24.10.2022 Aufrufe

BIBER 10_22 Ansicht-2

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Österreichische Post AG; PZ 18Z041372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1070 Wien

www.dasbiber.at

MIT SCHARF

+

IRANISCHE

REVOLUTION IN WIEN

+

HÄUPL IN ZAHLEN

+

LIEBE ZU DRITT

+

OKTOBER

2022

WIR FAHREN NICHT

MEHR RUNTER

WENN DAS HEIMATDORF DER ELTERN AUSSTIRBT


MITEINANDER

EINE GUTE ZEIT

HABEN.

SICHER!

ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG DES BMSGPK

Für ein gesundes Miteinander: Lassen Sie sich impfen!

Sie brauchen drei Impfungen für einen guten, langanhaltenden Schutz gegen eine

schwere COVID-19-Erkrankung sowie Long-COVID, auch wenn Sie genesen sind.

In regelmäßigen Abständen ist dann eine Auffrischungsimpfung empfohlen, besonders

für ältere Menschen und Risikopersonen. Holen Sie sich daher rechtzeitig

Ihre COVID-19-Schutzimpfung. Informationen erhalten Sie bei Ihrer Ärztin,

Ihrem Arzt, in Ihrer Apotheke und auf gemeinsamgeimpft.at


3

minuten

mit

Gökçe

Küçükarslan

Eine junge Frau und ihr riesiges

Instrument: Wann immer

Gökçe Küçükarslan und ihr

Kontrabass unterwegs sind, ist

das ein Hingucker. Wie viel Zeit

die 22-jährige Orchestermusikerin

mit dem Üben verbringt,

und warum sie Musikszenen im

Film manchmal hasst, erfahrt

ihr im Interview.

Interview: Nada El-Azar-Chekh

Foto: Zoe Opratko

BIBER: Seit einem Monat lebst du in

Wien und spielst Kontrabass im ORF-

Radiosymphonieorchester. Wie gefällt

es dir hier?

GÖKÇE KÜÇÜKARSLAN: Ich war zum

ersten Mal mit 16 Jahren in Wien, auf

Urlaub. Seit drei Jahren spiele ich im

Orchester und war schon für Konzerttouren

in vielen europäischen Städten

wie Prag und Berlin. Meine Heimatstadt

Istanbul ist natürlich auch wunderschön

und sehr magisch. Für mich als

klassische Musikerin ist Wien aber die

ideale Stadt, nicht nur wegen der wunderschönen

Architektur, sondern auch

wegen der reichen Musikgeschichte.

Nirgendwo sonst fühle ich mich besser

aufgehoben als hier, im Zentrum der

Klassik. Aber mir fällt es noch schwer,

mich zu orientieren - und ich muss

noch viel Deutsch lernen! Dafür nutze

ich die nächsten drei Jahre.

Wie hast du deine Leidenschaft für den

Kontrabass entdeckt?

Bevor ich Kontrabass lernte, spielte ich

Klavier und Gitarre. Meine Musiklehrer

haben mich aufgrund meiner Körpergröße

darauf angesprochen, ob ich es

nicht mit dem Kontrabass probieren

möchte. Davor hatte ich nie über dieses

Instrument nachgedacht, aber als

ich einen Kontrabass zum ersten Mal

hielt, war ich von der Größe und dem

Klang so beeindruckt, dass ich unbedingt

weiterspielen wollte. Es gibt viele

Concertos, Sonaten und Solos für den

Bass, die wunderschön sind. In meiner

Familie bin ich die einzige Musikerin

und meine Eltern waren zunächst

skeptisch, weil es eben kein typisches

Instrument wie die Geige oder Klavier

ist. Aber mittlerweile sind auch sie sehr

froh, dass ich dabei geblieben bin.

Wie viel Zeit verbringst du mit dem

Üben?

An Tagen, wo ich keine Proben mit dem

Orchester habe, übe ich etwa vier bis

fünf Stunden.

Gerätst du mit dem Bass in ungewöhnliche

Situationen?

Wenn ich in der Öffentlichkeit meinen

Kontrabass trage, wollen mir Menschen

ständig damit helfen! (lacht) Im Februar

musste ich für ein Vorspiel nach Wien

reisen und ich nahm aus Istanbul

meinen eigenen Kontrabass in einem

riesigen Koffer mit – das wog insgesamt

15 Kilo und das geht auf Dauer schon

ziemlich auf den Rücken. Ansonsten

reagieren Leute immer sehr interessiert

und fragen Dinge wie: Ist das nicht eine

große Violine?

Welches Verhalten kannst du als Profi-

Musikerin nicht ablegen?

Wann immer ich einen Film oder eine

Serie sehe, in denen ein Instrument

gespielt wird, achte ich sofort darauf,

ob es echt oder fake ist. Vor allem bei

der Violine ist es manchmal nervtötend

zu sehen, wie die Hände nicht zu den

Klängen passen!

Wer ist sie? Gökçe Küçükarslan

Alter: 22 Jahre

Fun Fact: Hat eine extrem kleine Handschrift,

die gut auf Notenblätter passt.

/ 3 MINUTEN / 3


3 3 MINUTEN MIT

GÖKÇE KÜÇÜKARSLAN

Die türkische Ausnahmekontrabassistin im

Schnellinterview.

8 IVANAS WELT

Mit Lifecoaching-Videos das innere Trauma

heilen? Läuft, sagt Kolumnistin Ivana Cucujkić.

POLITIKA

10 KEIN PROTEST,

SONDERN REVOLUTION

Drei geflüchtete Iranerinnen über ihre

Hoffnungen und Träume inmitten der Proteste.

14 „HERR HÄUPL, WIE VIELE

SPRITZER TRINKEN SIE PRO

WOCHE?“

Biber fragt in Worten, Ex-Bürgermeister Wiens

Michael Häupl antwortet mit einer Zahl.

16 STURZ PUTINS DURCH DAS

EIGENE VOLK?

Politikwissenschafter Basil Kerki über die

brennenden Fragen im Ukrainekrieg.

20 VIDEOREPORTAGE AUS

TRAISKIRCHEN

Ein Lokalaugenschein aus dem

überfüllten Flüchtlingsheim.

22 BALKAN NEWS

Kolumnist Dennis Miskić über Neues

von der Balkanroute.

14

„HERR HÄUPL, WIE VIELE

GESCHLECHTER KENNEN SIE?“

Ex-Bürgermeister von Wien Michael Häupl

im Interview in Zahlen.

10

WOFÜR WIR

KÄMPFEN

Drei geflüchtete

Iranerinnen teilen ihre

Erfahrungen aus der

Diktatur in ihrem Land.

IN

RAMBAZAMBA

24 WIR FAHREN NICHT RUNTER

Wie der „Urlaub unten“ langsam der

Vergangenheit angehört.

30 YALLAH UMWELTSCHUTZ

Wie man ohne schlechtes Gewissen

aktivistisch für das Klima werden kann


34 LIEBE ZU DRITT – UND MEHR

Polyamouröse Menschen über ihre

Beziehungen.

24

HEIMAT ADÉ

Erleben die Balkan-

Kids von morgen

noch Sommer wie

früher?

HALT OKTOBER

2022

34

MONOGAMIE

IST NICHT

FÜR ALLE

Wie polyamouröse

Menschen lieben.

LIFE&STYLE

42 DAS ERSCHÖPFTE ICH

Gönn‘ dir mal eine Auszeit, sagt Kolumnistin

Şeyda Gün.

KARRIERE&KOHLE

48 JOB UND

SELBSTWERTGEFÜHL

Warum dein Selbstwertgefühl nicht von deinem

Job abhängen sollte.

50 ÜBER GELD SPRICHT

MAN NICHT

Emilija Ilić über ein Tabu, das keines sein sollte.

TECHNIK

52 WINTER IS COMING

Adam Bezeczky weiß, dass wir uns warm

anziehen werden müssen.

OUT OF AUT

54 TITOS DINOS

Aleksandra Tulej auf Entdeckungstour im

kroatischen Brijuni.

KULTURA

56 SPAGHETTI-WESTERN

AUF JAPANISCH

Aktuelle Kulturtipps präsentiert

Nada El-Azar-Chekh.

© Zoe Opratko, Lisa Leutner, Cover: © Zoe Opratko

60 ESMERALDA IN WIEN

Musicaldarstellerin Abla Alaoui über ihre

Hauptrolle in „Der Glöckner von Notre Dame“


Liebe Leser:innen,

„Das ist kein Protest mehr, das ist eine Revolution.“ Jina Mahsa

Aminis gewaltsame Ermordung durch das iranische Regime hat

einen Widerstand ausgelöst, den das Land noch nicht gesehen

hat: Angeführt vor allem von der GenZ stemmen sich Iraner:innen

landesweit gegen das System. Der Widerstand reicht bis nach

Österreich. Drei Frauen, die vor den Repressalien aus dem Iran

geflohen sind, haben mit unserer iranisch-stämmigen Redakteurin

Sara Mohammadi in Wien gesprochen. S. 10

Das Gefühl von Zuhause, das

so viele von uns mit der „alten

Heimat“ verbinden, schwindet

mit unserer Generation dahin.

Ich lege euch die Story auf

S. 24 „Wir fahren nicht mehr

runter“ ans Herz – traurig,

nostalgisch, aber ehrlich - und

trifft (m)einen Nerv.

Aleksandra Tulej,

Chefredakteurin

Die politische Lage ist nicht nur im Iran angespannt. Wie lange wird

der Krieg in der Ukraine dauern? Wie wahrscheinlich ist ein Sturz

von Präsident Putin durch das eigene Volk? Droht uns wirklich

ein dritter Weltkrieg? „Putin betreibt ein zynisches Spiel mit dem

Völkerrecht“, erklärt Basil Kerski, Politologe und Direktor des

Europäischen Solidarność Zentrums in Danzig. S. 16

Einen dritten Weltkrieg sieht zumindest er auf keinen Fall kommen:

Altbürgermeister Michael Häupl schätzt dessen Wahrscheinlichkeit

auf 1 %. Außerdem verrät er uns im „Interview in Zahlen“ noch, wie

oft er am Tag beim Sprechen gendert, wie viele Spritzer er in der

Woche trinkt und wie oft er Putin persönlich getroffen hat. S. 14

Doch auch abseits der politischen Lage auf der Welt beschäftigt

die Redaktion und sicherlich auch viele unserer Leser:innen eine

Frage: Was passiert eigentlich, wenn wir die letzte Generation sind,

die „runter fährt?“ Von klein auf waren wir die Sommer im Haus

der Großeltern „unten“ gewohnt, die Wassermelonenverkäufer, die

Security-Omas, die alles im Blick haben und vor allem aber, das

Gefühl von Heimat. Langsam sterben aber immer mehr Großeltern,

Häuser werden verkauft und die Diaspora fährt nicht mehr „runter“.

Das hinterlässt eine nostalgische Leere – dem Gefühl ist Maria

Lovrić-Anušić in der Coverstory ab S. 24 nachgegangen.

Viel Freude beim Lesen,

eure biber-Redaktion

© Zoe Opratko

6 / MIT SCHARF /


IMPRESSUM

MEDIENINHABER:

Biber Verlagsgesellschaft mbH, Quartier 21,

Museumsplatz 1, E-1.4, 1070 Wien

HERAUSGEBER:INNEN:

Delna Antia-Tatić und Simon Kravagna

CHEFREDAKTEURIN:

Aleksandra Tulej

STV. CHEFREDAKTEUR:

Amar Rajković

KULTUR:

Nada El-Azar-Chekh

FOTOCHEFIN:

Zoe Opratko

ART DIRECTOR: Dieter Auracher

KOLUMNIST/IN:

Ivana Cucujkić-Panić, Dennis Miskić

LEKTORAT: Florian Haderer

REDAKTION & FOTOGRAFIE:

Adam Bezeczky, Nada El-Azar-Chekh, Maria Lovrić-Anušić, Šemsa

Salioski, Emilija Ilić, Dennis Miskić, Sara Mohammadi, Celina Dinhopl,

Zoe Opratko, Lisa Leutner, Matthias Nemmert

VERLAGSLEITUNG :

Aida Durić

MARKETING & ABO:

Şeyda Gün

REDAKTIONSHUND:

Casper

BUSINESS DEVELOPMENT:

Andreas Wiesmüller

GESCHÄFTSFÜHRUNG:

Wilfried Wiesinger

KONTAKT: biber Verlagsgesellschaft mbH Quartier 21, Museumsplatz 1, E-1.4,

1070 Wien

Tel: +43/1/ 9577528 redaktion@dasbiber.at marketing@dasbiber.

at abo@dasbiber.at

WEBSITE: www.dasbiber.at

HEUTE SCHON

GESHAKED?

ÖAK GEPRÜFT laut Bericht über die Jahresprüfung im

1. HJ 2022:

Druckauflage 85.000 Stück

Verbreitete Auflage 80.701 Stück

Die Offenlegung gemäß §25 MedG ist unter www.dasbiber.at/impressum

abrufbar.

DRUCK: Mediaprint

Gut gemacht!

Denn Tanzen macht

glücklich.

Schon zwanzig Minuten Tanzen

entspannt den Geist und du tust deinem

Körper etwas Gutes.

Erklärung zu gendergerechter Sprache:

In welcher Form bei den Texten gegendert wird, entscheiden die jeweiligen

Autoren und Autorinnen selbst: Somit bleibt die Authentizität der Texte

erhalten – wie immer „mit scharf“.

Mehr Bewegungstipps

auf wig.or.at

Bezahlte Anzeige

wig.or.at


In Ivanas WELT berichtet die biber-Redakteurin

Ivana Cucujkić über ihr daily life.

IVANAS WELT

Foto: Igor Minić

TRAUMA HEALING À LA BALKAN

A vino per day keeps your feelings away.

Jedem sein kleines Suchtverhalten. Die Schokolade,

die Sitcom, die Tschik danach. Ich bin ein Life

Coaching Junkie geworden. Die kurzen Videos in

meinem Feed, in denen Expert:innen locker und

verständlich die Wirren meines Innenlebens erklären,

sind meine Sucht. Jeden Tag 60 Sekunden,

in denen ich lerne: Ok, ich bin nicht die mieseste

Mutter auf der Welt. Das könnte mit meiner Kindheit

zu tun haben. Anderen geht es auch so. Dieser

Absturz war also eine ganz „normale“ Reaktion. Ich

muss mich dafür nicht schuldig fühlen. Kurz: Ich bin

nicht verrückt. Life changing! Grundsätzlich lebte

und lebe ich nämlich mit dem Glaubenssatz: Ich

habe von meiner Geburt an für ewig, für alle um

mich herum und für mich die Heldin des Universums

zu sein, ohne Schmerz und Schwäche.

JUGO SO: IS KEIN TRAUMA,

NUR KREUZSCHMERZEN

Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung. Jugos

finden sich da im Topranking, wenn es um Selbstreflexion

und emotionale Stabilität geht. Wenn wir

Magengeschwüre, etwas mit dem Rücken oder Migräne

haben, gehen wir zum Hausarzt und hauen

uns einen Tablettencocktail rein. Aber ganz bestimmt

hat das alles nichts mit einem Generationstrauma,

der Kindheit oder unreifen Eltern zu tun,

dass wir heute zu people pleasern mit Helfersyndrom

samt knackigem Alkoholproblem geworden

sind.

Weshalb sollten wir uns auch beschweren? Wir

sollten lieber dankbar sein. Unsere Balkanmama

‚hat das auch alles ausgehalten‘. Kad je majka

mogla. Wenn the goddess of your life der Schwäche

keine Gnade zeigt und du als Balkankind mit

toxischen Sätzen wie „Weine nicht, es ist nichts“,

„Dir tut nichts weh, komm steh auf“ aufwächst,

kann nur ein ausgeglichener Erwachsener aus dir

werden.

LET’S DRINK RAKIJA AND

HEAL YOUR INNER CHILD

Na, und wenn der Frust dann doch zu arg gegen

die Brust presst, gehen wir feiern. Held:innen reden

nicht über ihre Probleme. Sie besingen und spülen

sie mit Vino runter.

In einer Kultur, in der gleich viel Tränen wie Alkohol

fließen, bietet eine Feierlichkeit den einzigen

geschützten Raum, wo Jugos ihrem seelischen Zustand

ein Ventil verschaffen können. Das bekannte

Sprichwort „udri brigu na veselje“ ist das Mantra,

in dem wir unser Leben meistern. Heißt so viel wie

„Sorgen, was für Sorgen. Party!“ und bedeutet: Das

Beste, was du jetzt tun kannst, ist, die Augen vor

der Realität zu verschließen. Mein Leben geht grad

ein bisschen den Bach runter, aber jetzt muss ich

mal ein Hemd für Edos Hochzeit am Wochenende

kaufen.

In Balkan we don’t say: “Mir geht es nicht gut. Ich

hol‘ mir Hilfe und das ist völlig ok.“ We say: „Majstore!

Ajde, sing mir ‚majko moja, warum hat sie

mich verlassen!‘“

Sich gegensätzlich zu seinem psychischen Zustand

zu verhalten, lernen wir Balkankids mit den ersten

Schritten. Ob das auf eine toxische Kultur deuten

könnte? Üff. Höchstens, wenn der Vino kippt. ●

cucujkic@dasbiber.at, Instagram: @ivanaswelt

8 / MIT SCHARF /


NEMA PROBLEMA

TELENOVELA

Ende Oktober findet wieder der Equal Pay Day statt. Tochter

Jelena hat von ihrem Arbeitskollegen erfahren, dass er für

die gleiche Arbeit und gleiche Position einfach € 500 mehr

pro Monat bekommt als sie. Voller Ärger möchte Jelena

sofort ein Gespräch mit ihrem Chef, aber hat Zweifel.

Was, wenn sie nicht gut „verhandeln“ kann?

BEZAHLTE ANZEIGE

NEUES AUS DEM LEBEN

DER FAMILIE PRAVDOVIĆ

Kannst du

das glauben? Deniz

bekommt einfach € 500

mehr Gehalt als

ich??

Unglaublich oder?

Ich muss morgen

gleich mit meinem

Chef sprechen...

Staaa??

Oh Boze dragi.

Das gibt es ja

nicht!

Aber, was willst

du da sagen? Du kannst

ja nicht einfach sagen,

dass du so viel Gehalt wie

Deniz willst?

Ey, ruf einfach

bei der AK an. Die hat

sicher Killerargumente

für sowas. Tipp ein:

01 501 65 1201

Fotos: Zoe Opratko

Jelena ruft bei der

AK Arbeitsrechtsberatung

an und

erfährt: Chefs sind

verantwortlich,

dass das Gleichbehandlungsgesetz

eingehalten wird

und müssen Frauen

und Männern für

die gleiche oder

gleichwertige Arbeit

den gleichen Lohn

zahlen. Die Einkommensberichte

dürfen im Betrieb

kein Geheimnis sein,

über den eigenen

Lohn und das eigene

Gehalt dürfen

Mitarbeiter trotz

Verschwiegenheitsklausel

im Arbeitsvertrag

reden, wenn

es darum geht, einen

solchen Gesetzesbruch

aufzudecken.

Na da kann

sich dein Chef

auf was gefasst

machen!

Ich schwöre,

die AK ist einfach

die BESTE!!!

TIPP Arbeiterkammer:

Wende dich an die Arbeiterkammer

oder deine Gewerkschaft

bevor du rechtliche

Schritte einleitest. Wir beraten

und unterstützen dich!


IRAN

DAS IST KEIN

PROTEST,

DAS IST EINE

REVOLUTION

In der Öffentlichkeit singen und tanzen? Oder einfach

anziehen können, was man will? Die Protestierenden im Iran

setzen alles aufs Spiel im Kampf für die Freiheit und ein Ende

der Islamischen Republik. Drei Frauen berichten, warum sie

aus der Diktatur flüchten mussten, und wovon sie träumen.

Von Sara Mohammadi, Fotos: Lisa Leutner

10 / POLITIKA /


Sherys Probleme mit

der iranischen Justiz

begannen, als

sie einen Vertrag bei einem

Record-Label unterschrieb:

„Sie fingen plötzlich an, mich

und andere Musiker:innen

zu verfolgen, nacheinander

wurden wir inhaftiert. Auch

ich bekam eine Vorladung, zur

Polizeistation zu erscheinen,

und zog daraufhin drei Monate

lang von einer iranischen Stadt

zur nächsten, immer auf der

Hut. Ich kam mir wie eine

Schwerverbrecherin vor. Dabei

habe ich einfach Popmusik

gemacht”, erinnert sie sich.

Shery M ist eine Sängerin und

Songwriterin aus Tehran, der

Hauptstadt des Iran. 2016 ist

sie vor dem dortigen Regime

geflohen. „Das war damals

eine schwierige Zeit für mich.

Doch irgendwann wurde meine

Bekanntheit zu einem Problem.

Ich hätte ins Gefängnis gehen

müssen”, erzählt sie. Frauen ist

das Singen in der Öffentlichkeit

verboten, Musik - vor allem

politische - wird stark zensiert.

Zuletzt wurde der iranische Sänger Shervin Hajipour festgenommen,

nachdem sein politisches Protestlied “Baraye”

(Farsi: für, wegen) auf Instagram viral ging.

GENERATION Z ALS FÜHRENDE KRAFT

Shery steht in engem Kontakt mit den Menschen im Iran,

viele schicken ihr Fotos und Videos von den Protesten

zu, bei der vor allem junge Menschen eine wichtige Rolle

spielen: „Das Besondere an diesen Protesten ist, dass sie

auch von vielen Leuten der “neuen” Generation getragen

werden. Ihr würdet die, die Proteste anführen, GenZ nennen.

Sie sehen gerade sehr schlimme und schreckliche Szenen

auf den Straßen“, so Shery. „Es kämpft keiner wegen Hunger

oder Armut, es geht auch nicht einmal mehr nur um das

Kopftuch. Es geht um die großen Wünsche und Hoffnungen.”

Da im Iran keine freie Presse herrscht und kritische

Journalist:innen festgenommen werden, übernehmen viele

POPSTAR UND FLÜCHTLING:

SHAHRZAD MOHAMMADI

AKA SHERY M (30)

Menschen vor Ort die Rolle

von Berichterstatter:innen. Die

Fotos und Videos werden oft

von berühmten Iraner:innen

mit einer großen Followerschaft

im Ausland weiterverbreitet.

„Menschen schreiben

mir: Bitte seid unsere Stimme

und verbreite im Ausland, was

hier geschieht!”

Shery zufolge seien diese

Proteste auch außergewöhnlich,

weil sie über bisherige

gesellschaftliche Grenzen hinweg

Verbindungen und Einigkeit

schaffen. Beispielsweise

kursieren Bilder von Frauen mit

Hijab, die Seite an Seite mit

Frauen ohne Hijab protestieren.

„Der Kern dieser Proteste

ist Zusammenhalt und Solidarität.

Und das Streben nach Freiheit”,

erklärt die 30-Jährige. In

Sherys Fall war es das Verbot,

als Frau öffentlich singen zu

dürfen, und wenn sie doch

einmal auftrat, dann unter

strengen Auflagen: „Als Teenager

habe ich als Solistin bei

einer Operngruppe gesungen.

Doch ich durfte nie vorne auf

der Bühne als Solistin stehen, da ich eine Frau war. Dieses

Verstecktwerden hat sich durch meine ganze Musikkarriere

gezogen. In vielen Musikvideos war ich nicht zu sehen, ich

habe mich von Shahrzad Mohammadi zu ‚Shery M‘ umbenannt,

damit man mich nicht an meinem Namen erkennt.

Ich habe mir viele Chancen entgehen lassen, nur damit ich

im Iran bleiben darf. Ich habe mich angepasst, um in diesem

System leben zu können.” Menschen im Iran, die sich nicht

regelkonform verhalten, müssen sich zwangsweise an die

Gegebenheiten des Regimes anpassen, ansonsten drohen

Gefängnis oder der Tod. Shery konnte noch rechtzeitig fliehen.

„Diesen Zwang zur Anpassung kennen, glaube ich, die

meisten Menschen aus dem Iran. Aber sie machen das nicht

mehr mit. Sie wollen ihre Freiheit und in Freiheit leben.”

Shery M hat vor kurzem ein neues politisches Lied

namens „Vaghte Ghiam“ in Solidarität mit den Menschen im

Iran herausgebracht.

/ POLITIKA / 11


Ich wünsche mir, eines

Tages in Teheran am

Azadi-Platz (Azadi bedeutet

Freiheit auf Farsi) zu sitzen

und dabei anziehen zu können,

was ich will, zu singen,

wenn ich will, und zu trinken,

was ich will“, schwärmt

Mahsa Abdolzadeh. Mahsa

ist alleinerziehende Mutter,

Autorin, Unternehmerin und

außerdem als Mandatarin und

Bezirksrätin bei den Grünen

in Wien-Döbling tätig. Mit nur

18 Jahren ist sie aus dem Iran

geflohen. Auch bei ihr spielte

ihre Weigerung, regelkonform

zu leben, eine große Rolle:

„Ich habe mich nicht in das

System integrieren können,

habe meinen Mund nicht

halten können. Mein Leben im

Iran war wie zwischen zwei

Fronten: Meine Familie kam

aus dem linken Spektrum und

meine schulische Erziehung

erfolgte in einer sehr religiösen

Privatschule. Ich bin damit aufgewachsen,

dass mir eingetrichtert

wurde, dass ich nichts,

was zuhause gesprochen wird,

in der Schule weitererzählen darf.“ Als Jugendliche schrieb

Mahsa gemeinsam mit Freund:innen für eine regimekritische

Zeitschrift. Diese wurde jedoch verboten, viele ihrer

Kolleg:innen wurden verhaftet. Sie wusste, dass ihr Ähnliches

drohen würde. Da sie zu dieser Zeit gerade ihre Mutter,

die in zweiter Ehe einen Österreicher geheiratet hatte,

besuchte, stellte sie in Wien einen Antrag auf Asyl. „Das war

sehr schwierig für mich. Ich wusste, dass meine Freundinnen

leiden mussten, während ich in Sicherheit war“, erzählt sie.

ZWISCHEN ZWEI WELTEN:

MAHSA ABDOLZADEH (38)

ZUSAMMENHALT ALS WAFFE

Heute verfolgt Mahsa, die schon viele Proteste miterlebt

hat, gebannt die Bewegung im Iran und hegt große Hoffnungen

auf Veränderung. „Ich verfolge die Proteste mit einem

weinenden und einem lachenden Auge. Einerseits sterben so

viele Menschen auf der Straße, andererseits bin ich optimistisch,

dass diesmal die Menschen nicht umsonst sterben und

es einen Systemwechsel geben wird. Es geht nicht nur um

die Haare, es geht um ein anderes System. Das wird erst mit

diesen Protesten ganz klar gefordert.“ Laut der Menschenrechtsorganisation

„Human

Rights Iran“ wurden im Zuge

dieser Proteste bisher mindestens

215 Menschen getötet,

23 davon waren Kinder. Zudem

kommen Tausende von Verhaftungen,

zuletzt vermehrt

an Schulen und Universitäten,

an denen Schüler:innen

und Student:innen gegen das

Regime protestieren. Dabei

macht die islamische Republik

nicht davor halt, auch Kinder

zu verhaften. Die Verbrechen

der Regierung gegen die

eigene Bevölkerung bringen

aber auch den starken Zusammenhalt

der Gesellschaft zum

Vorschein. Beispielsweise fuhren

während der Einkesselung

von Student:innen der Sharif-

Universität in Teheran, die zu

massenhaften Inhaftierungen

und Tötungen führte, viele

Menschen mit ihren Autos zur

Universität, um den Studierenden

zu helfen. Auch als das

berüchtigte Evin-Gefängnis in

Tehran brannte (es gibt Vermutungen,

dass die Regierung

dahinter steckt), protestierten

die Menschen in Solidarität mit den Gefangenen, die vor

allem aus Regimekritiker:innen bestehen.

INTERNATIONALE

BERICHTERSTATTUNG WICHTIG

Dieser Zusammenhalt macht auch für Mahsa den besonderen

Charakter dieser Proteste aus und lässt sie auf einen

neuen Iran hoffen - auf einen Iran, der Frauen- und Menschenrechte

respektiert, in dem es keine Kinderarbeit mehr

gibt und auf die Umwelt und Tiere geachtet wird. Wichtig ist

laut Mahsa, dass seitens der Politik und der Medienberichterstattung

genau auf den Iran geschaut wird: „Diktatorische

Regime schotten sich gerne ab, der Schutz der iranischen

Menschen kommt von außen in Form von medialer Berichterstattung.

Ich weiß aus Erfahrung, dass man für Proteste

viel Hoffnung braucht. Diesen bekommt man auch durch

internationale Berichterstattung. Die internationale Gemeinschaft

sollte wissen, dass das Regime des Landes von den

Menschen nicht gewollt ist.”

12 / POLITIKA /


Ein großer Teil meiner

Familie war im Irak im

Widerstand gegen das

Baath-Regime organisiert. Als

Kurden wurden einige meiner

Familienmitglieder, wie meine

Onkel und mein Großvater, von

ihnen umgebracht”, erzählt

Even M. Assad. Ein Teil der

Familie floh in den Iran. Doch

auch im Iran war die Situation

der Kurd:innen nicht einfach.

Kurd:innen wurden als „Ungläubige“

stigmatisiert, weil sie ihre

ethnische Selbstbestimmung

beibehalten wollten. Ayatollah

Khomeini, der der Diktator vor

dem aktuellen Diktator Khamenei

war, sprach 1979 eine

“Fatwa” gegen das kurdische

Volk im Iran aus. Tausende

Kurd:innen wurden ermordet

oder zu politischen Gefangenen.

„Diese blutige Vergangenheit ist

bei diesen Protesten auch ein

Grund dafür, warum das Mullah-

Regime in den kurdisch bewohnten

Städten eine extreme

Militärpräsenz zeigt, und auch

unbeteiligte Zivilist:innen, teilweise in ihren Wohnungen,

angreift”, erklärt Even. Es gebe zudem die Befürchtung bei

Kurd:innen, dass sie, wenn das Mullah-Regime stürzen sollte,

zwar in einem freien Iran aufwachen, als Minderheit aber erst

wieder nicht zu den Befreiten gehören würden.

Even ist 1986 in Kirkuk, einer südkurdischen Stadt im

Nord-Irak geboren. Sie hat Familie in Mahabad und Bokan

(kurdische Städte in Rojhalat bzw. im Nordwesten des Iran)

und in Bandar Abbas. Even ist wissenschaftliche Mitarbeiterin

und Mutter und berichtete als freie Journalistin 2014

über den IS-Einmarsch im Irak und in der autonomen Region

Kurdistan. Ihre Familie musste im Zuge der Anfal-Operationen,

in denen die irakische Baath-Regierung systematisch

Kurd:innen und andere Minderheiten verfolgte und ermordete,

in die kurdischen Provinzen im Iran fliehen. Und nach dem

Iran-Krieg floh ihre Familie auch aus dem Iran und landete

nach einer langen Fluchtgeschichte in Österreich.

GEMEINSCHAFT DER

ENTRECHTETEN:

EVEN M. ASSAD (36)

MINDERHEITEN IM IRAN

„Bei diesen Protesten kann man eigentlich bereits von

einer Revolution reden. Das Besondere daran ist, dass das

Regime von Anfang an keine Chance hatte, die verschiedenen

ethnischen, religiösen

oder sexuellen Gruppierungen

gegeneinander auszuspielen.

In den Sozialwissenschaften

nennen wir diese Gruppen

fragmentierte Schicksalsgemeinschaften.”

Sie beschreibt

eine Gruppe von Menschen,

die sich dauernd in einer

Bedrohungssituation befindet.

Bei diesen Protesten fügen

sich diese Fragmente zu einem

Puzzle zusammen und werden

zu einer Gemeinschaft, einer

Gemeinschaft der Entrechteten,

so Even. Das Regime war

nicht gut vorbereitet und hatte

nicht genug Zeit, zu reagieren

und seine Propaganda zu verbreiten,

um die verschiedenen

Gemeinschaften zu spalten.

Einen Versuch starteten die

Machthaber: Als das iranische

Regime mit einem großen

Militäraufgebot das Gebäude

der PDKI, die Kurdisch Demokratische

Partei des Iran, in

der Provinz Erbil angriff, wollte

sie laut Even einen ethnischen

Konflikt kreieren: „Die PDKI ist jedoch strategisch nicht darauf

eingestiegen. Das Regime soll sich keinen Sündenbock

für die Proteste erschaffen dürfen.”

DAS IST KEIN PROTEST,

DAS IST EINE REVOLUTION

Die Proteste haben sich mittlerweile über das ganze Land,

über sämtliche Ethnien und sozialen Klassen hinweg, ausgebreitet.

Für Even ist ganz klar: Es gibt keinen Weg mehr

zurück, die Menschen geben sich nicht mehr mit Reformversprechungen

zufrieden. „Die Menschen im Iran akzeptieren

das System, diese Diktatur, nicht mehr. Ich glaube, die

Menschen geben sich nicht mehr zufrieden, bis die Revolution

erfolgreich sein wird.” Sie betont nochmals die Rolle

der jungen Menschen, die mit dem Internet aufgewachsen

sind und wissen, wie Menschen außerhalb von Diktaturen

leben. „Diese schauen kein staatliches Propagandafernsehprogramm,

sie sind auf Instagram und TikTok unterwegs. Da

funktioniert das mit der Propaganda nicht mehr. Wenn sie

das Handy ausmachen, realisieren sie, in welchem Gefängnis

sie leben. Solche Bilder und Videos entfachen den Zündstoff

für eine Revolution.”

/ POLITIKA / 13


Herr Häupl,

wie viele

Geschlechter

kennen Sie?

Wie viele

Stunden

wöchentlich

beschäftigen

Sie sich mit der

österreichischen

Innenpolitik?

Wie korrupt

ist Österreichs

Politik?

Auf einer Skala

von 1-10 (1=gar nicht;

10=sehr korrupt)

Mit wie vielen

JournalistInnen

sind Sie noch in

Kontakt?

Interview in Zahlen:

In der Politik wird schon genug

geredet. Biber fragt in Worten,

Wiener Ex-Bürgermeister

Michael Häupl antwortet

mit einer Zahl.

2

3

25

Von Amar Rajković, Fotos: Zoe Opratko

2 Mal hat der Ex-Bürgermeister Wiens den

russischen Präsidenten Putin getroffen.

Aufgrund mehrerer Entzündungen verbrachte Häupl rund

3 Wochen auf der Intensivstation im Jahr 2020.

Wie viel Geld muss

die Regierung

jährlich in die

Hand nehmen, um

Österreichs Kinder

vor dem Hunger

zu bewahren?

Wie viele

Spritzer trinken

Sie in der

Woche?

Vor wie vielen

Menschen

haben Sie keine

Geheimnisse?

Spätestens in

welchem Jahr

sollten wir die

30-Stunden-

Woche

einführen?

Wie viele Ihrer

Freunde haben

einen besseren

Schmäh als

Sie?

200.000.000 €

6

1

2030

0

14 / POLITIKA /


Wie viele Jahre

wird die SPÖ in

Wien noch den

Bürgermeister

∞stellen?

Wie viele

Wochen lagen

Sie im Jahr

2020 auf der

Intensivstation?

3

Wie viele

Bekannte

haben Sie,

die an Corona

verstorben

sind?

8

Wie oft sind Sie

geimpft?

4

Wie viele

Stunden in der

Woche sind Sie

als Präsident

der Volkshilfe

im Einsatz?

15

Häupl ließ sich am Tag vor

dem Interview zum vierten

Mal impfen

Der 74-jährige gebürtige Altlengbacher kennt 8 Menschen,

die an einer Corona-Infektion verstorben sind.

Häupl, der für seine Liebe zum Weißwein bekannt ist,

gönnt sich noch immer 6 Spritzer in der Woche.

Wie oft am

Tag gendern

Sie beim

Sprechen?

Wie viele

Geschlechter

kennen Sie?

Wie oft

haben Sie in

Ihrem Leben

etwas aus

dem Internet

bestellt?

Wie oft haben

Sie Putin

persönlich

getroffen?

Wie hoch

schätzen Sie

die Wahrscheinlichkeit

eines 3. Weltkriegs

ein?

(in %)

0

2

100*

2

1

* Ausschließlich Bücher

/ POLITIKA / 15


„Putin betreibt

ein zynisches

Spiel mit dem

Völkerrecht.“

Basil Kerski ist Publizist und Politkwissenschaftler

16 / POLITIKA /


Wie lange wird der Krieg in der Ukraine

dauern? Und wie wahrscheinlich ist

ein Sturz von Präsident Putin durch

das eigene Volk? BIBER traf den

Politikwissenschaftler Basil Kerski im

Rahmen des Humanities Festivals, um

über die brennenden Fragen dieses

Konflikts zu sprechen.

Interview: Nada El-Azar-Chekh, Fotos: Matthias Nemmert

BIBER: Erst kürzlich hat Russlands Präsident

Putin vier Gebiete in der Ukraine

annektiert, Raketen auf das gesamte

Land gefeuert sowie eine erste, auch

im eigenen Land nicht unumstrittene,

Mobilisierung von neuen Streitkräften

eingeleitet. Ist eine baldige Entspannung

im Ukrainekrieg in Sicht?

BASIL KERSKI: Trotz meiner Zuversicht

im Hinblick auf die Zukunft der Ukraine

denke ich, dass dieser Krieg noch lange

dauern wird. Denn es geht um Putins

Überleben und sein Regime. Diese

Diktatur nährt sich an der Vorstellung

eines imperialen Russlands und eines

Russlands, das durch Infragestellung

von Grenzen all das zurücknehmen will,

was nach 1989 geschehen ist. Das ist

nicht nur ein Krieg gegen die ukrainische

Gesellschaft. 2020 wurde die Bürgerrevolution

in Belarus mit Putins Hilfe

niedergeschlagen. Putin hat nicht nur

dort, wo eine militärische Front verläuft,

sondern auch in der ganzen Region

Konflikte mit seiner Gewalt geschaffen.

Vielen Menschen ist nicht bewusst,

welche Fallen Putin stellt. Er annektiert

gewaltsam Gebiete in der Ukraine und

erklärt sie zu russischem Staatsgebiet.

Das ist ein zynisches Spiel mit dem

Völkerrecht. Denn sollte die Ukraine ihre

Gebiete zurückerobern, dann wird Putin

behaupten, dass die Ukrainer Russland

überfallen hätten.

Wie konnte es zu einer derartigen Eskalation

kommen?

Wir haben es mit einem spät-putinschen

Russland zu tun, das mich an einen

faschistischen Staat erinnert. Und damit

spreche ich auch aus der Perspektive

von Russinnen und Russen. Die systematische

Verfolgung jeglicher Form von

Anderssein und Andersdenken in der

eigenen Zivilgesellschaft spitzt sich dort

seit Jahren immer weiter zu. Die Ukraine

ist ein unbestritten demokratischer Staat,

der auch multikulturell ist und allen

Bürgerinnen und Bürgern die gleichen

Rechte verspricht, ob Russen, Ukrainern

oder Krimtataren. Russland verspricht

seinen Bürgern und dem Rest der Welt

seine Multikulturalität und geographische

Vielfalt nur mit einem autoritären

System halten zu können. Der Oppositionelle

Alexej Navalny hat genau dies und

Putins korruptes System kritisiert und ist

bekanntlich gerade im Straflager. Navalny

kritisierte 2014 die Besetzung der Krim

und des ukrainischen Ostens. Russland

sollte sich um die Modernisierung seines

großen Landes kümmern, es brauche

nicht noch mehr Staatsgebiet, so damals

Navalny. Dieses ist die Perspektive eines

russischen Patrioten gegen den Neoim-

Russland verspricht

seinen Bürgern und

dem Rest der Welt

seine Multikulturalität

und geographische

Vielfalt nur mit einem

autoritären System

halten zu können.

perialismus im Kreml. Solche Aussagen

sind gefährlich für Putin, deshalb hat

er versucht, Navalny zu töten. Und die

Ukraine ist gefährlich für den Diktator,

da sie ein multikultureller und multiethnischer

Staat ist, der den kulturellen und

politischen Einflussbereich Russlands

verlassen hat und sich am Westen orientiert.

Die demokratische Ukraine könnte

als Transformationsvorbild eine Inspiration

für Russinnen und Russen sein, die

sich von Putins Regime abwenden.

Hunderttausende Russen fliehen derzeit

vor der Mobilisierung. Die angrenzenden

baltischen Staaten und Finnland haben

längst ihre Grenzen geschlossen. Sollte

man Kriegsdienstverweigerern und Dissidenten

aus Russland nicht helfen?

Nach dem 24. Februar war schnell klar,

dass sehr viele Russinnen und Russen,

die im Ausland studieren oder arbeiten

und den Krieg von der europäischen Seite

aus erleben, potenziell Asylsuchende

werden. Und wir müssen ihnen helfen,

das ist ganz klar. In Polen gibt es eine

große Angst vor dem Teil der russischen

Hochkultur oder auch politischen Kultur,

in dem das Imperiale eine große Rolle

spielt. Aber ich kenne niemanden, der

sagen würde, dass man Menschen aus

Russland, die vor der Diktatur fliehen,

nicht helfen sollte. Die Debatte kreist

eher darum, ob wir ökonomische Beziehungen

zu Russland noch zulassen – also

ob wir privilegierte Russinnen und Russen,

die GmbHs oder Aktiengesellschaften

im Westen haben, mitsanktionieren

müssen. Das ist aus meiner Sicht aber

/ POLITIKA / 17


schwierig, da man das Einzelschicksal

nie kennt und in der Kriegssituation auch

als wohlhabender Mensch zu einem politischen

Flüchtling werden kann.

Wie wahrscheinlich ist es gerade,

dass es zu einem Umsturz der russischen

Regierung durch das eigene Volk

kommt?

Ich befürchte, dass Putin auf Demonstrationen

oder Umsturzversuche mit

brutaler Gewalt reagieren würde. 2020

hat er mit dem Diktator Lukaschenko die

friedliche Revolution in Belarus zusammengeschossen.

Wenn es zu einem

Umsturz in Moskau kommen sollte,

dann nur im Rahmen des Staatsapparates.

Putin könnte von eigenen Leuten

ausgetauscht werden. Ob das zu einer

Demokratisierung führen würde, das

bezweifele ich heute. Putin wird jetzt

den Krieg mit brutaler Gewalt gegen die

ukrainische Zivilbevölkerung weiterführen.

Seine Waffe ist auch die Propaganda,

Putin lügt permanent und mit diesen

Lügen gefährdet er Menschenleben. Seit

© PAVEL BEDNYAKOV / AFP / picturedesk.com

Ich bin positiv

überrascht, dass die

Ukraine sich strategisch

verteidigen konnte

und Putins Plan nicht

aufgegangen ist.

den ersten Angriffen Russlands auf die

Ukraine 2014 bemühte sich der Westen

gemeinsam mit Kiew um Friedensverhandlungen,

humanitäre Korridore oder

Gefangenenaustausche. Es gibt wenig

Situationen, in denen Putins Seite tatsächlich

eingehalten hat, was vereinbart

worden war. Dieser Krieg in der Ukraine

begann schon 2014, aber der gegen

die russische Zivilgesellschaft begann

schon früher. Man muss osteuropäische

Geschichte kennen. Der russische

Imperialismus ist sehr spezifisch, weil er

vor hunderten von Jahren ein Bündnis

mit der Moskauer orthodoxen Kirche

eingegangen ist. Das ist ein politisches

System, das den Lebensalltag und weltliche

Macht mit religiöser Vorstellung - mit

Metaphysik - verbindet.

Wie sollte man den Einfluss der Moskauer

orthodoxen Kirche verstehen?

Es ist ein sehr umfassendes ideologisches

Angebot, das die Menschen in

vielen Lebensbereichen erreicht: Weltbild,

Staat, nationale Identität, Bildung,

Privatleben, Geburt und Tod. Putin hat

begonnen, gefährlich für die Welt zu

werden, als er als Ex-Kommunist und Ex-

Atheist auf dieses Bündnis mit der orthodoxen

Kirche gesetzt hat. Das hat es

vielen Demokraten in Russland schwer

gemacht, für ein modernes, säkulares

Staatsmodell einzutreten. Russland ist

zwar kein theokratisches Land, aber

durch die enge Verbindung mit der

Moskauer orthodoxen Kirche ist es ein

Staat gegen den Säkularismus geworden,

wie wir ihn im Westen kennen.

Hinzu kommt die Verführung durch die

imperiale Ideologie, die sich gegen alles

Äußere, Fremde richtet. Und jetzt wissen

wir nicht, wie Russinnen und Russen, die

gegen Putin sind, diesen imperialen Hass

gegen die Ukraine, gegen den Westen,

gegen Homosexuelle, gegen Kaukasier,

gegen Tschetschenen aufbrechen sollen.

Diese imperiale russische Ideologie und

auch diese enge Verbindung zwischen

Macht und Kirche durch eine demokratische,

politische Kultur zu ersetzten, das

wird sehr schwer.

Russlands Präsident Putin verliert immer weiter an Rückhalt von

Verbündeten. Auf einen Sturz durch das eigene Volk würde die

Regierung absehbar mit harter Gewalt reagieren.

Gibt es auch Lichtblicke in diesem

Konflikt?

Ich bin vollkommen positiv überrascht,

dass die Ukraine sich strategisch verteidigen

konnte und Putins Plan nicht

aufgegangen ist. Das ist eine enorme

Leistung einer demokratischen Gesellschaft,

die nicht dazu erzogen wurde,

Krieg zu führen. Und deren Präsident,

der lange kein Berufspolitiker war,

sondern erfolgreicher Entertainer und

Medienunternehmer, hatte den Mut,

in Kiew zu bleiben und damit für die

Stabilität des Staates zu sorgen. Solche

mutigen Menschen wie Selensky gibt es

in der Ukraine viele. Auch der renommierte

Schriftsteller Serhij Zhadan ist

im belagerten Kharkov geblieben. Ich

bewundere diese mutigen Ukrainerinnen

18 / POLITIKA /


und Ukrainer, die uns mit ihrer Haltung

zeigen, wie wichtig es ist, den eigenen

demokratischen Staat zu verteidigen.

Es wird zurzeit viel über die Fehler diskutiert,

die Europa beim Umgang mit Russland

gemacht hat. Häufig wird genannt,

dass Russland auch in die NATO hätte

aufgenommen werden können. Wo hat

sich Europa verfahren?

Ein Thema, das mich in letzter Zeit sehr

beschäftigt, ist jenes der kolonialen Traditionen.

Wenn wir in Berlin, Wien oder

Warschau über Kolonialismus sprechen,

ist damit eher das Gefälle Nord-Süd

gemeint, oder man spricht von den globalen

Großmächten. Unterschätzt scheint

mir die innereuropäische koloniale Tradition,

das Denken in Einflusssphären der

Großmächte vor allem. Auch Österreich

hat eine imperiale Tradition. Und auch

Polen hat eine aus dem 16. bis 18. Jahrhundert,

Belarus und der Ukraine gegenüber.

Wir haben immer noch nicht alle

Ebenen unserer imperialen Traditionen

aufgearbeitet. Damit meine ich den Blick

des demokratischen Westens auf Mittelund

Osteuropa. Dieser Raum wurde in

den letzten 200 Jahren im Westen oft als

Einflussbereich vor allem Russlands und

Deutschlands verstanden. Diese negative

Tradition sitzt tief. Auch in den letzten

beiden Jahrzehnten hatte ich oft den

Eindruck, dass Berlin, Paris oder London

trotz europäischer Integration zu oft in

wichtigen militärischen oder ökonomischen

Fragen über Mittel- und Osteuropa

vor allem mit Moskau sprechen, über die

Köpfe der Ukrainer, Balten, Belarussen

oder Polen hinweg. Der Westen hat das

russische imperiale Narrativ unbewusst

in seine politische Kultur übernommen.

Es gab keinen Platz für Belarus, für die

Ukraine, ja eigentlich lange auch für

ein souveränes Polen nicht. Besonders

Deutschland hat sich in den letzten zwei

Jahrzehnten unter Schröder und Merkel

unehrlich verhalten: Berlin predigte in

der EU europäische Solidarität mit der

Ukraine und Polen und baute gleichzeitig

mit Putin ein System der Energieversorgung

auf, das vollkommen unsolidarisch

ist. Diese Heuchelei war eine unfreiwillige

Investition in die Populismen in

Zentraleuropa. Kaczyński ist in Polen

stark geworden, weil er Deutschland

eben diese Heuchelei vorgeworfen hat,

das hat seinen Nationalismus glaubwürdig

gemacht. Dieses enge Verhältnis zu

Putin, vor allem im letzten Jahrzehnt,

war ein politischer Selbstmord der

Demokraten in Westeuropa.

Es wird in der Tat viel in der Geschichte

gewühlt und wenig aufgearbeitet. In der

Ukraine wurden im Zuge einer „Entrussifizierung“

so auch etwa Lenin-Statuen

gestürzt. Ist es nicht bedenklich, wenn in

Kiew Straßennamen zu Ehren des Asov-

Bataillons geändert werden, das offen

Nazi-Symbolik zur Schau stellt? Oder

wenn Straßen der umstrittenen Ukrainischen

Aufständischen Armee (UPA)

gewidmet sind?

Wir dürfen die ukrainische Gesellschaft

und die Politik nicht aus dem Auge

verlieren, das ist klar. Die Ukraine ist ein

junger Nationalstaat, der seine Souveränität

heute im Krieg verteidigen muss.

Natürlich gibt es Nationalisten und Extremisten,

wie überall in Europa, aber die

Ukraine ist ein demokratischer Staat. Die

liberalen, weltoffenen Kräfte sind in der

dortigen Gesellschaft stark und dominieren.

Die russische Propaganda versucht

die Ukrainer als gefährliche Nationalisten

zu diskreditieren. Wir sollten nicht in diese

Putin-Falle hineingeraten und genauer

hinschauen. Die Ukraine ist ein faszinierender,

multikultureller Nationalstaat, der

heutige Präsident hat jüdische Wurzeln,

sein Vorgänger Poroschenko auch. Und

trotzdem höre ich seit Jahren den Blödsinn,

dass die Ukraine voller Antisemiten

und damit eine Gefahr für Europa sei.

Europa hat kein Problem mit der modernen

Ukraine, sondern mit dem heutigen

Russland. Das russische, nichtimperiale

Narrativ ist sehr schwach ausgebildet.

Inwiefern ist das ein Problem?

Ich selbst habe das in meiner Generation

anhand des Schriftstellers Alexander

Solschenizyn erlebt, der bekanntlich

Gulag- und Sowjetunionkritiker war und

den ich sehr bewunderte. Als er aber

Anfang der 90er aus dem Exil nach

Russland zurückkehrte und sich dort für

die damalige Politik engagierte, wollte ich

erst einmal nicht hinhören. Das passte

nicht in meinem Kopf, dass jemand wie

Solschenizyn, der gegen die Sowjetunion

war, sich plötzlich dem Imperialismus

hingibt. Das ist ein russisches Problem.

Und aus diesem Grund distanziert sich

die Ukraine nicht nur gegenüber dem

russischen Staat, sondern auch von der

Kultur, bis diese Fragen des Imperialen

geklärt sind. Und das kann nur die russische

Bevölkerung selbst tun.

Wer ist er?

Basil Kerski (*1969)

ist Publizist, Politikwissenschaftler,

seit 1998

Chefredakteur des

deutsch-polnischen Magazins

Dialog und seit 2011

Direktor des Europäischen

Solidarność Zentrums in

seiner Heimatstadt Danzig

(Polen).

/ POLITIKA / 19


VIDEOREPORTAGE AUS

TRAISKIRCHEN:

WAS IST WIRKLICH LOS?

Redaktion: Emilija Ilić und Dennis Miskić, Videoproduktion: SUNA Films, Koordination: Zoe Opratko

Menschenunwürdige Zustände, Obdachlosigkeit

und ein wütender Bürgermeister:

Die Lage in Traiskirchen spitzt sich

seit Wochen zu. Das Asylzentrum kommt

wieder an seine Kapazitätsgrenzen.

Traiskirchens Bürgermeister Babler wirft

dem zuständigen Innenminister Karner

vor, diese Zustände absichtlich zu provozieren.

Redakteur:innen Emilija Ilić und

Dennis Miskić haben sich selbst ein Bild

von der Lage in Traiskirchen gemacht.

Die ganze Reportage findet ihr bei uns

auf Instagram unter diesem QR Code: ➜

20 / POLITIKA /


MISSION 11

GEMEINSAM

SPAREN WIR 11%

ENERGIE

SCHLUSS

MIT

LUFTIG.

Entgeltliche Einschaltung des Bundesministeriums für Klimaschutz

Jetzt lieber stoßlüften statt

dauerkippen und Energie sparen!

mission11.at

In Zusammenarbeit mit Österreichs E-Wirtschaft.


WAS GIBT’S NEUES AM BALKAN?

Von Dennis Miskić

WIEDER ÄRGER MIT DER BALKANROUTE

Schon wieder die Balkanroute. Schon wieder ist

die Rede von illegaler Migration, Schlepperorganisationen

und Menschenrechtsverletzungen.

Und dieses Mal ist Österreich nicht nur im Hinterzimmer

als Geldgeber tätig, sondern schickt

Beamt*innen direkt an die ungarisch-serbische

Grenze um gemeinsam mit Orbans „Grenzjägern“

illegale Pushbacks zu betreiben.

ZWEI AUTOKRATEN UND NEHAMMER

Alleine 75.000 dieser Pushbacks hat es an der

Grenze seit Jänner gegeben. Und es ist noch

lange kein Ende in Sicht. Anfang Oktober traf

sich Nehammer mit dem ungarischen Premierminister

Viktor Orban und dem serbischen Präsidenten

Aleksandar Vučić. Zwei Persönlichkeiten,

die alles andere als liberale und demokratische

Politik führen. Und so verfahren sie auch mit den

Geflüchteten. Zukünftig soll die „Verteidigungslinie“,

so Orban, weiter in den Süden rücken. Ganz

nach dem Motto: Aus dem Auge, aus dem Sinn.

Nehammer hält an der Zusammenarbeit mit den

beiden Autokraten fest. Kein gutes Zeugnis für

Österreich.

Es sind oft nur Handyaufnahmen. Sie zeigen,

wie Grenzschutzbeamte auf Geflüchtete einprügeln

oder sie mit Pfefferspray jagen. Szenen,

die niemanden kalt lassen. Niemanden außer

Innenminister Gerhard Karner. Dieser verpasst

keine Chance, auf die illegale Migration über den

Balkan aufmerksam zu machen. Er spricht von

einer neuen möglichen „Flüchtlingswelle“ und

„dramatischen“ Zuständen. Er ist weder der Erste

noch der Einzige, der Angst und Schrecken zur

„illegalen“ Migration verbreitet. Das Ziel: politisches

Kleingeld und eine nachhaltige Stigmatisierung

von Geflüchteten.

Doch mit dem Finger auf unschuldige Menschen

zu zeigen und politische Floskeln in Pressekonferenzen

auf Dauerschleife zu wiederholen,

während systematische Pushbacks und massive

Menschenrechtsverletzungen entlang der EU-

Außengrenze zum Status quo werden, kann doch

nicht ernsthaft der Weg nach vorne sein? Stimmt.

Wie der „Weg nach vorne“ aussehen könnte,

haben wir im Falle der Ukraine gesehen. Innerhalb

kürzester Zeit wurden unbürokratisch und in

europäischer Einstimmigkeit die Türen sperrangelweit

aufgerissen. Ihre Hautfarbe und Religion

ist „europäisch“, deswegen musste ihnen geholfen

werden.

KEIN MENSCH IST ILLEGAL

Bei dunkelhäutigen, muslimischen Flüchtlingen

aus Afghanistan oder Syrien gilt die Devise: Bloß

nicht in die EU. Bloß nicht nach Österreich. Sie

bleiben nun eben mal draußen. Draußen an den

EU-Außengrenzen. Obwohl sie ihre Hautfarbe

unterscheidet, fliehen sie doch vor den gleichen

Bomben. Und Bomben selektieren nicht. Sie

unterscheiden nicht zwischen dunkel oder hell.

Christlich oder muslimisch. Warum sollten wir es

dann tun?

Wir wurden in Würde und Gleichheit geboren.

Wir alle. Unsere Grundrechte sind unantastbar

und unverkäuflich. Diese Annahme wird auf

der Balkanroute eben nur dilettantisch akzeptiert.

Die schon lange anhaltende, systematische

Untergrabung von genau diesen Grundrechten

dürfen wir nicht in Kauf nehmen. ●

© Zoe Opratko

22 / MIT SCHARF /


ZIB 2 AM SONNTAG

WANN UND WO

SIE WOLLEN.


WIR FAHREN NICHT

MEHR RUNTER.

Stille statt lachender Kinder und Grabkerzen statt

Pralinen. Warum immer mehr Migra-Kids nicht

mehr die Heimat ihrer Eltern besuchen wollen.

Von: Maria Lovrić-Anušić, Fotos: Zoe Opratko

Eine Stunde vergeht und kein einziges Auto fährt

die Straße in meinem kleinen Heimatdorf in Bosnien

entlang. Ich sitze gemeinsam mit meinem

Vater auf der Terrasse des alten Hauses meines

Großvaters. Die Holzwände der Veranda, die mit bunten

Lichterketten verziert sind, knarren wie verrückt und am

Betonboden sammelt sich bereits Moos. Wir beobachten die

Straße, doch das Einzige, was uns auffällt, ist die Stille. Keine

Kinder, die lachend den Hügel runter laufen oder Teenies,

die ohne Führerschein mit dem alten VW ihres Großvaters

ins nächste Kafić (dt.: Kaffeehaus) fahren. Nicht einmal der

Wassermelonenverkäufer, der normalerweise zur Mittagszeit

mit seinem LKW durchs Dorf fährt, ist mehr da. Es ist nichts

mehr so wie früher.

Soweit ich zurückdenken kann, verbrachte meine Familie

sowohl den Sommer als auch den Winterurlaub in Kroatien

und Bosnien. Meine Eltern haben sich ein Haus in einem

kleinen Dorf in Kroatien bauen lassen. Jedes Jahr packten

wir unser ganzes Hab und Gut in den kleinen roten Alpha

Romeo und machten uns auf die Reise. Der Kofferraum

war vollbepackt und auf der Rückbank

saßen zwischen den ganzen Tüten und

Kisten meine Geschwister und ich. Aus

dem Radio dröhnten auf voller Lautstärke

Volkslieder der „Braća Begić“, die ich

als Kind absolut nicht ausstehen konnte,

Es ist nichts mehr

so wie früher.

24 / RAMBAZAMBA /

weil ich deren Gesang altmodisch fand. Wenn ich Glück

hatte, hielt mein Vater an einem kleinen CD-Shop an der

slowenisch-kroatischen Grenze an und holte eine Mix-CD mit

Liedern von verschiedenen Jugo-Sängern wie Mile Kitić oder

Boban Rajović, von denen ich damals alle Lieder auswendig

konnte. Ich erinnere mich an das mulmige Gefühl im Magen,

wenn mein Vater die kurvenreichen Straßen entlangraste.

Nichtsdestotrotz war ich voller Vorfreude, denn ich wusste,

was mich erwartete. Die Nachbarskinder, mit denen ich bis

spät in die Nacht spielte, die Pekara (dt.: Bäckerei), in der

mein Vater mit mir um Mitternacht noch heiße Sirnica und

Burek für alle holte, und die Gespräche an dem alten weißen

Plastik-Gartentisch auf unserer Terrasse.

„Was soll ich da?“– mit diesen Worten entschied sich

mein Bruder, nicht mehr mitzufahren, als ich ihn darauf

ansprach. Ein paar Jahre darauf blieb dann auch meine

Schwester in Wien zurück. Sie möchten lieber in Österreich

bei ihren Freunden bleiben und ihren Urlaub nicht mit der

Familie verbringen, erklärten mir meine Eltern, als ich sie

etwas bedröppelt im Auto danach fragte. Mittlerweile bin

auch ich immer seltener dabei, obwohl

ich mir als Kind geschworen hatte, immer

mitzukommen. Ganz übers Herz bringe

ich es aber nicht, meinen Vater immer

alleine fahren zu lassen. Ich versuche, mir

im Sommer immer ein paar Tage frei zu


Sind wir die letzte Generation,

die noch in die Heimat fährt?

/ RAMBAZAMBA / 25


möchten nicht mehr in die Heimat fahren, nur um alleine auf

der Terrasse zu sitzen und von Stille umgeben zu sein. Wir

können nicht mehr von Haus zu Haus gehen, unseren Liebsten

ein Kilo Kaffee und Pralinen bringen und uns stundenlang

unterhalten. Nun gehen wir von Friedhof zu Friedhof, bringen

ihnen Grabkerzen und Blumen, sprechen ein kurzes Gebet

und verabschieden uns.

© privat

Autorin Maria Lovrić-Anušić als Kind im Haus

ihrer Großeltern

nehmen. Doch es fühlt sich nicht mehr an wie früher. Das

Auto ist nicht mehr vollgeladen und Musik läuft auch nur

noch selten während der Fahrt. Wenn wir an unserem Haus

ankommen, fühlt es sich an, als wären alle Farben verblichen.

Alles ist grau.

„WIR MÜSSEN RUNTERFAHREN“

„Wir müssen runterfahren“ - ein Satz, der mir als Kind meine

Augen aufleuchten ließ. Heute löst er in mir Angst aus. Er

bedeutet Tod. Jemand muss gestorben sein, darum fahren

wir runter. Seit drei Jahren ist dies nämlich der einzige

Grund, um die Reise in die Heimat anzutreten. In diesen Jahren

sind viele Menschen verstorben und bei jedem Besuch

fehlt immer eine Person mehr. Das Dorf leert sich und unsere

Gründe runterzufahren verringern sich von Jahr zu Jahr.

„Alle meine Großeltern sind verstorben. Welchen Sinn hätte

das Runterfahren noch?“, erzählt mir

Katarina seufzend, als ich mit ihr über das

Thema spreche. Sie kommt aus Vukovar in

Kroatien und vermisst die alten Zeiten. Das

Schöne an diesen Urlauben war es doch,

unsere Familie und Verwandten zu sehen.

Mit ihnen gemeinsam die Geburtstage und

Feiertage zu verbringen. Früher schafften

wir gemeinsam neue Erinnerungen, heute

schwelgen wir nur mehr in den alten. Wir

Wir haben für all

unsere Verwandte

Geschenke mitgebracht.

Schokoladen, Klamotten

und vieles mehr.

26 / RAMBAZAMBA /

NICHT MEHR WILLKOMMEN

Die Nachbarskinder, mit denen ich früher am Spielplatz oder

im Garten gespielt habe, haben sich über die Jahre verändert.

Irgendwann war es nicht mehr cool, mit uns Diasporakindern

abzuhängen. Wir waren für sie zu abgehoben, weil

wir mit neuen Nike und Ralph Laurent T-Shirts runterfuhren.

Dass unsere Eltern monatelang sparen mussten, um sich

den Urlaub überhaupt leisten zu können, war ihnen nicht

bewusst. Sie gingen davon aus, dass wir uns für was Besseres

hielten, obwohl wir das nie taten.

Patricia, die aus Prijedor in Bosnien kommt, hat durch

diese Vorurteile viele ihrer Freunde unten verloren. „Meine

Freunde begannen, über mich zu lästern. Ich wolle mich als

reiche Österreicherin doch nur profilieren und zeigen, wie

toll es mir ginge und wie privilegiert ich doch sei“, erzählt

sie traurig. Sie haben sie für Geld und teure Mitbringsel aus

Österreich ausgenutzt. Beim Ausgehen wurde von ihr erwartet,

zu zahlen, und eigentlich tat sie es auch gerne. „Meine

Intention war es nie, anzugeben. Ich wollte nur meine Zeit

mit ihnen genießen.“ Seitdem sie weiß, dass hinter ihrem

Rücken über sie nur gelästert wird, hat sie keinen Kontakt

mehr zu ihren alten Freundinnen. Vielen von uns geht es

ähnlich und wir möchten nicht an einen Ort fahren, an dem

wir nur verurteilt werden. Und von den Nachbarskindern, die

immer an unserer Seite waren und nie abwertend über uns

geredet haben, hören wir jetzt auch nichts mehr. Sie sind

verheiratet und haben Kinder. Seitdem Kroatien in der EU

ist, sind viele der Einwohner Bosniens, die einen kroatischen

Pass haben nach Österreich oder Deutschland gezogen, um

Geld zu verdienen. Sie alle träumen von einem besseren

Leben im Ausland, während sich die Diaspora nach der alten

Heimat sehnt. Zumindest hat sie das in der Vergangenheit

getan. Die jungen Einheimischen jedoch verlassen das Land

fluchtartig, zurück bleibt nur die ältere Generation. Doch

irgendwann gibt es auch diese nicht mehr.

„SEID IHR NUR MIT ZWEI

KOFFERN GEKOMMEN?“

Nicht nur in der Balkan-Community werden die Heimatbesuche

immer seltener. Selin, die ursprünglich

aus der Türkei kommt, verliert nach und

nach das Bedürfnis runterzufahren. Als

sie jünger war, waren die Wochen in der

Türkei immer aufregend. „Wir haben für all

unsere Verwandte Geschenke mitgebracht.

Schokoladen, Klamotten und vieles mehr“,

erzählt sie. Sie wurden immer voller Liebe

aufgenommen und es wurde groß aufgetischt

für den Besuch aus Österreich. Als


Mitbringsel für das ganze Dorf durften

bei keinem Heimaturlaub fehlen

/ RAMBAZAMBA / 27


Die Tische der Heimat bleiben in Zukunft leer

Selin und ihre Mutter jedoch begonnen haben, mit weniger

Geschenken anzukommen, wurden sie nicht mehr so herzlich

empfangen. „Seid ihr nur mit zwei Koffern gekommen?“, fragte

sie ihr Onkel entsetzt bei ihrem letzten Besuch. Die Stimmung

wurde immer angespannter. Sie verstand, dass sie nur dann

willkommen waren, wenn sie auch Geld mitbrachten. „Ich fahre

mittlerweile so selten in die Türkei und wenn, dann meistens

um Urlaub am Meer zu machen“, erklärt Selin. Das Gefühl von

Heimat verschwindet immer schneller.

Die Jungen, die im Ausland leben, wachsen unter komplett

anderen Umständen auf. Sie sind sensibilisiert auf feministische

und rassistische Themen. In der Heimat, vor allem wenn

man aus einem kleinen Ort kommt, sind die Menschen nicht

an die modernen Lebensweisen angepasst. Aus diesem Grund

sind für Ylber, der ursprünglich aus dem

Kosovo stammt, Heimatbesuche kein

Thema mehr. Der Gedanke daran, in seine

Heimat zu fahren, macht ihn nervös und

unglücklich. „Je älter ich werde, desto

weniger Gemeinsamkeiten sehe ich zwischen

den Menschen dort und mir“, erklärt

er. Sein familiäres Umfeld hat eine ganz

andere Sichtweise als er auf viele Dinge.

Außerdem beherrscht er seine Muttersprache

nicht sonderlich gut. „Ich schäme

mich, weil ich schlecht Albanisch spreche

und mich Leute immer auslachen.“

Runterfahren bedeutete

für mich immer mehr

als nur das geografische

runter in den Süden und

in die Balkanstaaten.

Es ist vielmehr ein

seelischer Zustand.

28 / RAMBAZAMBA /

Ylber ist schwul, was auch einer der Gründe ist, weshalb er

sich in seiner Heimat unwohl fühlt. Homophobie ist in allen

Balkanstaaten gesellschaftlich weit verbreitet. „Ich meide

den Kosovo sehr, außer ich muss runter fahren wegen einer

Verlobung. Es ist aber nicht so, als hätte ich dort Spaß.“

DIE NÄCHSTE GENERATION

Was passiert dann aber mit der Generation nach mir?

Erleben diese Kinder noch das Gefühl von aufgeschürften

Knien, weil sie vom Roller gefallen sind? Verspüren sie noch

die Angst, die wir hatten, als wir vor den Straßenhunden

weggelaufen sind? Werden sie noch den stechenden Geruch

von frisch gebranntem Rakija in der Nase verspüren? Werden

sie die Sprache noch sprechen und überhaupt wissen, wie

das Dorf heißt, in dem sich ihre Eltern das erste Mal getroffen

hatten? Als ich neuerdings einen Nachbarsjungen im

20. Bezirk traf und ihn fragte, woher seine Eltern kommen,

schaute er mich an und zuckte mit den Achseln. „Ich habe

keine Ahnung, irgendwas mit P., bin mir aber nicht sicher.“

Nein, sie werden nicht die gleichen Erfahrungen wie

meine Generation machen. Sie werden mit den Eltern ab und

zu runterfahren, doch für sie wird es langweilig. Sie werden

hoffen müssen, dass auch andere Familien ins Dorf zurückkommen

über die Ferien, denn dort wird so gut wie niemand

auf sie warten. Ich hoffe, dass ihre Eltern versuchen werden,

ihnen dennoch die Kultur und Traditionen etwas näher zu

bringen. Ich wünsche mir, dass sie ihnen von den vollen

Dörfern, den lachenden Kindern und den Security-Omas, die

einen jeden Tag aus dem Fenster aus beobachtet haben,

erzählen. Vielleicht bekommen sie ja dann das Bedürfnis die

Dörfer später wieder selbst zu füllen.

Runterfahren bedeutete für mich immer mehr als nur das

geografische runter in den Süden und in die Balkanstaaten.

Es ist vielmehr ein seelischer Zustand. Wir fahren unseren

Körper runter. Weg von der Stadt, die von Stress und Arbeit

geprägt ist. Mittlerweile fühlt es sich allerdings eher so an,

als würden wir vom Arbeitsstress im Ausland in den emotionalen

Stress in der Heimat übergehen. Auch wenn ich meine

Heimat und den Geruch der Natur liebe, die Gründe nicht

runterzufahren überwiegen. ●


ANMELDUNG

AUF

WWW.L14.AT

ERFORDERLICH

SCHULE & BERUF – WOHIN MIT 14?

AK BILDUNGS- & BERUFSINFOMESSE

16. BIS 19.11.2022

Online auf www.L14.at und live

im AK Bildungsgebäude

Theresianumgasse 16-18, 1040 Wien

L14

/ RAMBAZAMBA / 29


YALLA KLIMASCHUTZ

30 / SPECIAL /


RATIONAL STATT RADIKAL

Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind Dinge, die uns alle etwas

angehen sollten – das versteht sich von selbst. Warum ein

schlechtes Gewissen dabei keinen Platz haben sollte.

Von Nada El-Azar-Chekh, Collage: Zoe Opratko

AktivistInnen auf Social Media helfen vielen – vor

allem jungen – Menschen, sich mehr Gedanken um

die Umwelt zu machen. Doch wie in allen Debatten

findet man gewisse Extreme. Die Wiener Tiktokerin Raffaela,

auch bekannt als „die militante Veganerin“, konfrontiert

in ihren Videos regelmäßig PassantInnen mit „lebe vegan

statt brutal“ und scheut nicht davor zurück, selbst Kindern

zu erklären, dass ihre Eltern ihnen Leichen auf dem Teller

servieren. Laut Global2000 liegt Österreich in der EU auf

Platz 3 beim Fleischkonsum. Durchschnittlich konsumiert

jede:r Österreicher:in also 5,9 Tonnen Fleisch im Leben,

was auf satte 1.287 Tiere pro Kopf kommt. Aufklärungsbedarf

herrscht angesichts dieser Zahlen alle Mal. Funktioniert

eine „Schocktherapie“ jedoch besser als ein vernünftiges

Gespräch über Nachhaltigkeit?

„WER GEHT MIT MIR DÖNER

ESSEN?“

Selma interessiert sich für Aktivismus und hat in ihrer Freizeit

schon viele Workshops über Klimaschutz und Nachhaltigkeit

besucht. Sie leistet ihren Beitrag, wo sie nur kann: Sie

hat keinen Führerschein und nutzt Fahrrad und Öffis, um in

der Stadt von A nach B zu kommen. Neue Kleidung kauft

sie nur zu besonderen Anlässen oder Second-Hand. Auch

in ihrem Freundeskreis versucht sie über Nachhaltigkeit zu

sprechen. Selma hat sich in der Wiener Innenstadt von einer

Tierschutzorganisation ansprechen lassen, die verstörende

Videos aus Massentierhaltungen für die Öffentlichkeit gezeigt

hat. „Die Aufnahmen aus den Schlachthöfen konnte ich mir

nicht ansehen, dazu bin ich zu empfindlich. Aber an der

einen oder anderen Aktion habe ich dann auch teilgenommen,

da ich die Mission und die Message interessant fand“,

erinnert sie sich. „Eine Freundin von mir ist Veganerin und

sie meinte, dass das Umfeld teilweise schon sehr radikal sein

kann. Sie ist 34 und lebt schon lange vegan, jedoch macht

sie ab und zu eine Ausnahme und nascht etwa Gummibärchen

mit Gelatine. Ihre Kindheitsfreundin, die ebenfalls

vegan lebt, würde ihr die Freundschaft kündigen, wenn sie

das erfahren würde“, erzählt Selma*. Für die Studentin führt

ein radikaler Ansatz, wie er bei der „militanten Veganerin“

zu beobachten ist, aber nur zu mehr Spaltung. „Ich würde

niemals jemanden verurteilen, der mal bei einer Grillfeier ein

Kotelett isst, oder bei einer Fast-Fashion-Kette einkauft.“ Ein

Trotzeffekt ist kontraproduktiv und lässt viele Menschen die

Tiktokerin die Kommentarspalten mit Sticheleien wie „Wer

geht mit mir Döner essen?“ fluten.

GUTE BALANCE STATT SCHLECHTES

GEWISSEN

Noch in ihrer Schulzeit stieg Selma auf eine vegetarische

Ernährung um – es war ein erster Schritt in die richtige

Richtung, wie sie findet. Anfangs bekam sie Unterstützung in

ihrem syrischen Elternhaus, indem ihre Mutter vegetarische

Gerichte für die Familie zubereitete. „In Damaskus gibt es

viele Gerichte, die von Haus aus fleischlos sind – Tabouleh,

Salate, gefülltes Gemüse und Aufstriche, nur drei bis vier

Mal im Monat gab es bei uns Fleisch. So lebten wir ohnehin

um einiges fleischärmer, als es in vielen anderen migrantischen

Haushalten üblich ist.“ Doch Selmas erste Schritte als

Vegetarierin währten nicht lange. „Ich hatte schon immer

Probleme mit Eisen und hab nach einem halben Jahr meine

vegetarische Ernährung wieder aufgeben müssen. Ich hatte

weder das Geld noch die Zeit, mich wirklich mit all den

pflanzlichen Alternativen auseinanderzusetzen und sie für

mich selber zu kochen, um meinen Eisenhaushalt zu retten“,

so die gebürtige Damaszenerin.

Nachdem sich Selmas Gesundheitszustand durch ihre

Ernährung zu verschlechtern schien, war es also auch gleich

wieder vorbei mit der fleischlosen Ernährung. „Meine Mutter

hat aus Sorge plötzlich begonnen, meine Leibgerichte mit

Fleisch zu kochen, um mir zu helfen.“ Dass sie nicht komplett

auf Fleisch verzichten konnte, bereitete ihr ein schlechtes

Gewissen. Doch sie kam zum Entschluss, dass diese Erfahrung

ihr doch etwas Wertvolles lehrte: „Eine serbischstämmige

Freundin von mir hat ihren Fleischkonsum stark reduziert,

als ich Vegetarierin wurde. Bei ihr zuhause war es sonst stark

fleischlastig. Am Ende war ich doch zufrieden, denn mir ist

das Gleichgewicht am allerwichtigsten und vor allem war

auch mein Konsumzwang reduziert. Ich habe mein Ziel also

erfüllt“, sagt sie heute stolz.

/ SPECIAL / 31


AKTIV WERDEN FÜR DAS KLIMA –

ABER WIE?

Konstantin Riermeier ist Aktions- und Aktivist:innenkoordinator bei Global2000.

BIBER: Klimaschutz geht uns alle etwas

an. Warum engagieren sich viele Menschen

immer noch nicht?

KONSTANTIN RIERMEIER: Ich denke,

dass vielen Menschen, die sich nicht

aktiv engagieren, der Bezug zur Klimakrise

fehlt. Damit meine ich, dass

viele nicht wahrnehmen und wahrhaben

wollen, dass man selbst von einer Klimaänderung

betroffen und selbst dafür

verantwortlich wäre. Wenn es 36 Grad im

Sommer hat, gilt das als Badewetter und

nicht als bedrohliches Szenario. Welche

Probleme das für überhitzte Krankenhäuser,

ältere aber auch junge Menschen

mit Herz-Kreislauferkrankungen oder

Menschen, die auf Baustellen oder in der

Landwirtschaft arbeiten, verursacht, wird

ausgeblendet. Andererseits wirkt das

Problem auch so groß, dass individuelles

Handeln wenig auszurichten scheint. Von

den alten weißen Männern, die in den

Parlamenten oder Konzernen an den großen

Hebeln sitzen, können sie nicht mehr

viel erwarten – die hätten schon lange

etwas unternommen, wenn es ihnen

ernst wäre. Diese enorme Ungerechtigkeit

kommt aber selten bei den Einzelnen

an. Es gibt ein großes Unwissen darüber,

wie man Veränderungen erzielen kann.

Wir haben teilweise gute Konzepte für

z. B. Energie und Wohnen, doch es fehlt

vielerorts auch an Best-Practice-Beispielen

und an finanzieller Unterstützung –

vor allem in solch unsicheren Zeiten.

Als „Normalsterblicher“ fühlt man sich

also machtlos – wie kann man das

Bewusstsein für die Klimakrise stärken?

Viele Menschen fühlen sich machtlos,

sobald sie Nein zu den aktuellen Zuständen

sagen, aber keine konkreten Lösungen

anbieten können. Als Einzelperson

sollte man aber keine Lösungen für diese

Probleme parat haben müssen. Es gibt

jedoch genug Leute, die die Kompetenz

und die Macht haben, sinnvolle Lösungen

zu erarbeiten. Und auf diese sollte

man Druck ausüben, damit sich endlich

etwas ändert.

Welches Angebot gibt es bei Global2000

für aktivistisch Interessierte?

Die Umweltkommunikation ist eine

von drei Freiwilligenprogrammen bei

Global2000. Wir bieten Workshops

und Ausbildungen zu Themen wie

Fleischkonsum, Klima, Fast-Fashion

und Ernährung an und wir gehen mit

den Kommunikator:innen an Schulen

in Wien und österreichweit, um junge

Menschen an Aktivismus heranzuführen.

Mir ist wichtig, ihnen zu sagen, dass ihre

Sorgen ernst genommen werden. Man

findet bei uns eine Gruppe von Gleichgesinnten,

die sich gegenseitig Mut

zuspricht, aktiv zu werden. Die erlernte

Handlungsunfähigkeit muss in eine

wirksame Kraft umgewandelt werden.

Wir wollen das Ziel einer flächendeckenden

Veränderung nicht nur aussprechen,

sondern auch erreichen.

Wie begeistert man Menschen für das

Thema, die zuhause keinen Kontakt dazu

haben?

Von außen ist Klimaaktivismus immer

mit einem hohen Maß an Know-how

verbunden, dass man sich besonders gut

mit Dingen wie globalen Produktionsund

Transportketten oder der Energiewirtschaft

auskennen muss. Man muss

die Menschen aber dort abholen, wo sie

gerade sind, unabhängig von ihrer individuellen

Expertise. Es reicht aber auch,

wenn man auf einer Demo gute Fotos

machen kann, die dann verbreitet werden,

oder auch ein einfühlsames Gedicht

schreiben kann, das zum Nachdenken

anregt. Eine an Gerechtigkeit und echten

Lösungen orientierte Einstellung bringt

uns alle auf jeden Fall weiter.

Du möchtest dir Wissen

über Klimaschutz aneignen

und aktiv weitergeben?

Werde freiwillige:r

Umweltkoordinator:in bei

Global 2000!

Dieses Nachhaltigkeitsspecial ist Teil des Projekts „Yalla Klimaschutz - Umweltbildung für alle!“ von GLOBAL 2000, das vom Bundesministerium

für Klimaschutz und Umwelt gefördert wird. Die redaktionelle Verantwortung liegt bei BIBER.

32 / SPECIAL /


FRISCH VERDREHT: VEGANE MAKLOUBA

Maklouba ist ein Gericht, das einem wahrhaftig den Kopf verdreht – und den Kochtopf. Aus dem

Arabischen übersetzt bedeutet Maklouba nämlich so viel wie „verkehrt herum“. So könnt ihr diesen

vielseitigen Klassiker ganz einfach und fleischlos nachkochen. Von Nada El-Azar-Chekh, Fotos: Zoe Opratko

Zutaten für 4 Personen:

250g Basmati Reis

1 Dose gegarte Kichererbsen

(400g)

1–2 große Melanzani

3–4 große Tomaten

Veganes griechisches Joghurt

oder Naturjoghurt

1 große Zwiebel

Nach Belieben Petersilie oder

Koriander

Neutrales Öl zum Frittieren

Gewürze:

2 Würfel Gemüsebrühe

1 großer Esslöffel Kurkuma

1 Teelöffel Currypulver

Salz und Pfeffer

Chili nach Belieben

werden sie besonders schön

golden!

Wasser kocht, den Deckel fest

auf den Topf geben, damit

kein Dampf entweichen kann

und den Reis auf niedrigster

Stufe durchgaren.

● Die Melanzani in 5mm dicke

Scheiben schneiden, beidseitig

mit Salz bestreuen und 30

Minuten ausschwitzen lassen.

● Den Topf mit Öl einschmieren,

dann Tomatenscheiben

auf den Boden auslegen.

● Basmatireis kurz waschen

und in den Topf geben. Die

doppelte Menge Wasser mit

Gemüsebrühe, Kurkuma und

Curry und ein wenig Salz und

Pfeffer mischen, dann vorsichtig

mit Wasser aufgießen,

ohne die Schichten durcheinander

zu bringen.

● Den Topf mit einem Servierteller

bedecken und vorsichtig

(!) umdrehen. Einige Minuten

warten und klopfen (für das

Glück), bevor man ihn lüftet.

● In einer Bratpfanne Rapsoder

Sonnenblumenöl erhitzen.

Die Melanzanischeiben

trocken tupfen und goldbraun

ausbacken.

● Die Zwiebel in Scheiben

schneiden und kurz anbraten.

Mit einer Fingerspitze Kurkuma

● Schicht für Schicht: Die

Melanzanischeiben gleichmäßig

auf den Tomaten und den

Wänden des Topfes arrangieren.

Dann die Zwiebelstücke

drauf. Die Kichererbsen

ausspülen und dazugeben.

● Das Wasser sollte ca. 1

Fingerkuppe breit über dem

Reis stehen. Den Herd auf

hohe Stufe drehen. Wenn das

● Für die Sauce veganes

Joghurt mit Knoblauch,

Petersilie, Zitrone, Salz und

Pfeffer mischen. Mit gehackter

Petersilie garnieren.

● Voilà – fertig

ist die vegane

Maklouba.

/ SPECIAL / 33


ICH LIEBE DICH…

UND DICH AUCH!

34 / RAMBAZAMBA /


Sex mit anderen ist in den meisten

Beziehungen Tabu. Verlieben

sowieso. Für Jakob, Tobi, Max

und Karynne aber nicht. Sie leben

nicht monogam, das heißt, sie

führen Beziehungen mit mehreren

Menschen gleichzeitig. Wie das

funktionieren kann?

Von Celina Dinhopl, Fotos: Zoe Opratko

Für unser Interview zeigt mir Tobi heute einen

besonderen Ort: den Huberpark im 16. Bezirk. Hier hat er vor

nicht allzu langer Zeit zum ersten Mal Ella geküsst. Eigentlich

ist Tobi mit Sophia zusammen. Trotzdem betrog er sie nicht

mit Ella.

Denn die beiden leben in einer offenen Beziehung. Das

bedeutet, sie dürfen mit anderen Personen Sex haben – mit

Einverständnis des*r anderen. So wie Tobi und Sophia leben

immer mehr Menschen. In den letzten Jahren stößt man in

den sozialen Netzwerken auf immer mehr nicht-monogam

lebende Menschen, die ihre Beziehungsmodelle erklären.

Polyamorie und offene Beziehungen sind zwar keine Neuheit,

aber doch vielerorts noch ein Tabu.

Die meisten Menschen leben in monogamen Beziehungen.

Das bedeutet, zwei Personen lieben sich und gehen

eine exklusive Beziehung miteinander ein. Somit ist Sex,

Romantik oder Liebe mit anderen nicht erlaubt. Es passiert

trotzdem nicht selten, dass in monogamen Beziehungen

Betrug geschieht: Eine Person geht fremd oder verliebt sich

neu. In nicht-monogamen Beziehungen sind diese Dinge

jedoch (teilweise) erlaubt. Eine genaue Zahl, wie viele Menschen

in Österreich nicht-monogam leben, gibt es aktuell

nicht. Bei der Polyamorie können Menschen mehrere Beziehungen

gleichzeitig haben und alle sind damit einverstanden.

Liebe wird nicht als exklusiv für eine Person angesehen.

Solche Paare können ganz unterschiedlich aussehen: eine

Person mit mehreren Partner*innen, ein Hauptpaar mit einer

untergestellten dritten Person, eine exklusive Beziehung zu

dritt (erweiterte Monogamie) und vieles mehr. Bei offenen

Beziehungen gibt es hingegen ein Pärchen. Dieses erlebt

den Alltag zu zweit. Es ist jedoch beiden erlaubt, außerhalb

der Beziehung Sex mit anderen zu haben. In fast allen Fällen

sind tiefere romantische Beziehungen aber nicht erwünscht.

L(I)EBEN ZU DRITT

Anders war es bei Max. Er war drei Jahre lang in einer

polyamoren Beziehung mit zwei Männern. Jeder liebte jeden.

Zuerst war Max mit seinem ersten Partner monogam. Sie

beschlossen gemeinsam, trotz starker Liebe zueinander,

nicht mehr auf Sex mit anderen zu verzichten. Die einzige

Bedingung: pure Ehrlichkeit. Nach einem halben Jahr kam

der dritte Partner ins Spiel. Was am Anfang nur Spaß war,

wurde immer ernster und auf der Pride-Parade gestanden

sich alle ihre Liebe. Ab da machten sie ganz typische Pärchendinge,

nur halt eben zu dritt. Ob Urlaub, zuhause auf der

Couch kuscheln oder auch Intimität, es wurde alles miteinander

geteilt. Auch bei Familientreffen nahm er beide Partner

mit. Seine Eltern waren dabei sehr unterstützend – doch sie

hatten auch Fragen. Genauso wie ihre Nachbarn, wenn sich

alle drei im Gang mit Küssen verabschiedeten. Es gab aber

auch Momente, in denen einer nicht dabei war. Das sah Max

ganz entspannt, sogar wenn’s um Sex ging: „Wenn ich von

der Arbeit kam und keine Lust mehr hatte, war es für mich

total okay, wenn sie gemeinsam etwas machten.“

Auch Jakob und Elisa, die schon seit über drei Jahren in

einer offenen Beziehung leben, führen in diesem Konzept ein

erfülltes Liebesleben. Miteinander gestalten sie ihren Alltag

und ihre Zukunft. In ihrer Freizeit treffen sie sich mit anderen,

um Sex zu haben. „Man muss sich daran gewöhnen, über

den Sex mit anderen zu erzählen. Aber es ist schön, sich

nicht zwischen einer Beziehung oder Dating entscheiden zu

müssen“, erzählt Jakob.

Liebe muss nicht auf eine Person beschränkt sein

/ RAMBAZAMBA / 35


36 / RAMBAZAMBA /

Attraktion zu anderen

Personen ist normal.


MONOGAMIE IST NICHT FÜR JEDEN

Monogamie ist in den meisten Ländern die Norm, doch das

war nicht immer so. Vor der neolithischen Revolution, also

dem Sesshaftwerden der Menschheit, als die Menschen

noch Jäger und Sammler waren, war eine Mischung aus

monogam und polyamorös die gängige Beziehungsform.

Exklusive Partnerschaften wurden so lange gehalten, bis

die Kindererziehung abgeschlossen war. Ein sinnvoller

Prozess, wie Sexualpsychologin Nicole Kienzl beschreibt.

War die Kindererziehung geschafft, suchte man sich neue

Partner*innen. Als der Mensch vor etwa 11.000 Jahren

sesshaft wurde, veränderte sich das Zusammenleben: Mit

dem eigenen Besitz kam auch der Wunsch, diesen an das

eigene Kind zu vererben. Aufgrund des Mangels an Kontrollmöglichkeiten

von Männern, ob das Kind wirklich von ihm

sei, wurde die Sexualität auf eine*n Partner*in reduziert. Das

beschreibt der Psychologe Christopher Ryan in seinem Buch

„Sex. Die wahre Geschichte“. Monogamie ist nicht in jeder

Religion typisch, aber vor allem im westlich vorherrschenden

Christentum. Diesem schreibt Nicole Kienzl einen starken

Einfluss auf die heute dominierende Monogamie zu: „Monogamie

ist ein soziales Konstrukt, das sehr von der Kirche forciert

wurde.“, so die Sexualpsychologin. Heute sind wir kaum

anderes gewöhnt, trotz Vaterschaftstests und Laizismus, also

der Trennung von Kirche und Staat. Dadurch denken viele

Menschen aber gar nicht mehr darüber nach, ob die tradierte

monogame Lebensform überhaupt das Richtige für sie sei.

Für Tobi ist Monogamie aber nicht das Richtige. Das

merkte er auch schon bei seiner ersten Beziehung mit etwa

17 Jahren. Schon damals sah er sich nach anderen Personen

um und fühlte sich schuldig. Man brachte ihm bei, dass

das nicht okay sei. Heute sieht er es als eine Art Superpower

an, sich in mehrere Personen verlieben zu können. Denn Tobi

identifiziert sich als polyamorös, trotz offener Beziehung.

Er bezeichnet seine aktuelle Situation als kompliziert, denn

er würde gerne auf eine polyamore Beziehung „upgraden“,

doch damit ist seine Freundin Sophia nicht einverstanden.

Dadurch bleibt es nur bei der offenen Beziehung – trotz

Gefühle für Ella, die er dadurch nur als sein Gspusi bezeichnet.

Es herrscht vor allem das Vorurteil, die Beteiligten

würden sich gar nicht wirklich lieben. Wie Tobi und Jakob

erzählen, lieben sie ihre Partnerinnen aus ganzem Herzen.

Tobi bezeichnet sich sogar als sehr romantisch. „Ich finde

nur nicht, dass das auf eine Person beschränkt sein muss“,

erzählt er. Auch Karynne, die aktuell Single ist und mehrere

Personen datet, hat dazu einiges zu sagen: „Attraktion

zu anderen Personen ist normal.“ Sie war schon oft in

monogamen Beziehungen, merkte aber, dass das nicht das

Wahre sei. Sie erkannte schon mit 19, dass sie eigentlich

polyamorös ist. Inzwischen kann sie

das komplett ausleben. Menschen,

die sie liebt, können koexistieren.

Eigentlich gibt es genau hier

Parallelen zu monogamen Beziehungen:

Die meisten sind nämlich

nicht wirklich monogam, sondern

Man liebt mehrere Personen

innerhalb eines Lebens, nur

nicht zur gleichen Zeit.

Lieben zu dritt? Das geht!

haben mehrere exklusive Beziehungen nacheinander. Man

liebt mehrere Personen innerhalb eines Lebens, nur nicht zur

gleichen Zeit. Genannt wird das serielle Monogamie, wie es

Nicole Kienzl beschreibt.

RASENDE EIFERSUCHT? FEHLANZEIGE!

Viele monogame Personen können nicht verstehen, wie

man nicht vor Eifersucht umkommt. Auch für monogame

Paare ist Eifersucht ein Thema, wird aber meist dadurch

abgewendet, den*der anderen jegliche körperliche oder

emotionale Nähe zu anderen Personen zu verbieten. Diese

kann begründet, aber auch unbegründet als Angstreaktion,

den*die Partner*in zu verlieren auftreten. Jakob und Elisa

sind okay damit, anderen körperlich nahe zu sein. „Es ist

ein Klischee, dass wir mehr Eifersucht verspüren. Ich würde

sogar behaupten, dass man damit weniger zu kämpfen hat,

weil man mehr darüber nachdenkt und sie eventuell sogar

überwindet“, so Jakob. Aber auch ihm ist Eifersucht kein

Fremdwort. Dabei ruft er sich immer wieder einen bestimmten

Gedanken in den Kopf: „Ich weiß ja selbst für mich, dass

ich keine bösen Absichten habe, wenn ich mit einer anderen

Person Sex habe. Deswegen vertraue ich ihr da, dass sie

auch damit so umgeht.“ Tobi sieht es eher gechillter und

behauptet, inzwischen gar keine Eifersucht mehr zu empfinden.

Ein Thema ist es für ihn jedoch

vor allem wegen seiner Freundin

Sophia. Er würde sich wünschen,

sie würde erkennen, wie sehr er

sie liebt, und dass sich daran auch

mit einer weiteren Beziehung nichts

ändern würde. Zur Eifersucht kommt

/ RAMBAZAMBA / 37


Eifersucht ist in nicht-monogamen Beziehungen genau so vorhanden

es meistens jedoch dann, wenn

Unehrlichkeit im Spiel ist. Auch

durch Regelbruch – die meisten Paare

stellen sich gegenseitig Regeln

auf – kann man fremdgehen. Erzähle

eine*r nicht von einer sexuellen

Erfahrung oder würde nicht verhüten,

könnte bei Jakob und Elisa ein

Konflikt entstehen. Tobi und Sophia

haben eine Blacklist an Leuten, die

tabu sind. Tobi schrieb seine Feinde aus der Schulzeit auf,

Sophia hingegen eine Ex von Tobi. Sexualpsychologin Nicole

Kienzl sieht klar definierte Regeln als A und O dafür, dass

eine geöffnete Beziehung überhaupt funktionieren kann.

„Absprachen und Kommunikation sind ganz wichtig, weil die

Treue ein ganz anderes Gewicht kriegt“, so Nicole Kienzl.

Tatsächlich kommt es nicht selten vor, dass eine Person

die Beziehung öffnen möchte, und die andere nur zustimmt,

um die Beziehung überhaupt am Leben zu halten. Auch bei

Jakob und Elisa war es anfangs ähnlich: Während beide

auf Auslandssemester in anderen Ländern waren, rief Elisa

Jakob gegen Ende des Semesters an und bat um eine offene

Beziehung. Sie hatte jemanden kennengelernt, mit dem

sie intim werden wollte. Jakobs erste Reaktion: Schock.

Doch anstatt die Beziehung zu beenden, probierte er es

Es kommt nicht selten vor,

dass eine Person die Beziehung

öffnen möchte, und die andere

nur zustimmt, um die Beziehung

überhaupt am Leben zu halten.

aus. Heute ist er sehr froh über die

Entscheidung. Ratsam ist es jedoch

nicht, ohne eigenes Interesse eine

nicht-monogame Beziehung einzugehen.

Tobi kennt die andere Seite

der Medaille: Ihn überkommen oft

Schuldgefühle, die ihn befürchten

lassen, dass er sowohl Sophia als

auch Ella zu einem Beziehungsmodell

drängt, damit er so leben kann,

wie er will. Trotzdem hatten sie die freie Wahl: Schon zu

Beginn der Beziehung hatte Tobi Sophia gesagt, eine offene

Beziehung zu wollen. Sie willigte ein, behauptet aber, ginge

es nur nach ihr, wären sie monogam. Inzwischen haben sie

sich darauf geeinigt, sich nichts vom Sex mit anderen zu

erzählen.

EINE PERSÖNLICHE ENTSCHEIDUNG

Die größte Frage ist jedoch: Kann das halten? Wie unsere

Interviewpartner*innen zeigen, lässt sich das nur ganz individuell

beantworten. Jakob meint, dass er gerne so weitermachen

würde wie bisher, aber auch mit Monogamie kein

Problem hätte. „Unsere Beziehung war auch schon davor

gut“, meint er. Tobi hingegen glaubt, dass es aufgrund der

Konflikte zwischen ihm, Sophia und Ella bald eskalieren könn-

38 / RAMBAZAMBA /


Entgeltliche Einschaltung

D A M I T S I E

I H R E W O H N U N G

B E H A L T E N

Die Corona-Pandemie hat auch viele Mieter*innen im Gemeindebau vor große Herausforderungen gestellt.

Wer dadurch kein Geld im Börsel hat und die Miete nicht zahlen kann, findet Hilfe bei der

Wiener Wohnungssicherungsstelle unter der Telefonnummer 01 4000 11420 und

durch die Stadtmenschen im Gemeindebau unter Stadtmenschen@wrwks.at.

Mehr Infos über alle Unterstützungsmöglichkeiten für Gemeindebaumieter*innen: wienerwohnen.at/hilfe

Sollten Sie Betroffene kennen, bitte weitersagen - helfen Sie uns beim Helfen!

Service-Nummer 05 75 75 75

wienerwohnen.at


te. Vielleicht würde die offene Beziehung standhalten, aber

diesem Gefühlschaos gibt er keine Chance. Karynne möchte

nie mehr komplett zur Monogamie zurück. Und Max wünscht

sich seine nächste Beziehung lieber monogam – auch wenn

er drei Jahre mit seinen beiden Partnern zusammen war, war

schlussendlich genau das der Trennungsgrund. Beide waren

ihm gegenüber nicht ehrlich und entdeckten unabsichtlich

durch gemeinsame Sexpartner den Betrug aneinander.

Nicht-monogame Beziehungen sind nicht ultimativ besser

oder schlechter als monogame. Das richtige Beziehungsmodell

muss jede*r für sich selbst entdecken. Nicole Kienzl zum

Beispiel beschreibt es so: „Wenn man eine tiefe und vertrauenswürdige

Beziehung will, finde ich die monogame Beziehung

schon DIE Beziehungsform. Wobei das nicht bedeutet,

dass offene Beziehungen nicht auch tief sind.“ Nicht-Monogamie

kann vor allem dann funktionieren, wenn miteinander

offen kommuniziert wird und die Partner*innen fest verbunden

sind. Da ist die Monogamie aber gar nicht so anders.

Anmerkung: Auf den Fotos handelt es sich nicht um die Protagonist:innen

des Artikels, sondern um szenische Ausschnitte aus nachgestellten Szenen

mit Personen, die selbst nicht im Artikel vorkommen.

Wir wollten wissen, wie Psycholog*innen Nicht-Monogamie

einschätzen. Sexualpsychologe Christian Beer im Interview:

BIBER: Wie oft kommen Personen mit

dem Interesse an einer nicht-monogamen

Beziehung zu Ihnen?

CHRISTIAN BEER: Interesse per se

haben die wenigsten, es ist eher ein Rettungsversuch

der Beziehung, wenn sich

die Sexualität verschlechtert. Sehr selten

sind die Personen von Anfang an daran

interessiert; vor allem dann nicht, wenn

sie verliebt sind.

Wie erklären Sie sich das Interesse

daran?

Grundsätzlich muss man hier einmal die

Rollen in einer Beziehung definieren.

Wenn man eine fixe Beziehung haben

möchte, dann muss man Rollen auch

regulieren. In unserem Kulturkreis ist es

bestimmt von Vorteil, wenn sich die Partner

gegenseitig als Nummer 1 für den

anderen sehen. Bei Polyamorie hat man

dieses Verhältnis nicht, weil man sich

den Platz 1 eventuell teilen muss. Ein

Stück weit erkläre ich es mit der Angst,

nicht alle Bedürfnisse in einer Beziehung

unterzubekommen, zum Beispiel

sexuelles Interesse nicht nur gegenüber

dem Partner zu haben. Es wird auch als

Ausweg für eine schlechter werdende

sexuelle Beziehung angesehen.

Sind Menschen von Natur aus monogam?

Nein, hier gibt es eine Diskrepanz

zwischen Natur und Kultur. Das kann

man auch an den Geschlechtsorganen

erkennen, so ist der Penis im Vergleich

zur Körpergröße sehr groß und wie eine

Saugpumpe aufgebaut, was darauf

deutet, dass früher ein starker Konkurrenzkampf

vorherrschte. Die Erklärung:

Mit der Form kann man fremde Spermien

während des Sex entfernen. Auch

Verliebtheit ist ein Teil der Sexualität,

der nach einigen Jahren abklingt und

an dessen Stelle Bindung hervorkommt.

Wir sind aber in den ersten Jahren der

Kindererziehung auf eine starke Bindung

angewiesen, um uns gegenseitig

zu beschützen. Diese Bindung ist nichts

Schlechtes, kann aber die sexuelle Vitalität

einer Beziehung eindämpfen. Erklären

kann man das mit der Bindung in Familien

untereinander, sich sexuell nicht zur

Verwandtschaft hingezogen zu fühlen -

trotz starker Bindung. Außerdem können

unsichere Bindungen Stress auslösen,

wodurch man zu anderen Personen geht,

um mit diesen Sex zu haben, wo dieser

Stress nicht besteht.

Wie lässt sich eine zuerst monogame

Beziehung erfolgreich öffnen?

Es geht, wenn man sich auf Spielregeln

einigt. Wenn zum Beispiel bei abgegrenzten

Veranstaltungen wie Swingerpartys

die Beziehung temporär geöffnet

und danach wieder geschlossen wird. Ich

glaube aber, dass eine nicht-monogame

Beziehung eher etwas Temporäres ist

und der aktuelle Trend zur Polyamorie

eine Sackgasse für Beziehungen darstellt

und eher schwierig ist.

Sind Menschen in monogamen oder

geöffneten Beziehungen besser aufgehoben?

Monogame Beziehungen im Sinne von

vertrauensvollen Beziehungen sind das

Richtige, Monogamie würde ich aber

nicht an erste Stelle stellen. Wichtiger

sind Fragen wie: Ist die Beziehung

erwachsen? Teilt man gemeinsame Werte?

Kann man einander vertrauen?

40 / RAMBAZAMBA /


LEHRLINGE GESUCHT!

„Ich zeig, was ich kann.

Als Lehrling bei SPAR!“

Über 4.500 Euro Prämien*:

• Monatliche Lehrlingsprämien bis zu 140 Euro.

• Jährliche Zeugnisprämien bis zu 220 Euro.

Beste Karrierechancen:

Gratis B-Führerschein*

Wähle aus 23 verschiedenen Lehrberufen deinen Traumberuf.

Starte deine Karriere jetzt zum Beispiel als Lehrling im Einzelhandel

mit den Schwerpunkten Lebensmittelhandel oder

Feinkostfachverkauf oder zeig dein Talent im Bereich IT, der

Verwaltung oder der Logistik.

oder ein E-Bike bzw. im Gegenwert Jahreskarten,

Gutscheine für den öffentlichen

Verkehr oder Taxigutscheine. Für gute Leistungen

gibt es außerdem nach dem Ende

des ersten Lehrjahres ein iPad.

86%

der SPARianer empfehlen

SPAR als Arbeitgeber weiter

JOBS MIT

ÖSTERREICH DRIN.

Bewerbungen unter: www.spar.at/lehre

*Gilt für Eigenfilialen der SPAR AG


LIFE & STYLE

Mache mir die Welt,

wie sie mir gefällt

Von Şeyda Gün

Fashion-Tipp

BOMBO BOOTS

MEINUNG

Mein erschöpftes

„Ich“

An manchen Tagen fällt es mir extrem

schwer, motiviert und top-fit in den Tag

zu starten.

Mit jeder WhatsApp-Nachricht und

jedem Anruf auf meinem Handy verrolle

ich meine Augen und bin von allem und

jedem genervt. Am liebsten würde ich

mein Handy aus dem Fenster werfen,

jeglichen sozialen Kontakt vermeiden

und den ganzen Tag im Bett liegen

und einfach nichts tun. Wir leben in

einer Welt, in der wir uns von unserem

Alltagsleben manchmal einfach keine

Pause gönnen können, weil wir keine

Zeit oder Kraft dafür haben. Dabei sind

diese „Pausen“ gut und wichtig für

unsere Gesundheit, aber auch unser

Wohlbefinden. Für mich bedeutet

Auszeit, wenn ich mal wieder ein Buch

lesen, eine Serie binge-watchen oder

einen Spaziergang in der Natur unternehmen

kann. Oft habe ich das Gefühl,

dass wir permanent damit beschäftigt

sind, etwas für das System, in dem wir

leben, zu leisten und dabei auf unser

mentales Wohlbefinden vergessen.

Genau das habe ich satt. Wann hast du

dir das letzte Mal eine Auszeit genommen?

Xoxo Ş.

guen@dasbiber.at

Healthy Lifestyle

FANCY

TRINKFLASCHE

Wenn wir schon beim Thema

Gesundheit sind: Wasser ist

wichtig, für die kalten Herbsttage

könnt ihr euch diese fancy Trinkflasche

gönnen und diese mit Tee

befüllen. Yummy, oder? (Amazon:

21,50 Euro)

Ich liebe fette Chelsea Boots,

sie sind mein Highlight für den

Herbst und Winter. Unterwegs mit

meinen Airpods im Ohr, mit geiler

Musik im Hintergrund und diesen

Bombo-Boots fühl ich mich

immer mega. Probiert es aus.

(Stradivarius: 55,99 Euro)

WIR ALLE

LIEBEN

LIBRE

Wie ihr bereits wissen solltet, liebe

ich Parfüm. Bestimmte Düfte

lösen in mir Erinnerungen an eine

Person oder eine bestimmte Phase

in meinem Leben aus. Libre

von Yves Saint Laurent erinnert

mich an meine beste Freundin

und ist wirklich ein must have.

Vallah, hört auf mich und holt es

euch. (Müller: 30ml, 74,95€)

© Zoe Opratko, Stradivarius, Bobicon, Yves Saint Laurent

42 / LIFESTYLE /


© 2022 McDonald’s. In allen teilnehmenden Restaurants in Österreich. Produkt mit Schmelzkäsezubereitung.

Alle panierten Hühnerprodukte aus Hühnerfleischstücken geformt und zusammengefügt. Ausgenommen Fremdmarken.


IHR KÖNNT

UNS ALLE

MAL…!

„Ihr könnt uns alle mal…!“ wird am 01.12.

2022 um 17:00 Uhr im Metro Kino Premiere

feiern. Weitere Termine für Screenings

werden auf dem Instagram-Kanal

@aklockdownstories bekanntgegeben.

Immer mehr junge Menschen können die Politik in Österreich

nicht mitgestalten. Die Arbeiterkammer Wien möchte mit dem

Projekt AKLockdownstories elf Jugendliche zu Wort kommen

lassen, die sonst keine Stimme haben. Wie es ist, jung zu sein

und sich von Politik und Gesellschaft nicht gehört zu fühlen,

erzählen sie in dem Film „Ihr könnt uns alle mal…!“.

Von Emilija Ilić, Fotos: Zoe Opratko

Dieser Beitrag entstand

in Kooperation mit der

Arbeiter kammer Wien.

Die redaktionelle Verantwortung

liegt bei BIBER.

44 / SPECIAL /


Immer mehr Jugendliche können

mit der österreichischen Politik

nichts anfangen. Eine SORA-Studie

bestätigt: Nur sechs Prozent aller

16- bis 26-Jährigen fühlen sich von ihr

gut vertreten. Die elf TeilnehmerInnen

von AKLockdownstories wollen in ihrem

neuen Film zeigen, wie wichtig politische

Beteiligung für sie ist. Von Ideenfindung,

Drehbuch-Sessions bis hin zum Schauspielcoaching

– die Jugendlichen werden

mit Unterstützung der Arbeiterkammer

Wien einen eigenen Film verwirklichen,

in dem sie ihre persönlichen Sorgen und

Vorstellungen zum Thema Ausgeschlossen-Sein

aufzeigen.

Für Projektleiter Alper Eroğlu ist die

Zusammenarbeit mit den Jugendlichen

ein Herzensprojekt. Als Jugendkoordinator

der Arbeiterkammer Wien in der

Abteilung für Lehrausbildung und Bildungspolitik

initiierte er bereits 2021 das

Projekt AKLockdownstories. Der Anstoß

dafür waren Ergebnisse einer Studie

der österreichischen Gewerkschaftsjugend

(ÖGJ), der MedUni Wien und der

Donau-Uni Krems über den psychischen

Gesundheitszustand Jugendlicher während

der Coronapandemie. „Die Jugendlichen

sind komplett untergegangen und

ihre psychische Gesundheit hat darunter

gelitten. Der erste Film wurde zwischen

den Lockdowns gedreht, deshalb auch

der Name AKLockdownstories. Das

Projekt hat aber so gut funktioniert, dass

wir jetzt in die zweite Runde gehen“, so

Alper.

Er suchte sich eine Gruppe von

Jugendlichen, die motiviert waren, ihre

Geschichten selbst zu verfilmen. Auf

die insgesamt elf TeilnehmerInnen ist

er durch vorherige Projekte und die

Bildungseinrichtung Interface gestoßen.

„Mir war es wichtig, dass die Teilnehmenden

Lust auf das Projekt haben.

Wichtig war auch, dass wir Jugendlichen

aus marginalisierten Gruppen eine

Stimme geben, die sonst selten zu Wort

kommen.“

Projektleiter Alper Eroğlu

Regisseur Mahir Yildiz

ZUKUNFT OHNE

MITBESTIMMUNG?

Bei den verganenen Bundespräsidentschaftswahlen

durften 1,4 Millionen

Menschen nicht wählen, da sie die

österreichische Staatsbürgerschaft nicht

besitzen. Tendenz steigend. Auch die

Mehrheit der AKLockdownstories-Gruppe

besitzt keine österreichische Staatsbürgerschaft.

„Von der halben Million

wahlberechtigten WienerInnen, die nicht

die österreichische Staatsbürgerschaft

haben, sind 72.000 zwischen 16 und

24 Jahren alt. Dazu zählen Jugendliche,

die zum Großteil hier geboren und in

die Schule gegangen sind. Ihnen fehlt

schon im jungen Alter das Vertrauen in

das politische System. Sie haben das

Gefühl, weder beteiligt zu sein, noch

gehört zu werden. Das führt dazu, dass

die Demokratie insgesamt geschwächt

wird. Hier will die Arbeiterkammer Wien

entgegenwirken“, so Projektleiter Alper

im Gespräch.

Bereits seit Juli trifft sich das Team

mit Regisseur Mahir Yıldız fast jedes

Wochenende. In Brainstorming-Sessions,

Workshops mit ExpertInnen und

auch beim gemeinsamen Mittagessen

diskutierten sie, wie man ihre Lebensrealitäten

in einem Film zeigen kann. Die

Teambuilding-Aufgaben waren für die

Gruppe besonders wichtig, da sie auch

im Film eine Freundesgruppe spielen

und ihre persönlichen, realen Geschichten

teilen. Sie stellten sich gegenseitig

intime Frage, schrieben fiktive Geschichten

zusammen und wurden eine kleine

AKLockdownstories-Familie.

Regisseur Mahir war von Anfang an

dabei und nahm in der Entstehungsphase

eine begleitende Rolle ein. „Ich wollte

und will, dass so viel wie möglich von

den Jugendlichen selbst kommt. Es

sind ihre Geschichten und sie sollen

sich damit identifizieren können.“ Nach

intensiven Gesprächen mit Projektleiter

Alper begann er das Konzept für die

Film-Workshops zu erstellen. „Die Politik,

die gern die Floskel ‚Die Zukunft gehört

den Jugendlichen‘ schreit, vergisst, dass

die Gegenwart den Jugendlichen genauso

gehört und lässt junge Menschen in

gesellschaftsrelevanten Fragen oft nicht

mitbestimmen“, kritisiert der Regisseur.

AUTHENTISCHE

GESCHICHTEN

Stundenlang setzten sich die TeilnehmerInnen

von AKLockdownstories mit

DrehbuchautorInnen Felicia Schätzer und

Ibrahim Amir zusammen, die sie dabei

unterstützten, ihre Geschichte professionell

zu erzählen. Erst als alle Beteiligten

mit dem Drehbuch zufrieden waren,

gingen die Schauspielcoachings los.

Da die Teilnehmenden wenig Erfahrung

mit Schauspiel hatten, wurden die zwei

Schauspielerinnen Anna Kramer und May

Garzon ins Team geholt. In Gruppen- und

Einzelübungen wurden die Jugendlichen

herausgefordert, sich in eine Rolle

hineinzuversetzen. Die Rollen wurden so

zugeteilt, dass sich jede Person mit ihrer

/ SPECIAL / 45


Wieso ist dir

politische

Beteiligung

wichtig?

Mahir Yildiz möchte, dass die Zukunft möglichst von allen mitbestimmt wird.

Figur identifizieren und die jeweiligen

Charakterzüge authentisch verkörpern

konnte. Auch einen Teil der Requisiten

fertigten die Jugendlichen für den Film

selbst an.

Der Inhalt des Films spiegelt nicht nur

die Realität der Gruppe wider, sondern

auch die Schicksale etlicher Jugendlicher

mit Migrationshintergrund. Projektleiter

Alper war es besonders wichtig, dass

Jugendliche, die keine Profischauspieler

sind, beim Film mitwirkten. „Denn

genau sie sind diejenigen, die von diesen

Missständen betroffen sind, und somit

© Christopher Glanzl

„Österreich hat ein veraltetes,

unfaires Staatsbürgerschaftsgesetz.

Die vielen Hürden führen dazu, dass

viele den österreichischen Pass nicht

bekommen. Gerade auch Frauen und

junge Menschen, die weniger verdienen,

haben keine Chance. Deshalb

hat Österreich insgesamt eine viel

auch am ehrlichsten darüber berichten

können.“

Der Film ist sowohl für alle, die von

politischer Beteiligung ausgeschlossen

sind, als auch für jene, die etwas daran

ändern könnten. Für Alper ist die Message

des Projekts, „dass Jugendliche

nicht so politikverdrossen sind wie viele

gerne behaupten, sondern ihnen oft nur

die Möglichkeiten zur Mitbestimmung

und Beteiligung fehlen. Die Arbeiterkammer

Wien wird Jugendlichen immer

als starke Partnerin und Verbündete zur

Seite stehen.“

zu geringe Einbürgerungsquote und

es steigt jährlich der Anteil jener,

die nicht wahlberechtigt sind. Diese

ungerechte Situation schwächt nicht

nur unsere Demokratie, sondern sie

schwächt auch die Interessen von uns

ArbeitnehmerInnen und die Aufstiegschancen

von MigrantInnen und

junger Menschen. Mittlerweile sind es

schon 100.000 WienerInnen, die hier

geboren wurden, hier aufwachsen

und unsere Stadt prägen – die aber

nicht wählen dürfen, weil sie nicht

den Pass haben. Das ist ungerecht,

zukunftsfeindlich und schadet dem

Zusammenleben.“

ILKIM ERDOST, Bereichsleiterin Bildung

& KonsumentInnen bei der Arbeiterkammer

Wien

„Hätte meine Mutter die

Staats bürgerschaft damals

nicht mühselig beantragt,

hätte ich heute keine

Chance, mich am politischen

Diskurs zu beteiligen.“

Emilija, 20, Wien, serbischer

Migrationshintergrund

WAHLRECHT

„Ich bin genauso Teil dieser

Gesellschaft wie Personen, die

die Staatsbürgerschaft haben.“

Maria, 18, Wien, rumänischer

Migrationshintergrund

KEIN WAHLRECHT

46 / SPECIAL /


„Alle, die in Österreich

geboren wurden, sollten

dieselben Rechte haben und die

Möglichkeit, mitzubestimmen.“

Moria, 18, Wien

WAHLRECHT

„Ich darf hier arbeiten und

Steuern zahlen, ohne ein

Mitspracherecht bei politischen

Entscheidungen zu haben.“

Zeynep, 23, Türkei

KEIN WAHLRECHT

„Politik ist ein wichtiger

Teil meines Lebens und

darum möchte ich auch

mitbestimmen dürfen.“

Sufian, 21, Syrien

KEIN WAHLRECHT

„Ich bin vor drei Jahren

nach Österreich gekommen

und möchte hierbleiben.

Dafür brauche ich die

Staatsbürgerschaft.“

Nabil, 18, Syrien

KEIN WAHLRECHT

„Politik wirkt sich auf das

Leben jeder einzelnen Person

aus – auch auf jene, die

von politischer Beteiligung

ausgeschlossen werden.“

Asja, 21, Wien, bosnischer

Migrationshintergrund

„Ich will mich nicht nur

mit der Sprache und der

Arbeit integrieren, sondern

ich will auch die Staatsbürgerschaft

haben.“

Rokhash, 23, Syrien

KEIN WAHLRECHT

WAHLRECHT

„Politische Entscheidungen

betreffen jeden Tag unser

Leben, deshalb müssen alle

gehört werden.“

Jana, 19, Klosterneuburg

WAHLRECHT

„Ich bin direkt von politischen

Entscheidungen betroffen,

ohne mitentscheiden zu dürfen,

obwohl ich hier geboren bin.“

Melike, 21, Wien, türkischer

Migrationshintergrund

KEIN WAHLRECHT

„Ich bin seit sechs Jahren hier,

darf nicht wählen gehen und

habe keinen Anspruch auf die

Staatsbürgerschaft.

Samim, 20, Afghanistan

KEIN WAHLRECHT

/ SPECIAL / 47


KARRIERE & KOHLE

Para gut, alles gut

Von Šemsa Salioski

MEINUNG

Über die

Trennung

von Job und

Selbstwertgefühl

Da wir den Großteil der Zeit mit

Arbeiten verbringen, ist es üblich,

die eigene Identität eng an den Job

zu knüpfen. Was tun wir aber, wenn

es nicht läuft wie geplant? Burnouts,

Schwierigkeiten, eine Stelle zu finden

oder Kündigungen - alles nicht gerade

unwahrscheinlich. Meine Eltern sind

vor Jahren fast zeitgleich plötzlich

arbeitslos geworden. Ruinierte Körper

durch schwere Arbeit und über zehn

Jahre Loyalität haben beiden Firmen

nicht gereicht, um sie in Krisenzeiten

nicht wie Ballast abzuwerfen. Bald darauf

kam der Abschied vom Selbstwertgefühl.

Die emotionalen Folgen jucken

die kapitalistische Gesellschaft Null.

Diese Phase hat mir früh gezeigt, dass

der Mensch nicht durch seine Arbeit

alleine definiert werden darf. Tun wir

es uns also bitte selbst und anderen

nicht an. Jede Person ist mehr als das,

was sie tut, um Geld zu verdienen.

Ich finde nicht verwerflich, stolz auf

erbrachte Leistungen zu sein, glaube

aber trotzdem, dass man sich öfter

fragen sollte, wer man ohne (Traum)

Job ist.

salioski@dasbiber.at

PARA-MANAGER

AM HANDY

Schon wieder Mitte des Monats

und ihr schaut alle Jacken

durch, um ein paar Euros für

den billigsten Döner im Bezirk

zu finden? Mal ehrlich, das

Gefühl kennen die meisten

von uns. Aber hey, das lässt

sich vermeiden - durch gute

Planung! Es gibt nämlich genug

Money Management Apps,

über die man seine Einnahmen

und Ausgaben festhalten,

ordnen und analysieren kann.

Empfehlen kann ich besonders:

Monefy – Expense Manager,

Money Manager und SayMoney

–Haushaltsbuch. Btw: Die Apps

loosen auch in der Gratisversion

nicht ab.

FAKE IT TILL

YOU MAKE IT:

SELBSTBEWUSST MIT DER

RICHTIGEN WORTWAHL

In neuen Situationen achten

besonders beruflich unerfahrene

Menschen darauf, nicht unhöflich

zu wirken. Leider führt das oft dazu,

dass man als unsicher wahrgenommen

wird. Hier sind 3 Sätze, die ihr

in Zukunft vermeiden könnt:

→ Statt: „Ich hoffe, das macht so

Sinn“, lieber: „Gib Bescheid,

wenn du Fragen hast.“

→ Statt: „Kann ich vielleicht früher

gehen?“, lieber: „Ich muss früher

gehen weil XY.“

→ Statt: „Sorry, dummer Fehler von

mir“, lieber „Danke für den Hinweis,

ich verbessere das gleich!“

FOMO („FEAR OF MISSING OUT“)

WAR GESTERN!

Winter ist coming und mit ihm auch der alljährliche Winterblues. Aber keine

Panik – die Wiener Volkshochschulen helfen euch dabei nicht auf eure mentale

Gesundheit zu vergessen. Mit einem umfassenden Angebot an Kursen

zu Themen wie Selbstwert, Konfliktbearbeitung, Depressionsprophylaxe

sowie zum Umgang mit den eigenen Ängsten ist für jede*n etwas dabei.

Den für euch passenden Kurs findet ihr auf www.vhs.at/selbstwert.

Organisation is Key. Unsere alltäglichen To Dos halten uns ganz schön auf

Trab – die VHS schafft hier Abhilfe: Auf www.vhs.at/selbstorganisation

findet ihr eine Auswahl an günstigen Kursen zum Thema Selbstorganisation,

Stressbewältigung und Gedächtnistraining.

© Zoe Opratko, unsplash.com/Paul Hanaoka, unsplash.com/Jason Goodman

48 / KARRIERE /


„Seit Ausbruch der

Krise haben die

EU-Staaten den

Gasverbrauch um

10 % gedrosselt“

Von Šemsa Salioski

Die EU möchte bis 2050 Klimaneutral

werden – Angesichts der Momentanten

momentanen Krise kommen dazu

einige Fragen auf. Wo wird eingespart

und was bedeutet das für uns? Das

verrät Sabine Berger, Pressesprechern

der EU Kommission in Wien.

BIBER: Die verschiedenen Mitgliedsstaaten

haben eigene Wege, um mit

den hohen Gaspreisen umzugehen, in

Österreich gibt es beispielsweise das

Klimageld. Wie antwortet die EU aber auf

die Energiekrise und die damit verbundenen

Kosten?

SABINE BERGER: Auf Initiative der

Europäischen Kommission haben sich

die EU-Staaten geeinigt, Zufallsgewinne

von Stromerzeugern abzuschöpfen und

eine Solidaritätsabgabe für Unternehmen

im Öl-, Gas-, Kohle- und Raffineriebereich

einzuführen. Das wird etwa

140 Milliarden Euro bringen, mit denen

Haushalte und Unternehmen unterstützt

werden können. Weiters baut die EU die

Partnerschaft mit verlässlichen Energielieferanten

wie Norwegen und USA

aus und arbeitet an Maßnahmen, um

die Auswirkungen der hohen Gaspreise

auf die Strompreise zu begrenzen. Die

günstigste Antwort ist natürlich Energiesparen.

Hier hat die EU ambitionierte

Ziele gesetzt.

Welche konkreten Schritte werden unternommen,

um die Abhängigkeit von Gas

zu reduzieren, und wie gestalten sich

diese mittel- und langfristig?

Wir setzen auf den massiven Ausbau der

erneuerbaren Energien wie Photovoltaik

und Windkraft. Ihr Anteil am Energieverbrauch

soll sich bis 2030 auf 45 %

verdoppeln, jeden Tag kommt Kapazität

dazu. Das ist klima- und geopolitisch das

Gebot der Stunde: Kein Autokrat kann

den Wind oder die Sonne abdrehen.

Übrigens können wir alle etwas für die

Unabhängigkeit tun. Wenn wir z. B. das

Thermostat EU-weit um 1 Grad runterdrehen,

sparen wir 10 Milliarden Kubikmeter

Gas – das ist in etwa der Bedarf

Österreichs. Seit Ausbruch der Krise

haben die EU-Staaten den Gasverbrauch

bereits um 10 % gedrosselt.

Die EU möchte bis zum Jahr 2050 klimaneutral

werden. Angesichts der Coronaausgaben

und steigenden Inflation

sowie der nun zu erwartenden Rezession

sind damit verbundene Kosten aber

deutlich angestiegen. Ist das Ziel noch

realistisch und wie setzt man es angesichts

der neuen Realität um?

Ja, das Ziel ist aktueller denn je. Es

braucht jetzt Zusammenhalt, Reformen

und Investitionen in Klimaschutz und

Digitalisierung. Das unterstützt die wirtschaftliche

Erholung und macht Europa

zukunftsfit. Genau darauf zielt das 800

Milliarden Euro schwere EU-Programm

NextGenerationEU ab. In Österreich

werden z. B. Elektro-Busse, umweltfreundliche

Heizsysteme, der Reparaturbonus,

schnelles Internet und Laptops

für Schulen finanziert.

Jeder

Anfang

bringt dich

Bezahlte Anzeige

Ist der Anfang mal gemacht,

geht es einfach weiter!

allejobs findet alle Jobs, die

es aktuell in Österreich gibt.

DIE Job-Suchmaschine

ams.at/allejobs


MEINUNG

WARUM REDEN WIR NICHT ÜBER GELD?

Kommentar von Emilija Ilić

Wie viel verdienst du eigentlich? Schon früh wurde

mir beigebracht, dass diese Frage ein absolutes

Tabuthema in Österreich ist. Über Geld spricht

man nicht, man hat es einfach. Aber welche

Probleme entstehen, wenn wir nicht miteinander

über Geld reden und wenn man keine Vorstellung

davon hat, wie viel eigentlich die eigenen Eltern

verdienen?

Woher kommt dieses gesellschaftliche Phänomen,

nicht über Geld zu sprechen? Besonders zur Zeit der

Teuerungen ist es ein Schuss ins Knie, sich nicht mit

Zahlungen, Sparmaßnahmen und konkreten Kosten

zu beschäftigen.

Geld ist nicht alles im Leben, Reichtum noch

weniger. Trotzdem ist es wichtig, Ahnung davon zu

haben, wie viel Geld man hat. Jede/r von uns will ja

finanziell halbwegs stabil durchs Leben gehen. Einen

gewissenhaften Umgang mit Geld lernen wir nur,

wenn wir anfangen nachzufragen. Es ist fatal, dass

vielen jungen Menschen gar nicht bewusst ist, wie

viel etwas kostet. Wie sollen junge Erwachsene eine

Vorstellung von Finanzen haben, wenn es beschämend

oder frech ist, darüber zu sprechen?

Ungerechtigkeiten werden totgeschwiegen.

KollegInnen sprechen am Arbeitsplatz nicht über ihr

Gehalt. Woher soll ich dann wissen, dass bei meinem

eigenen Gehalt etwas nicht mit rechten Dingen

zugeht? Besonders bei ungleichen Gehältern können

wir schneller Fairness einfordern, wenn wir uns

untereinander austauschen. Unterschiedliche Löhne

von Mann und Frau für dieselbe Arbeit kommen nicht

gerade selten vor. Miteinander darüber sprechen?

Machen wir nicht, sollten wir aber.

Kosten neuer Anschaffungen werden kaum offengelegt.

Der Kauf eines Autos, der Hausbau, wie viel

Gewinn bei einer Investition gemacht wurde, die besten

Sparmaßnahmen – all das bleibt ein Geheimnis.

Durch fehlenden Austausch fällt es schwer, Kosten

einzuschätzen. Vielleicht hast du einmal bei einem

Kauf zu viel Geld ausgegeben? Vielleicht hat dich der

Tischler doch mal abgezogen? Vielleicht hättest du

dir woanders den einen oder anderen Euro sparen

können – hättest du einfach darüber gesprochen.

Die Angst, dass uns etwas weggenommen wird,

hindert viele daran, offen zu sprechen. Wenn es

um Geld oder Materielles geht, ist der Neid und die

Missgunst in unserer Gesellschaft tief verankert.

Wir haben nicht nur Scheu davor, dass Leute uns

verurteilen oder uns etwas nicht gönnen, wir gönnen

selbst nicht.

Viele meiner FreundInnen wissen gar nicht, wie

viel ihre Eltern verdienen. Es war nie ein Thema

und wird auch nicht als notwendig empfunden, es

den Kindern weiterzugeben. Das führt dazu, dass

sie keine Vorstellung davon haben, wie viel Miete

gezahlt wird oder wie teuer ein Auto eigentlich ist. Es

entsteht ein vollkommen verzerrtes Bild von einem

„ausreichenden“ Gehalt.

Junge Erwachsene werden selbstständig und

unterschätzen, wie viel Geld sie eigentlich brauchen.

Oft geraten sie in Schulden. Der Schuldenreport von

2021 gibt an, dass 24,7% der KlientInnen, die um

Schuldenberatung ansuchen, unter 30 sind. Natürlich

gibt es verschiedene Gründe, warum eine junge

Person in Schulden gerät. Doch der erste Schritt für

einen vernünftigen Umgang mit Geld ist, darüber zu

reden. Fangen wir endlich damit an!

© Zoe Opratko

50 / KARRIERE /


Was bringt das

Entlastungspaket

für die Menschen

in Österreich?

Entgeltliche Einschaltung

Das Entlastungspaket bringt’s – verschaffen Sie

sich mit dem Entlastungsrechner den Überblick:

Eine Vielzahl an Maßnahmen für arbeitende Menschen,

Pensionistinnen und Pensionisten, Familien und Unternehmen

Mehr als 32 Milliarden für Österreich

zur Abfederung steigender Kosten

Der Entlastungsrechner führt zu Ihrer

persönlichen Entlastung 2022

Jetzt Entlastung berechnen!

bmf.gv.at/entlastungsrechner

Österreichs größtes Entlastungspaket mit einem Volumen von 32,7 Milliarden Euro

wirkt den aktuellen Entwicklungen entscheidend entgegen und bringt mehr für alle

Menschen im Land.

Mehr fürs Leben –

fair für alle.

Rechnen Sie gleich nach, wieviel es Ihnen persönlich bringt:

bmf.gv.at/entlastungsrechner


TECHNIK & MOBIL

Alt+F4 und der Tag gehört dir.

Von Adam Bezeczky

MEINUNG

Winter is coming

USB-C

AB 2024

Endlich ist es soweit: EU weit gelten

für alle Hersteller - ja auch für Apple -

einheitliche Vorgaben was Ladekabel

betrifft: Man hat sich für das USB-C

Format entschieden. Damit sollen

Berge von Elektroschrott reduziert

werden. Feine Sache!

Der Winter ist da, die Heizperiode

auch - nur das Erdgas aus Russland

fehlt. Gesprengte Pipelines, wartungsbedingt

abgedrehte Pumpstationen

oder Zahlungsprobleme. Die

Liste der Gründe ist lang, warum

gerade kein Gas geliefert wird. Ja,

jetzt heißt es, warm anziehen - und

für die Zukunft nachhaltige Entscheidungen

von unseren PolitikerInnen

einfordern. Sich jetzt von anderen

Lieferanten abhängig zu machen,

kann auf jeden Fall nicht die richtige

Entscheidung sein. Europa

müsste sich zusammenfinden und

gemeinsam an einer europäischen

Energielösung arbeiten - und zwar

umfassend: Von baulichen Maßnahmen

bis hin zu Einsparlösungen

müsste das Bewusstsein dafür

geschaffen werden, dass

Energie nie billig ist. Der

Treibstoff unserer Zivilisation

kostet halt, das müssen

wir akzeptieren. Aber

wenn wir uns jetzt g’scheit

anstellen, wird die nächste

Energiekrise einfacher zu

handhaben sein. Hoffentlich.

bezeczky@dasbiber.at

paprikap0w3r

LANDMINEN

SICHER FINDEN

Landminen sind eine heimtückische

Waffe. Einmal vergraben und

scharf gestellt lauern sie unter der

Erde und töten und verletzen auch

Jahrzehnte nach dem Ende eines

Konflikts unschuldige Menschen.

Die Demining Research Community

hat jetzt einen Algorithmus darauf

trainiert, Drohnenbilder auszuwerten

und Minen aufzuspüren. Mit

einer 92 % Trefferquote könnte das

System viel Leid verhindern. Am

besten wäre natürlich, dass man

diese Waffe erst gar nicht einsetzt.

Ampeln gegen

Display-Zombies

Das österreichische Unternehmen

Swarco aus Perchtoldsdorf hat eine

Ampel entwickelt, die die Ampelfarbe

auf dem Display des Passanten

spiegelt. Warum ist das gut? Weil

wir alle manchmal zu sehr am Bildschirm

kleben und in den fließenden

Verkehr reintapsen. Der Testbetrieb

des SafeLight Systems läuft, und

wenn alles glattgeht, könnte diese

Ampel Menschenleben retten.

© Marko Mestrovic, unsplash.com/Jason Blackeye, unsplash.com/Mike Benna, Swarco AG

52 / TECHNIK /


WIR MACHEN ABFALL

ZUM ROHSTOFF.

INNOVATIVES RECYCLING

VON DER NEUEN OMV.

Nachhaltig handeln bedeutet, mit Ressourcen so umzugehen, dass wir auch morgen noch

gut leben können. Und das müssen wir heute anpacken. Die neue OMV forscht schon jetzt

an den Lösungen für morgen und investiert in innovative Recyclingprojekte. Denn wir wollen

dazu beitragen, den Großteil der Kunststoffabfälle in Österreich als wertvolle Rohstoffe wiederzuverwerten

und so CO 2 einzusparen.

Mehr dazu: omv.com/neue-omv


So oder so ähnlich

dürften die ersten

Bewohner von Brijuni

ausgesehen haben

TITOS

MYSTERIÖSE

DINO-INSEL

Freilaufende Zebras, echte Dino-

Fußabdrücke, Indira Ghandis Elefant,

abgesperrte Villen, auf Tuchfühlung

mit Fidel Castro und der Queen, und

das alles unter dem Auge eines sehr

mächtigen Herrschers: Die Rede ist

nicht von Pablo Escobars Hacienda

Napoles, sondern von Josip Broz Tito

und der kroatischen Insel Velki Brijun.

Von Aleksandra Tulej

Sobald man von der Fähre im Hafen von Velki Brijun

absteigt, bekommt man den Eindruck, als sei man

auf der Isla Nublar gelandet - der berüchtigten

Jurassic-Park Insel aus der Hollywood-Trilogie: Nicht

nur durch die auf den ersten Blick unberührte Natur, die mysteriöserweise

in der Tiefe der Insel einige Ruinen zu verstecken

scheint, die Steppen, Felsen, und die grünen, dichten, hohen

Bäume: Tatsächlich findet man hier im Hafen direkt an der Küste

einen echten Dinosaurierfuß-Abdruck, der sich wirklich gut

gehalten hat. Er sieht aus wie ein riesiger Hühnerfuß-Abdruck.

Dieser hat wahrscheinlich einem großen Fleischfresser der

Gruppe der Theropoda gehört und wurde als einer von etwa

200 Dino-Fußspuren auf Velki Brijun durch einige komplizierte

geologische Prozesse und auch etwas Glück hier präserviert.

INDIRA GHANDIS ELEFANT

Doch man muss gar nicht Milliarden von Jahren zurückblicken,

um die Geschichte Brijunis zu lernen – ein paar Tausend tun es

auch: Ruinen von einst eindrucksvollen Villen aus der byzantinischen

und Römerzeit sind hier genauso vorzufinden, wie

ein 1600 Jahre alter Olivenbaum, von dem heute immer noch

Oliven geerntet werden. Trotzdem ist die Insel kein Artefakt

an leblosen Relikten: Auf Velki Brijun erstreckt sich auch ein

Safari, auf dem Zebras neben Lamas und Emus frei herumlaufen.

Gleich daneben ist ein Golfplatz, kunstvoll eingerichtete

Villen und Hotels, aber in alle Winkel der Insel darf man nicht

– die Bereiche, die vom kroatischen Verteidigungsministerium

verwaltet werden, sind und bleiben für die Öffentlichkeit

geschlossen. Wie passt das alles zusammen? Was genau ist

diese mysteriöse Insel und stimmt es wirklich, dass hier eine

Elefantendame, die einst Indira Ghandi gehörte, herumläuft?

Wo befinden wir uns genau?

MYSTERIÖSE DINO-INSEL

Velki Briijun ist eine von 14 Inseln, die zusammen den Nationalpark

Brijuni bilden – Velki Brijun ist die größte der Inseln,

© Web NP Brijuni

54 / OUT OF AUT /


Jugoslawiens Staatsoberhaupt Josip Broz Tito verbrachte

hier gefühlt sein halbes Leben

Die Spuren der alten Römer auf Brijuni

sie wird von dem Fazana-Kanal vom istrischen Festland

getrennt. Eine Fähre kursiert mehrmals am Tag zwischen

dem Hafen von Velki Brijun und dem bunten, kleinen aber

feinen Fischerdorf Fazana. Die Überfahrt dauert etwa 20

Minuten – außer, eine der im Hafen geparkten Yachten

gehört euch, dann ist es wahrscheinlich nur die Hälfte der

Zeit. Aus Fazana sind es übrigens dann wiederum nur 15

Minuten mit dem Auto nach Pula. Pula ist die älteste Stadt

Istriens und gleichzeitig auch das kulturelle Zentrum der

Region: So findet man hier ein Amphitheater, das noch relativ

gut aus der Römerzeit erhalten geblieben ist. Aber zurück

zur mysteriösen Dino-Insel.

STEPPEN-ZEBRAS UND ALBINOPFAUE

Tatsächlich, ein Teil von Brijuni dient schon seit Jahren als

Residenz des jeweiligen Präsidenten der Republik Kroatien

und Staatsgäste. Diese Gebiete befinden sich rund um die

Villa Jadranka, Bijela vila und Brijunka. Die sind für Touristen

nicht zugänglich, weitaus touri-freundlicher ist der nördliche

Rand der Insel, auf dem sich ein ungewöhnlicher Safari-Park

erstreckt. Hier findet man Steppen-Zebras, Lamas mit langen

wolligen Haaren, istrische Schafe, südamerikanische Kamele,

wieder istrische Ziegen, heilige indische Rinder, Sträuße,

Albinopfaue und sogar die Elefantendame Lanka, die 1972

her gebracht wurde: Sie war ein Geschenk der indischen

Präsidentin Indira Gandhi an das ehemalige Staatsoberhaupt

Jugoslawiens Josip Broz Tito. Auf Brijuni übte Tito nämlich

einen wesentlichen Teil seiner staatlichen und politischen

Aktivitäten aus, Gerüchten zufolge verbrachte er mehrere

Monate im Jahr auf der Insel.

DIE QUEEN UND BRUNO KREISKY

WAREN AUCH DA

Brijuni war, wie Ausgrabungen zeigen, schon in der Antike

besiedelt, später standen die Inseln über Jahrhunderte

unter der Herrschaft Venedigs, ehe sie Napoleon zufielen

und auf dem „Wiener Kongress“ österreichisch-ungarisch

wurden. Das blieben sie dann bis zum Ende der Monarchie.

Von Italiens „Duce“ Benito Mussolini beschlagnahmt,

wurde Brioni zum Bade-, Golf- und Polo-Paradies der Oberen

Zehntausend im faschistischen Italien.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gelangten die Inseln in

den Besitz Jugoslawiens und standen dem Staatspräsidenten

Tito als Sommerresidenz zur Verfügung. Als Anführer

eines blockfreien Landes, das sich von Stalin losgesagt

hatte, hatte Josip Broz Tito im Westen einen Ruf als „liberaler

Diktator“, der in seiner Villa auf Brijuni Gäste von der

kürzlich verstorbenen Queen Elizabeth über Indira Gandhi

bis Willy Brandt und Bruno Kreisky empfing, aber auch

Künstler wie Sophia Loren, Liz Taylor und Richard Burton.

Heute erinnert das Tito-Museum an diese Epoche der Insel.

Nach Titos Tod 1980 wurde Brijuni geöffnet und zum

Nationalpark erklärt. Doch Titos Cadillac-Cabrio Baujahr 1950

– ein Geschenk von US-Präsident Dwight D. Eisenhower –

kann für Fahrten über die Insel gemietet werden. Allerdings

für schlappe 700 € pro Stunde.

Wer das nötige Kleingeld gerade nicht parat hat: Sowohol

das Safari also auch der Dino-Park auf Velki Brijun ist

gratis. Hier wurde übrigens eine Skulptur eines Theropoda

basierend auf den Fußabdrücken nachgestellt – ob das echt

aussieht, muss man selbst nachprüfen. ●

Die Reise wurde im Rahmen der Werbeveranstaltungen des Projekts „Fortifikationssystem

von Pula als neues Angebot für Touristen – Pula Fort Zentrum“ vom Tourismusverband

Pula und dem Unternehmen Alphera d.o.o. organisiert. Mit diesem Projekt

sollen die Räder der Vergangenheit ins Rollen gebracht und das enorme Potenzial des

Kulturerbes aktiviert werden, um mithilfe von Investitionen in die nachhaltige Nutzung

von Kulturgütern das kulturelle und edukative Angebot in erster Linie zum Wohl aller

Bürger des Stadt Pula und der Umgebung zu erweitern und indirekt auch die nachhaltige

Entwicklung von Wirtschaft und Tourismus zu beeinflussen.

/ OUT OF AUT / 55


MEINUNG

„Ramen“-Western

Ist es nicht toll, wenn man so ganz

unverhofft auf ein wahres Filmjuwel

stößt? So bin ich bei Prime jüngst auf

den Film „Tampopo“ des japanischen

Regisseurs Jūzō Itami gestoßen, der

nicht nur eine verspielte Ode auf die

Nudelsuppe ist, sondern auch Mafiaund

Liebesfilm auf eine ungewöhnliche

Art zusammenführt. Detailverliebt

widmet sich der 1985 erschienene

Film den einzelnen Komponenten von

Ramen und der Reihenfolge, in der man

sie am besten genießt, sowie verbindet

er lustige Episoden einer Gangstergeschichte

mit Western-Elementen – ähnlich

wie es auch der Anime „Cowboy

Bebop“ tut. Besonders ansprechend

ist auch die Darstellung der Beziehung

zwischen Essen und Sex, für die sich

der Film in ausgedehnten, fast traumartigen

Sequenzen die Zeit nimmt und

keine Angst hat, ein wenig dreckig zu

machen. Ins Deutsche synchronisiert

haben die Dialoge auch ein bisschen

was von einem Spaghetti-Western à la

Bud Spencer – nur eben auf japanische

Art. „Tampopo“ („Pusteblume“) kann

man vielleicht also getrost als „Ramen-

Western“ bezeichnen.

el-azar@dasbiber.at

KULTURA NEWS

Klappe zu und Vorhang auf!

Von Nada El-Azar-Chekh

Ausstellungstipp:

New African Portraiture.

The Shariat Collections.

Der renommierte Schriftsteller und Kunstkritiker

Ekow Eshun gilt als Koryphäe der afrikanischen

Gegenwartskunst. Er kuratiert in der

Kunsthalle Krems die Schau „New African

Portraiture“, die Werke von über 20 teilnehmende

Künstler*innen, wie Amoako Boafo,

Cornelius Annor und Everlyn Nicodemus zeigt.

Die Themen bewegen sich rund um Fragen

afrikanischer Identität, Ästhetik und stellt die

Darstellung afrikanischer Körper in den westlichen

Maltraditionen auf den Prüfstand. Ein

Ausflug nach Krems lohnt sich also.

Von 19.11.2022 bis 12.3.2023 in der

Kunsthalle Krems.

Buch-Tipp:

Die Erfindung des

Jazz im Donbass

Der Werbeunternehmer Herman erhält

eines Tages einen Anruf: Sein Bruder,

der am Rande der Provinz eine Tankstelle

betreibt, ist spurlos verschwunden.

Herman geht der Sache nach und

verliebt sich in Olha, die in der Tankstelle

die Buchhaltung macht. Doch

auch die Oligarchen wollen im „Wilden

Osten“ mitmischen. Der 2012 erschienene

Roman vom ukrainischen Autor

Serhij Zhadan wurde 2022 mit dem

„Friedenspreis des Deutschen Buchhandels“

ausgezeichnet.

Erschienen bei Suhrkamp, 13 Euro

(Taschenbuch)

Film-Tipp:

Liebe, D-Mark

und Tod

Cem Kayas Dokumentarfilm beleuchtet

die versteckte Musikkultur der türkischen

GastarbeiterInnen-Generation,

die ab den 60er Jahren nach Deutschland

kam. Der Film ist eine Schatzkiste

an noch nie zuvor gesehenem Archivmaterial

und zeugt von einer musikalischen

Vielfalt, die von Gurbetçi-Liedern

(Liedern aus der Ferne) über kritische

Texte von jüngeren MusikerInnen bis

hin zur Hip-Hop-Szene in den 90ern

reicht. Eine Empfehlung!

Kinostart: 7. Oktober 2022

im Stadtkino Wien

© Christoph Liebentritt, Courtesy Shariat Collections Foto/ Jorit Aust, Suhrkamp, Stadtkino Filmverleih

56 / KULTURA /


3 FRAGEN AN…

KINGA JAKABFFY

Kinga Jakabffy (*1988) ist eine österreichischungarische

Künstlerin und Illustratorin.

© Zoe Opratko

BIBER: Du bist eine Autodidaktin. Wann und wie hast du mit

dem Malen angefangen, und war es jemals ein Thema, dass du

nicht auf einer Kunsthochschule warst?

KINGA JAKABFFY: Ich habe mit vier oder fünf Jahren angefangen

zu zeichnen und nie damit aufgehört. Meine Familie

war Teil einer ungarischen Minderheit in Rumänien und wir

sind 1987 vor dem Ceauşescu-Regime geflohen. Wir lebten

einige Zeit im Flüchtlingsheim und dann in einer kleinen

2-Zimmer-Wohnung, wo wir das Schlafzimmer teilten. Lange

Zeit war es deshalb keine Option, bildende Künstlerin zu

sein, weil der Markt intransparent ist und Selbständigkeit

zumindest anfangs keine finanzielle Sicherheit bietet. Ich

habe Kommunikationsdesign studiert und gearbeitet, seit ich

16 war, und mir ein finanzielles Polster angelegt, bevor ich

den großen Sprung wagte. Kunsthochschulen sind Teil des

traditionellen Zugangs zu dieser Karriere und für Ältere nach

wie vor der einzige Weg; für Jüngere, die im Zeitalter von

Peer-to-Peer und Youtube

aufgewachsen sind, stellt

sich die Frage nicht mehr.

Arbeiten wie „Pregnancy

Termination (DIY)“

behandeln ernste Themen

wie das Recht auf Abtreibung,

aber sind trotzdem

ästhetisch und farblich

ansprechend. Warum ist

dir das wichtig?

Meine Farbpalette ist stark

mediterran inspiriert - beispielsweise

drücken Sand,

Terrakotta und Königsblau

für mich Lebensfreude

und Wohlfühlatmosphäre

aus. Sich wohl und sicher

zu fühlen ist für mich die

Voraussetzung, um über schwere Themen zu sprechen und

mit den Gefühlen, die sie auslösen, auch sitzen zu können.

Warum sind es gerade Frauen, Trans- und Non-binäre-Menschen,

die so stark in deiner Arbeit vertreten sind?

Lange Zeit durften nur Männer in der Bildenden Kunst

arbeiten und zeigten tendenziell oft Frauen als sexualisierte

Objekte. Dass ich nun als queere Künstlerin aus einer

migrierten Familie die Möglichkeit habe, die Perspektive zu

ändern und marginalisierte Gruppen wie Frauen*, Non-binäre

und Trans-Personen selbstbestimmt, frei und stark zu zeigen,

ist ein Privileg.

Kinga Jakabffy ist eine von 50 KünstlerInnen, die bei der

Vienna Art Week (18. – 25. November 2022) teilnehmen.

05/12/22

Atmosphères

Büşra

Kayıkçı Klavier

© Büşra Kayıkçı


VIZELEUTNANT LIEBT REKRUT

Luka Dimić verkörpert in David Wagners Film „Eismayer“ den Bundesheer-Soldaten Mario

Falak, der eine Liebesbeziehung zum berüchtigten Vizeleutnant Charles Eismayer begann.

Interview: Nada El-Azar-Chekh

BIBER: Der Film beruht auf der wahren

Liebesgeschichte zwischen dem berüchtigten

Ausbildner Charles Eismayer

zum Rekruten Mario Falak. Wie war die

Begegnung mit den beiden in der Vorbereitung

für den Dreh?

LUKA DIMIĆ: Anfangs war ich unschlüssig,

ob ein reales Treffen mit den beiden

den Mario Falak, wie ich ihn aus dem

Drehbuch kannte, limitieren könnte. Es

hat mir aber geholfen, den Umgang

zwischen den beiden besser zu erfassen.

Im Nachhinein konnte ich durch das

Treffen auch besser verstehen, wie das

Militär und die strenge Gleichschaltung

dahinter eine Fassade ist, die im Privaten

dann fällt.

Beim Heer erwartet man ja sowieso

keinen Kuschelkurs im Umgang. Hast du

selber Wehrdienst geleistet? Wie bereitet

man sich auf dieses harte Umfeld in

einer Kaserne als Darsteller vor?

Ich bin kroatischer Staatsbürger und

während des Jugoslawienkriegs aufgewachsen.

Als Betroffener hatte ich

immer große Angst vor Krieg, Soldaten

und vor allem vor der Vorstellung, zu

dienen. Mein Vater ist nämlich Serbe und

bei mir schwang immer eine Panik mit,

eingezogen zu werden. Was würde passieren,

wenn die anderen erfahren, dass

mein Vater ein Serbe ist? Davor hatte

ich Angst. Insofern ist mir ein Stein vom

Herzen gefallen, als der Wehrdienst nach

meinem Studium abgeschafft wurde. Für

die Vorbereitung auf den Film hat unser

Regisseur David organisiert, dass wir

fast 14 Tage im Bundesheer verbringen,

dort Übungen machen und die Rekruten

kennenlernen konnten. Ich war gleichermaßen

beeindruckt und beängstigt von

dieser Energie, die entsteht, wenn man

in der Gruppe marschiert und Lieder

singt.

Mit dem wienerischen Dialekt hast du

dich in „Eismayer“ vor allem über Worte

wie „Tschusch“ vertraut machen müssen.

Wie hast du dir die Sprache angeeignet?

Ich war zwei Jahre lang am Theater der

Jugend in Wien und meine Eltern leben

in Bayern. Ganz fremd war mir der Dialekt

also nicht. Tatsächlich habe ich aber

auch mit einer Sprachcoachin gemeinsam

am Dialekt gearbeitet – und ich

hoffe, dass das Publikum in Wien nicht

zu hart zu mir ist. (lacht)

In letzter Zeit kreist in der Filmbranche

öfter die Debatte, ob etwa Cis-Männer

Transgender-Rollen annehmen sollten.

So bereut Eddie Redmayne, dass er seine

oscarprämierte Rolle in „The Danish Girl“

nicht einem transsexuellen Darsteller

überlassen hat. Was sind deine Gedanken

dazu? Sollten Heterosexuelle keine

Homosexuellen spielen?

Ich persönlich finde, dass Schauspiel ein

Beruf ist, in dem man vorgibt etwas zu

sein, das man nicht ist. Heterosexuelle

sollten Schwule spielen können, aber das

bedeutet auch, das ich als Homosexueller

auch mal den Frauenverführer spielen

können sollte. Die Realität sieht leider

noch immer anders aus, aber wir bewegen

uns langsam in die richtige Richtung.

Kinostart: 28. Oktober 2022

© Golden Girls Film

58 / KULTURA /


Bilderrätsel 2A1222-2C:

Bei korrekter Lösung an raetsel@akis.at erlassen wir die Setupgebühren für

neue DSL-PRO Standleitungen! (vorbehaltlich Herstellbarkeit)

you communicate::

:::we connect:::::::::


„Esmeralda besitzt deutlich mehr Mut als ich.“

Die Vereinigten Bühnen Wien (VBW) bringen eine

Disney-Adaption der Sonderklasse auf die Bühne:

Der Glöckner von Notre Dame. Musicaldarstellerin

Abla Alaoui über ihre Titelrolle als Esmeralda,

den Alltag zwischen intensiven Proben und ihr

Wundermittel gegen Lampenfieber.

Von Nada El-Azar-Chekh

BIBER: Wann hast du deine Leidenschaft für Musical entdeckt?

ABLA ALAOUI: Meine erste Hauptrolle war die „Pechmarie“

aus Frau Holle in der Off-Off-Produktion meines Kindergartens.

Ich erinnere mich noch ganz genau, wie mich das Spielen

erfüllt hat. Bis zu meinem 14. Lebensjahr war mir nicht

bewusst, dass ich das Singen, Spielen und Tanzen – alles,

was ich liebte – kombinieren konnte. Nach dieser Erkenntnis

war die Leidenschaft für Musical steter Begleiter in allen

Entscheidungen meine berufliche Zukunft betreffend.

Du spielst Esmeralda in „Der Glöckner von Notre Dame“.

Was hat dich an dieser Figur so fasziniert? Siehst du

Ähnlichkeiten zwischen euch?

Esmeraldas Charakter ist absolut faszinierend. Sie ist

eigenständig, mutig, gerecht und empathisch. Würde sie

wirklich existieren, würde ich unbedingt mit ihr befreundet

sein wollen! Sie sieht das Leid der Verstoßenen, erkennt

Ungerechtigkeit und scheut sich nicht, für ihre Werte einzustehen.

Auch wenn das fatale Konsequenzen nach sich ziehen

könnte! Ich finde, wir ähneln uns vor allem im Gedanken,

dass alle Menschen gleich sind und niemand aufgrund seiner

Herkunft, seines Glaubens oder Aussehens ausgegrenzt

werden sollte.

Was ist die größte Herausforderung in der Vorbereitung auf

diese Hauptrolle?

Esmeralda besitzt deutlich mehr Selbstbewusstsein und Mut

als ich. Sie geht viel selbstverständlicher mit ihrem Körper

beim Tanz um und es fällt mir manchmal noch schwer, mit

ihrer Stärke und Natürlichkeit auf die Bühne zu gehen. Hinzu

kommt, dass sie sich im Laufe des Stückes in vielen furchtbaren

Situationen wiederfindet, die glücklicherweise weit von

meiner eigenen Realität entfernt sind. Mich emotional darauf

einzulassen ist eine sehr große Herausforderung!

Wie viele Stunden pro Woche verbringst du mit Singen und

Tanzen während der Probenzeit?

Wir proben sechs Tage die Woche, jeweils acht Stunden.

Was ist dein Geheimnis, um besonders gut durch die

Anstrengungen der Saison zu kommen?

Aus ganzem Herzen Pausen machen. Und zwar richtige

Pausen, ohne Handy und To-Do-Liste im Hinterkopf. Wenn

ich nicht genügend Zeit für mich und meine engsten Freunde

habe, werde ich schnell unglücklich. Ansonsten macht es

auch Sinn, sich mit Sport fit zu halten, ab und zu in die Sauna

zu gehen und die Muskeln mit Massagen zu lockern.

Was ist dein Wundermittel gegen Lampenfieber?

Übung. Nur wenn man sich der Situation, in der man „funktionieren“

muss, so oft wie möglich aussetzt, kann man die

gewünschte Leistung zeigen, wenn es darauf ankommt. Das

bedeutet: Üben, üben, üben.

Was gefällt dir am besten und was am schlechtesten an

deinem Job als Musicaldarstellerin?

Ich denke, am besten gefällt es mir, dass wir Menschen

helfen können, aus ihrem Alltag zu flüchten. Wir erzählen

ihnen Geschichten aus dem Leben und können Mut und

Hoffnung streuen. Am schlechtesten finde ich, wie hart wir

Darsteller*innen manchmal zu uns sind. Als gäbe es nicht

schon genug Kritiker*innen auf dieser Welt – wir sind uns

selbst der härteste!

© Saskia Allers Fotografie, Disney

60 / KULTURA /


Du willst

Stories

„mit scharf“

?

Dann

abonniere biber –

Und Zahl soviel

Du willst!

Österreichische Post AG; PZ 18Z041372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1070 Wien

www.dasbiber.at

MIT SCHARF

Österreichische Post AG; PZ 18Z041372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1070 Wien

NEWCOMER

SCHOOL

EDITION

JUNI 2022

www.dasbiber.at

MIT SCHARF

www.dasbiber.at

SOMMER

2022

MIT SCHARF

+

EDTSTADLER

IN ZAHLEN

+

TABU DEPRESSION

+

DANKE, POLEN!

+

SEPTEMBER

2022

+

HEINZ FISCHER SPIELT

FUSSBALL

+

MARCO POGO

IN ZAHLEN

+

HAUPTBERUF

VERSUCHSKANINCHEN

+

Österreichische Post AG; PZ 18Z041372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1070 Wien

+

UKRAINISCHER

BOTSCHAFTER

IN ZAHLEN

+

GUTER

FLÜCHTLING,

SCHLECHTER

FLÜCHTLING

+

ŠVABO-LEHRER

+

„SEI EIN MANN!“

DER KAMPF EINER JUNGEN SERBIN UM IHRE IDENTITÄT

SO MUSS SOMMER

WIR KINDER

VOM STADTPARK

HEROIN, PROSTITUTION UND OBDACHLOSIGKEIT:

WIENS VERGESSENE JUGEND

DIE NULLERJAHRE HÄNGEN WIEDER IM SCHRANK

+ + + WAHL-SPEZIAL: DIE BP-KANDIDATEN IM CHECK + + +

Wir schicken dir Biber 7x pro Jahr in dein Postkastl. Du musst

uns weder deine Seele verkaufen, noch wollen wir dir dein letztes

Hemd rauben. Das Beste an der ganzen Sache ist nämlich:

DU entscheidest, wie viel das kosten soll.

Mehr auf www.dasbiber.at/abo

Für noch mehr scharfen Content folge biber auf Instagram: dasbiber


WAR DAS JETZT RASSISTISCH?

Das Team von Black Voices gibt in ihrem neuen Buch „War das jetzt rassistisch?“

22 Antirassismus-Tipps für den Alltag. Über 16 Autor:innen aus verschiedenen Communities

von asiatischer, Black bis hin zur Roma Community, berichten über ihre Rassismus-

Erfahrungen. Ein Interview mit den Autorinnen Chantal Bamgbala und Melanie Kandlbauer.

Von Emilija Ilić

BIBER: Warum braucht es in Österreich ein Buch mit

Antirassismus-Tipps?

MELANIE: Es gibt schon viele Antirassismus Ratgeber.

Das Neue an diesem Buch ist, dass sich

österreichische Anti-Rassismus Expert:innen aus

verschiedenen Communities zusammengesetzt

haben. Wir haben gemeinsam aufgearbeitet, welchen

rassistischen Fragen wir im Alltag begegnen.

Diese Fragen wirken auf viele Menschen auf den

ersten Blick harmlos. Doch genau deswegen ist es

so wichtig zu zeigen, was sich dahinter verbirgt.

CHANTAL: Anhand der Fragen, die wir täglich

bekommen, erkennt man es glaube ich schon,

warum wir das Buch brauchen. Es sind Fragen, bei

denen man sich als betroffene Person fragt, wo

man hier schon wieder gelandet ist, und ob das in

manchen Kreisen nicht schon mal geklärt sein sollte.

Man fragt sich, warum diese Fragen immer wieder

relevant sind.

Für welche Zielgruppe ist das Buch ausgelegt?

CHANTAL: Betroffene Personen sind sowieso schon

23,50 €

Rassismus ausgesetzt und müssen sich jedes Mal

Leykam Verlag aufs Neue damit auseinandersetzen. Wir sind keine

wandelnden Wikipediapages, Ratgeber oder Sonstiges!

Dafür gibt es jetzt dieses tolle Buch. Auch

Betroffenen empfehle ich wärmstens das Buch zu lesen.

Man hat ganz viele „Oh wow, stimmt!!“ Momente. Wenn man

diese Fragen wieder gestellt bekommt, kann man sich nach

dem Buch auch besser erklären.

Der Begriff People auf Color kommt aus den USA. Nun gibt

es hier in Österreich viele Menschen mit Migrationshintergrund,

denen man diesen nicht direkt ansieht. Wer gehört

bei uns in Österreich zu People of Color?

CHANTAL: People of Color sind alle nicht-weiße Menschen,

die von Rassismus betroffen sind. Du musst zwischen

Diskriminierung und Rassismus unterscheiden. Diskriminierung

ist der Schirmbegriff und darunter ist eine Form davon

Rassismus. Was für andere Diskriminierungsformen bei dem

Wort dazukommen, ist in dem Fall irrelevant. In Österreich

ist es meistens so, dass es Menschen aus der afrikanischen

Diaspora betrifft.

Die Autorinnen –

Melanie oben rechts und Chantal Mitte zweite von links

Welche Verantwortung haben weiße Personen, um über

Rassismus aufzuklären?

MELANIE: Wir müssen alle zusammenhalten. Es ist wichtig,

dass People of Color den Raum bekommen, über ihre

Erfahrungen zu sprechen. Es passiert leider oft, dass sie gar

nicht selbst sprechen dürfen, sondern dass an ihrer Stelle

gesprochen wird. Dort wo keine People of Color sind und

wenn beispielsweise unter FreundInnen rassistische Witze

fallen, müssen weiße Personen darauf aufmerksam machen,

dass das nicht in Ordnung ist. Auch weiße Personen müssen

über dieses Thema sprechen.

Das Interview in Langversion findet ihr auf www.dasbiber.at

© Lisa Tackie

62 / KULTURA /


Das kann ja

heiter werden

Die Comedy Challenge

Ab Freitag 28. Oktober 20:15


Bezahlte Anzeige

Manche nennen es Job,

ich nenne es Zukunft.

Bewirb dich jetzt!

Die Elementarpädagog*innen und Pädagog*innen für den inklusiven

Bereich der Stadt Wien begleiten die Kinder aufmerksam bei der

Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt. Sie gehen dabei auf die individuellen

Interessen, Begabungen und Bedürfnisse der Kinder ein.

Du hast eine entsprechende Ausbildung? Dann bewirb dich jetzt auf

unserer Jobplattform! Du möchtest dich beruflich in diese Richtung

verändern? Dann informiere dich über die Ausbildung an der bafep21!

jobs.wien.gv.at

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!