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Rußlandbericht

Der Rußlandbericht von Gisela Mikuteit

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Sie erkannten mich erst nicht (siehe Bild). Ich war so schmal,

die Zöpfe weg und in Lumpen. Ich blieb bis abends bei ihnen.

Sie hatten nur eine ganz kleine Bleibe. Sie waren auch im Krieg

ausgebombt in Müggelheim. Danach hatten meine Eltern sie

nach Dobberphul geholt. Sie haben den Treck nach Berlin mit

gemacht, wie auch die andere Großmutter und ein Großonkel.

Darüber haben meine Großmutter und Tante Friedel

geschrieben, siehe im Anhang.

Finanziell ging es allen sehr schlecht. Inzwischen hatte Tante

Trude für mich auf dem Dachboden ein Bett in einer geschützten

Ecke aufgestellt. Nachts wurde ich wach. Ich musste zur

Toilette. ich konnte nicht aufstehen. Es fehlte die Kraft. Ich war wie gelähmt. Ich

versuchte es immer wieder, aber es ging nicht. Ich rief nach meiner Tante.

Am nächsten Morgen holte Tante Trude eine Ärztin aus der Nachbarschaft, Frau Dr.

Kallweit. Viele Wochen hat sie mich behandelt. Ich hatte hohes Fieber und war völlig

kraftlos. Es ist ein Wunder, dass ich es noch bis dort geschafft habe. Aber wie konnte

mir die Ärztin helfen? Es gab nichts. Ich hatte nicht mal eine

Aufenthaltsgenehmigung für Berlin. So bekam ich auch keine Lebensmittelmarken.

Ich war so schwach, dass ich auch nicht transportfähig war. Stillschweigend blieb ich

bei den Verwandten.

Meine Tante kümmerte sich rührend um mich. Sie hatten alle sehr wenig zu essen

und auch kaum Geld. Aus Dobberphul wurden alle vom Russen ausgewiesen. Sie

mussten unter schweren Bedingungen teilweise zu Fuß nach Berlin laufen. Den

Bericht darüber können Sie als Anhang lesen. Oma Lieschen mit 82 Jahren und Tante

Friedel, ihre Tochter, haben ihn geschrieben. Ich habe ihn unverbessert gedruckt, weil

viele junge Leute Sütterlin nicht lesen können.

Da die Großeltern und der Großonkel schon über 80 waren, litten sie sehr. Dann

gehörte noch Tante Grete, die Schwester von Tante Trude, zum Haushalt.

Ausgerechnet zu ihnen bin ich noch gekommen. Etwas Hilfe war durch den Garten

da. Obst und Gemüse hatten sie geerntet. So tauschte Tante Grete für mich etwas

Ziegenmilch gegen Obst ein.

Tante Grete war vor dem Kriegsende aktiv im Roten Kreuz. Da sie aber auch in der

Partei war, musste sie als Trümmerfrau arbeiten. Das tat sie ohne Klagen. Vorteil war

nur, dass sie dafür etwas Geld bekam. Es war Schwerstarbeit für die Frauen. Sie

bekamen aber auch Lebensmittelmarken für Schwerarbeiter.

Für den Gottesdienst und Kirchenarbeit bekam mein Großvater kein Geld, auch die

Pension kam nicht mehr. Er ist später, 1947, am Altar zusammengebrochen und

gestorben.

Das Haus war durch eine Luftmiene getroffen worden, die in den Garten

eingeschlagen war. Nicht nur alle Fenster waren entzwei, auch das Dach war runter.

Das Treppenhaus zur oberen Etage hatte ein Loch und die Haustür musste abgestützt

werden. Die Zimmer hatten alle Schäden, waren aber noch bewohnbar.

Die Ärztin kämpfte um mich. Ihr Arbeitsplatz war das Gesundheitsamt in Tempelhof.

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