„Putin betreibtein zynischesSpiel mit demVölkerrecht.“Basil Kerski ist Publizist und Politkwissenschaftler16 / POLITIKA /
Wie lange wird der Krieg in der Ukrainedauern? Und wie wahrscheinlich istein Sturz von Präsident Putin durchdas eigene Volk? BIBER traf denPolitikwissenschaftler Basil Kerski imRahmen des Humanities Festivals, umüber die brennenden Fragen diesesKonflikts zu sprechen.Interview: Nada El-Azar-Chekh, Fotos: Matthias NemmertBIBER: Erst kürzlich hat Russlands PräsidentPutin vier Gebiete in der Ukraineannektiert, Raketen auf das gesamteLand gefeuert sowie eine erste, auchim eigenen Land nicht unumstrittene,Mobilisierung von neuen Streitkräfteneingeleitet. Ist eine baldige Entspannungim Ukrainekrieg in Sicht?BASIL KERSKI: Trotz meiner Zuversichtim Hinblick auf die Zukunft der Ukrainedenke ich, dass dieser Krieg noch langedauern wird. Denn es geht um PutinsÜberleben und sein Regime. DieseDiktatur nährt sich an der Vorstellungeines imperialen Russlands und einesRusslands, das durch Infragestellungvon Grenzen all das zurücknehmen will,was nach 1989 geschehen ist. Das istnicht nur ein Krieg gegen die ukrainischeGesellschaft. 2020 wurde die Bürgerrevolutionin Belarus mit Putins Hilfeniedergeschlagen. Putin hat nicht nurdort, wo eine militärische Front verläuft,sondern auch in der ganzen RegionKonflikte mit seiner Gewalt geschaffen.Vielen Menschen ist nicht bewusst,welche Fallen Putin stellt. Er annektiertgewaltsam Gebiete in der Ukraine underklärt sie zu russischem Staatsgebiet.Das ist ein zynisches Spiel mit demVölkerrecht. Denn sollte die Ukraine ihreGebiete zurückerobern, dann wird Putinbehaupten, dass die Ukrainer Russlandüberfallen hätten.Wie konnte es zu einer derartigen Eskalationkommen?Wir haben es mit einem spät-putinschenRussland zu tun, das mich an einenfaschistischen Staat erinnert. Und damitspreche ich auch aus der Perspektivevon Russinnen und Russen. Die systematischeVerfolgung jeglicher Form vonAnderssein und Andersdenken in dereigenen Zivilgesellschaft spitzt sich dortseit Jahren immer weiter zu. Die Ukraineist ein unbestritten demokratischer Staat,der auch multikulturell ist und allenBürgerinnen und Bürgern die gleichenRechte verspricht, ob Russen, Ukrainernoder Krimtataren. Russland versprichtseinen Bürgern und dem Rest der Weltseine Multikulturalität und geographischeVielfalt nur mit einem autoritärenSystem halten zu können. Der OppositionelleAlexej Navalny hat genau dies undPutins korruptes System kritisiert und istbekanntlich gerade im Straflager. Navalnykritisierte 2014 die Besetzung der Krimund des ukrainischen Ostens. Russlandsollte sich um die Modernisierung seinesgroßen Landes kümmern, es brauchenicht noch mehr Staatsgebiet, so damalsNavalny. Dieses ist die Perspektive einesrussischen Patrioten gegen den Neoim-„Russland versprichtseinen Bürgern unddem Rest der Weltseine Multikulturalitätund geographischeVielfalt nur mit einemautoritären Systemhalten zu können.“perialismus im Kreml. Solche Aussagensind gefährlich für Putin, deshalb hater versucht, Navalny zu töten. Und dieUkraine ist gefährlich für den Diktator,da sie ein multikultureller und multiethnischerStaat ist, der den kulturellen undpolitischen Einflussbereich Russlandsverlassen hat und sich am Westen orientiert.Die demokratische Ukraine könnteals Transformationsvorbild eine Inspirationfür Russinnen und Russen sein, diesich von Putins Regime abwenden.Hunderttausende Russen fliehen derzeitvor der Mobilisierung. Die angrenzendenbaltischen Staaten und Finnland habenlängst ihre Grenzen geschlossen. Sollteman Kriegsdienstverweigerern und Dissidentenaus Russland nicht helfen?Nach dem 24. Februar war schnell klar,dass sehr viele Russinnen und Russen,die im Ausland studieren oder arbeitenund den Krieg von der europäischen Seiteaus erleben, potenziell Asylsuchendewerden. Und wir müssen ihnen helfen,das ist ganz klar. In Polen gibt es einegroße Angst vor dem Teil der russischenHochkultur oder auch politischen Kultur,in dem das Imperiale eine große Rollespielt. Aber ich kenne niemanden, dersagen würde, dass man Menschen ausRussland, die vor der Diktatur fliehen,nicht helfen sollte. Die Debatte kreisteher darum, ob wir ökonomische Beziehungenzu Russland noch zulassen – alsoob wir privilegierte Russinnen und Russen,die GmbHs oder Aktiengesellschaftenim Westen haben, mitsanktionierenmüssen. Das ist aus meiner Sicht aber/ POLITIKA / 17