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Rußlandbericht

Der Rußlandbericht von Gisela Mikuteit

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wir nicht schlafen. Die Wanzen fielen in Scharen über uns her, in der Nase, Augen

und Ohren und am Mund hielten sich winzige Wanzen auf. Dass das die Russen

ausgehalten haben, konnten wir nicht fassen.

Aber nicht nur das war schlimmer geworden. Nun gab es andere Arbeit in drei

Schichten. Wir waren im Norden von Russland, nahe am Nordpol. Zeitlich begann

diese Arbeit im Mai. Es war jetzt länger hell. Ab Juni bis Ende August sind die

Nächte dort kaum dunkel. Es kommt im Juli zur Tag- und Nacht-gleiche. So wurden

wir in eine Früh-, eine Spät- und eine Nachtschicht eingeteilt. Außerdem mussten wir

eine vorgeschriebene Norm- ein Soll- erfüllen. Wer das nicht schaffte, dem wurde die

Brotration auf die Hälfte, also 100 g gekürzt. Da ein Satt essen sowieso nicht möglich

war, eine harte Strafe. Wir halfen uns immer gegenseitig, damit alle die Norm

erfüllen konnten.

Wir Frauen arbeiteten nun an einer neu zu errichtenden Bahnlinie. An einer Brücke,

die an dem Fluss gebaut werden sollte, mussten wir den Damm mit Sand auffüllen.

Also Sand in Karren schaufeln und auf die Aufschüttung schieben und leeren. Dann

den Damm befestigen und Schienen legen. Es war eine harte Arbeit. Beim

Hochkarren auf die Aufschüttung wurde es immer schwerer. Wir konnten nur zu

mehreren die Karre hoch schieben. Zum Befestigen des Dammes mussten wir mit

Kreuz hacke in der Nähe Steine abschlagen und die Steine heran transportieren.

Bohlen wurden von anderen gelegt, die wir nicht sahen, aber wir mussten dann

Schienen tragen. Eine Schiene war lang und so schwer, dass wir mit vielen

zusammen heben und tragen mussten. Befestigt haben andere die Schienen, die wir

nicht gesehen haben.

Am 8. Mai stellten wir uns wie immer zum Zählen auf. Dann verkündete uns eine

Dolmetscherin das Kriegsende. Wir reagierten mit Ungläubigkeit. Niemand von uns

hat das wahrhaben wollen. Erst später glaubten wir das. Wir hofften immer noch, von

unseren Soldaten befreit zu werden. So wurden immer wieder Gerüchte verbreitet,

wir würden Mitte Juni, dann im Juli frei werden. Die Hoffnung gab uns Kraft, das

Leben zu ertragen.

Mitte Mai kam es zu einer Periode mit Dauerregen. Das war für uns besonders

schlimm. Wir hatten keine Wäsche zum Wechseln. Keine Nachtwäsche, keine

Arbeitskleidung, keine Regenschutzkleidung. Schuhe hatten wir nur, was wir an

hatten. Viele Schuhe waren schon aufgetragen und mussten wir weiter tragen, denn

was anderes gab es nicht. Ich hatte beim Einmarsch der Russen ein Paar hohe

Schnürschuhe an. Diese trug ich noch, obwohl die Sohle nur noch an einer Stelle fest

war. Ich schlürfte mit den Schuhen. Überall drang Wasser und Schmutz ein.

Außerdem konnte ich leicht stolpern damit. Erst viel später bekamen wir andere

Schuhe. Das waren kaum geformte Holzsohlen und Stoff als Seiten zum Halten der

Sohlen. Sie waren sehr steif und unbequem. Man war froh. Dass man was Festes an

den Füßen hatte. Wasser drang weiter ein. Die Ratten fraßen den Stoff gern, wir

konnten sie kaum vertreiben.

Bei dem Dauerregen mussten wir arbeiten. Völlig durchnässt kamen wir zurück. Was

nun mit den nassen Sachen? Nur die Mäntel durften wir zum Trocknen geben in

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