07.09.2021 Aufrufe

Rußlandbericht

Der Rußlandbericht von Gisela Mikuteit

Der Rußlandbericht von Gisela Mikuteit

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Die Russen, die tauschten, wohnten außerhalb des Lazarettes. Alles Verbannte, die

hungerten. Sie lebten in einfachen Hütten und hatten auch Familie. Auch eine Kirche

sollen sie gehabt haben. Gesehen haben wir von allem nichts. Wir lebten eingezäunt.

Kein Kontakt zu diesen Leuten war erlaubt. Die Blaubeeren sind schon unter dem

vielen Schnee gereift. Es gab auch Preiselbeeren und Walderdbeeren, aber nicht so

viel.

Die Schwester kam mehrere Tage je einmal zu mir und fütterte mich. Sie blickte sich

immer vorsichtig um, als wenn sie Angst hatte. Das ist mir erst nachher bewusst

geworden. Beim Füttern sprach sie mit mir wie eine große Schwester. Ich verstand

nur:“Du gut und nix gut!“ Manchmal hatte sie Tränen in den Augen. Ich werde sie

nicht vergessen. Auf einmal kam sie nicht mehr. Sie war nicht mehr da. Mir ging es

besser. Ich konnte mich nicht bedanken. War sie bestraft worden, weil sie Quark

nahm?

Ich erfuhr es erst viel später, dass alle Verbannten für Diebstahl, auch wenn es nur

kleine Sachen waren, mit Verlängerung der Verbannung um 1 bis 2 Jahre bestraft

wurden. Sie mussten dann auch aus dem Lager in ein anderes Lager. Wie gern würde

ich diese warmherzige und opferbereite Schwester wiedersehen und ihr danken.

So sehen Sie, liebe Leser, dass es auch hier Menschen gab, die uns nicht als Feinde

sahen. Ich habe die Russen nicht gehasst. Es gab unter ihnen viele, die selbstlos

halfen und so Mut bewiesen.

Nach einigen Tagen, als der Arzt durch ging, blieb er bei mir stehen, kam näher,

fühlte meinen Puls, prüfte meine Augen und hörte sogar meine Lunge ab. Dann rief

er die Schwester und redete mit ihr. Die Kranke neben mir erklärte, dass ich wieder

behandelt werde. Der Arzt hätte sich gewundert, dass ich noch lebe. Die

Pritschennachbarin, die mir das sagte, war zwei Tage später unbemerkt gestorben.

Ihren Namen wusste ich nicht. Sie klagte nicht und rührte sich kaum. Sie wurde wie

alle im Moor versenkt.

Es starben um uns täglich so viele, dass wir das ohne große Reaktionen hin nahmen.

Wir konnten auch nicht helfen und selber krank, nichts machen. Das Sterben war

sehr unterschiedlich. Manche schrien vor Schmerzen und suchten laut Hilfe, andere

starben still. Woran sie starben, erfuhr man nicht. Wohl einseitige und geringe

Ernährung, Kälte und Nässe führten zu schweren Erkältungen. Die hygienischen

Verhältnisse führten auch zu Durchfallerkrankungen und Ansteckungen.

Geschlechtskrankheiten durch Vergewaltigungen hatten wir dabei.

Wie ging es nun mit mir weiter. Ich wurde behandelt. Neben der schmerzhaften

Rippenfellentzündung hatte ich viel Wasser im Brustkorb. So ordnete der Arzt das

Absaugen an.

Glastöpfchen wurden durch Kerzenlicht der Sauerstoff entzogen. Dann wurden mir

die Näpfchen auf den Rücken zum Wasserentzug gesetzt. Sie saugten sich fest in

meiner Haut. Das war für mein entzündetes Rippenfell unerträglich schmerzhaft und

ich schrie. Drei Tage versuchte man das, dann ließ man da von ab. Was nun? Ich

bekam Tabletten und Spritzen. Morgens und abends spritzte man in den Oberschenkel

oder Oberarm. Kein Desinfizieren vor dem Spritzen, kein Wechsel der Spritzen

43

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!