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Österreichische Post AG; PZ 18Z041372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1070 Wien
www.dasbiber.at
MIT SCHARF
+
IRANISCHE
REVOLUTION IN WIEN
+
HÄUPL IN ZAHLEN
+
LIEBE ZU DRITT
+
OKTOBER
2022
WIR FAHREN NICHT
MEHR RUNTER
WENN DAS HEIMATDORF DER ELTERN AUSSTIRBT
MITEINANDER
EINE GUTE ZEIT
HABEN.
SICHER!
ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG DES BMSGPK
Für ein gesundes Miteinander: Lassen Sie sich impfen!
Sie brauchen drei Impfungen für einen guten, langanhaltenden Schutz gegen eine
schwere COVID-19-Erkrankung sowie Long-COVID, auch wenn Sie genesen sind.
In regelmäßigen Abständen ist dann eine Auffrischungsimpfung empfohlen, besonders
für ältere Menschen und Risikopersonen. Holen Sie sich daher rechtzeitig
Ihre COVID-19-Schutzimpfung. Informationen erhalten Sie bei Ihrer Ärztin,
Ihrem Arzt, in Ihrer Apotheke und auf gemeinsamgeimpft.at
3
minuten
mit
Gökçe
Küçükarslan
Eine junge Frau und ihr riesiges
Instrument: Wann immer
Gökçe Küçükarslan und ihr
Kontrabass unterwegs sind, ist
das ein Hingucker. Wie viel Zeit
die 22-jährige Orchestermusikerin
mit dem Üben verbringt,
und warum sie Musikszenen im
Film manchmal hasst, erfahrt
ihr im Interview.
Interview: Nada El-Azar-Chekh
Foto: Zoe Opratko
BIBER: Seit einem Monat lebst du in
Wien und spielst Kontrabass im ORF-
Radiosymphonieorchester. Wie gefällt
es dir hier?
GÖKÇE KÜÇÜKARSLAN: Ich war zum
ersten Mal mit 16 Jahren in Wien, auf
Urlaub. Seit drei Jahren spiele ich im
Orchester und war schon für Konzerttouren
in vielen europäischen Städten
wie Prag und Berlin. Meine Heimatstadt
Istanbul ist natürlich auch wunderschön
und sehr magisch. Für mich als
klassische Musikerin ist Wien aber die
ideale Stadt, nicht nur wegen der wunderschönen
Architektur, sondern auch
wegen der reichen Musikgeschichte.
Nirgendwo sonst fühle ich mich besser
aufgehoben als hier, im Zentrum der
Klassik. Aber mir fällt es noch schwer,
mich zu orientieren - und ich muss
noch viel Deutsch lernen! Dafür nutze
ich die nächsten drei Jahre.
Wie hast du deine Leidenschaft für den
Kontrabass entdeckt?
Bevor ich Kontrabass lernte, spielte ich
Klavier und Gitarre. Meine Musiklehrer
haben mich aufgrund meiner Körpergröße
darauf angesprochen, ob ich es
nicht mit dem Kontrabass probieren
möchte. Davor hatte ich nie über dieses
Instrument nachgedacht, aber als
ich einen Kontrabass zum ersten Mal
hielt, war ich von der Größe und dem
Klang so beeindruckt, dass ich unbedingt
weiterspielen wollte. Es gibt viele
Concertos, Sonaten und Solos für den
Bass, die wunderschön sind. In meiner
Familie bin ich die einzige Musikerin
und meine Eltern waren zunächst
skeptisch, weil es eben kein typisches
Instrument wie die Geige oder Klavier
ist. Aber mittlerweile sind auch sie sehr
froh, dass ich dabei geblieben bin.
Wie viel Zeit verbringst du mit dem
Üben?
An Tagen, wo ich keine Proben mit dem
Orchester habe, übe ich etwa vier bis
fünf Stunden.
Gerätst du mit dem Bass in ungewöhnliche
Situationen?
Wenn ich in der Öffentlichkeit meinen
Kontrabass trage, wollen mir Menschen
ständig damit helfen! (lacht) Im Februar
musste ich für ein Vorspiel nach Wien
reisen und ich nahm aus Istanbul
meinen eigenen Kontrabass in einem
riesigen Koffer mit – das wog insgesamt
15 Kilo und das geht auf Dauer schon
ziemlich auf den Rücken. Ansonsten
reagieren Leute immer sehr interessiert
und fragen Dinge wie: Ist das nicht eine
große Violine?
Welches Verhalten kannst du als Profi-
Musikerin nicht ablegen?
Wann immer ich einen Film oder eine
Serie sehe, in denen ein Instrument
gespielt wird, achte ich sofort darauf,
ob es echt oder fake ist. Vor allem bei
der Violine ist es manchmal nervtötend
zu sehen, wie die Hände nicht zu den
Klängen passen!
Wer ist sie? Gökçe Küçükarslan
Alter: 22 Jahre
Fun Fact: Hat eine extrem kleine Handschrift,
die gut auf Notenblätter passt.
/ 3 MINUTEN / 3
3 3 MINUTEN MIT
GÖKÇE KÜÇÜKARSLAN
Die türkische Ausnahmekontrabassistin im
Schnellinterview.
8 IVANAS WELT
Mit Lifecoaching-Videos das innere Trauma
heilen? Läuft, sagt Kolumnistin Ivana Cucujkić.
POLITIKA
10 KEIN PROTEST,
SONDERN REVOLUTION
Drei geflüchtete Iranerinnen über ihre
Hoffnungen und Träume inmitten der Proteste.
14 „HERR HÄUPL, WIE VIELE
SPRITZER TRINKEN SIE PRO
WOCHE?“
Biber fragt in Worten, Ex-Bürgermeister Wiens
Michael Häupl antwortet mit einer Zahl.
16 STURZ PUTINS DURCH DAS
EIGENE VOLK?
Politikwissenschafter Basil Kerki über die
brennenden Fragen im Ukrainekrieg.
20 VIDEOREPORTAGE AUS
TRAISKIRCHEN
Ein Lokalaugenschein aus dem
überfüllten Flüchtlingsheim.
22 BALKAN NEWS
Kolumnist Dennis Miskić über Neues
von der Balkanroute.
14
„HERR HÄUPL, WIE VIELE
GESCHLECHTER KENNEN SIE?“
Ex-Bürgermeister von Wien Michael Häupl
im Interview in Zahlen.
10
WOFÜR WIR
KÄMPFEN
Drei geflüchtete
Iranerinnen teilen ihre
Erfahrungen aus der
Diktatur in ihrem Land.
IN
RAMBAZAMBA
24 WIR FAHREN NICHT RUNTER
Wie der „Urlaub unten“ langsam der
Vergangenheit angehört.
30 YALLAH UMWELTSCHUTZ
Wie man ohne schlechtes Gewissen
aktivistisch für das Klima werden kann
34 LIEBE ZU DRITT – UND MEHR
Polyamouröse Menschen über ihre
Beziehungen.
24
HEIMAT ADÉ
Erleben die Balkan-
Kids von morgen
noch Sommer wie
früher?
HALT OKTOBER
2022
34
MONOGAMIE
IST NICHT
FÜR ALLE
Wie polyamouröse
Menschen lieben.
LIFE&STYLE
42 DAS ERSCHÖPFTE ICH
Gönn‘ dir mal eine Auszeit, sagt Kolumnistin
Şeyda Gün.
KARRIERE&KOHLE
48 JOB UND
SELBSTWERTGEFÜHL
Warum dein Selbstwertgefühl nicht von deinem
Job abhängen sollte.
50 ÜBER GELD SPRICHT
MAN NICHT
Emilija Ilić über ein Tabu, das keines sein sollte.
TECHNIK
52 WINTER IS COMING
Adam Bezeczky weiß, dass wir uns warm
anziehen werden müssen.
OUT OF AUT
54 TITOS DINOS
Aleksandra Tulej auf Entdeckungstour im
kroatischen Brijuni.
KULTURA
56 SPAGHETTI-WESTERN
AUF JAPANISCH
Aktuelle Kulturtipps präsentiert
Nada El-Azar-Chekh.
© Zoe Opratko, Lisa Leutner, Cover: © Zoe Opratko
60 ESMERALDA IN WIEN
Musicaldarstellerin Abla Alaoui über ihre
Hauptrolle in „Der Glöckner von Notre Dame“
Liebe Leser:innen,
„Das ist kein Protest mehr, das ist eine Revolution.“ Jina Mahsa
Aminis gewaltsame Ermordung durch das iranische Regime hat
einen Widerstand ausgelöst, den das Land noch nicht gesehen
hat: Angeführt vor allem von der GenZ stemmen sich Iraner:innen
landesweit gegen das System. Der Widerstand reicht bis nach
Österreich. Drei Frauen, die vor den Repressalien aus dem Iran
geflohen sind, haben mit unserer iranisch-stämmigen Redakteurin
Sara Mohammadi in Wien gesprochen. S. 10
„
Das Gefühl von Zuhause, das
so viele von uns mit der „alten
Heimat“ verbinden, schwindet
mit unserer Generation dahin.
Ich lege euch die Story auf
S. 24 „Wir fahren nicht mehr
runter“ ans Herz – traurig,
nostalgisch, aber ehrlich - und
trifft (m)einen Nerv.
“
Aleksandra Tulej,
Chefredakteurin
Die politische Lage ist nicht nur im Iran angespannt. Wie lange wird
der Krieg in der Ukraine dauern? Wie wahrscheinlich ist ein Sturz
von Präsident Putin durch das eigene Volk? Droht uns wirklich
ein dritter Weltkrieg? „Putin betreibt ein zynisches Spiel mit dem
Völkerrecht“, erklärt Basil Kerski, Politologe und Direktor des
Europäischen Solidarność Zentrums in Danzig. S. 16
Einen dritten Weltkrieg sieht zumindest er auf keinen Fall kommen:
Altbürgermeister Michael Häupl schätzt dessen Wahrscheinlichkeit
auf 1 %. Außerdem verrät er uns im „Interview in Zahlen“ noch, wie
oft er am Tag beim Sprechen gendert, wie viele Spritzer er in der
Woche trinkt und wie oft er Putin persönlich getroffen hat. S. 14
Doch auch abseits der politischen Lage auf der Welt beschäftigt
die Redaktion und sicherlich auch viele unserer Leser:innen eine
Frage: Was passiert eigentlich, wenn wir die letzte Generation sind,
die „runter fährt?“ Von klein auf waren wir die Sommer im Haus
der Großeltern „unten“ gewohnt, die Wassermelonenverkäufer, die
Security-Omas, die alles im Blick haben und vor allem aber, das
Gefühl von Heimat. Langsam sterben aber immer mehr Großeltern,
Häuser werden verkauft und die Diaspora fährt nicht mehr „runter“.
Das hinterlässt eine nostalgische Leere – dem Gefühl ist Maria
Lovrić-Anušić in der Coverstory ab S. 24 nachgegangen.
Viel Freude beim Lesen,
eure biber-Redaktion
© Zoe Opratko
6 / MIT SCHARF /
IMPRESSUM
MEDIENINHABER:
Biber Verlagsgesellschaft mbH, Quartier 21,
Museumsplatz 1, E-1.4, 1070 Wien
HERAUSGEBER:INNEN:
Delna Antia-Tatić und Simon Kravagna
CHEFREDAKTEURIN:
Aleksandra Tulej
STV. CHEFREDAKTEUR:
Amar Rajković
KULTUR:
Nada El-Azar-Chekh
FOTOCHEFIN:
Zoe Opratko
ART DIRECTOR: Dieter Auracher
KOLUMNIST/IN:
Ivana Cucujkić-Panić, Dennis Miskić
LEKTORAT: Florian Haderer
REDAKTION & FOTOGRAFIE:
Adam Bezeczky, Nada El-Azar-Chekh, Maria Lovrić-Anušić, Šemsa
Salioski, Emilija Ilić, Dennis Miskić, Sara Mohammadi, Celina Dinhopl,
Zoe Opratko, Lisa Leutner, Matthias Nemmert
VERLAGSLEITUNG :
Aida Durić
MARKETING & ABO:
Şeyda Gün
REDAKTIONSHUND:
Casper
BUSINESS DEVELOPMENT:
Andreas Wiesmüller
GESCHÄFTSFÜHRUNG:
Wilfried Wiesinger
KONTAKT: biber Verlagsgesellschaft mbH Quartier 21, Museumsplatz 1, E-1.4,
1070 Wien
Tel: +43/1/ 9577528 redaktion@dasbiber.at marketing@dasbiber.
at abo@dasbiber.at
WEBSITE: www.dasbiber.at
HEUTE SCHON
GESHAKED?
ÖAK GEPRÜFT laut Bericht über die Jahresprüfung im
1. HJ 2022:
Druckauflage 85.000 Stück
Verbreitete Auflage 80.701 Stück
Die Offenlegung gemäß §25 MedG ist unter www.dasbiber.at/impressum
abrufbar.
DRUCK: Mediaprint
Gut gemacht!
Denn Tanzen macht
glücklich.
Schon zwanzig Minuten Tanzen
entspannt den Geist und du tust deinem
Körper etwas Gutes.
Erklärung zu gendergerechter Sprache:
In welcher Form bei den Texten gegendert wird, entscheiden die jeweiligen
Autoren und Autorinnen selbst: Somit bleibt die Authentizität der Texte
erhalten – wie immer „mit scharf“.
Mehr Bewegungstipps
auf wig.or.at
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In Ivanas WELT berichtet die biber-Redakteurin
Ivana Cucujkić über ihr daily life.
IVANAS WELT
Foto: Igor Minić
TRAUMA HEALING À LA BALKAN
A vino per day keeps your feelings away.
Jedem sein kleines Suchtverhalten. Die Schokolade,
die Sitcom, die Tschik danach. Ich bin ein Life
Coaching Junkie geworden. Die kurzen Videos in
meinem Feed, in denen Expert:innen locker und
verständlich die Wirren meines Innenlebens erklären,
sind meine Sucht. Jeden Tag 60 Sekunden,
in denen ich lerne: Ok, ich bin nicht die mieseste
Mutter auf der Welt. Das könnte mit meiner Kindheit
zu tun haben. Anderen geht es auch so. Dieser
Absturz war also eine ganz „normale“ Reaktion. Ich
muss mich dafür nicht schuldig fühlen. Kurz: Ich bin
nicht verrückt. Life changing! Grundsätzlich lebte
und lebe ich nämlich mit dem Glaubenssatz: Ich
habe von meiner Geburt an für ewig, für alle um
mich herum und für mich die Heldin des Universums
zu sein, ohne Schmerz und Schwäche.
JUGO SO: IS KEIN TRAUMA,
NUR KREUZSCHMERZEN
Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung. Jugos
finden sich da im Topranking, wenn es um Selbstreflexion
und emotionale Stabilität geht. Wenn wir
Magengeschwüre, etwas mit dem Rücken oder Migräne
haben, gehen wir zum Hausarzt und hauen
uns einen Tablettencocktail rein. Aber ganz bestimmt
hat das alles nichts mit einem Generationstrauma,
der Kindheit oder unreifen Eltern zu tun,
dass wir heute zu people pleasern mit Helfersyndrom
samt knackigem Alkoholproblem geworden
sind.
Weshalb sollten wir uns auch beschweren? Wir
sollten lieber dankbar sein. Unsere Balkanmama
‚hat das auch alles ausgehalten‘. Kad je majka
mogla. Wenn the goddess of your life der Schwäche
keine Gnade zeigt und du als Balkankind mit
toxischen Sätzen wie „Weine nicht, es ist nichts“,
„Dir tut nichts weh, komm steh auf“ aufwächst,
kann nur ein ausgeglichener Erwachsener aus dir
werden.
LET’S DRINK RAKIJA AND
HEAL YOUR INNER CHILD
Na, und wenn der Frust dann doch zu arg gegen
die Brust presst, gehen wir feiern. Held:innen reden
nicht über ihre Probleme. Sie besingen und spülen
sie mit Vino runter.
In einer Kultur, in der gleich viel Tränen wie Alkohol
fließen, bietet eine Feierlichkeit den einzigen
geschützten Raum, wo Jugos ihrem seelischen Zustand
ein Ventil verschaffen können. Das bekannte
Sprichwort „udri brigu na veselje“ ist das Mantra,
in dem wir unser Leben meistern. Heißt so viel wie
„Sorgen, was für Sorgen. Party!“ und bedeutet: Das
Beste, was du jetzt tun kannst, ist, die Augen vor
der Realität zu verschließen. Mein Leben geht grad
ein bisschen den Bach runter, aber jetzt muss ich
mal ein Hemd für Edos Hochzeit am Wochenende
kaufen.
In Balkan we don’t say: “Mir geht es nicht gut. Ich
hol‘ mir Hilfe und das ist völlig ok.“ We say: „Majstore!
Ajde, sing mir ‚majko moja, warum hat sie
mich verlassen!‘“
Sich gegensätzlich zu seinem psychischen Zustand
zu verhalten, lernen wir Balkankids mit den ersten
Schritten. Ob das auf eine toxische Kultur deuten
könnte? Üff. Höchstens, wenn der Vino kippt. ●
cucujkic@dasbiber.at, Instagram: @ivanaswelt
8 / MIT SCHARF /
NEMA PROBLEMA
TELENOVELA
Ende Oktober findet wieder der Equal Pay Day statt. Tochter
Jelena hat von ihrem Arbeitskollegen erfahren, dass er für
die gleiche Arbeit und gleiche Position einfach € 500 mehr
pro Monat bekommt als sie. Voller Ärger möchte Jelena
sofort ein Gespräch mit ihrem Chef, aber hat Zweifel.
Was, wenn sie nicht gut „verhandeln“ kann?
BEZAHLTE ANZEIGE
NEUES AUS DEM LEBEN
DER FAMILIE PRAVDOVIĆ
Kannst du
das glauben? Deniz
bekommt einfach € 500
mehr Gehalt als
ich??
Unglaublich oder?
Ich muss morgen
gleich mit meinem
Chef sprechen...
Staaa??
Oh Boze dragi.
Das gibt es ja
nicht!
Aber, was willst
du da sagen? Du kannst
ja nicht einfach sagen,
dass du so viel Gehalt wie
Deniz willst?
Ey, ruf einfach
bei der AK an. Die hat
sicher Killerargumente
für sowas. Tipp ein:
01 501 65 1201
Fotos: Zoe Opratko
Jelena ruft bei der
AK Arbeitsrechtsberatung
an und
erfährt: Chefs sind
verantwortlich,
dass das Gleichbehandlungsgesetz
eingehalten wird
und müssen Frauen
und Männern für
die gleiche oder
gleichwertige Arbeit
den gleichen Lohn
zahlen. Die Einkommensberichte
dürfen im Betrieb
kein Geheimnis sein,
über den eigenen
Lohn und das eigene
Gehalt dürfen
Mitarbeiter trotz
Verschwiegenheitsklausel
im Arbeitsvertrag
reden, wenn
es darum geht, einen
solchen Gesetzesbruch
aufzudecken.
Na da kann
sich dein Chef
auf was gefasst
machen!
Ich schwöre,
die AK ist einfach
die BESTE!!!
TIPP Arbeiterkammer:
Wende dich an die Arbeiterkammer
oder deine Gewerkschaft
bevor du rechtliche
Schritte einleitest. Wir beraten
und unterstützen dich!
IRAN
DAS IST KEIN
PROTEST,
DAS IST EINE
REVOLUTION
In der Öffentlichkeit singen und tanzen? Oder einfach
anziehen können, was man will? Die Protestierenden im Iran
setzen alles aufs Spiel im Kampf für die Freiheit und ein Ende
der Islamischen Republik. Drei Frauen berichten, warum sie
aus der Diktatur flüchten mussten, und wovon sie träumen.
Von Sara Mohammadi, Fotos: Lisa Leutner
10 / POLITIKA /
Sherys Probleme mit
der iranischen Justiz
begannen, als
sie einen Vertrag bei einem
Record-Label unterschrieb:
„Sie fingen plötzlich an, mich
und andere Musiker:innen
zu verfolgen, nacheinander
wurden wir inhaftiert. Auch
ich bekam eine Vorladung, zur
Polizeistation zu erscheinen,
und zog daraufhin drei Monate
lang von einer iranischen Stadt
zur nächsten, immer auf der
Hut. Ich kam mir wie eine
Schwerverbrecherin vor. Dabei
habe ich einfach Popmusik
gemacht”, erinnert sie sich.
Shery M ist eine Sängerin und
Songwriterin aus Tehran, der
Hauptstadt des Iran. 2016 ist
sie vor dem dortigen Regime
geflohen. „Das war damals
eine schwierige Zeit für mich.
Doch irgendwann wurde meine
Bekanntheit zu einem Problem.
Ich hätte ins Gefängnis gehen
müssen”, erzählt sie. Frauen ist
das Singen in der Öffentlichkeit
verboten, Musik - vor allem
politische - wird stark zensiert.
Zuletzt wurde der iranische Sänger Shervin Hajipour festgenommen,
nachdem sein politisches Protestlied “Baraye”
(Farsi: für, wegen) auf Instagram viral ging.
GENERATION Z ALS FÜHRENDE KRAFT
Shery steht in engem Kontakt mit den Menschen im Iran,
viele schicken ihr Fotos und Videos von den Protesten
zu, bei der vor allem junge Menschen eine wichtige Rolle
spielen: „Das Besondere an diesen Protesten ist, dass sie
auch von vielen Leuten der “neuen” Generation getragen
werden. Ihr würdet die, die Proteste anführen, GenZ nennen.
Sie sehen gerade sehr schlimme und schreckliche Szenen
auf den Straßen“, so Shery. „Es kämpft keiner wegen Hunger
oder Armut, es geht auch nicht einmal mehr nur um das
Kopftuch. Es geht um die großen Wünsche und Hoffnungen.”
Da im Iran keine freie Presse herrscht und kritische
Journalist:innen festgenommen werden, übernehmen viele
POPSTAR UND FLÜCHTLING:
SHAHRZAD MOHAMMADI
AKA SHERY M (30)
Menschen vor Ort die Rolle
von Berichterstatter:innen. Die
Fotos und Videos werden oft
von berühmten Iraner:innen
mit einer großen Followerschaft
im Ausland weiterverbreitet.
„Menschen schreiben
mir: Bitte seid unsere Stimme
und verbreite im Ausland, was
hier geschieht!”
Shery zufolge seien diese
Proteste auch außergewöhnlich,
weil sie über bisherige
gesellschaftliche Grenzen hinweg
Verbindungen und Einigkeit
schaffen. Beispielsweise
kursieren Bilder von Frauen mit
Hijab, die Seite an Seite mit
Frauen ohne Hijab protestieren.
„Der Kern dieser Proteste
ist Zusammenhalt und Solidarität.
Und das Streben nach Freiheit”,
erklärt die 30-Jährige. In
Sherys Fall war es das Verbot,
als Frau öffentlich singen zu
dürfen, und wenn sie doch
einmal auftrat, dann unter
strengen Auflagen: „Als Teenager
habe ich als Solistin bei
einer Operngruppe gesungen.
Doch ich durfte nie vorne auf
der Bühne als Solistin stehen, da ich eine Frau war. Dieses
Verstecktwerden hat sich durch meine ganze Musikkarriere
gezogen. In vielen Musikvideos war ich nicht zu sehen, ich
habe mich von Shahrzad Mohammadi zu ‚Shery M‘ umbenannt,
damit man mich nicht an meinem Namen erkennt.
Ich habe mir viele Chancen entgehen lassen, nur damit ich
im Iran bleiben darf. Ich habe mich angepasst, um in diesem
System leben zu können.” Menschen im Iran, die sich nicht
regelkonform verhalten, müssen sich zwangsweise an die
Gegebenheiten des Regimes anpassen, ansonsten drohen
Gefängnis oder der Tod. Shery konnte noch rechtzeitig fliehen.
„Diesen Zwang zur Anpassung kennen, glaube ich, die
meisten Menschen aus dem Iran. Aber sie machen das nicht
mehr mit. Sie wollen ihre Freiheit und in Freiheit leben.”
Shery M hat vor kurzem ein neues politisches Lied
namens „Vaghte Ghiam“ in Solidarität mit den Menschen im
Iran herausgebracht.
/ POLITIKA / 11
Ich wünsche mir, eines
Tages in Teheran am
Azadi-Platz (Azadi bedeutet
Freiheit auf Farsi) zu sitzen
und dabei anziehen zu können,
was ich will, zu singen,
wenn ich will, und zu trinken,
was ich will“, schwärmt
Mahsa Abdolzadeh. Mahsa
ist alleinerziehende Mutter,
Autorin, Unternehmerin und
außerdem als Mandatarin und
Bezirksrätin bei den Grünen
in Wien-Döbling tätig. Mit nur
18 Jahren ist sie aus dem Iran
geflohen. Auch bei ihr spielte
ihre Weigerung, regelkonform
zu leben, eine große Rolle:
„Ich habe mich nicht in das
System integrieren können,
habe meinen Mund nicht
halten können. Mein Leben im
Iran war wie zwischen zwei
Fronten: Meine Familie kam
aus dem linken Spektrum und
meine schulische Erziehung
erfolgte in einer sehr religiösen
Privatschule. Ich bin damit aufgewachsen,
dass mir eingetrichtert
wurde, dass ich nichts,
was zuhause gesprochen wird,
in der Schule weitererzählen darf.“ Als Jugendliche schrieb
Mahsa gemeinsam mit Freund:innen für eine regimekritische
Zeitschrift. Diese wurde jedoch verboten, viele ihrer
Kolleg:innen wurden verhaftet. Sie wusste, dass ihr Ähnliches
drohen würde. Da sie zu dieser Zeit gerade ihre Mutter,
die in zweiter Ehe einen Österreicher geheiratet hatte,
besuchte, stellte sie in Wien einen Antrag auf Asyl. „Das war
sehr schwierig für mich. Ich wusste, dass meine Freundinnen
leiden mussten, während ich in Sicherheit war“, erzählt sie.
ZWISCHEN ZWEI WELTEN:
MAHSA ABDOLZADEH (38)
ZUSAMMENHALT ALS WAFFE
Heute verfolgt Mahsa, die schon viele Proteste miterlebt
hat, gebannt die Bewegung im Iran und hegt große Hoffnungen
auf Veränderung. „Ich verfolge die Proteste mit einem
weinenden und einem lachenden Auge. Einerseits sterben so
viele Menschen auf der Straße, andererseits bin ich optimistisch,
dass diesmal die Menschen nicht umsonst sterben und
es einen Systemwechsel geben wird. Es geht nicht nur um
die Haare, es geht um ein anderes System. Das wird erst mit
diesen Protesten ganz klar gefordert.“ Laut der Menschenrechtsorganisation
„Human
Rights Iran“ wurden im Zuge
dieser Proteste bisher mindestens
215 Menschen getötet,
23 davon waren Kinder. Zudem
kommen Tausende von Verhaftungen,
zuletzt vermehrt
an Schulen und Universitäten,
an denen Schüler:innen
und Student:innen gegen das
Regime protestieren. Dabei
macht die islamische Republik
nicht davor halt, auch Kinder
zu verhaften. Die Verbrechen
der Regierung gegen die
eigene Bevölkerung bringen
aber auch den starken Zusammenhalt
der Gesellschaft zum
Vorschein. Beispielsweise fuhren
während der Einkesselung
von Student:innen der Sharif-
Universität in Teheran, die zu
massenhaften Inhaftierungen
und Tötungen führte, viele
Menschen mit ihren Autos zur
Universität, um den Studierenden
zu helfen. Auch als das
berüchtigte Evin-Gefängnis in
Tehran brannte (es gibt Vermutungen,
dass die Regierung
dahinter steckt), protestierten
die Menschen in Solidarität mit den Gefangenen, die vor
allem aus Regimekritiker:innen bestehen.
INTERNATIONALE
BERICHTERSTATTUNG WICHTIG
Dieser Zusammenhalt macht auch für Mahsa den besonderen
Charakter dieser Proteste aus und lässt sie auf einen
neuen Iran hoffen - auf einen Iran, der Frauen- und Menschenrechte
respektiert, in dem es keine Kinderarbeit mehr
gibt und auf die Umwelt und Tiere geachtet wird. Wichtig ist
laut Mahsa, dass seitens der Politik und der Medienberichterstattung
genau auf den Iran geschaut wird: „Diktatorische
Regime schotten sich gerne ab, der Schutz der iranischen
Menschen kommt von außen in Form von medialer Berichterstattung.
Ich weiß aus Erfahrung, dass man für Proteste
viel Hoffnung braucht. Diesen bekommt man auch durch
internationale Berichterstattung. Die internationale Gemeinschaft
sollte wissen, dass das Regime des Landes von den
Menschen nicht gewollt ist.”
12 / POLITIKA /
Ein großer Teil meiner
Familie war im Irak im
Widerstand gegen das
Baath-Regime organisiert. Als
Kurden wurden einige meiner
Familienmitglieder, wie meine
Onkel und mein Großvater, von
ihnen umgebracht”, erzählt
Even M. Assad. Ein Teil der
Familie floh in den Iran. Doch
auch im Iran war die Situation
der Kurd:innen nicht einfach.
Kurd:innen wurden als „Ungläubige“
stigmatisiert, weil sie ihre
ethnische Selbstbestimmung
beibehalten wollten. Ayatollah
Khomeini, der der Diktator vor
dem aktuellen Diktator Khamenei
war, sprach 1979 eine
“Fatwa” gegen das kurdische
Volk im Iran aus. Tausende
Kurd:innen wurden ermordet
oder zu politischen Gefangenen.
„Diese blutige Vergangenheit ist
bei diesen Protesten auch ein
Grund dafür, warum das Mullah-
Regime in den kurdisch bewohnten
Städten eine extreme
Militärpräsenz zeigt, und auch
unbeteiligte Zivilist:innen, teilweise in ihren Wohnungen,
angreift”, erklärt Even. Es gebe zudem die Befürchtung bei
Kurd:innen, dass sie, wenn das Mullah-Regime stürzen sollte,
zwar in einem freien Iran aufwachen, als Minderheit aber erst
wieder nicht zu den Befreiten gehören würden.
Even ist 1986 in Kirkuk, einer südkurdischen Stadt im
Nord-Irak geboren. Sie hat Familie in Mahabad und Bokan
(kurdische Städte in Rojhalat bzw. im Nordwesten des Iran)
und in Bandar Abbas. Even ist wissenschaftliche Mitarbeiterin
und Mutter und berichtete als freie Journalistin 2014
über den IS-Einmarsch im Irak und in der autonomen Region
Kurdistan. Ihre Familie musste im Zuge der Anfal-Operationen,
in denen die irakische Baath-Regierung systematisch
Kurd:innen und andere Minderheiten verfolgte und ermordete,
in die kurdischen Provinzen im Iran fliehen. Und nach dem
Iran-Krieg floh ihre Familie auch aus dem Iran und landete
nach einer langen Fluchtgeschichte in Österreich.
GEMEINSCHAFT DER
ENTRECHTETEN:
EVEN M. ASSAD (36)
MINDERHEITEN IM IRAN
„Bei diesen Protesten kann man eigentlich bereits von
einer Revolution reden. Das Besondere daran ist, dass das
Regime von Anfang an keine Chance hatte, die verschiedenen
ethnischen, religiösen
oder sexuellen Gruppierungen
gegeneinander auszuspielen.
In den Sozialwissenschaften
nennen wir diese Gruppen
fragmentierte Schicksalsgemeinschaften.”
Sie beschreibt
eine Gruppe von Menschen,
die sich dauernd in einer
Bedrohungssituation befindet.
Bei diesen Protesten fügen
sich diese Fragmente zu einem
Puzzle zusammen und werden
zu einer Gemeinschaft, einer
Gemeinschaft der Entrechteten,
so Even. Das Regime war
nicht gut vorbereitet und hatte
nicht genug Zeit, zu reagieren
und seine Propaganda zu verbreiten,
um die verschiedenen
Gemeinschaften zu spalten.
Einen Versuch starteten die
Machthaber: Als das iranische
Regime mit einem großen
Militäraufgebot das Gebäude
der PDKI, die Kurdisch Demokratische
Partei des Iran, in
der Provinz Erbil angriff, wollte
sie laut Even einen ethnischen
Konflikt kreieren: „Die PDKI ist jedoch strategisch nicht darauf
eingestiegen. Das Regime soll sich keinen Sündenbock
für die Proteste erschaffen dürfen.”
DAS IST KEIN PROTEST,
DAS IST EINE REVOLUTION
Die Proteste haben sich mittlerweile über das ganze Land,
über sämtliche Ethnien und sozialen Klassen hinweg, ausgebreitet.
Für Even ist ganz klar: Es gibt keinen Weg mehr
zurück, die Menschen geben sich nicht mehr mit Reformversprechungen
zufrieden. „Die Menschen im Iran akzeptieren
das System, diese Diktatur, nicht mehr. Ich glaube, die
Menschen geben sich nicht mehr zufrieden, bis die Revolution
erfolgreich sein wird.” Sie betont nochmals die Rolle
der jungen Menschen, die mit dem Internet aufgewachsen
sind und wissen, wie Menschen außerhalb von Diktaturen
leben. „Diese schauen kein staatliches Propagandafernsehprogramm,
sie sind auf Instagram und TikTok unterwegs. Da
funktioniert das mit der Propaganda nicht mehr. Wenn sie
das Handy ausmachen, realisieren sie, in welchem Gefängnis
sie leben. Solche Bilder und Videos entfachen den Zündstoff
für eine Revolution.”
/ POLITIKA / 13
Herr Häupl,
wie viele
Geschlechter
kennen Sie?
Wie viele
Stunden
wöchentlich
beschäftigen
Sie sich mit der
österreichischen
Innenpolitik?
Wie korrupt
ist Österreichs
Politik?
Auf einer Skala
von 1-10 (1=gar nicht;
10=sehr korrupt)
Mit wie vielen
JournalistInnen
sind Sie noch in
Kontakt?
Interview in Zahlen:
In der Politik wird schon genug
geredet. Biber fragt in Worten,
Wiener Ex-Bürgermeister
Michael Häupl antwortet
mit einer Zahl.
2
3
25
Von Amar Rajković, Fotos: Zoe Opratko
2 Mal hat der Ex-Bürgermeister Wiens den
russischen Präsidenten Putin getroffen.
Aufgrund mehrerer Entzündungen verbrachte Häupl rund
3 Wochen auf der Intensivstation im Jahr 2020.
Wie viel Geld muss
die Regierung
jährlich in die
Hand nehmen, um
Österreichs Kinder
vor dem Hunger
zu bewahren?
Wie viele
Spritzer trinken
Sie in der
Woche?
Vor wie vielen
Menschen
haben Sie keine
Geheimnisse?
Spätestens in
welchem Jahr
sollten wir die
30-Stunden-
Woche
einführen?
Wie viele Ihrer
Freunde haben
einen besseren
Schmäh als
Sie?
200.000.000 €
6
1
2030
0
14 / POLITIKA /
Wie viele Jahre
wird die SPÖ in
Wien noch den
Bürgermeister
∞stellen?
Wie viele
Wochen lagen
Sie im Jahr
2020 auf der
Intensivstation?
3
Wie viele
Bekannte
haben Sie,
die an Corona
verstorben
sind?
8
Wie oft sind Sie
geimpft?
4
Wie viele
Stunden in der
Woche sind Sie
als Präsident
der Volkshilfe
im Einsatz?
15
Häupl ließ sich am Tag vor
dem Interview zum vierten
Mal impfen
Der 74-jährige gebürtige Altlengbacher kennt 8 Menschen,
die an einer Corona-Infektion verstorben sind.
Häupl, der für seine Liebe zum Weißwein bekannt ist,
gönnt sich noch immer 6 Spritzer in der Woche.
Wie oft am
Tag gendern
Sie beim
Sprechen?
Wie viele
Geschlechter
kennen Sie?
Wie oft
haben Sie in
Ihrem Leben
etwas aus
dem Internet
bestellt?
Wie oft haben
Sie Putin
persönlich
getroffen?
Wie hoch
schätzen Sie
die Wahrscheinlichkeit
eines 3. Weltkriegs
ein?
(in %)
0
2
100*
2
1
* Ausschließlich Bücher
/ POLITIKA / 15
„Putin betreibt
ein zynisches
Spiel mit dem
Völkerrecht.“
Basil Kerski ist Publizist und Politkwissenschaftler
16 / POLITIKA /
Wie lange wird der Krieg in der Ukraine
dauern? Und wie wahrscheinlich ist
ein Sturz von Präsident Putin durch
das eigene Volk? BIBER traf den
Politikwissenschaftler Basil Kerski im
Rahmen des Humanities Festivals, um
über die brennenden Fragen dieses
Konflikts zu sprechen.
Interview: Nada El-Azar-Chekh, Fotos: Matthias Nemmert
BIBER: Erst kürzlich hat Russlands Präsident
Putin vier Gebiete in der Ukraine
annektiert, Raketen auf das gesamte
Land gefeuert sowie eine erste, auch
im eigenen Land nicht unumstrittene,
Mobilisierung von neuen Streitkräften
eingeleitet. Ist eine baldige Entspannung
im Ukrainekrieg in Sicht?
BASIL KERSKI: Trotz meiner Zuversicht
im Hinblick auf die Zukunft der Ukraine
denke ich, dass dieser Krieg noch lange
dauern wird. Denn es geht um Putins
Überleben und sein Regime. Diese
Diktatur nährt sich an der Vorstellung
eines imperialen Russlands und eines
Russlands, das durch Infragestellung
von Grenzen all das zurücknehmen will,
was nach 1989 geschehen ist. Das ist
nicht nur ein Krieg gegen die ukrainische
Gesellschaft. 2020 wurde die Bürgerrevolution
in Belarus mit Putins Hilfe
niedergeschlagen. Putin hat nicht nur
dort, wo eine militärische Front verläuft,
sondern auch in der ganzen Region
Konflikte mit seiner Gewalt geschaffen.
Vielen Menschen ist nicht bewusst,
welche Fallen Putin stellt. Er annektiert
gewaltsam Gebiete in der Ukraine und
erklärt sie zu russischem Staatsgebiet.
Das ist ein zynisches Spiel mit dem
Völkerrecht. Denn sollte die Ukraine ihre
Gebiete zurückerobern, dann wird Putin
behaupten, dass die Ukrainer Russland
überfallen hätten.
Wie konnte es zu einer derartigen Eskalation
kommen?
Wir haben es mit einem spät-putinschen
Russland zu tun, das mich an einen
faschistischen Staat erinnert. Und damit
spreche ich auch aus der Perspektive
von Russinnen und Russen. Die systematische
Verfolgung jeglicher Form von
Anderssein und Andersdenken in der
eigenen Zivilgesellschaft spitzt sich dort
seit Jahren immer weiter zu. Die Ukraine
ist ein unbestritten demokratischer Staat,
der auch multikulturell ist und allen
Bürgerinnen und Bürgern die gleichen
Rechte verspricht, ob Russen, Ukrainern
oder Krimtataren. Russland verspricht
seinen Bürgern und dem Rest der Welt
seine Multikulturalität und geographische
Vielfalt nur mit einem autoritären
System halten zu können. Der Oppositionelle
Alexej Navalny hat genau dies und
Putins korruptes System kritisiert und ist
bekanntlich gerade im Straflager. Navalny
kritisierte 2014 die Besetzung der Krim
und des ukrainischen Ostens. Russland
sollte sich um die Modernisierung seines
großen Landes kümmern, es brauche
nicht noch mehr Staatsgebiet, so damals
Navalny. Dieses ist die Perspektive eines
russischen Patrioten gegen den Neoim-
„
Russland verspricht
seinen Bürgern und
dem Rest der Welt
seine Multikulturalität
und geographische
Vielfalt nur mit einem
autoritären System
halten zu können.
“
perialismus im Kreml. Solche Aussagen
sind gefährlich für Putin, deshalb hat
er versucht, Navalny zu töten. Und die
Ukraine ist gefährlich für den Diktator,
da sie ein multikultureller und multiethnischer
Staat ist, der den kulturellen und
politischen Einflussbereich Russlands
verlassen hat und sich am Westen orientiert.
Die demokratische Ukraine könnte
als Transformationsvorbild eine Inspiration
für Russinnen und Russen sein, die
sich von Putins Regime abwenden.
Hunderttausende Russen fliehen derzeit
vor der Mobilisierung. Die angrenzenden
baltischen Staaten und Finnland haben
längst ihre Grenzen geschlossen. Sollte
man Kriegsdienstverweigerern und Dissidenten
aus Russland nicht helfen?
Nach dem 24. Februar war schnell klar,
dass sehr viele Russinnen und Russen,
die im Ausland studieren oder arbeiten
und den Krieg von der europäischen Seite
aus erleben, potenziell Asylsuchende
werden. Und wir müssen ihnen helfen,
das ist ganz klar. In Polen gibt es eine
große Angst vor dem Teil der russischen
Hochkultur oder auch politischen Kultur,
in dem das Imperiale eine große Rolle
spielt. Aber ich kenne niemanden, der
sagen würde, dass man Menschen aus
Russland, die vor der Diktatur fliehen,
nicht helfen sollte. Die Debatte kreist
eher darum, ob wir ökonomische Beziehungen
zu Russland noch zulassen – also
ob wir privilegierte Russinnen und Russen,
die GmbHs oder Aktiengesellschaften
im Westen haben, mitsanktionieren
müssen. Das ist aus meiner Sicht aber
/ POLITIKA / 17
schwierig, da man das Einzelschicksal
nie kennt und in der Kriegssituation auch
als wohlhabender Mensch zu einem politischen
Flüchtling werden kann.
Wie wahrscheinlich ist es gerade,
dass es zu einem Umsturz der russischen
Regierung durch das eigene Volk
kommt?
Ich befürchte, dass Putin auf Demonstrationen
oder Umsturzversuche mit
brutaler Gewalt reagieren würde. 2020
hat er mit dem Diktator Lukaschenko die
friedliche Revolution in Belarus zusammengeschossen.
Wenn es zu einem
Umsturz in Moskau kommen sollte,
dann nur im Rahmen des Staatsapparates.
Putin könnte von eigenen Leuten
ausgetauscht werden. Ob das zu einer
Demokratisierung führen würde, das
bezweifele ich heute. Putin wird jetzt
den Krieg mit brutaler Gewalt gegen die
ukrainische Zivilbevölkerung weiterführen.
Seine Waffe ist auch die Propaganda,
Putin lügt permanent und mit diesen
Lügen gefährdet er Menschenleben. Seit
© PAVEL BEDNYAKOV / AFP / picturedesk.com
„
Ich bin positiv
überrascht, dass die
Ukraine sich strategisch
verteidigen konnte
und Putins Plan nicht
aufgegangen ist.
“
den ersten Angriffen Russlands auf die
Ukraine 2014 bemühte sich der Westen
gemeinsam mit Kiew um Friedensverhandlungen,
humanitäre Korridore oder
Gefangenenaustausche. Es gibt wenig
Situationen, in denen Putins Seite tatsächlich
eingehalten hat, was vereinbart
worden war. Dieser Krieg in der Ukraine
begann schon 2014, aber der gegen
die russische Zivilgesellschaft begann
schon früher. Man muss osteuropäische
Geschichte kennen. Der russische
Imperialismus ist sehr spezifisch, weil er
vor hunderten von Jahren ein Bündnis
mit der Moskauer orthodoxen Kirche
eingegangen ist. Das ist ein politisches
System, das den Lebensalltag und weltliche
Macht mit religiöser Vorstellung - mit
Metaphysik - verbindet.
Wie sollte man den Einfluss der Moskauer
orthodoxen Kirche verstehen?
Es ist ein sehr umfassendes ideologisches
Angebot, das die Menschen in
vielen Lebensbereichen erreicht: Weltbild,
Staat, nationale Identität, Bildung,
Privatleben, Geburt und Tod. Putin hat
begonnen, gefährlich für die Welt zu
werden, als er als Ex-Kommunist und Ex-
Atheist auf dieses Bündnis mit der orthodoxen
Kirche gesetzt hat. Das hat es
vielen Demokraten in Russland schwer
gemacht, für ein modernes, säkulares
Staatsmodell einzutreten. Russland ist
zwar kein theokratisches Land, aber
durch die enge Verbindung mit der
Moskauer orthodoxen Kirche ist es ein
Staat gegen den Säkularismus geworden,
wie wir ihn im Westen kennen.
Hinzu kommt die Verführung durch die
imperiale Ideologie, die sich gegen alles
Äußere, Fremde richtet. Und jetzt wissen
wir nicht, wie Russinnen und Russen, die
gegen Putin sind, diesen imperialen Hass
gegen die Ukraine, gegen den Westen,
gegen Homosexuelle, gegen Kaukasier,
gegen Tschetschenen aufbrechen sollen.
Diese imperiale russische Ideologie und
auch diese enge Verbindung zwischen
Macht und Kirche durch eine demokratische,
politische Kultur zu ersetzten, das
wird sehr schwer.
Russlands Präsident Putin verliert immer weiter an Rückhalt von
Verbündeten. Auf einen Sturz durch das eigene Volk würde die
Regierung absehbar mit harter Gewalt reagieren.
Gibt es auch Lichtblicke in diesem
Konflikt?
Ich bin vollkommen positiv überrascht,
dass die Ukraine sich strategisch verteidigen
konnte und Putins Plan nicht
aufgegangen ist. Das ist eine enorme
Leistung einer demokratischen Gesellschaft,
die nicht dazu erzogen wurde,
Krieg zu führen. Und deren Präsident,
der lange kein Berufspolitiker war,
sondern erfolgreicher Entertainer und
Medienunternehmer, hatte den Mut,
in Kiew zu bleiben und damit für die
Stabilität des Staates zu sorgen. Solche
mutigen Menschen wie Selensky gibt es
in der Ukraine viele. Auch der renommierte
Schriftsteller Serhij Zhadan ist
im belagerten Kharkov geblieben. Ich
bewundere diese mutigen Ukrainerinnen
18 / POLITIKA /
und Ukrainer, die uns mit ihrer Haltung
zeigen, wie wichtig es ist, den eigenen
demokratischen Staat zu verteidigen.
Es wird zurzeit viel über die Fehler diskutiert,
die Europa beim Umgang mit Russland
gemacht hat. Häufig wird genannt,
dass Russland auch in die NATO hätte
aufgenommen werden können. Wo hat
sich Europa verfahren?
Ein Thema, das mich in letzter Zeit sehr
beschäftigt, ist jenes der kolonialen Traditionen.
Wenn wir in Berlin, Wien oder
Warschau über Kolonialismus sprechen,
ist damit eher das Gefälle Nord-Süd
gemeint, oder man spricht von den globalen
Großmächten. Unterschätzt scheint
mir die innereuropäische koloniale Tradition,
das Denken in Einflusssphären der
Großmächte vor allem. Auch Österreich
hat eine imperiale Tradition. Und auch
Polen hat eine aus dem 16. bis 18. Jahrhundert,
Belarus und der Ukraine gegenüber.
Wir haben immer noch nicht alle
Ebenen unserer imperialen Traditionen
aufgearbeitet. Damit meine ich den Blick
des demokratischen Westens auf Mittelund
Osteuropa. Dieser Raum wurde in
den letzten 200 Jahren im Westen oft als
Einflussbereich vor allem Russlands und
Deutschlands verstanden. Diese negative
Tradition sitzt tief. Auch in den letzten
beiden Jahrzehnten hatte ich oft den
Eindruck, dass Berlin, Paris oder London
trotz europäischer Integration zu oft in
wichtigen militärischen oder ökonomischen
Fragen über Mittel- und Osteuropa
vor allem mit Moskau sprechen, über die
Köpfe der Ukrainer, Balten, Belarussen
oder Polen hinweg. Der Westen hat das
russische imperiale Narrativ unbewusst
in seine politische Kultur übernommen.
Es gab keinen Platz für Belarus, für die
Ukraine, ja eigentlich lange auch für
ein souveränes Polen nicht. Besonders
Deutschland hat sich in den letzten zwei
Jahrzehnten unter Schröder und Merkel
unehrlich verhalten: Berlin predigte in
der EU europäische Solidarität mit der
Ukraine und Polen und baute gleichzeitig
mit Putin ein System der Energieversorgung
auf, das vollkommen unsolidarisch
ist. Diese Heuchelei war eine unfreiwillige
Investition in die Populismen in
Zentraleuropa. Kaczyński ist in Polen
stark geworden, weil er Deutschland
eben diese Heuchelei vorgeworfen hat,
das hat seinen Nationalismus glaubwürdig
gemacht. Dieses enge Verhältnis zu
Putin, vor allem im letzten Jahrzehnt,
war ein politischer Selbstmord der
Demokraten in Westeuropa.
Es wird in der Tat viel in der Geschichte
gewühlt und wenig aufgearbeitet. In der
Ukraine wurden im Zuge einer „Entrussifizierung“
so auch etwa Lenin-Statuen
gestürzt. Ist es nicht bedenklich, wenn in
Kiew Straßennamen zu Ehren des Asov-
Bataillons geändert werden, das offen
Nazi-Symbolik zur Schau stellt? Oder
wenn Straßen der umstrittenen Ukrainischen
Aufständischen Armee (UPA)
gewidmet sind?
Wir dürfen die ukrainische Gesellschaft
und die Politik nicht aus dem Auge
verlieren, das ist klar. Die Ukraine ist ein
junger Nationalstaat, der seine Souveränität
heute im Krieg verteidigen muss.
Natürlich gibt es Nationalisten und Extremisten,
wie überall in Europa, aber die
Ukraine ist ein demokratischer Staat. Die
liberalen, weltoffenen Kräfte sind in der
dortigen Gesellschaft stark und dominieren.
Die russische Propaganda versucht
die Ukrainer als gefährliche Nationalisten
zu diskreditieren. Wir sollten nicht in diese
Putin-Falle hineingeraten und genauer
hinschauen. Die Ukraine ist ein faszinierender,
multikultureller Nationalstaat, der
heutige Präsident hat jüdische Wurzeln,
sein Vorgänger Poroschenko auch. Und
trotzdem höre ich seit Jahren den Blödsinn,
dass die Ukraine voller Antisemiten
und damit eine Gefahr für Europa sei.
Europa hat kein Problem mit der modernen
Ukraine, sondern mit dem heutigen
Russland. Das russische, nichtimperiale
Narrativ ist sehr schwach ausgebildet.
Inwiefern ist das ein Problem?
Ich selbst habe das in meiner Generation
anhand des Schriftstellers Alexander
Solschenizyn erlebt, der bekanntlich
Gulag- und Sowjetunionkritiker war und
den ich sehr bewunderte. Als er aber
Anfang der 90er aus dem Exil nach
Russland zurückkehrte und sich dort für
die damalige Politik engagierte, wollte ich
erst einmal nicht hinhören. Das passte
nicht in meinem Kopf, dass jemand wie
Solschenizyn, der gegen die Sowjetunion
war, sich plötzlich dem Imperialismus
hingibt. Das ist ein russisches Problem.
Und aus diesem Grund distanziert sich
die Ukraine nicht nur gegenüber dem
russischen Staat, sondern auch von der
Kultur, bis diese Fragen des Imperialen
geklärt sind. Und das kann nur die russische
Bevölkerung selbst tun.
Wer ist er?
Basil Kerski (*1969)
ist Publizist, Politikwissenschaftler,
seit 1998
Chefredakteur des
deutsch-polnischen Magazins
Dialog und seit 2011
Direktor des Europäischen
Solidarność Zentrums in
seiner Heimatstadt Danzig
(Polen).
/ POLITIKA / 19
VIDEOREPORTAGE AUS
TRAISKIRCHEN:
WAS IST WIRKLICH LOS?
Redaktion: Emilija Ilić und Dennis Miskić, Videoproduktion: SUNA Films, Koordination: Zoe Opratko
Menschenunwürdige Zustände, Obdachlosigkeit
und ein wütender Bürgermeister:
Die Lage in Traiskirchen spitzt sich
seit Wochen zu. Das Asylzentrum kommt
wieder an seine Kapazitätsgrenzen.
Traiskirchens Bürgermeister Babler wirft
dem zuständigen Innenminister Karner
vor, diese Zustände absichtlich zu provozieren.
Redakteur:innen Emilija Ilić und
Dennis Miskić haben sich selbst ein Bild
von der Lage in Traiskirchen gemacht.
Die ganze Reportage findet ihr bei uns
auf Instagram unter diesem QR Code: ➜
20 / POLITIKA /
MISSION 11
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In Zusammenarbeit mit Österreichs E-Wirtschaft.
WAS GIBT’S NEUES AM BALKAN?
Von Dennis Miskić
WIEDER ÄRGER MIT DER BALKANROUTE
Schon wieder die Balkanroute. Schon wieder ist
die Rede von illegaler Migration, Schlepperorganisationen
und Menschenrechtsverletzungen.
Und dieses Mal ist Österreich nicht nur im Hinterzimmer
als Geldgeber tätig, sondern schickt
Beamt*innen direkt an die ungarisch-serbische
Grenze um gemeinsam mit Orbans „Grenzjägern“
illegale Pushbacks zu betreiben.
ZWEI AUTOKRATEN UND NEHAMMER
Alleine 75.000 dieser Pushbacks hat es an der
Grenze seit Jänner gegeben. Und es ist noch
lange kein Ende in Sicht. Anfang Oktober traf
sich Nehammer mit dem ungarischen Premierminister
Viktor Orban und dem serbischen Präsidenten
Aleksandar Vučić. Zwei Persönlichkeiten,
die alles andere als liberale und demokratische
Politik führen. Und so verfahren sie auch mit den
Geflüchteten. Zukünftig soll die „Verteidigungslinie“,
so Orban, weiter in den Süden rücken. Ganz
nach dem Motto: Aus dem Auge, aus dem Sinn.
Nehammer hält an der Zusammenarbeit mit den
beiden Autokraten fest. Kein gutes Zeugnis für
Österreich.
Es sind oft nur Handyaufnahmen. Sie zeigen,
wie Grenzschutzbeamte auf Geflüchtete einprügeln
oder sie mit Pfefferspray jagen. Szenen,
die niemanden kalt lassen. Niemanden außer
Innenminister Gerhard Karner. Dieser verpasst
keine Chance, auf die illegale Migration über den
Balkan aufmerksam zu machen. Er spricht von
einer neuen möglichen „Flüchtlingswelle“ und
„dramatischen“ Zuständen. Er ist weder der Erste
noch der Einzige, der Angst und Schrecken zur
„illegalen“ Migration verbreitet. Das Ziel: politisches
Kleingeld und eine nachhaltige Stigmatisierung
von Geflüchteten.
Doch mit dem Finger auf unschuldige Menschen
zu zeigen und politische Floskeln in Pressekonferenzen
auf Dauerschleife zu wiederholen,
während systematische Pushbacks und massive
Menschenrechtsverletzungen entlang der EU-
Außengrenze zum Status quo werden, kann doch
nicht ernsthaft der Weg nach vorne sein? Stimmt.
Wie der „Weg nach vorne“ aussehen könnte,
haben wir im Falle der Ukraine gesehen. Innerhalb
kürzester Zeit wurden unbürokratisch und in
europäischer Einstimmigkeit die Türen sperrangelweit
aufgerissen. Ihre Hautfarbe und Religion
ist „europäisch“, deswegen musste ihnen geholfen
werden.
KEIN MENSCH IST ILLEGAL
Bei dunkelhäutigen, muslimischen Flüchtlingen
aus Afghanistan oder Syrien gilt die Devise: Bloß
nicht in die EU. Bloß nicht nach Österreich. Sie
bleiben nun eben mal draußen. Draußen an den
EU-Außengrenzen. Obwohl sie ihre Hautfarbe
unterscheidet, fliehen sie doch vor den gleichen
Bomben. Und Bomben selektieren nicht. Sie
unterscheiden nicht zwischen dunkel oder hell.
Christlich oder muslimisch. Warum sollten wir es
dann tun?
Wir wurden in Würde und Gleichheit geboren.
Wir alle. Unsere Grundrechte sind unantastbar
und unverkäuflich. Diese Annahme wird auf
der Balkanroute eben nur dilettantisch akzeptiert.
Die schon lange anhaltende, systematische
Untergrabung von genau diesen Grundrechten
dürfen wir nicht in Kauf nehmen. ●
© Zoe Opratko
22 / MIT SCHARF /
ZIB 2 AM SONNTAG
WANN UND WO
SIE WOLLEN.
WIR FAHREN NICHT
MEHR RUNTER.
Stille statt lachender Kinder und Grabkerzen statt
Pralinen. Warum immer mehr Migra-Kids nicht
mehr die Heimat ihrer Eltern besuchen wollen.
Von: Maria Lovrić-Anušić, Fotos: Zoe Opratko
Eine Stunde vergeht und kein einziges Auto fährt
die Straße in meinem kleinen Heimatdorf in Bosnien
entlang. Ich sitze gemeinsam mit meinem
Vater auf der Terrasse des alten Hauses meines
Großvaters. Die Holzwände der Veranda, die mit bunten
Lichterketten verziert sind, knarren wie verrückt und am
Betonboden sammelt sich bereits Moos. Wir beobachten die
Straße, doch das Einzige, was uns auffällt, ist die Stille. Keine
Kinder, die lachend den Hügel runter laufen oder Teenies,
die ohne Führerschein mit dem alten VW ihres Großvaters
ins nächste Kafić (dt.: Kaffeehaus) fahren. Nicht einmal der
Wassermelonenverkäufer, der normalerweise zur Mittagszeit
mit seinem LKW durchs Dorf fährt, ist mehr da. Es ist nichts
mehr so wie früher.
Soweit ich zurückdenken kann, verbrachte meine Familie
sowohl den Sommer als auch den Winterurlaub in Kroatien
und Bosnien. Meine Eltern haben sich ein Haus in einem
kleinen Dorf in Kroatien bauen lassen. Jedes Jahr packten
wir unser ganzes Hab und Gut in den kleinen roten Alpha
Romeo und machten uns auf die Reise. Der Kofferraum
war vollbepackt und auf der Rückbank
saßen zwischen den ganzen Tüten und
Kisten meine Geschwister und ich. Aus
dem Radio dröhnten auf voller Lautstärke
Volkslieder der „Braća Begić“, die ich
als Kind absolut nicht ausstehen konnte,
„
Es ist nichts mehr
so wie früher.
“
24 / RAMBAZAMBA /
weil ich deren Gesang altmodisch fand. Wenn ich Glück
hatte, hielt mein Vater an einem kleinen CD-Shop an der
slowenisch-kroatischen Grenze an und holte eine Mix-CD mit
Liedern von verschiedenen Jugo-Sängern wie Mile Kitić oder
Boban Rajović, von denen ich damals alle Lieder auswendig
konnte. Ich erinnere mich an das mulmige Gefühl im Magen,
wenn mein Vater die kurvenreichen Straßen entlangraste.
Nichtsdestotrotz war ich voller Vorfreude, denn ich wusste,
was mich erwartete. Die Nachbarskinder, mit denen ich bis
spät in die Nacht spielte, die Pekara (dt.: Bäckerei), in der
mein Vater mit mir um Mitternacht noch heiße Sirnica und
Burek für alle holte, und die Gespräche an dem alten weißen
Plastik-Gartentisch auf unserer Terrasse.
„Was soll ich da?“– mit diesen Worten entschied sich
mein Bruder, nicht mehr mitzufahren, als ich ihn darauf
ansprach. Ein paar Jahre darauf blieb dann auch meine
Schwester in Wien zurück. Sie möchten lieber in Österreich
bei ihren Freunden bleiben und ihren Urlaub nicht mit der
Familie verbringen, erklärten mir meine Eltern, als ich sie
etwas bedröppelt im Auto danach fragte. Mittlerweile bin
auch ich immer seltener dabei, obwohl
ich mir als Kind geschworen hatte, immer
mitzukommen. Ganz übers Herz bringe
ich es aber nicht, meinen Vater immer
alleine fahren zu lassen. Ich versuche, mir
im Sommer immer ein paar Tage frei zu
Sind wir die letzte Generation,
die noch in die Heimat fährt?
/ RAMBAZAMBA / 25
möchten nicht mehr in die Heimat fahren, nur um alleine auf
der Terrasse zu sitzen und von Stille umgeben zu sein. Wir
können nicht mehr von Haus zu Haus gehen, unseren Liebsten
ein Kilo Kaffee und Pralinen bringen und uns stundenlang
unterhalten. Nun gehen wir von Friedhof zu Friedhof, bringen
ihnen Grabkerzen und Blumen, sprechen ein kurzes Gebet
und verabschieden uns.
© privat
Autorin Maria Lovrić-Anušić als Kind im Haus
ihrer Großeltern
nehmen. Doch es fühlt sich nicht mehr an wie früher. Das
Auto ist nicht mehr vollgeladen und Musik läuft auch nur
noch selten während der Fahrt. Wenn wir an unserem Haus
ankommen, fühlt es sich an, als wären alle Farben verblichen.
Alles ist grau.
„WIR MÜSSEN RUNTERFAHREN“
„Wir müssen runterfahren“ - ein Satz, der mir als Kind meine
Augen aufleuchten ließ. Heute löst er in mir Angst aus. Er
bedeutet Tod. Jemand muss gestorben sein, darum fahren
wir runter. Seit drei Jahren ist dies nämlich der einzige
Grund, um die Reise in die Heimat anzutreten. In diesen Jahren
sind viele Menschen verstorben und bei jedem Besuch
fehlt immer eine Person mehr. Das Dorf leert sich und unsere
Gründe runterzufahren verringern sich von Jahr zu Jahr.
„Alle meine Großeltern sind verstorben. Welchen Sinn hätte
das Runterfahren noch?“, erzählt mir
Katarina seufzend, als ich mit ihr über das
Thema spreche. Sie kommt aus Vukovar in
Kroatien und vermisst die alten Zeiten. Das
Schöne an diesen Urlauben war es doch,
unsere Familie und Verwandten zu sehen.
Mit ihnen gemeinsam die Geburtstage und
Feiertage zu verbringen. Früher schafften
wir gemeinsam neue Erinnerungen, heute
schwelgen wir nur mehr in den alten. Wir
„
Wir haben für all
unsere Verwandte
Geschenke mitgebracht.
Schokoladen, Klamotten
und vieles mehr.
“
26 / RAMBAZAMBA /
NICHT MEHR WILLKOMMEN
Die Nachbarskinder, mit denen ich früher am Spielplatz oder
im Garten gespielt habe, haben sich über die Jahre verändert.
Irgendwann war es nicht mehr cool, mit uns Diasporakindern
abzuhängen. Wir waren für sie zu abgehoben, weil
wir mit neuen Nike und Ralph Laurent T-Shirts runterfuhren.
Dass unsere Eltern monatelang sparen mussten, um sich
den Urlaub überhaupt leisten zu können, war ihnen nicht
bewusst. Sie gingen davon aus, dass wir uns für was Besseres
hielten, obwohl wir das nie taten.
Patricia, die aus Prijedor in Bosnien kommt, hat durch
diese Vorurteile viele ihrer Freunde unten verloren. „Meine
Freunde begannen, über mich zu lästern. Ich wolle mich als
reiche Österreicherin doch nur profilieren und zeigen, wie
toll es mir ginge und wie privilegiert ich doch sei“, erzählt
sie traurig. Sie haben sie für Geld und teure Mitbringsel aus
Österreich ausgenutzt. Beim Ausgehen wurde von ihr erwartet,
zu zahlen, und eigentlich tat sie es auch gerne. „Meine
Intention war es nie, anzugeben. Ich wollte nur meine Zeit
mit ihnen genießen.“ Seitdem sie weiß, dass hinter ihrem
Rücken über sie nur gelästert wird, hat sie keinen Kontakt
mehr zu ihren alten Freundinnen. Vielen von uns geht es
ähnlich und wir möchten nicht an einen Ort fahren, an dem
wir nur verurteilt werden. Und von den Nachbarskindern, die
immer an unserer Seite waren und nie abwertend über uns
geredet haben, hören wir jetzt auch nichts mehr. Sie sind
verheiratet und haben Kinder. Seitdem Kroatien in der EU
ist, sind viele der Einwohner Bosniens, die einen kroatischen
Pass haben nach Österreich oder Deutschland gezogen, um
Geld zu verdienen. Sie alle träumen von einem besseren
Leben im Ausland, während sich die Diaspora nach der alten
Heimat sehnt. Zumindest hat sie das in der Vergangenheit
getan. Die jungen Einheimischen jedoch verlassen das Land
fluchtartig, zurück bleibt nur die ältere Generation. Doch
irgendwann gibt es auch diese nicht mehr.
„SEID IHR NUR MIT ZWEI
KOFFERN GEKOMMEN?“
Nicht nur in der Balkan-Community werden die Heimatbesuche
immer seltener. Selin, die ursprünglich
aus der Türkei kommt, verliert nach und
nach das Bedürfnis runterzufahren. Als
sie jünger war, waren die Wochen in der
Türkei immer aufregend. „Wir haben für all
unsere Verwandte Geschenke mitgebracht.
Schokoladen, Klamotten und vieles mehr“,
erzählt sie. Sie wurden immer voller Liebe
aufgenommen und es wurde groß aufgetischt
für den Besuch aus Österreich. Als
Mitbringsel für das ganze Dorf durften
bei keinem Heimaturlaub fehlen
/ RAMBAZAMBA / 27
Die Tische der Heimat bleiben in Zukunft leer
Selin und ihre Mutter jedoch begonnen haben, mit weniger
Geschenken anzukommen, wurden sie nicht mehr so herzlich
empfangen. „Seid ihr nur mit zwei Koffern gekommen?“, fragte
sie ihr Onkel entsetzt bei ihrem letzten Besuch. Die Stimmung
wurde immer angespannter. Sie verstand, dass sie nur dann
willkommen waren, wenn sie auch Geld mitbrachten. „Ich fahre
mittlerweile so selten in die Türkei und wenn, dann meistens
um Urlaub am Meer zu machen“, erklärt Selin. Das Gefühl von
Heimat verschwindet immer schneller.
Die Jungen, die im Ausland leben, wachsen unter komplett
anderen Umständen auf. Sie sind sensibilisiert auf feministische
und rassistische Themen. In der Heimat, vor allem wenn
man aus einem kleinen Ort kommt, sind die Menschen nicht
an die modernen Lebensweisen angepasst. Aus diesem Grund
sind für Ylber, der ursprünglich aus dem
Kosovo stammt, Heimatbesuche kein
Thema mehr. Der Gedanke daran, in seine
Heimat zu fahren, macht ihn nervös und
unglücklich. „Je älter ich werde, desto
weniger Gemeinsamkeiten sehe ich zwischen
den Menschen dort und mir“, erklärt
er. Sein familiäres Umfeld hat eine ganz
andere Sichtweise als er auf viele Dinge.
Außerdem beherrscht er seine Muttersprache
nicht sonderlich gut. „Ich schäme
mich, weil ich schlecht Albanisch spreche
und mich Leute immer auslachen.“
„
Runterfahren bedeutete
für mich immer mehr
als nur das geografische
runter in den Süden und
in die Balkanstaaten.
Es ist vielmehr ein
seelischer Zustand.
“
28 / RAMBAZAMBA /
Ylber ist schwul, was auch einer der Gründe ist, weshalb er
sich in seiner Heimat unwohl fühlt. Homophobie ist in allen
Balkanstaaten gesellschaftlich weit verbreitet. „Ich meide
den Kosovo sehr, außer ich muss runter fahren wegen einer
Verlobung. Es ist aber nicht so, als hätte ich dort Spaß.“
DIE NÄCHSTE GENERATION
Was passiert dann aber mit der Generation nach mir?
Erleben diese Kinder noch das Gefühl von aufgeschürften
Knien, weil sie vom Roller gefallen sind? Verspüren sie noch
die Angst, die wir hatten, als wir vor den Straßenhunden
weggelaufen sind? Werden sie noch den stechenden Geruch
von frisch gebranntem Rakija in der Nase verspüren? Werden
sie die Sprache noch sprechen und überhaupt wissen, wie
das Dorf heißt, in dem sich ihre Eltern das erste Mal getroffen
hatten? Als ich neuerdings einen Nachbarsjungen im
20. Bezirk traf und ihn fragte, woher seine Eltern kommen,
schaute er mich an und zuckte mit den Achseln. „Ich habe
keine Ahnung, irgendwas mit P., bin mir aber nicht sicher.“
Nein, sie werden nicht die gleichen Erfahrungen wie
meine Generation machen. Sie werden mit den Eltern ab und
zu runterfahren, doch für sie wird es langweilig. Sie werden
hoffen müssen, dass auch andere Familien ins Dorf zurückkommen
über die Ferien, denn dort wird so gut wie niemand
auf sie warten. Ich hoffe, dass ihre Eltern versuchen werden,
ihnen dennoch die Kultur und Traditionen etwas näher zu
bringen. Ich wünsche mir, dass sie ihnen von den vollen
Dörfern, den lachenden Kindern und den Security-Omas, die
einen jeden Tag aus dem Fenster aus beobachtet haben,
erzählen. Vielleicht bekommen sie ja dann das Bedürfnis die
Dörfer später wieder selbst zu füllen.
Runterfahren bedeutete für mich immer mehr als nur das
geografische runter in den Süden und in die Balkanstaaten.
Es ist vielmehr ein seelischer Zustand. Wir fahren unseren
Körper runter. Weg von der Stadt, die von Stress und Arbeit
geprägt ist. Mittlerweile fühlt es sich allerdings eher so an,
als würden wir vom Arbeitsstress im Ausland in den emotionalen
Stress in der Heimat übergehen. Auch wenn ich meine
Heimat und den Geruch der Natur liebe, die Gründe nicht
runterzufahren überwiegen. ●
ANMELDUNG
AUF
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SCHULE & BERUF – WOHIN MIT 14?
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Theresianumgasse 16-18, 1040 Wien
L14
/ RAMBAZAMBA / 29
YALLA KLIMASCHUTZ
30 / SPECIAL /
RATIONAL STATT RADIKAL
Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind Dinge, die uns alle etwas
angehen sollten – das versteht sich von selbst. Warum ein
schlechtes Gewissen dabei keinen Platz haben sollte.
Von Nada El-Azar-Chekh, Collage: Zoe Opratko
AktivistInnen auf Social Media helfen vielen – vor
allem jungen – Menschen, sich mehr Gedanken um
die Umwelt zu machen. Doch wie in allen Debatten
findet man gewisse Extreme. Die Wiener Tiktokerin Raffaela,
auch bekannt als „die militante Veganerin“, konfrontiert
in ihren Videos regelmäßig PassantInnen mit „lebe vegan
statt brutal“ und scheut nicht davor zurück, selbst Kindern
zu erklären, dass ihre Eltern ihnen Leichen auf dem Teller
servieren. Laut Global2000 liegt Österreich in der EU auf
Platz 3 beim Fleischkonsum. Durchschnittlich konsumiert
jede:r Österreicher:in also 5,9 Tonnen Fleisch im Leben,
was auf satte 1.287 Tiere pro Kopf kommt. Aufklärungsbedarf
herrscht angesichts dieser Zahlen alle Mal. Funktioniert
eine „Schocktherapie“ jedoch besser als ein vernünftiges
Gespräch über Nachhaltigkeit?
„WER GEHT MIT MIR DÖNER
ESSEN?“
Selma interessiert sich für Aktivismus und hat in ihrer Freizeit
schon viele Workshops über Klimaschutz und Nachhaltigkeit
besucht. Sie leistet ihren Beitrag, wo sie nur kann: Sie
hat keinen Führerschein und nutzt Fahrrad und Öffis, um in
der Stadt von A nach B zu kommen. Neue Kleidung kauft
sie nur zu besonderen Anlässen oder Second-Hand. Auch
in ihrem Freundeskreis versucht sie über Nachhaltigkeit zu
sprechen. Selma hat sich in der Wiener Innenstadt von einer
Tierschutzorganisation ansprechen lassen, die verstörende
Videos aus Massentierhaltungen für die Öffentlichkeit gezeigt
hat. „Die Aufnahmen aus den Schlachthöfen konnte ich mir
nicht ansehen, dazu bin ich zu empfindlich. Aber an der
einen oder anderen Aktion habe ich dann auch teilgenommen,
da ich die Mission und die Message interessant fand“,
erinnert sie sich. „Eine Freundin von mir ist Veganerin und
sie meinte, dass das Umfeld teilweise schon sehr radikal sein
kann. Sie ist 34 und lebt schon lange vegan, jedoch macht
sie ab und zu eine Ausnahme und nascht etwa Gummibärchen
mit Gelatine. Ihre Kindheitsfreundin, die ebenfalls
vegan lebt, würde ihr die Freundschaft kündigen, wenn sie
das erfahren würde“, erzählt Selma*. Für die Studentin führt
ein radikaler Ansatz, wie er bei der „militanten Veganerin“
zu beobachten ist, aber nur zu mehr Spaltung. „Ich würde
niemals jemanden verurteilen, der mal bei einer Grillfeier ein
Kotelett isst, oder bei einer Fast-Fashion-Kette einkauft.“ Ein
Trotzeffekt ist kontraproduktiv und lässt viele Menschen die
Tiktokerin die Kommentarspalten mit Sticheleien wie „Wer
geht mit mir Döner essen?“ fluten.
GUTE BALANCE STATT SCHLECHTES
GEWISSEN
Noch in ihrer Schulzeit stieg Selma auf eine vegetarische
Ernährung um – es war ein erster Schritt in die richtige
Richtung, wie sie findet. Anfangs bekam sie Unterstützung in
ihrem syrischen Elternhaus, indem ihre Mutter vegetarische
Gerichte für die Familie zubereitete. „In Damaskus gibt es
viele Gerichte, die von Haus aus fleischlos sind – Tabouleh,
Salate, gefülltes Gemüse und Aufstriche, nur drei bis vier
Mal im Monat gab es bei uns Fleisch. So lebten wir ohnehin
um einiges fleischärmer, als es in vielen anderen migrantischen
Haushalten üblich ist.“ Doch Selmas erste Schritte als
Vegetarierin währten nicht lange. „Ich hatte schon immer
Probleme mit Eisen und hab nach einem halben Jahr meine
vegetarische Ernährung wieder aufgeben müssen. Ich hatte
weder das Geld noch die Zeit, mich wirklich mit all den
pflanzlichen Alternativen auseinanderzusetzen und sie für
mich selber zu kochen, um meinen Eisenhaushalt zu retten“,
so die gebürtige Damaszenerin.
Nachdem sich Selmas Gesundheitszustand durch ihre
Ernährung zu verschlechtern schien, war es also auch gleich
wieder vorbei mit der fleischlosen Ernährung. „Meine Mutter
hat aus Sorge plötzlich begonnen, meine Leibgerichte mit
Fleisch zu kochen, um mir zu helfen.“ Dass sie nicht komplett
auf Fleisch verzichten konnte, bereitete ihr ein schlechtes
Gewissen. Doch sie kam zum Entschluss, dass diese Erfahrung
ihr doch etwas Wertvolles lehrte: „Eine serbischstämmige
Freundin von mir hat ihren Fleischkonsum stark reduziert,
als ich Vegetarierin wurde. Bei ihr zuhause war es sonst stark
fleischlastig. Am Ende war ich doch zufrieden, denn mir ist
das Gleichgewicht am allerwichtigsten und vor allem war
auch mein Konsumzwang reduziert. Ich habe mein Ziel also
erfüllt“, sagt sie heute stolz.
/ SPECIAL / 31
AKTIV WERDEN FÜR DAS KLIMA –
ABER WIE?
Konstantin Riermeier ist Aktions- und Aktivist:innenkoordinator bei Global2000.
BIBER: Klimaschutz geht uns alle etwas
an. Warum engagieren sich viele Menschen
immer noch nicht?
KONSTANTIN RIERMEIER: Ich denke,
dass vielen Menschen, die sich nicht
aktiv engagieren, der Bezug zur Klimakrise
fehlt. Damit meine ich, dass
viele nicht wahrnehmen und wahrhaben
wollen, dass man selbst von einer Klimaänderung
betroffen und selbst dafür
verantwortlich wäre. Wenn es 36 Grad im
Sommer hat, gilt das als Badewetter und
nicht als bedrohliches Szenario. Welche
Probleme das für überhitzte Krankenhäuser,
ältere aber auch junge Menschen
mit Herz-Kreislauferkrankungen oder
Menschen, die auf Baustellen oder in der
Landwirtschaft arbeiten, verursacht, wird
ausgeblendet. Andererseits wirkt das
Problem auch so groß, dass individuelles
Handeln wenig auszurichten scheint. Von
den alten weißen Männern, die in den
Parlamenten oder Konzernen an den großen
Hebeln sitzen, können sie nicht mehr
viel erwarten – die hätten schon lange
etwas unternommen, wenn es ihnen
ernst wäre. Diese enorme Ungerechtigkeit
kommt aber selten bei den Einzelnen
an. Es gibt ein großes Unwissen darüber,
wie man Veränderungen erzielen kann.
Wir haben teilweise gute Konzepte für
z. B. Energie und Wohnen, doch es fehlt
vielerorts auch an Best-Practice-Beispielen
und an finanzieller Unterstützung –
vor allem in solch unsicheren Zeiten.
Als „Normalsterblicher“ fühlt man sich
also machtlos – wie kann man das
Bewusstsein für die Klimakrise stärken?
Viele Menschen fühlen sich machtlos,
sobald sie Nein zu den aktuellen Zuständen
sagen, aber keine konkreten Lösungen
anbieten können. Als Einzelperson
sollte man aber keine Lösungen für diese
Probleme parat haben müssen. Es gibt
jedoch genug Leute, die die Kompetenz
und die Macht haben, sinnvolle Lösungen
zu erarbeiten. Und auf diese sollte
man Druck ausüben, damit sich endlich
etwas ändert.
Welches Angebot gibt es bei Global2000
für aktivistisch Interessierte?
Die Umweltkommunikation ist eine
von drei Freiwilligenprogrammen bei
Global2000. Wir bieten Workshops
und Ausbildungen zu Themen wie
Fleischkonsum, Klima, Fast-Fashion
und Ernährung an und wir gehen mit
den Kommunikator:innen an Schulen
in Wien und österreichweit, um junge
Menschen an Aktivismus heranzuführen.
Mir ist wichtig, ihnen zu sagen, dass ihre
Sorgen ernst genommen werden. Man
findet bei uns eine Gruppe von Gleichgesinnten,
die sich gegenseitig Mut
zuspricht, aktiv zu werden. Die erlernte
Handlungsunfähigkeit muss in eine
wirksame Kraft umgewandelt werden.
Wir wollen das Ziel einer flächendeckenden
Veränderung nicht nur aussprechen,
sondern auch erreichen.
Wie begeistert man Menschen für das
Thema, die zuhause keinen Kontakt dazu
haben?
Von außen ist Klimaaktivismus immer
mit einem hohen Maß an Know-how
verbunden, dass man sich besonders gut
mit Dingen wie globalen Produktionsund
Transportketten oder der Energiewirtschaft
auskennen muss. Man muss
die Menschen aber dort abholen, wo sie
gerade sind, unabhängig von ihrer individuellen
Expertise. Es reicht aber auch,
wenn man auf einer Demo gute Fotos
machen kann, die dann verbreitet werden,
oder auch ein einfühlsames Gedicht
schreiben kann, das zum Nachdenken
anregt. Eine an Gerechtigkeit und echten
Lösungen orientierte Einstellung bringt
uns alle auf jeden Fall weiter.
Du möchtest dir Wissen
über Klimaschutz aneignen
und aktiv weitergeben?
Werde freiwillige:r
Umweltkoordinator:in bei
Global 2000!
Dieses Nachhaltigkeitsspecial ist Teil des Projekts „Yalla Klimaschutz - Umweltbildung für alle!“ von GLOBAL 2000, das vom Bundesministerium
für Klimaschutz und Umwelt gefördert wird. Die redaktionelle Verantwortung liegt bei BIBER.
32 / SPECIAL /
FRISCH VERDREHT: VEGANE MAKLOUBA
Maklouba ist ein Gericht, das einem wahrhaftig den Kopf verdreht – und den Kochtopf. Aus dem
Arabischen übersetzt bedeutet Maklouba nämlich so viel wie „verkehrt herum“. So könnt ihr diesen
vielseitigen Klassiker ganz einfach und fleischlos nachkochen. Von Nada El-Azar-Chekh, Fotos: Zoe Opratko
Zutaten für 4 Personen:
250g Basmati Reis
1 Dose gegarte Kichererbsen
(400g)
1–2 große Melanzani
3–4 große Tomaten
Veganes griechisches Joghurt
oder Naturjoghurt
1 große Zwiebel
Nach Belieben Petersilie oder
Koriander
Neutrales Öl zum Frittieren
Gewürze:
2 Würfel Gemüsebrühe
1 großer Esslöffel Kurkuma
1 Teelöffel Currypulver
Salz und Pfeffer
Chili nach Belieben
werden sie besonders schön
golden!
Wasser kocht, den Deckel fest
auf den Topf geben, damit
kein Dampf entweichen kann
und den Reis auf niedrigster
Stufe durchgaren.
● Die Melanzani in 5mm dicke
Scheiben schneiden, beidseitig
mit Salz bestreuen und 30
Minuten ausschwitzen lassen.
● Den Topf mit Öl einschmieren,
dann Tomatenscheiben
auf den Boden auslegen.
● Basmatireis kurz waschen
und in den Topf geben. Die
doppelte Menge Wasser mit
Gemüsebrühe, Kurkuma und
Curry und ein wenig Salz und
Pfeffer mischen, dann vorsichtig
mit Wasser aufgießen,
ohne die Schichten durcheinander
zu bringen.
● Den Topf mit einem Servierteller
bedecken und vorsichtig
(!) umdrehen. Einige Minuten
warten und klopfen (für das
Glück), bevor man ihn lüftet.
● In einer Bratpfanne Rapsoder
Sonnenblumenöl erhitzen.
Die Melanzanischeiben
trocken tupfen und goldbraun
ausbacken.
● Die Zwiebel in Scheiben
schneiden und kurz anbraten.
Mit einer Fingerspitze Kurkuma
● Schicht für Schicht: Die
Melanzanischeiben gleichmäßig
auf den Tomaten und den
Wänden des Topfes arrangieren.
Dann die Zwiebelstücke
drauf. Die Kichererbsen
ausspülen und dazugeben.
● Das Wasser sollte ca. 1
Fingerkuppe breit über dem
Reis stehen. Den Herd auf
hohe Stufe drehen. Wenn das
● Für die Sauce veganes
Joghurt mit Knoblauch,
Petersilie, Zitrone, Salz und
Pfeffer mischen. Mit gehackter
Petersilie garnieren.
● Voilà – fertig
ist die vegane
Maklouba.
/ SPECIAL / 33
ICH LIEBE DICH…
UND DICH AUCH!
34 / RAMBAZAMBA /
Sex mit anderen ist in den meisten
Beziehungen Tabu. Verlieben
sowieso. Für Jakob, Tobi, Max
und Karynne aber nicht. Sie leben
nicht monogam, das heißt, sie
führen Beziehungen mit mehreren
Menschen gleichzeitig. Wie das
funktionieren kann?
Von Celina Dinhopl, Fotos: Zoe Opratko
Für unser Interview zeigt mir Tobi heute einen
besonderen Ort: den Huberpark im 16. Bezirk. Hier hat er vor
nicht allzu langer Zeit zum ersten Mal Ella geküsst. Eigentlich
ist Tobi mit Sophia zusammen. Trotzdem betrog er sie nicht
mit Ella.
Denn die beiden leben in einer offenen Beziehung. Das
bedeutet, sie dürfen mit anderen Personen Sex haben – mit
Einverständnis des*r anderen. So wie Tobi und Sophia leben
immer mehr Menschen. In den letzten Jahren stößt man in
den sozialen Netzwerken auf immer mehr nicht-monogam
lebende Menschen, die ihre Beziehungsmodelle erklären.
Polyamorie und offene Beziehungen sind zwar keine Neuheit,
aber doch vielerorts noch ein Tabu.
Die meisten Menschen leben in monogamen Beziehungen.
Das bedeutet, zwei Personen lieben sich und gehen
eine exklusive Beziehung miteinander ein. Somit ist Sex,
Romantik oder Liebe mit anderen nicht erlaubt. Es passiert
trotzdem nicht selten, dass in monogamen Beziehungen
Betrug geschieht: Eine Person geht fremd oder verliebt sich
neu. In nicht-monogamen Beziehungen sind diese Dinge
jedoch (teilweise) erlaubt. Eine genaue Zahl, wie viele Menschen
in Österreich nicht-monogam leben, gibt es aktuell
nicht. Bei der Polyamorie können Menschen mehrere Beziehungen
gleichzeitig haben und alle sind damit einverstanden.
Liebe wird nicht als exklusiv für eine Person angesehen.
Solche Paare können ganz unterschiedlich aussehen: eine
Person mit mehreren Partner*innen, ein Hauptpaar mit einer
untergestellten dritten Person, eine exklusive Beziehung zu
dritt (erweiterte Monogamie) und vieles mehr. Bei offenen
Beziehungen gibt es hingegen ein Pärchen. Dieses erlebt
den Alltag zu zweit. Es ist jedoch beiden erlaubt, außerhalb
der Beziehung Sex mit anderen zu haben. In fast allen Fällen
sind tiefere romantische Beziehungen aber nicht erwünscht.
L(I)EBEN ZU DRITT
Anders war es bei Max. Er war drei Jahre lang in einer
polyamoren Beziehung mit zwei Männern. Jeder liebte jeden.
Zuerst war Max mit seinem ersten Partner monogam. Sie
beschlossen gemeinsam, trotz starker Liebe zueinander,
nicht mehr auf Sex mit anderen zu verzichten. Die einzige
Bedingung: pure Ehrlichkeit. Nach einem halben Jahr kam
der dritte Partner ins Spiel. Was am Anfang nur Spaß war,
wurde immer ernster und auf der Pride-Parade gestanden
sich alle ihre Liebe. Ab da machten sie ganz typische Pärchendinge,
nur halt eben zu dritt. Ob Urlaub, zuhause auf der
Couch kuscheln oder auch Intimität, es wurde alles miteinander
geteilt. Auch bei Familientreffen nahm er beide Partner
mit. Seine Eltern waren dabei sehr unterstützend – doch sie
hatten auch Fragen. Genauso wie ihre Nachbarn, wenn sich
alle drei im Gang mit Küssen verabschiedeten. Es gab aber
auch Momente, in denen einer nicht dabei war. Das sah Max
ganz entspannt, sogar wenn’s um Sex ging: „Wenn ich von
der Arbeit kam und keine Lust mehr hatte, war es für mich
total okay, wenn sie gemeinsam etwas machten.“
Auch Jakob und Elisa, die schon seit über drei Jahren in
einer offenen Beziehung leben, führen in diesem Konzept ein
erfülltes Liebesleben. Miteinander gestalten sie ihren Alltag
und ihre Zukunft. In ihrer Freizeit treffen sie sich mit anderen,
um Sex zu haben. „Man muss sich daran gewöhnen, über
den Sex mit anderen zu erzählen. Aber es ist schön, sich
nicht zwischen einer Beziehung oder Dating entscheiden zu
müssen“, erzählt Jakob.
Liebe muss nicht auf eine Person beschränkt sein
/ RAMBAZAMBA / 35
36 / RAMBAZAMBA /
„
Attraktion zu anderen
Personen ist normal.
“
MONOGAMIE IST NICHT FÜR JEDEN
Monogamie ist in den meisten Ländern die Norm, doch das
war nicht immer so. Vor der neolithischen Revolution, also
dem Sesshaftwerden der Menschheit, als die Menschen
noch Jäger und Sammler waren, war eine Mischung aus
monogam und polyamorös die gängige Beziehungsform.
Exklusive Partnerschaften wurden so lange gehalten, bis
die Kindererziehung abgeschlossen war. Ein sinnvoller
Prozess, wie Sexualpsychologin Nicole Kienzl beschreibt.
War die Kindererziehung geschafft, suchte man sich neue
Partner*innen. Als der Mensch vor etwa 11.000 Jahren
sesshaft wurde, veränderte sich das Zusammenleben: Mit
dem eigenen Besitz kam auch der Wunsch, diesen an das
eigene Kind zu vererben. Aufgrund des Mangels an Kontrollmöglichkeiten
von Männern, ob das Kind wirklich von ihm
sei, wurde die Sexualität auf eine*n Partner*in reduziert. Das
beschreibt der Psychologe Christopher Ryan in seinem Buch
„Sex. Die wahre Geschichte“. Monogamie ist nicht in jeder
Religion typisch, aber vor allem im westlich vorherrschenden
Christentum. Diesem schreibt Nicole Kienzl einen starken
Einfluss auf die heute dominierende Monogamie zu: „Monogamie
ist ein soziales Konstrukt, das sehr von der Kirche forciert
wurde.“, so die Sexualpsychologin. Heute sind wir kaum
anderes gewöhnt, trotz Vaterschaftstests und Laizismus, also
der Trennung von Kirche und Staat. Dadurch denken viele
Menschen aber gar nicht mehr darüber nach, ob die tradierte
monogame Lebensform überhaupt das Richtige für sie sei.
Für Tobi ist Monogamie aber nicht das Richtige. Das
merkte er auch schon bei seiner ersten Beziehung mit etwa
17 Jahren. Schon damals sah er sich nach anderen Personen
um und fühlte sich schuldig. Man brachte ihm bei, dass
das nicht okay sei. Heute sieht er es als eine Art Superpower
an, sich in mehrere Personen verlieben zu können. Denn Tobi
identifiziert sich als polyamorös, trotz offener Beziehung.
Er bezeichnet seine aktuelle Situation als kompliziert, denn
er würde gerne auf eine polyamore Beziehung „upgraden“,
doch damit ist seine Freundin Sophia nicht einverstanden.
Dadurch bleibt es nur bei der offenen Beziehung – trotz
Gefühle für Ella, die er dadurch nur als sein Gspusi bezeichnet.
Es herrscht vor allem das Vorurteil, die Beteiligten
würden sich gar nicht wirklich lieben. Wie Tobi und Jakob
erzählen, lieben sie ihre Partnerinnen aus ganzem Herzen.
Tobi bezeichnet sich sogar als sehr romantisch. „Ich finde
nur nicht, dass das auf eine Person beschränkt sein muss“,
erzählt er. Auch Karynne, die aktuell Single ist und mehrere
Personen datet, hat dazu einiges zu sagen: „Attraktion
zu anderen Personen ist normal.“ Sie war schon oft in
monogamen Beziehungen, merkte aber, dass das nicht das
Wahre sei. Sie erkannte schon mit 19, dass sie eigentlich
polyamorös ist. Inzwischen kann sie
das komplett ausleben. Menschen,
die sie liebt, können koexistieren.
Eigentlich gibt es genau hier
Parallelen zu monogamen Beziehungen:
Die meisten sind nämlich
nicht wirklich monogam, sondern
Man liebt mehrere Personen
innerhalb eines Lebens, nur
nicht zur gleichen Zeit.
Lieben zu dritt? Das geht!
haben mehrere exklusive Beziehungen nacheinander. Man
liebt mehrere Personen innerhalb eines Lebens, nur nicht zur
gleichen Zeit. Genannt wird das serielle Monogamie, wie es
Nicole Kienzl beschreibt.
RASENDE EIFERSUCHT? FEHLANZEIGE!
Viele monogame Personen können nicht verstehen, wie
man nicht vor Eifersucht umkommt. Auch für monogame
Paare ist Eifersucht ein Thema, wird aber meist dadurch
abgewendet, den*der anderen jegliche körperliche oder
emotionale Nähe zu anderen Personen zu verbieten. Diese
kann begründet, aber auch unbegründet als Angstreaktion,
den*die Partner*in zu verlieren auftreten. Jakob und Elisa
sind okay damit, anderen körperlich nahe zu sein. „Es ist
ein Klischee, dass wir mehr Eifersucht verspüren. Ich würde
sogar behaupten, dass man damit weniger zu kämpfen hat,
weil man mehr darüber nachdenkt und sie eventuell sogar
überwindet“, so Jakob. Aber auch ihm ist Eifersucht kein
Fremdwort. Dabei ruft er sich immer wieder einen bestimmten
Gedanken in den Kopf: „Ich weiß ja selbst für mich, dass
ich keine bösen Absichten habe, wenn ich mit einer anderen
Person Sex habe. Deswegen vertraue ich ihr da, dass sie
auch damit so umgeht.“ Tobi sieht es eher gechillter und
behauptet, inzwischen gar keine Eifersucht mehr zu empfinden.
Ein Thema ist es für ihn jedoch
vor allem wegen seiner Freundin
Sophia. Er würde sich wünschen,
sie würde erkennen, wie sehr er
sie liebt, und dass sich daran auch
mit einer weiteren Beziehung nichts
ändern würde. Zur Eifersucht kommt
/ RAMBAZAMBA / 37
Eifersucht ist in nicht-monogamen Beziehungen genau so vorhanden
es meistens jedoch dann, wenn
Unehrlichkeit im Spiel ist. Auch
durch Regelbruch – die meisten Paare
stellen sich gegenseitig Regeln
auf – kann man fremdgehen. Erzähle
eine*r nicht von einer sexuellen
Erfahrung oder würde nicht verhüten,
könnte bei Jakob und Elisa ein
Konflikt entstehen. Tobi und Sophia
haben eine Blacklist an Leuten, die
tabu sind. Tobi schrieb seine Feinde aus der Schulzeit auf,
Sophia hingegen eine Ex von Tobi. Sexualpsychologin Nicole
Kienzl sieht klar definierte Regeln als A und O dafür, dass
eine geöffnete Beziehung überhaupt funktionieren kann.
„Absprachen und Kommunikation sind ganz wichtig, weil die
Treue ein ganz anderes Gewicht kriegt“, so Nicole Kienzl.
Tatsächlich kommt es nicht selten vor, dass eine Person
die Beziehung öffnen möchte, und die andere nur zustimmt,
um die Beziehung überhaupt am Leben zu halten. Auch bei
Jakob und Elisa war es anfangs ähnlich: Während beide
auf Auslandssemester in anderen Ländern waren, rief Elisa
Jakob gegen Ende des Semesters an und bat um eine offene
Beziehung. Sie hatte jemanden kennengelernt, mit dem
sie intim werden wollte. Jakobs erste Reaktion: Schock.
Doch anstatt die Beziehung zu beenden, probierte er es
Es kommt nicht selten vor,
dass eine Person die Beziehung
öffnen möchte, und die andere
nur zustimmt, um die Beziehung
überhaupt am Leben zu halten.
aus. Heute ist er sehr froh über die
Entscheidung. Ratsam ist es jedoch
nicht, ohne eigenes Interesse eine
nicht-monogame Beziehung einzugehen.
Tobi kennt die andere Seite
der Medaille: Ihn überkommen oft
Schuldgefühle, die ihn befürchten
lassen, dass er sowohl Sophia als
auch Ella zu einem Beziehungsmodell
drängt, damit er so leben kann,
wie er will. Trotzdem hatten sie die freie Wahl: Schon zu
Beginn der Beziehung hatte Tobi Sophia gesagt, eine offene
Beziehung zu wollen. Sie willigte ein, behauptet aber, ginge
es nur nach ihr, wären sie monogam. Inzwischen haben sie
sich darauf geeinigt, sich nichts vom Sex mit anderen zu
erzählen.
EINE PERSÖNLICHE ENTSCHEIDUNG
Die größte Frage ist jedoch: Kann das halten? Wie unsere
Interviewpartner*innen zeigen, lässt sich das nur ganz individuell
beantworten. Jakob meint, dass er gerne so weitermachen
würde wie bisher, aber auch mit Monogamie kein
Problem hätte. „Unsere Beziehung war auch schon davor
gut“, meint er. Tobi hingegen glaubt, dass es aufgrund der
Konflikte zwischen ihm, Sophia und Ella bald eskalieren könn-
38 / RAMBAZAMBA /
Entgeltliche Einschaltung
D A M I T S I E
I H R E W O H N U N G
B E H A L T E N
Die Corona-Pandemie hat auch viele Mieter*innen im Gemeindebau vor große Herausforderungen gestellt.
Wer dadurch kein Geld im Börsel hat und die Miete nicht zahlen kann, findet Hilfe bei der
Wiener Wohnungssicherungsstelle unter der Telefonnummer 01 4000 11420 und
durch die Stadtmenschen im Gemeindebau unter Stadtmenschen@wrwks.at.
Mehr Infos über alle Unterstützungsmöglichkeiten für Gemeindebaumieter*innen: wienerwohnen.at/hilfe
Sollten Sie Betroffene kennen, bitte weitersagen - helfen Sie uns beim Helfen!
Service-Nummer 05 75 75 75
wienerwohnen.at
te. Vielleicht würde die offene Beziehung standhalten, aber
diesem Gefühlschaos gibt er keine Chance. Karynne möchte
nie mehr komplett zur Monogamie zurück. Und Max wünscht
sich seine nächste Beziehung lieber monogam – auch wenn
er drei Jahre mit seinen beiden Partnern zusammen war, war
schlussendlich genau das der Trennungsgrund. Beide waren
ihm gegenüber nicht ehrlich und entdeckten unabsichtlich
durch gemeinsame Sexpartner den Betrug aneinander.
Nicht-monogame Beziehungen sind nicht ultimativ besser
oder schlechter als monogame. Das richtige Beziehungsmodell
muss jede*r für sich selbst entdecken. Nicole Kienzl zum
Beispiel beschreibt es so: „Wenn man eine tiefe und vertrauenswürdige
Beziehung will, finde ich die monogame Beziehung
schon DIE Beziehungsform. Wobei das nicht bedeutet,
dass offene Beziehungen nicht auch tief sind.“ Nicht-Monogamie
kann vor allem dann funktionieren, wenn miteinander
offen kommuniziert wird und die Partner*innen fest verbunden
sind. Da ist die Monogamie aber gar nicht so anders.
Anmerkung: Auf den Fotos handelt es sich nicht um die Protagonist:innen
des Artikels, sondern um szenische Ausschnitte aus nachgestellten Szenen
mit Personen, die selbst nicht im Artikel vorkommen.
Wir wollten wissen, wie Psycholog*innen Nicht-Monogamie
einschätzen. Sexualpsychologe Christian Beer im Interview:
BIBER: Wie oft kommen Personen mit
dem Interesse an einer nicht-monogamen
Beziehung zu Ihnen?
CHRISTIAN BEER: Interesse per se
haben die wenigsten, es ist eher ein Rettungsversuch
der Beziehung, wenn sich
die Sexualität verschlechtert. Sehr selten
sind die Personen von Anfang an daran
interessiert; vor allem dann nicht, wenn
sie verliebt sind.
Wie erklären Sie sich das Interesse
daran?
Grundsätzlich muss man hier einmal die
Rollen in einer Beziehung definieren.
Wenn man eine fixe Beziehung haben
möchte, dann muss man Rollen auch
regulieren. In unserem Kulturkreis ist es
bestimmt von Vorteil, wenn sich die Partner
gegenseitig als Nummer 1 für den
anderen sehen. Bei Polyamorie hat man
dieses Verhältnis nicht, weil man sich
den Platz 1 eventuell teilen muss. Ein
Stück weit erkläre ich es mit der Angst,
nicht alle Bedürfnisse in einer Beziehung
unterzubekommen, zum Beispiel
sexuelles Interesse nicht nur gegenüber
dem Partner zu haben. Es wird auch als
Ausweg für eine schlechter werdende
sexuelle Beziehung angesehen.
Sind Menschen von Natur aus monogam?
Nein, hier gibt es eine Diskrepanz
zwischen Natur und Kultur. Das kann
man auch an den Geschlechtsorganen
erkennen, so ist der Penis im Vergleich
zur Körpergröße sehr groß und wie eine
Saugpumpe aufgebaut, was darauf
deutet, dass früher ein starker Konkurrenzkampf
vorherrschte. Die Erklärung:
Mit der Form kann man fremde Spermien
während des Sex entfernen. Auch
Verliebtheit ist ein Teil der Sexualität,
der nach einigen Jahren abklingt und
an dessen Stelle Bindung hervorkommt.
Wir sind aber in den ersten Jahren der
Kindererziehung auf eine starke Bindung
angewiesen, um uns gegenseitig
zu beschützen. Diese Bindung ist nichts
Schlechtes, kann aber die sexuelle Vitalität
einer Beziehung eindämpfen. Erklären
kann man das mit der Bindung in Familien
untereinander, sich sexuell nicht zur
Verwandtschaft hingezogen zu fühlen -
trotz starker Bindung. Außerdem können
unsichere Bindungen Stress auslösen,
wodurch man zu anderen Personen geht,
um mit diesen Sex zu haben, wo dieser
Stress nicht besteht.
Wie lässt sich eine zuerst monogame
Beziehung erfolgreich öffnen?
Es geht, wenn man sich auf Spielregeln
einigt. Wenn zum Beispiel bei abgegrenzten
Veranstaltungen wie Swingerpartys
die Beziehung temporär geöffnet
und danach wieder geschlossen wird. Ich
glaube aber, dass eine nicht-monogame
Beziehung eher etwas Temporäres ist
und der aktuelle Trend zur Polyamorie
eine Sackgasse für Beziehungen darstellt
und eher schwierig ist.
Sind Menschen in monogamen oder
geöffneten Beziehungen besser aufgehoben?
Monogame Beziehungen im Sinne von
vertrauensvollen Beziehungen sind das
Richtige, Monogamie würde ich aber
nicht an erste Stelle stellen. Wichtiger
sind Fragen wie: Ist die Beziehung
erwachsen? Teilt man gemeinsame Werte?
Kann man einander vertrauen?
40 / RAMBAZAMBA /
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Mache mir die Welt,
wie sie mir gefällt
Von Şeyda Gün
Fashion-Tipp
BOMBO BOOTS
MEINUNG
Mein erschöpftes
„Ich“
An manchen Tagen fällt es mir extrem
schwer, motiviert und top-fit in den Tag
zu starten.
Mit jeder WhatsApp-Nachricht und
jedem Anruf auf meinem Handy verrolle
ich meine Augen und bin von allem und
jedem genervt. Am liebsten würde ich
mein Handy aus dem Fenster werfen,
jeglichen sozialen Kontakt vermeiden
und den ganzen Tag im Bett liegen
und einfach nichts tun. Wir leben in
einer Welt, in der wir uns von unserem
Alltagsleben manchmal einfach keine
Pause gönnen können, weil wir keine
Zeit oder Kraft dafür haben. Dabei sind
diese „Pausen“ gut und wichtig für
unsere Gesundheit, aber auch unser
Wohlbefinden. Für mich bedeutet
Auszeit, wenn ich mal wieder ein Buch
lesen, eine Serie binge-watchen oder
einen Spaziergang in der Natur unternehmen
kann. Oft habe ich das Gefühl,
dass wir permanent damit beschäftigt
sind, etwas für das System, in dem wir
leben, zu leisten und dabei auf unser
mentales Wohlbefinden vergessen.
Genau das habe ich satt. Wann hast du
dir das letzte Mal eine Auszeit genommen?
Xoxo Ş.
guen@dasbiber.at
Healthy Lifestyle
FANCY
TRINKFLASCHE
Wenn wir schon beim Thema
Gesundheit sind: Wasser ist
wichtig, für die kalten Herbsttage
könnt ihr euch diese fancy Trinkflasche
gönnen und diese mit Tee
befüllen. Yummy, oder? (Amazon:
21,50 Euro)
Ich liebe fette Chelsea Boots,
sie sind mein Highlight für den
Herbst und Winter. Unterwegs mit
meinen Airpods im Ohr, mit geiler
Musik im Hintergrund und diesen
Bombo-Boots fühl ich mich
immer mega. Probiert es aus.
(Stradivarius: 55,99 Euro)
WIR ALLE
LIEBEN
LIBRE
Wie ihr bereits wissen solltet, liebe
ich Parfüm. Bestimmte Düfte
lösen in mir Erinnerungen an eine
Person oder eine bestimmte Phase
in meinem Leben aus. Libre
von Yves Saint Laurent erinnert
mich an meine beste Freundin
und ist wirklich ein must have.
Vallah, hört auf mich und holt es
euch. (Müller: 30ml, 74,95€)
© Zoe Opratko, Stradivarius, Bobicon, Yves Saint Laurent
42 / LIFESTYLE /
© 2022 McDonald’s. In allen teilnehmenden Restaurants in Österreich. Produkt mit Schmelzkäsezubereitung.
Alle panierten Hühnerprodukte aus Hühnerfleischstücken geformt und zusammengefügt. Ausgenommen Fremdmarken.
IHR KÖNNT
UNS ALLE
MAL…!
„Ihr könnt uns alle mal…!“ wird am 01.12.
2022 um 17:00 Uhr im Metro Kino Premiere
feiern. Weitere Termine für Screenings
werden auf dem Instagram-Kanal
@aklockdownstories bekanntgegeben.
Immer mehr junge Menschen können die Politik in Österreich
nicht mitgestalten. Die Arbeiterkammer Wien möchte mit dem
Projekt AKLockdownstories elf Jugendliche zu Wort kommen
lassen, die sonst keine Stimme haben. Wie es ist, jung zu sein
und sich von Politik und Gesellschaft nicht gehört zu fühlen,
erzählen sie in dem Film „Ihr könnt uns alle mal…!“.
Von Emilija Ilić, Fotos: Zoe Opratko
Dieser Beitrag entstand
in Kooperation mit der
Arbeiter kammer Wien.
Die redaktionelle Verantwortung
liegt bei BIBER.
44 / SPECIAL /
Immer mehr Jugendliche können
mit der österreichischen Politik
nichts anfangen. Eine SORA-Studie
bestätigt: Nur sechs Prozent aller
16- bis 26-Jährigen fühlen sich von ihr
gut vertreten. Die elf TeilnehmerInnen
von AKLockdownstories wollen in ihrem
neuen Film zeigen, wie wichtig politische
Beteiligung für sie ist. Von Ideenfindung,
Drehbuch-Sessions bis hin zum Schauspielcoaching
– die Jugendlichen werden
mit Unterstützung der Arbeiterkammer
Wien einen eigenen Film verwirklichen,
in dem sie ihre persönlichen Sorgen und
Vorstellungen zum Thema Ausgeschlossen-Sein
aufzeigen.
Für Projektleiter Alper Eroğlu ist die
Zusammenarbeit mit den Jugendlichen
ein Herzensprojekt. Als Jugendkoordinator
der Arbeiterkammer Wien in der
Abteilung für Lehrausbildung und Bildungspolitik
initiierte er bereits 2021 das
Projekt AKLockdownstories. Der Anstoß
dafür waren Ergebnisse einer Studie
der österreichischen Gewerkschaftsjugend
(ÖGJ), der MedUni Wien und der
Donau-Uni Krems über den psychischen
Gesundheitszustand Jugendlicher während
der Coronapandemie. „Die Jugendlichen
sind komplett untergegangen und
ihre psychische Gesundheit hat darunter
gelitten. Der erste Film wurde zwischen
den Lockdowns gedreht, deshalb auch
der Name AKLockdownstories. Das
Projekt hat aber so gut funktioniert, dass
wir jetzt in die zweite Runde gehen“, so
Alper.
Er suchte sich eine Gruppe von
Jugendlichen, die motiviert waren, ihre
Geschichten selbst zu verfilmen. Auf
die insgesamt elf TeilnehmerInnen ist
er durch vorherige Projekte und die
Bildungseinrichtung Interface gestoßen.
„Mir war es wichtig, dass die Teilnehmenden
Lust auf das Projekt haben.
Wichtig war auch, dass wir Jugendlichen
aus marginalisierten Gruppen eine
Stimme geben, die sonst selten zu Wort
kommen.“
Projektleiter Alper Eroğlu
Regisseur Mahir Yildiz
ZUKUNFT OHNE
MITBESTIMMUNG?
Bei den verganenen Bundespräsidentschaftswahlen
durften 1,4 Millionen
Menschen nicht wählen, da sie die
österreichische Staatsbürgerschaft nicht
besitzen. Tendenz steigend. Auch die
Mehrheit der AKLockdownstories-Gruppe
besitzt keine österreichische Staatsbürgerschaft.
„Von der halben Million
wahlberechtigten WienerInnen, die nicht
die österreichische Staatsbürgerschaft
haben, sind 72.000 zwischen 16 und
24 Jahren alt. Dazu zählen Jugendliche,
die zum Großteil hier geboren und in
die Schule gegangen sind. Ihnen fehlt
schon im jungen Alter das Vertrauen in
das politische System. Sie haben das
Gefühl, weder beteiligt zu sein, noch
gehört zu werden. Das führt dazu, dass
die Demokratie insgesamt geschwächt
wird. Hier will die Arbeiterkammer Wien
entgegenwirken“, so Projektleiter Alper
im Gespräch.
Bereits seit Juli trifft sich das Team
mit Regisseur Mahir Yıldız fast jedes
Wochenende. In Brainstorming-Sessions,
Workshops mit ExpertInnen und
auch beim gemeinsamen Mittagessen
diskutierten sie, wie man ihre Lebensrealitäten
in einem Film zeigen kann. Die
Teambuilding-Aufgaben waren für die
Gruppe besonders wichtig, da sie auch
im Film eine Freundesgruppe spielen
und ihre persönlichen, realen Geschichten
teilen. Sie stellten sich gegenseitig
intime Frage, schrieben fiktive Geschichten
zusammen und wurden eine kleine
AKLockdownstories-Familie.
Regisseur Mahir war von Anfang an
dabei und nahm in der Entstehungsphase
eine begleitende Rolle ein. „Ich wollte
und will, dass so viel wie möglich von
den Jugendlichen selbst kommt. Es
sind ihre Geschichten und sie sollen
sich damit identifizieren können.“ Nach
intensiven Gesprächen mit Projektleiter
Alper begann er das Konzept für die
Film-Workshops zu erstellen. „Die Politik,
die gern die Floskel ‚Die Zukunft gehört
den Jugendlichen‘ schreit, vergisst, dass
die Gegenwart den Jugendlichen genauso
gehört und lässt junge Menschen in
gesellschaftsrelevanten Fragen oft nicht
mitbestimmen“, kritisiert der Regisseur.
AUTHENTISCHE
GESCHICHTEN
Stundenlang setzten sich die TeilnehmerInnen
von AKLockdownstories mit
DrehbuchautorInnen Felicia Schätzer und
Ibrahim Amir zusammen, die sie dabei
unterstützten, ihre Geschichte professionell
zu erzählen. Erst als alle Beteiligten
mit dem Drehbuch zufrieden waren,
gingen die Schauspielcoachings los.
Da die Teilnehmenden wenig Erfahrung
mit Schauspiel hatten, wurden die zwei
Schauspielerinnen Anna Kramer und May
Garzon ins Team geholt. In Gruppen- und
Einzelübungen wurden die Jugendlichen
herausgefordert, sich in eine Rolle
hineinzuversetzen. Die Rollen wurden so
zugeteilt, dass sich jede Person mit ihrer
/ SPECIAL / 45
Wieso ist dir
politische
Beteiligung
wichtig?
Mahir Yildiz möchte, dass die Zukunft möglichst von allen mitbestimmt wird.
Figur identifizieren und die jeweiligen
Charakterzüge authentisch verkörpern
konnte. Auch einen Teil der Requisiten
fertigten die Jugendlichen für den Film
selbst an.
Der Inhalt des Films spiegelt nicht nur
die Realität der Gruppe wider, sondern
auch die Schicksale etlicher Jugendlicher
mit Migrationshintergrund. Projektleiter
Alper war es besonders wichtig, dass
Jugendliche, die keine Profischauspieler
sind, beim Film mitwirkten. „Denn
genau sie sind diejenigen, die von diesen
Missständen betroffen sind, und somit
© Christopher Glanzl
„Österreich hat ein veraltetes,
unfaires Staatsbürgerschaftsgesetz.
Die vielen Hürden führen dazu, dass
viele den österreichischen Pass nicht
bekommen. Gerade auch Frauen und
junge Menschen, die weniger verdienen,
haben keine Chance. Deshalb
hat Österreich insgesamt eine viel
auch am ehrlichsten darüber berichten
können.“
Der Film ist sowohl für alle, die von
politischer Beteiligung ausgeschlossen
sind, als auch für jene, die etwas daran
ändern könnten. Für Alper ist die Message
des Projekts, „dass Jugendliche
nicht so politikverdrossen sind wie viele
gerne behaupten, sondern ihnen oft nur
die Möglichkeiten zur Mitbestimmung
und Beteiligung fehlen. Die Arbeiterkammer
Wien wird Jugendlichen immer
als starke Partnerin und Verbündete zur
Seite stehen.“
zu geringe Einbürgerungsquote und
es steigt jährlich der Anteil jener,
die nicht wahlberechtigt sind. Diese
ungerechte Situation schwächt nicht
nur unsere Demokratie, sondern sie
schwächt auch die Interessen von uns
ArbeitnehmerInnen und die Aufstiegschancen
von MigrantInnen und
junger Menschen. Mittlerweile sind es
schon 100.000 WienerInnen, die hier
geboren wurden, hier aufwachsen
und unsere Stadt prägen – die aber
nicht wählen dürfen, weil sie nicht
den Pass haben. Das ist ungerecht,
zukunftsfeindlich und schadet dem
Zusammenleben.“
ILKIM ERDOST, Bereichsleiterin Bildung
& KonsumentInnen bei der Arbeiterkammer
Wien
„Hätte meine Mutter die
Staats bürgerschaft damals
nicht mühselig beantragt,
hätte ich heute keine
Chance, mich am politischen
Diskurs zu beteiligen.“
Emilija, 20, Wien, serbischer
Migrationshintergrund
WAHLRECHT
„Ich bin genauso Teil dieser
Gesellschaft wie Personen, die
die Staatsbürgerschaft haben.“
Maria, 18, Wien, rumänischer
Migrationshintergrund
KEIN WAHLRECHT
46 / SPECIAL /
„Alle, die in Österreich
geboren wurden, sollten
dieselben Rechte haben und die
Möglichkeit, mitzubestimmen.“
Moria, 18, Wien
WAHLRECHT
„Ich darf hier arbeiten und
Steuern zahlen, ohne ein
Mitspracherecht bei politischen
Entscheidungen zu haben.“
Zeynep, 23, Türkei
KEIN WAHLRECHT
„Politik ist ein wichtiger
Teil meines Lebens und
darum möchte ich auch
mitbestimmen dürfen.“
Sufian, 21, Syrien
KEIN WAHLRECHT
„Ich bin vor drei Jahren
nach Österreich gekommen
und möchte hierbleiben.
Dafür brauche ich die
Staatsbürgerschaft.“
Nabil, 18, Syrien
KEIN WAHLRECHT
„Politik wirkt sich auf das
Leben jeder einzelnen Person
aus – auch auf jene, die
von politischer Beteiligung
ausgeschlossen werden.“
Asja, 21, Wien, bosnischer
Migrationshintergrund
„Ich will mich nicht nur
mit der Sprache und der
Arbeit integrieren, sondern
ich will auch die Staatsbürgerschaft
haben.“
Rokhash, 23, Syrien
KEIN WAHLRECHT
WAHLRECHT
„Politische Entscheidungen
betreffen jeden Tag unser
Leben, deshalb müssen alle
gehört werden.“
Jana, 19, Klosterneuburg
WAHLRECHT
„Ich bin direkt von politischen
Entscheidungen betroffen,
ohne mitentscheiden zu dürfen,
obwohl ich hier geboren bin.“
Melike, 21, Wien, türkischer
Migrationshintergrund
KEIN WAHLRECHT
„Ich bin seit sechs Jahren hier,
darf nicht wählen gehen und
habe keinen Anspruch auf die
Staatsbürgerschaft.
Samim, 20, Afghanistan
KEIN WAHLRECHT
/ SPECIAL / 47
KARRIERE & KOHLE
Para gut, alles gut
Von Šemsa Salioski
MEINUNG
Über die
Trennung
von Job und
Selbstwertgefühl
Da wir den Großteil der Zeit mit
Arbeiten verbringen, ist es üblich,
die eigene Identität eng an den Job
zu knüpfen. Was tun wir aber, wenn
es nicht läuft wie geplant? Burnouts,
Schwierigkeiten, eine Stelle zu finden
oder Kündigungen - alles nicht gerade
unwahrscheinlich. Meine Eltern sind
vor Jahren fast zeitgleich plötzlich
arbeitslos geworden. Ruinierte Körper
durch schwere Arbeit und über zehn
Jahre Loyalität haben beiden Firmen
nicht gereicht, um sie in Krisenzeiten
nicht wie Ballast abzuwerfen. Bald darauf
kam der Abschied vom Selbstwertgefühl.
Die emotionalen Folgen jucken
die kapitalistische Gesellschaft Null.
Diese Phase hat mir früh gezeigt, dass
der Mensch nicht durch seine Arbeit
alleine definiert werden darf. Tun wir
es uns also bitte selbst und anderen
nicht an. Jede Person ist mehr als das,
was sie tut, um Geld zu verdienen.
Ich finde nicht verwerflich, stolz auf
erbrachte Leistungen zu sein, glaube
aber trotzdem, dass man sich öfter
fragen sollte, wer man ohne (Traum)
Job ist.
salioski@dasbiber.at
PARA-MANAGER
AM HANDY
Schon wieder Mitte des Monats
und ihr schaut alle Jacken
durch, um ein paar Euros für
den billigsten Döner im Bezirk
zu finden? Mal ehrlich, das
Gefühl kennen die meisten
von uns. Aber hey, das lässt
sich vermeiden - durch gute
Planung! Es gibt nämlich genug
Money Management Apps,
über die man seine Einnahmen
und Ausgaben festhalten,
ordnen und analysieren kann.
Empfehlen kann ich besonders:
Monefy – Expense Manager,
Money Manager und SayMoney
–Haushaltsbuch. Btw: Die Apps
loosen auch in der Gratisversion
nicht ab.
FAKE IT TILL
YOU MAKE IT:
SELBSTBEWUSST MIT DER
RICHTIGEN WORTWAHL
In neuen Situationen achten
besonders beruflich unerfahrene
Menschen darauf, nicht unhöflich
zu wirken. Leider führt das oft dazu,
dass man als unsicher wahrgenommen
wird. Hier sind 3 Sätze, die ihr
in Zukunft vermeiden könnt:
→ Statt: „Ich hoffe, das macht so
Sinn“, lieber: „Gib Bescheid,
wenn du Fragen hast.“
→ Statt: „Kann ich vielleicht früher
gehen?“, lieber: „Ich muss früher
gehen weil XY.“
→ Statt: „Sorry, dummer Fehler von
mir“, lieber „Danke für den Hinweis,
ich verbessere das gleich!“
FOMO („FEAR OF MISSING OUT“)
WAR GESTERN!
Winter ist coming und mit ihm auch der alljährliche Winterblues. Aber keine
Panik – die Wiener Volkshochschulen helfen euch dabei nicht auf eure mentale
Gesundheit zu vergessen. Mit einem umfassenden Angebot an Kursen
zu Themen wie Selbstwert, Konfliktbearbeitung, Depressionsprophylaxe
sowie zum Umgang mit den eigenen Ängsten ist für jede*n etwas dabei.
Den für euch passenden Kurs findet ihr auf www.vhs.at/selbstwert.
Organisation is Key. Unsere alltäglichen To Dos halten uns ganz schön auf
Trab – die VHS schafft hier Abhilfe: Auf www.vhs.at/selbstorganisation
findet ihr eine Auswahl an günstigen Kursen zum Thema Selbstorganisation,
Stressbewältigung und Gedächtnistraining.
© Zoe Opratko, unsplash.com/Paul Hanaoka, unsplash.com/Jason Goodman
48 / KARRIERE /
„Seit Ausbruch der
Krise haben die
EU-Staaten den
Gasverbrauch um
10 % gedrosselt“
Von Šemsa Salioski
Die EU möchte bis 2050 Klimaneutral
werden – Angesichts der Momentanten
momentanen Krise kommen dazu
einige Fragen auf. Wo wird eingespart
und was bedeutet das für uns? Das
verrät Sabine Berger, Pressesprechern
der EU Kommission in Wien.
BIBER: Die verschiedenen Mitgliedsstaaten
haben eigene Wege, um mit
den hohen Gaspreisen umzugehen, in
Österreich gibt es beispielsweise das
Klimageld. Wie antwortet die EU aber auf
die Energiekrise und die damit verbundenen
Kosten?
SABINE BERGER: Auf Initiative der
Europäischen Kommission haben sich
die EU-Staaten geeinigt, Zufallsgewinne
von Stromerzeugern abzuschöpfen und
eine Solidaritätsabgabe für Unternehmen
im Öl-, Gas-, Kohle- und Raffineriebereich
einzuführen. Das wird etwa
140 Milliarden Euro bringen, mit denen
Haushalte und Unternehmen unterstützt
werden können. Weiters baut die EU die
Partnerschaft mit verlässlichen Energielieferanten
wie Norwegen und USA
aus und arbeitet an Maßnahmen, um
die Auswirkungen der hohen Gaspreise
auf die Strompreise zu begrenzen. Die
günstigste Antwort ist natürlich Energiesparen.
Hier hat die EU ambitionierte
Ziele gesetzt.
Welche konkreten Schritte werden unternommen,
um die Abhängigkeit von Gas
zu reduzieren, und wie gestalten sich
diese mittel- und langfristig?
Wir setzen auf den massiven Ausbau der
erneuerbaren Energien wie Photovoltaik
und Windkraft. Ihr Anteil am Energieverbrauch
soll sich bis 2030 auf 45 %
verdoppeln, jeden Tag kommt Kapazität
dazu. Das ist klima- und geopolitisch das
Gebot der Stunde: Kein Autokrat kann
den Wind oder die Sonne abdrehen.
Übrigens können wir alle etwas für die
Unabhängigkeit tun. Wenn wir z. B. das
Thermostat EU-weit um 1 Grad runterdrehen,
sparen wir 10 Milliarden Kubikmeter
Gas – das ist in etwa der Bedarf
Österreichs. Seit Ausbruch der Krise
haben die EU-Staaten den Gasverbrauch
bereits um 10 % gedrosselt.
Die EU möchte bis zum Jahr 2050 klimaneutral
werden. Angesichts der Coronaausgaben
und steigenden Inflation
sowie der nun zu erwartenden Rezession
sind damit verbundene Kosten aber
deutlich angestiegen. Ist das Ziel noch
realistisch und wie setzt man es angesichts
der neuen Realität um?
Ja, das Ziel ist aktueller denn je. Es
braucht jetzt Zusammenhalt, Reformen
und Investitionen in Klimaschutz und
Digitalisierung. Das unterstützt die wirtschaftliche
Erholung und macht Europa
zukunftsfit. Genau darauf zielt das 800
Milliarden Euro schwere EU-Programm
NextGenerationEU ab. In Österreich
werden z. B. Elektro-Busse, umweltfreundliche
Heizsysteme, der Reparaturbonus,
schnelles Internet und Laptops
für Schulen finanziert.
Jeder
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bringt dich
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Ist der Anfang mal gemacht,
geht es einfach weiter!
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es aktuell in Österreich gibt.
DIE Job-Suchmaschine
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MEINUNG
WARUM REDEN WIR NICHT ÜBER GELD?
Kommentar von Emilija Ilić
Wie viel verdienst du eigentlich? Schon früh wurde
mir beigebracht, dass diese Frage ein absolutes
Tabuthema in Österreich ist. Über Geld spricht
man nicht, man hat es einfach. Aber welche
Probleme entstehen, wenn wir nicht miteinander
über Geld reden und wenn man keine Vorstellung
davon hat, wie viel eigentlich die eigenen Eltern
verdienen?
Woher kommt dieses gesellschaftliche Phänomen,
nicht über Geld zu sprechen? Besonders zur Zeit der
Teuerungen ist es ein Schuss ins Knie, sich nicht mit
Zahlungen, Sparmaßnahmen und konkreten Kosten
zu beschäftigen.
Geld ist nicht alles im Leben, Reichtum noch
weniger. Trotzdem ist es wichtig, Ahnung davon zu
haben, wie viel Geld man hat. Jede/r von uns will ja
finanziell halbwegs stabil durchs Leben gehen. Einen
gewissenhaften Umgang mit Geld lernen wir nur,
wenn wir anfangen nachzufragen. Es ist fatal, dass
vielen jungen Menschen gar nicht bewusst ist, wie
viel etwas kostet. Wie sollen junge Erwachsene eine
Vorstellung von Finanzen haben, wenn es beschämend
oder frech ist, darüber zu sprechen?
Ungerechtigkeiten werden totgeschwiegen.
KollegInnen sprechen am Arbeitsplatz nicht über ihr
Gehalt. Woher soll ich dann wissen, dass bei meinem
eigenen Gehalt etwas nicht mit rechten Dingen
zugeht? Besonders bei ungleichen Gehältern können
wir schneller Fairness einfordern, wenn wir uns
untereinander austauschen. Unterschiedliche Löhne
von Mann und Frau für dieselbe Arbeit kommen nicht
gerade selten vor. Miteinander darüber sprechen?
Machen wir nicht, sollten wir aber.
Kosten neuer Anschaffungen werden kaum offengelegt.
Der Kauf eines Autos, der Hausbau, wie viel
Gewinn bei einer Investition gemacht wurde, die besten
Sparmaßnahmen – all das bleibt ein Geheimnis.
Durch fehlenden Austausch fällt es schwer, Kosten
einzuschätzen. Vielleicht hast du einmal bei einem
Kauf zu viel Geld ausgegeben? Vielleicht hat dich der
Tischler doch mal abgezogen? Vielleicht hättest du
dir woanders den einen oder anderen Euro sparen
können – hättest du einfach darüber gesprochen.
Die Angst, dass uns etwas weggenommen wird,
hindert viele daran, offen zu sprechen. Wenn es
um Geld oder Materielles geht, ist der Neid und die
Missgunst in unserer Gesellschaft tief verankert.
Wir haben nicht nur Scheu davor, dass Leute uns
verurteilen oder uns etwas nicht gönnen, wir gönnen
selbst nicht.
Viele meiner FreundInnen wissen gar nicht, wie
viel ihre Eltern verdienen. Es war nie ein Thema
und wird auch nicht als notwendig empfunden, es
den Kindern weiterzugeben. Das führt dazu, dass
sie keine Vorstellung davon haben, wie viel Miete
gezahlt wird oder wie teuer ein Auto eigentlich ist. Es
entsteht ein vollkommen verzerrtes Bild von einem
„ausreichenden“ Gehalt.
Junge Erwachsene werden selbstständig und
unterschätzen, wie viel Geld sie eigentlich brauchen.
Oft geraten sie in Schulden. Der Schuldenreport von
2021 gibt an, dass 24,7% der KlientInnen, die um
Schuldenberatung ansuchen, unter 30 sind. Natürlich
gibt es verschiedene Gründe, warum eine junge
Person in Schulden gerät. Doch der erste Schritt für
einen vernünftigen Umgang mit Geld ist, darüber zu
reden. Fangen wir endlich damit an!
© Zoe Opratko
50 / KARRIERE /
Was bringt das
Entlastungspaket
für die Menschen
in Österreich?
Entgeltliche Einschaltung
Das Entlastungspaket bringt’s – verschaffen Sie
sich mit dem Entlastungsrechner den Überblick:
Eine Vielzahl an Maßnahmen für arbeitende Menschen,
Pensionistinnen und Pensionisten, Familien und Unternehmen
Mehr als 32 Milliarden für Österreich
zur Abfederung steigender Kosten
Der Entlastungsrechner führt zu Ihrer
persönlichen Entlastung 2022
Jetzt Entlastung berechnen!
bmf.gv.at/entlastungsrechner
Österreichs größtes Entlastungspaket mit einem Volumen von 32,7 Milliarden Euro
wirkt den aktuellen Entwicklungen entscheidend entgegen und bringt mehr für alle
Menschen im Land.
Mehr fürs Leben –
fair für alle.
Rechnen Sie gleich nach, wieviel es Ihnen persönlich bringt:
bmf.gv.at/entlastungsrechner
TECHNIK & MOBIL
Alt+F4 und der Tag gehört dir.
Von Adam Bezeczky
MEINUNG
Winter is coming
USB-C
AB 2024
Endlich ist es soweit: EU weit gelten
für alle Hersteller - ja auch für Apple -
einheitliche Vorgaben was Ladekabel
betrifft: Man hat sich für das USB-C
Format entschieden. Damit sollen
Berge von Elektroschrott reduziert
werden. Feine Sache!
Der Winter ist da, die Heizperiode
auch - nur das Erdgas aus Russland
fehlt. Gesprengte Pipelines, wartungsbedingt
abgedrehte Pumpstationen
oder Zahlungsprobleme. Die
Liste der Gründe ist lang, warum
gerade kein Gas geliefert wird. Ja,
jetzt heißt es, warm anziehen - und
für die Zukunft nachhaltige Entscheidungen
von unseren PolitikerInnen
einfordern. Sich jetzt von anderen
Lieferanten abhängig zu machen,
kann auf jeden Fall nicht die richtige
Entscheidung sein. Europa
müsste sich zusammenfinden und
gemeinsam an einer europäischen
Energielösung arbeiten - und zwar
umfassend: Von baulichen Maßnahmen
bis hin zu Einsparlösungen
müsste das Bewusstsein dafür
geschaffen werden, dass
Energie nie billig ist. Der
Treibstoff unserer Zivilisation
kostet halt, das müssen
wir akzeptieren. Aber
wenn wir uns jetzt g’scheit
anstellen, wird die nächste
Energiekrise einfacher zu
handhaben sein. Hoffentlich.
bezeczky@dasbiber.at
paprikap0w3r
LANDMINEN
SICHER FINDEN
Landminen sind eine heimtückische
Waffe. Einmal vergraben und
scharf gestellt lauern sie unter der
Erde und töten und verletzen auch
Jahrzehnte nach dem Ende eines
Konflikts unschuldige Menschen.
Die Demining Research Community
hat jetzt einen Algorithmus darauf
trainiert, Drohnenbilder auszuwerten
und Minen aufzuspüren. Mit
einer 92 % Trefferquote könnte das
System viel Leid verhindern. Am
besten wäre natürlich, dass man
diese Waffe erst gar nicht einsetzt.
Ampeln gegen
Display-Zombies
Das österreichische Unternehmen
Swarco aus Perchtoldsdorf hat eine
Ampel entwickelt, die die Ampelfarbe
auf dem Display des Passanten
spiegelt. Warum ist das gut? Weil
wir alle manchmal zu sehr am Bildschirm
kleben und in den fließenden
Verkehr reintapsen. Der Testbetrieb
des SafeLight Systems läuft, und
wenn alles glattgeht, könnte diese
Ampel Menschenleben retten.
© Marko Mestrovic, unsplash.com/Jason Blackeye, unsplash.com/Mike Benna, Swarco AG
52 / TECHNIK /
WIR MACHEN ABFALL
ZUM ROHSTOFF.
INNOVATIVES RECYCLING
VON DER NEUEN OMV.
Nachhaltig handeln bedeutet, mit Ressourcen so umzugehen, dass wir auch morgen noch
gut leben können. Und das müssen wir heute anpacken. Die neue OMV forscht schon jetzt
an den Lösungen für morgen und investiert in innovative Recyclingprojekte. Denn wir wollen
dazu beitragen, den Großteil der Kunststoffabfälle in Österreich als wertvolle Rohstoffe wiederzuverwerten
und so CO 2 einzusparen.
Mehr dazu: omv.com/neue-omv
So oder so ähnlich
dürften die ersten
Bewohner von Brijuni
ausgesehen haben
TITOS
MYSTERIÖSE
DINO-INSEL
Freilaufende Zebras, echte Dino-
Fußabdrücke, Indira Ghandis Elefant,
abgesperrte Villen, auf Tuchfühlung
mit Fidel Castro und der Queen, und
das alles unter dem Auge eines sehr
mächtigen Herrschers: Die Rede ist
nicht von Pablo Escobars Hacienda
Napoles, sondern von Josip Broz Tito
und der kroatischen Insel Velki Brijun.
Von Aleksandra Tulej
Sobald man von der Fähre im Hafen von Velki Brijun
absteigt, bekommt man den Eindruck, als sei man
auf der Isla Nublar gelandet - der berüchtigten
Jurassic-Park Insel aus der Hollywood-Trilogie: Nicht
nur durch die auf den ersten Blick unberührte Natur, die mysteriöserweise
in der Tiefe der Insel einige Ruinen zu verstecken
scheint, die Steppen, Felsen, und die grünen, dichten, hohen
Bäume: Tatsächlich findet man hier im Hafen direkt an der Küste
einen echten Dinosaurierfuß-Abdruck, der sich wirklich gut
gehalten hat. Er sieht aus wie ein riesiger Hühnerfuß-Abdruck.
Dieser hat wahrscheinlich einem großen Fleischfresser der
Gruppe der Theropoda gehört und wurde als einer von etwa
200 Dino-Fußspuren auf Velki Brijun durch einige komplizierte
geologische Prozesse und auch etwas Glück hier präserviert.
INDIRA GHANDIS ELEFANT
Doch man muss gar nicht Milliarden von Jahren zurückblicken,
um die Geschichte Brijunis zu lernen – ein paar Tausend tun es
auch: Ruinen von einst eindrucksvollen Villen aus der byzantinischen
und Römerzeit sind hier genauso vorzufinden, wie
ein 1600 Jahre alter Olivenbaum, von dem heute immer noch
Oliven geerntet werden. Trotzdem ist die Insel kein Artefakt
an leblosen Relikten: Auf Velki Brijun erstreckt sich auch ein
Safari, auf dem Zebras neben Lamas und Emus frei herumlaufen.
Gleich daneben ist ein Golfplatz, kunstvoll eingerichtete
Villen und Hotels, aber in alle Winkel der Insel darf man nicht
– die Bereiche, die vom kroatischen Verteidigungsministerium
verwaltet werden, sind und bleiben für die Öffentlichkeit
geschlossen. Wie passt das alles zusammen? Was genau ist
diese mysteriöse Insel und stimmt es wirklich, dass hier eine
Elefantendame, die einst Indira Ghandi gehörte, herumläuft?
Wo befinden wir uns genau?
MYSTERIÖSE DINO-INSEL
Velki Briijun ist eine von 14 Inseln, die zusammen den Nationalpark
Brijuni bilden – Velki Brijun ist die größte der Inseln,
© Web NP Brijuni
54 / OUT OF AUT /
Jugoslawiens Staatsoberhaupt Josip Broz Tito verbrachte
hier gefühlt sein halbes Leben
Die Spuren der alten Römer auf Brijuni
sie wird von dem Fazana-Kanal vom istrischen Festland
getrennt. Eine Fähre kursiert mehrmals am Tag zwischen
dem Hafen von Velki Brijun und dem bunten, kleinen aber
feinen Fischerdorf Fazana. Die Überfahrt dauert etwa 20
Minuten – außer, eine der im Hafen geparkten Yachten
gehört euch, dann ist es wahrscheinlich nur die Hälfte der
Zeit. Aus Fazana sind es übrigens dann wiederum nur 15
Minuten mit dem Auto nach Pula. Pula ist die älteste Stadt
Istriens und gleichzeitig auch das kulturelle Zentrum der
Region: So findet man hier ein Amphitheater, das noch relativ
gut aus der Römerzeit erhalten geblieben ist. Aber zurück
zur mysteriösen Dino-Insel.
STEPPEN-ZEBRAS UND ALBINOPFAUE
Tatsächlich, ein Teil von Brijuni dient schon seit Jahren als
Residenz des jeweiligen Präsidenten der Republik Kroatien
und Staatsgäste. Diese Gebiete befinden sich rund um die
Villa Jadranka, Bijela vila und Brijunka. Die sind für Touristen
nicht zugänglich, weitaus touri-freundlicher ist der nördliche
Rand der Insel, auf dem sich ein ungewöhnlicher Safari-Park
erstreckt. Hier findet man Steppen-Zebras, Lamas mit langen
wolligen Haaren, istrische Schafe, südamerikanische Kamele,
wieder istrische Ziegen, heilige indische Rinder, Sträuße,
Albinopfaue und sogar die Elefantendame Lanka, die 1972
her gebracht wurde: Sie war ein Geschenk der indischen
Präsidentin Indira Gandhi an das ehemalige Staatsoberhaupt
Jugoslawiens Josip Broz Tito. Auf Brijuni übte Tito nämlich
einen wesentlichen Teil seiner staatlichen und politischen
Aktivitäten aus, Gerüchten zufolge verbrachte er mehrere
Monate im Jahr auf der Insel.
DIE QUEEN UND BRUNO KREISKY
WAREN AUCH DA
Brijuni war, wie Ausgrabungen zeigen, schon in der Antike
besiedelt, später standen die Inseln über Jahrhunderte
unter der Herrschaft Venedigs, ehe sie Napoleon zufielen
und auf dem „Wiener Kongress“ österreichisch-ungarisch
wurden. Das blieben sie dann bis zum Ende der Monarchie.
Von Italiens „Duce“ Benito Mussolini beschlagnahmt,
wurde Brioni zum Bade-, Golf- und Polo-Paradies der Oberen
Zehntausend im faschistischen Italien.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gelangten die Inseln in
den Besitz Jugoslawiens und standen dem Staatspräsidenten
Tito als Sommerresidenz zur Verfügung. Als Anführer
eines blockfreien Landes, das sich von Stalin losgesagt
hatte, hatte Josip Broz Tito im Westen einen Ruf als „liberaler
Diktator“, der in seiner Villa auf Brijuni Gäste von der
kürzlich verstorbenen Queen Elizabeth über Indira Gandhi
bis Willy Brandt und Bruno Kreisky empfing, aber auch
Künstler wie Sophia Loren, Liz Taylor und Richard Burton.
Heute erinnert das Tito-Museum an diese Epoche der Insel.
Nach Titos Tod 1980 wurde Brijuni geöffnet und zum
Nationalpark erklärt. Doch Titos Cadillac-Cabrio Baujahr 1950
– ein Geschenk von US-Präsident Dwight D. Eisenhower –
kann für Fahrten über die Insel gemietet werden. Allerdings
für schlappe 700 € pro Stunde.
Wer das nötige Kleingeld gerade nicht parat hat: Sowohol
das Safari also auch der Dino-Park auf Velki Brijun ist
gratis. Hier wurde übrigens eine Skulptur eines Theropoda
basierend auf den Fußabdrücken nachgestellt – ob das echt
aussieht, muss man selbst nachprüfen. ●
Die Reise wurde im Rahmen der Werbeveranstaltungen des Projekts „Fortifikationssystem
von Pula als neues Angebot für Touristen – Pula Fort Zentrum“ vom Tourismusverband
Pula und dem Unternehmen Alphera d.o.o. organisiert. Mit diesem Projekt
sollen die Räder der Vergangenheit ins Rollen gebracht und das enorme Potenzial des
Kulturerbes aktiviert werden, um mithilfe von Investitionen in die nachhaltige Nutzung
von Kulturgütern das kulturelle und edukative Angebot in erster Linie zum Wohl aller
Bürger des Stadt Pula und der Umgebung zu erweitern und indirekt auch die nachhaltige
Entwicklung von Wirtschaft und Tourismus zu beeinflussen.
/ OUT OF AUT / 55
MEINUNG
„Ramen“-Western
Ist es nicht toll, wenn man so ganz
unverhofft auf ein wahres Filmjuwel
stößt? So bin ich bei Prime jüngst auf
den Film „Tampopo“ des japanischen
Regisseurs Jūzō Itami gestoßen, der
nicht nur eine verspielte Ode auf die
Nudelsuppe ist, sondern auch Mafiaund
Liebesfilm auf eine ungewöhnliche
Art zusammenführt. Detailverliebt
widmet sich der 1985 erschienene
Film den einzelnen Komponenten von
Ramen und der Reihenfolge, in der man
sie am besten genießt, sowie verbindet
er lustige Episoden einer Gangstergeschichte
mit Western-Elementen – ähnlich
wie es auch der Anime „Cowboy
Bebop“ tut. Besonders ansprechend
ist auch die Darstellung der Beziehung
zwischen Essen und Sex, für die sich
der Film in ausgedehnten, fast traumartigen
Sequenzen die Zeit nimmt und
keine Angst hat, ein wenig dreckig zu
machen. Ins Deutsche synchronisiert
haben die Dialoge auch ein bisschen
was von einem Spaghetti-Western à la
Bud Spencer – nur eben auf japanische
Art. „Tampopo“ („Pusteblume“) kann
man vielleicht also getrost als „Ramen-
Western“ bezeichnen.
el-azar@dasbiber.at
KULTURA NEWS
Klappe zu und Vorhang auf!
Von Nada El-Azar-Chekh
Ausstellungstipp:
New African Portraiture.
The Shariat Collections.
Der renommierte Schriftsteller und Kunstkritiker
Ekow Eshun gilt als Koryphäe der afrikanischen
Gegenwartskunst. Er kuratiert in der
Kunsthalle Krems die Schau „New African
Portraiture“, die Werke von über 20 teilnehmende
Künstler*innen, wie Amoako Boafo,
Cornelius Annor und Everlyn Nicodemus zeigt.
Die Themen bewegen sich rund um Fragen
afrikanischer Identität, Ästhetik und stellt die
Darstellung afrikanischer Körper in den westlichen
Maltraditionen auf den Prüfstand. Ein
Ausflug nach Krems lohnt sich also.
Von 19.11.2022 bis 12.3.2023 in der
Kunsthalle Krems.
Buch-Tipp:
Die Erfindung des
Jazz im Donbass
Der Werbeunternehmer Herman erhält
eines Tages einen Anruf: Sein Bruder,
der am Rande der Provinz eine Tankstelle
betreibt, ist spurlos verschwunden.
Herman geht der Sache nach und
verliebt sich in Olha, die in der Tankstelle
die Buchhaltung macht. Doch
auch die Oligarchen wollen im „Wilden
Osten“ mitmischen. Der 2012 erschienene
Roman vom ukrainischen Autor
Serhij Zhadan wurde 2022 mit dem
„Friedenspreis des Deutschen Buchhandels“
ausgezeichnet.
Erschienen bei Suhrkamp, 13 Euro
(Taschenbuch)
Film-Tipp:
Liebe, D-Mark
und Tod
Cem Kayas Dokumentarfilm beleuchtet
die versteckte Musikkultur der türkischen
GastarbeiterInnen-Generation,
die ab den 60er Jahren nach Deutschland
kam. Der Film ist eine Schatzkiste
an noch nie zuvor gesehenem Archivmaterial
und zeugt von einer musikalischen
Vielfalt, die von Gurbetçi-Liedern
(Liedern aus der Ferne) über kritische
Texte von jüngeren MusikerInnen bis
hin zur Hip-Hop-Szene in den 90ern
reicht. Eine Empfehlung!
Kinostart: 7. Oktober 2022
im Stadtkino Wien
© Christoph Liebentritt, Courtesy Shariat Collections Foto/ Jorit Aust, Suhrkamp, Stadtkino Filmverleih
56 / KULTURA /
3 FRAGEN AN…
KINGA JAKABFFY
Kinga Jakabffy (*1988) ist eine österreichischungarische
Künstlerin und Illustratorin.
© Zoe Opratko
BIBER: Du bist eine Autodidaktin. Wann und wie hast du mit
dem Malen angefangen, und war es jemals ein Thema, dass du
nicht auf einer Kunsthochschule warst?
KINGA JAKABFFY: Ich habe mit vier oder fünf Jahren angefangen
zu zeichnen und nie damit aufgehört. Meine Familie
war Teil einer ungarischen Minderheit in Rumänien und wir
sind 1987 vor dem Ceauşescu-Regime geflohen. Wir lebten
einige Zeit im Flüchtlingsheim und dann in einer kleinen
2-Zimmer-Wohnung, wo wir das Schlafzimmer teilten. Lange
Zeit war es deshalb keine Option, bildende Künstlerin zu
sein, weil der Markt intransparent ist und Selbständigkeit
zumindest anfangs keine finanzielle Sicherheit bietet. Ich
habe Kommunikationsdesign studiert und gearbeitet, seit ich
16 war, und mir ein finanzielles Polster angelegt, bevor ich
den großen Sprung wagte. Kunsthochschulen sind Teil des
traditionellen Zugangs zu dieser Karriere und für Ältere nach
wie vor der einzige Weg; für Jüngere, die im Zeitalter von
Peer-to-Peer und Youtube
aufgewachsen sind, stellt
sich die Frage nicht mehr.
Arbeiten wie „Pregnancy
Termination (DIY)“
behandeln ernste Themen
wie das Recht auf Abtreibung,
aber sind trotzdem
ästhetisch und farblich
ansprechend. Warum ist
dir das wichtig?
Meine Farbpalette ist stark
mediterran inspiriert - beispielsweise
drücken Sand,
Terrakotta und Königsblau
für mich Lebensfreude
und Wohlfühlatmosphäre
aus. Sich wohl und sicher
zu fühlen ist für mich die
Voraussetzung, um über schwere Themen zu sprechen und
mit den Gefühlen, die sie auslösen, auch sitzen zu können.
Warum sind es gerade Frauen, Trans- und Non-binäre-Menschen,
die so stark in deiner Arbeit vertreten sind?
Lange Zeit durften nur Männer in der Bildenden Kunst
arbeiten und zeigten tendenziell oft Frauen als sexualisierte
Objekte. Dass ich nun als queere Künstlerin aus einer
migrierten Familie die Möglichkeit habe, die Perspektive zu
ändern und marginalisierte Gruppen wie Frauen*, Non-binäre
und Trans-Personen selbstbestimmt, frei und stark zu zeigen,
ist ein Privileg.
Kinga Jakabffy ist eine von 50 KünstlerInnen, die bei der
Vienna Art Week (18. – 25. November 2022) teilnehmen.
05/12/22
Atmosphères
Büşra
Kayıkçı Klavier
© Büşra Kayıkçı
VIZELEUTNANT LIEBT REKRUT
Luka Dimić verkörpert in David Wagners Film „Eismayer“ den Bundesheer-Soldaten Mario
Falak, der eine Liebesbeziehung zum berüchtigten Vizeleutnant Charles Eismayer begann.
Interview: Nada El-Azar-Chekh
BIBER: Der Film beruht auf der wahren
Liebesgeschichte zwischen dem berüchtigten
Ausbildner Charles Eismayer
zum Rekruten Mario Falak. Wie war die
Begegnung mit den beiden in der Vorbereitung
für den Dreh?
LUKA DIMIĆ: Anfangs war ich unschlüssig,
ob ein reales Treffen mit den beiden
den Mario Falak, wie ich ihn aus dem
Drehbuch kannte, limitieren könnte. Es
hat mir aber geholfen, den Umgang
zwischen den beiden besser zu erfassen.
Im Nachhinein konnte ich durch das
Treffen auch besser verstehen, wie das
Militär und die strenge Gleichschaltung
dahinter eine Fassade ist, die im Privaten
dann fällt.
Beim Heer erwartet man ja sowieso
keinen Kuschelkurs im Umgang. Hast du
selber Wehrdienst geleistet? Wie bereitet
man sich auf dieses harte Umfeld in
einer Kaserne als Darsteller vor?
Ich bin kroatischer Staatsbürger und
während des Jugoslawienkriegs aufgewachsen.
Als Betroffener hatte ich
immer große Angst vor Krieg, Soldaten
und vor allem vor der Vorstellung, zu
dienen. Mein Vater ist nämlich Serbe und
bei mir schwang immer eine Panik mit,
eingezogen zu werden. Was würde passieren,
wenn die anderen erfahren, dass
mein Vater ein Serbe ist? Davor hatte
ich Angst. Insofern ist mir ein Stein vom
Herzen gefallen, als der Wehrdienst nach
meinem Studium abgeschafft wurde. Für
die Vorbereitung auf den Film hat unser
Regisseur David organisiert, dass wir
fast 14 Tage im Bundesheer verbringen,
dort Übungen machen und die Rekruten
kennenlernen konnten. Ich war gleichermaßen
beeindruckt und beängstigt von
dieser Energie, die entsteht, wenn man
in der Gruppe marschiert und Lieder
singt.
Mit dem wienerischen Dialekt hast du
dich in „Eismayer“ vor allem über Worte
wie „Tschusch“ vertraut machen müssen.
Wie hast du dir die Sprache angeeignet?
Ich war zwei Jahre lang am Theater der
Jugend in Wien und meine Eltern leben
in Bayern. Ganz fremd war mir der Dialekt
also nicht. Tatsächlich habe ich aber
auch mit einer Sprachcoachin gemeinsam
am Dialekt gearbeitet – und ich
hoffe, dass das Publikum in Wien nicht
zu hart zu mir ist. (lacht)
In letzter Zeit kreist in der Filmbranche
öfter die Debatte, ob etwa Cis-Männer
Transgender-Rollen annehmen sollten.
So bereut Eddie Redmayne, dass er seine
oscarprämierte Rolle in „The Danish Girl“
nicht einem transsexuellen Darsteller
überlassen hat. Was sind deine Gedanken
dazu? Sollten Heterosexuelle keine
Homosexuellen spielen?
Ich persönlich finde, dass Schauspiel ein
Beruf ist, in dem man vorgibt etwas zu
sein, das man nicht ist. Heterosexuelle
sollten Schwule spielen können, aber das
bedeutet auch, das ich als Homosexueller
auch mal den Frauenverführer spielen
können sollte. Die Realität sieht leider
noch immer anders aus, aber wir bewegen
uns langsam in die richtige Richtung.
Kinostart: 28. Oktober 2022
© Golden Girls Film
58 / KULTURA /
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„Esmeralda besitzt deutlich mehr Mut als ich.“
Die Vereinigten Bühnen Wien (VBW) bringen eine
Disney-Adaption der Sonderklasse auf die Bühne:
Der Glöckner von Notre Dame. Musicaldarstellerin
Abla Alaoui über ihre Titelrolle als Esmeralda,
den Alltag zwischen intensiven Proben und ihr
Wundermittel gegen Lampenfieber.
Von Nada El-Azar-Chekh
BIBER: Wann hast du deine Leidenschaft für Musical entdeckt?
ABLA ALAOUI: Meine erste Hauptrolle war die „Pechmarie“
aus Frau Holle in der Off-Off-Produktion meines Kindergartens.
Ich erinnere mich noch ganz genau, wie mich das Spielen
erfüllt hat. Bis zu meinem 14. Lebensjahr war mir nicht
bewusst, dass ich das Singen, Spielen und Tanzen – alles,
was ich liebte – kombinieren konnte. Nach dieser Erkenntnis
war die Leidenschaft für Musical steter Begleiter in allen
Entscheidungen meine berufliche Zukunft betreffend.
Du spielst Esmeralda in „Der Glöckner von Notre Dame“.
Was hat dich an dieser Figur so fasziniert? Siehst du
Ähnlichkeiten zwischen euch?
Esmeraldas Charakter ist absolut faszinierend. Sie ist
eigenständig, mutig, gerecht und empathisch. Würde sie
wirklich existieren, würde ich unbedingt mit ihr befreundet
sein wollen! Sie sieht das Leid der Verstoßenen, erkennt
Ungerechtigkeit und scheut sich nicht, für ihre Werte einzustehen.
Auch wenn das fatale Konsequenzen nach sich ziehen
könnte! Ich finde, wir ähneln uns vor allem im Gedanken,
dass alle Menschen gleich sind und niemand aufgrund seiner
Herkunft, seines Glaubens oder Aussehens ausgegrenzt
werden sollte.
Was ist die größte Herausforderung in der Vorbereitung auf
diese Hauptrolle?
Esmeralda besitzt deutlich mehr Selbstbewusstsein und Mut
als ich. Sie geht viel selbstverständlicher mit ihrem Körper
beim Tanz um und es fällt mir manchmal noch schwer, mit
ihrer Stärke und Natürlichkeit auf die Bühne zu gehen. Hinzu
kommt, dass sie sich im Laufe des Stückes in vielen furchtbaren
Situationen wiederfindet, die glücklicherweise weit von
meiner eigenen Realität entfernt sind. Mich emotional darauf
einzulassen ist eine sehr große Herausforderung!
Wie viele Stunden pro Woche verbringst du mit Singen und
Tanzen während der Probenzeit?
Wir proben sechs Tage die Woche, jeweils acht Stunden.
Was ist dein Geheimnis, um besonders gut durch die
Anstrengungen der Saison zu kommen?
Aus ganzem Herzen Pausen machen. Und zwar richtige
Pausen, ohne Handy und To-Do-Liste im Hinterkopf. Wenn
ich nicht genügend Zeit für mich und meine engsten Freunde
habe, werde ich schnell unglücklich. Ansonsten macht es
auch Sinn, sich mit Sport fit zu halten, ab und zu in die Sauna
zu gehen und die Muskeln mit Massagen zu lockern.
Was ist dein Wundermittel gegen Lampenfieber?
Übung. Nur wenn man sich der Situation, in der man „funktionieren“
muss, so oft wie möglich aussetzt, kann man die
gewünschte Leistung zeigen, wenn es darauf ankommt. Das
bedeutet: Üben, üben, üben.
Was gefällt dir am besten und was am schlechtesten an
deinem Job als Musicaldarstellerin?
Ich denke, am besten gefällt es mir, dass wir Menschen
helfen können, aus ihrem Alltag zu flüchten. Wir erzählen
ihnen Geschichten aus dem Leben und können Mut und
Hoffnung streuen. Am schlechtesten finde ich, wie hart wir
Darsteller*innen manchmal zu uns sind. Als gäbe es nicht
schon genug Kritiker*innen auf dieser Welt – wir sind uns
selbst der härteste!
© Saskia Allers Fotografie, Disney
60 / KULTURA /
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WAR DAS JETZT RASSISTISCH?
Das Team von Black Voices gibt in ihrem neuen Buch „War das jetzt rassistisch?“
22 Antirassismus-Tipps für den Alltag. Über 16 Autor:innen aus verschiedenen Communities
von asiatischer, Black bis hin zur Roma Community, berichten über ihre Rassismus-
Erfahrungen. Ein Interview mit den Autorinnen Chantal Bamgbala und Melanie Kandlbauer.
Von Emilija Ilić
BIBER: Warum braucht es in Österreich ein Buch mit
Antirassismus-Tipps?
MELANIE: Es gibt schon viele Antirassismus Ratgeber.
Das Neue an diesem Buch ist, dass sich
österreichische Anti-Rassismus Expert:innen aus
verschiedenen Communities zusammengesetzt
haben. Wir haben gemeinsam aufgearbeitet, welchen
rassistischen Fragen wir im Alltag begegnen.
Diese Fragen wirken auf viele Menschen auf den
ersten Blick harmlos. Doch genau deswegen ist es
so wichtig zu zeigen, was sich dahinter verbirgt.
CHANTAL: Anhand der Fragen, die wir täglich
bekommen, erkennt man es glaube ich schon,
warum wir das Buch brauchen. Es sind Fragen, bei
denen man sich als betroffene Person fragt, wo
man hier schon wieder gelandet ist, und ob das in
manchen Kreisen nicht schon mal geklärt sein sollte.
Man fragt sich, warum diese Fragen immer wieder
relevant sind.
Für welche Zielgruppe ist das Buch ausgelegt?
CHANTAL: Betroffene Personen sind sowieso schon
23,50 €
Rassismus ausgesetzt und müssen sich jedes Mal
Leykam Verlag aufs Neue damit auseinandersetzen. Wir sind keine
wandelnden Wikipediapages, Ratgeber oder Sonstiges!
Dafür gibt es jetzt dieses tolle Buch. Auch
Betroffenen empfehle ich wärmstens das Buch zu lesen.
Man hat ganz viele „Oh wow, stimmt!!“ Momente. Wenn man
diese Fragen wieder gestellt bekommt, kann man sich nach
dem Buch auch besser erklären.
Der Begriff People auf Color kommt aus den USA. Nun gibt
es hier in Österreich viele Menschen mit Migrationshintergrund,
denen man diesen nicht direkt ansieht. Wer gehört
bei uns in Österreich zu People of Color?
CHANTAL: People of Color sind alle nicht-weiße Menschen,
die von Rassismus betroffen sind. Du musst zwischen
Diskriminierung und Rassismus unterscheiden. Diskriminierung
ist der Schirmbegriff und darunter ist eine Form davon
Rassismus. Was für andere Diskriminierungsformen bei dem
Wort dazukommen, ist in dem Fall irrelevant. In Österreich
ist es meistens so, dass es Menschen aus der afrikanischen
Diaspora betrifft.
Die Autorinnen –
Melanie oben rechts und Chantal Mitte zweite von links
Welche Verantwortung haben weiße Personen, um über
Rassismus aufzuklären?
MELANIE: Wir müssen alle zusammenhalten. Es ist wichtig,
dass People of Color den Raum bekommen, über ihre
Erfahrungen zu sprechen. Es passiert leider oft, dass sie gar
nicht selbst sprechen dürfen, sondern dass an ihrer Stelle
gesprochen wird. Dort wo keine People of Color sind und
wenn beispielsweise unter FreundInnen rassistische Witze
fallen, müssen weiße Personen darauf aufmerksam machen,
dass das nicht in Ordnung ist. Auch weiße Personen müssen
über dieses Thema sprechen.
Das Interview in Langversion findet ihr auf www.dasbiber.at
© Lisa Tackie
62 / KULTURA /
Das kann ja
heiter werden
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