07.09.2021 Aufrufe

Rußlandbericht

Der Rußlandbericht von Gisela Mikuteit

Der Rußlandbericht von Gisela Mikuteit

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

lebte dort mit ihrer Tochter Heidi, die 6 Jahre alt war. Der 18 jährige Sohn Karl-

Heinz war als Soldat in Russland vermisst. Unser Zimmer war groß aber für uns vier

ein bescheidenes Quartier. Ich schlief auf einem schmalen Sofa. Die Möbel gehörten

dem Bruder. Wir hatten kein Geld, und waren dankbar, dass wir bei Tante Dorle ein

Unter kommen hatten.

Nun musste ich mich beim Einwohnermeldeamt anmelden. Sofort wurde ich zum

Gesundheitsamt bestellt. Bei großer Untersuchung von Lunge, Herz und Blut war das

Ergebnis, nicht arbeitsfähig.

Meine Geschwister gingen zur Schule, Mutti suchte Arbeit. Das war damals schwer.

Mutti war als Sekretärin für Büros ausgebildet und hatte jahrelang vor der Heirat auf

Gütern im Büro gearbeitet. Wo von sollten wir leben? Später bekam sie dann im

Krankentransportbüro Arbeit.

Da wir Tante Dorle nicht zu viel belasten wollten, gingen wir jede freie Zeit aufs

Land, um Essbares zu bekommen. Ährenlesen, Kartoffeln nachlesen. Wir suchten

Blaubeeren, Himbeeren und Brombeeren im Wald oder auch Pilze. Zuerst konnte ich

noch nicht mit, aber bald ging es doch.

Über die Kirche bekam ich Carepakete aus Amerika mit Lebensmittel. Auch aus

Hannover bekam ich zwei Pakete. Später auch mal Pakete von Verwandten aus

Westdeutschland.

Mein Bruder Fritz war inzwischen aus Gefangenschaft bei den Amerikanern

entlassen worden, weil er noch sehr jung war. Er blieb in Westdeutschland und

musste sich allein durchschlagen, denn wir konnten ihm nicht helfen. Er kam bei

Freunden von uns unter und hat dann gearbeitet und im Abendstudium seine

Ausbildung gemacht.

Vor dem Einmarsch der Russen hatte ich die Periode schon, aber unregelmäßig. In

Russland setzte sie bei allen Frauen aus. Ein Glück bei den hygienischen

Verhältnissen. Bis ich 20 Jahre alt war, hatte ich sie nicht mehr. Bei einer

Frauenärztin wurde das wieder geregelt. Man stellte aber starke Unterentwicklung

fest. was sollte jetzt aus mir werden?

Mutti ließ mir Zeit, ich half ihr viel im Haushalt. Am Schlossplatz gab es manchmal

Brot vom Bauern, 20 bis 25 Mark das Stück. Tante Dorle gab mir Geld, damit ich für

alle Brot kaufen kann. Ich ordnete mich ein zu den Wartenden. Als dann der Wagen

kam. rannten alle durcheinander hinter her. Das konnte ich nicht und wurde

umgerissen. Alle trampelten über mich. Ein älterer Herr half mir auf und dann rief er

zum Bauern:"Die Kleine haben sie bald tot getrampelt, gib mal ein Brot rüber!" Ich

hatte zwar einige Schrammen, aber ich war glücklich, dass ich ein Brot bekam für 20

Mark

Inzwischen hatte Mutti auch beim Krankentransport Arbeit gefunden. Das war eine

große Erleichterung für uns, obwohl der Verdienst sehr klein war.

Tante Dorle bekam im März Besuch von einer bekannten Bäuerin aus Nemerow.

Diese suchte für eine Woche eine Hilfe auf ihrem Hof. Das war eine kleine Siedlung

mit etwas Land und Vieh. Sie hatte drei Kinder. Ihr Mann war in Russland gefallen,

61

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!