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Rußlandbericht

Der Rußlandbericht von Gisela Mikuteit

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an. Langsam verging die Nacht.

Wir hatten schon wieder ein wenig Hoffnung, vielleicht nicht weg zu müssen. Doch

als wir früh eine schöne Fleischbrühe und etwas Brot schnell verzehren mussten,

verging uns der Appetit und jede Hoffnung. Wir mussten auf dem Hof wieder warten.

Da traf ich ein Mädchen aus dem Nachbardorf, die auch in das gleiche Gymnasium

ging, aber sie war in einer höheren Klasse. Margot, ein hübsches blondes Mädchen

unterhielt sich mit mir. Da kommt ein Offizier und spricht mit ihr in Russisch. Sie

erklärt mir dann, dass er wissen wollte, wer ich bin. Man vermutete, dass mein Vater

ein hoher Beamter bei Hitler gewesen sein könnte. Sie hat das verneint, weil sie uns

kannte. Dann machte er mir das Angebot, dass ich nicht mit weg müsste, wenn ich

bei ihm bleiben würde. Ich habe abgelehnt. Sie sagte mir ehrlich, dass sie beim

Kapitän sei und es ihr nicht schlecht ginge. Meine Meinung dazu habe ich ihr gesagt.

Ich habe sie auch gewarnt, denn wenn der Russe von ihr genug hat, würde er auch sie

bestimmt mit wegschicken.

Dann wurden wir wieder aufgerufen und mussten zu zweit antreten. Jetzt wurden

auch Männer dazu geführt. Mit vier Bewachern, einer vorn, einer hinten, einer links

und einer rechts, mussten wir das Dorf verlassen bei herrlichem Frühlingswetter. In

großer Hitze ermüdeten wir schnell. Das Ziel kannten wir nicht und wunderten uns,

dass wir über sandige Feldwege geführt wurden.

Im zweiten Dorf, das war Görlsdorf, durften wir mal Pause machen. Die Soldaten

tranken an der Pumpe Wasser. Wir durften nicht trinken. Es war ein ungewöhnlich

warmer Märztag. Wir hatten sehr Durst. Außerdem waren wir durch die Strapazen der

letzten Wochen erschöpft und trotzdem wagte niemand, Schwäche zu zeigen. Die

Wachen sprachen nicht mit uns und trieben uns ständig an.

Wir dachten besorgt an unsere Angehörigen und fragten uns in Gedanken, wohin

gehen sie mit uns? Wir kannten uns gegenseitig nicht. Wir durften auch nicht

miteinander reden. Der Anblick von Tierleichen. toten Menschen, zerstörten

Treckwagen, zertrümmerten Möbeln und anderen Sachen konnte die Stimmung nur

noch verschlechtern. Da ein zerbrochener Pferdeschlitten, daneben tote Pferde, ein

Wagen ohne Räder, auf dem Feld Betten, von denen die Federn weit zerstreut lagen,

denn alles war auseinander gerissen worden. Mir lief beim Anblick dieses Elends eine

Gänsehaut über den Rücken, und ich war wieder den Tränen nahe.

Auf dem weiteren Weg machten wir hinter Rufen nochmals im Wald Mittagsrast. Wir

tranken aus einer Pfütze Wasser und aßen etwas Brot. Nach einer Weile Ruhe

mussten wir weiter über Schildberg nach Soldin laufen. Wir schleppten uns völlig

matt auf den Marktplatz. Dort kauerten wir, von den Posten bewacht, am Bürgersteig.

Endlich wurden wir in das ehemalige Rathaus geführt, vor dem Gräber von

gefallenen russischen Soldaten eingezäunt waren. Durch den Haupteingang des

Rathauses führte man uns auf einen dunklen und für uns wohltuenden kühlen Flur bis

zu einer breiten Holztreppe.

An einer schmalen Seitentreppe hinter einem Pfeiler entdeckte ich einen Regulator,

der die Zeit 17 Uhr anzeigte. Ein langer Gang führte zu einem großen Fenster. An den

Seitenwänden gab es viele Türen zu Räumen, die mit Nummern versehen waren. Man

19

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