Scheidegger-Spiess - noch nicht angekündigte Titel Herbst 2021
Das aktuelle Herbstprogramm mit neuen, noch nicht angekündigten Titeln des Verlags Scheidegger & Spiess im Bereich Kunst, Fotografie und Architektur!
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Abb. 1<br />
Fritz Brunner (1899–1991)<br />
Jugendbuchbeispiele:<br />
«Felix»*, 1970<br />
«Wer isch de Dieb»*, 1975 (Zürcher<br />
Mundartgeschichten)<br />
«VIGI» (Vigi der Verstossene), 1940<br />
«Aufruhr in Brussada»*, 1960<br />
* mit Illustrationen von Klaus<br />
Brunner (1928–2018)<br />
Abb. 2<br />
Hedwig Brunner-Lienhart (1902–<br />
1986)<br />
Kissenüberzug, um 1945<br />
B 42 cm / L 35 cm<br />
Kreuzstich, Wolle<br />
Abb. 3<br />
Hedwig Brunner-Lienhart<br />
Kaffeekanne mit Milchkännchen,<br />
um 1925<br />
H 18 cm / H 8 cm<br />
Porzellanmalerei<br />
Abb. 4<br />
Johanna Brunner (*1940)<br />
«Schellenursli und Flurina», 1962<br />
H 60 cm / H 48 cm<br />
Marionetten aus Balsaholz<br />
Abb. 6<br />
B 4 cm / L 116 cm<br />
Technik: Cardweaving mit Baumwollgarn<br />
in Weiss, Schwarz, Pink<br />
und Grautönen<br />
Abb. 7<br />
B 50 cm / L 70 cm<br />
Warp: verschiedenes Fadenmaterial<br />
in Grün- Lila- und Blautönen,<br />
Weft: Fadenmaterial wie oben, integrierte<br />
Chenille in Grün, Violett<br />
und Blau<br />
Technik: Tabby und Inlay<br />
Abb. 13<br />
B 72 cm / L ca. 90 cm<br />
Warp: naturweisse Baumwolle<br />
Weft: griechische Wolle, Blau-,<br />
Grün-, Gelbtöne<br />
Technik: Bound-Weave, Tabby<br />
Abb. 13a<br />
Entwurfszeichnung zu «BERRY<br />
TREE», 1973<br />
Abb. 46<br />
Gewebe auf Plexiglasrahmen montiert<br />
B 175 cm / L 115 cm / T 5 cm,<br />
Warp: verschiedenes Fadenmaterial,<br />
Beige, Ocker, Dunkelbraun,<br />
Schwarz<br />
Weft: verschiedenes Fadenmaterial,<br />
Naturweiss, Beige, Brauntöne,<br />
Schwarz und eingewebte Federn<br />
Technik: Honey Comb, Leno, Tabby<br />
Abb. 46a<br />
Detail von «GEWEBE MIT<br />
FEDERN», 1976<br />
Abb. 47<br />
B 180 cm / L 155 cm<br />
Warp: verschiedenes Fadenmaterial,<br />
Naturweiss, Beige, Ocker, Grün,<br />
Olive, Dunkelbraun, Schwarz<br />
Weft: verschiedenes Wollfadenmaterial<br />
Naturweiss, Beige, Gelb,<br />
Gold, Ocker, Olive, Mauve, Aubergine,<br />
Blautöne, Dunkelbraun,<br />
Wollstopfmaterial für Traubenbeeren<br />
Technik: Honey Comb, Leno, Tabby<br />
Abb. 47a<br />
Entwurfszeichnung zu «TRAUBEN-<br />
TRICHTER», 1977<br />
Filzstifte, Acrylfarben auf Papier<br />
6<br />
13a 13<br />
46<br />
46a<br />
7<br />
47a<br />
47<br />
1<br />
4<br />
2<br />
3<br />
Abb. 5a<br />
Detail von «WANDBEHANG MIT<br />
MUSTERBEISPIELEN», 1971<br />
Abb. 56<br />
B 180 cm / L 130 cm<br />
Warp: verschiedenes Fadenmaterial,<br />
Naturweiss, Dunkelbraun,<br />
Schwarz<br />
Weft: verschiedenes Fadenmaterial,<br />
Violett, Gelb- und Rottöne,<br />
Schwarz<br />
Technik: Honey Comb, Leno, Tabby<br />
Abb. 57<br />
B 180 cm / L 140 cm<br />
Warp: verschiedenes Fadenmaterial,<br />
Naturweiss, Dunkelbraun,<br />
Schwarz<br />
Weft: verschiedenes Fadenmaterial,<br />
Naturweiss, Ocker, Schwarz mit<br />
eingewebten brasilianischen Muscheln<br />
Technik: Honey Comb, Leno, Tabby<br />
Abb. 57a<br />
Muschel-Objekt für<br />
«GESTRANDET», 1978<br />
Kleine Jakobsmuschel aus Brasilien<br />
Ø ca. 6 cm<br />
Abb. 57b<br />
Entwurfszeichnung zu<br />
«GESTRANDET», 1978<br />
Blei- und Farbstiftzeichnung auf<br />
Häuschenpapier (ca. A5)<br />
56<br />
57<br />
57a<br />
5a<br />
57b<br />
Jugendjahre<br />
Am 20. August 1940 kam ich im Zürcher<br />
Rotkreuzspital zur Welt. Ich wuchs<br />
als jüngstes Kind in einem humanistischen<br />
Elternhaus auf. Meine Geschwister<br />
waren der zwölf Jahre ältere<br />
Bruder Klaus und meine zehn und<br />
sechs Jahre älteren Schwestern Gerda<br />
und Erika. Wir wohnten in Zürich am<br />
Waidberg in einem Einfamilienhaus mit<br />
freier Sicht über die Stadt, den See und<br />
die Berge. Mein Vater, Fritz Brunner,<br />
unterrichtete als Sekundarlehrer Sprachen<br />
und Geschichte. Er war auch als<br />
Schriftsteller tätig, verfasste zahlreiche<br />
Jugendbücher (Abb. 1) und war Mitbegründer<br />
des Schweizerischen Jugendschriftenwerks<br />
(SJW) und der Jugend-<br />
und Volksbibliotheken. Die Verbreitung<br />
des guten Buches war für ihn<br />
eine Herzensangelegenheit und in unserer<br />
Familie durfte es keine sogenannte<br />
«Schundliteratur» (z. B. Mickeymouse-<br />
Hefte!) geben. Zudem kuratierte er<br />
während 20 Jahren nebenamtlich die<br />
pädagogischen Ausstellungen im Pestalozzianum.<br />
tens. Daneben unterstützte sie meinen<br />
Vater, damit er sich vom Alltäglichen<br />
unbehelligt all seinen verschiedenen<br />
Tätigkeiten widmen konnte. Sie nähte<br />
<strong>nicht</strong> nur die Kleider für uns vier Kinder,<br />
sondern dekorierte z. B. unsre<br />
Sonntagsröcke mit Holzknöpfen, die sie<br />
mit apart geometrischen Mustern bemalte.<br />
Mit solch originellen Kleidern<br />
zeigten wir uns aber dann nur ungern in<br />
der Sonntagsschule.<br />
Meine Eltern orientierten sich am<br />
Bauhausstil: Unser Haus hatte schlichte<br />
helle Räume. Zur Wohnzimmereinrichtung<br />
in Rottönen stickte meine<br />
Mutter die passenden Kissenüberzüge,<br />
indem sie in Kreuzstichtechnik ohne<br />
Entwurf laufend geometrische Figuren<br />
und Ornamente erfand und diese zu<br />
einem abstrakten, fantasievollen Stickbild<br />
zusammenfügte (Abb. 2). Ihren<br />
spontanen Formerfindungen beim Sticken<br />
zuzuschauen, faszinierte mich als<br />
Kind.<br />
Bevor sie z. B. Türen von Holzmöbeln<br />
oder Porzellangeschirr bemalte (Abb. 3),<br />
hielt sie ihre Kompositionsideen in Entwürfen<br />
fest.<br />
Webkunstausbildung<br />
USA<br />
1971–1972<br />
Newton, 29. September 1971<br />
Gestern begann mein Intensivwebkurs<br />
an einer Bostoner Kunstgestaltungsschule.<br />
Ich bin die einzige Anfängerin!<br />
Der Webstuhl flösst mir grössten Respekt<br />
ein! Aber was man später alles Fantastisches<br />
damit kreieren kann! All das<br />
viele Neue macht mich aber ziemlich<br />
müde. Morgen geht der Kurs weiter und<br />
in derselben Woche beginnt der Kurs<br />
für freies Textilgestalten (z. B. Indianerknüpftechniken).<br />
Ich bin auf alles sehr<br />
gespannt!<br />
Newton, 1. Oktober 1971<br />
Das Lernen, einen Webstuhl richtig fürs<br />
Weben vorzubereiten und zu bespannen,<br />
ist anspruchsvoll. Ich bin immer <strong>noch</strong><br />
am Warp-Einfädeln, aber ich freue mich<br />
auf die vielen späteren Webmöglichkeiten<br />
und lasse mich von den Arbeiten<br />
der Fortgeschrittenen anspornen und<br />
inspirieren.<br />
Webmuster probiere ich immer wieder<br />
neue Muster aus, bis der Warp nach mehr<br />
als zwei Metern verwebt ist (Abb. 5).<br />
Im «Off-Loom-Weben» (z. B. Knüpftechniken)<br />
habe ich einen jungen Hippie-Lehrer<br />
mit Rossschwanz und einem<br />
Fingerring aus einer Riesenmuschel –<br />
einfach mit einem fingergross gebohrten<br />
Loch drin. Zum eigenen Namen musste<br />
man in der ersten Stunde irgendetwas<br />
nennen, was man gern hat. Einige sagten<br />
z. B. «Löwe», «Baum», «Blau» und ich<br />
sagte «Kinder». Alles schrieb er auf.<br />
Er will uns <strong>nicht</strong> nur Techniken lehren,<br />
sondern unser Raumempfinden<br />
für späteres dreidimensionales Schaffen<br />
stärken und schulen. Auf Dias zeigte<br />
er uns seine eigenen Textilskulpturen:<br />
skurrile Grossobjekte aus verknoteten<br />
Schiffstauen.<br />
Wir bekamen folgende Hausaufgaben:<br />
Wir müssen die ganze Woche<br />
eine Zitrone mit uns herumtragen und<br />
sie immer wieder genau betrachten.<br />
(Womit ich in der Familie dauernd geneckt<br />
wurde!) Auch müssen wir eine<br />
Artischocke und zwei andere Dinge auswählen,<br />
zerteilen und die Einzelstücke<br />
Meine Mutter, Hedwig Brunner-Lienhart,<br />
war vor der Familiengründung als<br />
innovative Handarbeitslehrerin tätig gewesen.<br />
Ihre Kreativität kam <strong>nicht</strong> nur<br />
uns Kindern zugute, sondern zeigte sich<br />
auch in der Pflege des Hauses und Gar-<br />
Nicht nur die schöpferische Kreativität<br />
förderten unsere Eltern in uns Kindern,<br />
sie legten auch Wert auf eine gute<br />
Sprach- und Musikerziehung. Besonders<br />
mein Vater achtete darauf, dass wir<br />
fehlerfrei «Züridüütsch» lernten. Einige<br />
Die Kunstlehrerin ist streng und sehr<br />
gut. Ihre grossartigen Textilkreationen<br />
habe ich in einer Ausstellung im «Decordeva-Museum»<br />
bewundern können.<br />
Mein erster «Warp» (Kette) ist aus<br />
schwarzem Garn und verläuft durch vier<br />
«Harnesses» (Schäfte). In meinem erstes<br />
immer wieder zeichnen. Zudem müssen<br />
wir eine Schachtel mit Materialabfällen<br />
in den Kurs mitbringen. Ich weiss also<br />
<strong>noch</strong> <strong>nicht</strong>, wie lehrreich dieser Kurs<br />
sein wird.<br />
8 9<br />
16 17<br />
GÜRTEL, 1972<br />
DREI GIRAFFEN, 1971<br />
das Textilmuster aus den farbigen Warp-<br />
Fäden. Der 4-fächerige Warp ermöglicht<br />
unzählige Mustervariationen, z. B. können<br />
plastische Sequenzen oder Schriftbilder<br />
gewebt werden! Nachdem ich das<br />
Brettchenbandweben auf einem Schul-<br />
Inkle-Loom gelernt habe, werde ich mir<br />
nun einen eigenen kleinen Webstuhl kaufen,<br />
damit ich zu Hause daran arbeiten<br />
kann. Nach den ersten Webmusterversuchen<br />
ist in der Schule ein Gürtel entstanden<br />
(Abb. 6).<br />
6. April 1972<br />
Heute habe ich meine «Giraffen»-Tapisserie<br />
am Webstuhl in der Schule beendet.<br />
Nun bekommt sie <strong>noch</strong> einen<br />
rückseitigen Futterstoff und wird an<br />
zwei Stäbe montiert (Abb. 7).<br />
Ich war bei einem grossartigen Diavortrag<br />
von Else Regensteiner. Von dieser<br />
Künstlerin besitze ich ein inspirierendes<br />
Lehrbuch, nämlich «The art of weaving»<br />
(New York 1970).<br />
Dank Ursula kann ich zwei volle Tage,<br />
immer montags und dienstags, in der<br />
Schule in Boston Kurse besuchen und<br />
dazwischen an meinen Webprojekten<br />
arbeiten.<br />
Ein mehrschichtiger Wandbehang ist<br />
am Entstehen: Ich will ausprobieren,<br />
wie in die flache Längsfädenebene meh-<br />
Webkunstausbildung<br />
1971–<br />
USA<br />
1972<br />
rere übereinanderliegende Teilstücke gewebt<br />
werden können (Abb. 8).<br />
22 23<br />
BERRY TREE, 1973<br />
Das eigene Schaffen<br />
wiederentdecken:<br />
die Textilkünstlerin<br />
Johanna Morel<br />
34 35<br />
Aus Kanada wird er mir nach Kilchberg<br />
geschickt werden! Diesen handlichen<br />
Webstuhl werden wir in der Schweiz im<br />
Auto mitnehmen und ich werde damit<br />
tende Keramikperlen nestartig vom<br />
dunklen Doppelgewebe und von Federn<br />
umhüllt.<br />
auch im Ferienhaus weben können!<br />
Meine Vorfreude ist gross!<br />
Frühjahr 1978<br />
Für die Basis meiner nächsten Projekte<br />
GEWEBE MIT FEDERN, 1976<br />
TRAUBEN-TRICHTER, 1977<br />
Ab September 1976<br />
Für mein erstes Werk auf dem neuen<br />
grossen Webstuhl (ich nenne ihn «Cadillac»)<br />
lasse ich mich von Dreiecksformen<br />
mexikanischer Ponchos inspirieren.<br />
Mein streng geometrisches<br />
Gewebebild wird mit Naturfedern aus<br />
den mitgebrachten Staubwedeln belebt.<br />
Ich wähle für Warp und Werft die<br />
zu den Federn passenden Farben: Naturweiss,<br />
Beige, Brauntöne und Schwarz.<br />
Das «Gewebe mit Federn» (Abb. 46)<br />
wird rechtzeitig fertig (und mit Jean-<br />
Denis’ Hilfe auf einen passenden Plexiglasrahmen<br />
montiert), um mich damit<br />
an der jurierten «Kunstszene Zürich<br />
76»-Ausstellung anmelden zu können.<br />
Ich freue mich sehr, dass es angenommen<br />
wird! Vom 28. November<br />
1976 bis zum 2. Januar 1977 wird es im<br />
Helmhaus ausgestellt sein!<br />
Ab Januar 1977<br />
Auch in meinem nächsten grossen Gewebe<br />
dominiert die Dreiecksform. Sie<br />
stellt einen abstrahierten Trichter dar,<br />
der mit neun Reihen blauer Weinbeeren<br />
ausgefüllt ist. Die darzustellenden Bee-<br />
CHILBI-LICHTER, 1978<br />
GESTRANDET, 1978<br />
im Atelier wähle ich einen dunklen rustikalen<br />
Warp mit mehrheitlich schwarzen<br />
Fäden und mit wenig integrierten<br />
dunkelbraunen und weissen Garnfäden.<br />
Die bunte, fröhlich klingende Jahrmarktwelt<br />
hat mich seit meinen Besuchen<br />
als Kind am Zürcher «Knabenschiessen»<br />
fasziniert und gefällt mir als<br />
Mutter mit Kindern bis heute.<br />
Die Frage ist nun: Wird es mir gelingen,<br />
ein textiles Jahrmarktnachtbild<br />
mit «Chilbi-Lichtern» zu gestalten? In<br />
meiner realisierten Nachtdarstellung<br />
«Chilbi-Lichter» (Abb. 56) verweisen<br />
die leuchtenden Farbakzente auf Bahnen<br />
und Buden und rotierende Karussells.<br />
Die dekorativ fächerförmigen Muscheln<br />
(Abb. 57a), die ich von meiner Schwester<br />
Erika aus Rio de Janeiro bekommen<br />
habe – das Muschelsammeln war in<br />
den 1970er-Jahren <strong>noch</strong> <strong>nicht</strong> verboten<br />
–, inspirieren mich zum Wandgewebe<br />
«Gestrandet» (Abb. 56). Sie lassen<br />
mich an die steifen Röckchen der<br />
Balletteusen denken und somit auch an<br />
Musik. Ich entwerfe drei «melodiöse»<br />
Muschelgewebeteile (Abb. 57b). Jede<br />
der drei Muschelpartien hat ihren eige-<br />
100 101<br />
116 117