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Rußlandbericht

Der Rußlandbericht von Gisela Mikuteit

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spitze. Wie viele mit der selben Spritze behandelt wurden, weiß ich nicht. Das störte

uns nicht. Was gespritzt wurde, wussten wir auch nicht. Es dauerte aber nicht lange,

da schwollen meine Oberarme und Oberschenkel an und entzündeten sich.

Nun behandelte man das mit Salbe und Verbinden. Spritzen bekam ich weiter. Ich

versuchte aufzustehen, ging vorsichtig ein Stück an der Pritsche lang. Immer etwas

weiter lief ich jeden Tag. Bald konnte ich allein raus zum WC gehen. Ich aß besser.

Ich schlief nicht mehr so viel, sondern zeigte wieder wieder Interesse für mein

Umfeld. Es ging tatsächlich aufwärts.

Ilse war inzwischen aus dem Lager entlassen und in ein anderes Lager gekommen.

Sie hatte sich bei mir verabschiedet, doch ich nahm es kaum wahr. Sie war nicht zu

ihrer Schwester Ursel und Putty zurück gekommen. Das erfuhr ich erst später. Tante

Lena kümmerte sich noch immer um mich. Trinken ließ sie mich nicht zu viel.

Viele Frauen hatten Wassersucht, d.h. der Körper blähte sich auf, und sie starben

unter furchtbaren Schmerzen schreiend.

Ein rührendes Erlebnis möchte ich erzählen. Ich weiß, dass es im Lazarett geschah,

aber ich weiß nicht mehr genau wann. Es lagen Männer und Frauen in einer großen

Baracke zusammen, an einer Seite Männer und an der anderen Seite Frauen. Unter

uns Frauen war eine hochschwangere junge Frau. Sie erwartete ihr erstes Kind von

ihrem Verlobten. Er war Soldat an der Front irgendwo und wusste nichts von ihrer

Verschleppung. Ob er von der Schwangerschaft wusste, konnte sie auch nicht sagen.

Wo ihr Mann damals war, ob er noch lebte, nichts wusste sie.

Lilo unsere Hebamme. die uns im Arbeitslager die Tabletten gegeben hatte, war jetzt

auch hier tätig. Sie kümmerte sich auch besonders um die junge Frau. Eine russische

Hebamme war auch da, die für Entbindungen zuständig war. Als die Wehen

einsetzten bei der Schwangeren, rief man nach der Hebamme. Sie kam und kam

nicht. So war Lilo die schnelle Hilfe für die Geburtseinleitung. Nur heißes Wasser

und eine Schere, sonst nichts, waren Hilfsmittel. Sehr schnell kam ein kräftiger Junge

zur Welt und schrie. Wir alle weinten. In solchen Nöten und dann ein neues Leben.

Ich glaube, alle beteten das "Vater unser" mit. Dann erst traf die Hebamme ein.

Mutter und Kind brachte man in einen anderen Raum.

Jeden Tag fragten wir Lilo, die zu der Mutter konnte, wie es beiden geht. Nach

einigen Tagen fieberte die Mutter. Sie starb an Kindsbettfieber. Ihren Verlobungsring

und die Anschrift ihrer Angehörigen hatte sie Lilo gegeben und sie angefleht, sich um

das Kind zu kümmern. Was sollten wir tun? Wir konnten den Jungen nicht mal

ernähren. So brachte man das Kind wohl in ein Heim. Uns sagte man nicht, wo er hin

kommt. Ob das Kind jemals erfahren hat, wer seine Eltern sind?

Von noch anderen traurigen Schicksalen möchte ich berichten. Ich denke an die

Familie Arndt. Sie kamen von einem großen Gut. Die Mutter mit ihren drei Töchtern

lagen in unserer Baracke. Die Mutter war freiwillig mit nach Russland gegangen,

weil sie ihre Töchter nicht allein lassen wollte. Die Mädchen waren 18, 20 und 22

Jahre alt. Diese Damen waren völlig unselbständig. Die Mutter kämmte jeder die

langen schwarzen Haare, sie bediente alle drei mit Tee, kümmerte sich um ihr Essen

und half sogar beim Anziehen jeder einzeln. Die älteren Frauen unter uns bemühten

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