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Rußlandbericht

Der Rußlandbericht von Gisela Mikuteit

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FDJ. So übergab man mir in der Schule die Kulturgruppe. Mit Chor, Volkstanzgruppe

und anderem hatte ich auch viel Spaß. Auch die Jugend nahm das gut an. Mitglieder

der Bauernpartei wählten mich zur Vorsitzenden, weil viele auch nichts von der SED

wollten, sie glaubten, dass sie mich dadurch schützen könnten. Wir hatten eine neue

Kollegin, die sehr überzeugtes SED-Mitglied war. Das merkten wir alle und gingen

ihr aus dem Wege.

Dann schickte man mich zur Vorbereitung der ersten Lehrerprüfung nach Ahlbeck an

der Ostsee. An der Humbolduniversität in Berlin bestand ich die erste Lehrerprüfung.

Inzwischen wurden in der Landwirtschaftsschule in Neustrelitz mehr

Berufsschullehrer eingestellt.

Ich war immer noch die jüngste aber dann die dienst älteste Lehrerin. So übergab

man mir eine neue Klasse, die aus Heimkehrern aus der Gefangenschaft bestand. Sie

sollten als Traktoristen ausgebildet werden. Es waren 30 Schüler, davon 3 Mädchen

und 27 Jungen im Alter von 19 bis 27 Jahren. Sie hatten einmal in der Woche 8

Stunden Unterricht. Ich musste die Klasse übernehmen. Ich war jetzt 23 Jahre alt.

Ich wurde vom Schulleiter vorgestellt und sollte Deutsch, Gemeinschaftskunde und

Biologie übernehmen. Sie grinsten,als ich vorgestellt wurde. Nachmittags musste ich

drei Stunden unterrichten. Am ersten Tag war ich aufgeregt, weil einige älter waren

als ich und schon Abitur hatten. Das Pult war vorn und die Schüler sitzen mit dem

Rücken zur Tür. Ich komme rein. Der Mittelgang nach vorn ist zugestellt mit Tischen,

keiner rührt sich. Ich gehe außen herum nach vorn, und will meine Tasche aufs Pult

legen. Alles voll Kreidestaub. Also Tasche auf die erste Bank gelegt. Alles still. Ich

sage nur:"Meine Herren, dass ist richtig, dass Sie nicht aufstehen. Schließlich sind

Sie keine Schulkinder." Dann fange ich mit Deutsch an und stelle Fragen. Niemand

reagiert und meldet sich. Ich schaue mir alle an und sehe, da ist jemand, der möchte

sich melden, aber er traut sich nicht. Ich frage ihn und er antwortet. Da war das Eis

gebrochen. jetzt machten alle toll mit. Wir hatten eine schöne Zeit miteinander. Ich

denke gern daran zurück.

Ich habe dann nach zwei Jahren mich zur zweiten Lehrerprüfung angemeldet. Dazu

musste ich zur Vorbereitung nach Heringsdorf an der Ostsee für 3 Wochen mit

anderen zusammen. Die Prüfung wurde dann etwas später in Güstrow in

Mecklenburg durchgeführt.

Es war eigentlich mehr eine politische Prüfung nach meiner Beobachtung. Denn die

erste Frage war für jeden von uns gleich. Sie lautete:" Sind Sie der Meinung, dass

man Westsender sehen muss, um den Argumenten der Schüler gewachsen zu sein?"

Die erwartete Antwort war:" Nein, wenn man den Marxismus gut kennt, braucht man

keinen Westsender." Ich hatte bei der Vorbereitung gut aufgepasst, und leierte das

auch runter. Bei mir kam dann noch die Frage:"Sie waren in Russland. Wie denken

Sie darüber?" Auch darauf hatte ich mich vorbereitet:" Es war Krieg, es ging den

Russen auch nicht besser. Sie hungerten genauso wie wir. Da konnten wir nichts

anderes erwarten." Damit hatte ich schon die Prüfung bestanden. Es kamen zwar

noch einige allgemeine Fragen,aber die waren belanglos. Tatsächlich fielen aber

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