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ZEIT Reiseträume

Reiseträume Stand Mai 2023

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WOCHENENDE IM ALLGÄU<br />

AM LAGERFEUER<br />

Engel hissen die Segel. In den benachbarten Bauten sind oft<br />

regionale Künstlerinnen und Künstler zu sehen, aktuell der<br />

bunte Wilde Franz Hitzler. Im Zentrum von KEMPTEN, der<br />

heimlichen Hauptstadt des Allgäus, entstand ab 1651 die erste<br />

monumentale deutsche Barockanlage nach dem Dreißigjährigen<br />

Krieg – Kirche und Schloss. Wer Zeit hat, bucht die Führung<br />

in die Prunkräume der Residenz von Fürstabt Anselm<br />

Reichlin von Meldegg, zwischen 1732 und 1745 in der kräftigen<br />

Farbigkeit des frühen Rokoko ausgeführt.<br />

Bei einer Allgäureise sollte die Künstlerin Natur nicht fehlen.<br />

Unsere Fahrt führt nun ein Stück Deutsche Alpenstraße<br />

entlang über den Großen Alpsee mit seinen Kite-Surfern. In<br />

Oberstaufen liegt das Nachtquartier BERGKRISTALL wie eine<br />

Aussichtsterrasse gegenüber dem Hochgrat und anderen Allgäuer<br />

Alpengipfeln. Abends kommen Hirsche bis an den Zaun<br />

und die Panoramafenster.<br />

Sonntag Das Resort Bergkristall wählten wir<br />

auch, weil wir von hier aus zu Fuß ein<br />

paar Kapellen mit spitzen Helmdächern erreichen können. Sie<br />

sehen unscheinbar aus, aber drinnen hat vor allem die gotische<br />

KAPELLE ST. BARTHOLOMÄUS drei gewaltige mittelalterliche<br />

Altäre zu bieten. Sie bestehen aus je drei Flügeln mit Halbrelieffiguren<br />

vor Goldgrund und Predella. Die Dargestellten wurden<br />

zwischen 1430 und 1500 von Mitgliedern der Künstlerfamilie<br />

Strigel aus der Memminger Schule geschaffen. Auch die<br />

Kapelle von Genhofen hat drei kapitale Altäre. Zurück in tieferen<br />

Gefilden stoßen wir im fast tausendjährigen ISNY auf eine<br />

Stadt, die den Mut hatte, früh den Grafik designer OTL AICHER<br />

mit ihrer Corporate Identity zu beauftragen. Der aus der Nähe<br />

stammende wegweisende Gestalter wäre letztes Jahr 100 Jahre<br />

alt geworden. Aus diesem Anlass widmete ihm Isny einen offenen<br />

schwarzen Pavillon, der jetzt im Kurpark steht und an die<br />

weißen und schwarzen Piktogramme Aichers erinnert. In<br />

LEUTKIRCH, das man über eine kurvenreiche Fahrt erreicht,<br />

steht das MUSEUM IM BOCK. Sein Café ist ein schöner Rastplatz.<br />

Im ersten Stock gibt es auch einen Otl-Aicher-Raum: Möbelentwürfe,<br />

Fotografien aus seinem Leben und Texttafeln ehren<br />

den Designer, der lange im Leutkircher Vorort Rotis gelebt<br />

hat. Dort entwarf er seine Gebäude im Stil des Vorbilds Le Corbusier<br />

selbst.<br />

In OTTOBEUREN gibt es in der stattlichen Bendiktinerabtei<br />

neben erstklassigen Rokokoarbeiten Schöpfungen aus der<br />

Barockzeit wie den Kaisersaal mit 16 Monumentalstatuen von<br />

Joseph Anton Sturm (wird derzeit renoviert) zu entdecken.<br />

Oder die gerade wiedereröffnete Filiale der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen.<br />

Hier ergänzen 37 vor allem mittelalterliche<br />

Arbeiten Allgäuer und schwäbischer Meister rund um das<br />

Glanzwerk OTTOBEURER MARIENTAFEL von 1450 den neu konzipierten<br />

Rundgang des Klostermuseums. Weiß gehöhte Eichendielen<br />

und intarsierte Türen betonen das lichte Ambiente<br />

und die Barockmotive in den Deckenzwickeln. Unser dritter<br />

Tag endet im Zentrum von MEMMINGEN, wo uns das Rathaus<br />

mit der kolossalen Renaissancefassade, die aber 1764/65 geschwungene<br />

neue Giebel und Stuckdekor im Rokokokstil bekam,<br />

und das ehemalige Kreuzherrenkloster anziehen. In seinen<br />

gewölbten Parterreräumen bietet das Kreuzherrn-Cafe<br />

zum Ausklang Kässpätzle oder Apfelstrudel und Chai Latte.<br />

Schönes Ausflugsziel: die Wieskirche in Steingaden (u.).<br />

Links: In der Abtei Ottobeuren hängt die Allegorie auf<br />

den Lohn der Tugend und die Strafe des Lasters, um<br />

1560-70, darunter Rudi Trögers Blumen, 1964, zu sehen<br />

vom 5. Juli bis 19. November im Kunsthaus Kaufbeuren<br />

Bilder: Sibylle Forster/Bayerische Staatsgemäldesammlungen - Staatsgalerie in der Benediktinerabtei Ottobeuren;<br />

Mario Drechsler/Courtesy Galerie Jahn und Jahn, München; Eurasia Press/Photononstop/mauritius images<br />

Mahler-Fieber<br />

Begeisterung teilen gehört definitiv<br />

zu meinen Lieblingsbeschäftigungen.<br />

Umso mehr wenn ich Werke vorstellen<br />

darf, die live eine absolut unwiderstehliche<br />

Wirkung erzielen können – erst<br />

recht, wenn man sie zum ersten Mal<br />

hört, vielleicht sogar an einem besonderen Ort. Unvergessen für<br />

mich persönlich bleibt mein Initial-Erlebnis in Sachen Gustav Mahler:<br />

die grandiose 2. Sinfonie ("Auferstehung") im Hamburger Michel,<br />

jener Kirche, in der der Komponist einst die Eingebung für den<br />

berühmten Schlusschor erhalten hatte. Ich war damals zutiefst bewegt<br />

und entwickelte im Anschluß ein regelrechtes Mahler-(Reise-)<br />

Fieber, das bis heute anhält.<br />

Ralf Tiedemann ist Musikwissenschaftler,<br />

Klang-Coach, Stimmen-Kenner und<br />

Weltreisender in Sachen Oper und klassische<br />

Musik. Seit 2022 begleitet er exklusiv<br />

ausgewählte <strong>ZEIT</strong> Musikreisen.<br />

Als ich Jahre später meine erste Kulturreise<br />

als Musik-Experte begleiten durfte,<br />

stand ein nicht minder spektaku -<br />

lä res Mahler-Werk auf dem Programm:<br />

die 3. Sinfonie, nun in der Elbphilharmonie.<br />

Was war das für ein irres Gefühl,<br />

unsere Gäste beim gemeinsamen Konzertbesuch ähnlich überwältigt<br />

zu sehen! Die Stimmung danach: unvergesslich. Und so wird es<br />

vermutlich wieder sein, wenn ich mit meiner <strong>ZEIT</strong> Reisen-Gruppe<br />

im Juni in Hamburg erneut die Dritte von Mahler erleben darf und<br />

dann im August seine Auferstehungssinfonie beim 67. Gstaad<br />

Menuhin-Festival in der malerischen Kulisse der Schweizer Berge.<br />

Wie gesagt: Lieblingsbeschäftigung...<br />

TEXT Ralf Tiedemann ILLUSTRATION Cora Meyer<br />

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