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Rußlandbericht

Der Rußlandbericht von Gisela Mikuteit

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Sie war alleinstehend und schloss mich in ihr Herz wie eine Tochter. Ihre Praxis war

ständig überfüllt, trotzdem schaute sie täglich nach mir. Anfangs glaubte sie nicht

daran, dass ich gesund werden könnte. Wie sie für mich Lebensmittelmarken für

Schwerarbeiter und Medikamente beschaffte, darüber sprach sie nicht. Sie nahm kein

Geld für die Behandlung. Ich habe viele Jahre bis zu ihrem Tode zu ihr Kontakt

gehabt. Unendlich dankbar bin ich ihr für die aufopfernde Hilfe.

Tante Trude fütterte mich tröpfchenweise. Liebevoll zurecht gemachte Häppchen

brachte sie mir mehrmals am Tage. Ich schlief in der ersten Zeit meistens durch das

hohe Fieber. Völlige Erschöpfung. Das ging sechs Wochen so. Erst hatte ich noch

Durchfall und erbrach oft, doch allmählich hörte das auf. Langsam bekam ich auch

Appetit.

Nun wollte die Ärztin mich röntgen. Das war nur in Tempelhof im Gesundheitsamt

möglich. Wie komme ich da hin? Laufen konnte ich noch nicht. Taxis gab es nur

wenige und wir konnten das nicht bezahlen. S-Bahn, dazu war ich zu schwach. Nach

langem vergeblichen Hilfesuchen, setzten mich meine Tanten in den Handwagen in

Decken eingewickelt und zogen mich. Ich weiß nicht die Kilometer, aber 2 Stunden

waren wir unterwegs. Als ich aus dem Handwagen gehoben wurde, musste ich mich

wieder übergeben.

Dann trugen sie mich in den überfüllten Wartesaal. Es wurde für mich ein Platz frei

gemacht. Keine 5 Minuten saß ich, da kippte ich vom Stuhl durch Schwäche. Frau

Dr. Kallweit öffnete gerade die Tür und sah das. Sie holte mich sofort rein.

Beim Röntgen musste ich festgehalten werden. Das Bild war nur schwarz durch das

viele Wasser in der Lunge. Mein Herz wurde untersucht, sonst weiß ich nichts weiter.

Von Herzschwäche sprachen meine Tanten damals auch. Ich wog 38 Kg mit 17

Jahren. Meine Zähne waren locker. Erstaunlich ist, dass sie nicht ausgefallen sind.

Harte Nahrung konnte ich nicht essen. Meine langen Zöpfe waren weg. Ich hatte am

Hinterkopf viele kahle Stellen.

Später, in Neustrelitz, bin ich von einem zum anderen Frisör gelaufen. Ich bat um

Hilfe. Sie weigerten sich alle, mein Haar zu behandeln. Sie hatten Angst vor

Krankheiten. Erst im Sommer 1946 wurde ich von einem älteren Frisör, der nur

privat arbeitet, durch Vermittlung einer Bekannten, behandelt. Er bestellte mich

abends. Er war früher im Schloss in Neustrelitz Hoffrisör. Er blieb nur dort, weil ihm

zwei Häuser gehörten. Die Russen beschlagnahmten diese, und so ging er später auch

heimlich in den Westen.

Er schaute sich meinen Kopf an und wusste sofort, dass reiner Vitaminmangel die

Ursache für den Haarausfall war. Er besorgte aus Westberlin ein Einreibemittel. Nach

mehreren Behandlungen durch Einmassieren des Mittels wuchsen die Haare wieder

nach. Lockiges und sehr dichtes Haar bekam ich wieder. Nichts musste ich ihm für

alles bezahlen. Ich bin auch ihm sehr dankbar für die Hilfe.

Nun aber weiter zu meiner Genesung. Langsam versuchte ich wieder aufzustehen.

Jeden Tag ein bisschen. Tante Grete kümmerte sich inzwischen um eine Anmeldung

und einen Personalausweis für mich.

Anfang Dezember kam die Nachricht, dass ich mit einem Passbild den Ausweis

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