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Rußlandbericht

Der Rußlandbericht von Gisela Mikuteit

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zurück. Da zeigte uns ein Beamter den richtigen Zug, der gerade ein fuhr.

Diesmal schafften wir es auf einen offenen Plattenwagen zu kommen. Der Zug wurde

übervoll. Ein Glück, dass ich meine Decke hatte. Es war Ende September und darum

schon recht kühl, vor allem nachts. Auf dem offene Wagen ist man noch dem kalten

Fahrwind ausgesetzt. Der Zug fuhr wirklich Richtung Berlin in die Nacht hinein. Es

war eisig kalt. Immer wieder hielt der Zug längere Zeit. Kontrollen gingen durch. Wir

durften auf Grund der Bescheinigung auf dem Wagen bleiben. Andere mussten runter

und wurden mitgenommen.

Endlich erreichten wir Erkner. Alle mussten aussteigen. Hier halfen uns Berliner. Sie

wussten,dass von hier manchmal die S-Bahn fuhr. Tatsächlich konnten wir nun am

dritten Tage bis Lichtenberg fahren.

Wie nun weiter nach Marzahn? Es gibt keine Fahrmöglichkeit. Hier kann man die 4

Km nur laufen. Schweren Herzens ging ich nun mit Wally Krieming zu Fuß. Ich hatte

ihr versprochen, sie zu ihrer Tante zu bringen. es war ein schwerer Gang für uns

beide, wir waren sehr matt. Wir schafften es und fanden auch die Straße und das

Haus. Die Tante öffnete uns und freute sich sehr, dass ihre Nichte zurückkehrte. Ich

durfte mich waschen und kämmen. Man gab mir Brot mit Marmelade und Kaffee.

Leider wurde ich dann abgeschoben. Ich bat um eine Fahrmöglichkeit. Sie gingen gar

nicht darauf ein. Es interessierte sie überhaupt nicht, ob ich das noch schaffe. Sie

schoben mich einfach zur Tür raus und schlossen sie schnell hinter mir. Ich war sehr

enttäuscht. Auch kein Dankeschön oder ein netter Abschied war es. Ich habe nie

wieder von Wally gehört.

Ich war verzweifelt, dass ich die 4 Km wieder zurück laufen musste. Ich traf einen

jungen deutschen Soldaten und fragte ihn nach dem Weg zum Bahnhof. Er wollte

auch da hin. Er war gerade aus der Gefangenschaft entlassen worden. Wir liefen

zusammen weiter. Dabei erzählte er mir ununterbrochen von seinen Erlebnissen in

der Gefangenschaft, sodass ich gar nicht an meine Schwäche dachte. Er stöhnte viel

und beklagte sich, wusste aber nicht, dass ich gerade aus Russland kam. Ich konnte

einfach nicht sprechen, dazu war ich zu kaputt. Ich bekam kaum Luft. Endlich am

Bahnhof, mussten wir viele steile Holzstufen zum Bahnsteig hoch. Oben

angekommen, sprangen mehrere Frauen von der Bank auf und legten mich hin. Ich

hatte kein Gefühl mehr im Körper. Man fragte mich, wohin ich wollte. So hatte ich

nette Helferinnen, die mich mit in den richtigen Zug nahmen. Sie legten mich im Zug

auf die Bank und kümmerten sich sehr besorgt um mich. Ich hörte aber genau, wie im

Nachbarabteil eine Frau sagte:"Sie sind selber Schuld, wenn sie verschleppt werden.

Warum lassen sie sich mit den Russen ein!"Damals war ich zu schwach, mich zu

wehren.

Aber ich kann jetzt nur sagen, dass Sie, liebe Leser, das jetzt wissen, dass ich das

nicht getan habe und viele andere auch nicht.

Bald mussten alle aussteigen, weil der Zug durch Zerstörungen nicht weiter fahren

konnte. Zu einem Anschlusszug mussten alle wieder laufen. Meine Helferinnen

waren am Ziel. Ich sollte mal einfach mit den vielen Leuten mitgehen, die wollen

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