben. Jeden Morgen, wenn wir auf dem Schulweg mit dem Fahrrad zum Bahnhof

fuhren, grüßten wir uns. Sie liefen frei zur Arbeit. Nun trafen wir sie in diesem Lager

wieder und waren sehr erstaunt. Gemeinsam verstanden wir nicht, dass auch sie

gefangen gehalten wurden. Auch junge sehr gut deutsch sprechende Polen gehörten

zu den Verhafteten.Wir haben uns wie Freunde unterhalten. Warum haben die

Bewacher sie wie Feinde behandelt?

Auch hier war der Toilettengang 3 x am Tage unter strenger Bewachung nur möglich.

Das WC war eine Grube, über die Bretter lagen. Das Ganze war von einem

Bretterzaun umgeben, es gab keine Einzelzellen. Nur stehend konnte man die

Notdurft verrichten.

Jeden Morgen hieß es zur Zählung draußen in Fünfer reihen antreten. Zwei, drei und

auch viermal wurden wir gezählt. Man fürchtete immer noch, wir könnten ausrücken.

Das Lager war von einem hohen Stacheldrahtzaun umgeben. Es lag dicht an einer

Bahnlinie, die Richtung Posen führte, also Polen und Russland. Neben dem Lager

wurde oft geschossen, wahrscheinlich standen dort Flakgeschütze, Flugzeuge waren

über dem Lager täglich zu hören. Im Stillen hofften wir, dass wir befreit werden

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