07.09.2021 Aufrufe

Rußlandbericht

Der Rußlandbericht von Gisela Mikuteit

Der Rußlandbericht von Gisela Mikuteit

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

abholen kann. Eine Aufenthaltsgenehmigung bis Ende Januar war auch dabei. Da ich

kräftiger war, konnte ich den Behördengang mitmachen.

Noch im November kam Mutti nach Berlin. Das hatte einen Grund. Ich hatte mich ja

schon angemeldet, dass ich nach einer Woche käme. Das war angekommen. Nach

meinem Zusammenbruch hatte Tante Friedel an Mutti geschrieben, aber die

Nachricht kam nicht an. So hatte sie keine Ruhe mehr und kam nun selber her. Mutti

hatte kaum Geld und die Bahnfahrt war ein Drama. Sie hatte sich so Sorgen gemacht.

Zwei Tage blieb sie bei mir und saß nur still an meinem Bett. Sie erzählte mir später,

dass ich so dürr und elend ausgesehen hätte, dass sie an meinem Gesund werden

zweifelte. Von Tag zu Tag ging es mir besser, und ich hatte wieder mehr Mut. Tante

Trude stellte mir immer Blumen aus dem Garten ans Bett.

Sie war es auch, die mich dazu brachte, in ein Tagebuch über meine Erlebnisse zu

schreiben. Dazu schenkte sie mir ein dickes Heft und einen Stift. Ich fing auch an

mit Schreiben, doch nur in kleinen Abschnitten. Ich brach dabei oft in Tränen aus

und musste abbrechen.

Heute bin ich froh,dass ich alles aufgeschrieben habe. Erstens konnte ich mir das von

der Seele schreiben, und zweitens hätte ich sonst Vieles nicht mehr gewusst. Dann

gab sie mir noch Zeichenpapier. Ich zeichnete die Blumen ab, besonders gern die

Rosen. Die Bilder habe ich alle verschenkt.

Da es langsam Winter wurde, musste ich vom offenen Boden in den Keller ziehen.

Einen kleinen Raum hatte Tante Trude mir recht gemütlich eingerichtet. Sie hat mich

wirklich mütterlich versorgt. Nun kamen Großvater und Onkel Theo öfter zu mir.

Großvater las mir aus der Bibel vor.

Onkel Theo erzählte mir viel aus seiner Jugendzeit und von der großen Familie. Er

zeigte mir Fotos, die er gerettet hatte vor den Bombenangriffen in Hamburg. Dort

haben sie früher gewohnt.

Weihnachten konnte ich schon länger aufstehen und oben mit am Tisch essen.

Kleidung zum Anziehen hatten mir Leute aus dem Dorf geschenkt. Schuhe bekam ich

von einer Cousine, der Tochter von Vatis Schwester. Peinlich war mir, dass wir nun

die letzten Äpfel hatten, weil Tante Trude mir viele gegeben hatte. Sogar etwas

Kleingebäck bekamen alle, obwohl kaum was da war. Tante Trude hat rührend an

alles gedacht.

Bis Ende Januar durfte ich noch in Berlin bleiben. Dann lief meine

Aufenthaltsgenehmigung ab. Mit einem Rucksack wurde ich zum Nordbahnhof

gebracht und fuhr nach Neustrelitz. Der Zug war sehr voll. Ich bekam keinen

Sitzplatz und setzte mich auf den Rucksack. In Neustrelitz sollte ich vom Bahnhof

abgeholt werden. Niemand war zu sehen.

Da ich den Ort kannte, lief ich zum Töpferberg 3a. Als Mutti öffnete, fiel ich wieder

um. Nun war ich wenigstens wieder bei meiner Familie. Die Geschwister Eva und

Hans-Hubertus sah ich endlich wieder.

Wir mussten alle in einem Zimmer schlafen. Die Wohnung gehörte Muttis Bruder,

der noch in Gefangenschaft war. Seine Frau Tante Dorle hatte uns aufgenommen. Sie

60

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!