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Rußlandbericht

Der Rußlandbericht von Gisela Mikuteit

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Zufall ist, dass ich am 1. September Geburtstag habe. Alle wussten das, aber niemand

zeigte mir das. Gegen Mitternacht kamen sie alle an im Gänsemarsch singend und

jeder brachte etwas mit. Ich hatte mich gewundert, dass die Frauen so viel Tee

kochten. Es war für mich eine gelungene Überraschung. Ich, die jüngst, wurde 17

Jahre alt. Was brachten sie mir? Blümchen vom Bahndammrand, Teeblätter, aber

auch Zucker, Kekse oder Affen fett. Das Affen fett war so etwas wie Griebenschmalz,

Für uns Zivil internierte eine Delikatesse. Die Soldaten bekamen das. Sie

unterstanden dem Roten Kreuz, wir aber nicht. So wurden wir auch schlechter

ernährt.

Wir saßen dann alle zusammen am Bahndamm aßen und tranken und sahen das

Feuerwerk über Moskau. Dann sangen wir Heimatlieder miteinander. Noch heute

berührt mich diese Erinnerung immer wieder. Es war ein unbeschreibliches

Gemeinschaftsgefühl. Alle hatten wir die gleichen Sorgen. Was erwartet uns zu

Hause? Wo sollen wir hin? Wo sind unsere Angehörigen?

Hier erfuhren wir erst glaubhaft, dass der Krieg zu ende war. Da wir mit den Signalen

Probleme hatten, verabredeten wir das noch besser. Die Lok sollte dreimal in

Abständen Signal geben, damit wir auch etwas weiter weg Kräuter suchen konnten.

Das klappte dann gut.

Dann ging die Fahrt weiter Richtung Westen. Überall Leere oder Trümmer. Wenn der

Zug an Bahnhöfen hielt, waren wieder sofort Russinnen mit Warenkörben zur Stelle,

Brot, Eier, Gemüse und Obst boten sie zum Tausch an. Wieder wollten sie mein rotes

Kopftuch für 2 Eier und einen Weißkohl haben. Ich gab es nicht her. Ich wusste doch

nicht, was uns zu Hause erwartete. Die begleitenden Soldaten schickten die Frauen

sofort weg.

Jetzt verlief die Fahrt viel langsamer. Fahren, dann wieder länger stehen, so ging es

weiter. Viel Zugverkehr in Gegenrichtung war zu sehen. Ganze Güterzüge mit

Möbeln und mit Maschinen, aber auch Züge mit russischen Soldaten. Auch

gefangene deutsche Soldaten in langen Zügen kamen entgegen. Wir konnten nicht

mehr aussteigen beim Halten, wenn russische Frauen kamen. Das wurde uns

verboten. Ich weiß nicht warum. Wir vermuteten, dass man die Verschleppung von

Krankheiten fürchtete. Wir waren auch nur deshalb auf dem Heimweg, weil wir nicht

mehr arbeitsfähig waren.

Meine Krankheit machte sich auf der Fahrt leider mehr bemerkbar. Auf den Brettern

wurde man beim Fahren manchmal durchgeschüttelt und so schmerzte mein

Rippenfell und ich bekam auch Hustenanfälle. Ich glaubte zu ersticken. So lag ich

einige Tage wieder flach. Ich wurde aber von allen gut bemuttert und bekam Tee.

Mein Rücken wurde mit heißem Affen fett eingerieben.

Als wir an die polnische Grenze nach Brest- Litowsk kamen, ging es mir schon

wieder besser. Hier wurden wir wieder wie bei der Hinfahrt umgeladen in andere

Züge. Beim Umladen standen wir lange auf dem Bahnsteig. Dort warteten noch

andere Heimkehrer, So traf ich Förster Schenker aus Stolzenfelde bei Dobberphul

wieder. Er half mir und kümmerte sich auch um mich.

Ich wurde aber vor ihm gewarnt. Man erzählte mir, dass er in Russland Kameraden

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