FOCUSING JOURNAL Nr. 47
Zeitschrift zur Kultur der Achtsamkeit herausgegen von der AKADEMIE FÜR FOCUSING, FOCUSING-THERAPIE UND PROZESSPHILOSOPHIE (DAF-AKADEMIE)
Zeitschrift zur Kultur der Achtsamkeit
herausgegen von der AKADEMIE FÜR FOCUSING, FOCUSING-THERAPIE UND PROZESSPHILOSOPHIE (DAF-AKADEMIE)
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Themen<br />
Martha Hellinger<br />
Diplom-Theologin<br />
Exerzitienleiterin<br />
82008 Unterhaching bei<br />
München<br />
m.hellinger@web.de<br />
in Kontakt zum Boden bin, wie mein Atem<br />
mich bewegt, nehme ich bewusst wahr, wie<br />
ich gerade in Beziehung bin zu diesem Etwas,<br />
das nicht ich bin. Sondern ein Anderes,<br />
das sich von sich aus verändern kann<br />
oder das sich für mich im Spüren verändert.<br />
Wenn ich mich in dieser Interaktion bemerke,<br />
spüre ich mich in meinem Freiraum. Ich<br />
kann spüren, es trägt mich, es atmet mich,<br />
ich lebe. Als einen weiteren Schritt kann ich<br />
mich fragen: Wenn ich so etwas wie die göttliche<br />
Präsenz da sein lasse, wie spürt sich das<br />
an? So wie ich es erlebe, wird dadurch das,<br />
was an Freiraum schon entstanden ist, mehr,<br />
größer, tiefer, stabiler. Weil ich in diesem<br />
Raum nicht mehr allein bin, sondern weil es<br />
da ein DU gibt, das für mich da ist. Das göttliche<br />
DU kann für mich Begleiter/in sein,<br />
der mich fragt: Wie spürt sich das für dich<br />
an? Und die zurücksagt. Oder es kann für<br />
mich ein Gegenüber sein, an das ich mich<br />
wenden kann. Ich kann bitten, dass es mir<br />
hilft; kann danken, wenn etwas geschieht,<br />
das mich staunen lässt; kann klagen, wenn<br />
sich »nichts« tut; kann mit dem DU darum<br />
ringen, dass es doch endlich etwas bewirken<br />
möge. Ich kann das göttliche DU sogar als<br />
beides da sein lassen, sowohl als Gegenüber<br />
als auch als Begleiter/in.<br />
Bei mir ist es so: Wenn mich ein Problem<br />
sehr bedrängt oder wenn es um etwas<br />
Strukturgebundenes geht, muss ich umso<br />
mehr für meinen Freiraum sorgen. Dann<br />
brauche ich umso mehr ein Du. Dann brauche<br />
ich es umso mehr, mich in einer Beziehung<br />
zu spüren, die wohlwollend und<br />
absichtslos, haltend und freilassend ist. Das<br />
Du kann natürlich ein Mensch sein, der<br />
mich beim Focusing begleitet, allerdings<br />
ist so ein Mensch nicht ständig verfügbar.<br />
Während Selbstfocusing fast jederzeit möglich<br />
und das göttliche DU immer präsent<br />
und anrufbar ist.<br />
Um auf die Exerzitien zurückzukommen:<br />
Da hat sich für mich die Beziehung<br />
zum göttlichen DU entwickelt, verändert,<br />
vertieft. Dieses DU umfasst für mich die<br />
ganze Wirklichkeit, alles, was jemals war,<br />
ist und sein wird, woher alles kommt und<br />
wohin alles geht. Deshalb wirkt es für mich,<br />
wenn ich mich darauf beziehe, wie ein unendlicher<br />
Freiraum, in dem alles geborgen<br />
ist.<br />
Was in Ignatianischen Exerzitien passiert,<br />
wie sie »funktionieren«, beginne ich<br />
erst zu verstehen. Da helfen mir die Seminare<br />
zu Gendlins Prozessphilosophie von<br />
Donata Schoeller. Mir kommt vor, dass<br />
Ignatius in seinen Exerzitien systematisch<br />
anleitet zu »kreuzen«, so dass die biblischen<br />
Worte sich verweben können mit<br />
unseren erlebten Situationen, eben weil sie<br />
selbst schon verdichtetes Erleben sind. Bei<br />
Ignatianischen Exerzitien bin ich bis heute<br />
geblieben. Was mich daran fasziniert: Es<br />
entwickelt sich ein tiefgreifender Wandlungsprozess,<br />
der sanft und organisch ist,<br />
selbstgesteuert und absichtslos. Da wird<br />
nichts forciert, es geht nicht darum, etwas<br />
zu bearbeiten und am Ende etwas zu erreichen.<br />
Sondern darum, der Spur der eigenen<br />
Sehnsucht zu folgen: sie zu bemerken, ihr<br />
zu trauen, sie zu vertiefen und sich so von<br />
ihr leiten zu lassen.<br />
Falls das alles jetzt so klingt, als bräuchte<br />
es für mich nur die Beziehung zum göttlichen<br />
DU, nein, so ist es ganz und gar nicht!<br />
Das menschliche DU erlebe ich als genauso<br />
wichtig, und das eine ist nicht ersetzbar<br />
durch das andere. Auch deshalb habe ich<br />
eine Weise des partnerschaftlichen Betens<br />
entwickelt für meine eigenen Exerzitienangebote,<br />
aber davon vielleicht mehr an anderer<br />
Stelle.<br />
Wer sich davon angesprochen fühlt, auf diese<br />
Weise zu fokussieren/beten, kann es ausprobieren<br />
im Rahmen eines OFT (Online-Focusing-Time,<br />
siehe www.daf-focusing-akademie.com/online-focusing-time-oft/).<br />
28 focusing journal | heft <strong>47</strong>/2021