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Österreichische Post AG; PZ 18Z041372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1070 Wien
www.dasbiber.at
MIT SCHARF
NEWCOMER
SCHOOL
EDITION
WINTER 2021/22
+
KAHR IN ZAHLEN
+
PRADA UND GUCCI
+
ELTERN GEGEN
IMPFUNG
+
AFRO-
ÖSTERREICHER:INNEN
ÜBER IHRE FRISUREN
UNSERE HAARE
UNSER ERBE
KRISE AN DER POLNISCH-BELARUSSISCHEN GRENZE: WIR WAREN 4 TAGE DORT
Nicht
OK!
Mach
dich stark
gegen Gewalt an
Mädchen und Frauen!
3
minuten
mit
Esra Özmen
Esra Özmen hört sexistische
Rap-Songs, lässt sich aber von
ihnen nicht beeinflussen. Die
Ottakringerin, die zusammen
mit ihrem Bruder Enes das Rap-
Duo „EsRAP“ bildet, erzählt
im biber-Interview von ihrer
Heilung durch Kunst und wieso
selbst die Moscheegänger unter
ihren Freunden sie feiern.
Interview: Nada El-Azar,
Foto: Zoe Opratko
Wer ist sie?
Name: Esra Özmen
Alter: 31
Fun Fact: Wollte mit acht
Jahren nur Stöckelschuhe
und Minirock tragen.
Nein zu Gewalt!
Gewalt an Mädchen und Frauen hat viele
Gesichter – und bleibt zu oft unentdeckt.
Die neue Broschüre des Österreichischen
Integrationsfonds soll Mädchen in
ihrer Selbstbestimmung stärken und
sie ermutigen, sich Hilfe zu holen.
Denn Gewalt ist NICHT OK!
www.zusammen-oesterreich.at/nichtok
BIBER: In der Deutschrap-Szene ist
der durch Model Nika Irani ins Leben
gerufene Hashtag #DeutschrapMeToo
ein großes Thema. Wie sexistisch ist
das Business in deinen Augen?
ESRA ÖZMEN: Es wäre verleugnend
zu sagen, dass die Deutschrap-Szene
nicht sexistisch ist. Die Frage ist, wie
man mit diesem Sexismus umgeht. Ich
denke, dass der Fokus ein wenig verloren
gegangen ist. Rap war früher eine
Community, in der man das System
kritisiert hat. Heute ist alles viel persönlicher
geworden, Männer messen
sich gegenseitig und machen aus dem
Ganzen ein Macho-Ding. Trotzdem höre
ich sie alle: Samra, Capital Bra, Haftbefehl
und so weiter. Aber ich lasse mich
nicht von dem Sexismus beeindrucken
oder beeinflussen, weil ich darüber
Bescheid weiß. Sobald Jugendliche
über Feminismus aufgeklärt werden,
kann Deutschrap ruhig sexistisch sein,
und es wird an ihnen abprallen. Zu vorsichtig
und politisch korrekt sollte man
dabei nicht sein. Das ist einfach uncool
für die Kids und Coolness ist ihnen sehr
wichtig.
Die erfolgreichsten Rapperinnen Cardi
B, oder Shirin David treten alle hypersexy
auf. Spürst du einen Druck, als Frau
im Rap so auftreten zu müssen?
Ich frage mich auch, was dabei der
Hintergedanke ist. Wenn das der Weg
ist, ins Business einzusteigen, dann ist
das natürlich okay. Andererseits kann
es auch daran liegen, dass man als
Frau ohnehin schon ständig sexualisiert
wird, und Rapperinnen nutzen das
aus. Für mich persönlich ist es schade,
wenn man sich in einer eh schon männerdominierten
Szene solchen Bildern
bedienen muss.
Du bist in eine türkische Gastarbeiterfamilie
im Gemeindebau hineingeboren
worden. Wie findet deine Familie deine
Karriere in der Kunst?
Es gibt diesen Spruch: Veränderung
braucht Zeit. Aber es kann so schnell
passieren. Ich war die Erste, die in meiner
Familie maturiert hat. Meine Mutter
fragt mich täglich, was ich eigentlich
an der Uni mache, und versteht es aber
immer noch nicht. Aber meine ganze
Familie und sogar die Moscheegänger
unter meinen Freunden feiern mich.
Mein religiöser Opa hat gemeint: „Gut,
dass du studierst! Auch wenn es eben
Kunst ist.“ Ich habe ihn ins Rhiz auf ein
Konzert reingebracht, wo er mit Punker-
Typen rumgehangen hat. Anfangs
dachte ich, dass das ein Problem werden
könnte, aber das war es nicht.
Du verfasst nun sogar deine Dissertation
über Rap. Worum geht es da?
Ich möchte aufzeigen, wo in Wien
Rap eigentlich entsteht. Und welche
Einflüsse Migration und der Umgang
der Stadt mit diesem Thema auf die
KünstlerInnen hat.
Wie kann man Jugendlichen, die aus
ähnlichen Verhältnissen kommen wie
du, Kunst näherbringen?
Bühne geben! Leute wollen gesehen
werden. Mit ihnen in diesem Bereich
müssen aber auch Leute arbeiten,
die diese Jugendlichen verstehen.
Ich wusste ganz lange nicht, was ein
Tschusch ist, dass es politisch ist, dass
ich Ausländerin bin, oder was Feminismus
ist. Die Kunst hat mich aber
geheilt. Wir müssen die Diskussion
indie Parks bringen, wo die Kids sind.
/ 3 MINUTEN / 3
Liebe Leser:innen,
IMPRESSUM
MEDIENINHABER:
Biber Verlagsgesellschaft mbH, Quartier 21, Musuemsplatz 1, E-1.4,
1070 Wien
HERAUSGEBER
Simon Kravagna
KONTAKT: biber Verlagsgesellschaft mbH Quartier 21, Museumsplatz 1, E-1.4, 1070
Wien
Tel: +43/1/ 9577528 redaktion@dasbiber.at marketing@dasbiber.at abo@
dasbiber.at
WEBSITE: www.dasbiber.at
CHEFREDAKTEURIN:
Delna Antia-Tatić (karenziert)
POLNISCH-BELARUSSISCHE
GRENZE: BEHIND THE SCENES
„
Ich sag‘s, wie es ist: biber hat
für Reportagen dieses Kalibers
normalweise keine Kohle und
keine Kapazitäten. Wir haben es
geschafft, weil wir unglaublich viel
Wir waren gerade vier Tage im polnisch-belarussischen Grenzgebiet – als
bislang einziges österreichisches Medium.
Tausende Geflüchtete harren dort seit Wochen im Wald aus – ohne
Nahrung oder Dach über dem Kopf. Sie essen Blätter von den Bäumen
und trinken verseuchtes Wasser. Medizinischem Personal, NGOs und
auch Journalistinnen bleibt der Zutritt in die Sperrzone verwehrt. Wir
waren trotzdem nah dran. Über Grenzsoldaten, die an ihre psychischen
Grenzen gehen, FlüchtlingshelferInnen, die von der polnischen Regierung
wie Kriminelle behandelt werden, und den Oberarzt Arsalan Azzadin
im Spital von Bielsk Podlaski, der an seine geflüchteten Landsleute
appelliert: „Kommt nicht über diese Route nach Europa. Ich will nicht noch
mehr von euch sterben sehen.“ S 14.
Zurück nach Österreich, in die steirische Hauptstadt, um genau zu sein.
Die neue Grazer Bürgermeisterin und überzeugte Kommunistin Elke
Kahr hat uns ein Interview in Zahlen gegeben. Wie oft Kahr das Marxsche
„Kapital“ gelesen, wie viele Sprechstunden sie in den letzten 5 Jahren
gegeben hat und wie viel ihr teuerstes Kleidungsstück, rotlackierte High-
Heels, gekostet haben, könnt ihr ab S. 22 nachlesen.
Nicht so sparsam wie die Kommunistin Kahr sind die Jugendlichen, die
wir im Wiener Donauzentrum fotografiert haben. Sie gehen noch zur
Schule, tragen aber teure Marken-Klamotten. Protzige Marken-Logos
galten lange Zeit als peinlich, scheinen aber mittlerweile wieder voll
im Trend zu liegen. Die Styler-Strecke über Gucci, Louis und Prada am
Schulhof gibt‘s ab S. 40.
STV. CHEFREDAKTEURE:
Amar Rajković und Aleksandra Tulej
CHEFREPORTERIN:
Aleksandra Tulej
KOLUMNIST/IN:
Ivana Cucujkić-Panić, Jad Turjman
LEKTORAT: Florian Haderer
REDAKTION & FOTOGRAFIE:
Adam Bezeczky, Nada El-Azar, Zoe Opratko, Maryam Al-Mufti,
Seyda Gün, Soza Al-Mohammad
VERLAGSLEITUNG:
Aida Durić
FOTOCHEFIN:
Zoe Opratko
ART DIRECTOR:
Dieter Auracher
REDAKTIONSHUND:
Casper
BUSINESS DEVELOPMENT:
Andreas Wiesmüller
GESCHÄFTSFÜHRUNG:
Wilfried Wiesinger
ÖAK GEPRÜFT LAUT BERICHT ÜBER DIE JAHRESPRÜFUNG IM 1. HJ 2021:
Druckauflage: 78.667
verbreitete Auflage: 75.500 Stück
Die Offenlegung gemäß §25 MedG ist unter www.dasbiber.at/impressum abrufbar
DRUCK: Druckerei Berger
Erklärung zu gendergerechter Sprache:
In welcher Form bei den Texten gegendert wird, entscheiden die jeweiligen Autoren
und Autorinnen selbst: Somit bleibt die Authentizität der Texte erhalten - wie immer
„mit scharf“.
Unterstützung von allen Seiten
hatten. Von last-minute Equipment
borgen, über Eltern, die acht
Stunden mit dem Auto fahren, um
uns aus dem Wald zu holen, bis hin
zu unseren wunderbaren RedaktionskollegInnen,
die 24/7 auf
Abruf waren und uns psychisch
den Rücken gestärkt haben:
Danke euch allen – Genau das ist
Teamwork mit scharf.“ S. 14
Aleksandra “ Tulej,
stv. Chefredakteurin
Dass nicht jeder Style jedem gebührt, wissen wir nicht seit gestern. Dass
weiße Menschen sich schwarze Hairstyles aneignen, ist ein No-Go. So
stecken hinter diesen Frisuren Geschichte, Leid, Erbe und Stolz. Die große
Black-Hair-Fotostrecke ab S. 30
Normalerweise tingeln wir durch die Schulen und halten unsere Medien-
Workshops ab. Aus bekannten Gründen geht das momentan nicht. Dank
unserer Lehrer-KollegInnen und ihren Schützlingen bekommt ihr in dieser
Ausgabe trotzdem einen Einblick in die schulischen Lebenswelten. Über
mühsames School Learning, Asperger Syndrom und Eltern, die sich nicht
impfen lassen wollen. S. 28, 48 und 56.
Wir lesen nächstes Jahr wieder voneinander,
Bussis,
die Redaktion
© Zoe Opratko
Beratung
Unterstützung
Information
Vertraulich und kostenlos in der Gleichbehandlungsanwaltschaft
• Wieso verdient mein Stell vertreter, den
ich eingeschult habe, jetzt mehr als
ich – obwohl ich Projektleiterin bin?
• Mein Vorgesetzter wünscht sich ein
junges, dynamisches Team – kann
er mich mit 50 wirklich so einfach
abservieren?
• Ich heiße „Öztürk“ – und deshalb vermieten
Sie mir Ihre Wohnung nicht?
• Ich bin in einen anderen Buben
verliebt, meine Mitschüler:innen
beschimpfen mich deshalb.
Was kann ich tun?
• Was hat mein Kopftuch mit meiner
beruflichen Qualifikation zu tun?
• Die Hände meines Chefs haben auf
meinen Hüften nichts verloren!
Sie fühlen sich diskriminiert?
Sie wollen das nicht hinnehmen?
Rufen Sie uns an oder
schicken Sie ein E-Mail!
0800 206 119
gaw@bka.gv.at
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ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG
4 / MIT SCHARF /
gleichbehandlungsanwaltschaft.gv.at
3 3 MINUTEN
mit Esra Özmen
8 IVANAS WELT
Was die schlechte Kommunikation der Regierung
mit einer zu dünnen Haube zu tun hat.
10 WAS UNS BEWEGT
Über verbotene Dickpics, die neuesten
Jugendwörter und News aus der Society-Welt.
POLITIKA
14 EUROPAS GRENZE DER
MENSCHLICHKEIT
Unser polnisch-syrisches Reporterinnenteam
war vier Tage an der Grenze zwischen Polen und
Belarus.
22 „FRAU KAHR, WIE OFT SIE
DAS KAPITAL GELESEN?“
Biber fragt in Worten, die neue Grazer
KP-Bürgermeisterin Elke Kahr antwortet in Zahlen.
24 DANKE, WIEN
Warum sich Wiens Krisenmanagent Applaus
verdient hat, kommentiert Amar Rajković.
26 WARUM ALLE MÄNNER
SEXISTEN SIND
Praktikantin Maryam Al-Mufti stellt in ihrem
Kommentar eine gewagte These auf.
RAMBAZAMBA
28 HEIMLICHE IMPFUNG
Die Schülerin Oana* (14) hat sich impfen lassen,
obwohl ihre Eltern dagegen sind.
30 UNSERE HAARE, UNSER ERBE
Von Buzzcut bis Braids: Afro-Hairstyles und was
sie ihren Trägern bedeuten.
39 WOHER KOMMST DU
WIRKLICH?
Aleksandra Tulej nahm die Frage ernst und
machte einen DNA-Test.
40 LOUIS UND PRADA IM DZ
Lokale Fashionistas zeigen ihre freshesten Fits
und verraten ihr Style-Geheimnis.
22
INTERVIEW IN ZAHLEN
Die Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr hat
3 Bücher über Tito gelesen.
14
ZWISCHEN POLEN UND BELARUS
Aleksandra Tulej und Soza Al-Mohammad
waren vor Ort und berichten über die Situation
gestrandeter Flüchtlinge und ein zwiegespaltenes
Polen
30
VON TWISTS
BIS LOCS
Afropäer präsentieren
ihre Hairstyles und
die Geschichte(n)
dahinter.
IN HALT WINTER
2021/22
40
MARKEN-
STYLER
Warum tragen wir
Gucci, Prada und
Nike? Wer sind die
Fashionvorbilder
und wer inspiriert
Styler und Modefreaks?
Lokalaugenschein
im
Donauzentrum.
© Marija Kanižaj, Ina Aydogan, Karol Grygoruk / RATS Agency, Zoe Opratko, Cover: © Ina Aydogan
KARRIERE
44 POLYGLOTT OHNE PARA
Kolumnistin Šemsa Salioski zeigt unter anderem,
wie man günstig zum Sprachentalent wird.
46 BIBER BILDET AUS
Drei biber-Akademie-Absolventinnen über
ihre Karrieren beim Kurier, Forbes und
Bildungsministerium.
48 SCHÜLERBLOGS:
Trotz Home-Schooling sind Lisa und Tala guter
Dinge, die passende Lehrstelle zu finden. Vera
lebt seit einem halben Jahr in Wien und geht in
die Deutsch-Förderklasse.
50 DÜRFEN JUNGS ROSA
TRAGEN?
Wir haben im Rahmen unseres
Gewaltpräventionsprojekts „Ich bin kein Opfer
und auch kein Täter“ mit 14-jährigen Mädels
und Jungs über Geschlechterrollen und sexuelle
Belästigung gesprochen.
56 SCHÜLERBLOGS
Nadin möchte keine Energy-Drinks trinken
müssen und Emily erzählt uns über das Asperger-
Syndrom.
58 DANKE AN ALLE NEWCOMER-
UNTERSTÜTZERINNEN
Ohne euch würde es dieses tolle Heft nicht
geben!
TECHNIK
60 FOLGE DEM WEISSEN
KANINCHEN
Facebook heißt jetzt Meta und plant Großes,
kommentiert Adam Bezeczky.
KULTUR
62 FRISCHER WIND AUS KOREA
Aktuelle Kulturtipps, präsentiert von Nada El-Azar.
64 KUPPLERIN DER NATION
„Liebesg’schichten und Heiratssachen“-
Moderatorin Nina Horowitz warum sich kaum
Migranten bei ihrer Show bewerben.
66 „I’M A BLACK MAN IN A
WHITE WORLD.“
Jad Turjman beginnt ein Studium der
Psychotherapie und verrät, was ihm am Herzen
liegt.
6 / MIT SCHARF /
/ MIT SCHARF / 7
In Ivanas WELT berichtet die biber-Redakteurin
Ivana Cucujkić über ihr daily life.
IVANAS WELT
Foto: Igor Minić
Wer hilft mir
rund um meine
Ausbildung?
2-GEH.
GEH IMPFEN ODER GEH SCHEISSN.
Es ist halt schon oarg, wenn Politiker noch nicht geimpfte Menschen quasi
als unterbelichtete Vollpfosten bezeichnen. Dass sie damit ihr eigenes
Versagen offenlegen, dämmert ihnen nicht. Lol.
Alle Jahre wieder schüttet mir irgendein beschwipster
Vollidiot seinen Glühwein über meine Uggs. Alle Jahre
wieder bereue ich den Besuch auf dem Adventmarkt
und ärgere mich über meinen romantischen Wintertraum
vom Apfelpunsch und Langoschbrösel auf den
Lippen. Dieses Jahr bereue ich nichts. Die 2-G-Regel
(Geimpft oder Genesen) macht einen Weihnachtsmarktbesuch
zum unnatürlich positiven Erlebnis, ohne
Gerangel und Rotweinflecken. Dank Lockdown Numero
vier bleibt mein Advenzauber heuer wohl ein einmaliges
Erlebnis. Und alles wegen dieser saublöden
Corona-Leugner und Bill Gates Impf-Antis!‘ Sag‘ nicht
ich. So kommunikativ tölpelhaft klang die österreichische
Regierungsspitze Wochen und Monate davor.
SPRITZEN FÜRS SCHWITZEN
Man hätte den Leuten durch mehr Aufklärung und einfache
Sprache sicher viele Ängste nehmen und damit
die Impfquote steigern können. Aber egal, machma
2-G, dann heulen sie alle.
Das menschliche Schmerzempfinden ist individuell.
Die einen wollen auf die Theatervorstellung nicht verzichten.
Die anderen werfen ihre epidemiologischen
Überzeugungen über Bord, weil ein Leben ohne Fitness-Center
und Friseur eine Tragödie ist. Und so wird
die Schlange vor dem Impfpoint im BillaPlus täglich
länger.
Wir bewegen uns, wenn es schmerzt. Wenn die Haare
Spliss bekommen und die Wampe wieder ansetzt.
Wenn es uns ins Herz trifft. Und es hat die Menschen
cucujkic@dasbiber.at, Instagram: @ivanaswelt
bisher nicht getroffen. Keine der „Geht’s impfen“-
Kampagnen.
Oder hat sich wirklich jemand aus Solidarität zum erschöpften
Personal auf den Intensivstationen ins Impfzentrum
begeben?
OIDA, SCHON WIEDER SOLIDARISIEREN!
Die Menschen hetzen zwischen Baustelle, Supermarkt
und Wickeltisch. Sie sind müde und viele offensichtlich
verunsichert. Info-Kampagnen brauchen die
Menschen. Das sagt den Praktikanten in der Marketingabteilung
der Bundesregierung aber niemand. Die
meisten wollen bloß ein sicheres Gefühl. Jemand, der
sie an die Hand nimmt und sagt: Deine Monatsblutung
wird nicht 40 Tage dauern nach der Impfung und mit
der Potenz klappt es auch weiterhin wunderbar. Oder
– man stellt sie als Trottel der Nation hin.
Mein Dreijähriger will im Winter keine Haube tragen.
Was für ein unterbelichteter Vollpfosten! Das Argument
des radikalen Haubengegners: Ihm ist nicht kalt.
Er ist nicht krank. Und now the magic happens! Praktikanten,
Leuchtstift raus: Ich gehe auf die Knie und
erkläre meinem Gegenüber respektvoll und auf Augenhöhe,
wenn er sich die Mütze nicht aufsetzt, kann
es sein, dass er in zwei Tagen erkältet ist. Vielleicht
war die Haube auch zu dünn und er muss eine wärmere
aufsetzen. So bleibt er gesund. Und ratet mal:
Das Bommelvliesding bleibt auf dem Kopf.
Und die Moral von der Geschicht‘: Wollt ihr den Stich,
go down on your knees, bitches! ●
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8 / MIT SCHARF /
AS UNS BEWEGT
Von Maryam Al-Mufti und Seyda Gün
X I N G
Die junge Wienerin mit chinesischen
Wurzeln bringt frischen Wind in
die österreichische Musikszene. Im
No vem ber hat sie ihre neue EP „Xing
EP“ gedroppt. Wir waren neugierig und
haben sie uns angehört – und wurden
nicht enttäuscht. Mit ihrer souligen
Stimme singt und rappt sie auf Hip-
Hop-Beats und verbreitet dabei auch
noch eine wichtige Message. In ihren
Texten greift sie Themen wie Rassismus
und Bodyshaming auf, spricht viel
über ihre eigenen Erfahrungen mit verschiedensten
Diskriminierungsformen.
Ihre Songs schreibt sie natürlich alle
selbst. You go, Xing!
10
JUGENDWÖRTER DIE IHR
„SAFE“ SCHON MAL
GEHÖRT HABT
Xalas
„Xalas Bruder!“ Xalas (ausgesprochen khalas) würde auf
Deutsch übersetzt „aus, jetzt!“ bedeuten (aus dem Arabischen)
10/10
„Dein Outfit ist heute 10/10.“ Wenn du heute auf jeden on
fleek aussiehst. Sheeeesh
Baba
„Deine Frisur sieht Baba aus!“ Baba bedeutet in diesem
Zusammenhang „gut/mega“
Same
„Ja same, so geht es mir auch.“ Same verwendet man, um
Empathie mit der gegenüberstehenden Person auszudrücken
Hmdl
„Hmdl Mathe Schularbeit gut überstanden.“ Hmdl ist die
Abkürzung für den arabischen Ausdruck „Hamdulillah“ oder
„Alhamdulillah“. Auf Deutsch übersetzt: „Gott sei Dank!“
Geringverdiener
„Zur Seite mit euch Geringverdiener.“ Scherzhafte Bezeichnung
für „Verlierer“
Cringe
„Wie cringe ist das bitte?“ Cringe steht für peinlich oder
fremdschämen. Oder unangenehm.
G
„Du siehst heute gut aus G.“ G (ausgesprochen dschii) steht
für „Gangster“, ersetzt mittlerweile das Wort „bro“ oder
„Brudi“
Auge machen
„Mach doch kein Auge und gönn doch mal.“ Auge machen
heißt jemandem etwas Schlechtes wünschen, eifersüchtig
oder neidisch sein.
Sus
„Okay? sus.“ Sus ist die Abkürzung für das englische Wort
„suspect“ und bedeutet verdächtig. Z.B.: Wenn die strenge
Lehrerin plötzlich auf super nett macht.
© Hanna Fasching
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Plattform 9¾ - der Hogwarts-Express steht für die
Rückkehr nach Hogwarts bereit. Der Traum aller
Harry-Potter-Fans geht in Erfüllung! Angesichts des
20-jährigen Jubiläums von Harry Potter gibt es ein
TV-Special mit den Stars der erfolgreichen Filmreihe.
Neben Einblicken in die ehemaligen Dreharbeiten
gibt es jede Menge an Talkrunden mit dem
Supertrio Harry Potter (Daniel Radcliffe), Hermine
(Emma Watson), Ron Weasley (Rupert Grint) und
weiteren Stars zum Ansehen. Der Countdown läuft,
die Vorfreude ist groß. Nicht nur die Fans freuen
sich auf das Harry Potter-Treffen, sondern auch
die Stars. „Return to Hogwarts“ wird als Neujahrsgeschenk
am 1. Jänner beim US-Streamingdienst
HBO Max ausgestrahlt.
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K© privat, Ot,Ibrahim / Action Press / picturedesk.com, pexels.com/Alex Green
DICKPICS
ToDo 2021
LONG-COVID
Irina Angerer erkrankt im Jahr 2019 an
einem Atemwegsinfekt, seitdem ist nichts
mehr, wie es vorher war. Seit der Infektion
leidet sie an CFS, dem chronischen
Erschöpfungssyndrom. Dauernde Erschöpfung
und Schmerzen sind nur einige der
Symptome von CFS. Alltägliche Tätigkeiten
werden zur körperlichen Belastung. 70%
der Erkrankten sind nicht mehr in der Lage
einem Job nachzugehen, 25% der Erkrankten
können ihr Bett kaum noch verlassen.
Ausgelöst wird die Krankheit durch
Virus- und Bakterieninfektionen, auch das
Coronavirus kann ein Trigger sein. Aufgrund
der Pandemie sind mehr und mehr Menschen
vom Erschöpfungssyndrom betroffen
– Stichwort Long-Covid. Denn: CFS ist eine
der Krankheiten, die unter den Sammelbegriff
Long-Covid fallen kann. Irina nutzt
ihre Plattform auf Instagram, um Menschen
über diese Erkrankung aufzuklären, denn
leider ist sie medizinisch bisher nur wenig
erforscht. Das erschwert es Betroffenen wie
Irina, die Hilfe zu bekommen, die sie benötigen.
Studien zur Covid-Impfung lassen
allerdings etwas aufatmen: wer geimpft ist,
der bleibt auch eher vor Long-Covid und
damit auch vor CFS verschont.
Mehr Infos findet ihr auf Instagram:
@irina.angerer
SOLIDARITÄT
MIT ENISSA AMANI
Frauen in der Comedy-Branche
sind eine Seltenheit, migrantische
Comedians umso mehr. Die
iranischstämmige Enissa Amani
wurde von dem bayrischen AFD-
Landtagsabgeordneten Andreas
Winhart angezeigt, nachdem sie
ihn „Bastard“ und „Idiot“ genannt
hatte. Hintergrund: Amani reagierte
auf eine Rede des Politikers,
bei der er „Alle N**** sind
krank“ ins Publikum rief. Sie wurde
daraufhin zu einer Geldstrafe
von 1800€ verurteilt. Da Amani
sich weigert, die aufgebrummte
Strafe zu bezahlen, drohen ihr
40 Tage Gefängnis. Wie krank ist
das? Du darfst nicht „Bastard“,
dafür aber den oben genannten
Satz sagen? Amani verweigert
diese Strafe und startet eine
Protestaktion. Sie möchte ein
politisches Statement setzen
und gegen diese Ungerechtigkeit
protestieren. Rassistische
Äußerungen jeglicher Art müssen
verfolgt werden.
Stay strong, Enissa!
In Deutschland mittlerweile verboten
– in Österreich kämpfen
Betroffene noch immer um ein
solches Verbot: die Rede ist
von Dickpics, also ungefragt
versendeten Penisbildern. Auf
den Sozialen Medien werden
Frauen und junge Mädchen
immer häufiger mit dieser Art
der sexuellen Belästigung konfrontiert,
sich rechtlich zu wehren
ist allerdings nicht leicht,
vor allem hierzulande nicht.
Dabei wäre es ein erster Schritt
und ein wichtiges Zeichen
gegen sexualisierte Gewalt,
wenn es auch aus staatlicher
Seite eine klare Positionierung
zum Thema Dickpics gäbe.
Momentan werden Betroffene
mit dieser Art der Übergriffigkeit
vom Gesetzgeber einfach
hängen gelassen. Daran, wie
in Österreich mit sexueller
Belästigung umgegangen wird,
muss sich noch einiges ändern.
Wir schauen da in Richtung
Justizministerium.
C
M
Y
CM
MY
CY
CMY
EU-Klimagesetz
Steuertransparenz
Corona-Wiederaufbaufonds
ToDo 2022
Faire Lieferketten
EU-Mindestlöhne
Regulierung großer
Internetkonzerne
Und Eure Vorsätze für 2022?
Wir arbeiten weiter an einem
sozialen, ökologischen und
demokratischen Europa!
12 / MIT SCHARF /
europa.spoe.at
Sie essen Blätter von den Bäumen, trinken verseuchtes
Wasser und frieren im Wald. Seit Wochen versuchen
Menschen aus Syrien und dem Irak, von Belarus nach Polen
in die EU zu kommen. Die wenigsten schaffen es. Biber war
vor Ort. Um die Sperrzone an der Grenze journalistisch zu
durchbrechen, haben wir Soldaten via Tinder kontaktiert und
Untergrund-AktivistInnen in den Wald begleitet.
Von Aleksandra Tulej und Soza Al-Mohammad, Mitarbeit: Julia Golachowska
ZWISCHEN POLEN UND BELARUS:
WIR WAREN
AN EUROPAS
GRENZE DER
MENSCHLICHKEIT
© Karol Grygoruk / RATS Agency
Für unsere Frauen, Frauen wie
dich, werde ich in den Krieg
ziehen gegen dieses Gesindel!“,
schreibt Łukasz* uns
auf Tinder. Łukasz glaubt, er schreibt
einer Kindergärtnerin aus Warschau, die
wissen will, wie es den Soldaten an der
polnisch-belarussischen Grenze geht.
Łukasz ist einer von über 25 Soldaten,
die wir an jenem Abend kontaktieren.
Was sie alle nicht wissen: Hinter diesem
Tinder-Profil verstecken sich Journalistinnen,
die nur wenige Kilometer von
ihrem Einsatzort in einer Herberge sitzen
– und auf offiziellem Weg keine Informationen
vom Grenzschutz bekommen.
„ORGANISIERTER
ANSTURM AUS MINSK UND
MOSKAU“
Auf offiziellem Wege an Informationen zu
gelangen, ist hier an der polnisch-belarussischen
Grenze gerade fast unmöglich.
Seit Wochen harren an der Grenze
im Wald mehrere tausend geflüchtete
Menschen aus. Sie kommen aus dem
Irak, Syrien oder Afghanistan. Sie hoffen
in Europa auf ein faires Asylverfahren.
„In nur vier Stunden kommt ihr von
Minsk nach Deutschland“, wurde ihnen
von Schleppern versprochen – angeblich
angestiftet durch den belarussischen
Machthaber Alexandr Lukaschenko.
(Mehr dazu: s. Infobox S. 20.)
Die polnische Regierung hat an der
Grenze eine Sperrzone eingerichtet
und den Ausnahmezustand verhängt.
Insgesamt liegen 183 Ortschaften in
dem Gebiet. Im Grenzgebiet sind 15.000
Soldaten stationiert. Um einer „Invasion
aus dem Osten“ vorzubeugen, um
„die EU-Grenzen vor einem organisierten
Ansturm aus Minsk und Moskau zu
schützen“, so Polens Ministerpräsident
Mateusz Morawiecki.
Offizielle Bilder direkt von der Grenze
kommen vom polnischen Staatsfernsehen,
das von der rechtsnationalen
Regierungspartei PiS (Prawo i
Sprawiedliwość- dt.: Partei für Recht und
Gerechtigkeit) kontrolliert wird. Diese
Bilder zeigen, was die Regierung zeigen
will. Es gibt ein klares Narrativ: Der Islam
will Polen erobern, aggressive Flüchtlinge
wollen Europa stürmen. Polen und Belarus
liefern sich einen Propagandakrieg
auf Kosten von Menschenleben: Während
wir im Grenzgebiet sind, hören wir
immer wieder, dass erneut jemand erfroren
oder verhungert ist. In die Sperrzone
auf der polnischen Seite kommen keine
Hilfsorganisationen, keine medizinische
Hilfe und keine JournalistInnen rein.
So etwas haben wir in der EU bis jetzt
noch nicht erlebt. Für die Missachtung
der Sperrzone drohen Geldstrafen und
bis zu drei Monate Freiheitsentzug. Wir
kommen nicht rein, aber wir kommen
nah ran.
POLIZEICHECKPOINTS
IM WALD
Als wir uns mit dem Auto über dunkle
und steinige Waldwege dem Grenzgebiet
nähern, fahren wir an mehreren Polizei-
Checkpoints vorbei. Wir sitzen zu viert
im Auto: Drei Polinnen mit polnischem
Personalausweis und unsere Kamerafrau,
die einen österreichischen Konventionspass
hat – sie ist in Syrien geboren
und wurde als Flüchtling in Österreich
anerkannt. Dies sorgt bei den Kontrollen
für unangenehme Fragen, während die
Polizisten uns mit den Taschenlampen
ins Gesicht leuchten. Was das für ein
Pass sei, woher sie komme, wohin des
14 / POLITIKA /
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Am Grenzzaun zwischen Polen und Belarus : Fotografiert von der belarussischen
Seite, hier sind Medien erlaubt.
Weges? Jedes Mal, wenn wir das blaue
Licht in der Ferne sehen, stockt uns kurz
der Atem. Dabei haben wir alle gültige
Dokumente und sind in einer Zone, in
der wir gerade noch sein dürfen. Aber
wir merken schnell: Erwünscht sind wir
hier nicht. Es ist dazu noch unglaublich
kalt, um 16 Uhr ist es schon stockdunkel.
Die eisige Kälte lässt uns immer wieder
daran denken, dass 15 Kilometer weiter
Menschen frieren – und immer mehr von
ihnen sterben.
Über die App ‚Signal‘ bekommen wir
von FlüchtlingshelferInnen die Information,
dass gestern Nacht drei junge
Männer im Wald gefunden wurden – auf
der polnischen Seite. AktivistInnen haben
sie in das Krankenhaus in Bielsk Podlaski
gebracht – hier werden diese Menschen
so lang behalten, bis sie wieder aus
eigenen Kräften gehen können. Über
das weitere Schicksal entscheiden die
Behörden.
Polen hält sich nicht immer an die
Gesetze, auch nicht an die Genfer Flüchtlingskonvention.
Medienpräsenz ist hier daher besonders
wichtig – wäre niemand mit Kamera
und Aufnahmegerät vor Ort, könnten
die Grenzbeamten die Asylanträge der
Geflüchteten zerreißen und sie direkt
wieder nach Belarus pushen, wie uns
Flüchtlingshelferin Sylwia Gillis erklärt.
Wir verstecken uns gemeinsam mit
den anderen JournalistInnen hinter dem
Spital und laufen zum Eingang, sobald
die Männer herausgeführt werden.
Hinkend, ausgemagert und einen Zettel
mit der Aufschrift„ I WANT ASYLUM
IN POLAND“ hochhaltend kommt uns
ein junger Mann entgegen. Laut seinen
Angaben wurde sein Vater im Irak
umgebracht, er will nie wieder zurück.
Grenzsoldaten führen den jungen Mann
in einen Militärwagen. Angeblich wird
er vorübergehend in ein Flüchtlingslager
gebracht. Was mit ihm passiert ist,
haben wir bis Redaktionsschluss nicht
erfahren.
EINE SCHEIBE BROT FÜR
40 DOLLAR
„Dieser junge Mann, den sie gerade
gesehen haben, hat seit zehn Tagen
nichts außer Blätter gegessen und versifftes
Wasser getrunken,“ erklärt uns Dr.
Arsalan Azzadin, gebürtiger Kurde und
Oberarzt des Spitals in Bielsk Podlaski.
Dr. Azzadin hat viel zu tun – das hier ist
eigentlich ein COVID-Spital. Es stellt sich
aber heraus, dass er die Familie unserer
Kamerafrau in Kurdistan kennt. Ein Zufall,
mit dem keiner gerechnet hätte - deshalb
bekommen wir ein kurzes Interview.
Der Arzt hat vor Kurzem einen Mann
behandelt, dem belarussische Soldaten
für 40 Dollar eine Scheibe Brot verkauft
hatten. So verzweifelt sei die Lage der
Diese SMS haben unsere Reporterinnen
- wahrscheinlich wegen ihren
österreichischen Telefonnummern
- auf ihre Handys bekommen, als sie
ins Grenzgebiet hineingefahren sind.
Die Nachricht richtet sich an die
Geflüchteten an der Grenze.
Menschen dort im Wald. Er hat bis jetzt
über 50 Geflüchtete behandelt und
alle seien sie in einem katastrophalen
Zustand, wie er berichtet: Stark unterkühlt,
mit Lungenentzündung, einige von
ihnen seien geschlagen worden – durch
Soldaten, wie sie ihm erzählten. „Wir
haben hier auch eine hochschwangere
Frau. Ich hoffe, dass wir sie so lange wie
möglich hierbehalten können. Sie und
ihr Baby sind in Lebensgefahr.“ (Anm.:
drei Tage später erfahren wir, dass das
Baby eine Totgeburt war und auf dem
muslimischen tatarischen Friedhof in
Bohoniki begraben wurde.) Dr. Azzadin
warnt eindringlich: „Niemand sollte mehr
versuchen, über diese Route herzukommen.
Ich will nicht noch mehr Menschen
sterben sehen.“
HILFE IM UNTERGRUND
Die Stimmung im Grenzgebiet ist
angespannt. Wir befinden uns immerhin
in Podlasie – der Region Polens,
die den höchsten WählerInnenanteil
der rechtsnationalen polnischen PiS-
Regierungspartei hat. Die Mehrheit der
BewohnerInnen hier will keine Geflüchteten
aufnehmen, sie sind auch dagegen,
die Sperrzone zugänglich zu machen.
Sie haben Angst. Einerseits vor einem
Ansturm an MigrantInnen, andererseits
vor einem Krieg mit Belarus.
Wir müssen vorsichtig sein, mit
© Leonid Shcheglov / Tass / picturedesk.com, Screenshot
© Soza Al-Mohammad
Bei Nacht und Nebel: Chefreporterin Aleksandra Tulej ist gebürtige Polin – das
erleichterte die Kommunikation vor Ort.
wem wir sprechen. Es kann uns zwar
niemand von hier rausschmeißen, aber
wir wissen, dass einiges schieflaufen
könnte. Immer wieder gibt es hier in der
Gegend rechtsnationale Aufmärsche und
Berichte von Gewalt gegen Menschen
mit nicht-weißer Hautfarbe. Polen hat
sehr wenige MigrantInnen. Von den 38,5
Millionen EinwohnerInnen sind nur 0,9
Prozent ausländischer Herkunft. Migration
und Flüchtlinge werden in Polen im
Grundtenor abgelehnt. Dabei geht es in
dieser Causa nicht einmal primär um die
Aufnahme von Geflüchteten – es soll nur
medizinische und humanitäre Hilfeleistung
bei ihnen ankommen dürfen.
Wir erfahren jedoch, dass es entlang
der Sperrzone auch genügend Menschen
gibt, die genau das tun – sie helfen, wie
und wo es geht; heimlich, im Untergrund.
Über Signal und über Mundpropaganda
schaffen wir es, Menschen ausfindig
zu machen, die privat aktiv Hilfe leisten
– und dabei große Risiken eingehen.
Nicht wie sie heißen, nicht einmal in
welchem Dorf sie genau wohnen, dürfen
wir erwähnen. Wir treffen uns mit ihnen
im Auto, im Wald und an abgelegenen
Orten. Auch wie sie mit den Geflüchteten
in Kontakt bleiben, verraten sie uns
nicht. Sie alle agieren im Untergrund,
wie sie immer wieder betonen. Zu groß
ist die Angst, dass jemand ihre Identität
erkennen könnte. Nicht nur Behörden,
sondern auch die Nachbarn dürfen nichts
davon wissen.
ANGST VOR SPITZELN
„Niemand spricht hier öffentlich darüber,
dass er Hilfe leistet. Dazu machen VolontärInnen
doch die Arbeit, die eigentlich
vom Staat oder durch NGOs geleistet
werden sollte“, erzählt uns Alicja * . „Wir
wollen nur humanitäre Hilfe leisten. Und
was passiert: Für viele bin ich hier die
Lukaschenko-Schlampe, weil ich für die
Aufnahme von Geflüchteten bin. Ich bin
sehr vorsichtig, wem ich was erzähle.“
Wir reden mit ihr auf dem Dachboden
ihres Hauses, hier sind wir ungestört.
„Weißt du, mein Mann kommt aus dem
Nahen Osten. Ich habe kleine Kinder, die
dunkle Augen und eine dunklere Hautfarbe
haben. Meine achtjährige Tochter
hat Fotos dieser Kinder im Wald gesehen
und gefragt, ob das irgendwelche Verwandten
von uns sind.“ Sie muss immer
wieder schlucken und beginnt zu weinen.
„Sorry, ich muss jetzt eine rauchen“, sagt
sie. Sie zieht an ihrer E-Zigarette und
erzählt weiter: „Bei Gott, ob Syrien oder
Irak, wo aktive Kriege geführt wurden –
überall gab es humanitäre Hilfe. Das, was
bei uns passiert, geht einfach nicht in
meinen Kopf rein.“
„So einen Zustand, dass man Angst
vor Spitzeln hat, haben wir das letzte
Mal vor 1989, also während des sozialistischen
Regimes in Polen gespürt“,
erklärt uns Paweł * kopfschüttelnd. Er
darf aufgrund seiner Arbeit in die Sperrzone
– er hat eine Bewilligung dafür.
„Ich plaudere mit den Grenzsoldaten
über das Wetter und 50 Meter weiter
im Gebüsch verstecken sich zwei Iraker,
denen ich gerade Kleidung gebracht
habe“, erklärt er nüchtern. „Was wir
hier tun, ist grundlegende Hilfeleistung:
Wir sammeln Kleidung, Nahrung und
Medikamente und bringen sie in die Zone
hinein.“ Unter den HelferInnen vor Ort
hat sich also eine regelrechte Untergrundorganisation
gebildet. Eine wichtige
Dieser junge Iraker wurde im Spital in Bielsk Podlaski behandelt – und dann von den
Grenzbeamten wieder mitgenommen. Wohin, ist nicht bestätigt.
16 / POLITIKA /
/ POLITIKA / 17
Die geflüchteten
Menschen
harren teilweise
wochenlang
versteckt in den
Wäldern aus.
Polnische Polizeibeamte an der Grenze im Wald
© Karol Grygoruk / RATS Agency
Figur spielt unter ihnen Jagoda*.
„SIE NENNEN MICH
LUKASCHENKOS
AGENTIN.“
Jagoda, eine ältere Dame, trifft sich
mit uns zu einem Spaziergang im Wald.
„Gestern hätte ich noch keine Kraft
gehabt, um mit euch zu reden. Jeden
Abend schaue ich aus dem Fenster und
frage mich, wie schlimm die Nacht für
die Menschen dort wird.“ Gleichzeitig
muss sie daran denken, wie sie möglichst
unauffällig helfen kann. „Ich habe
schon gehört, dass ich ‚Lukaschenkos
Agentin‘ genannt werde. Es herrscht so
viel Misstrauen. Hier passiert etwas, das
in einer zivilisierten Welt nicht passieren
dürfte - dass Hilfe illegal ist“, sagt sie
ruhig. Sie erzählt uns, dass die Bandbreite
der Helfenden von StudentInnen
bis hin zu PensionistInnen reicht. „Ich
koordiniere, wer wann was abholen
kommt, was gerade gebraucht wird –
jeder hilft, wie er kann.“ Wir erfahren,
dass die polnische Bevölkerung stark
desinformiert ist – auch wenn viele helfen
wollen. Sie spenden Shampoo oder
Zahnpasta – dabei haben die Menschen
im Wald nicht einmal sauberes Trinkwasser.
Jagoda betont, dass sie, so wie die
anderen Helfenden, in einer Blase lebe.
„Ich muss euch Mädchen schon sagen:
Die Mehrheit der Menschen hier besteht
aus alteingesessenen Katholiken, die
die PiS Partei wählen und die Hilfe für
Flüchtlinge entschieden ablehnen“, legt
Jagoda ernst dar und fährt fort: „Die
Grenzbeamten haben die BewohnerInnen
hier in der Gegend informiert, dass sie
sie anrufen sollen, wenn sie Flüchtlinge
sehen, die es zu uns nach Polen
geschafft haben. Ich kenne persönlich
einige, die angerufen haben. Als sie dann
gesehen haben, wie mit diesen Menschen
umgegangen wird, haben sie die
Seiten gewechselt und begonnen, uns zu
helfen.“
„MIR SIND DIESE
MENSCHEN IM WALD
KOMPLETT EGAL.“
Elżbieta wiederum steht für jene Polen
und Polinnen, die Hilfe strikt ablehnen.
Wir sprechen sie und ihren Mann auf
der Straße an – auf den leer gefegten
Straßen Hajnówkas, einer kleinen
Ortschaft 25 km von der Sperrzone
entfernt. Wir haben Glück – sie will mit
uns sprechen. „Mir tun diese Menschen
im Wald überhaupt nicht leid. Gar nicht.
Die sind mir komplett egal“, betont sie.
„Ich habe selbst sechs Kinder – für mich
interessiert sich niemand“, sagt sie in
einem sehr sachlichen Ton. „Unser Spital
ist voll mit Flüchtlingen. Mein Sohn hat
letztens zwei Stunden auf die Rettung
gewartet, weil die so beschäftigt damit
waren, diese Flüchtlinge zu behandeln.
Und wir, was sollen wir tun? Sollen wir
hier krepieren?“, fragt sie uns. Das sieht
eine andere ältere Frau anders. Auch sie
wohnt in Hajnówka. Sie ist tief gläubig,
wie sie uns erklärt. „Die Bibel ist die
Grundlage unserer Gesellschaft. Und
was steht in der Bibel? ‚Liebe deinen
Nächsten, wie dich selbst.‘ Das sehe ich
hier gerade gar nicht. Ich weiß, wie es
ist, Hunger zu haben. Das soll kein Kind
mehr erleben – egal ob meine Enkel, die
Kinder meiner Nachbarn und schon gar
nicht die Kinder im Wald. “ sagt sie mit
Tränen in den Augen. Die Einstellung der
Menschen im Grenzgebiet ist gespalten
– repräsentativ für das ganze Land.
Viele trauen sich auch nicht zuzuge-
© Karol Grygoruk / RATS Agency
ben, auf welcher Seite sie stehen. Das
merken wir bei der Gastwirtin, bei der
wir wohnen. Sie redet zuerst nur über
das Wetter und die schönen Radwege
mit uns. Nachdem wir ihr vorsichtig klar
machen, warum wir hier sind, erklärt sie
uns, dass auch sie jemanden kennt, der
„in den Wald fährt“. So wird die Hilfeleistung
im örtlichen Jargon beschrieben.
Wir konnten ihr Kleidung für Flüchtlinge
geben, die ihr Kontaktmann dann in die
Sperrzone schmuggeln würde. Auch ein
Taxifahrer unterhält sich mit uns zuerst
über die Bisons, die in der Gegend hier
frei herumlaufen – unsere Kamera ist
aber schwer zu verstecken. Er erzählt,
dass er schon oft von Schleppern mit
der Frage kontaktiert worden wäre, ob er
nicht für ein paar tausend Euro Flüchtlinge
aus dem Grenzgebiet fahren wolle.
Er habe aber abgelehnt – er möchte
nichts Illegales machen. „Habt ihr gehört,
dass gestern von einem Krankenwagen
(Anm.: der NGO Medycy Na Granicy),
der im Wald stand, die Reifen zerstochen
worden sind? So eine Sauerei! Man muss
sich ja nicht selber in Gefahr begeben
– aber die noch daran zu hindern? Wo
gibt’s denn sowas?“, fragt er uns. Als
wir mit ihm an einer Polizeikontrolle
vorbeifahren, sagt er nur: „Keine Sorge.
Ich kenne diese Polizisten hier in der
Gegend gut. Nicht jeder von ihnen ist so,
wie es auf den ersten Blick scheint.“ Die
Polizisten winken uns durch.
„ICH WACHE NACHTS AUF
UND SCHREIE.“
Wir wollen selbst erfahren, was „nicht
so, wie es auf den ersten Blick scheint“
heißt. Offiziell werden wir nichts
rausfinden, das ist uns klar. Deshalb
beschließen wir, uns in eine versiffte
Polizeikneipe im Ort zu setzen – den
Tipp bekommen wir von einem älteren
Aktivisten hier. Wir bestellen uns ein
kleines Bier und führen seichten Smalltalk.
Es riecht nach Alkohol. Außer uns
sind hier nur betrunkene Männer – vor
der Tür stehen rund zwanzig Polizei-
Autos. Als wir sie nach einem Feuerzeug
fragen, bekommen wir ein paar miese
Flirt-Sprüche zu hören – bis einer plötzlich
beginnt, sich bei seinem Kollegen
aufzuregen. „Kurwa!(poln. Kraftausdruck)
Dieser verfickte dreckige Flüchtling von
vorgestern, der hatte ein iPhone, hast ja
gesehen. Und wer gibt mir ein iPhone?
Wer?“ Dass die Stimmung zwischen
den Beamten genauso gespalten ist wie
in ganz Polen, merken wir, als wir über
Tinder mit einem 19-jährigen Soldaten
in der Sperrzone ins Gespräch kommen.
Bartek* glaubt genau wie Łukasz, dass
er mit einer Warschauer Kindergärtnerin
schreibt. „Weißt du, ich wache nachts
auf und schreie. Ich werde jetzt in
Krankenstand gehen. Ich bin nicht für so
etwas Soldat geworden.“
*Die Namen wurden zum Schutz der Personen
von der Redaktion geändert
18 / POLITIKA /
HARD FACTS
Der Grenzzaun zwischen
Polen und Belarus
WORUM GEHT ES IN DEM
KONFLIKT DER EU GEGEN
BELARUS?
Der belarussische Machthaber Alexandr
Lukaschenko soll Flüchtlinge mit Charterflügen
nach Minsk gelockt haben
– mit einem Touristenvisum. Die EU
wirft Lukaschenko vor, die Menschen
gezielt ins Land zu holen und an die
EU-Außengrenze zu schleusen, um den
Migrationsdruck auf Europa zu erhöhen
und sich auf diese Art für die Sanktionen
gegen sein autoritäres Regime
zu rächen. Polen lässt diese Menschen
nicht rein – es kommt zu häufigen
Pushbacks – das heißt, die Menschen
werden ohne eine Chance auf ein Asylverfahren
wieder auf die belarussische
Seite im Wald gebracht.
Die EU bietet Polen an, bei der Registrierung
von Geflüchteten zu helfen
– das müsste das Land aber selbst
ansuchen.
WARUM FLIEHEN DIESE
MENSCHEN?
Die wirtschaftliche und politische Situation
in Syrien, Irak und Afghanistan ist
katastrophal. Viele Menschen werden
in ihrer Heimat verfolgt oder erleben
Krieg, Gewalt und Hunger. Sie wollen
in Europa um Asyl ansuchen. Niemand
nimmt diese Reise einfach so auf sich.
Ein polnischer Grenzschutz-Soldat
WARUM ÜBER DIESE ROUTE?
Private Reisebüros in der Türkei, dem
Libanon und dem Irak, sowie private
und staatliche Reiseunternehmen aus
Belarus bewerben die Reise als touristisches
Angebot auf ihren Webseiten
und Sozialen Netzwerken. Das ist
scheinbar eine Strategie der belarussischen
Regierung, die im Mai angekündigt
hatte, keine MigrantInnen mehr
aufzuhalten, die in die EU einreisen
wollen. Jetzt werden übrigens immer
mehr Menschen wieder zurück in ihre
Heimatländer geflogen.
WIE VIEL KOSTET DER
FLUCHTWEG?
Gesamt kann die Flucht Schätzungen
zufolge zwischen 4000 $ - 6000 $
kosten, einschließlich Visa, Flüge und
Schleuserdienste auf dem Landweg
nach Europa.
WARUM HABEN GEFLÜCHTETE
SMARTPHONES?
Das häufige Argument von Flüchtlingsgegnern:
Wie kann es sein, dass diese
Menschen teure Smartphones besitzen?
Erstens ist ein Smartphone heutzutage
kein Luxusgegenstand mehr, vor
allem auf der Flucht. Es dient als GPS,
zur Kommunikation und allgemein zum
Überleben. Zweitens – im Nahen Osten
und in Afrika werden oft gebrauchte
Geräte (z.B. aus den USA) günstig verkauft.
Drittens: Siehe vorherige Frage.
Wer sich die Flucht leisten kann, kann
sich auch ein Smartphone leisten.
20 / POLITIKA /
WIE IST DAS IN DER
EU MÖGLICH?
Sowohl das EU-Recht als auch die
europäische Menschenrechtskonvention
verbieten Pushbacks. Das
bedeutet, jemanden ohne ein Asylverfahren
wieder zurückzuschicken, bricht
geltendes europäisches Recht. Mitte
Oktober hat das polnische Parlament
einer Gesetzesänderung zugestimmt,
laut der Grenzschutzkommandeure die
Geflüchteten nun sofort des Landes
verweisen dürfen. Wenn jemand um
Asyl bittet, darf er das zwar offiziell
nach wie vor tun. Diese Asylgesuche
werden in der Praxis von den Grenzschützern
oft „überhört“ und so können
die Menschen dennoch abgewiesen
werden. Die EU-Staaten sind selbst für
den Grenzschutz zuständig. Die EU-
Kommission hat nach eigener Aussage
Polen bereits mehrfach ermuntert, Hilfe
anzunehmen. Die EU-Grenzschutzagentur
Frontex, die Asylbehörde
EASO und die Polizeibehörde Europol
stünden bereit, bei der Registrierung
von Geflüchteten, der Bearbeitung von
Asylgesuchen und dem Kampf gegen
Schmuggel zu helfen, Polen müsse diese
Hilfe jedoch wie gesagt anfordern.
Dies ist bisher nicht erfolgt. Man hört
seitens der EU viel über Sanktionen
gegenüber Lukaschenko, in der Causa
Polen wird aber geschwiegen.
© Sergei Bobylev / Tass / picturedesk.com, JANIS LAIZANS / REUTERS / picturedesk.com
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über Tito haben
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Nettogehalt als
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davon netto?
Wie viele
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der Woche
arbeiten Sie?
Wie viele
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haben Sie in
den letzten
5 Jahren
persönlich
beraten?
Wie viele
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die KPÖ in
Graz?
Mit wie
vielen Jahren
wussten Sie,
dass Sie eine
Kommunistin
werden?
Wie oft haben
Sie „Das Kapital“
von Karl Marx
in Ihrem Leben
gelesen?
Wie viele
Bücher über
Tito haben Sie
gelesen?
Interview in Zahlen:
In der Politik wird genug geredet.
Biber fragt in Worten, Grazer
Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ)
antwortet mit einer Zahl.
7.100
4.900
90
20.000
312
17
3
3
Von Amar Rajković, Fotos: Marija Kanižaj
Die überzeugte Kommunistin hat 3 Mal in Ihrem Leben
„Das Kapital“ von Karl Marx gelesen.
Nur dem Vizekanzler Kogler und Gesundheitsminister
Mückstein bescheinigt Kahr Regierungstauglichkeit.
0 Euro monatlich gibt die Grazer Bürgermeisterin für
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Kahr geht davon aus, dass wir noch einen Lockdown
erleben werden.
Wie viele Tito-
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Quadratmeter
dürfte die Miete
einer Gemeindewohnung
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Lockdowns
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1
3,5
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1
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50%
70
100
50
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Tito-Kalender
Vizekanzler Kogler und
Gesundheitsminister
Mückstein
22 / POLITIKA /
/ POLITIKA / 23
MEINUNG
JOBS MIT ZUKUNFT
WARUM WIEN APPLAUS VERDIENT
PCR-Tests, Briefe an Ungeimpfte, strenge Maskenpflicht – Wiens Sonderweg war lange
unbeliebt, katapultierte aber Bürgermeister Ludwig zum politischen Gewinner der Krise.
Was haben wir alle in den letzten Jahren auf die SPÖ eingedroschen?
JournalistInnen, ArbeitskollegInnen, PolitikerInnen.
Alle wussten wir, dass die Sozialdemokratie doch am
Ende sei, die Roten ein riesiges Führungsproblem haben und
überhaupt nicht mehr wüssten, was der kleine Mann sich
wünscht. Vor allem der mittlerweile zurückgetretene Sebastian
Kurz und die türkise Ministerriege stimmten sich auf den
Abgesang ein – es war ein Teil ihrer DNA. Landwirtschaftsministerin
Köstinger bezeichnete in einer Aussendung Anfang
Juli die scharfen Covid-Maßnahmen in Wien als „absurd“,
weil sie nur „Verwirrung stiften“ würden. Kurz inserierte im
Sommer: „Die Pandemie gemeistert, die Krise bekämpft“, Finanzminister
Blümel verkündete am 13. Oktober in der ZIB2,
dass die „Pandemie vorbei ist.“
PARTYPUPSER LUDWIG
Ihr habt richtig gelesen und ihr habt es wahrscheinlich nicht
zum ersten Mal gelesen. Trotzdem fällt mir bei diesen Aussagen
das Gurgelröhrl aus der Hand. Ich freue mich, in Wien
zu leben, in einer Stadt, die von einer rot/pinken Koalition
durch die Krise geführt wird. Vor allem Bürgermeister Michael
Ludwig ist mit klaren Ansagen zum politischen Gewinner
der Krise aufgestiegen. Und das, obwohl er unbeliebte
Maßnahmen getroffen hatte - etwa die Testpflicht für Kids ab
sechs Jahren in Schwimmbädern oder verpflichtendes Tragen
der FFP2-Maske in den Öffis. Was haben wir da alle in
Wien gejammert.
Ludwig sollte Recht behalten: „Das Virus, insbesondere die
Delta-Variante, ist nach wie vor gefährlich. Der letzte Sommer
hat gezeigt, was passieren kann“, verkündete er Ende Juni.
Detrat immer wieder gefasst vor die Kamera. Er mimte dabei
die Spaßpolizei, die den Partygästen ins Gewissen einredete,
beim übermäßigen Alkoholkonsum auch an den Tag danach
zu denken. Er sprach am Höhepunkt der vierten Welle davon,
dass die Bundeshauptstadt „Keine Insel der Seligen“ sei – und
das, obwohl Wien trotz der höchsten Bevölkerungsdichte mit
24 / MIT SCHARF /
Abstand am besten dastand. Ludwigs Zutaten für das Erfolgsrezept:
Gratis PCR-Tests für alle. Unkompliziert, kostenlos,
niederschwellig. Seine besonnene Rhetorik im Klartext: Vorsicht
statt Selbstbeweihräucherung. Sinngemäß: „Lassen wir
uns nicht für vergangene Erfolge feiern, schauen wir doch bitte
auf den Herbst.“ Die Stadt Wien stellte nicht alle Ungeimpften
an den Pranger. Sie schickte ihnen lieber per Post einen
Impftermin – eine Taktik, die in Spanien zu einer Impfquote
von rund 80 % geführt hat – und in Wien zu viel Zuspruch für
Ludwig. Gesundheitsstadtrat Peter Hacker sollte hier nicht unerwähnt
bleiben, der sich aufgrund seiner klaren, nüchternen
Kommunikation als guter Krisenmanager hervortat.
DIE DÄNEN MACHEN ES VOR
Es gibt aber noch genug Aufholbedarf. Die Impfquote ist
noch immer zu niedrig, die Ansprache von MigrantInnen
stelle ich mir in einer Multi-Kulti-Stadt zielgerichteter vor.
Imame, Fußballtrainer, Barbiere oder Rapper muss man ins
Boot holen, um den Großteil der impfunwilligen Bevölkerung
die Ängste zu nehmen. Der Blick nach Dänemark zeigt: Es
funktioniert! Dafür braucht es möglicherweise eine Klinik für
Einwanderungsmedizin, wie die von Morten Sodenman geführte
Einrichtung am Universitätsklinikum in Odense. Die
Wiener Regierung sollte sich keinesfalls auf ihrer guten Performance
ausruhen, sonst droht ihr ein ähnliches Schicksal
wie der „Besser durch die Krise gekommen als andere Länder“
– Bundesregierung.
Als gut integrierter Wiener komme ich selten dazu, mich an
der weltweit einzigartigen Lebensqualität und dem Luxus,
der mich hier umgibt, zu erfreuen. Nach dem Motto „Ich
lasse mir mein Wien sicher nicht schönreden“, sehe ich als
Wiener grundsätzlich alles misstrauisch. Das Pandemiemanagement
der Stadt lässt mich an dieser Haltung zweifeln.
Danke (auch dafür), Wien.
Amar Rajković ist stv. Chefredakteur des biber-Magazins.
Zoe Opratko
„Jeder fängt mal klein an.
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WARUM JEDER
MANN
SEXISTISCH IST
MEINUNG
Warum Sexismus keine Frage von „Gut und Böse“ ist, und wieso sich
jeder einzelne Mann gründlich mit Sexismus auseinandersetzen sollte.
Jeder Mann ist ein Sexist, behaupte ich. Mir ist sehr
bewusst, dass mich diese Aussage samt Artikel
nicht unbedingt in die österreichischen Top Ten der
beliebtesten Menschen katapultieren wird. Ich weiß
auch, dass der Titel gewagt ist und bei den meisten von euch
wohl auf eine Abwehrhaltung stoßen wird. Aber: Ego kurz
beiseite. Lest den Text erstmal, ihr könnt ihn ja danach noch
immer scheiße finden.
JA, AUCH IN ÖSTERREICH
GIBT’S SEXISMUS
Beginnen wir bei den Basics. Wir leben in einer patriarchal
strukturierten Welt, davon ist auch Österreich nicht ausge-
nommen. Das ist ein Fakt und steht auch nicht zur Diskussion.
Erkennbar werden die patriarchalen Strukturen in allen
menschlichen Lebensbereichen. Auch heute ist es zum Beispiel
traditionell so, dass die Frau in einer Ehe ihren Namen
ablegt und den ihres Ehemanns annimmt. Die Kinder, die
aus dieser Ehe entstehen, tragen ebenfalls ganz selbstverständlich
den Namen des Vaters. Und so als ob erwachsene
Frauen auf die Erlaubnis ihrer Väter angewiesen wären, laufen
Männer trotzdem zuerst zum Vater der Frau, um dort um
deren Hand anzuhalten. In diesen Ehen und Beziehungen ist
die Rollenverteilung bis heute noch sehr klar: Frau macht den
Haushalt, Mann verdient das Geld.
Das Patriarchat ist also bis in unsere alltäglichsten Hand-
© Zoe Opratko
lungen verwurzelt und sitzt sehr tief. So tief, dass es in der
breiten Gesellschaft auf selbstverständliche Akzeptanz stößt
und kaum hinterfragt wird.
Gerade weil es so weit verbreitet ist, sind diskriminierende
Handlungen häufig unbeabsichtigt und unbewusst. Das bedeutet,
diskriminierende Aussagen und Handlungen können auch
aus einer eigentlich guten Intention heraus getätigt werden. Ich
bin überzeugt, dass Menschen tatsächlich nichts Böses im Sinn
haben, wenn sie einer migrantisch gelesenen Person sagen,
dass sie gut Deutsch spricht, obwohl sie vielleicht in Österreich
geboren ist. Genauso glaube ich, dass sich Männer oft
gar nicht bewusst sind, wie unpassend ihre „gut gemeinten“
Kommentare über das Aussehen von Frauen sind. Gut gemeint
ist nicht immer gut gemacht.
Und wer es gut meint und ganz unbewusst Schaden
anrichtet, der rechnet nicht mit Kritik und ist wahrscheinlich
auch nicht gut darauf zu sprechen, wenn er sie doch zu hören
bekommt.
GUT UND BÖSE
Nicht zuletzt deshalb müssen wir aufhören, Diskriminierung
moralisch aufzuladen. Wenn ich sage: „Alle Männer sind sexistisch“,
sage ich nicht: „Alle Männer sind böse.“ Aber genau
das kommt bei einem Großteil der Männer an. Wie gesagt, es
geht hier nicht um gut oder schlecht, die Intention einer Person
spielt hier keinerlei Rolle.
Es braucht also dringend Änderungen in der Art, wie wir
gesellschaftlich, medial und politisch mit dem Thema Diskriminierung
umgehen. Denn wir lernen früh: Rassistisch ist jemand,
der böse ist, der Böses tut. Rassisten zum Beispiel waren die
Nazis oder der Ku-Klux-Klan. Ein Sexist ist jemand, der eine
Frau schlägt oder aus dunklen Seitengassen hervorspringt, um
sie zu ermorden oder zu vergewaltigen. Diese Erzählung vergisst
dabei allerdings auf subtilere Ausprägungen, die Diskriminierungsformen
annehmen können. Physische Gewalt, Folter
und Mord sind oft nur die Spitze eines Eisbergs, der tausende
Meter tief ist. Für viele ist er jedoch nicht sichtbar, weil ihn der
tiefschwarze Ozean verdeckt. Feminismus ist in dem Fall die
Tauchausrüstung, die dabei helfen soll, den Rest des Eisbergs
zu erkennen, so verborgen er auch sein mag. Denn nur wer
Diskriminierung als solche erkennt und das System dahinter
wahrnimmt, kann sie bekämpfen und dagegen vorgehen.
Wenn ich also einen Text verfasse und die Männer da draußen
anspreche, möchte ich euch nicht den Vorwurf
machen, ihr wärt schlechte Menschen. Ich
möchte bloß dazu anregen, euch selbst und euer
Verhalten zu hinterfragen. So nervig Feminismus
für euch auch sein mag, das Leben von Frauen,
mein Leben, hängt davon ab, dass ihr euch die
Kritik zu Herzen nehmt.
Statisch gesehen wird jede zweite Frau im
Laufe ihres Lebens Opfer von sexualisierter
Gewalt. Jede zweite Frau kann also zumindest
eine solcher Geschichten erzählen. Die Wahrscheinlichkeiten
stehen gut, liebe Männer, dass
ihr selbst als Hauptrolle in einer dieser Geschichten
vorkommt.
Maryam Al-Mufti ist 22 Jahre alt
und studiert gerade Politikwissenschaften
im Master. Sie
kommt aus dem Irak und ist
nach dem Golfkrieg mit ihrer
Familie nach Wien gekommen.
HINTERFRAGT EUCH SELBST
Bevor ihr euch also angegriffen fühlt, weil ich es wage, euch
als sexistisch zu bezeichnen, stellt euch mal folgende Frage:
Was macht euch so sicher, dass ihr NICHT sexistisch seid?
Seid ihr bereit, diejenigen zu sein, die als einzige nicht über
den sexistischen Witz lachen? Den Witz sogar zu kritisieren
und die „Spaßbremse“ zu sein? Weist ihr eure männlichen
Freunde zurecht, wenn sie sich unpassend verhalten? Habt ihr
rein freundschaftlich mit Frauen zu tun, also ohne etwas von
ihnen zu wollen? Wenn eine Frau erzählt, dass sie von jemandem,
den ihr sehr mögt, belästigt oder vergewaltigt wurde,
seid ihr bereit, ihr euren Glauben zu schenken? Wenn ihr für
euer Verhalten kritisiert werdet, wärt ihr bereit, eure Egos
beiseitezulegen und die Kritik anzunehmen? Versucht ihr euch
eurer Privilegien als Männer bewusst zu werden?
Sexismus ist etwas Erlerntes, etwas, womit wir alle aufgewachsen
sind, weil wir alle in eine patriarchale Gesellschaft
hineingeboren wurden. Erlerntes kann aber auch verlernt
werden. Es ist schwer, aber notwendig. Die Verantwortung,
sich jede Mühe zu machen, sexistische Verhaltensweisen bei
sich selbst zu erkennen, zu reflektieren und zu verlernen, liegt
bei jedem einzelnen Mann. Für euch ist es vielleicht „unangenehm“
oder „nervig“, für Personen, die von sexistischer Gewalt
betroffen sind, ist es jedoch lebensbedrohlich, wenn diese
Auseinandersetzung nicht passiert.
Es muss Männern nämlich allmählich klar werden, dass sie
unglaublich viele Vorteile genießen dürfen, die für alle anderen
nicht selbstverständlich sind. Urinieren am Straßenrand und
bei jedem Event, so als ob die Straße euer privates Klo wäre.
Nachts vom Club angstfrei und sicher zuhause anzukommen.
Oben ohne posieren, ohne gleich den Account von Instagram,
Twitter und Co gesperrt zu bekommen und belästigt zu werden.
All diese Freiheiten müssen wir uns aber noch erkämpfen.
Männer leben sie währenddessen, ohne nachzudenken, einfach
Tag für Tag aus.
Dass jemand eure mangelnde Selbstreflexion kritisiert und
eure Bemühungen hinterfragt, ist deshalb nicht nur gerechtfertigt,
sondern unheimlich wichtig. Eine Abwehrhaltung und
ein verletztes Ego bringen uns in der Debatte nicht weiter. Wir
haben nämlich keine Zeit zu verlieren. Jeden Tag erlebe ich,
wie Frauen unterrepräsentiert werden, wie sie missbraucht
werden, für selbstverständlich genommen werden, wie sie für
die gleiche Arbeit weniger bekommen, wie sie
nicht ernst genommen werden. Es ist untragbar
und ich bin nicht bereit, mir diese Ungerechtigkeit
noch länger anzusehen. Ich möchte
nicht sterben, ohne die Gerechtigkeit, die wir
alle verdienen, selbst miterleben zu dürfen. Ich
weigere mich – und doch habe ich letztendlich
keine Wahl. Mein Lebensziel hängt davon ab,
wie viele Männer bereit sind, mir und anderen
Feminist*innen zuzuhören und reflektiert zu
handeln. ●
26 / POLITIKA /
/ POLITIKA / 27
Ich habe letzte Woche die Corona -Schutzimpfung
erhalten, ohne dass meine Eltern
Bescheid wussten. Meine Eltern sind Coronaleugner
und denken, dass Covid eine Lüge
ist. Im Gegensatz zu mir, ich glaube daran. Ich
glaube daran aus Respekt vor den Leuten, die
daran gestorben sind. Aus Respekt vor den
Wissenschaftler*innen, die an dem Impfstoff
gearbeitet haben und vor den Ärzt*innen und
Pflegekräften, die so hart arbeiten.
Ich habe oft versucht, ihnen zu erklären,
warum Corona keine Lüge ist, und dass die
Regierung uns damit nicht kontrollieren möchte.
Sie sagen, wenn sie sich impfen müssen,
gehen sie wieder zurück nach Rumänien. Ich
bin geschockt und wütend und ich habe Mitleid
mit ihnen, weil sie alles, was sie auf Facebook
sehen und hören, glauben. Wenn ein orthodoxer
Priester vor der Kamera steht und sagt, dass sie
keine Impfung brauchen, glauben sie das.
„DU HAST EINEN CHIP
IMPLANTIERT BEKOMMEN!“
Nicht nur meine Eltern haben so eine Denkweise,
sondern fast mein ganzer Bekanntenkreis.
Wenn ich meine Eltern darauf aufmerksam
mache, dass sie die Maske gescheit tragen oder
Abstand halten sollen, regen sie sich nur auf.
“Du bist ja so korrekt”, sagen meine Eltern dann.
Ich hole meine Infos über Instagram und TikTok
und will mich schon länger impfen lassen. Ich
habe mich aber nicht getraut, alleine zu gehen.
Ich habe meiner Klassenvorständin von
meinen Eltern erzählt. Sie meinte, dass sie es
toll findet, dass ich mich da von meinen Eltern
unterscheide. Vor Kurzem hat sie mir erzählt,
dass es die Möglichkeit gibt, sich in einer
Schule impfen zu lassen. Letzte Woche habe
MEINUNG
ICH HABE MICH IMPFEN LASSEN, OBWOHL
MEINE ELTERN DAGEGEN SIND
Kommentar von Oana* (14)
ich dann dort gemeinsam mit ein paar anderen
Schüler*innen endlich meine erste Corona-
Schutzimpfung erhalten.
Danach habe ich es meinen Eltern erzählt.
Zuerst wollten sie mir nicht glauben. Dann ist
meine Mutter ausgerastet. Ich habe ihr versucht
zu erklären, dass das gar nicht schlimm sei und
ich 14 bin und selber entscheiden kann, ob ich
mich impfen lasse. Sie wurde noch wütender.
Solange ich in ihrem Haus lebe, solle ich nichts
machen, was sie nicht wolle. Weil es mir zu viel
wurde, habe ich gesagt, dass alles nur gelogen
war und ich mich eh nicht hab impfen lassen. Ich
bin mir aber nicht sicher, ob sie mir das abgekauft
haben. Mein Vater hat mir gesagt, dass er
die Schule anrufen wird und die Person anzeigen
wird, die mich zum Impfen gebracht hat. Er sagt,
dass ich jetzt einen Chip implantiert habe und
keine Kinder mehr bekommen kann. Ich weiß,
dass das nicht stimmt und ich liebe meine Eltern
trotzdem, aber Corona sorgt bei uns daheim nur
noch für Streit.
Dieser Kommentar wurde unter dem Titel „Ich habe mich
impfen lassen, obwohl meine Eltern dagegen sind.“ ende
Oktober auf dem Instagram-Account unserer KollegInnen
von „Die Chefredaktion“ veröffentlicht.
* Die Schülerin möchte unerkannt bleiben.
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UNSERE
HAARE,
UNSER
ERBE.
Haare sind heilig. Das sollten sich weiße
Menschen hinter die Ohren schreiben.
Sechs Afropäer aus Wien geben intime
Einblicke in ihre Frisuren und die
Bedeutung dahinter. Und noch eines:
„Don’t touch our hair!“
Von: Gracia Ndona, Fotos: Ina Aydogan
„
ICH BIN KEIN
FREMD KÖRPER
“Jeanne Andela, 21
Style: Braids
„Man hat immer den Druck,
beweisen zu müssen, dass unsere
Haare schön aussehen“, moniert
Jeanne. Das junge Model hat
sich von den Erwartungen der
Gesellschaft nicht unterkriegen
lassen. Mit 14 schnitt sie sich ihre
Haarspitzen ab. Sie waren durch
das Relaxen kaputtgegangen und
hatten sich verfärbt.
„Es gab sehr wenig Lob dafür.
Heute beneiden mich viele für
meine gesunden, natürlichen
Afrohaare“, berichtet sie stolz.
Jeanne hat kamerunische Wurzeln
und fühlt sich nicht wohl
dabei, weißen und anderen Nicht-
Schwarzen Personen Frage und
Antwort zu stehen, wenn es um
ihre Haare geht. Das Mysterium
um ihre Haare empfindet sie als
unerwünschte Exotisierung. Das
Model ergänzt: „Man wird – von
allen – als Fremdkörper in dieser
Welt gesehen.“ Für uns hat sie
eine Ausnahme gemacht. Danke,
Jeanne!
BIBER: Welche Rolle spielen
Haare in deinem Leben?
JEANNE: Eine große, auf jeden
Fall! Die Frisuren, die ich trage,
geben mir ein Gefühl von Sicherheit
Was sind schöne Haare für dich?
Wenn ich an schöne Haare
denke, dann an langes, glattes
europäisches Haar. Es ist das
gesellschaftliche Schönheitsideal.
Das heißt nicht, dass ich unsere
Afrohaare nicht schön finde.
Wie findest du es, wenn weiße
Menschen traditionell afrikanische
Hairstyles tragen?
Wenn es keine Person des öffentlichen
Lebens ist, ist es mir egal.
Die Machtstrukturen müssen
hinterfragt werden, wenn eine
bekannte Person unsere Hairstyles
trägt. Die Frisuren werden
oft falsch benannt und dann
populär. Zum Beispiel „Kim Kardashian
Braids“ oder „Boxer Braids“.
30 / RAMBAZAMBA /
/ RAMBAZAMBA / 31
KEINE HAARE,
KEIN PROBLEM
Eliob, 26
Style: „Short Buzz Cut”
Eliob trägt seinen „Short Buzz Cut“ gerne
in bunten Farben, wie pink, blau oder
blond. Die Frage, womit das Vangardist-
Model „Haarewaschen“ verbindet, beantwortet
er knapp: „Mit Duschgel!“ (lacht).
„Ich habe kurze Haare. Weiße Menschen
fühlen sich trotzdem dazu berechtigt,
meinen Kopf einfach anzufassen. Wenn
das ungefragt passiert, ist es ein Eingriff
in meine Privatsphäre“, erklärt er.
BIBER: Welche Rolle spielen Haare in
deinem Leben?
ELIOB: Mit kurzen Haaren ist es einfach.
Ich muss nicht viel Zeit in Pflege und Look
investieren. Trotzdem denke ich, dass
Haare im Leben von Schwarzen Menschen
generell eine größere Rolle spielen als bei
weißen.
Was sind schöne Haare für dich?
Wenn ich an Menschen mit „schönen
Haaren“ denke, dann an weiße Models
mit langen, lockigen Haaren. Wie aus der
Werbung. Ich hasse das.
Wie findest du es, wenn weiße Menschen
traditionell afrikanische Hairstyles tragen?
Mein erster Gedanke ist: Oida, scheiße,
das steht dir nicht! Und mein zweiter:
Warum, kannst du die Haare tragen und
hast gleichzeitig dieselben Privilegien als
weiße Person, die ein Schwarzer Mensch
nicht hat. Du kannst diesen Hairstyle
tragen, weil du ihn cool findest. Ohne Konsequenzen
in deinem Alltag.
„
KEINER
TRAUT SICH
MEINE HAARE
ANZUFASSEN!
“Kevin Anthony, 24
Style: „Wash And Go“
Kevin trägt gerne Twists, Cornrows
oder wie bei unserem Shooting seine
natürlichen Haare. Es dauert 20
Minuten bis seine Locken nach dem
Waschen so aussehen, wie er es am
liebsten hätte. „Menschen kommen
auf mich zu und fassen, ohne zu fragen,
meine Haare an. Sie wissen nicht,
wie viel Arbeit dahintersteckt. Für
mich ist das ein persönlicher Angriff“,
ärgert sich Kevin über die anonymen
Fummler, die wohl jeder Schwarze
Mensch in Österreich kennt. Das Model
mit togolesischen Wurzeln findet
seine Haare besonders schön, wenn
sie „relaxt“ sind. (siehe Glossar)
BIBER: Welche Rolle spielen Haare in
deinem Leben?
KEVIN: Sie machen meinen ganzen
Look aus.
Was sind schöne Haare für dich?
Ich denke an braune, definierte
Locken. Nicht meine natürlichen
Locken. Ich finde meine Haare schöner,
wenn sie relaxt sind.
Wie findest du es, wenn weiße
Menschen traditionell afrikanische
Hairstyles tragen?
Wenn die Haare zum Style und Auftreten
der Person passen, find ich es
in Ordnung. Wenn weiße Menschen
mit diesen Haaren versuchen „afrikanischer“
zu sein als Afrikaner selbst,
verstehe ich es nicht. Mit Afrika-Kette,
Braids und Goa-Hosen. So ziehen sich
Schwarze nicht an.
32 / RAMBAZAMBA / / RAMBAZAMBA / 33
KEINE ZEIT
FÜR DRAMA
Moumi Awudu, 23
Style: „Low Puff“
Die viel beschäftigte Jus-Studentin
Moumi verbindet den
Prozess des „Haare machens“
mit Stress. Ihre Lieblingsfrisur
(„Braids“) lässt sie sich
deswegen immer von einer
professionellen Hairstylistin
zuhause machen. „Ich muss
einen Termin finden, die
Haare waschen, sie trocknen
und „detanglen“. Als ich im
Kindergarten war, hat mir eine
Betreuerin einmal gesagt, ich
solle meine Haare schneiden.
Ich würde aussehen, wie ein
Klobesen“, denkt die Studentin
mit ghanaischen Wurzeln
zurück. Das kam für die junge
Schmuckverkäuferin schon
damals nicht in Frage.
BIBER: Welche Rolle spielen
Haare in deinem Leben?
MOUMI: Meine Haare sind mir
sehr wichtig. Sie machen mich
und mein Aussehen aus. Ich
fühle mich gut, wenn sie im
Puff oder Braids sind.
Was sind schöne Haare für
dich?
Ein voller Afro. Viele Haare,
egal welche Haarstruktur.
Wie findest du es, wenn weiße
Menschen traditionell afrikanische
Hairstyles tragen?
Ich denke, dass es an Schwarzen
Menschen besser und
authentischer aussieht. Aber
ich freue mich, wenn eine
Schwester am „Haaremachen“
der weißen Person verdient
hat.
„
MEIN KÖRPER,
MEINE REGELN
“Mercy Mercedes, 22
Style: „Faux-Locs“
Für Mercy bedeutet „Haare machen“
Erholung vom Alltag. Die kreative
KSA-Studentin (Kultur- und Sozialanthropologie)
macht sich ihre Frisuren
nämlich selbst. „Ich nehme mir
einen ganzen Tag fürs Haaremachen
Zeit. Wenn ich mir Braids oder Locs
mache, habe ich dann dafür einen
Monat Ruhe“, sagt die selbstständige
Designerin mit österreichisch-kamerunischen
Wurzeln. Mercy erinnert
sich, wie sie als Kind lange und glatte
Haare haben wollte. Einmal färbten
sie und ihre FreundInnen ihre Haare
sogar blond. „Es sah furchtbar aus“,
erinnert sie sich. Mit 13 Jahren wusste
die selbstbewusste Wienerin, dass
sie dem westlichen Schönheitsideal
nicht entsprechen möchte.
BIBER: Welche Rolle spielen Haare in deinem Leben?
MERCY: Eine große Rolle. Die Faux-Locs, die ich auf
den Fotos trage, habe ich selbst gemacht. Ich nehme
mir Zeit für meine Haare.
Was sind schöne Haare für dich?
Meine Locken sind nach dem Waschen am schönsten.
Früher wollte ich meine Haare immer glätten, ich
habe einfach versucht dem westlichen Schönheitsideal
zu entsprechen. Meine Mom hat mir das zum
Glück verboten! Es macht die Haare kaputt. So habe
ich gelernt, meine eigenen Haare zu pflegen. Viele
Schwarze wissen leider nicht, wie sie mit ihren natürlichen
Haaren umgehen sollen, wenn sie erwachsen
sind. Das ist schade. Unsere Haare sind so schön.
Wie findest du es, wenn weiße Menschen traditionell
afrikanische Hairstyles tragen?
Ich bin meistens verwirrt. Es sieht oft nicht gut aus.
Außerdem sind ihre Haare nicht für diese Hairstyles
gemacht. Es gibt kein Verbot, das weißen Menschen
diese Frisuren verwehrt. Aber warum müsst ihr sie
tragen? Warum müsst ihr unsere Haare kopieren?
34 / / RAMBAZAMBA MIT SCHARF / / / / RAMBAZAMBA MIT SCHARF / / 35
WIE SURFER-
BOYS WIRKLICH
AUSSEHEN
Yves Jambo, 25
Style: „Afro”
Yves hat vor Kurzem einen „Black Hair
Workshop“ besucht. Erst mit 25 Jahren
hat er dort Nützliches zu seinem
Afro gelernt. Zum Beispiel, dass seine
Haare kürzer aussehen, als sie es sind.
Dieses Phänomen heißt „Shrinkage“.
Je stärker die Afrohaare beim Kämmen
in ihre ursprüngliche Form zurückgehen,
desto gesünder sind sie. Früher
hat der YouTuber nicht darauf geachtet,
welches Shampoo oder welchen Conditioner
er für seinen Afro benutzt. Heute
weiß Yves, dessen Wurzeln in Rwanda
liegen, dass seine Locken eine besondere
Behandlung und viel Aufmerksamkeit
brauchen. „Das „Haarewaschen“
bedeutet für mich, mir einen ganzen
Tag Zeit zu nehmen. Und wenn meine
Haare nass sind – vor allem nach dem
Schwimmen, sehe ich, wie Surfer-Boys
in Wirklichkeit aussehen sollten“, erzählt
Yves augenzwinkernd in Anspielung an
die stereotypisch glatten, blonden Haare
der 08/15-Surfer.
BIBER: Welche Rolle spielen Haare in
deinem Leben?
YVES: Seit ich Schauspieler bin, sind sie
mir wichtiger geworden. Ich weiß jetzt,
welche unterschiedlichen Frisuren ich für
welche Rollen machen kann.
Was sind schöne Haare für dich?
Meine Haare!
Wie findest du es, wenn weiße Menschen
traditionell afrikanische Hairstyles
tragen?
Ich finde es unnötig. Weiße Menschen
verstehen oft nicht, dass gewisse Räume
und Praktiken nicht für sie geschaffen
sind. Das gilt auch für Hairstyles.
Deswegen sage ich bei weißen Leuten
bewusst „Dreadlocks“. Bei Schwarzen
sage ich Locs. „Dreadful“ bedeutet
nämlich furchtbar. Und historisch ist
diese Bezeichnung der Haare rassistisch
geprägt.
„UNSERE FRISUREN
SIND KEIN TREND!“
Afrikanische Frisuren sind Zeugen der
Vergangenheit und eine Hommage an unsere
unterdrückten Vorfahren.
„So schauen deine Haare offen aus?“, fragte mich meine
16-jährige Cousine 2017 bei meinem Besuch in der Demokratischen
Republik Kongo. „Warum benutzt du keinen
Relaxer?“ Das ist eine weiße Creme, mit der gelockte
Afrohaare, wie ich sie an jenem Tag trug, chemisch geglättet
werden können. Das ist ein weltweites Phänomen in
Schwarzen Communities, um dem weißen Schönheitsideal
zu entsprechen. So werden lebensbedrohliche Schäden,
wie Verbrennungen, Herzkrankheiten und auch Fortpflanzungsstörungen
in Kauf genommen. Mir selbst wurden
bereits mit sieben Jahren das erste Mal die Haare relaxed.
Schon während der Kolonialzeit wurde Afrikanern und
Afrikanerinnen unter Androhung von Strafen beigebracht,
dass hellere Haut und glattes Haar schöner als Schwarze
Haut und Afrohaar seien. Dieses Wissen wurde von Generation
zu Generation weitergegeben. Viele glauben daher
bis heute, dass glatte Haare ein Zeichen für Wohlstand
und Beliebtheit seien.
Auch in Österreich kostet es Schwarze Menschen emotionale
Überwindung, ihre Haare offen zu zeigen. Während
Locs beim legendären Reggae Sänger Bob Marley cool
aussehen, wirken sie an anderen Schwarzen Männern
bedrohlich. So das gängige Vorurteil. Das bestätigten mir
Freunde, die in Einkaufszentren häufig von der Security
kontrolliert oder auf der Straße von der Polizei angehalten
werden. Die Betroffenen schneiden sich ihre Haare lieber
ab, um solche Situationen zu vermeiden.
Dabei haben die traditionellen Frisuren ein historisches
Erbe. Während des Sklavenhandels wurden Fluchtwege
und Codes zur Befreiung in Cornrows eingeflochten. Und
Essen (z.B. Reiskörner) als
Überlebensstrategie in den
Haaren versteckt. Auch königliche
Schwarze Ägypter und
Ägypterinnen trugen Braids und
Cornrows.
Doch für viele Schwarze
Menschen ist es bis heute nicht
leicht zu den eigenen Locken zu
stehen. Selbst ich trage meine
Haare in Österreich nicht offen.
Aufgrund von Ausgrenzung und
negativen Erfahrungen. Daher
betone ich: Unsere Frisuren sind
kein Trend. Sie sind Teil unserer Zur Autorin: Gracia Ndona wünscht
sich weniger unerlaubte Griffe in ihr
Identität. Unsere Haare sind unser Haar Erbe. und mehr Verständnis für das,
was sie auf ihrem Kopf trägt.
Was sind Locs,
Twists und co.?
BOX BRAIDS
Große geflochtene (Rasta-) Zöpfe mit Haarverlängerung
BRAIDS
Geflochtene (Rasta-) Zöpfe mit Haarverlängerung
CORNROWS
Frisuren, bei denen die Zöpfe direkt an den Kopf
geflochten werden
DETANGELN
Das Entwirren der natürlichen Locken
FAUX-LOCS
Haarverlängerung, ohne dabei die eigenen Haare zu
verfilzen
HIGH-PUFF
Dutt auf dem Scheitel
LOCS
Frisur, bei der die eigenen Haare (künstlich) verfilzt werden
LOW-PUFF
Dutt auf dem Hinterkopf
PROTECTIVE HAIRSTYLE
Frisuren (z.B. Braids oder Twists), die die Haare vor
Bruch und Trockenheit schützen
RELAXER
Creme, mit der lockige Haare chemisch geglättet werden
SHORT BUZZ CUT
Kurzhaarfrisur
TWISTS
Zwei Haarsträhnen, die zu einem Zopf
zusammengedreht werden
WASH AND GO
Die Haare werden gewaschen und mit Pflegeprodukten
behandelt. Meistens werden sie dann an der Luft
getrocknet.
biber Haarmonie
Don’t Touch My Hair – Solange Knowles
I Love My Hair - Mickey Guyton
I Am Not My Hair – India Arie Ft. Akon
Black Is Beautiful – E-40, Big K.r.i.t.
Peng Black Girls – Enny Ft. Jorja Smith
36 / RAMBAZAMBA / / RAMBAZAMBA / 37
LIFE & STYLE
Mache mir die Welt,
wie sie mir gefällt
Aleksandra Tulej
MEINUNG
Dealen am
Straßenstrich
Ich verfolge genau zwei Styling-Optionen:
männlicher Drogendealer und
Ostblock-Escort. Nichts dazwischen,
oder beides gemischt auf einmal. Ich
nenne meinen Kleiderschrank das
Yin und Yang der Unterwelt – eine
wunderbare, gestörte Symbiose.
Ich besitze mehr Jogginghosen als
gesellschaftstaugliche Kleidung, mehr
dreckige Sneakers als Gehirnzellen und
gleichzeitig mehr knappe Tops und
Fake-Wimpern als Tassen im Schrank.
Ich weiß eh, irgendwann sollte ich
umschwenken und mich nicht mehr
kleiden, als würde ich gleichzeitig ein
Rap-Video drehen und im Anschluss
daran horizontal mein Geld verdienen.
Aber ich beuge mich weiterhin den
Normen, die man in meinem Alter
voraussetzt: Sakkos, Blazer, Stiefel,
Hemden. Ich hasse das alles und das
alles hasst mich zurück. Wenn ich
mich für einen Anlass formell anziehen
muss, verdrehe ich innerlich die Augen
und kriege Schweißausbrüche. Ist das
kindisch, trotzig und peinlich? Ja. Zum
Glück erkennt mich aber niemand unter
den riesigen Hoodies. Ist das eine Frau
Ende zwanzig oder ein 14-jähriger Instagram-Rapper?
Geht sie gerade Nägel
machen oder Gras ticken? Man weiß es
nicht. Undercover geht auch so.
tulej@dasbiber.at
Geschenk-Tipp:
STABILES
HÄNDCHEN
Das wird nie fad: Personalisierte,
gravierte Armbänder.
Auf www.konidesignshop.com
kannst du jeden beliebigen
Spruch, Namen, oder Symbol
auf ein Armband gravieren
lassen. Diese Bändchen halten
ewig – und das kommt von
jemandem, der sonst am laufenden
Band Schmuck verliert.
Gewinnspiel:
WOHER KOMMST DU
WIRKLICH?
Kennt ihr diese weißen Amerikanerinnen
auf TikTok, die damit prahlen,
dass sie in ihrem sonst super-langweiligen
Vorstadt-Genpool zu 1/10
Cherokee-Abstammung haben? Ich bin
jetzt eine von ihnen – aber ein bisschen
weniger lame. Ich bin in Polen
geboren und dachte immer, dass
meine Vorfahren wohl auch aus diesen
Sphären stammen. Aber ich habe
auch russische, tatarische, uzbekische,
kazachische und aserbaidschanische
Wurzeln – wie ich letzte Woche
herausgefunden habe. Ich durfte den
DNA-Test von MyHeritage machen
– funktioniert eigentlich wie ein
Corona-Test: Stäbchen in den
Mund, Stäbchen in den Behälter
und einschicken. In einem Labor
wird eure DNA dann anhand
eures Speichels ausgewertet und
ihr bekommt das Ergebnis über
euer Erbgut und eure ethnische
Herkunft per Mail zugeschickt –
sprich die ethnischen Gruppen
und geografischen Regionen, aus
denen ihr stammt. Wollt ihr’s auch
wissen? Wir verlosen drei DNA-
Kits von MyHeritage. Mehr zu dem
Gewinnspiel findet ihr auf Instagram:
dasBiber
© Zoe Opratko, Koni Design, My Heritage DNA
Mach deinen
Arbeitsvertrag zum
Klimaabkommen!
Die Wiener Stadtwerke-Gruppe
sucht 3.000 KlimapionierInnen
Gestalte mit uns die klimaneutrale Zukunft der
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WIENER LINIEN | WIEN ENERGIE | WIENER NETZE | WIENER LOKALBAHNEN | WIPARK | WIEN IT
BESTATTUNG WIEN | FRIEDHÖFE WIEN | UPSTREAM MOBILITY | FACILITYCOMFORT | GWSG
38 / LIFESTYLE /
WIENER STADTWERKE GRUPPE
ALLES
FÜR DIE
Warum tragen wir Gucci,
Prada und Nike? Wer
sind die Fashionvorbilder
und wer inspiriert
Styler und Modefreaks?
Lokalaugenschein im
Donauzentrum.
MARKE
DER ALBANISCHE ADLER
TRÄGT NIKE AIR FORCE
Die zwei 16-jährigen Cousinen tragen
mit Stolz ihre Kette mit dem albanischen
Adler. Diese symbolisiert ihre Herkunft
und ihren Nationalstolz. Bekime imponiert
mit ihrem Lacoste Trainingsanzug und
den weißen Nike Air Force. Edita fühlt
sich im Nike-Jogginganzug, kombiniert
mit – richtig erraten – ebenfalls Nike Air
Force, am wohlsten. „Wir kaufen beide
Marken, weil sie trendy sind und jeder
um uns herum sie trägt“, erzählt Bekime.
Die zwei 16-Jährigen scrollen sich
meistens auf TikTok durch und staunen
über die neuesten Modetrends auf
der Videoplattform. Wenn ihnen etwas
gefällt, klicken sie sich durch Hashtags,
Kommentare und Verlinkungen
und gelangen somit an die Quelle ihrer
Shopping-Begierde. Die Kleidung von
Bekime und Edita wird auf den Nacken
der Eltern finanziert, aber nicht ganz
ohne Fleiß. „Eine Jogginghose von Primark
um 5 Euro kaufen mir meine Eltern
sofort. Bei teureren Sachen, wie dem
Lacoste-Trainingsanzug, musste ich ein
wenig betteln. Im Endeffekt haben sie es
mir trotzdem gekauft“, erzählt Bekime
grinsend. Manches Mal steckt auch eine
Belohnung im Spiel. „Wenn wir gute
Noten nach Hause bringen, dann kaufen
sie uns auch die Sachen, die wir wollen“,
so die 16-jährige Edita.
Von Seyda Gün, Fotos: Zoe Opratko
BAUHACKLER, SCHÜLER
UND DER ARBEITSLOSE
„Viele junge Leute tragen Markenklamotten,
um bei anderen rauszustechen
oder damit zu flexen“, verkündet Stojan
in seinem Bauhackleroutfit und Tommy
Hilfiger Haube in der Hosentasche. Der
19-Jährige zeigt uns innerhalb von zehn
Minuten drei Personen im Donauzentrum,
deren Outfit mehr als 500 Euro
kostet. „Schau, die da, ihre Tasche
kostet mindestens 300€.“ Vor allem
scheinen Schuhe bei den jungen Fashionistas
groß im Kommen zu sein. Die
ständigen Begleiter auf unseren Füßen
würden schließlich 90 % von einem gut
kombinierten Outfit ausmachen, findet
Stojan. Sein Freund Ivan lacht, was Stojan
veranlasst, ein „Ich schwör, es ist so“
in Richtung seines Freundes zu rufen,
um den Wahrheitsgehalt seiner Aussage
zu bestärken. Der 18-jährige Ivan findet
Markenklamotten für den gesamten
Auftritt nicht wichtig. Viel eher kommt es
auf die Kombination der einzelnen Teile
an, die sich Ivan über den chinesischen
Online-Händler „Shein“ ganz bequem
nach Hause liefern lässt.
Es sind vor allem YouTuber, aber auch
Plattformen wie TikTok und Instagram,
die junge Menschen zu ihren Styles inspirieren.
Der deutsche YouTuber Justin
Fuchs (auf YouTube: JustinLIVE) bewegt
mit seinen Videos die Jugend und spricht
viel über Mode, setzt Trends und bewertet
Outfits. Er hat sogar seine eigene
Marke unter dem Namen „Peso“ kreiert.
Strahlend prahlt Stojan mit seiner Peso-
Jacke. Aber auch lokale YouTuber wie
der Wiener Maximilian Weißenböck (auf
YouTube: MaxaMillion) setzen Trends.
Maximilian führt wie Justin sein eigenes
Modelabel und gibt jungen Menschen
Inspirationen zu neuen Outfits. Stojan
verdient sein eigenes Geld, Ivan ist
Schüler und David ist zurzeit arbeitslos.
Um stylemäßig mit Stojan mitzuhalten,
hilft Ivan fünf Samstage seinem Vater auf
der Baustelle aus. David lacht und zeigt
dabei seinen stilvollen Louis-Vuitton-
Gürtel, den er sich um knapp 450€ mit
seinem Arbeitslosengeld gekauft hat. Die
beiden anderen können darüber nur mit
dem Kopf schütteln.
40 / RAMBAZAMBA / / RAMBAZAMBA / 41
DIE MALL-PHILOSOPHEN
„Meine Moncler Jacke, die ich anhabe,
schaut nur teuer aus. Ich habe sie
von Willhaben um 200 Euro gebraucht
gekauft“, rechtfertigt sich der Austro-
Afghane Omid. „Ich sage immer, wer
so viel Geld für eine Jacke ausgibt, da
hat die Jacke ihn gekauft – nicht er die
Jacke!“ Oha, wir haben hier einen Hobbyphilosophen
getroffen. Cristiano sieht
die Sache ähnlich. Viele junge Menschen
würden dem Trend der Markenklamotten
nachlaufen, weil sie nach Status streben,
meint er. Der 22-Jährige betrachtet den
Markenwahnsinn unter seinesgleichen
kritisch. „Es braucht nur etwas viral
gehen und schon laufen alle dem gleichen
Trend hinterher“, sagt er empört.
Die zwei sprechen an, dass es vor allem
die Rapszene sei, die vielerlei an Trends
setzen würde, denen dann viele junge
Menschen folgen. Sogar der Deutschrapper
Haftbefehl müsste den Jungs
zugehört haben. Er kritisierte jüngst im
Podcast „Podkinski“ den Markenwahn
der heutigen Jugend. „Alle Laufen in
Marken herum. Prada, Louis oder Gucci.
Ehrlich, mit 15, Alter? Die sind doch
komplett brainwashed.“ Haftbefehl gab
sich auch selbstkritisch: „Wir Rapper sind
ein großer Grund, warum das so gekommen
ist.“
Omid verrät uns ungefragt, dass
er viele Leute kenne, die Fake-Markensachen
tragen: „Aus der Türkei.
Hauptsache Marke. Ist egal, ob original
oder nicht“, winkt der 22-Jährige ab.
Jedenfalls sind ihm Menschen bekannt,
die sich bei der App „Klarna“ zumindest
einmal schon verschuldet haben. Klarna
ist ein schwedischer Zahlungsanbieter,
der mit vielen Onlinehändlern kooperiert.
Das Gefährliche bei Klarna: Die „kaufe
jetzt, zahle später“-Aktionen verleiten
viele junge Menschen dazu, über den
Verhältnissen zu leben. Die Ratenzahlungen
erscheinen verlockend, sind aber
blöderweise der erste Schritt in den
Bankrott. Etwas, was Omid und Cristiano
garantiert nicht passieren wird, wie sie
uns versichern.
JETZT
BEWERBEN
CARRIE BRADSHAW
VOM SPANISCHEN
COLLEGE
Mit ihrer Moncler Jacke und dem
Burberry Schal ist Lina definitiv ein
Eyecatcher im Wiener Donauzentrum.
„Ich selber trage Markenkleidung
seit meiner Zeit auf einem College
in Spanien“, so die 22-Jährige. Hört,
hört. Nur ein kleiner Bruchteil ihres
Umfeldes in Wien trägt Markensachen.
Lina sieht das Thema Markenkleidung
anders. Für sie gibt es zwei
Arten an Menschen: „Diejenigen, die
Marken tragen, um sich zu beweisen
und einen Status in der Gesellschaft
zu erreichen, und die Ästheten, die
Marken tragen, weil sie die Ware
schön finden oder den Designer
mögen.“ Lina ist, wie sie sagt, von
jeher modeaffin. Dazu gehört das
Recherchieren nach den neuesten
Fashion Trends im Internet, in verschiedensten
Blogs und Magazinen.
Social Media als Inspirationsquelle?
Findet Lina überbewertet.
42 / RAMBAZAMBA /
KARRIERE.BILLA.AT
KARRIERE & KOHLE
Para gut, alles gut
Von Šemsa Salioski
BEZAHLTE ANZEIGE
WER IST „WIR“?
Mit der Unterstützung von LUKOIL geht
„SAG’S MULTI!“ in die 13. Runde
MEINUNG
Biznis-Guide für
Underdogs
Dass genug Para im Elternhaus die
Zukunfts planung massiv beeinflusst, wissen
wir Arbeiterkinder am besten. Ich bin keine
Karriereexpertin, habe jedoch trotz Startschwierigkeiten
als absolut ahnungsloses
Kind eines Reifenmonteurs und einer Schuhverkäuferin
immerhin (inshallah bald) zwei
Masterabschlüsse in der Tasche. Auch ich
hätte als Kind meine Diddl darauf verwettet,
später maximal in einem der Millennium-
City-Shops arbeiten zu dürfen. Eh nichts
Schlimmes dabei, aber aufregendere Jobs
außerhalb der Bubble wie Journalistin,
Diplomatin oder Projektleitung zog ich früher
nicht einmal in Erwägung. Arbeit bedeutete
bloß „über die Runden kommen“, nicht
Freude. Fast Forward: Ich schreibe seit 2016
für Magazine, habe nun eine Kolumne und
arbeite derzeit in Skopje an der Österreichischen
Botschaft. Ich war eine faule Schülerin,
nahm die Studienzeit aber, aus Panik vor
späteren Existenzängsten, unfassbar ernst.
Das Resultat dieser Brain-Fuckery ist immerhin
eine Ansammlung von Tipps rund um
Organisation, Förderungsmöglichkeiten und
Arbeitsrechtsfragen mit Verarsch-Potenzial,
die ich gerne mit Fellow-Arbeiterkindern
teilen würde. Rumheulen bringt nichts und
wenn das System uns nicht hilft, müssen wir
uns gegenseitig helfen. Underdogs unite!
salioski@dasbiber.at
POLYGLOTT
OHNE PARA
Du möchtest Arabisch oder Russisch
lernen, kannst dir aber keine teuren
Sprachkurse leisten? Kein Problem,
Habibi. Hier sind Alternativen, mit
denen du easy zum Polyglott wirst:
1
KOSTENLOSE APPS
WIE DUOLINGO:
Jede Lektion beinhaltet Sprech-,
Hör-, Übersetzungs- und Auswahlübungen.
Für deutschsprachige
Nutzer bietet die App Englisch,
Spanisch und Französisch an. Wer
sie auf Englisch nutzt, hat Zugriff
auf über 30 weitere Sprachen.
2
DAS GEŠEFT MIT
DER SPRACHE:
Aktives Lernen durch Sprechen ist
der beste Weg, Sprachen zu erlernen.
Auf Seiten wie Tandem oder
Sprachlernbörse braucht man keinen
Cent, sondern tauscht einfach
Sprachkenntnisse miteinander aus.
https://www.tandem.net/de
Podcast
des Monats
Einschlafen
mit Wikipedia
Vergesst Koffein und Kokain,
Schlaf ist der wahre Erfolgsbooster.
Das natürliche Reparaturprogramm
ist nämlich
wesentlich für Gedächtnisleistung,
Immunsystem und
Energiehaushalt. Wer früher
Gute-Nacht-Geschichten
gebraucht hat, wird diesen
Podcast lieben. Nur werden
hier stattdessen einfach
Wikipedia-Seiten vorgelesen.
Schneller einschlafen und
dabei etwas über Toiletten
in Japan oder Kartoffelchips
lernen? – all u need!
3
AUTONOMES
LERNEN:
Das Raiffeisen Sprachlernzentrum
besteht aus einem Selbstlernbereich,
Language Labs und
einem Seminarraum. Dort findet
man Unterlagen wie Bücher und
Filme zur freien Benutzung.
https://sprachenzentrum.univie.
ac.at/sprachlernboerse,/
© Zoe Opratko, pexels.com/Olya Kobruseva, Schønlein Media
© unsplash.com/thisisengineering raeng
ALMA
HILFT DIR AUS
DER PATSCHE
Hast du Probleme, einen Job zu finden? Hat
ein Freund von dir die Berufsschule abgebrochen
und möchte sie nachholen? Kennst
du Freunde, die gar nicht zur Schule gehen, weil sie
Probleme zu Hause haben? Schluss damit! ALMA von
der Europäischen Kommission kann helfen.
ALMA ist eine Abkürzung und steht im Englischen
für Aim, Learn, Master, Achieve (Anvisieren, Lernen,
Meistern, Ankommen). Die Präsidentin der Europäischen
Kommission Ursula von der Leyen möchte
damit „diejenigen stärker unterstützen, die durchs Netz
gefallen sind – junge Menschen, die keine Arbeit haben,
nicht zur Schule gehen oder keine Berufsausbildung
derzeit absolvieren“. Auf gut Deutsch: Jeder, der gerade
einen Hänger hat und keinen Job, soll sich melden.
Warum? Die EU zahlt dir eine allgemeine und berufliche
Bildung oder besorgt dir einen Job in deiner Stadt.
Oder, was auch sehr nice ist, ein Praktikum in einem
anderen Land. Zur Info, Europa hat 27 Länder – und
im Sommer immer nach Serbien oder Yozgat zu fahren
wird auch irgendwann mal fad.
Wenn ihr interessiert seid oder jemanden kennt,
der was Neues lernen möchte oder keinen Job hat –
schreibt den Leuten von der EU-Kommission eine Mail,
in der ihr euer Interesse bestätigt. Nein, keine DM auf
Instagram, sondern das, was sich ältere Menschen
hin und herschicken. EMPL-G1UNIT@ec.europa.eu. Ihr
werdet über die Einzelheiten informiert.
© Sag’s multi / ORF
(v.l.n.r.) Christoph Wiederkehr, Amtsführender StR für
Bildung, Jugend, Integration und Transparenz und
Robert Gulla, Geschäftsführer von LUKOIL International
Holding GmbH bei der diesjährigen Preisverleihung
Seit 2009 gibt der Redewettbewerb
„SAG’S MULTI!“ Jugendlichen
ab 12 Jahren die Chance,
ihr Sprachtalent zu zeigen.
In den Reden wird zwischen Deutsch und einer anderen
Fremd- oder Muttersprache gewechselt – ein international
einzigartiges Konzept, das den wirklichen Mehrwert in
der Mehrsprachigkeit zeigen soll. Auch während der Pandemie.
Im vorigen Jahr präsentieren die Teilnehmer:innen
ihre Reden digital mit selbst gemachten Videos. Diese
wurden via Youtube für ein breiteres Publikum zugänglich
gemacht. In der Finalrunde wurden unter strengen
Sicherheitsmaßnahmen Preise an 32 Schülerinnen und
Schüler aus ganz Österreich vergeben.
Für den 13. Durchlauf im Jahr 2021/22 werden die
jungen Rednerinnen und Redner zum Thema „Wer ist
Wir?“ über ihre Persönlichkeit, Zukunft und Identität ihrer
Kreativität freien Lauf lassen. „Mehrsprachigkeit und
kulturelle Vielfalt legen den Grundstein für erfolgreiche
Unternehmen. Jede Sprache, die man beherrscht, stellt
eine Schüsselqualifikation dar, die Türen öffnet, Networking
ermöglicht und ganz einfach auch die zwischenmenschliche
Kommunikation bereichert. Und was noch
viel wichtiger ist: Wir sehen hier auch die Experten und
Gestalter von morgen“, so Robert Gulla, Geschäftsführer
des langjährigen SAG’S MULTI!‘-Partners LUKOIL, der
übrigens selbst fließend zwischen der Muttersprache
Deutsch und den erlernten Sprachen Russisch und Englisch
wechseln kann.
44 / KARRIERE /
BIBER BILDET AUS!
Die biber-Akademie ist die größte Kaderschmiede für zukünftige JournalistInnen in
Österreich. Drei von ihnen erinnern sich an ihre zweimonatige Ausbildung zurück und
erzählen von ihren neuen Jobs bei „Forbes“, „Kurier“ und dem Bildungsministerium.
SPONSOREN DER
BIBER-AKADEMIE:
Co-finanziert durch:
„Die Biber Akademie ist ein Erfolgsprojekt, das
journalistische Nachwuchstalente mit Migrationshintergrund
in die heimischen Redaktionen
bringt. Dort bereichern sie mit neuen, interkulturellen
Zugängen die Berichterstattung. Von
diesem frischen Wind profitieren nicht zuletzt
alle MedienkonsumentInnen. Auf viele weitere
tolle AbsolventInnen!“
SUSANNE RAAB, Bundesministerin für Frauen,
Familie, Jugend und Integration
NAZ KÜCÜKTEKIN, 25, absolvierte im
Aug./Sep. die biber-Akademie
VOM GEMEINDEBAU ZUM KURIER
Drei Jahre hat es gedauert, bis ich mich
traute, mich für die biber-Akademie zu
bewerben. „Wieso sollten die mich überhaupt
wollen? Ich bin sicher nicht gut
genug!“ – Gedanken, die wahrscheinlich
jede JungjournalistIn kennt. Vergangenen
Sommer traute ich mich dann aber
doch und bewarb mich für die biber-Akademie.
Und so begannen zwei Monate,
die mein Leben verändern sollten. Die
biber-Akademie war hart. Doch das war
es wert.
Meine erste große Geschichte kostete
mich viele Nerven, musste ich sie doch
dreimal umschreiben, weil die Kritik kam
„da ist noch mehr“ oder „mehr aktive
Verben statt sperrigen Hauptwörtern“.
Genau diese Geschichte wurde erst
vor ein paar Wochen mit einem renommierten
Journalisten-Preis ausgezeichnet
(„Wir Kinder vom Gemeindebau“). Biber
hat mich auf den Journalismus vorbereitet,
ohne dass ich mich dafür verbiegen
musste.
Und vor allem hat mir biber so einige
Türen in die Medienbranche eröffnet.
Wie etwa zur Tageszeitung „Kurier“, wo
ich heute angestellt bin und ein neues
mehrsprachiges Portal mit aufbauen darf.
NAILA BALDWIN, 23, absolvierte im
Jan./Feb. 2019 die biber-Akademie
DER SPRUNG ZU FORBES
„Schreibt über etwas, was euch bewegt.
Wenn es gut ist, erscheint es am Nachmittag
schon online auf unserem Blog“,
sagte Akademieleiter Amar zu uns am
ersten Tag meiner zweimonatigen Ausbildung
beim Biber. Ich war überfordert,
denn ich wusste noch gar nicht, was
mich bewegt. Doch es hat nicht lange
gedauert, bis sich das geändert hat.
Amar gab uns hilfreiche Inputs, Denkanstöße,
Impulse und stellte uns vor Aufgaben,
die mich motivierten, an meinem
Journalisten-Ich zu arbeiten. Das
Folgepraktikum – vom Biber vermittelt
- absolvierte ich bei der ‚heute‘-Tageszeitung.
Amar sagte mal zu mir, er stelle
sich mich in einer repräsentativen Rolle
vor, da ich weiß, wie ich seriös aufzutreten
habe. Ich denke bei Forbes-DACH
habe ich gefunden, was zu mir passt.
Mittlerweile bin ich dort fix angestellt.
Als (Wirtschafts-)Redakteurin bei Forbes
habe ich den Ansporn, Unternehmertum
im deutschsprachigen Raum in seiner
Diversität abzubilden.
Meine Schwerpunkte dabei sind Themen
wie Under-30-Unternehmertum, Smart
Cities, Women, Tech und vieles mehr.
YASEMIN UYSAL, 28, absolvierte im
Okt./Nov. 2020 die biber-Akademie
TRAUMJOB IM
BILDUNGSMINISTERIUM
Noch vor einem Jahr hätte ich mir
niemals gedacht, dass eines Tages ein
Artikel über mich veröffentlicht wird,
durch den mich Menschen auf der Straße
erkennen und mich auf meine Story
ansprechen würden. Ein Jahr und eine
biber-Akademie später ist genau das die
Realität geworden.
Während meiner biber-Zeit habe ich
gelernt, über mich selbst hinauszuwachsen.
Bereits bei meinem allerersten
Interview wusste ich sofort: „Das hier
ist keine gewöhnliche Journalismus-
Ausbildung.“ Wo sonst kann man dem
Wiener Vizebürgermeister Christoph
Wiederkehr die Frage stellen, wie oft er
in seinem Leben schon gekifft hat? Diese
Ausbildung ist scharf. Sie ist divers. Sie
ist einzigartig!
Durch die Akademie ergatterte ich meinen
Traumjob als Referentin im Bildungsministerium.
Heute gelte ich mit allen
Knowhows aus meiner biber-Zeit als die
Ansprechperson in Sachen Diversität und
Migration in der ganzen Abteilung. Und
ich weiß, ohne die Akademie wäre ich
nicht da, wo ich jetzt bin!
© Matthias Nemmert, Zoe Opratko
@ Garima Smesnik, Erste Bank, Marko Mestrović, picturedesk.com, Andreas Jakwerth, www.richardtanzer.com, ORF, Felicitas Matern, Picasa, Wolfgang Speikner, OMV Aktiengesellschaft
„Diversität ist für eine Gesellschaft und
uns als Erste Bank Oesterreich ein wichtiger
Faktor. Seit unserer Gründung vor
mehr als 200 Jahren ist es unsere DNA,
eine Gesellschaft zu fördern, die kein
Alter, kein Geschlecht, keinen Stand und
keine Nation ausschließt. Deshalb freut
es uns besonders, die biber-Akademie
zu unterstützten, die genau das lebt. Ich
wünsche allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern
der biber-Akademie alles Gute
auf Ihrem Weg einen pluralistischen,
diversen Journalismus zu prägen!“
GERDA HOLZINGER-BURGSTALLER,
Vorstandsvorsitzende
Erste Bank Oesterreich
„Als öffentlich-rechtliches Medienunternehmen
legt der ORF hohen Wert
auf die Förderung von ambitionierten
Jungjournalist:innen. Die biber-Akademie
ist ein wichtiges journalistisches Nachwuchs-Projekt,
das auch die Diversität
und Internationalität der Medienbranche
fördert. In diesem Sinn freuen wir
uns, dass wir dieses Projekt auch heuer
unterstützen können.“
MARTIN BIEDERMANN, ORF-Kommunikationschef
„Damit Diversity und Inklusion keine
Slogans bleiben, müssen beide Begriffe
mit Leben erfüllt werden. Daher ist es
wichtig, dass engagierte JungjournalistInnen
mit migrantischen Wurzeln
ihre Fähigkeiten einbringen und die
Sichtweisen der Medien erweitern. Die
Wirtschaftskammer Wien unterstützt die
Biber-Akademie, um diese Generation
der neuen ÖsterreicherInnen auf ihrem
Weg zu stärken.“
WALTER RUCK, Wiener Wirtschaftskammer-Präsident
„Die ÖBB stehen als öffentliches Unternehmen
sehr oft im Fokus der Medien.
Das ist okay so, denn der offene
Austausch mit Journalist:innen gehört
zu unserer DNA. Uns gefällt, dass die
biber-Akademie nicht nur talentierte
Jung-Journalist:innen ausbildet, sondern
darüber hinaus gezielt die Internationalität
und Diversität der Medien- und
Kommunikationsbranche erhöht.“
ROBERT LECHNER, Leitung Konzernkommunikation,
ÖBB
„Für die OMV ist Vielfalt ein entscheidender
Wettbewerbsfaktor, denn nur wenn
wir als Unternehmen mehr Vielfalt an
Fähigkeiten, Erfahrungen, Perspektiven
und Ideen ermöglichen und andererseits
diese Vielfalt auch optimal nutzen, werden
wir nachhaltig erfolgreich bleiben.
Die biber-Akademie unterstützt diese
Vielfalt ebenso wie die Förderung junger
Journalistinnen und Journalisten - beides
ist auch für uns bedeutend.“
ANDREAS RINOFNER, Konzernsprecher
und Head of Public Relations
„Migration ist ein wichtiges Thema in den
österreichischen Medien. Die biber-Akademie
gibt jungen Menschen mit Migrationshintergrund
die Chance Journalismus
zu lernen, um die Berichterstattung mitzugestalten
– durch ihre Erfahrungen, ihr
Wissen und ihr Engagement. Wir von der
Wiener Städtischen Versicherung freuen
uns, dieses Projekt zu unterstützen.“
SABINE TOIFL, Leiterin Werbung und
Sponsoring, Wiener Städtische Versicherung
46 / AKADEMIE /
/ AKADEMIE / 47
MEINUNG
Mit ohne
Fleisch!*
DIE QUAL DER UNWAHL
Seit über einem Jahr existiert das Corona-Virus. Ein
Virus, bei dem niemand dachte, dass er so schlimm
sein und unser Leben massiv verändern würde. Letztes
Jahr war für alle Schülerinnen und Schüler das erste
Mal Homeschooling angesagt. Niemand wusste, was
wir machen sollen oder wie es mit uns weitergeht.
Anfangs freuten wir uns, weil man den Unterricht
„nachhause verlegt hatte“ und wir im Pyjama den
ganzen Tag chillen konnten - bis dann die Videokonferenzen
tagtäglich pünktlich um 8.00 Uhr in der Früh
starteten.
Es kam in Wirklichkeit anders, als wir anfangs dachten:
Für uns war es nervig, dass man die Kameras einschalten
musste. Wenn man dies nicht gemacht hat, wurde
man aus der Besprechung geworfen. Man musste auch
zeitig aufstehen. Es war schwierig, sich zu konzentrieren,
da, wenn man Geschwister hat, es natürlich laut
ist. Wir hatten dauerhaft Stress, da wir für die Aufgaben
nur sehr wenige Stunden Zeit hatten bis zum Abgabetermin.
Nun zu den Vorteilen der Homeschooling-Zeit: Man
konnte sich die eigene Zeit besser einteilen. Wir konnten
zu Hause bleiben und mussten nicht früh außer
Haus gehen. Im seltenen Fall, dass man alleine zu Hause
war, konnte man sich besser konzentrieren.
Derzeit sind wir zum Glück wieder in der Schule und
machen das letzte Pflichtschuljahr. Wir hoffen sehr,
dass es nicht nochmal zu Homeschooling kommt, da
man sonst wieder sehr wenig soziale Kontakte hat und
es mehr Spaß macht, wenn man mit seinen Freunden
gemeinsam in der Schule ist. Außerdem müssen wir
uns bald entscheiden, was wir nach der Schule machen
wollen - Lehre oder weiterführende Schule. Die Zukunft
und wie sich alles weiter entwickelt ist noch ungewiss,
aber wir hoffen (trotz aller Umstände), die passende
Lehrstelle zu finden. Wir sind jedenfalls zuversichtlich,
dass wir die richtige Wahl treffen werden.
Tala Al Badawi und Lisa Stögerer gehen in die Polytechnische
Schule/Fachmittelschule „Im Zentrum“
48 / MIT SCHARF /
DAS LEBEN ZWISCHEN
ZWEI WELTEN
Es ist schön, neue Lebenswelten kennenzulernen.
Also um neue Leute zu treffen, Freunde, eine ganz
neue Art zu leben und zu funktionieren. Die größte
Herausforderung besteht darin, eine andere Sprache
als meine Muttersprache zu lernen. Ich habe das
alles gespürt, weil ich vor weniger als einem Jahr
nach Österreich gezogen bin. Als ich im Mai 2021
aus Mazedonien nach Wien gekommen bin, fühlte
ich mich überfordert und verwirrt, aber mit der Zeit
schaffte ich es, mit der völlig neuen Umgebung
zurechtzukommen. Von Anfang an war es interessant
und aufregend, aber auch schwierig, sich im großen
Öffis-Netz in Wien zurechtzufinden. Meine Mutter gab
mir Anweisungen auf einem Zettel, ich las darauf am
Anfang nur: „U, 0, J, 40a, S-irgendwas“. In meiner
Heimatstadt sind nicht so viele Leute wie hier. Auch
fahren nicht so viele Busse und Züge durch die
Gegend. Ich kannte dort mehr Leute und hier habe
ich wenig Freunde. Diese neue Umgebung macht
mich unsicher und gibt mir das Gefühl, eingesperrt
zu sein.
Aber ich denke, dass mit der Zeit alles überwunden
wird und ich freier und selbstbewusster sein
werde. Am Anfang besuchte ich sowohl den Online-
Unterricht in meiner Schule in Wien; parallel dazu
schaffte ich meinen mazedonischen Pflichtschulabschluss
(auch online!!!).
Derzeit findet der Unterricht wieder in der Schule
statt und ich sehe meine MitschülerInnen endlich in
echt. Die Schule, die ich jetzt besuche, ist viel größer
als die Schule in meinem Heimatland. Ich vermisse
mein Haustier, meinen kleinen Hund und meine Großmutter,
bei der ich, bis ich nach Wien kam, gelebt
habe. Sie ist bestimmt stolz, wenn sie meinen Text
liest.
Vera Petrova geht in die Deutschklasse der Polytechnische
Schule/Fachmittelschule „Im Zentrum“
© privat
* Bitte sei ihm nicht böse:
Das pflanzliche Patty könnte am Grill
in Kontakt mit Fleisch gekommen sein.
Beyond Meat® and the Beyond Meat logo are registered trademarks of Beyond Meat, Inc.
In allen teilnehmenden Restaurants in Österreich. Solange der Vorrat reicht. Produkt mit Schmelzkäsezubereitung.
®
McPlant ab jetzt
fix am Start!
Der McPlant ist gekommen, um zu
bleiben. Gut für dich – denn das heißt,
du kannst unseren köstlichen Burger
mit pflanzlichem Patty von Beyond
Meat noch ganz oft genießen.
WAS
DÜRFEN
MÜSSEN
MÄNNER?
FRAUEN?
Gewaltprävention an Wiener Mittelschulen
Welche Schimpfwörter schreibt man welchem Geschlecht zu? Was ist verbale
Gewalt und wo beginnt Belästigung? Wir waren gemeinsam mit ausgebildeten
Trainerinnen an Wiener Mittelschulen (NMS) unterwegs, um mit den SchülerInnen
über Gewalt, Genderrollen, Grenzen und Selbstbewusstsein zu sprechen.
Von Aleksandra Tulej, Fotos. Zoe Opratko
Gewalt hat viele Gesichter - auch das
lernten die Jungs in dem Workshop mit
Trainer Philipp.
„
Niemand hat das Recht,
euch ohne eure Zustimmung
anzufassen.
“
„Welche Schimpfwörter sind harmlos,
welche schlimm?“ Diese Frage
beschäftigte die Jungs.
Cringe“, verzieht der
13-jährige Thomas * sein
Gesicht. „Das ist ja mal
wirklich cringe“, stimmen
seine Klassenkameraden mit ein.
Wir befinden uns in der dritten Klasse
einer Wiener NMS in Donaustadt. Die
15 Jungs der Klasse haben sich gerade
auf dem riesigen Klassen-Bildschirm
einen Kurzfilm angesehen, in dem ein
Junge ein Kleid trägt und deswegen
gemobbt wird. In dem Kurzfilm geht es
um Männlichkeit und stereotypisierte
Bilder, die wir gesellschaftlich so ziemlich
alle verinnerlicht haben. „Warum ist das
cringe?“, fragt Trainer Philipp Leeb. Philipp
ist der Gründer des Vereins „poika“
– einer Organisation, die gendersensible
Bubenarbeit betreibt. Er ist heute in die
Klasse gekommen, um mit den Jungs
über genau die Themen zu sprechen,
die in dem Alter enorm wichtig sind:
Belästigung, Flirten, Rollenbilder, Genderkonstrukte,
Körpersprache, Grenzen und
Selbstwahrnehmung.
Es entsteht innerhalb der Klasse
eine Diskussion darüber, warum die
Burschen einen Jungen, der ein Kleid
trägt, als „cringe“ ansehen. (Übrigens
ist der Begriff „cringe“ zum Jugendwort
des Jahres 2021 gewählt worden und
bedeutet, dass die Handlung einer Person
für peinlich gehalten wird, dass man
sich fremdschämt.)
Warum ist ein Junge in einem Kleid
für viele „cringe“? Weil es ungewohnt
ist? Weil es etwas Neues ist? Weil es
„unmännlich“ ist? Hasan * zuckt mit den
Schultern: „Naja schon. Aber eigentlich
sollte das auch egal sein.“ „Aber es ist
so mädchenhaft“, kontert sein Klassenkamerad
Jan * . Warum sollte aber „mädchenhaft“
etwas negativ Konnotiertes
sein, auch für Männer?
WARUM DARF MAN EINEM
MÄDCHEN NICHT AUF DIE
BRÜSTE GREIFEN?
In einem dreistündigen Workshop
bespricht Philipp mit den Schülern nicht
nur Konzepte von Männlichkeit und Genderkonstrukte,
sondern vor allem auch
das Thema der persönlichen Grenzen
und der Belästigung.
„Warum darf man einem Mädchen
nicht auf die Brüste greifen? Ich hätte
nichts dagegen, wenn mir ein Mädchen
auf den Po grapscht!“, schreit ein vorlauter
Bub aus der Menge. Trainer Philipp
kontert mit einer Frage: „Woher weißt du
denn, dass das für das Mädchen okay
ist? Nur, weil dir etwas gefällt, heißt das
noch lange nicht, dass das für die andere
Person auch in Ordnung ist.“ Daraufhin
entsteht ein Austausch über Consent
(gemeinsames Einverständnis) und
darüber, wie wichtig es ist, Grenzen einer
anderen Person zu respektieren. Auch
Gewalt ist ein Thema.
„Welche Formen von Gewalt kennt
ihr?“, fragt Philipp in die Runde. Die
Schüler schreien wild durcheinander:
„Vergewaltigung! Belästigung! Prügel!
Mobbing! Totschlag! Bestechung! Bedrohung!
Erpressung! Beleidigung! Rassismus!
Provokation! Folter!“ Die Liste ist
lang. Gewalt hat viele Gesichter und es
gilt, jede ihrer Formen ernst zu nehmen.
„Wir sprechen nicht über Gewalt. Und
wenn wir das tun, ist es oft zu spät“,
resümiert Philipp.
Genau deshalb bekommen auch die
Mädchen der Klasse ihren eigenen Workshop
im Turnsaal der Schule mit Trainerin
Renate Wenda. Renate ist Trainerin im
Verein Drehungen, dessen Ziel es ist,
Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein
bei jungen Frauen aufzubauen und
gleichzeitig Selbstverteidigungstechniken
für den äußersten Notfall beizubringen.
Auch das machen die Mädchen heute
mit Renate. Sie lernen Techniken, die
sie anwenden können, wenn jemand sie
körperlich belästigt oder angreift. Sie
lernen, wie wichtig es ist, laut „NEIN!“
zu schreien. Aber sie sprechen mit der
Trainerin auch darüber, dass Belästigung
viel früher als bei körperlichen Angriffen
anfängt. „Jede von euch bestimmt ihre
persönlichen Grenzen selbst!“, bekommen
sie zu hören. „Niemand hat das
Recht, euch ohne eure Zustimmung
anzufassen.“ Genau dieses Bewusstsein
in dem Alter zu stärken, ist enorm
wichtig.
WAS IST EIN HURENSOHN?
Währenddessen diskutiert die Jungs-
Gruppe rege darüber, welche Formen
von Gewalt eher welches Geschlecht
betreffen. Dann schwappt das Gespräch
auf das Thema Schimpfwörter und
Beschimpfungen um – also verbale
Gewalt. Auf die Frage, welche Schimpfwörter
die Burschen kennen, wird wieder
wild herausgeschrien: „Hurensohn!
Spast! Tschusch! Schlampe!“ Wieder ist
die Liste lang. Was der Begriff „Spast“
Grenzen, Selbstbehauptung und
Verteidigung: Das stand bei den
Mädchen auf dem Programm.
52 / RAMBAZAMBA /
/ RAMBAZAMBA / 53
Anmerkung: Alle Workshops wurden
unter Einhaltung jeglicher Corona-
Bestimmungen abgehalten - natürlich
vor dem Lockdown.
ÜBER DIE VEREINE:
bedeutet, weiß keiner der Jungs. Philipp
erklärt, dass der Ausdruck davon
stammt, Menschen mit einer Behinderung,
also „Spastiker“ abzuwerten. „Das
ist eigentlich voll nicht okay.“ Meldet sich
ein Schüler zu Wort. Und weiter:
„Wen beschimpfst du eigentlich,
wenn du jemanden als „Hurensohn“
bezeichnest?“, fragt Philipp nach. „Naja,
die Mutter von demjenigen“, kommt als
Antwort zurück. „Und was heißt das dann
genau?“ – „Dass die Mutter von ihm eine
Prostituierte ist, genau. Wusstet ihr, dass
Prostitution das älteste Gewerbe der
Welt ist? Und wer nimmt hauptsächlich
Dienstleistungen von Prostituierten an?“
– „Männer“, lautet die einstimmige Antwort.
Die Schüler kommen ins Grübeln
und es wird sich darauf geeinigt, dass es
auch harmlosere Schimpfwörter gibt, um
seinen Unmut auszudrücken. „Du Koffer!
zum Beispiel“, bietet Philipp an. „Hä?
Wieso ist „Koffer“ ein Schimpfwort ? Ein
Koffer ist doch was Schönes, weil er die
ganze Welt sieht“, analysiert ein Schüler.
Die Diskussion über die Ursprünge
verschiedener Beschimpfungen will kein
Ende nehmen – muss sie aber, da der
Pausen-Gong den dreistündigen Workshop
beendet. „Das waren wirklich coole
drei Stunden. Wir konnten so viel reden,
und haben auch Neues gelernt“, resümiert
ein Schüler. Auch, dass ein Junge
in einem Kleid nicht „cringe“ ist. ●
* Die Namen der SchülerInnen wurden von der
Redaktion geändert
VEREIN DREHUNGEN
Kurse für Mädchen und Frauen, um
Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen
und Selbstverteidigung zu fördern.
Prävention gegen verbale, physische
und psychische Gewalt an Frauen
und Mädchen.
www.verein-drehungen.at
POIKA
Verein für gendersensible Bubenarbeit
in Ergänzung und Zusammenarbeit
mit Mädchenarbeit. Poika
orientiert sich an emanzipatorischen
Modellen, die es den Buben ermöglichen
sollen, in reflektierter Umgebung
sich mit diversen Themen
wie Geschlechtskonstruktionen
von Weiblichkeit und Männlichkeit,
Berufsorientierung, Gewalt, Sexualität,
uvm. auseinanderzusetzen
www.poika.at
ÜBER DAS PROJEKT
„Ich bin kein Opfer!“ und „Ich bin kein Täter!“
– dieses Gefühl und Selbstverständnis stärkt
biber gemeinsam mit dem Österreichischen
Integrationsfonds mit einem gezielten „Selbstverteidigungs-
und Sensibilisierungs“-Projekt
zur Gewaltprävention schon bei Schülerinnen
und Schülern. Unter der Leitung von erfahrenen
Trainern erlernen die jungen Mädchen
neben körperlichen Verteidigungstechniken
auch psychologisch taktisches Vorgehen.
Gleichzeitig setzt das Projekt auf der Seite
der Burschen an – ohne mit dem Finger auf
sie zu zeigen. Mit Rollenspielen zum Thema
Mobbing, sexueller Orientierung und
sexuelle Belästigung soll auf Tabu-Themen
eingegangen und das Thema der „Prävention
sexualisierter Gewalt“ erlebbar gemacht
werden. So wird sensibel ein Bewusstsein
dafür geschaffen, was sexuelle Übergriffe und
Gewalt sind und wo Grenzen überschritten
werden. Im Rahmen dieser Kurse werden den
Schülern Verhaltens- und Handlungsstrategien
aufgezeigt und Gespräche auf Augenhöhe
über eigene Erfahrungen geführt. Biber
schafft mediale Aufmerksamkeit für dieses
wichtige Thema, indem wir breitenwirksam
auf den biber-Kanälen darüber berichten: Ob
in Videos, Insta-Stories auf Social Media oder
in den Newcomer-Editionen.
DIESES PROJEKT
WIRD DURCH DEN
ÖSTERREICHISCHEN
INTEGRATIONSFONDS
FINANZIERT
DIE REDAKTIONELLE
VERANTWORTUNG LIEGT
BEI BIBER.
54 / RAMBAZAMBA /
/ RAMBAZAMBA / 55
MEINUNG
MEINUNG
Du
willst Stories
„mit scharf“ ?
ASPERGER = BEHINDERUNG?
Viele wissen nicht, was das Asperger-Syndrom ist. Ich
könnte jetzt einen seitenlangen Ausschnitt aus Google
einfügen und das Ganze wäre geklärt, aber das wäre
halb so spannend. Außerdem darf ich nur eine bestimmte
Anzahl von Zeichen benutzten, also werde ich euch in
aller Kürze das Wichtigste zu dieser „Krankheit“ erzählen.
Und ich weiß, wovon ich spreche, ich habe das „Asperger-Syndrom“
seit meiner Geburt.
Bei jedem Menschen äußerst sich das Syndrom auf eine
andere Art und Weise. Ich brauche Lesen wie andere
Menschen Sauerstoff. Gerade lese ich „Tod und Jenseits“
von Clifford Pickover - ur spannend. Ohne ein Buch in
meiner Nähe wird mir ganz anders. Ein anderer Junge,
den ich kenne, liebt hingegen Tauben. Über alles! Er weiß
jedes Detail über sie. Zum Beispiel, dass Tauben 120
km/h schnell fliegen können. Cool. Was der alles erzählt
hat, war interessant. Auf jeden Fall ist es so, dass die
Mehrheit aller Asperger ein “Spezialgebiet“ haben, seien
es Tauben, Bücher oder das Errechnen der Quadratwurzel.
Asperger haben ein Problem, ihre Gefühle zu
erkennen und zu zeigen. Um ehrlich zu sein, ist es echt
schwierig, zu unterscheiden, ob ich jemanden umarmen
oder ihm eine reinhauen will.
Oft hört man auch, wir Asperger seien doch super schlau.
Ich sag es euch ehrlich: Nein, das stimmt nicht. Asperger
bedeutet nicht gleich hohe Intelligenz. Wir konzentrieren
uns nur auf Sachen, die logisch sind, wie Mathe oder
Physik. Die Antwort auf die Frage, ob die Krankheit eine
Behinderung im Alltag ist, heißt also: Jein. Im Job ist es
schwer, wenn man mit Menschen zu tun hat, aber wie
gesagt, es ist nicht jeder gleich. Manche haben es leichter,
andere wissen nicht mal, wie sie ihre Eltern grüßen
sollen.
Immerhin haben es folgende Promis auch geschafft, ihre
Spuren in unserer Geschichte zu hinterlassen: Albert
Einstein (Physiker/Mathematiker), Wolfgang Amadeus
Mozart (Komponist), Andy Warhol (Maler), Sheldon Cooper
(Big Bang Theory/Fiktive Person)
Emily Englbrecht geht in die MS Infomedia Rzehakgasse
BITTE KEINEN KAFFEE UND
ENERGY-DRINKS MEHR!
Ich habe die letzten neun Jahre meines Lebens in der
Schule verbracht und habe noch weitere drei vor mir. Seit
der Pandemie hat sich nach und nach Vieles verändert.
Vor allem im letzten großen Lockdown, als wir Monate
lang im Home-Schooling waren.Während dieser Zeit hat
man auf uns Oberstufenschüler vergessen. Ab 8 Uhr morgens
hatte ich täglich 6-8 Stunden Online-Unterricht und
saß danach bis spät in die Nacht an den Arbeitsaufträgen
bzw. Hausübungen. Manchmal musste ich zuerst den im
Unterricht durchgemachten Stoff nochmal durchmachen,
weil ich im Online-Unterricht nicht mitgekommen bin.
Manchmal war es das Internet, das abgestürzt ist und
manchmal waren die Lehrer zu schnell, weil sie dachten,
dass ihr Tempo so in Ordnung wäre.
Das alles hatte auf meine mentale Gesundheit und die
vieler anderer Schüler*innen sehr negative Auswirkungen.
Ich und viele meiner Freunde haben während dieser Zeit
kaum geschlafen, den Tag nur mit Kaffee oder Energy-
Drinks geschafft oder unter plötzlichen Zitterattacken
gelitten.
Trotzdem mussten wir uns von manchen Lehrern immer
wieder anhören, dass wir zuhause doch sowieso nichts zu
tun hätten und dass wir viel zu viel Freizeit hätten. Dabei
hatten wir nicht einmal Zeit für uns selber. Wir haben
unsere Gesundheit gefährdet, haben darauf vergessen
zu essen, und hatten nicht einmal Zeit, unsere Hobbys
auszuleben. Aber immerhin, es gibt doch ein paar positive
Sachen, die ich erwähnen möchte. Ich habe gelernt,
mich selbst zu organisieren; ich habe gelernt, wie ich
meine Hefte am besten übersichtlich gestalte, sodass ich
später gerne daraus lerne oder wie ich mir am besten
und schnellsten den Unterrichtsstoff ohne viel Aufwand
merke. Vor allem konnte ich meinen Alltag nach Lust
und Laune einteilen. Ich bin trotzdem froh, wenn Corona
Vergangenheit ist, wir es nur mehr aus den Geschichtsbüchern
kennen und ich und meine Freunde unser Taschengeld
für Besseres als Energy-Drinks und Kaffee ausgeben.
Nadin Khalil geht auf das Bernoulli-Gymnasium
© privatw
© privatw
LIEBESKUMMER MACHT EINEN
MENSCHEN KAPUTT
Ich möchte euch eine Geschichte über
Liebe und Leid erzählen. Sie handelt von
meiner besten Freundin, die sich dieses
Jahr zum ersten Mal verliebte – in Filip.
Sie hatte plötzlich keine Zeit mehr, um
auf meine Whatsapp-Nachrichten zu
antworten, und versetzte mich dauernd,
wenn ich mit ihr ganz normal im Park
oder im huma abhängen wollte. Und
wenn sie doch etwas Zeit für mich hatte,
schwärmte sie dauernd von diesem
Jungen. Ich habe es ihr gegönnt. Sie war
glücklich, sie fand es schön und stellte
sich vor, es wird immer so harmonisch
und romantisch ablaufen. Weit gefehlt!
Es fing alles so überraschend wie harmlos
an. Der Filip ihrer Träume meldete
sich plötzlich nicht mehr. Keine Antwort,
kein Lebenszeichen. Meine Freundin
wurde misstrauisch. Sie wurde traurig.
Sie weinte jeden Tag, sie hoffte natürlich
noch immer auf eine Antwort. Sie schrieb
ihm immer und immer wieder. Jeden
Tag. Aber er meldete sich nicht. Mochte
Filip sie einfach nicht mehr? Oder war
er vom 71er überfahren worden und
wartete unter einem Grabstein des Zentralfriedhofs
auf sie? Ich versuchte sie
abzulenken, sie auf andere Gedanken zu
bringen. Wir gingen spazieren, einkaufen,
schauten Serien zusammen.
Die Zeit verging, doch ihre Gefühle
blieben. Sie zeigte sie nur nicht so stark
wie davor. Sie hoffte aber insgeheim
darauf, dass er sich doch noch meldet.
In Anwesenheit unserer Clique sah man
sie wieder öfters lächeln. Sie versuchte,
Hanan Rmeh geht in die MS Infomedia Rzehakgasse
endlich über ihren Herzschmerz hinwegzukommen.
Ihre Schwäche für ihn
wollte sie nicht nach außen tragen. Sie
ist eine starke Person und das sollten
die anderen auch sehen. Er würde zwar
immer einen Platz in ihrem Herzen
haben, aber sie merkte langsam, dass
es weitergehen musste. Obwohl dieser
Junge der schönste Mensch war, den sie
jemals kennengelernt hatte - sie musste
ihn vergessen.
Doch dann platzte die Bombe. Der Grund,
weshalb Filip so plötzlich abgetaucht war,
war in ihrer eigenen Familie zu finden!
Ihr Bruder. Der Bruder war in Filips Clique
und wäre nie und nimmer damit einverstanden
gewesen, dass seine 13jährige
Schwester mit einem Jungen rumläuft.
Filip ging dem Konflikt mit dem Bruder
aus dem Weg. Man verliebt sich nicht in
die Schwester eines Freundes. Das ist
Vertrauensbruch, Digga. Und plötzlich
war er zu meiner Freundin wie ein anderer
Mensch, ignorierte sie, erzählte sogar,
er hätte jetzt eine Freundin, obwohl da
nie eine war. Nur damit meine Freundin
sich von ihm fernhielt.
Jetzt gehen meine Freundin und
ich wieder spazieren, einkaufen und
schauen gemeinsam Serien. Und auch
wenn es Lustigeres als das gibt, will ich
euch sagen: Gebt keine Person auf, die
ihr liebt, denn irgendwann wird diese
Person bereit sein für euch und zu euch
kommen. Und dann solltet auch ihr bereit
sein – oder ihr werdet es bereuen…
Österreichische Post AG; PZ 18Z041372 P; Biber Verlagsgese lschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1070 Wien
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SO EINE“
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„ER SCHLÄGT DICH. DAS
BEDEUTET, ER LIEBT DICH“
Gewalt an Frauen in Österreich: Verharmlost bis zum Tod.
„TINDER IST SO
EIN BULLSHIT!“
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VOM BAGGERN UND SWIPEN IM SOMMER 2021
2021
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KURZ IST WEG,
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Seele verkaufen, noch
wollen wir dir dein letztes
Hemd rauben. Das Beste
an der ganzen Sache ist
nämlich:
DU entscheidest, wie viel
das kosten soll. Mehr auf
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56 / MIT SCHARF /
DIE PARTNER DE R „NEWCOMER“
„In Zeiten des Internets und der
Sozialen Netzwerke ist es wichtig, sich
mit Journalismus und der Qualität von
Nachrichten auseinanderzusetzen.
biber macht Schülerinnen und
Schüler zu Redakteuren.
Das unterstütze ich sehr gerne.“
Heinz Faßmann
Bildungsminister
„Durch die lebensnahe Vermittlung
von Medienkompetenz und
der Möglichkeit sich Gehör zu
verschaffen, wird das Selbstvertrauen
der Schüler:innen gestärkt – damit
ist „Newcomer“ ein besonders
nachhaltiges Projekt.“
Heinrich Himmer
Bildungsdirektor für Wien
„Die biber-Redakteur:innen
engagieren sich im Newcomer-
Projekt, um Jugendlichen aus oft
sozial benachteiligten Familien neue
Perspektiven und Selbstbewusstsein
zu geben. Das ist eine Idee, die die
ÖBB gerne unterstützen.“
Andreas Matthä
Vorstandsvorsitzender
ÖBB-Holding AG
„Wien steht für Vielfalt. SPAR steht für
Vielfalt. biber steht für Vielfalt. Es ist
schön, Partner für ein Jugendprojekt zu
sein, das diese Vielfalt auch abbildet.“
Alois Huber
SPAR-Geschäftsführer
Wenn gerade keine Pandemie herrscht, touren biber-
RedakteurInnen im Rahmen des Projekts „Newcomer“ durch
Wiener Schulen und geben im Jahr rund 100 Jugendlichen
eine Projektwoche lang die Chance, ihre Medienkompetenz
und Persönlichkeit zu stärken und neue (Job-)Perspektiven
zu sehen. Auch in Zeiten von Corona läuft das Projekt weiter
- mittels digitaler Kommunikation. Der biber-Newcomer wird
von Menschen gestaltet, die selbst aus zugewanderten Familien
kommen und daher wissen, mit welchen Schwierigkeiten
die Jugendlichen auf dem Weg ins Arbeitsleben konfrontiert
sind. Wenn wir es geschafft haben, können sie es auch!
„Das Projekt Newcomer vermittelt
die demokratiepolitische
Bedeutung des Journalismus
und fördert durch Text- und
Videoworkshops die Kreativität
der Jugendlichen. LUKOIL ist mit
Freude Partner des Newcomers. “
Robert Gulla
Geschäftsführer
LUKOIL International Holding
BMBWF/Lusser, Martin Lusser, SPAR/Johannes Brunnbauer, Georg Hochmuth, ÖBB Hauswirth
AK/Sebastian Philipp, Thomas Ramstorfer / ORF, Bildungsdirektion Wien/Zinner
Um Österreichs größte Schülerredaktion aufzubauen,
braucht es mehr als nur guten Willen. Es braucht enorm viel
Zeit, Geld und Know-how sowie verlässliche Partner, die das
Projekt begleiten. Wir danken unseren vielen Leserinnen
und Lesern, die unsere Crowdfunding-Kampagne unterstützt
haben, um das Projekt zu finanzieren.
Wir danken zudem folgenden Institutionen und Firmen für
die Unterstützung des „Newcomer“-Projekts: Bundesministerium
für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF),
Bildungsdirektion Wien, ÖBB, Arbeiterkammer, SPAR, LUKOIL
und ORF.
„Guter Journalismus schafft Verständnis:
Indem er Einblicke in das Leben anderer
vermittelt, berührt, verbindet, Probleme
und Lösungen aufzeigt und eine Basis für
die Demokratie und das Zusammenleben
bildet. Es ist super, wenn sich junge
Menschen dafür begeistern.“
Renate Anderl
AK Präsidentin
„Das Projekt ,Newcomer‘ ist für den ORF
besonders spannend. Denn für unsere
Entwicklung von starken klassischen
TV- und Radioprogrammen in Richtung
multimediale, digitale Plattform und
Social Media ist es notwendig, eine neue
Generation von jungen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern mit digitalen Skills ins
Unternehmen zu holen.“
Alexander Wrabetz
ORF-Generaldirektor
58 / NEWCOMER /
/ NEWCOMER / 59
TECHNIK & MOBIL
Alt+F4 und der Tag gehört dir.
Von Adam Bezeczky
WIR MACHEN, WAS
DEINE KOMMUNIKATION
BRAUCHT.
MEINUNG
Folge dem weißen
Kaninchen, Neo
Facebook heißt jetzt Meta und gibt
damit die neue Marschrichtung vor:
auf in die Realität 2.0. Der wahnsinnig
schnell wachsende chinesische
Videogigant TikTok muss jetzt eine
passende Antwort formulieren.
Doch die Gewinner des Wettkampfs
könnten andere sein: kleinere Plattformen,
wie Snap, die seit Jahren
auf Privacy und Augmented Reality
setzten. Denn der Zugang zu Meta
wird hardwareintensiv und damit
teuer: eigene 3D-Brillen, mit denen
man sich in die Meta-Matrix einklinkt.
Was vielleicht im Silicon
Valley an jeder Ecke
rumliegt, wird in weiten
Teilen der Welt schlichtweg
nicht verfügbar
sein – aber Facebook
plant ja günstige VR
Brillen und auch Apple
soll insgeheim daran
schon arbeiten. Jedenfalls
stehen wir - wieder
einmal – an der Schwelle
einer technologischen
und kulturellen Revolution.
bezeczky@dasbiber.at
paprikap0w3r
UNENDLICHES
FLIEGEN
Das Zephyr genannte Ultra-Leichtflugzeug
der Firma Airbus heimst
einen Rekord nach dem anderen
ein. Zuletzt blieb das Flugzeug, das
mit Solarzellen fliegt, 25 Tage ohne
Unterbrechung in der Luft. Wenn
es nach den Ingenieuren geht, ist
sogar ein halbes Jahr möglich. Das
Fluggerät soll als fliegender Router
Internetverbindungen in benachteiligten
Teilen der Welt möglich
machen.
Reparieren als
Lebenskompetenz
Das Netzwerk “Repanet” möchte
mit dem Let’sFIXit-Projekt das
Reparieren von Gegenständen
wieder als Teil der Alltagskultur
und Lebenskompetenz etablieren.
Mit fächerübergreifendem
Unterrichtsmaterial kann so
bereits in der Schule das Thema
Umweltschutz und nachhaltige
Ressourcennutzung konkret
angegangen werden.
Weitere Infos:
https://www.repanet.at/letsfixit/
HOLZBESTECK SCHARF WIE STAHL
Teng Li vom Maryland Energy
Innovation Institute hat in einer
Studie durch ein besonderes Verfahren
den Naturstoff Holz weiterentwickelt.
Das verdichtete Holz
ist 23 Mal so hart wie das Ausgangsmaterial,
kann also geschliffen
werden und zum Beispiel als
Besteck verwendet werden. Auch
könnten aus dem Werkstoff nachhaltige
Nägel hergestellt werden,
die dazu noch rostbeständig sind.
Damit könnte eine günstige, natürliche
Alternative in die Bauwirtschaft
Einzug halten.
© Marko Mestrovic, Christian Otto, Warner Brothers, Freepik.com/vectorpuch
INNOVATIVE MATERIALIEN
VON DER NEUEN OMV.
Handy, Kopfhörer, Kabel – vieles rund um die digitale Welt verlangt nach innovativen Lösungen.
Aus diesem Grund setzt die neue OMV verstärkt auf die Herstellung von Ausgangsmaterialien für
hochwertige Kunststoffe. Diese sind im digitalen Alltag, im Beruf und in der Freizeit unverzichtbar.
So tragen wir mit unseren Innovationen in der neuen OMV zu einem besseren Leben bei.
Mehr dazu: omv.com/neue-omv
60 / TECHNIK /
MEINUNG
Altes und Neues
Spin-offs, Remakes und Reboots, wohin
das Auge reicht. Egal, ob Sex and The
City, Cruella, West Side Story oder Dune
– in den letzten Jahren scheint es lauter
Neuauflagen von alten Kassenschlagern
auf den Kinomarkt zu hageln. Dabei sind
die x-ten Marvel-Blockbuster und Star-
Wars-Seitenfilme zwar sehr erfolgreich
– doch eben nichts Neues. Zur Hilfe eilt
uns Südkorea mit originellen Inhalten
und gewagten cineastischen Stilmitteln.
Die koreanische „New Wave“ ist auf dem
Vormarsch und zeigt, dass dem Publikum
im Westen nicht nur Untertitel, sondern
auch neue Kombinationen von Horror,
Gesellschafts- und Kapitalismuskritik
kombiniert mit einer ordentlichen Portion
Humor zuzumuten sind. Der Riesenerfolg
von Filmen und Serien wie Parasite oder
Squid Game offenbart, dass das weltweite
Publikum endlich bereit ist für neuen
Stoff, auch abseits des US-amerikanischen
Monopols. Squid Game hat dabei
sogar dafür gesorgt, dass auf den Pausenhöfen
wieder ganz „old school“ mit
Murmeln gespielt wird! Wenn das nicht
eine gute Wandlung ist, trotz der Ohrfeigen
hier und da. Zu meiner Zeit gab es
doch auch das „Reingeschaut“-Spiel, das
meiner ganzen Generation blau geboxte
Schultern bescherte. Und wir sind doch
nicht daran zerbrochen, oder?
el-azar@dasbiber.at
KULTURA NEWS
Klappe zu und Vorhang auf!
Von Nada El-Azar
Ausstellungstipp
AUF LINIE.
NS-KUNSTPOLITIK IN WIEN.
Nach dem „Anschluss“ Österreichs im März
1938 erlangte die Reichskammer der Bildenden
Künste (RdBK) die Kontrolle über das Schaffen
von KünstlerInnen in Nazi-Deutschland. Eine
neue Auswertung der Akten von insgesamt
3 000 Mitgliedern der Reichskammer gibt
im Wien-Museum
neue Einblicke in die
Machtstrukturen,
Netzwerke und Abläufe
des NS-Kunstgeschehens.
Politische
Propagandakunst,
Originaldokumente
und Originalobjekte
werden kritisch mit der
Geschichte des eigenen
Hauses verbunden.
Bis 24. April 2022 im
Wien-Museum.
DALÍ
TRIFFT
FREUD.
1938 trifft der
aus Wien geflohene
Sigmund
Freud auf den
Maler Salvador
Dalì. Die umfangreiche
Schau im
Unteren Belvedere
beleuchtet die
Verbindungen zwischen Psychoanalyse und Surrealismus
und den Einfluss der Theorien Freuds auf
das Werk Dalìs. So stehen zwei der bedeutendsten
Strömungen des 20. Jahrhunderts in Form von
über 100 Gemälden, Fotografien, Zeichnungen,
Dokumenten und Briefen im Zentrum der Ausstellung.
Kuratiert von Jaime Brihuega.
Von 28. Jänner bis 29. Mai 2022 in der Orangerie,
Unteres Belvedere.
Film-Tipp:
DER SCHEIN
TRÜGT
Stojan erhält nach
einem Kurzschluss beim
Einschrauben einer
Glühbirne einen Heiligenschein,
mit dem er
kurzerhand zur Attraktion
in seinem serbischen
Heimatdorf wird. Und
das ganz zum Leidwesen
seiner Frau Nada, die
nichts lieber möchte, als
dass der Wirbel um den
angeblichen Heiligen
ein Ende findet. Wiederholtes
Haarewaschen
hilft genauso wenig, wie
den grell leuchtenden
Heiligenschein unter
einer Mütze zu verstecken.
Die letzte Hoffnung:
Stojan muss so
lange sündigen, bis der
Schein endgültig verblasst.
Doch der vormals
unbescholtene Familienvater
findet Gefallen an
seiner neuen, moralischen
Verwerflichkeit.
Eine herrlich schwarze
Komödie von Regisseur
Srdjan Dragojević, mit
Goran Navojeć in der
Hauptrolle.
Ab 17.12.2021 in den
österreichischen Kinos.
© Christoph Liebentritt, Wien Museum, Salvador Dalí, Fundació Dalí / Bildrecht, Wien 2021, Filmladen Filmverleih
© braumüller, Netflix
3 FRAGEN AN…
MENERVA
HAMMAD
Ehemalige biber-Journalistin
und Bestseller-Autorin
Menerva Hammad hat nun ihr
zweites Buch „Vom Muttertier
zum Wunderweib“
heraus gebracht, in dem sie
kein Blatt vor den Mund
nimmt. Die selbst ernannte
„Grumpy-Cat der Mutterschaft“
im Kurzinterview.
Was ist dein Tipp Nummer 1 für alle
frischgebackenen Mütter?
Du wirst deinen Rhythmus schon finden.
Lass dir von Familie/Freunde/Gesellschaft
nicht die Art der Mutterschaft
aufzwingen, die sie für richtig halten. Du
bist die Mama und du bestimmst, was
für dein Kind gut ist. Außerdem steht
das Wohl deines Kindes deinem eige-
WAS KOSTET
EMPOWERMENT?
QAMAR, das muslimische Magazin
für Kultur und Gesellschaft, bringt
viermal im Jahr Reportagen, Essays,
Interviews, Kolumnen, Literatur, Fotografie
und Kunst aus der Perspektive von
Musliminnen und Muslimen im deutschsprachigen
Raum.
Sichern Sie sich ein Jahresabo
(40 Euro inkl. Lieferung, 29 Euro
für Studierende) und unterstützen Sie
die Medienvielfalt.
qamar-magazin.at/shop
nen Wohl nicht im Weg, es sind keine
Gegensätze, sondern sogar eine gesunde
Ergänzung: Geht es dir gut, geht es auch
dem Kind gut. Keine unglückliche Person
kann glückliche Menschen heranziehen.
Es mag auch sein, dass du die Frau,
die du einmal warst, nie mehr wieder
sein wirst, aber dafür wirst du durch die
Mutterschaft aus der Komfortzone raus
gestoßen und erfindest dich komplett
neu, wenn du es zulässt.
Stößt deine offene Art, über das Tabu Sex
zu schreiben, auf Widerstand in der
muslimisch-arabischen Community?
Ich werde von meinen Leser:innen
eigentlich sehr in meinem Tun unterstützt
und auch, wenn mal Kritik - oder
eher ein Angriff - kommt, dann eher von
Rassist:innen oder Harambrudis. Denen
könnte ich es aber sowieso nie recht
machen. Die einen würden mir gerne das
Kopftuch vom Schädel reißen, die anderen
würden es mir viel lieber enger um
den Kopf binden. Es ist interessant, wie
ähnlich die sich sind, obwohl sie doch
gegensätzliche Ideologien vertreten. So
oder so, es ist mir eine Freude, sie aufzuregen,
mit meiner Arbeit Stereotype und
Tabus aufzubrechen.
Wie sieht dein idealer „Menerva-Abend“
ohne Kinder aus?
Was ich an diesen Abenden gerne
mache, variiert. Es kann gutes Essen
mit meinem Mann sein, oder ungestörte
Gespräche mit Freundinnen, ein gutes
Buch in Ruhe lesen, so etwas eben.
Aber viel wichtiger dabei ist, dass das
schlechte Gewissen keinen Platz haben
darf. So einfach das auch klingt, es ist in
der Praxis sehr schwer umzusetzen, weil
wir so sozialisiert werden, dass die Mama
für ihre Kinder immer da sein muss, auch
dann, wenn sie es physisch nicht sein
kann, so darf sie ihre Zeit ohne Kinder
nicht allzu sehr genießen. Nichts daran
ist förderlich, weder für die Mutter und
auch nicht für die Kinder.Bei mir hat es
Jahre gedauert, bis ich meine Zeit für
mich bewusst genossen habe.
Menerva Hammad,
„Vom Muttertier
zum Wunderweib“,
Braumüller Verlag.
18,99 €
62 / KULTURA /
„Ich möchte nicht,
dass Leute die
Straßenseite
wechseln, wenn
sie mich sehen.“
Nina Horowitz trat nach dem Tod der legendären Filmemacherin Elisabeth T. Spira ein
großes Erbe an: Die Datingshow „Liebesg‘schichten und Heiratssachen“ lief im Jahr
1997 erstmals an und beendete soeben die 25. Jubiläumsstaffel. In ihrem Lieblingscafé
Korb erzählt uns die neue „Kupplerin der Nation“, warum quer durch Österreich immer
noch zu wenige MigrantInnen unter den Singles sind. Interview: Nada El-Azar, Fotos: Matthias Nemmert
BIBER: Seit dem Tod von Elizabeth T.
Spira im März 2019 haben Sie erfolgreich
die „Liebesg’schichten und Heiratssachen“
übernommen. Fühlen Sie sich
mit Ihrem neuen Prädikat „Kupplerin der
Nation“ wohl?
NINA HOROWITZ: Ich finde es eigentlich
ein lustiges Prädikat. Ich muss oft
an meine Großmutter denken, die leider
schon lange verstorben ist – die würde
das sicher lustig finden. Natürlich
haben mich schon sehr viele Leute auf
die großen Fußstapfen angesprochen,
in die ich gestiegen bin. Die Toni Spira
hat die Liebesg’schichten 23 Jahre lang
gemacht. Aber die Sendung hat ja auch
nach meiner Übernahme gut funktioniert.
Der Druck ist deshalb abgefallen. Rund
ein Drittel der Singles der vergangenen
Staffel haben sich verliebt – es ist
wunderbar, Menschen, die frisch verliebt
sind, zu interviewen.
Welche der KandidatInnen oder Paare
sind Ihnen besonders im Kopf hängen
geblieben?
Mir bleiben eigentlich alle Singles im Kopf
hängen. Konkret fällt mir gerade Mirko
ein. Er hat mir erzählt, wie er als kleiner
Bub aus dem ehemaligen Jugoslawien
nach Tirol gekommen ist. Das Erste, was
er gesehen hat, waren diese imposanten
Tiroler Berge, und dazu hörte er Blasmusik
vom Frühschoppen irgendwo. Das
sind Biografien, an die ich denken muss,
wenn ich dann etwa Blasmusik höre
(lacht).
Ihr porträtiert Singles aus ganz Österreich,
seid teilweise auch in sehr kleinen,
entlegenen Gemeinden unterwegs. Und
auch altersmäßig ist die Sendung divers.
Doch wo sind die Kandidaten und Kandidatinnen
mit Migrationshintergrund?
In den vergangenen Jahren waren
etwa vier bis fünf Menschen mit Migrationshintergrund
in der Sendung zu
sehen – meiner Meinung nach sind das
zu wenige. Dabei freuen wir uns, wenn
wir Menschen mit ganz individuellen
Geschichten porträtieren können.
Warum bewerben sich Ihrer Meinung
nach nicht so viele Single-MigrantInnen?
Ich bin ja ein Mensch, der alle anquatscht
– beruflich, wie privat (lacht). Letztens
bin ich mit einem Taxifahrer aus Ägypten
gefahren und habe ihn gefragt, ob er
jemanden an seiner Seite hat. Natürlich
schauen alle anfangs ein wenig verdutzt,
wenn ich so eine Frage stelle (lacht),
aber er hat gesagt, dass er Single ist.
Deshalb habe ich ihm vorgeschlagen,
doch bei der Sendung mitzumachen. Er
hat gemeint, dass sein Deutsch nicht
gut genug sei und er sich das nicht
zutraue. All die Gründe, die gegen seine
Teilnahme sprechen, hat er mir dabei
in brillantem Deutsch vorgetragen. Also
stimmt die Selbstwahrnehmung hier, wie
so oft, nicht. Dabei spielen auch ein paar
Grammatikfehler überhaupt keine Rolle –
niemand erwartet von einem Nicht-Muttersprachler
ein perfektes Deutsch! Da
sind einige auch nach so vielen Jahren in
Österreich sehr selbstkritisch. Ich kenne
übrigens eine Frau, die vor fünfundzwanzig
Jahren nach Wien gekommen ist und
mithilfe der „Liebesg‘schichten“ Deutsch
gelernt hat. Deshalb verpasst sie bis jetzt
keine Folge. Das finde ich eine sehr nette
Geschichte.
Also scheitert es an der Sprache?
Nein, nicht unbedingt. Mir hat ein junger
Mann aus der Türkei erzählt, dass er
doch nicht blöd sei und vor allen zugeben
würde, dass er keine Frau kriegt.
Dabei machen das alle unsere Singles!
Sie geben zu, dass sie jemanden finden
möchten. Ich hab‘ ihm gesagt, dass er
sich einen Ruck geben soll. Also, wenn
er dieses Interview hier liest: Bewerben
Sie sich! (lacht)
Warum liegen euch
Singles mit Migrationshintergrund
so sehr am
Herzen?
Es ist für uns wichtig,
Österreich so darzustellen,
wie es wirklich ist.
Und deswegen würde ich
mich wahnsinnig über
mehr Bewerbungen von
Menschen freuen, die
etwas andere Biografien
haben. Das ist einfach zeitgemäß. Wenn
jemand nicht weiß, ob sein Deutsch
gut genug ist, kann man es ja trotzdem
mit der Bewerbung probieren. Es ist ja
nicht so, als ob dass man bei uns anruft
und am nächsten Tag steht schon das
ORF-Kamerateam vor der Tür! Nach
der Bewerbung per Mail oder Anruf
Auf der Suche
nach dem
Liebesglück?
Alle Singles ab
18 Jahren aufgepasst:
Bewerbt euch unter
liebesgschichten@orf.at
oder ruft an unter
0800 4430 140!
melden sich unsere Redakteurinnen
Beatrice Rössler und Stefanie Speiser
für ein Vorgespräch. Und ich telefoniere
auch nochmals mit allen Kandidatinnen
und Kandidaten, bevor wir zum Filmen
kommen. Wir kommen nur zu dritt in die
Wohnung, sind also auch ein sehr kleines
Team.
Elizabeth T. Spira hat mit ihren Reportagen
das Bild der Gesellschaft in Österreich
nachhaltig geprägt – für einige
Geschmäcker ging sie auch manchmal
zu weit mit der Direktheit. Wie gehen Sie
mit diesem Erbe um?
Für viele in meiner Generation war Toni
Spira mit ihrer Arbeit ein großes Vorbild –
ich werde ihre Arbeit hier nicht bewerten.
Mein Credo ist: Ich möchte nach
einer Geschichte nicht in die Situation
kommen, dass Leute die
Straßenseite wechseln,
wenn sie mich sehen.
Alle ProtagonistInnen
können sich so authentisch
präsentieren, wie
sie sind. Niemand muss
also herumtanzen oder
Skateboard fahren,
wenn das nicht zur
Person passt. Natürlich
interessiert mich,
wie sich jemand aus
Rumänien in Österreich eingelebt hat,
weil die eigene Biografie ja auch prägend
ist. Und wenn jemand nicht großartig
über seine Migrationsgeschichte reden
will, ist das kein Problem - bei den
„Liebesg’schichten“ wird man bestimmt
nicht darauf reduziert.
64 / KULTURA /
/ KULTURA / 65
KOLUMNE
„I‘M A BLACK MAN IN A WHITE WORLD“
Ihr dürft mir gratulieren. Ich wurde an der
Uni aufgenommen und darf nach acht
Jahren wieder studieren. Diesmal nicht
mehr Literaturwissenschaft, sondern Psychotherapie.
Dieser Schritt bedeutet mir
angesichts meiner Biografie viel. Nicht nur
weil ich 2014 aus meinem Studium rausgerissen
wurde, da ich zum Militär musste,
sondern auch, weil ich der Einzige meiner
Familie bin, der an der Uni studiert. Ich
muss aber ehrlich sagen, ich war nie ein
fleißiger Student. Ich habe damals mehr
Begeisterung für meine Arbeit im sozialen
Bereich als für mein Studium an dem
Tag gelegt. Auch als Kind hasste ich die
Schule und sie mich auch. Jeden Tag in
der Früh dachte ich mir Ausreden aus, warum ich nicht
in die Schule könnte. Oft täuschte ich vor, krank zu sein,
oder habe so getan, als würde ich in die Schule gehen.
Währenddessen versteckte ich mich aber bis zum Schulschluss
um dreizehn Uhr im Keller. Vermutlich waren die
vielen Schläge, die mir bei Fehlverhalten mit dem Holzstück
auf die Hände und anderswo gedroschen wurden,
ein Grund dafür. Oder etwas anderes. Alle Lehrer:innen
waren davon überzeugt, dass ich einfach ein fauler und
dummer Schüler war, und ich hatte ebenfalls dasselbe
Bild von mir. Noch dazu stotterte ich viel. Ich saß auf der
letzten Schulbank, der Bank der Faulen, und war in meine
Fantasiewelt versunken. Am Anfang dachte ich mir
Geschichten aus, in denen ich Astronaut und auf langen
Reisen war, um weite Galaxien zu entdecken. Oder ich
fantasierte, dass ich ein Ritter in den vorislamischen
Zeiten war und für Arme kämpfte. Später begann ich
diese Geschichten zu schreiben und habe meinen Bruder
stundenlang gezwungen, mit mir die Geschichte zu
schauspielern. Mit sechzehn entdeckte ich meine Vorliebe
zum Dichten und zur Poesie. Ich schrieb Liebesgedichte
an eine fiktive Frau, in die ich verliebt war. Einmal
erwischte mich der Mathematiklehrer beim Gedichteschreiben,
schwenkte das Papier hoch in der Luft und
Jad Turjman
ist Comedian, Buch-
Autor und Flüchtling aus
Syrien. In seiner Kolumne
schreibt er über sein
Leben in Österreich.
lachte mich vor allen Mitschülern aus.
„Haha, bist du jetzt Mahmud Darwish?“,
und seitdem nannte er mich verächtlich
Mahmud Darwish. (Das ist ein bekannter
Dichter im arabischen Raum.)
In Österreich fand ich glücklicherweise
meinen Weg in die Schule zurück. Ich
darf Workshops zu den Themen Flucht
und Zusammenleben sowie Schreibwerkstätten
leiten.
AUSSERIRDISCHER AN DER UNI
Nicht nur in die Schule bin ich zurückgekehrt,
sondern, wie schon erwähnt, auch
an die Uni. Ich muss aber sagen, dass
meine Freude ziemlich schnell geschwunden
ist. Ich fühle mich wie ein Außerirdischer an der
Uni. Die Unistrukturen, die Abläufe der Seminare und
der Prüfungen, die Abkürzungen der Begriffe und der
Kommunikationscode sind mir völlig fremd. Für meine
autochthonen Kolleg:innen wirkt dies alles offenbar
selbstverständlich. Und es liegt nicht an meiner Sprache.
Ich kann mittlerweile Deutsch unterrichten. Vielleicht
liegt es ja auch an den Lehrenden. Menschen mit
einem ähnlichen Hintergrund wie dem meinen kannst
du lange suchen, sie sind in keiner Weise repräsentiert.
Alle Referent:innen, Verantwortlichen und Bezugspersonen
sind bis jetzt weiße Personen. Der Lehrinhalt, die
Fallbeispiele und die Schwerpunkte sind von weißen
Menschen erstellt und an weiße Menschen gerichtet.
Ich habe ständig das Gefühl, nicht hierher zu gehören
und hege dauernd große Zweifel, es nicht zu schaffen.
Während ich an der Uni bin, läuft in meinem Kopf
ständig das Lied von Michael Kiwanuka „I‘m a black man
in a white world“. Es ist natürlich deprimierend, aber es
ist mir klar, wie wichtig es ist, weiterzumachen und das
Angebot für Psychotherapie vielfältiger zu machen, um
irgendwann jenen Menschen mit Migrationshintergrund
ein Helfender sein zu können, bei dem sie sich nicht
fremd fühlen.
19.–24.12.
im Hitradio Ö3
120 Stunden live dabei!
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turjman@dasbiber.at
Robert Herbe
66 / MIT SCHARF /