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BIBER 07_23 Ansicht

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Österreichische Post AG; PZ 18Z041372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1<strong>07</strong>0 Wien<br />

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ASYLSTATUS:<br />

UNTERGETAUCHT<br />

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THÜR IN ZAHLEN<br />

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KRISE IM KAUKASUS<br />

Mehr dazu gibt‘s auf der nächsten Seite<br />

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GENUG KOHLE?<br />

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mitgestalten? Und aktiv an etwas Großem arbeiten? Dann bewirb dich bei<br />

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echte Chancen bieten. Von den Held*innen des Alltags, die unsere Straßen<br />

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liebenswert bleibt!<br />

Bis 2030 werden rund 21.000 Mitarbeiter*innen gesucht. Für jedes Talent<br />

gibt es einen passenden Beruf:<br />

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Schütze die Umwelt und trage zur Lebensqualität in<br />

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arbeitet strategisch für die Sicherung der<br />

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Omar<br />

Al Kaissi<br />

Kämpferische Frauen- oder<br />

Tierfiguren, kriegerische und<br />

erotische Szenen, und mystische<br />

Symbole und Kalligraphie:<br />

Die Tattoos von Omar Al Kaissi<br />

sind unverkennbar. Wir trafen<br />

den irakischstämmigen Künstler<br />

in seinem Studio bei Ex<br />

Machina in Margareten.<br />

Interview: Nada El-Azar-Chekh<br />

Foto: Atila Vadoc<br />

<strong>BIBER</strong>: Wie kamst du dazu, hauptberuflich<br />

Tätowierer zu werden?<br />

OMAR AL KAISSI: Ich habe immer<br />

schon gezeichnet und hatte meine<br />

ersten Berührungspunkte mit Tattoos<br />

schon in Tunesien, wo ich aufgewachsen<br />

bin. In der Berberkultur sieht man<br />

immer noch ältere Frauen mit typischen<br />

Hand- und Gesichtstattoos. Mit 18 habe<br />

ich meine ersten kleineren Tattoos<br />

gestochen und mich weiter mit Malerei<br />

beschäftigt. Meine Eltern legten immer<br />

einen großen Wert auf einen Abschluss.<br />

Ich bin der erste Künstler in einer Ärztefamilie,<br />

und erst nachdem ich Tätowieren<br />

zu meinem Beruf gemacht habe,<br />

haben meine Eltern wirklich verstanden,<br />

dass das ein Job sein kann.<br />

Deine Motive haben einen ganz eigenen<br />

Stil – woher nimmst du die Inspiration<br />

für deine Arbeiten?<br />

Für mich hat meine Kunst viel mit der<br />

Suche nach meinen eigenen Wurzeln<br />

zu tun – meine Familie kommt<br />

ursprünglich aus dem Irak, aber ich bin<br />

in Tunesien geboren und aufgewachsen<br />

und kenne meine Heimat bis heute<br />

nicht. Ich ziehe vor allem Inspiration<br />

aus der östlichen Mythologie, also aus<br />

alten arabischen, persischen, babylonischen<br />

und assyrischen Motiven und<br />

kombiniere das Ganze mit arabischer<br />

Kalligraphie.<br />

Die arabische Schrift ist seit einigen<br />

Jahren ein regelrechter Tattoo-Trend.<br />

Wie stehst du dazu?<br />

Ich sehe häufig Motive, die wie aus<br />

Souvenirshops wirken. Zugegeben,<br />

anfangs habe auch ich mehr in diese<br />

Richtung gearbeitet. Aber nach meiner<br />

langen Reise und Identitätsfindung<br />

habe ich eine Ästhetik gefunden, die<br />

deutlich mehr Tiefgang hat und ein<br />

Produkt aus unterschiedlichen Traditionen<br />

ist.<br />

Wie sieht dein Arbeitsplatz aus?<br />

Zuhause ist mein Arbeitstisch ein Esstisch<br />

mit vielen Farben, an dem ich mit<br />

Pinsel und Tusche die Entwürfe mache.<br />

Digital mit iPad arbeite ich eher wenig,<br />

da bin ich noch sehr oldschool.<br />

Was ist das Wichtigste, das du im<br />

Laufe der Zeit im Tattoostudio gelernt<br />

hast, und was sind deine Pläne für die<br />

Zukunft?<br />

Als Tätowierer muss man sich gut in den<br />

Kunden einfühlen können und mit ihm<br />

oder ihr in Austausch stehen, was das<br />

Motiv und den Schmerz angeht. Ich habe<br />

die letzten 18 Jahre in Wien verbracht<br />

und auch in Städten wie Brüssel oder<br />

London gearbeitet. Nun möchte ich es<br />

mit Asien probieren, so weit weg war ich<br />

bis jetzt noch nie.<br />

Name: Omar Al Kaissi<br />

Alter: 31<br />

Insta: @hyenavienna<br />

Fun Fact: Hat seine Ausbildung zum<br />

Psychotherapeuten abgebrochen.<br />

/ 3 MINUTEN / 3


3 3 MINUTEN MIT<br />

OMAR AL KAISSI<br />

Der 31-jährige Tätowierer im Schnellinterview.<br />

8 IVANAS WELT<br />

Die neue Generation hat keinen<br />

Bock auf Jugo-Feste.<br />

10 KLIMA-NEWS<br />

Interessante Zahlen, Daten und Fakten<br />

rund um das Thema Umweltschutz.<br />

POLITIKA<br />

12 MEINUNGSMACHE<br />

Politische Themen kurz, komprimiert<br />

und mit scharf.<br />

20<br />

„HERR THÜR, WIE VIELE ORF-<br />

KOLLEG:INNEN GEHEN IHNEN<br />

AUF DIE NERVEN?“<br />

ZiB2-Moderator Martin Thür im Interview.<br />

14 PASS ILLEGAL?<br />

Österreichs untergetauchte Migranten.<br />

20 „HERR THÜR, WIE OFT<br />

WOLLTEN SIE IHREN<br />

JOB KÜNDIGEN?“<br />

Biber fragt in Worten, ZiB2-Moderator<br />

Martin Thür antwortet mit einer Zahl.<br />

22 „NICHT SCHON WIEDER!“<br />

Manche Gesinnungen dürfen keine<br />

Privatsache sein.<br />

24 „DIE WELT DARF KEINEN<br />

ZWEITEN VÖLKERMORD<br />

ZULASSEN!“<br />

Die Lage in Berg-Karabach spitzt sich zu.<br />

26 BALKAN NEWS<br />

Dennis Miskić über die „vermissten“ Opfer<br />

von Srebrenica.<br />

14<br />

ABGEWIESEN,<br />

ABER GEBLIEBEN<br />

Das Leben<br />

mit negativem<br />

Asylbescheid.<br />

IN<br />

RAMBAZAMBA<br />

28 GEMMA GRILLEN?<br />

Wie Wien diesen Sommer brutzelt.


36 SEID‘S IHR ALLE DEPPERT?<br />

Warum Diskussionen über sexualisierte<br />

Gewalt ermüdend sind.<br />

38 SOMMER IN WIEN<br />

Coole Tipps für alle, die diesen Sommer<br />

in der Großstadt verbringen.<br />

28<br />

VOM ROST<br />

ZUM TELLER<br />

Wiener Grillzonen<br />

mit scharf.<br />

HALT SOMMER<br />

20<strong>23</strong><br />

40 SAFER SEX<br />

Warum wir bei der Aufklärungsarbeit noch<br />

viel nachzuholen haben.<br />

42 „STELL DICH NICHT SO AN!“<br />

Wenn Migra-Eltern nichts von Therapien<br />

hören wollen.<br />

LIFE&STYLE<br />

46 DAS VERGÄNGLICHE LEBEN<br />

Şeyda Gün erklärt, warum man sich selbst<br />

priorisieren sollte.<br />

KARRIERE&KOHLE<br />

46 LUXUS:<br />

VOLLZEITSTUDIEREN<br />

Šemsa Salioski über das Ausbalancieren<br />

von Arbeit und Studium.<br />

KULTURA<br />

52 KULTURA NEWS<br />

Nada El-Azar-Chekh über #booktok<br />

und #ReadingAesthetic.<br />

54 QUOTEN-ALMANCI<br />

Kolumnistin Özben Önal erklärt, wie wichtig<br />

persönliche Auffangnetze sind.<br />

42<br />

„WARUM SOLLTEST DU<br />

TRAURIG SEIN?“<br />

Wenn Migra-Eltern psychische<br />

Erkrankungen nicht ernst nehmen.<br />

© Zoe Opratko, Cover: © Zoe Opratko


Liebe Leser:innen,<br />

Nach einer negativen Asylentscheidung in Österreich gibt es<br />

zwei Möglichkeiten: Freiwillige Ausreise oder Abschiebung. Es<br />

gibt aber geflüchtete Menschen, die hierbleiben, untertauchen<br />

und weiterhin illegal im Land leben. Sie werden in keiner Statistik<br />

geführt, sie bilden eigene Mikro-Parallelgesellschaften und<br />

Netzwerke, in die die Mehrheitsgesellschaft sonst selten Einblick<br />

bekommt. In unserer Reportage ab Seite 14 erzählen Geflüchtete,<br />

wie sie als sogenannte „U-Boote“ ihren Alltag bestreiten, und<br />

warum dieses heimliche Leben für sie dennoch besser ist als in<br />

ihre Heimat zurückzukehren.<br />

„<br />

Die Reportage „Asylstatus:<br />

Untergetaucht“ auf S. 14 hat<br />

nur funktioniert, weil mir und<br />

uns unzählige Menschen ihr<br />

Vertrauen geschenkt, mit<br />

Kontakten weitergeholfen und<br />

ohne wenn und aber selbst viel<br />

riskiert haben. An dieser Stelle:<br />

Die Credits gehören zu einem<br />

großen Teil euch allen.<br />

Aleksandra “ Tulej,<br />

Chefredakteurin<br />

Auf den Wiener Grillzonen auf der Donauinsel geht es heuer<br />

heiß her. Täglich brutzeln hier leckere Ćevapčići, ägyptische<br />

Schaschlikspieße und Pfefferoni. In unserer Fotostrecke „Gemma<br />

Grillen“ zeigen wir euch, was bei den neuen und alteingesessenen<br />

Wiener:innen für einen perfekten Grilltag nicht fehlen darf. Aber<br />

Achtung: Die Fotos machen Hunger auf mehr. Ab S. 28.<br />

Während sich die einen auf den Grillzonen tummeln, arbeitet<br />

ZiB2-Moderator Martin Thür satte 55 Stunden pro Woche, wollte<br />

schon dreißig Mal seinen Job kündigen und schläft dabei insgesamt<br />

sieben Stunden pro Nacht. Im „Interview in Zahlen“ verrät<br />

er, wie viele ORF-Kolleg:innen ihm auf die Nerven gehen, und wie<br />

oft er über die SPÖ-Excel-Panne staunen musste. Ab S. 20.<br />

Bei Erkältungen und Schnupfen haben Migra-<br />

Eltern schnell eine Lösung parat. Geht es allerdings<br />

um die psychische Gesundheit, stehen<br />

ihre Kinder oftmals alleine da. Egal ob Depressionen,<br />

Panikattacken oder Angstzustände, einige<br />

Eltern wollen und können diese Art von Problemen<br />

nicht ernst nehmen. „Du hast ein Dach<br />

über dem Kopf. Warum solltest du traurig sein“,<br />

ist die Standardaussage. Was diese Ablehnung<br />

mit veralteten kulturellen Codes und Mythen<br />

über psychisch Erkrankte zu tun hat, könnt ihr<br />

ab Seite 42 nachlesen.<br />

SCHARFE<br />

POST:<br />

In unserem<br />

wöchentlichen<br />

Newsletter senden<br />

wir dir die<br />

spannendsten<br />

Beiträge aus der<br />

schärfsten Redaktion<br />

des Landes<br />

in dein Postfach.<br />

Hier kannst du ihn<br />

gleich abonnieren:<br />

Viel Spaß beim Lesen<br />

und einen schönen Sommer,<br />

eure biber-Redaktion<br />

© Zoe Opratko<br />

6 / MIT SCHARF /


IMPRESSUM<br />

MEDIENINHABER:<br />

Biber Verlagsgesellschaft mbH, Quartier 21,<br />

Museumsplatz 1, E-1.4, 1<strong>07</strong>0 Wien<br />

HERAUSGEBER:<br />

Simon Kravagna<br />

KONTAKT: biber Verlagsgesellschaft mbH Quartier 21, Museumsplatz 1,<br />

E-1.4, 1<strong>07</strong>0 Wien<br />

Tel: +43/1/ 9577528 redaktion@dasbiber.at, abo@dasbiber.at<br />

WEBSITE: www.dasbiber.at<br />

CHEFREDAKTEURIN:<br />

Aleksandra Tulej<br />

KULTUR & LEITUNG AKADEMIE:<br />

Nada El-Azar-Chekh<br />

FOTOCHEFIN:<br />

Zoe Opratko<br />

ART DIRECTOR: Dieter Auracher<br />

KOLUMNIST:INNEN:<br />

Ivana Cucujkić-Panić, Dennis Miskić, Özben Önal<br />

LEKTORAT: Florian Haderer<br />

ÖAK GEPRÜFT laut Bericht über die Jahresprüfung im 2. HJ 2022:<br />

Druckauflage 85.000 Stück<br />

Verbreitete Auflage 80.700 Stück<br />

Die Offenlegung gemäß §25 MedG ist unter<br />

www.dasbiber.at/impressum abrufbar.<br />

DRUCK: Mediaprint<br />

REDAKTION, FOTOGRAFIE & ILLUSTRATION:<br />

Maria Lovrić-Anušić, Šemsa Salioski, Dione Azemi, Anja Bachleitner,<br />

Atila Vadoc<br />

VERLAGSLEITUNG :<br />

Aida Durić<br />

MARKETING & ABO:<br />

Şeyda Gün<br />

REDAKTIONSHUND:<br />

Casper<br />

BUSINESS DEVELOPMENT:<br />

Andreas Wiesmüller<br />

GESCHÄFTSFÜHRUNG:<br />

Wilfried Wiesinger<br />

Erklärung zu gendergerechter Sprache:<br />

In welcher Form bei den Texten gegendert wird, entscheiden die<br />

jeweiligen Autoren und Autorinnen selbst: Somit bleibt die Authentizität<br />

der Texte erhalten – wie immer „mit scharf“.<br />

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KUNST & KULTUR<br />

IN DER STAHLSTADT<br />

LINZ ERLEBEN!<br />

Deine Pride ist noch nicht vorbei? Dann besuche<br />

doch die Ausstellung „QUEER. Vielfalt ist unsere<br />

Natur“ im OK Linz, die einen aufregenden Bogen<br />

zwischen Queerness in der Natur, bis hin zur Popkultur<br />

spannt. Niemals ohne deine Geschwister?<br />

Dann besuche das Lentos Kunstmuseum mit seiner<br />

aktuellen Schau „Sisters & Brothers. 500 Jahre<br />

Geschwister in der Kunst“. Warum Linz auch die<br />

„Stahlstadt“ an der Donau genannt wird, erfahrt ihr<br />

zudem bei Führungen, Werkstouren und Workshops<br />

in der voestalpine Stahlwelt. Vorwärts blickt auch<br />

das Ars Electronica Festival. Vom 6.–10. September<br />

denkt es als größtes europäisches Festival für Kunst,<br />

Technologie und Gesellschaft unter dem Motto „Wem<br />

gehört die Wahrheit?“ die Zukunft neu.<br />

© Marko Mestrovič<br />

Neugierig auf Linz?<br />

Wir empfehlen einen 3-Tages-<br />

Kurzurlaub ab 134 Euro pro<br />

Person, inklusive Übernachtung<br />

im Hotel, Frühstück und<br />

der Linz-Card, mit der ihr<br />

freien Museumseintritt, Öffi-<br />

Ticket und eine Pöstlingbergbahn-Fahrt<br />

zugleich in der<br />

Tasche habt.<br />

Jetzt hier<br />

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In „Ivanas Welt“ berichtet die biber-Kolumnistin Ivana Cucujkić-Panić<br />

über ihr Leben - Glamour zwischen Balkan und Baby<br />

IVANAS WELT<br />

DIE LETZTE GENERACIJA<br />

Zu meiner Zeit wurden Feste noch gefeiert, wie sie<br />

fielen. Bis in die Morgenstunden bei Qualm und Lärm,<br />

bis unsere Väter peinlich auffielen und wir Kinder erschöpft<br />

auf dem Schoß einer Großmutter eingesackt<br />

sind. Nicht unbedingt auf dem unserer eigenen. Aber<br />

irgendein älterer Mensch über 70, 80 war immer zugegen<br />

und selbst bereits viel zu lange wach und zu müde,<br />

um auf den Nachwuchs von verantwortungslosen, feierwütigen<br />

Eltern aufzupassen.<br />

DIE NEUEN JUNGEN MACHEN NICHT MEHR MIT<br />

Wir sind die letzte Generation, die ihre halbe Kindheit<br />

schlafend auf Stühlen bei 100 Dezibel verbracht<br />

hat. Playdates existierten damals noch nicht. Kindergeburtstage<br />

wurden nicht in Spielcafés, sondern in<br />

der Kafana (Beisl) veranstaltet. Liveband statt Clown-<br />

Show, Sängerin mit Ausschnitt statt Elsa-Prinzessin.<br />

„Wir haben das auch so mit euch gemacht. Und, hat‘s<br />

euch geschadet?“, fragten sie.<br />

Also wagten wir das Experiment und nahmen den<br />

Zwei- und den Fünfjährigen mit zur ersten Jugofeier.<br />

Wird schon gut gehen, sagen wir. Viele Kinder werden<br />

da sein, feuern wir uns an.<br />

DEZIBEL & PAW PATROL<br />

Und da saßen wir nun – oh, Fehler – standen wir nun,<br />

für die nächsten acht Stunden, rannten, trösteten, entfernten<br />

spitze Gegenstände von allen Oberflächen.<br />

„Wie lange dauert das noch?“ Junge, die Wahrheit,<br />

dass das hier jetzt nicht mehr aufhören wird, erträgst<br />

du nicht, und deine Reaktion darauf werde ich nicht<br />

ertragen können. Deswegen lüge ich dich wohlwollend<br />

und ohne Skrupel an und liefere dir eine Antwort, die<br />

du zeitlich einordnen kannst und die mir für die nächsten<br />

zwei Stunden Luft verschafft: „Also, die spielen<br />

jetzt noch so lange wie vier Paw-Patrol-Folgen dauern.“<br />

Fünfjährige haben ein recht gut entwickeltes Zeitgefühl,<br />

wenn es um Screen-Time geht, also kam er zwei<br />

cucujkic@dasbiber.at, Instagram: @ivanaswelt<br />

Stunden später, seinem Alter entsprechend komplett<br />

überfordert und überstimuliert, und forderte ein, dass<br />

„diese schirche laute Musik abgeschaltet wird“. Als<br />

Mutter lernt man irgendwann Lippenlesen, deswegen<br />

habe ich trotz der lauten „Kalašnjikov“-Darbietung der<br />

Band die Message meines ungehorsamen Filius verstanden:<br />

Und sollte ich das diesem Mann dort nicht<br />

sagen, mache er das. Achja, genau, machst du, denk<br />

ich mir. Falsch gedacht. Diese neue Generation scheißt<br />

sich nix und geht zum Kellner.<br />

MARSCHIEREN, SKANDIEREN,<br />

DAS JUGOFEST SABOTIEREN<br />

Was ist los mit diesen neuen Jungen? Marschieren die<br />

los und fordern ihre Rechte auf altersgerechte Lautstärke,<br />

rauchfreie Lungen und so ein. Und geben keine<br />

Ruhe, picken an dir, skandieren, bis du endlich nachgibst<br />

und diesen verdammten Eventsaal und dein noch<br />

immer volles Weinglas verlässt, um an der frischen Luft<br />

einem violetten Luftballon nachzujagen. Auf 11 Zentimetern.<br />

Auf Schotter. Und nirgends eine Oma oder ein<br />

Opa in der Nähe, die übernehmen könnten, sodass ich<br />

mir stattdessen in Ruhe einen anzwitschern, mein neu<br />

bestelltes Glitterdress vor der Kamera präsentieren und<br />

komische Verwandte am Nebentisch dissen könnte.<br />

Die Generation meiner Eltern hatte diese Freiheiten.<br />

Hatte Privilegien. Hatte Großeltern, und ich eine Uroma<br />

und einen Uropa, die nicht von meiner Seite wichen,<br />

als ich wieder mal auf einem Jugofestl bisschen<br />

erschöpft, bisschen verschwitzt und bisschen dreckig<br />

unmittelbar neben dem Lautsprecher, auf irgendeiner<br />

Holzbank oder eben allem, was man zu einem improvisierten<br />

Schlafplatz umfunktionieren kann, eingeschlafen<br />

war. Auch auf dieser Feier waren kaum noch Omas<br />

und Opas unter den Gästen. Dafür aber viele Eltern,<br />

die mehr schlecht als recht zum Trompetensound abfeierten.<br />

Eine Generation verschwindet. Wir sehen uns<br />

im Spielcafé! ●<br />

© Zoe Opratko<br />

8 / MIT SCHARF /


IHRE IM FALL<br />

DES FALLES-<br />

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ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG<br />

Sie fahren weg, wir informieren. Jetzt kostenlos und bequem über den QR-Code oder den App-<br />

Store die Auslandsservice-App downloaden und gut vorbereitet ins Ausland fahren. Registrieren<br />

Sie sich vor Ihrer Reise für Ihre Reise. Wir informieren Sie über die aktuelle Lage in dem Land,<br />

in dem Sie sich aufhalten, und helfen, sollten Sie Unterstützung brauchen.<br />

– Ihr Außenministerium<br />

24/7


LIMANEWS<br />

Von Anja Bachleitner<br />

Gerade jetzt bei der Hitze! Bewusstsein schaffen, Verantwortung übernehmen<br />

und Lösungen unterstützen: Wir zeigen, warum der Klimawandel alle etwas<br />

angeht, und zeigen einige hilfreiche Tipps für mehr Klimaschutz im Alltag.<br />

REPARATURBONUS:<br />

Wenn Haushaltsgeräte oder<br />

Smartphones kaputt gehen, kann<br />

das eine finanzielle Belastung<br />

sein. Außerdem sind die Entsorgung<br />

von Elektroschrott und die<br />

Herstellung neuer Geräte umweltund<br />

klimaschädlich. Um Abhilfe in<br />

solchen Situationen zu schaffen,<br />

gibt es den Reparaturbonus. Das<br />

Klimaschutzministerium unterstützt<br />

bei anstehenden Reparaturen<br />

und übernimmt 50 Prozent der<br />

Kosten – bis zu einer Obergrenze<br />

von 200€. Ihr könnt den Reparaturbonus<br />

online herunterladen<br />

(reparaturbonus.at), beim Reparaturbetrieb<br />

einreichen und bis<br />

zu 200€ sparen. Wenn ihr euer<br />

handwerkliches Geschick testen<br />

und selbst reparieren möchtet, findet<br />

ihr hilfreiche<br />

Tipps über den<br />

QR-Code hier.<br />

CITY FARM AUGARTEN<br />

Gemüse selbst anbauen oder regional kaufen<br />

ist gut für das Klima: Weniger Transportwege<br />

bedeuten eine bessere CO2-Bilanz für die<br />

Veggies. In Wien mag das Selber-Anbauen<br />

eine Herausforderung sein, aber es gibt<br />

Alternativen. Wie wäre es zum Beispiel mit<br />

einem Besuch bei der City Farm Augarten?<br />

Dort könnt ihr bis zum Herbst jeden Mittwoch<br />

und Freitag zwischen 10:00 und 14:00<br />

Uhr frisches Gemüse und Grünzeug kaufen,<br />

das direkt vor Ort angebaut wird. Neben<br />

dem beeindruckenden Erntefeld gibt es auch<br />

einen vielfältigen Schaugarten mit Gemüse,<br />

Blumen und Kräutern. Hier finden spannende<br />

Workshops für Kinder und Erwachsene statt<br />

und es werden Jungpflanzenmärkte veranstaltet.<br />

Übrigens: Die City Farm betreibt<br />

ganzjährigen Anbau, aber ohne Beheizung<br />

ihrer Folientunnel. Sie bauen nur das an, was<br />

im Winter ohne Heizung überleben kann.<br />

© unsplash.com/Clint Bustrillos, Anja Bachleitner, City Farm Augarten<br />

10 / MIT SCHARF /


© unsplash.com/Sunorwind<br />

SCHON<br />

GEWUSST?<br />

0,08<br />

Grad Celsius<br />

… das ist der<br />

durchschnittliche<br />

Anstieg der<br />

Erdtemperatur pro<br />

Jahrzehnt seit 1880.<br />

21,5 Millionen<br />

… so viele Menschen<br />

mussten 2008-<br />

2016 aufgrund von<br />

Naturkatastrophen<br />

migrieren bzw.<br />

evakuiert werden.<br />

135<br />

Milliarden<br />

Tonnen<br />

… so viel Erdreich ging<br />

aufgrund von Agrikultur<br />

seit der Industriellen<br />

Revolution verloren.<br />

2,3 Milliarden<br />

Tonnen<br />

… industrielle<br />

Chemikalien werden<br />

jedes Jahr für die<br />

Agrarwirtschaft<br />

produziert.<br />

55%<br />

… um so viel will die EU<br />

bis 2030 Emissionen<br />

reduzieren.<br />

SOMMERREZEPT:<br />

GAZPACHO<br />

Genieße eine Gazpacho, die kalte spanische<br />

Siesta-Suppe, als Vorspeise oder<br />

leichtes Mittagessen. Einfach perfekt<br />

für heiße Sommertage.<br />

So einfach geht’s:<br />

Zutaten:<br />

4 reife Tomaten<br />

1 Gurke<br />

1 rote Paprika<br />

1 kleine Zwiebel<br />

1 Knoblauchzehe<br />

2 Scheiben trockenes Weißbrot (ohne<br />

Rinde)<br />

3 EL Olivenöl<br />

2 EL Weißweinessig<br />

Salz und Pfeffer nach Geschmack<br />

Optional: eine Prise Kreuzkümmel oder<br />

Cayennepfeffer für zusätzliche Würze<br />

Frische Kräuter (z. B. Basilikum oder Petersilie)<br />

zum Garnieren<br />

Zubereitung:<br />

Die Tomaten, Gurke und Paprika grob würfeln. Die Zwiebel und die Knoblauchzehe schälen<br />

und grob hacken. Das altbackene Weißbrot in Wasser einweichen und ausdrücken. Alle<br />

vorbereiteten Zutaten in einen Mixer geben. Olivenöl, Weißweinessig und Gewürze hinzufügen.<br />

Alles gut mixen, bis eine glatte Suppenkonsistenz entsteht. Falls die Gazpacho zu dick<br />

ist, kannst du etwas Wasser hinzufügen, um die gewünschte Konsistenz zu erreichen. Nach<br />

Bedarf mit Salz und Pfeffer abschmecken. Die Gazpacho für mindestens eine Stunde im<br />

Kühlschrank abkühlen lassen, damit sie gut durchzieht. Vor dem Servieren die Gazpacho mit<br />

frischen Kräutern garnieren. Guten Appetit!<br />

KLIMA­<br />

BONUS<br />

20<strong>23</strong><br />

Auch heuer wird<br />

es ab Herbst einen<br />

Klimabonus geben:<br />

Diesmal jedoch<br />

in gestaffelter<br />

Form, abhängig<br />

vom Wohnsitz und<br />

der Infrastruktur.<br />

Alle Informationen<br />

zu den Voraussetzungen<br />

dafür,<br />

der Höhe des<br />

Betrags und mehr,<br />

findest du hier:<br />

https://www.<br />

klimabonus.gv.at<br />

APP<br />

EMPFEHLUNG<br />

ÖSTERREICH<br />

RADELT:<br />

Die App kann euch<br />

motivieren, Wege mit<br />

dem Rad zurückzulegen<br />

anstatt mit dem Auto.<br />

Dabei könnt ihr die<br />

gesammelten Kilometer<br />

dokumentieren und<br />

erfahren, wie viel CO2<br />

ihr gespart habt – und<br />

sogar Preise gewinnen.<br />

Web-Tipp:<br />

https://<br />

www.<br />

radelt.at/<br />

VIRTUELLES WASSER<br />

Ein bewusster Umgang mit Wasser ist<br />

angebracht – gerade, weil wir beim<br />

Konsum verschiedener Produkte auch<br />

indirekt Wasser verbrauchen, das<br />

für die Herstellung verwendet oder<br />

verschmutzt wurde. Eine Studie der<br />

BOKU Wien von 2021 spricht von<br />

„virtuellem Wasser“ und unserem<br />

„Wasserfußabdruck“.<br />

● 1 Espresso ergibt einen virtuellen<br />

Wasserfußabdruck von 100 Litern.<br />

● Jährlich verbrauchen wir in Österreich<br />

durchschnittlich 1<strong>07</strong> Liter<br />

virtuelles Wasser pro Kilogramm<br />

Tomaten.<br />

● 1 Baumwoll-T-Shirt benötigt etwa<br />

2.720 Liter virtuelles Wasser.<br />

/ MIT SCHARF / 11


MEINUNGSMACHE MIT SCHARF<br />

Aktuelle politische Themen im Überblick: komprimiert, kurz und mit scharf.<br />

ÖSTERREICH SERBIEN ÖSTERREICH<br />

EXTREMISMUS HAT<br />

KEINE NATIONALITÄT<br />

STOLZ UND<br />

VERZWEIFLUNG<br />

HASS<br />

IM HÖRSAAL<br />

Mitte Juni wurde vom Innenministerium<br />

eine neue Studie über<br />

Extremismus in Migra-Communitys<br />

veröffentlicht. Dabei sollte ein<br />

Überblick über verschiedene Formen<br />

von Extremismus verschafft<br />

werden. Aber es wurden auch<br />

Erscheinungsformen herausgearbeitet,<br />

um potenzielle Gefahren<br />

und Probleme abschätzen zu<br />

können. Für die Studie wurden<br />

Migra-Communitys aus der Türkei,<br />

Tschetschenien, dem arabischen<br />

Raum und dem Westbalkan<br />

untersucht. Die Studie ist nicht<br />

uninteressant, aber dennoch lässt<br />

mich ein spezieller Gedanke nicht<br />

los. Wieso müssen wieder einmal<br />

Migrant:innen als die „Bösen“ oder<br />

als „Gefahr“ in unserer Gesellschaft<br />

dargestellt werden? Extremistisches<br />

Gedankengut hat nichts<br />

mit Nationalität oder Religion zu<br />

tun. Es ist ja nicht so, als gäbe<br />

es keine Österreicher:innen mit<br />

extremistischen Gedanken. Erst<br />

Ende Juni wurde in Ober- und Niederösterreich<br />

ein Waffenlager bei<br />

rechtsextremen „Rockern“ ausgehoben.<br />

Neben Waffen wurden auch<br />

NS-Flaggen gefunden. Ist Extremismus<br />

also ein Migra-Problem<br />

oder eher ein politisches Problem<br />

für Österreich?<br />

„Ihr blamiert unser Land!“, „Hoch<br />

lebe Vučić!“ Sprüche wie diese<br />

finden sich zuhauf als Kommentare<br />

unter Videos von den<br />

Demonstrationen in Serbien. Seit<br />

den zwei Amokläufen im Mai,<br />

bei denen 18 Menschen getötet<br />

wurden, begeben sich regelmäßig<br />

tausende Bürger:innen auf die<br />

Straßen Serbiens, um gegen die<br />

Regierung zu protestieren. Für<br />

einige der in Österreich lebenden<br />

Serb:innen sind die Demonstrationen<br />

jedoch eine Form des<br />

Volksverrats. Laut ihnen würde<br />

Präsident Aleksandar Vučić<br />

alles richtig machen, und an der<br />

Gewalt in Serbien wäre natürlich<br />

der Westen schuld. Ich frage<br />

mich wirklich: Seht ihr denn nicht<br />

die Verzweiflung der serbischen<br />

Bevölkerung? Die Menschen<br />

dort fordern einen bitter nötigen<br />

politischen Umschwung, weil<br />

sie nicht in Angst leben wollen.<br />

Also, gebt doch bitte endlich<br />

euren verkorksten Nationalstolz<br />

auf und hört auf die serbischen<br />

Bürger:innen, die die missliche<br />

politische Lage wirklich hautnah<br />

miterleben.<br />

Mein Papa ist gelernter Maurer,<br />

meine Mama hat eine Lehre zur<br />

Physiklaborantin gemacht. Ich<br />

bin die Erste in meiner Familie,<br />

die studiert. Als Arbeiterkind hat<br />

sich schon immer etwas in mir<br />

gespießt, wenn es an der Uni um<br />

vererbte Bildung und Co ging.<br />

Klar, der familiäre Hintergrund<br />

eines Kindes sollte nicht ausschlaggebend<br />

dafür sein, welche<br />

Bildungswege ihm offenstehen –<br />

und welche nicht. Ilkim Erdost von<br />

der Arbeiterkammer Wien forderte<br />

in diesem Zusammenhang erst<br />

kürzlich einen „Neustart“ des<br />

österreichischen Bildungssystems.<br />

Anstatt hierauf den Fokus zu<br />

legen, verfällt aber fast jede:r Prof<br />

beim Thema in eine „Wenn die<br />

Eltern nur eine Lehre haben, dann<br />

haben die Kinder wahrscheinlich<br />

auch nur…“-Rhetorik. Ich kann<br />

diese Hierarchisierungen nicht<br />

mehr hören. Es sollte doch bei<br />

dem Thema wirklich nicht darum<br />

gehen, den einen Bildungsweg<br />

über den anderen zu stellen, denn<br />

alle Berufe und Ausbildungen<br />

haben ihre Wertigkeit. Also bitte,<br />

liebe „Expert:innen“, spart euch<br />

euer internalisiertes Berufsgruppen-Ranking!<br />

Şeyda Gün, Kolumnistin<br />

guen@dasbiber.at<br />

Maria Lovrić-Anušić, Redakteurin<br />

lovric-anusic@dasbiber.at<br />

Anja Bachleitner, Stipendiatin<br />

redaktion@dasbiber.at<br />

© Zoe Opratko<br />

12 / MEINUNGSMACHE MIT SCHARF /


Hätte, hätte<br />

Hätte, hätte<br />

Lieferkette<br />

Lieferkette<br />

Lieferkette<br />

Lieferkette<br />

Kinderarbeit,<br />

Verletzung von<br />

Menschenrechten?<br />

Mit dem neuen EU-Lieferkettengesetz<br />

nehmen wir Unternehmen in in die die Pflicht!<br />

Denn vom Rohmaterial bis bis zum fertigen<br />

Produkt – Umweltvorschriften, sowie Arbeitsund<br />

Menschenrechte müssen stets für für jede:n<br />

gelten.


ASYLSTATUS:<br />

UNTERGETAUCHT<br />

Sie verstecken sich bei Freunden, halten sich mit Schwarzarbeit über Wasser und hoffen<br />

jeden Tag, nicht von der Polizei erwischt zu werden. Chefredakteurin Aleksandra Tulej hat<br />

abgelehnte Asylwerber getroffen, die als sogenannte „U-Boote” weiterhin illegal im Land<br />

bleiben. Es sind Einblicke in Lebensrealitäten, die an der Gesamtgesellschaft vorbei existieren.<br />

Von Aleksandra Tulej, Fotos: Zoe Opratko<br />

14 / POLITIKA | WIEN /


Keine Probleme machen,<br />

nicht auffallen, keine Polizei<br />

antreffen”, diese drei Regeln<br />

bestimmen Mahdis* Alltag.<br />

Der 27-Jährige ist vor vier Jahren aus<br />

Afghanistan nach Österreich geflüchtet,<br />

nach mehreren abgelehnten Asylanträgen<br />

wurde er vor die Wahl gestellt:<br />

Entweder verlässt er das Land, oder er<br />

wird abgeschoben. Mahdi entschied sich<br />

für die dritte Option: Er blieb in Österreich<br />

und tauchte hier unter. Genauer<br />

gesagt wohnt er bei einem älteren Ehepaar<br />

in einem Dorf irgendwo in Tirol. Die<br />

Nachbarn in der kleinen Ortschaft leben<br />

in dem Glauben, dass er sich legal in<br />

Österreich aufhält. Dass Mahdi eigentlich<br />

keine Papiere hat, wissen nur seine<br />

Zieh-Eltern und sehr enge Freunde, die<br />

in einer ähnlichen Situation stecken. Er<br />

hilft dem Ehepaar bei der Gartenarbeit<br />

und anstehenden Handwerksarbeiten im<br />

Haus. „Das ist für die beiden auch ein<br />

großes Risiko, aber sie helfen mir und ich<br />

helfe ihnen” – so lautet die Abmachung.<br />

Er lebt zwar in ständiger Angst, aber<br />

„das ist immer noch besser als in meiner<br />

Heimat”, erklärt der Afghane. „In den<br />

österreichischen Dörfern leben viele von<br />

uns, da ist es einfacher unterzutauchen<br />

als in der Großstadt”, erzählt er.<br />

ÖSTERREICHS „U-BOOTE“<br />

Mahdi ist einer von etwa 30.000 Menschen,<br />

die sich momentan illegal in<br />

Österreich aufhalten. Die Zahl ist hierbei<br />

bloß eine Schätzung verschiedener<br />

NGOs, die Dunkelziffer dürfte höher sein.<br />

Offizielle Statistiken betreffend dieser Fälle<br />

werden nicht geführt. „Erstens gehen<br />

wir aufgrund des dichten Kontrollnetzes<br />

auf verschiedenen Ebenen davon aus,<br />

dass die meisten Menschen vor, beim<br />

oder zeitnah zum Grenzübertritt aufgegriffen<br />

werden. Zweitens würde das nicht<br />

wirklich viel Sinn machen, da die meisten<br />

Menschen ja nach Asyl bzw. Legitimation<br />

ihres Aufenthalts streben, also entweder<br />

in andere Zielländer weiterreisen oder<br />

in Österreich um Asyl ansuchen. Selbst,<br />

wenn es Fälle gibt, in denen das nicht<br />

so ist, gibt es naturgemäß dazu keine<br />

Zahlen“, bestätigt BMI-Sprecher Harald<br />

Sörös.<br />

Bis Ende April 20<strong>23</strong> wurden laut<br />

BMI 3.624 negative Entscheidungen in<br />

den Schnell- und Eilverfahren getroffen.<br />

Außerdem haben sich bis Ende Mai rund<br />

16.989 Personen dem Verfahren entzogen,<br />

damit auf Schutz verzichtet und<br />

Österreich selbständig wieder verlassen.<br />

Die Rede ist von Personen, die nach<br />

mehreren negativen Asylentscheidungen<br />

das Land verlassen müssten – freiwillig<br />

oder eben unfreiwillig. Manche bleiben<br />

aber als sogenannte „U-Boote” hier:<br />

Sie kommen in illegal untervermieteten<br />

Wohnungen unter, halten sich mit<br />

Schwarzarbeit über Wasser und hoffen,<br />

dass sie niemand erwischt. Manche von<br />

ihnen fangen an, mit Drogen zu dealen,<br />

viele andere sind der Gutmütigkeit<br />

oder eben auch der Ausbeutung seitens<br />

anderer Menschen ausgeliefert. Manche<br />

werden vom Staat in die Illegalität getrieben,<br />

viele Fälle sind überaus komplex. In<br />

Länder wie Afghanistan oder Syrien wird<br />

momentan aus geopolitischen Gründen<br />

aus Österreich nicht abgeschoben – was<br />

passiert aber mit jenen, die schon länger<br />

hier sind? Wie sieht ihre Lebensrealität<br />

aus? Warum bleiben sie im Land?<br />

Welche Gedanken begleiten ihren Alltag?<br />

Wie schafft man es, in einem Land wie<br />

Österreich einfach unterzutauchen? Pauschalisierend<br />

ist es für Politik und Medien<br />

leicht, von „illegalen Flüchtlingen” zu<br />

sprechen – doch die Realität ist weitaus<br />

vielschichtiger. Es sind unterschiedlichste<br />

Geschichten, Beweggründe und Lebensrealitäten<br />

– ich will all das aus erster<br />

Hand erfahren.<br />

Die Recherche gestaltet sich wie<br />

erwartet als sehr schwierig und überaus<br />

kompliziert: „Die will doch, dass wir<br />

in den Knast kommen“, „Vergiss es“,<br />

„Dann kann ich mich ja gleich abschieben<br />

lassen“, „Spinnt die, glaubt sie echt,<br />

wir reden mit der?“, lauten die meisten<br />

Antworten, die mir über gefühlt zwanzig<br />

Ecken weitergeleitet werden. Angst und<br />

Misstrauen der Betroffenen spielen hier<br />

eine vorrangige Rolle – verständlich, wer<br />

in solch einer Situation will schon mit<br />

den Medien sprechen? Immer wieder<br />

springen Gesprächspartner ab, Streifzüge<br />

durch Wien auf der Suche nach<br />

Protagonisten scheitern und hunderte<br />

Telefonate scheinen mich nicht weiter<br />

zu bringen. Bis ich eines Abends von<br />

einer unterdrückten Nummer angerufen<br />

werde.<br />

„WENN ICH ERWISCHT WERDE,<br />

DANN: BUMM, ZACK, AB IN<br />

SCHUBHAFT“<br />

Es ist Amir*, der zögerlich einem Treffen<br />

einwilligt. „Woher weiß ich, dass du<br />

keine Zivilpolizistin bist?” ist seine erste<br />

– sehr berechtigte – Frage, als wir uns<br />

eine Stunde später im zweiten Bezirk in<br />

Wien treffen. Untertags geht er nicht so<br />

gerne raus, nachts fühlt er sich sicherer.<br />

Ich zeige ihm meinen Presseausweis,<br />

mein Instagram-Profil und erkläre ihm,<br />

dass niemand seine wahre Identität<br />

erfahren wird. Erst dann wird er ruhiger<br />

und beginnt zu erzählen. „Jetzt gibt es<br />

ja gerade Abschiebestopp nach Afghanistan,<br />

aber ich bin schon seit 2018<br />

hier. Wenn die (Anm. die Behörden) das<br />

erfahren würden, dann: Bumm, Zack,<br />

ab in Schubhaft, oder?” Nach Afghanistan<br />

gibt es seit 2021 Abschiebestopp.<br />

Was würde also mit Amir passieren?<br />

Das erklärt Julia Ecker, Anwältin für<br />

Fremden- und Asylrecht. „In so einer<br />

Situation könnte er natürlich bei einer<br />

Kontrolle trotzdem erstmal angehalten<br />

und festgenommen werden. Allerdings<br />

sollte dann wegen der Unmöglichkeit der<br />

Abschiebung eine Duldung ausgesprochen<br />

werden. Wenn sich, wie im Fall von<br />

Afghanistan, die Situation seit der negativen<br />

Entscheidung maßgeblich geändert<br />

„In den österreichischen Dörfern<br />

leben viele von uns, da ist es einfacher<br />

unterzutauchen als in der Großstadt”<br />

/ POLITIKA | WIEN / 15


„Man kennt sich untereinander, man weiß, wo<br />

es gerade bissi Geld zu verdienen gibt oder<br />

wo man am besten nicht hingehen sollte.“<br />

hat, würde sich auch empfehlen, nach<br />

Inanspruchnahme einer Rechtsberatung<br />

einen Folgeantrag zu stellen und so<br />

könnte die betroffene Person doch noch<br />

einen Schutzstatus in Österreich erhalten“<br />

(Mehr Infos s. Infobox)<br />

Amir hätte nach mehreren negativen<br />

Asylbescheiden abgeschoben werden<br />

sollen – vor der neuerlichen Machtübernahme<br />

der Taliban 2021. Seinen<br />

afghanischen Pass hat er längst nicht<br />

mehr. „Aber wohin soll ich gehen? Meine<br />

Familie würde sofort glauben, dass ich<br />

hier kriminell war, und sie würden nicht<br />

mehr mit mir sprechen, ich hätte kein<br />

Leben mehr dort.” Solche Geschichten<br />

kennt er von seinen Freunden, die aus<br />

Österreich nach Kabul abgeschoben<br />

wurden. Also entschied sich Amir, hier<br />

zu bleiben. Auch ohne Papiere. „Alles ist<br />

besser, als zurück nach Afghanistan zu<br />

gehen, da gibt es nichts. Auch bevor die<br />

Taliban da waren, das war, seitdem ich<br />

lebe, immer ein Scheißland.” Während<br />

wir durch einen Park gehen, blickt er<br />

immer wieder um sich. „Ich lebe echt<br />

mit der ur Paranoia, aber ein bissi selber<br />

Schuld, oder? Aber was würdest du an<br />

meiner Stelle machen?“, fragt er mich.<br />

Amir hat einige Freunde, die in einer<br />

ähnlichen Situation stecken – „Man kennt<br />

sich untereinander, man weiß, wo es<br />

gerade bissi Geld zu verdienen gibt oder<br />

wo man am besten nicht hingehen sollte.“<br />

Amir lebt mit sieben anderen in einer<br />

Wohnung in einem Industriegebiet in<br />

Wien – besagte Wohnung wird schwarz<br />

untervermietet. Sein Handyvertrag läuft<br />

auf einen anderen Namen. Krankenversichert<br />

ist er auch nicht, einmal hat er sich<br />

die e-card eines Freundes geborgt, um<br />

zum Arzt zu gehen – damals gab es auf<br />

den Karten noch keine Fotos.<br />

Seinen Lebensunterhalt bestreitet<br />

er mit „bissi bei Umzügen helfen, bissi<br />

Computer zusammenbauen, du weißt<br />

schon, dies und das halt”. Früher hat er<br />

auch „bissi mit Gras und so gedealt”,<br />

aber das wurde ihm auf Dauer doch<br />

zu unsicher – zu groß war die Sorge,<br />

erwischt zu werden. Und das Geld war<br />

sowieso nicht gut. Er sei aber nicht<br />

einer dieser Afghanen, die „schon wieder<br />

mit einem Messer irgendwen angegriffen,<br />

oder irgendeine Frau belästigt<br />

oder anderen Scheiß gebaut haben“,<br />

versichert er mir mehrmals – wenn er<br />

solche Schlagzeilen liest, schämt er sich<br />

für seine Herkunft. Amir kann verstehen,<br />

wenn „die Österreicher” Menschen<br />

wie ihn hier nicht haben wollen. „Die<br />

wissen einfach zu wenig über unsere<br />

Situation, aber sieh’s mal positiv:<br />

Ich koste den Staat ja nichts”, sagt er<br />

schmunzelnd. „Wien ist eigentlich ur<br />

schön, aber ich gehe selten raus – ich<br />

habe zu viel Angst davor, dass mich<br />

die Polizei erwischt.” Amir hofft darauf,<br />

dass er irgendwann ein Schlupfloch<br />

findet, durch das er legal in Österreich<br />

bleiben könnte. „Oder ich gehe nach<br />

Frankreich, die haben bessere Asylgesetze<br />

für uns.”<br />

„IN AFGHANISTAN BIN ICH<br />

GESTORBEN UND HIER WURDE<br />

ICH NOCHMAL GEBOREN“<br />

„In Afghanistan herrscht folgende<br />

Annahme: Wenn du abgeschoben wirst,<br />

dann warst du in Österreich sicher<br />

straffällig. Du verlierst dein Gesicht<br />

und kannst dort nicht mehr normal<br />

leben”, erzählt mir Shaukat Walizadeh,<br />

Geschäftsführer des afghanischen<br />

Kulturvereins „NEUER START” in Wien.<br />

„Diese Asylverfahren werden teilweise<br />

so willkürlich entschieden, teilweise<br />

schlampig oder nicht gründlich genug.<br />

Ich bin der Meinung, dass Österreich<br />

hier massiv Ressourcen verschwendet.<br />

Menschen stecken teilweise jahrelang<br />

in Asylverfahren, diese Zeit könnte<br />

man viel besser nutzen, wenn sie eine<br />

Arbeitserlaubnis hätten oder schneller<br />

ihren Aufenthalt bekommen – dann<br />

hätte Österreich auch mehr davon.”<br />

Der gebürtige Afghane selbst lebt seit<br />

2009 in Österreich, hatte zuerst Asyl<br />

bekommen und besitzt mittlerweile die<br />

österreichische Staatsbürgerschaft.<br />

„Ich sage immer: In Afghanistan bin ich<br />

gestorben und hier wurde ich nochmal<br />

geboren. Ich mag Österreich, weil<br />

ich hier meine Familie gegründet habe<br />

und man hier einem geregelten Alltag<br />

nachgehen kann. Aber warum klappt das<br />

dann nicht bei den Behörden auch?”,<br />

fragt er sich. Gründe für Flucht sind<br />

unterschiedlich, genau wie die Länder,<br />

aus denen Menschen nach Österreich<br />

kommen.<br />

„WIR KÖNNEN NICHT ZURÜCK,<br />

ABER HIER KÖNNEN WIR AUCH<br />

NICHT NORMAL LEBEN“<br />

„Wir haben uns zwanzig Tage lang bei<br />

einem Freund in seiner Wohnung in<br />

Wien versteckt. Die Polizei war alle zwei<br />

Tage bei uns im Asylheim und hat nach<br />

uns gesucht”, erzählt Mohammed*. Er<br />

ist Ende zwanzig und vor acht Jahren<br />

mit seinen Eltern und seinem jüngeren<br />

Bruder Yasin* aus dem Irak nach Österreich<br />

gekommen. Sie lebten jahrelang im<br />

Asylheim, 2019 sollten sie abgeschoben<br />

werden. „Der Irak ist ein sicheres Land,<br />

es gibt keinen Grund dafür, dass ihr Asyl<br />

bekommt”, hieß es seitens der Behörden.<br />

„Wir haben aber leider genug Gründe,<br />

und wir haben auch alle Beweise vorgelegt.<br />

Unser Vater wurde von der Asa’ib<br />

Ahl al-Haqq Terrormiliz im Irak (Anm. ein<br />

paramilitärisches Terrornetzwerk) verfolgt.<br />

Wir können nicht dorthin zurück”,<br />

erzählt Yasin. Mithilfe eines Anwalts<br />

gelang es der Familie, wieder Asylwerberstatus<br />

zu erlangen. Das bedeutet:<br />

Sie leben wieder im Asylheim, sie dürfen<br />

sich momentan legal im Land aufhalten.<br />

Trotzdem leben sie weiterhin großteils<br />

von Schwarzarbeit: „Haare schneiden,<br />

bei Umzügen helfen, bei großen Festen<br />

als Security, weil die da keinen Ausweis<br />

wollen”, zählt Yasin auf. „Die Lage ist<br />

einfach so schlecht, ich würde ja gerne<br />

mehr machen und arbeiten gehen.<br />

Aber wir können nicht zurück, aber hier<br />

können wir auch nicht normal leben, es<br />

ist zum Verzweifeln”, wirft Mohammed<br />

ein. Dennoch befinden sie sich in einer<br />

vergleichsweise stabileren Lage – vorerst<br />

dürfen sie im Land bleiben.<br />

DIE SACHE MIT DEM<br />

STUDENTENVISUM<br />

Als „U-Boote” leben in Österreich übrigens<br />

auch Menschen, die hier auf einen<br />

16 / POLITIKA | WIEN /


„Keine Probleme machen,<br />

nicht auffallen, keine Polizei<br />

antreffen”, diese drei Regeln<br />

bestimmen Mahdis* Alltag.<br />

/ POLITIKA | WIEN / 17


Instanzen. Wenn ein Asylantrag von<br />

allen Behörden und Gerichten abgelehnt<br />

wurde, besteht zunächst einmal die Möglichkeit<br />

einer freiwilligen Ausreise, für die<br />

man normalerweise 14 Tage Zeit hat“<br />

so Anwältin Julia Ecker. „In manchen<br />

Konstellationen besteht aber auch schon<br />

früher im Verfahren eine durchsetzbare<br />

Ausreisepflicht. Wenn man nicht kooperiert,<br />

gibt es Beugemaßnahmen und kann<br />

man auch in Schubhaft gesteckt werden,<br />

wo man bis zu 18 Monate angehalten<br />

werden kann. Danach ist die letzte<br />

Maßnahme eine Abschiebung“, so die<br />

Anwältin.<br />

Der afghanische Pass zählt zu einem der schwächsten<br />

Pässe weltweit – mit der geringsten Reisefreiheit.<br />

Uni-Abschluss hingearbeitet haben.<br />

„Wenn die Polizei mich schnappen<br />

würde, würde es gleich heißen: Ab nach<br />

Algerien.” Der 24-jährige Djamal* ist<br />

2017 mit einer Aufenthaltsbewilligung als<br />

Studierender aus Algerien nach Österreich<br />

gekommen. Er begann, Germanistik<br />

zu studieren, aber als sein Studentenvisum<br />

abgelaufen ist, hätte er Österreich<br />

verlassen müssen. Er hat lange versucht,<br />

eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, es<br />

mit seinem Anwalt auf „allen möglichen<br />

Wegen probiert“ – ohne Erfolg. Djamal<br />

ist trotzdem in Österreich geblieben – er<br />

hat hier eine Freundin gefunden, die er<br />

gerne heiraten würde. „Dafür müssten<br />

wir aber klarerweise zum Standesamt<br />

und das geht in meiner Situation nicht”,<br />

so Djamal. Angst, erwischt zu werden,<br />

hat er zwar, nimmt das Risiko aber dennoch<br />

auf sich: Zurück nach Algerien zu<br />

ziehen, ist für ihn keine Option. „Da gibt<br />

es nichts, dort kannst du nicht leben, ich<br />

sehe Österreich als meine Heimat.“ Er<br />

kommt gerade in der Nähe von Salzburg<br />

in einer kleineren Ortschaft unter, die<br />

Wohnung wird schwarz untervermietet.<br />

„Ich verstehe das einfach nicht,<br />

ab wann ist man genug integriert? Ich<br />

spreche ja gut Deutsch, das merkst du<br />

ja auch”, erklärt er sich. „Menschen,<br />

die nicht einmal Ja oder Nein sagen<br />

können, bekommen hier dann ohne<br />

Probleme Aufenthalt?”, wundert er sich.<br />

Er hält sich mit Gelegenheitsjobs an der<br />

Baustelle oder als Gartenpfleger über<br />

Wasser. „Ich habe echt keine Lust mehr,<br />

schwarz arbeiten zu gehen. Aber ich<br />

sterbe lieber vor Hunger, als dass ich<br />

etwas stehlen würde oder irgendeine<br />

wirkliche Straftat begehe.” Wie sieht hier<br />

die Rechtslage aus?<br />

„Es gibt im fremdenpolizeilichen und<br />

Asylverfahren grundsätzlich mehrere<br />

WAS PASSIERT MIT<br />

STRAFFÄLLIGEN<br />

ASYLWERBER:INNEN?<br />

Straffällige Asylwerber:innen oder<br />

Menschen, die sich illegal in Österreich<br />

aufhalten und straffällig werden, kommen<br />

häufig im Anschluss an ein Strafverfahren<br />

in Schubhaft. Abu Bakar* ist <strong>23</strong><br />

Jahre alt, in Tschetschenien geboren und<br />

in Österreich aufgewachsen. 2021 wurde<br />

er nach § 278, also wegen Mitgliedschaft<br />

in einer Terroristischen Vereinigung<br />

in Schubhaft gesteckt. „Ich habe<br />

in privaten Chats Blödsinn geschrieben,<br />

so mit ‚Komm, lass eine Terrororganisation<br />

gründen‘ – das war nur dummer<br />

Spaß, ich war jung – das hat das Gericht<br />

aber nicht als Scherz gesehen”, erzählt<br />

er. Sein Asylstatus wurde ihm daraufhin<br />

entzogen. In der Schubhaft hat er<br />

einen Hungerstreik durchgezogen und<br />

wurde deshalb auch wieder freigelassen,<br />

was man auch einem Schreiben<br />

der Volksanwaltschaft entnehmen kann<br />

– Abu Bakar hatte aber daraufhin ein<br />

Jahr lang Meldepflicht bei der Polizei.<br />

Dies wurde damit begründet dass er,<br />

„seiner Ausreiseverpflichtung bislang<br />

nicht nachgekommen sei.“ Die Lage ist<br />

aber wesentlich komplexer: Seitens der<br />

russischen Behörden hieß es, dass eine<br />

„Rückführung nach Russland nicht möglich<br />

sei, da „es anhand der behördlichen<br />

Register nicht möglich sei, festzustellen,<br />

ob er wirklich russischer Staatsbürger<br />

sei“, was die Lage nochmals verkompliziert.<br />

Auch die Schubhaft wurde im<br />

Nachhinein übrigens als rechtswidrig<br />

erklärt – auch das bestätigt das Schreiben<br />

der Volksanwaltschaft. Daraufhin hat<br />

Abu einen Folgeantrag auf Internationa-<br />

18 / POLITIKA | WIEN /


Was ihn in seiner Heimat erwartet?<br />

„Folter, Schläge, Stromschläge,<br />

Schnitte mit Messern.“<br />

len Schutz eingereicht – das war zu<br />

dem Zeitpunkt, als in Russland gerade<br />

die Mobilmachung im Rahmen des<br />

Krieges gegen die Ukraine stattfand.<br />

Der Antrag wurde abgelehnt, Abu<br />

Bakar hat eine Beschwerde eingereicht<br />

– diese wurde dann angenommen.<br />

Nach diesem mühseligen<br />

Verfahren, dem ewigen hin - und her,<br />

darf Abu Bakar also bleiben. Vorerst.<br />

Heute lebt er von der Mindestsicherung<br />

seiner Großmutter und hofft<br />

darauf, bald eine Arbeitserlaubnis<br />

zu bekommen – und normal an der<br />

Gesellschaft teilhaben zu können.<br />

An dieser Stelle frage auch ich mich<br />

mittlerweile, wie das auf lange Sicht<br />

funktionieren wird – im Endeffekt<br />

haben ja beide Seiten nichts davon.<br />

„IN TSCHETSCHENIEN WERDEN<br />

SIE MICH FOLTERN“<br />

Übrigens: Nach Tschetschenien,<br />

einer Teilrepublik Russlands, gibt es<br />

aufgrund der momentanen geopolitischen<br />

Lage gerade ebenfalls keine<br />

Abschiebungen. Trotzdem hat Abu<br />

Bakar Sorge davor, dass sich das<br />

bald ändern könnte. Was mit ihm<br />

passieren würde, wenn man ihn nach<br />

Russland abschiebt? „Das Übliche,<br />

was sie mit allen meinen Landsleuten<br />

tun, die nicht für sie arbeiten oder<br />

nicht mit ihnen kooperieren. Folter,<br />

Schläge, Stromschläge, Schnitte mit<br />

Messern…“, zählt Abu Bakar auf. Er<br />

nimmt hier Bezug auf den Machthaber<br />

Tschetscheniens und Putins<br />

„Mann fürs Grobe“, Ramzan Kadyrow<br />

und sein Gefolge. Im Internet<br />

kursieren etliche Videos, auf denen<br />

Folter gegenüber sogenannten<br />

„Landesverrätern“ in Tschetschenien<br />

ersichtlich ist – das gilt mehreren<br />

Berichten zufolge nicht nur für seine<br />

Kritiker:innen, sondern auch für Menschen<br />

mit Vorstrafen, wie es bei Abu<br />

der Fall ist.<br />

NEUES ASYLGESETZ ALS<br />

LÖSUNG?<br />

Erst Anfang Juni haben sich die<br />

EU-Staaten auf eine Verschärfung<br />

der Asylregeln geeinigt – der Kompromiss<br />

sieht einen deutlich strengeren<br />

Umgang mit Menschen ohne<br />

Bleibeperspektive vor. Menschen, die<br />

aus als sicher geltenden Ländern in<br />

EU-Staaten kommen, sollen in Zukunft<br />

gleich nach dem Grenzübertritt unter<br />

haftähnlichen Bedingungen in streng<br />

kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen<br />

kommen – dort wird innerhalb einer<br />

Frist von sechs Monaten geprüft,<br />

ob eine Chance auf Asyl besteht<br />

oder nicht. Wenn nicht, soll man<br />

umgehend zurückgeschickt werden.<br />

Dadurch würde sich aus EU-Sicht die<br />

Lücke schließen, in der Menschen<br />

erst in die Situation kommen, in<br />

einem Land ohne Bleiberecht untertauchen<br />

zu können. Aber: Was als<br />

„sicheres Land“ gilt, ist in der Realität<br />

der Einzelnen oft genau das Gegenteil.<br />

Das ist streitbar und wird je nach<br />

Einzelfall entschieden. Was passiert<br />

aber mit Menschen wie Amir, Djamal,<br />

Mahdi und all den anderen, die schon<br />

da sind und bleiben? Sie schaffen<br />

sich ein eigenes Paralleluniversum,<br />

mit eigenen Gesetzen, mit eigenen<br />

Strategien, Auffangnetzen und Regeln<br />

– ganz im Stillen, sie leben an der<br />

Gesamtgesellschaft vorbei, ob es ihr<br />

gefällt oder nicht. „Schreib‘ mir, wenn<br />

du zuhause bist, man weiß ja nie, ob<br />

um die Uhrzeit keine illegalen Flüchtlinge<br />

rumlaufen“, mit diesen Worten<br />

verabschiedet sich Amir lachend nach<br />

unserem Treffen. ●<br />

* Die Namen wurden zum Schutz der Personen<br />

von der Redaktion geändert.<br />

Die Fotos wurden für die Geschichte nachgestellt.<br />

Auf den Bildern handelt es sich nicht<br />

um die Protagonisten aus der Reportage.<br />

INFOS ZUR<br />

RECHTSLAGE:<br />

Wo gibt es Beratung?<br />

Bei der Bundesagentur für Betreuungsund<br />

Unterstützungsleistungen (BBU)<br />

gibt es Rechts- und Rückkehrberatung<br />

für „Fremde” und Asylwerber:innen.<br />

Oder bei unabhängigen NGOs, wie<br />

beispielsweise die Diakonie, Caritas,<br />

Helping Hands und spezialisierten<br />

Rechtsanwält:innen (wie z.B. vom<br />

„Netzwerk Asylanwält:innen)<br />

Wer bestimmt, ob man abgeschoben<br />

wird?<br />

Das BFA (Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen)<br />

Was bedeutet „freiwillige Rückkehr“?<br />

Für eine freiwillige Rückkehr in das Heimatland<br />

oder das nächste sichere Land<br />

hat man nach einem mehrmals abgelehnten<br />

Asylantrag in der Regel 14 Tage.<br />

Das Bundesministerium für Inneres<br />

(BMI) und das BFA unterstützen Personen,<br />

die in ihr Heimatland zurückkehren,<br />

mit unterschiedlichen Leistungen. Während<br />

das BFA die individuellen Anträge<br />

zur freiwilligen Rückkehr genehmigt und<br />

eine Rückkehrhilfe gewährt, fördert das<br />

BMI eine „bundesweit flächendeckende<br />

Rückkehrberatung“.<br />

Was bedeutet „Duldung“?<br />

Es gibt in Österreich, nach § 46a<br />

Fremdenpolizeigesetz 2005, einen<br />

Auffangtatbestand, der sich „Duldung“<br />

nennt. Dieser besagt: „Der Aufenthalt<br />

von Fremden ist zu dulden“, wenn eine<br />

Abschiebung nicht zulässig ist. Das gilt<br />

auch für „Fremde“, die eigentlich nicht<br />

rechtmäßig hier aufhältig sind („für Personen<br />

bei denen […] nicht durch Legalisierung<br />

des Aufenthaltes im Rahmen<br />

eines anderen Rechtsinstituts [wie z.B.<br />

nach AsylG oder NAG] Rechnung getragen<br />

wird, bei denen aber ein „Abschiebehindernis“<br />

vorliegt“). Die Person<br />

hat also folglich einen Anspruch auf<br />

Duldung und eine sogenannte „Karte<br />

für Geduldete“. Diese gilt dann ein Jahr<br />

und kann nach einem Jahr verlängert<br />

werden, wenn die gleichen Voraussetzungen<br />

dann noch gelten.<br />

/ POLITIKA | WIEN / 19


Herr Thür, wie<br />

oft haben Sie die<br />

Republik Österreich<br />

verklagt?<br />

Welche Mathe-<br />

Note hatten<br />

Sie bei der<br />

Matura?<br />

Wie viele<br />

Stunden<br />

pro Woche<br />

verbringen Sie<br />

am Küniglberg?<br />

Wie viele<br />

Parteien haben<br />

Sie in Ihrem<br />

Leben gewählt?<br />

Interview in Zahlen: In Politik<br />

und Medien wird schon genug<br />

geredet. Biber fragt in Worten,<br />

ZiB2-Moderator Martin Thür<br />

antwortet mit einer Zahl.<br />

4<br />

40–50<br />

4<br />

Von Aleksandra Tulej und Nada El-Azar-Chekh,<br />

Fotos: Zoe Opratko<br />

Drei ORF-Kolleg:innen gehen dem<br />

ZiB2-Moderator auf die Nerven.<br />

Eine Vier hatte der gebürtige St. Pöltner<br />

bei der Mathe-Matura im Zeugnis.<br />

Wie viele<br />

Journalismuspreise<br />

haben<br />

Sie bis jetzt<br />

gewonnen?<br />

In welchem<br />

Bezirk<br />

wohnen Sie?<br />

Wie viele<br />

Stunden<br />

schlafen Sie<br />

pro Nacht?<br />

In welchem<br />

Alter wussten<br />

Sie, dass Sie<br />

Journalist<br />

werden wollen?<br />

Wie viele<br />

Anzüge hängen<br />

in Ihrem<br />

Schrank?<br />

5<br />

<strong>23</strong><br />

7<br />

19<br />

8<br />

20 / POLITIKA /


Wie oft haben<br />

Sie über die<br />

SPÖ-Excel-<br />

Panne staunen<br />

müssen?<br />

Wie oft<br />

pro Woche<br />

verwenden Sie<br />

Excel?<br />

Wie viele<br />

Politiker:innen<br />

wollen Sie<br />

am liebsten<br />

nie wieder<br />

interviewen?<br />

Wie viele ORF-<br />

Kolleg:innen<br />

gehen Ihnen auf<br />

die Nerven?<br />

Wie viele<br />

Stunden<br />

arbeiten Sie<br />

pro Woche?<br />

200<br />

20<br />

0<br />

3<br />

55<br />

Fünf Mal pro Woche kocht der Journalist selbst zuhause.<br />

Acht Anzüge hat Thür in seinem Schrank hängen.<br />

Wie viele<br />

Menschen<br />

würden Sie als<br />

„enge Freunde“<br />

bezeichnen?<br />

Wie oft<br />

haben Sie<br />

die Republik<br />

Österreich<br />

verklagt?<br />

Wie viele<br />

Klagen<br />

bekamen<br />

Sie für Ihre<br />

journalistische<br />

Arbeit bis jetzt?<br />

Wie oft pro<br />

Woche kochen<br />

Sie selbst<br />

zuhause?<br />

Wie oft wollten<br />

Sie Ihren Job<br />

kündigen?<br />

3<br />

4<br />

3<br />

5<br />

30<br />

(Damit ist nicht die<br />

ZiB2 gemeint)<br />

/ POLITIKA / 21


KOMMENTAR<br />

ROT-WEISS-BRAUNES<br />

(OBER)ÖSTERREICH<br />

Von Anja Bachleitner<br />

Nach dem riesigen Waffenlagerfund einer rechtsextremen Gruppierung<br />

in Oberösterreich ist die Politik neuerlich zum Handeln aufgefordert.<br />

In der Bevölkerung muss indessen das Prinzip von „Nie wieder“<br />

abermals einem Gefühl von „Bitte nicht schon wieder!“ weichen.<br />

Ende Juni wurde bekannt, dass bei<br />

Razzien in Ober- und Niederösterreich<br />

hundertfach Waffen und NS-<br />

Devotionalien bei einem Ableger des<br />

Rockerclubs „Bandidos“ in Oberösterreich<br />

sichergestellt wurden. Bereits im<br />

Vorfeld kam es zu vier Festnahmen in der<br />

Causa. Im Zuge der Razzien wurden weitere<br />

sechs Personen verhaftet und in U-Haft gebracht,<br />

darunter auch ein ehemaliges Führungsmitglied der<br />

rechtsradikalen Gruppierung „Objekt21“, die seit 10<br />

Jahren als zerschlagen gilt. Auch bei diesem rechtsextremen<br />

Zusammenschluss wurden damals Waffen<br />

und Sprengstoff in einem angemieteten Bauernhof,<br />

im oberösterreichischen Desselbrunn, gefunden.<br />

Man muss allerdings gar nicht so weit zurückgehen<br />

in der Zeit: Die jüngsten Nachrichten lesen sich wie<br />

die traurige Fortsetzung von Berichten über Brandanschläge<br />

auf eine geplante Asylunterkunft in Linz,<br />

unaufgeklärte Schändungen der KZ-Gedenkstätte<br />

Mauthausen oder verurteilte Neonazis, die Grabkerzen<br />

vorm Geburtshaus Hitlers, in Braunau, abstellten.<br />

Was all diese Vorfälle neben ihrer rechtsextremen<br />

Motivation gemeinsam haben, ist das Bundesland,<br />

in denen sie sich ereignet haben. Oberösterreich ist<br />

zwar bei weitem nicht der einzige Ort, wo Rassismus<br />

und Rechtsextremismus ein Problem darstellen, aber<br />

dennoch scheint hier der Tonus „Nie wieder“ besonders<br />

oft von einem „Bitte nicht schon wieder“ abgelöst<br />

zu werden. Bitte nicht schon wieder ein Naziring,<br />

bitte nicht schon wieder ein Waffenlager, bitte nicht<br />

schon wieder dieses ewig braune Gedankengut. Das<br />

„profil“ hat einmal versucht zu analysieren,<br />

was gerade Oberösterreich<br />

so attraktiv macht für Rechtsextreme.<br />

Es wurden unter anderem die Nähe zu<br />

Deutschland und eine „Kultur des Verharmlosens“<br />

als Gründe genannt, das Innund<br />

Hausruckviertel als „Aufmarschgebiete“<br />

der Rechtsextremen bezeichnet und als „Milieu“,<br />

wo auch die FPÖ ihre Ausgänge genommen hat.<br />

ÖSTERREICH UND DER<br />

EINZELFALL<br />

Eine „Kultur des Verharmlosens“, des Wegschauens,<br />

des Hinunterspielens. Das hört sich jedenfalls<br />

nicht unösterreichisch an. Wie problematisch dieser<br />

Zugang im Bezug auf Rechtsextremismus ist, wird<br />

einmal mehr klar, wenn man Willi Mernyi, dem Vorsitzenden<br />

des Mauthausen Komitees Österreich oder<br />

Robert Eiter, Sprecher des OÖ. Netzwerks gegen<br />

Rassismus und Rechtsextremismus, zuhört. Sie kritisieren<br />

eine Praxis des Totschweigens und der Untätigkeit<br />

seitens der Regierung und Exekutive sowie<br />

die immer noch ausstehende Realisierung eines Nationalen<br />

Aktionsplans gegen Rechtsextremismus, der<br />

bereits 2021 vom Nationalrat beschlossen wurde.<br />

Als oberösterreichisches Kind vom Land muss<br />

ich selbst nicht weit über den Tellerrand meiner<br />

behüteten Erziehung hinausschauen, um zu wissen,<br />

dass Maßnahmen und Veränderungen dringend<br />

benötigt werden. Man redet immer von Aufarbeitung<br />

und Aufklärung. Aber wie und vor allem mit<br />

welcher Reichweite und Resonanz wird diese Arbeit<br />

© Zoe Opratko<br />

22 / POLITIKA /


in Österreich wirklich betrieben? Und hat man die<br />

Notwendigkeit von Präventionsmaßnahmen und Ausstiegshilfen<br />

für Rechtsextreme wirklich schon in ihrer<br />

ganzen Tragweite erkannt? Während wir hierzulande<br />

Klimaaktivist*innen als Terrorist*innen bezeichnen,<br />

muss ich nicht einmal über die Grenzen meiner Heimatgemeinde<br />

hinausdenken, um zu wissen, wer sich<br />

tatsächlich in einschlägigen Gruppen herumtreibt.<br />

Das bleibt unkommentiert. Wird hingenommen.<br />

Wahrscheinlich muss erst eine Gewalttat passieren,<br />

bevor der Ort darüber spricht. Manchmal frage ich<br />

mich, wie lange es noch dauern wird, bis „jeder<br />

jemanden kennt“, dem man problematische Aussagen<br />

bis hin zu Wiederbetätigung vorwerfen kann.<br />

Und dabei stoppt das Problem ja nicht einmal bei<br />

NS-Verherrlichung. „Die Sicherstellung von automatischen<br />

Waffen ist ein alarmierender Hinweis darauf,<br />

wie gefährlich diese Szene ist“, so Justizministerin<br />

Alma Zadić in einer Stellungnahme zu den neuesten<br />

Funden. Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas<br />

Stelzer forderte unterdessen mehr Personal und<br />

Überwachungsmöglichkeiten für die Polizei. Zudem<br />

verwies er auf ein neues „Handlungskonzept gegen<br />

Extremismus“, welches in den letzten Wochen<br />

erweitert und überarbeitet worden sei. Dabei handelt<br />

es sich laut Berichten allerdings um ein Konzept<br />

gegen jegliche Formen des Extremismus, nicht nur<br />

den von Rechts. Während Stelzer nicht müde wird<br />

zu betonen, dass er sich Oberösterreich nicht in ein<br />

rechtsradikales Eck drängen lasse, machen sich viele<br />

Menschen reale Sorgen und wünschen sich konkretere<br />

Schutzmaßnahmen.<br />

OBERÖSTERREICH: GANZ<br />

VORNE BEI RECHTSEXTREMEN<br />

STRAFTATEN<br />

So zum Beispiel Landesgeschäftsführer der SPÖ<br />

Oberösterreich, Florian Koppler. Er forderte die<br />

Regierung nach den jüngsten Geschehnissen<br />

erneut zum Handeln auf: „Der riesige rechtsextreme<br />

Waffenlagerfund verdeutlicht, wie dringend ein OÖ-<br />

Aktionsplan gegen Rechtsextremismus fehlt und wie<br />

sehr ÖVP/FPÖ mit ihrer Blindheit am rechten Auge<br />

die Sicherheit in Oberösterreich gefährden!” Er weist<br />

in diesem Zusammenhang auf die „Spitzenposition“<br />

Oberösterreichs in Sachen rechtsextreme Straftaten<br />

hin. Diese geht auch aus einem Dokument des<br />

Innenministeriums vom März dieses Jahres hervor.<br />

173 „Tathandlungen mit rechtsextremem Hintergrund“<br />

wurden darin für Oberösterreich im Jahr<br />

2022 dokumentiert, womit sich das Bundesland als<br />

Zweiter, hinter Wien, einreiht - allerdings leben in<br />

Wien auch eine halbe Million mehr Menschen. 1<strong>23</strong>-<br />

mal kam es in Oberösterreich zu Anzeigen gegen<br />

Personen, wegen rassistischer, fremdenfeindlicher,<br />

antisemitischer oder rechtsextremer Aktivitäten. Die<br />

restlichen Bundesländer blieben hier im zweistelligen<br />

Bereich. SPÖ-Abgeordnete Sabine Schatz musste<br />

diese Daten erst in einer parlamentarischen Nachfrage<br />

anfordern, bevor sie vom Innenministerium<br />

zur Verfügung gestellt wurden. Jüngst standen die<br />

Zahlen allerdings in der Kritik, da sie sich nicht mit<br />

jenen aus dem Justizministerium decken würden,<br />

sondern, auf Gesamtösterreich gesehen, um das<br />

eineinhalbfache geringer ausgefallen seien. Im Zuge<br />

dieses „Zahlenchaos“ wurde erneut die schnellere<br />

Umsetzung des Rechtsextremismus-Berichts gefordert.<br />

Dieser wurde im Jahr 2002 unter schwarz-blau<br />

abgeschafft, wobei Burschenschaften im Vorfeld ein<br />

Ende der „Gesinnungsschnüffele“ gefordert haben<br />

sollen. 2021 wurde unter türkis-grün die Wiedereinführung<br />

des Berichts durchgesetzt. Erschienen ist er<br />

bisher noch nicht.<br />

Dass manche Gesinnungen keine Privatsache<br />

sind, sondern sowohl rechtlich als auch moralisch<br />

untragbar sind und eine reale Bedrohung für Menschen,<br />

deren Freiheit und deren Recht auf ein Leben<br />

in Vielfalt und Frieden darstellen, darüber sollten<br />

wir uns, gerade in Österreich, eigentlich einig sein.<br />

Völlige Verurteilung rechtsextremen Gedankenguts<br />

und völlige Solidarisierung mit Opfern und potenziell<br />

Gefährdeten sollte die österreichische Devise lauten,<br />

die gleichzeitig die Basis zum Handeln bilden sollte.<br />

Anstatt aber einen klaren Kurs zu fahren, wurschteln<br />

wir weiter herum und brüsten uns mit einzelnen<br />

Ermittlungserfolgen, während der Erfolg der FPÖ<br />

von keiner Liederbuchaffäre und keiner Identitären-<br />

Freundschaft getrübt scheint. Dort, wo es ein<br />

Problem mit Rechtsextremismus gibt, muss es auch<br />

so benannt und behandelt werden. Einerseits würde<br />

man dadurch falsche Pauschalisierungen abbauen,<br />

gegen die sich unter anderem der oberösterreichische<br />

Landeshauptmann so zu wehren scheint. Andererseits,<br />

und darum sollte es hauptsächlich gehen,<br />

kann einem ehrlichen Streben nach „Nie wieder“ nur<br />

so nachgekommen werden - anstatt sich von einem<br />

Vorfall zum nächsten zu hanteln. ●<br />

Anja Bachleitner, Biber-Stipendiatin<br />

redaktion@dasbiber.at<br />

/ POLITIKA / <strong>23</strong>


„Die Welt darf keinen zweiten<br />

Völkermord zulassen.“<br />

Im Schatten des Ukrainekrieges spitzt sich die Lage in Berg-Karabach weiter zu:<br />

Seit Dezember ist die umstrittene Region zwischen Armenien und Aserbaidschan<br />

blockiert. Weder Lebensmittel, noch humanitäre Hilfe kommt an. Ararat Mgdsian, der<br />

Wurzeln in Karabach hat, erzählt, wie es seinen Freunden und Familie vor Ort geht.<br />

Von Nada El-Azar-Chekh<br />

© Sergey Akopyan<br />

24 / POLITIKA /


© DAVIT GHAHRAMANYAN / AFP / picturedesk.com<br />

Es gibt einen großen Doppelstandard<br />

in Europa: Man kauft<br />

kein Gas mehr aus Russland,<br />

weil es im Krieg mit der Ukraine<br />

ist. Jedoch hat man kein Problem<br />

damit, stattdessen Gas-Deals mit Aserbaidschan<br />

abzuschließen und verschließt<br />

die Augen vor der existenziellen Krise in<br />

Berg-Karabach“, sagt Ararat Mgdsian.<br />

Der 24-Jährige lebt seit 2017 in Österreich<br />

und hat Verwandte und Freunde in<br />

jener Region, um die sich die Nachbarstaaten<br />

Armenien und Aserbaidschan in<br />

einem langen Konflikt befinden.<br />

Seit mehr als 200 Tagen ist der<br />

Latschin-Korridor von aserbaidschanischen<br />

Truppen besetzt. Er ist einzige<br />

Verbindung zwischen der autonomen<br />

Republik Arzach, die seit 1991 in der<br />

Region Berg-Karabach unabhängig ist,<br />

und Armenien. Über 130.000 Menschen<br />

– davon etwa 30.000 Kinder – haben seit<br />

Dezember keinen Zugang zu Medikamenten,<br />

Lebensmitteln oder humanitärer<br />

Hilfe. Die Blockade begann als Protest<br />

von aserbaidschanischen Öko-Aktivisten<br />

gegen angeblich illegale Bergbauarbeiten<br />

am Latschin-Korridor. Zu einem weiteren<br />

Krieg zwischen Aserbaidschan und<br />

Armenien kam es zuletzt im Jahr 2020,<br />

bei dem tausende Menschen starben.<br />

Damals griff Russland als alte Schutzmacht<br />

Armeniens ein und vereinbarte<br />

einen Waffenstillstand. Doch vor dem<br />

Hintergrund des Ukrainekriegs ist nicht<br />

nur die westliche Berichterstattung,<br />

sondern auch das Engagement für Berg-<br />

Karabach deutlich abgeflacht.<br />

15 TAGE STROM IM MONAT<br />

„Ich verbrachte Weihnachten in der<br />

Hauptstadt Jerewan und wollte eigentlich<br />

zu meiner Verwandtschaft nach<br />

Berg-Karabach fahren. Der Besuch kam<br />

doch nicht zustande – zu meinem Glück,<br />

denn sonst wäre auch ich in der Blockade<br />

gefangen“, erzählt Ararat, der BWL<br />

an der WU studiert. Einige seiner engen<br />

Freunde sind vor Ort in der Enklave. Sie<br />

berichten, dass seit Dezember die Kinder<br />

in der Region die Schule nicht besuchen<br />

können. Strom gäbe es nur 15 Tage im<br />

Monat, ohne Vorwarnung. „Wenn es<br />

gerade keinen Strom und kein Internet<br />

dort gibt, können wir keinen Kontakt aufnehmen.“<br />

Einer von Ararats Freunden ist<br />

Arzt. „Die Situation dort ist sehr schwer,<br />

da die wenigen Krankenhäuser in der<br />

Region schlecht ausgestattet sind. Alte<br />

und kranke Menschen, sowie Schwangere<br />

müssten nach Armenien fahren,<br />

um ausreichend betreut zu werden.<br />

Sollten sie das Gebiet jedoch verlassen,<br />

kommen sie nie mehr zurück zu ihren<br />

Häusern.“ Der Alltag in Berg-Karabach<br />

gestaltet sich schwer, wie Ararat von<br />

seinen Kontakten vor Ort erfahren hat.<br />

„Bereits nach dem ersten Monat der<br />

Blockade wurden Lebensmittel knapp.<br />

Deshalb hat sich die Karabach-Regierung<br />

dazu entschlossen, Produkte zu rationieren.<br />

Für eine vierköpfige Familie gibt es<br />

nur 100 Gramm Brot. Jetzt im Sommer<br />

wird Obst und Gemüse von der Bevölkerung<br />

eingekocht für den Winter.“<br />

GROSSTÜRKISCHE<br />

FANTASIEN<br />

Während Menschenrechtsorganisationen<br />

Alarm schlagen, verschärft sich der Ton<br />

seitens der aserbaidschanischen Regierung<br />

immer weiter. Die Idee vom „Großen<br />

Turan“, also einem politischen und<br />

kulturellen Zusammenschluss der turksprachigen<br />

Länder wie Aserbaidschan,<br />

Kirgistan, Turkmenistan und Usbekistan<br />

im Kaukasus wird auch vom türkischen<br />

WORUM GEHT ES BEI<br />

DEM KONFLIKT UM<br />

BERG-KARABACH?<br />

Der Konflikt zwischen Armenien<br />

und Aserbaidschan um Bergkarabach<br />

besteht aus einem<br />

langjährigen territorialen Streit<br />

um die Region Bergkarabach.<br />

Beide Länder beanspruchen<br />

das Gebiet, das zu sowjetischen<br />

Zeiten zu Aserbaidschan<br />

gehörte, aber überwiegend von<br />

ethnischen Armeniern bewohnt<br />

wird. Der Konflikt eskalierte<br />

2020 in einen weiteren Krieg,<br />

bei dem fast 4.000 Menschen<br />

starben und viele vertrieben<br />

wurden. Im November 2020<br />

wurde eine Waffenruhe vereinbart,<br />

aber die Spannungen<br />

bleiben bestehen und eine dauerhafte<br />

Lösung ist noch nicht<br />

gefunden.<br />

Russland hat als Vermittler und Akteur<br />

Einfluss im Konflikt um Berg-Karabach.<br />

Präsidenten Erdogan immer weiter vorangetrieben.<br />

Die Region Berg-Karabach,<br />

die eine ethnisch armenische Bevölkerung<br />

hat, sich aber laut UN völkerrechtlich<br />

zu Aserbaidschan gehöre, spielt<br />

geopolitisch eine entscheidende Rolle.<br />

Ararat findet, dass die Welt nicht weiter<br />

tatenlos zusehen darf. Er vergleicht die<br />

aktuelle Blockade Berg-Karabachs mit<br />

der Situation vor dem osmanischen<br />

Genozid an der armenischen Bevölkerung<br />

im Jahr 1915. Gemeinsam mit 30<br />

anderen Ländern, erkannte Österreich<br />

den Genozid an den Armeniern offiziell<br />

an. „Die Menschen werden wieder<br />

vor die Wahl gestellt, entweder ein Teil<br />

von Aserbaidschan zu werden, oder zu<br />

sterben“, so der BWL-Student. Armenien<br />

befände sich, als demokratisch und<br />

westlich-orientiertes Land umrandet von<br />

diktatorischen, antiwestlichen Staaten.<br />

„Die Welt darf keinen zweiten Völkermord<br />

zulassen“, sagt Ararat. Schon seine<br />

Vorfahren mussten vor 100 Jahren vor<br />

dem Genozid nach Vanadzor im Osten<br />

von Armenien fliehen. „Ich möchte nicht,<br />

dass meine Freunde oder meine zukünftigen<br />

Kinder dasselbe erleben.“ ●<br />

/ POLITIKA / 25


WAS GIBT’S NEUES AM BALKAN?<br />

Von Dennis Miskić<br />

SREBRENICA: VERGRABEN UND<br />

VERSCHARRT, ABER NICHT VERMISST<br />

Ich verrichtete letztes Jahr meinen Auslandsgedenkdienst<br />

in Srebrenica, ich lebte also<br />

über mehrere Monate vor Ort, die Stadt war<br />

nichts Fremdes mehr für mich. Der 11. Juli,<br />

der Gedenktag für die Opfer des Genozids<br />

von Srebrenica, war ganz anders: Ich war es<br />

nicht gewohnt, so viele Menschen und eine<br />

so belebte Stadt zu sehen. Ich hatte mich zu<br />

sehr an den Anblick von leeren Parkplätzen<br />

und geschlossenen Gasthäusern<br />

gewöhnt. Ich hatte mich an eine<br />

gewisse Ruhe gewöhnt. Eine gewisse<br />

Ruhe, die an einem Ort wie Srebrenica<br />

herrscht. Ein Ort, der zuerst belagert,<br />

bombardiert und systematisch<br />

ausgehungert wurde. Nur, um die<br />

Menschen darin danach unter UN-<br />

Schutz fast völlig zu vertreiben oder<br />

zu ermorden. Ein Ort, wie so viele<br />

andere in Bosnien und Herzegowina,<br />

den die serbisch-nationalistische Elite am liebsten<br />

dem Erdboden gleichgemacht hätte.<br />

Während der kalten, trüben und vor allem<br />

einsamen Wintertage in Srebrenica habe ich<br />

mich auch gefragt, ob sie das nicht auf eine<br />

gewisse Art auch geschafft hat. Nach dem<br />

Genozid gibt es kaum noch jemanden, der dort<br />

lebt. Wer hat denn schon die Kraft, an den Ort<br />

zurückzukehren, an dem man seine Familie das<br />

letzte Mal gesehen hat?<br />

Für dieses Jahr hat sich die Gedenkstätte<br />

dazu entschieden, den Schwerpunkt<br />

der Gedenkwoche auf die noch vermissten<br />

Personen zu legen. Denn von den mindestens<br />

Kolumnist Dennis Miskić<br />

hat seinen Auslandsdienst<br />

in Srebrenica<br />

geleistet und engagiert<br />

sich in verschiedenen<br />

NGOs zum Thema Westbalkan<br />

und Migrationspolitik.<br />

In seiner Kolumne<br />

hält er euch über Politisches<br />

& Kulturelles vom<br />

Balkan am Laufenden.<br />

8372 Ermordeten wurden mehr als 1000 noch<br />

nicht beigesetzt. Ihre Körperteile, oft auch<br />

einzelne Knochen, werden noch gesucht und<br />

einzelnen Ermordeten zugeordnet – jedes Jahr<br />

werden so identifizierte Opfer zum Gedenktag<br />

begraben. Die meisten Getöteten wurden kurz<br />

vor Kriegsende exhumiert und über das ganze<br />

Land verstreut in weiteren Massengräbern<br />

deponiert. Ein panischer und feiger Versuch<br />

das gesamte Ausmaß des Verbrechens<br />

zu verschleiern.<br />

DIE HOFFNUNG IST<br />

GESTORBEN<br />

Bis heute werden in den Wäldern<br />

Knochen oder Leichenteile gefunden.<br />

So passiert es, dass Mütter<br />

die Körperteile ihrer Söhne in drei<br />

verschiedenen Massengräbern<br />

finden. Andere Mütter gehen durch<br />

das Leben mit nur einem Wunsch: ihren Sohn<br />

zu finden und zu begraben. Viele von ihnen<br />

sind gestorben, bevor ihnen dieser Wunsch<br />

erfüllt wurde.<br />

Aber diese Menschen sind für mich nicht<br />

vermisst. Das waren sie vielleicht kurz nach<br />

Kriegsende, als man sie für vermisst hielt.<br />

Aber kann man heute, 30 Jahre nach Kriegsende,<br />

noch von „vermissten Personen“ sprechen?<br />

Ja, sie werden von ihren Allerliebsten<br />

vermisst. Aber die Hoffnung, sie noch lebend<br />

aufzufinden, ist gestorben. Genau wie sie.<br />

Sie sind viel eher vergraben, verscharrt und<br />

versteckt. ●<br />

© Zoe Opratko<br />

26 / MIT SCHARF /


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aus dem Samowar: Was bei neuen und alteingesessenen Wiener:innen<br />

zu einer gelungenen Grillage gehört, haben wir uns<br />

bei einer Tour durch Wiens Grillzonen auf der Donauinsel näher<br />

angesehen. Vorsicht – diese Fotostrecke macht Hunger auf mehr.<br />

Von Nada El-Azar-Chekh, Fotos: Zoe Opratko<br />

28 / EMPOWERMENT / RAMBAZAMBA SPECIAL | WIEN / /


RAMBAZAMBA | WIEN / 29


DER FRÜHE VOGEL FÄNGT DIE BANK<br />

Adam zog vor 20 Jahren aus der Türkei nach Österreich<br />

und kreuzt gerne schon um 7 Uhr früh in der<br />

Grillzone bei der Steinspornbrücke auf, um eine der<br />

heiß begehrten Tisch-Bank-Kombinationen zu ergattern.<br />

Die Zeit bis zum großen Mittagessen mit seiner<br />

Frau und seinen beiden Kindern überbrückt er, indem<br />

erst einmal der Samowar mit türkischem Tee hergerichtet<br />

wird. Immer mit dabei: eine kleine Axt, um<br />

die Holzscheite für den Holzofen zu zerstückeln. Auf<br />

den Grill kommt bei dem Imker selbstgeschlachtetes<br />

Lamm aus Tschechien. Den Grillmeister spielt an jenem<br />

Tag Adams Nachbar, ihre Ehefrauen haben sich vor<br />

fast zehn Jahren im Deutschkurs kennengelernt und<br />

die Familien verbringen seither viel Zeit miteinander.<br />

Neben Lamm und Huhn gibt es selbst gemachtes Fladenbrot<br />

und einen frischen Gemüsesalat mit gerösteter<br />

Melanzani und rotem Pfeffer als Beilage.<br />

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GETEILTE FAMILIENTRADITIONEN<br />

Wenn eine syrische und eine ägyptische Familie<br />

gemeinsam grillen, bedeutet das vor allem eines:<br />

Es gibt ordentlich Fleisch. „Wir essen halt anders<br />

als die Österreicher. Bei denen gibt es doch nur ein<br />

Mal pro Woche Fleisch, ansonsten essen sie vegan,<br />

oder?“, fragt eine zweifache Mutter, die seit 1997 in<br />

Wien lebt. Das Fleisch für die Schaschlikspieße wird<br />

einen ganzen Tag lang in einer Joghurt-Marinade im<br />

Kühlschrank aufbewahrt, damit es zart wird. Natürlich<br />

darf ein durch Kurkuma gewürzter, knallgelber<br />

Reis und hausgemachter Hummus zum arabischen<br />

Fladenbrot nicht fehlen. Rund um den selbst mitgebrachten<br />

Tisch spielen die Kinder Fußball und<br />

kommen für ein Stück Wassermelone oder ein Glas<br />

Saft zurück. Die Nachbarn grillen zum ersten Mal<br />

gemeinsam – sieht ganz nach dem Beginn einer neuen,<br />

geteilten Familientradition aus.<br />

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32 / RAMBAZAMBA | WIEN /<br />

SONNENBLUMENKERNE UND<br />

SUPPE AUS DEM KESSEL<br />

Eine Gruppe tschetschenischer Männer sitzt im Kreis<br />

um den Grill, über dem bald ein mit einem speziellen<br />

Gerüst befestigter Kessel hängen soll. Ihre Gespräche<br />

werden vom stetigen Knabbern von Sonnenblumenkernen<br />

begleitet. Was wird es Leckeres aus dem Topf<br />

geben? „Eine typisch tschetschenische Suppe, mit<br />

Rindfleisch und reichlich Gemüse“, entgegnet einer der<br />

bärtigen Männer.<br />

Unweit der Männergruppe hat eine türkisch stämmige<br />

Großfamilie am Donauufer groß aufgeschlagen: Teekannen<br />

und gleich mehrere Grills versorgen die Gruppe<br />

aus zwanzig Familien mitgliedern, im angrenzenden Zelt<br />

hält ein Cousin seinen Verdauungsschlaf. „Die Älteren<br />

von uns sind in der Türkei geboren, die Jüngeren hier in<br />

Wien“, erklärt eine der jugendlichen Töchter. Faschierte<br />

Laibchen und Kotelett vom Lamm und diverse hausgemachte<br />

Salate bringen genug Energie für den ganzen<br />

Tag auf der Insel.


„WIR SIND ÄGYPTER!“<br />

Auch in der Brigittenauer Bucht sind Menschen noch<br />

am Abend eifrig am Grillen: Wir werden auf eine Gruppe<br />

junger ägyptischstämmiger Männer aufmerksam.<br />

„Wir kennen uns alle aus Kindertagen, aufgewachsen<br />

am Schöpfwerk“, erzählt uns einer von ihnen. Heute<br />

Morgen sollen sie insgesamt <strong>23</strong> gewesen sein, davon<br />

waren noch 18 am Abend übrig. Ein großes Zelt, das<br />

locker für 20 Festivalgäste Platz bietet, umrahmt im<br />

Hintergrund den Grill. „Das hat alles unser Chefkoch<br />

mitgebracht“, erklären die Jungs aus Meidling. Spieße,<br />

Cheeseburger, kiloweise Gemüse und hausgemachtes<br />

Brot („Von Mama!“) gibt es hier, bis die Tische sich<br />

biegen. „Wie wollt ihr das alles essen?“, fragen wir. Die<br />

stolze Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen:<br />

„Wir sind Ägypter!“<br />

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SHISHA UND MUSIK AUS DEM IRAK<br />

Deutlich entspannter her geht es einige Schritte<br />

entfernt bei einer Gruppe aus dem Irak. Hier klatscht<br />

man im Rhythmus zu arabischer Musik und blubbert<br />

fröhlich an der Wasserpfeife. Den Grill hat man von<br />

seinen Kochzwecken gelöst und wird nun für einen<br />

stetigen Nachschub an Kohle für die Shisha verwendet.<br />

Ein junger Mann mit Lockenpracht, er ist<br />

schließlich Friseur, bereitet die Tabakmischung vor.<br />

Seine Finger pink gefärbt vom Granatapfeltabak.<br />

Wir haben zuvor bereits den Tipp bekommen: Immer<br />

Handschuhe mitnehmen zur Grillerei. ●<br />

CHECKLISTE:<br />

Darauf solltest du bei deinem nächsten Barbecue<br />

achten.<br />

→ Salate und Beilagen am besten zuhause vorbereiten<br />

und das Dressing kurz vor dem Essen dazugeben.<br />

→ Handschuhe und Seife garantieren sauberes<br />

Arbeiten.<br />

→ Lunchdosen für Reste nicht vergessen!<br />

→ Feuerfestes Grillbesteck ist das A und O für<br />

Sicherheit.<br />

→ Dein mitgebrachter Grill sollte mindestens 15 cm<br />

über dem Boden stehen.<br />

→ Nimm Sonnenschutz und eine Kopfbedeckung<br />

mit, um der Hitze zu trotzen.<br />

→ Statt Fleisch eignen sich auch Gemüse wie Karfiol,<br />

Melanzani und Portobello-Pilze als Alternativen.<br />

34 / RAMBAZAMBA / MIT SCHARF | WIEN / /


GRILLEN IN WIEN – ABER WO?<br />

Du möchtest es ganz privat? Auf dem Balkon, Terrasse<br />

und im Garten ist das Grillen grundsätzlich erlaubt,<br />

solange man dadurch die Nachbarn nicht stört oder<br />

es durch den Mietvertrag bzw. die Hausordnung nicht<br />

ausdrücklich untersagt ist.<br />

Grillzonen: Die Stadt Wien stellt acht Grillzonen zur<br />

Verfügung, in denen kostenfreies Grillen mit dem<br />

eigenen Grill möglich ist:<br />

▶ Brigittenauer Bucht (Neue Donau, zwischen Brigittenauer<br />

Brücke und Brigittenauer Badebucht),<br />

erreichbar mit dem Bus 20A<br />

▶ Steinspornbrücke (Neue Donau, zwischen Ostbahnbrücke<br />

und Steinspornbrücke), erreichbar mit<br />

dem Bus 92A<br />

Grillplätze: Die 15 Grillplätze der Stadt Wien kann<br />

man online für nur 10 Euro pro Reservierung<br />

mieten! Nähere Auskünfte<br />

bekommt man beim Inseltelefon: 01<br />

4000 96500 oder online bei der Stadt<br />

Wien unter:<br />

/ RAMBAZAMBA / MIT SCHARF | WIEN / / 35


KOMMENTAR<br />

„SEID’S IHR ALLE DEPPERT?“<br />

Von Aleksandra Tulej<br />

Fünfzehn Frauenmorde, Causa Rammstein & Co.:<br />

Warum debattieren wir wieder einmal über sexualisierte Gewalt?<br />

Was steht hier zur Debatte? Wann hört das endlich auf?<br />

Und welche Mitschuld tragen wir Medien?<br />

Anfang Juli wird eine Frau in Wien<br />

Ottakring von einem Mann erstochen.<br />

Es ist der fünfzehnte Frauenmord in<br />

Österreich im Jahr 20<strong>23</strong>, der dreizehnte,<br />

der als Femizid eingestuft wird. „Wie<br />

kann das schon wieder passieren?“ fragen<br />

sich Gesellschaft, Politik und Medien.<br />

Wieder einmal. Ja, wie denn? Ziehen wir an<br />

dieser Stelle mal Bilanz.<br />

„Kann es sein, dass ihr zwei ein bissl deppert<br />

seid‘s?“ – So reagierte ein Wiener Polizist auf den<br />

Anruf einer Frau, die den Notruf gewählt hatte, weil<br />

ihr Ex-Ehemann mit einem Messer auf sie losgegangen<br />

ist. Als der Beamte versuchte, nach der Adresse<br />

zu fragen, waren nur mehr Schreie und „Geräusche,<br />

die wie Lachen klangen“ zu hören, danach wurde<br />

das Gespräch abgebrochen. Ein Zeuge rief daraufhin<br />

nochmals bei der Polizei an, und diesmal wurde<br />

der Anruf ernst genommen. Die Frau überlebte nur<br />

knapp. Die Konsequenz? Der Polizist wurde zu einer<br />

Geldstrafe von 8.000 Euro verurteilt, er darf weiter<br />

im Dienst bleiben. Ehrlicherweise hat mich diese<br />

Meldung nicht schockiert. Es werden sich kurz alle<br />

aufregen und bis zum nächsten Femizid schweigen,<br />

und dann wieder aufschreien. Auch wir Medien.<br />

„DAS IST HALT SEX, DRUGS &<br />

ROCK’N’ROLL“<br />

Bekannterweise sorgte auch die Causa Rammstein in<br />

den letzten Wochen überall für Schlagzeilen: Anfang<br />

Juni 20<strong>23</strong> warfen mehrere Frauen dem Rammstein-<br />

Frontsänger Till Lindemann sexuelle Übergriffe,<br />

Machtmissbrauch und teilweise die Verabreichung<br />

von Betäubungsmitteln im Rahmen von Rammstein-<br />

Konzerten vor. Die Konsequenz? Vorerst<br />

wurden die Afterpartys nach den Konzerten<br />

abgesagt und die „Row Zero“<br />

gibt es nicht mehr. Die Ermittlungen<br />

laufen.<br />

Was passiert aber in der Öffentlichkeit?<br />

Was tun wir Medien? Es wird – wieder<br />

einmal – über sexualisierte Gewalt debattiert.<br />

Aber warum, verdammt noch mal, debattieren<br />

wir überhaupt darüber? Es ist jedes Mal dasselbe:<br />

Eine Person, die in der Öffentlichkeit steht, wird<br />

mit Missbrauchsvorwürfen konfrontiert, und sofort<br />

schreien alteingesessene Fans auf, dass ihr Idol so<br />

etwas doch niemals getan haben könnte und, dass<br />

die mutmaßlichen Opfer doch nur Aufmerksamkeit<br />

und Fame wollen. Egal, ob Sänger, Politiker, Schauspieler,<br />

ein Andrew Tate, die Liste ist ewig lang. So<br />

auch jetzt: In den letzten Wochen gab es unzählige<br />

Talk-Shows, Gesprächsrunden und öffentliche<br />

Stellungnahmen zu dem Fall Lindemann: Neben<br />

Solidaritätsbekundungen mit den Opfern kamen und<br />

kommen auch immer wieder Menschen, vorwiegend<br />

ältere Männer, zu Wort, die Lindemann verteidigen:<br />

„Der wird das nie getan haben“, „Das ist halt Sex,<br />

Drugs & Rock’n’Roll“, „Die Frauen wollen doch nur<br />

Aufmerksamkeit“, um nur wenige der verstörenden<br />

Aussagen zu nennen. Wenn wir Medien solchen<br />

Menschen eine Plattform bieten, ist die Absicht<br />

häufig die, aufzeigen, wie sie denken, und wie viel<br />

in unserer Gesellschaft hinsichtlich dieser Themen<br />

noch schiefläuft. Aber ich bin mir gerade nicht ganz<br />

sicher, ob wir dabei das gewünschte Ziel erreichen.<br />

Das Machtverhältnis ist einfach zu unausgewogen,<br />

diejenigen mit den „kontroversen Meinungen“<br />

© Zoe Opratko<br />

36 / RAMBAZAMBA /


schreien ja bekanntlich am lautesten. Ich frage mich<br />

an dieser Stelle, wieso diese Debatte immer und<br />

immer wieder gleich abläuft. Wie bringt uns das<br />

weiter? Und welche Konsequenzen hat das für Täter?<br />

In diesem Zusammenhang von „Cancel Culture“ zu<br />

sprechen, ist mehr als geschmacklos. Bewährungsstrafen<br />

oder Geldstrafen, die vor allem einflussreiche<br />

Menschen mit Top-Anwält:innen leicht abschütteln<br />

können, sind auch keine ausreichende Maßnahme.<br />

Anstatt uns immer weiter im Kreis zu drehen und so<br />

zu tun, als wären das alles Einzelfälle, und „Es ist ja<br />

eh nichts passiert“ zu murmeln, nehmen wir das bitte<br />

endlich ernst. Ich weiß, es ist unangenehm. Genau<br />

deshalb sprechen wir jetzt darüber. Das gilt vor allem<br />

für jene Männer – aber auch Frauen – die jetzt defensiv<br />

den Kopf schütteln werden und sich fragen, ob es<br />

„wirklich so schlimm ist“. Ja, ist es.<br />

WELCHE FRAU DENKT GERNE AN<br />

SEXUELLE ÜBERGRIFFE ZURÜCK?<br />

Niemand zwingt euch, eure Songs vom Handy zu<br />

löschen, niemand verlangt, dass ihr eure Shirts einer<br />

problematischen Band weghaut oder keine Filme<br />

eines Regisseurs mehr schaut. Wer sich aber lieber<br />

Sorgen um das Image des mutmaßlichen Täters<br />

macht, als sich einzugestehen, dass Machtmissbrauch<br />

und sexualisierte Gewalt durchaus alltägliche<br />

Probleme sind, die gerne totgeschwiegen werden,<br />

dann haben wir echt ein Problem. Und wir sprechen<br />

hier ja bloß von den Fällen, die an die Öffentlichkeit<br />

gelangen. Aber genug zu den Medien, wir müssen<br />

über die Fälle reden, die nicht an der Öffentlichkeit<br />

sind.<br />

Ganz, ganz viele Fälle werden niemals zur Anzeige<br />

gebracht. Weil die Opfer nicht ernst genommen<br />

werden, aus Angst vor dem Täter, oder eben aus<br />

Scham. Welche Frau stellt sich freiwillig hin und<br />

erzählt öffentlich darüber, dass sie sexualisierte<br />

Gewalt erlebt hat? Welche Frau ist jemals dadurch<br />

„berühmt“ geworden, weil sie einen Täter angezeigt<br />

hat? Welche Frau will dafür „bekannt“ sein, ein Missbrauchsopfer<br />

zu sein? Wie viele Situationen haben<br />

ich und Frauen in meinem Umfeld in den letzten<br />

Jahren kleingeredet, totgeschwiegen und lachend<br />

abgetan? Unzählige. Wir sind mit dem Verständnis<br />

aufgewachsen, dass es normal ist, wenn dir als<br />

Teenagerin ein Mann im Vorbeigehen im Club an den<br />

Po grapscht, dass es normal ist, wenn jemand deine<br />

Betrunkenheit ausnutzt, dass es normal ist, dass man<br />

Männern irgendetwas schuldet, wenn man auch nur<br />

kurz ein „zu freundliches“ Signal gesendet hat. Und<br />

wenn man einmal für sich oder wen anderen aufgestanden<br />

ist und laut gesagt hat, dass eine Situation<br />

überhaupt nicht in Ordnung war? „Stell dich nicht so<br />

an“, „Es ist ja nichts passiert“, „Jetzt komm mal runter“,<br />

waren die Klassiker. Das waren keine Aussagen<br />

von Tätern, sondern von Menschen im Freundeskreis.<br />

Auch von Frauen, auch von mir. Wir dachten<br />

lange, dass das alles normal ist.<br />

ANDERE ZEITEN? NA UND?<br />

Es widert mich an, wenn ich jetzt darüber nachdenke.<br />

„Damals war es halt so, das waren andere<br />

Zeiten“, hört man in Retrospektive. Ja, eh. Vielleicht<br />

versuchen wir auch, uns selbst zu schützen und vor<br />

uns selbst zu rechtfertigen? Welche Frau erinnert<br />

sich schon gerne daran zurück, als ein fremder Mann<br />

seinen steifen Penis in der U-Bahn an ihr gerieben<br />

hat? Welche Frau erinnert sich gerne daran zurück,<br />

als zwei Männer sie vor dem Club in ein Gebüsch<br />

zerren wollten? Ich nicht. Ich habe naiverweise<br />

geglaubt, dass all das nicht mehr passiert, wenn<br />

man älter wird. Bis mir vor einem Monat ein fremder,<br />

betrunkener Mann an der Straßenbahn-Haltestelle in<br />

den Po gekniffen hat. Wohlgemerkt stand ich in Hoodie<br />

und langer Hose da, auf keine Weise irgendwie<br />

aufreizend, was übrigens auch keine Rolle zu spielen<br />

hat. Dieses Gefühl von Ekel, das ich von früher zu<br />

gut kannte, hat mich dann tagelang begleitet. Ich<br />

habe diese Zeile in diesem Text übrigens gerade<br />

zweimal gelöscht, aus Scham und aus Ekel. Aber<br />

damit ist jetzt Schluss. Und dann die Gedanken: Hätte<br />

ich nicht so laut Musik gehört, hätte ich ihn sich<br />

ja anschleichen gehört, oder? Aber: Wieso muss<br />

ich dem entgegenwirken? Wie komme ich dazu? Ich<br />

habe einfach echt keine Lust mehr, das immer und<br />

immer wieder zu erklären. Ein letztes Mal: Niemand<br />

denkt gerne an sexuelle Übergriffe zurück – allein,<br />

dass ich das hier ausschreiben muss, ist ein komplettes<br />

Armutszeugnis für unsere Gesellschaft.<br />

Aber nochmal: Scheinbar gibt es immer noch genug<br />

Menschen, die ernsthaft glauben, dass man als Frau,<br />

die sexualisierte Gewalt erlebt hat, irgendeine Form<br />

von Aufmerksamkeit und Berühmtheit erlangen will.<br />

Seid‘s ihr deppert? ●<br />

Aleksandra Tulej, Chefredakteurin<br />

tulej@dasbiber.at<br />

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SOMMER IN WIEN:<br />

Coole Tipps für alle, die diesen Sommer<br />

in der Großstadt verbringen.<br />

Von Maria Lovrić-Anušić<br />

Du fliegst diesen Sommer<br />

nicht ans Meer oder in die<br />

Berge? Kein Problem, denn<br />

der Sommer im Beton-<br />

Dschungel ist alles andere<br />

als trist und langweilig! Ob<br />

Alpaka-Wanderung, eine<br />

Radtour in Seestadt oder<br />

ein Besuch im Freiluftkino:<br />

Für jeden ist etwas dabei.<br />

KINO MAL ANDERS<br />

Du möchtest die Sommernächte nicht in einem geschlossenen Kinosaal verbringen,<br />

aber trotzdem keinen Film verpassen? Dann ist das Freiluftkino auf<br />

der Dachterrasse der Hauptbücherei Wien die perfekte Lösung für dich! Beim<br />

„Kino am Dach“ kannst du dir bis zum 10. September täglich einen Filmklassiker<br />

ansehen. Snacks und Getränke gibt es natürlich auch vor Ort. Im Juli<br />

starten die Filme um 21 Uhr, im August um 20:30 Uhr und im September um<br />

20 Uhr. Tickets kannst du dir direkt online oder an der Abendkassa besorgen.<br />

KAFFEEKLATSCH IM<br />

CAFÉ HILDEBRANDT<br />

Das Café Hildebrandt im Volkskundemuseum<br />

ist der perfekte Spot<br />

für ein gemütliches Frühstück,<br />

Mittagessen oder ein Coffee-Date<br />

zwischendurch. Der Gastgarten mit<br />

romantischem Flair lädt abgetrennt<br />

vom Großstadttrubel zum Abschalten<br />

ein. Um eine Tischplatzreservierung<br />

wird gebeten.<br />

AFRIKA TAGE AUF<br />

DER DONAUINSEL<br />

Afrobeats, authentisches afrikanisches<br />

Essen und gute Laune erwarten<br />

dich vom 11. bis zum 28. August<br />

mitten auf der Donauinsel. 18 Tage<br />

lang kannst du sowohl durchfeiern<br />

als auch an coolen Workshops wie<br />

z.B. „Afrodance“ teilnehmen. Montags<br />

ist der Eintritt frei und den Rest<br />

der Woche kostet eine Tageskarte<br />

bei einem Eintritt vor 17 Uhr nur 12<br />

Euro. Aufgepasst: Schüler:innen und<br />

Student:innen bekommen zusätzlich<br />

50% Rabatt auf den Eintritt.<br />

© Stefan Dworak, Hildebrandt Café<br />

38 / RAMBAZAMBA | WIEN /


WANDERN MIT ALPAKAS<br />

Normalerweise leben sie in Peru, Chile oder<br />

Bolivien. Die drei Alpaka-Brüder Cosmo,<br />

Benny und Henry heißen euch allerdings bei<br />

„Alpaka-Wandern-Wien“ im <strong>23</strong>. Bezirk Willkommen.<br />

Hier könnt ihr bei ein- bis dreistündigen<br />

Wanderungen die Tiere füttern, Fotos mit<br />

ihnen machen und sie sogar streicheln.<br />

Auf ihrer Website könnt ihr euch direkt einen<br />

Termin für eure Wanderung ausmachen.<br />

SEESTADT-FAHRRADTOUR<br />

Jeder liebt Fahrradfahren, doch die Radwege in der inneren Stadt sind<br />

häufig unübersichtlich und gefährlich. Wer im Sommer eine entspannte<br />

Radtour ohne hupende Autos machen möchte, sollte unbedingt die<br />

Seestadt erkunden. Ab der U2-Station Hausfeldstraße erwartet dich<br />

ein 15 Kilometer langer Radweg. Achtung: Vergiss<br />

deine Badesachen nicht, denn nach der Tour kannst<br />

du dich im Asperner See abkühlen.<br />

Tipp: Wer kein eigenes Fahrrad hat, kann sich<br />

ganz easy über die „Wien Mobil“-App ein City-Bike<br />

checken<br />

ABKÜHLUNG<br />

GEFÄLLIG?<br />

Wenn dir die Hitze mal zu Kopf<br />

steigt, dann bekommst du an<br />

einem der „Wiener Cooling<br />

Spots“ die nötige Portion Abkühlung.<br />

In der „Stadt Wien“ – App<br />

kannst du unter dem Reiter „Cooles<br />

Wien“ abchecken, wo sich<br />

der nächste Trinkwasserbrunnen<br />

oder Wassersprinkler befindet.<br />

© Alpaka Wandern Wien, Raffael F. Lehner<br />

KUNST-LIEBLINGE<br />

AUFGEPASST:<br />

Wer diesen Sommer etwas aus Wien raus und<br />

sich von Kunst berieseln lassen möchte, sollte<br />

unbedingt einen Tagesausflug nach Krems<br />

einplanen. Auf einer Strecke von 1,6 km bietet<br />

die Kunstmeile Krems eine Vielzahl an Museen,<br />

Galerien und Ausstellungen an. Vom „Karikaturmuseum“<br />

bis hin zur „Landesgalerie Niederösterreich“<br />

ist für jeden Geschmack etwas dabei.<br />

Mit dem Zug kommt man auch in nur circa einer<br />

Stunde bei der Kunstmeile an.<br />

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SAFER SEX<br />

EIN BLINDER FLECK<br />

IN DER AUFKLÄRUNG?<br />

„Spitz auf Doggy?“, „Scharf auf<br />

Scissoring?“ – „Ja. SAFE!“. An<br />

dieser Informationskampagne des<br />

Gesundheitsministeriums störte<br />

sich die FPÖ so sehr, dass sie<br />

prompt Anzeige gegen Minister<br />

Rauch erstattete. Der Aufschrei<br />

rund um das Thema Safer Sex<br />

sollte in unserer Gesellschaft<br />

allerdings ganz woanders liegen.<br />

Von Anja Bachleitner<br />

Einmal nicht aufzupassen ist einmal zu viel, Kind!“ Mit<br />

diesem Warnhinweis meiner Mutter, der ausschließlich<br />

auf ungewollte Schwangerschaften bezogen<br />

war, wurde ich in meine erste Beziehung mit einem<br />

Mann entlassen. Er fasst das Aufklärungsgespräch, das ich von<br />

zu Hause bekommen habe, lückenlos zusammen. Und obwohl<br />

meine Mama hier einen guten Punkt gebracht hat, bestimmte<br />

er lange Zeit meinen einzigen Fokus, wenn es um Verhütung<br />

ging. Rückblickend erkenne ich einen großen blinden Fleck,<br />

sowohl bei mir, als auch in meinem Umfeld: das Bewusstsein<br />

für sexuell übertragbare Krankheiten. Auch die Schule konnte<br />

mein fehlendes Wissen in dem Bereich nicht kompensieren.<br />

Und das, obwohl es seit den 1970ern in Österreich einen<br />

Grundsatzerlass gibt, der sexuelle Bildung als unterrichtsübergreifendes<br />

Prinzip festlegt.<br />

Für die klinische Sexologin Magdalena Heinzl sind meine<br />

Erzählungen nicht überraschend. Bei unserem Gespräch<br />

erklärt sie mir, dass es, trotz des Grundsatzerlasses, oftmals<br />

vom Engagement der Lehrpersonen abhänge, wie das Thema<br />

sexuelle Bildung in den Unterricht integriert werde. Gleichzeitig<br />

gäbe es aber kein verpflichtendes Fach Sexualpädagogik in<br />

der Ausbildung für Lehrkräfte. Die Kampagne des Gesundheitsministeriums<br />

sieht die Sexualtherapeutin durchwegs<br />

positiv. Es brauche mehr Verantwortung beim Thema sexuelle<br />

Gesundheit - einerseits von Einzelpersonen, die sich regelmä-<br />

© freepik.com<br />

40 / RAMBAZAMBA /


ßig testen lassen, andererseits muss auch auf institutioneller<br />

Ebene der Zugang zu gesundheitlichen Check-ups erleichtert<br />

werden. Heinzl findet es außerdem wichtig, dass mit Slogans<br />

wie „Scharf auf Scissoring?“ auch queere Jugendliche angesprochen<br />

werden, da viele unter ihnen, mit dem Wegfall der<br />

Schwangerschaftsverhütung, gar nicht an das Thema denken<br />

würden. Im Aufklärungsunterricht an Schulen würde zudem<br />

nach wie vor die heterosexuelle Perspektive dominieren.<br />

AUFGEKLÄRT SEIN,<br />

BEDEUTET SICHER SEIN<br />

Laut Heinzl sei es nicht das Problem, dass Kinder mit den<br />

Inhalten der Kampagne konfrontiert werden könnten, die<br />

übrigens gänzlich auf die Darstellung von Erotik und Pornografie<br />

verzichtet, sondern, dass Kinder oft keine erwachsenen<br />

Bezugspersonen hätten, die bereit sind, potentielle Fragen<br />

dazu zu beantworten. Eltern würden die Thematik gerne der<br />

Schule überlassen und die Schule geht umgekehrt davon aus,<br />

dass Aufklärungsarbeit zu Hause passiert. Am Ende laufe es<br />

laut Heinzl immer wieder darauf hinaus, dass es eine flächendeckende<br />

Finanzierung sexueller Bildung in Österreich brauche,<br />

nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern auch für<br />

Erwachsene. Denn viele Erwachsene hätten selbst Wissenslücken<br />

und Eltern stünden oft vor der Frage, wie sie das Thema<br />

Sexualität kindgerecht vermitteln können. In diesem Zusammenhang<br />

gäbe es zahlreiche Studien, so Heinzl, die belegen,<br />

dass aufgeklärte Kinder weniger Risiken ausgesetzt sind<br />

- sowohl was sexuelle und sexualisierte Gewalt betrifft als<br />

auch, im späteren Leben, Schwangerschaftsverhütung und<br />

Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten. Diskurse über<br />

Sexualität aus der Öffentlichkeit zu verbannen, scheint also nie<br />

zielführend zu sein - für kein Mitglied unserer Gesellschaft. ●<br />

© Verlagsgruppe Beltz<br />

„BOCK AUF RIMMING“ ODER DOCH<br />

LIEBER „BLÜMCHENSEX“?<br />

Zu lesen sind die Slogans der Kampagne auf Postkarten,<br />

Bierdeckeln und Plakaten, die in Clubs und Bars aufliegen. Die<br />

Fragen „Heiß auf Blümchensex?“, „Bock auf Rimming?“ oder<br />

„Spitz auf Doggy?“ werden darauf stets mit „Ja. SAFE!“ beantwortet.<br />

Auf der Webseite des Gesundheitsministeriums wurde<br />

zudem eine Seite eingerichtet, die über sexuell übertragbare<br />

Krankheiten und Infektionen aufklärt und unter dem Motto<br />

„Nein heißt nein, Ja heißt Ja. SAFE!“ sowohl Konsens, als auch<br />

sexuelle Gesundheit in den Mittelpunkt stellt. Die FPÖ sieht<br />

darin nun einen Verstoß gegen §2 des Pornographiegesetzes,<br />

denn der Informationsgehalt der Kampagne über den Schutz<br />

vor sexuell übertragbaren Krankheiten sei zu gering. „Vielmehr<br />

scheint die 'Enttabuisierung' wenig bekannter Sexualpraktiken<br />

bzw. das Bewerben dieser Praktiken im Vordergrund<br />

zu stehen“, so FPÖ-Familiensprecherin Rosa Ecker, die sich<br />

gleichzeitig um Kinder sorgt, welche die Kampagne durcheinanderbringen<br />

könnte.<br />

Wieder einmal also schiebt eine rechte Partei den Kinderschutz<br />

vor, um Politiken für progressive Sexualität oder queere<br />

Themen im Allgemeinen zu verunglimpfen – dass die Anzeige<br />

unmittelbar vor der Regenbogenparade erstattet wurde, ist in<br />

diesem Zusammenhang mindestens auffällig. Die FPÖ hat sich<br />

durch ihre Reaktion auf die Kampagne nicht nur den Spott aus<br />

dem Internet zugezogen, sondern auch eine verhöhnend gelassene<br />

Reaktion des Gesundheitsministers. Er bedankte sich bei<br />

einer Pressekonferenz für den Gewinn an Aufmerksamkeit, die<br />

die Safer-Sex-Kampagne dadurch verzeichnen durfte. Noch<br />

dazu scheint die Argumentation der FPÖ vor der Expertise<br />

Heinzls nicht Stand zu halten.<br />

NÜTZLICHE ANLAUFSTELLEN<br />

IM ÜBERBLICK:<br />

Infos und Unterstützung rund um das Thema<br />

sexuelle Gesundheit, sowie anonyme Test- und<br />

Beratungsangebote bietet die Aids Hilfe Wien. Darunter<br />

auch Infos und Gespräche für Migrant*innen<br />

in verschiedenen Sprachen.<br />

www.aids.at<br />

Beratung: +43 1 599 37 8426 oder<br />

beratung@aids-hilfe-wien.at<br />

Mariahilfer Gürtel 4, 1060 Wien<br />

Geschlechtskrankheiten können alle Menschen,<br />

unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, betreffen.<br />

Sie bleiben oft unbemerkt und können dabei<br />

trotzdem negative gesundheitliche Folgen nach sich<br />

ziehen und an andere weitergegeben werden.<br />

STIs (englischer Begriff für Geschlechtskrankheiten,<br />

der „Sexually Transmitted Infections“ bedeutet)<br />

können vor allem beim Geschlechtsverkehr (Oral-,<br />

Vaginal- oder Analsex) und, im Fall von HPV, sogar<br />

schon über engen Hautkontakt übertragen werden.<br />

Zur Vorbeugung von Geschlechtskrankheiten dienen<br />

Kondome, Femidome, Lecktücher oder Impfungen<br />

(z.B. bei HPV)<br />

Laut der WHO infizieren sich weltweit über 1 Million<br />

Menschen täglich mit einer Geschlechtskrankheit<br />

Etwa 80 % aller Frauen und Männer werden im Laufe<br />

ihres Lebens mit genitalen HPV infiziert.<br />

Buchtipp: „Was kribbelt da so<br />

schön?“ von Magdalena Heinzl<br />

mit 80 kindgerechten Antworten<br />

auf Fragen zu Sexualität, Körper<br />

und Gefühle.<br />

/ RAMBAZAMBA / 41


DICH<br />

SO AN!<br />

STELL<br />

NICHT<br />

42 / RAMBAZAMBA /


WENN MIGRA-ELTERN PSYCHISCHE<br />

ERKRANKUNGEN NICHT ERNST NEHMEN<br />

Egal, ob Depressionen, Panikattacken oder Angstzustände: Viele Migra-Eltern können<br />

und wollen die psychischen Erkrankungen ihrer Kinder nicht anerkennen.<br />

Von: Maria Lovrić-Anušić, Collagen: Zoe Opratko<br />

Du hast ein Dach über dem<br />

Kopf, Essen und Trinken<br />

am Tisch. Was für einen<br />

Grund hättest du, traurig zu<br />

sein?“, fragten Sanjas Eltern mit einem<br />

ironischen Unterton, als sie von ihren<br />

psychischen Problemen erzählte. Dass<br />

die 25-Jährige mit kroatischen Wurzeln<br />

in der Arbeit gemobbt wurde und sie<br />

dadurch mit starken Panikattacken und<br />

Depressionen zu kämpfen hat, möchten<br />

sie nicht wahrhaben. Sie stößt damit auf<br />

pures Unverständnis. Sie müsse sich<br />

doch um nichts kümmern, außer zur Uni<br />

zu gehen und zu arbeiten. „Immer, wenn<br />

ich versuche meine Panikattacken anzusprechen,<br />

wird mir nicht geantwortet. Es<br />

wird einfach nur hingenommen, als wäre<br />

es nichts“, lässt Sanja ihrer Enttäuschung<br />

freien Lauf.<br />

Sanja ist nicht die Einzige, die von<br />

ihren Eltern mit ihren psychischen Problemen<br />

alleingelassen wird. Wie weit verbreitet<br />

dieses Phänomen ist, zeigt sich<br />

auf Social Media. Immer mehr Migra-Kids<br />

berichten auf TikTok und Instagram<br />

davon, dass sie von ihren Eltern nicht<br />

ernst genommen werden, geschweige<br />

denn Unterstützung bekommen.<br />

Dabei leiden laut dem österreichischen<br />

Integrationsbericht aus dem Jahre 2022<br />

gerade Menschen mit Migrationshintergrund<br />

deutlich häufiger an psychischen<br />

Erkrankungen wie Depressionen und<br />

chronischen Angstzuständen. Allein<br />

unter den Geflüchteten sind, laut dem<br />

österreichischen Depressionsbericht aus<br />

dem Jahre 2019, satte 30 bis 40 Prozent<br />

von Depressionen betroffen.<br />

UNWISSENHEIT UND<br />

KULTURELLE CODES<br />

Menschen mit Migrationsgeschichte<br />

stehen dem Konzept von psychischem<br />

Leid häufig skeptisch gegenüber, erklärt<br />

die Bildungsmanagerin und Geschlechterforscherin<br />

Emina Šarić. „Diese Skepsis<br />

basiert auf einer Mischung aus Halbwissen<br />

und Mythen über psychische<br />

Erkrankungen, welche in ihrer Heimat<br />

vorhanden sind.“ Viele Eltern, die aus<br />

dem Ausland nach Österreich migriert<br />

sind, haben dieses Gedankengut noch<br />

sehr tief verankert und sitzen in einer<br />

Bubble mit kulturellen Codes im Bezug zu<br />

Menschen mit psychischen Erkrankungen<br />

fest. Diese sind stark negativ behaftet<br />

und Betroffene werden prinzipiell ausgegrenzt,<br />

weshalb Eltern nicht wollen,<br />

dass ihre Kinder in dieses Narrativ fallen.<br />

Es herrscht eine große Wissenslücke zu<br />

den Themen psychische Gesundheit und<br />

Therapiemöglichkeiten.<br />

TABUTHEMA: PSYCHISCHE<br />

ERKRANKUNGEN<br />

„Wir werden unser ganzes Leben schon<br />

gemobbt, weil wir Ausländer sind. Das ist<br />

normal“, erklärten Sanjas Eltern ihr, als<br />

sie sich über ihre Mobbingerfahrungen<br />

auf der Arbeit beschwerte. Die 25-Jährige<br />

arbeitete, neben ihrem forderndem<br />

Vollzeit Jusstudium, in einer Anwaltskanzlei.<br />

Dort wurde sie ständig von zwei<br />

Kolleginnen gemobbt und für sie war das<br />

alles andere als normal. „Ich zog mich<br />

zurück, vermied es rauszugehen und<br />

bekam regelmäßig Panikattacken und<br />

Angstzustände, die ich zu verstecken<br />

versuchte“, erzählt Sanja nachdenklich.<br />

Und das nicht ohne Grund. In ihrer Familie<br />

sind psychische Erkrankungen ein<br />

absolutes Tabuthema und werden immer<br />

nur runtergespielt. Diese ablehnende<br />

Haltung kommt nicht von ungefähr. In<br />

ihrer Heimat werden Menschen, die<br />

offensichtlich erkrankt sind, als verrückt<br />

abgestempelt und das wollen Sanjas<br />

Eltern für ihre Tochter nicht. Laut Šarić<br />

ist das ein häufiges Phänomen in Balkanstaaten.<br />

„Behinderte Menschen wurden<br />

im ehemaligen Jugoslawien absolut<br />

abgelehnt und Kinder mit Behinderungen<br />

häufig versteckt. Außerdem herrscht<br />

der Mythos, dass psychisch erkrankte<br />

Menschen ansteckend wären.“ Dieser<br />

Gedanke ist in den Köpfen von Sanjas<br />

Eltern noch sehr stark verankert. Wie<br />

man nach außen hin wirkt, ist demnach<br />

wichtiger, als wie man sich wirklich fühlt.<br />

„Man redet nicht über die eigenen Probleme,<br />

damit niemand dann über einen<br />

reden kann“, erklärt die 25-Jährige.<br />

„<br />

Man redet nicht über<br />

die eigenen Probleme,<br />

damit niemand dann<br />

über einen reden kann.<br />

“<br />

/ RAMBAZAMBA / 43


Nichtsdestotrotz hätte sie sich mehr Verständnis<br />

erwartet, da ihre Mutter selbst<br />

mit Depression diagnostiziert wurde. Sie<br />

hörte ihrer Mutter zu, wenn sie ihr von<br />

ihren Gefühlen berichtete und musste<br />

immer wieder schlucken, denn sie selbst<br />

fühlte sich genauso, nur schenkte ihr<br />

niemand Gehör. Sanja beschloss, ihre<br />

Probleme selbst in die Hand zu nehmen,<br />

und kündigte ihren Job. Seitdem geht es<br />

ihr zwar besser, doch mit den Panikattacken<br />

und dem Herzflattern hat sie heute<br />

noch zu kämpfen und überlegt deswegen<br />

auch, sich ohne die Hilfe ihrer Eltern in<br />

Therapie zu begeben. „Ich wünschte, sie<br />

würden mehr auf mich eingehen, sodass<br />

ich jetzt nicht allein mit mir kämpfen<br />

müsste.“<br />

DIE „NORMALE“ TOCHTER<br />

„Mein Bruder hat eine geistige Behinderung,<br />

darum hatte ich das Gefühl,<br />

ich müsste die ‚Normale‘ sein“, erzählt<br />

Milica. Lange verheimlichte sie aus<br />

diesem Grund ihre Gefühle, doch mit 18<br />

Jahren erzählte sie ihren Eltern ungewollt<br />

von ihren psychischen Problemen.<br />

Zuvor ist sie auf eigene Faust zu einem<br />

Arzt gegangen, der ihr Antidepressiva<br />

verschrieb. Als sie diese abrupt absetzte,<br />

hatte sie starke Nebenwirkungen und<br />

lag eine Woche krank im Bett. „Weil sich<br />

meine Eltern Sorgen gemacht hatten,<br />

dass mit mir körperlich etwas nicht<br />

stimmt, musste ich es ihnen erzählen.“<br />

Ihre Mutter zeigte Verständnis, versank<br />

jedoch schnell in Selbstmitleid und fragte<br />

sich, was sie als Eltern falsch gemacht<br />

hätten. Ihr Vater sah das ganz anders.<br />

Sie müsse nur etwas mehr ausgehen<br />

oder einen Freund finden, dann wäre<br />

alles wieder gut. „Ich glaube, für meinen<br />

Vater sind Depressionen nichts Reales,<br />

sondern nur etwas, das man sich<br />

einbildet“, erzählt die 28-Jährige mit<br />

bosnischen Wurzeln. Diese Einstellung<br />

kommt nicht von ungefähr. Ihre Eltern<br />

mussten sich nach dem Krieg ihren Weg<br />

durchkämpfen, da blieb keine Zeit, sich<br />

um ihre Psyche zu kümmern. Genau<br />

diese durchkämpferische Art erwartet<br />

sich der Vater auch von seiner Tochter.<br />

Laut Šarić nehmen Eltern häufig an,<br />

dass ihre Kinder ein Abbild ihrer selbst<br />

sind. Das führt dazu, dass sie von ihren<br />

Kindern verlangen, mit Problemen so<br />

wie sie selbst umzugehen. Mit 19 Jahren<br />

entschied Milica, nochmal allein zu einer<br />

Therapeutin zu gehen. Diese diagnostizierte<br />

ihre starke Depression, ADHS und<br />

eine soziale Angststörung. Auf Grund<br />

ihrer Diagnose musste sie ihren Job als<br />

Erzieherin aufgeben und in einen Langzeitkrankenstand<br />

gehen, in dem sie sich<br />

bis heute befindet. Echte Anerkennung<br />

für ihre Probleme bekommt sie jedoch<br />

noch immer nicht. „Mein Vater hat bis<br />

heute den Ernst der Lage nicht ganz<br />

verstanden“, so Milica. Er gibt ihr regelmäßig<br />

seltsame Tipps, die er im Internet<br />

gelesen hat, wie sich beispielsweise einfach<br />

nur mehr mit Freunden zu treffen.<br />

Er möchte nicht verstehen, dass seine<br />

Tochter echte Probleme haben könnte.<br />

„<br />

Immer, wenn ich<br />

versuche meine Panikattacken<br />

anzusprechen,<br />

wird mir nicht<br />

geantwortet.<br />

“<br />

Auf der einen Seite verletzt es Milica, zu<br />

wissen, dass ihr Vater gar nicht versteht,<br />

wie es ihr geht. Auf der anderen Seite<br />

jedoch kann sie ihm nicht böse sein,<br />

da er es wahrscheinlich auch gar nicht<br />

besser weiß.<br />

DIE EMOTIONALE<br />

VERNACHLÄSSIGUNG<br />

„Ich glaube, meine Mutter hat unterschätzt,<br />

was meine Schwester und<br />

ich damals gebraucht hätten“, erzählt<br />

Zahra. Als sie vierzehn Jahre alt war,<br />

flog ihre Mutter für ein Jahr in den Iran,<br />

da ihr Vater im Sterben lag. Die beiden<br />

Schwestern blieben mit ihrem Stiefvater,<br />

der viel arbeitete und an manchen Tagen<br />

auch gewalttätig war, zurück. Dabei hätte<br />

Zahra genau zu dieser Zeit eine mütterliche<br />

Hand gebraucht, die sie durch die<br />

Pubertät führt. Sie fühlte sich vernachlässigt<br />

und im Stich gelassen und so kam<br />

es dazu, dass sie begann, sich selbst zu<br />

verletzen. Nicht weil es ihr geholfen hat,<br />

sich besser zu fühlen, sondern um die<br />

Aufmerksamkeit ihrer Mutter auf sich zu<br />

ziehen. „Als meine Mutter zurückkam<br />

und meine Ritznarben sah, sagte sie mir<br />

nur, dass es nicht schön aussieht und<br />

ich deswegen damit aufhören sollte“,<br />

so die Iranerin. Dass ihre Narben das<br />

Resultat von Depressionen und emotionaler<br />

Vernachlässigung waren, wollte<br />

ihre Mutter nicht akzeptieren, geschweige<br />

denn anerkennen. Laut ihr sollte sie<br />

sich nur etwas mehr zusammenreißen.<br />

Zahras Familie lebt nach dem Grundsatz:<br />

Wenn man schweigt, verschwinden die<br />

Probleme früher oder später ganz von<br />

selbst. Therapie im Gegensatz war für<br />

ihre Mutter ein absolutes No-Go, denn<br />

laut ihr würde man sich erst dadurch<br />

Probleme schaffen. „Ich glaube, dass<br />

sie einfach nur Angst hatte, dass die<br />

Familiengeheimnisse, für die sie sich<br />

schämt, rauskommen und dann Leute<br />

44 / RAMBAZAMBA /


über uns reden würden“, stellt die 27-Jährige fest.<br />

Diese Einstellung ist laut Šarić unglaublich gefährlich,<br />

da das Ignorieren der psychischen Bedürfnisse<br />

der Kinder laut der Kinderrechtskonvention unter<br />

emotionale Gewalt fällt und die Probleme der<br />

Kinder verstärken kann. So erging es auch Zahra.<br />

Durch die Vernachlässigung entwickelte sie bereits<br />

mit 15 Jahren Suizidgedanken. Mit diesen konfrontierte<br />

sie ihre Mutter erst letztes Jahr, elf Jahre<br />

später. „Meine Mutter meinte nur, dass meine<br />

Gründe, mir das Leben nehmen zu wollen, lächerlich<br />

waren“, erzählt Zahra kopfschüttelnd. Dass sie<br />

mit 26 Jahren noch mal so von ihrer Mutter verletzt<br />

werden würde, hätte sie nicht erwartet. Ein offenes<br />

Gespräch über Zahras noch immer anhaltende<br />

psychische Probleme ist mit ihrer Mutter bis heute<br />

nicht möglich. Um anderen zu helfen, die ebenfalls<br />

in so einer Situation wie sie stecken, macht sie eine<br />

Ausbildung zur Kinder- und Jugendtherapeutin.<br />

DAS DURCHBRECHEN DER<br />

SPIRALE<br />

„Ich weiß, dass meine Mutter selbst sehr viele<br />

Probleme hatte, und wenn ich jetzt als gleichaltrige<br />

mit ihr reden würde, hätte ich auch Verständnis<br />

für sie“, resümiert Zahra. Viele migrantische Eltern<br />

haben selbst Traumata erlebt, sei es durch Flucht<br />

oder Diskriminierung, die sie nie aufarbeiten konnten.<br />

Sie waren damit beschäftigt, sich in einem<br />

neuen Land zurechtzufinden und ihren Kindern<br />

ein besseres Leben zu ermöglichen. Ihnen fehlte<br />

schlichtweg die Zeit, sich mit ihrer Psyche auseinanderzusetzen.<br />

Darum liegt es an uns und auch an<br />

den kommenden Generationen, über psychische<br />

Erkrankungen sowie Therapiemöglichkeiten aufzuklären,<br />

um diese Spirale des Schweigens endlich<br />

aufzubrechen. ●<br />

HIER GIBT ES BERA-<br />

TUNG<br />

Wenn du oder jemand den du kennst,<br />

psychische Beratung braucht, kannst<br />

du dich an folgende Stellen wenden:<br />

● Rat auf Draht:<br />

147<br />

● Psychosoziale Dienste Wien:<br />

01 4000 53000<br />

● Telefonseelsorge:<br />

142<br />

● Notfallpsychologischer Dienst<br />

Österreich:<br />

069918855400<br />

Österreichische Post AG; PZ 18Z041372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1<strong>07</strong>0 Wien<br />

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20<strong>23</strong><br />

„DU HEIRATEST EINEN<br />

VON UNSEREN LEUTEN!“<br />

WENN DIE ELTERN DER LIEBE IM WEG STEHEN<br />

EIN JAHR KRIEG<br />

WAS DER RUSSISCHE ANGRIFFSKRIEG GEGEN DIE UKRAINE<br />

MIT DEM LEBEN DER DIASPORA ANGERICHTET HAT<br />

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WUT IN DER TÜRKEI<br />

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COP UND<br />

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„ABENDLAND IN<br />

MIGRANTENHAND?“<br />

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APRIL<br />

20<strong>23</strong><br />

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Sache ist nämlich: DU entscheidest, wie<br />

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LIFE & STYLE<br />

Mache mir die Welt,<br />

wie sie mir gefällt<br />

Von Şeyda Gün<br />

MEINUNG<br />

Schieb dein<br />

Leben nicht auf<br />

Sebastian Kurz und ich haben jetzt nicht<br />

so viel gemeinsam. Aber sein berühmter<br />

Sager „Ich will nicht mehr. Ich kann<br />

nicht mehr. Ich halte das alles nicht<br />

mehr aus“ – ja, mit dem kann ich mich<br />

identifizieren. So fühlt sich nämlich mein<br />

aktueller Lebensabschnitt an. Eigentlich<br />

bin ich kein Fan von Vorsätzen, aber<br />

mein 20<strong>23</strong> war bisher etwas zwischen<br />

einer Achterbahnfahrt und einem neverending<br />

Alptraum. Genau aus diesem<br />

Anlass habe ich mir vorgenommen mich<br />

selbst als Priorität in meinem Leben zu<br />

setzen. Solange es mir nicht gut geht,<br />

werde ich meinem Umfeld auch nichts<br />

Gutes tun können. Mein größter Fehler<br />

bisher war, dass ich mein Leben immer<br />

aufgeschoben habe, und genau das<br />

möchte ich nicht mehr. Egal ob es eine<br />

Reisedestination ist, die ich erkunden<br />

möchte, die Party, auf die ich unbedingt<br />

gehen möchte, oder eine Ausstellung,<br />

die mir nicht entgehen soll – ich werde<br />

mir dafür die Zeit nehmen. Während wir<br />

vom Alltagsstress aufgefressen werden,<br />

vergessen wir eine wesentliche Sache:<br />

die Vergänglichkeit des Lebens. Deshalb<br />

habe ich für mich beschlossen, im<br />

Hier und Jetzt zu leben, alles andere ist<br />

nebensächlich.<br />

guen@dasbiber.at<br />

COCKTAILS<br />

UND BABA<br />

AUSSICHT<br />

Der Sommer ist da, die Temperaturen<br />

steigen: Sommerstimmung on! Was<br />

gibt es Besseres als den Abend in<br />

einer schönen Rooftop-Bar ausklingen<br />

zu lassen? Deshalb habe ich für euch<br />

drei super schöne Spots über den<br />

Dächern Wiens ausgesucht:<br />

● Aurora Rooftop Bar, Arsenalstraße<br />

10, 1100 Wien<br />

● Atmosphere Rooftop Bar,<br />

Schubertring 5-7, 1010 Wien<br />

● JUWEL Wien, Taborstraße 1-3,<br />

1020 Wien<br />

3 FRAGEN AN:<br />

RENDL<br />

Passend zum Sommer: Designerin<br />

Rosa Rendl beantwortet uns drei<br />

kurze Fragen zu ihrem nachhaltigen<br />

Modelabel RENDL und<br />

alles rund um ihre selbstkreierte<br />

Bademode.<br />

Was macht die RENDL Badeanzüge so<br />

besonders?<br />

Die Badeanzüge haben zeitlose Designs,<br />

die keinem Trend folgen und für unterschiedliche<br />

Figurtypen entworfen wurden.<br />

Einige der Modelle gibt es bis Größe<br />

XXXL. Es ist mir wichtig, dass man sich in<br />

den Swimsuits angezogen und supportet<br />

fühlt. Ein gut sitzender Badeanzug oder<br />

Bikini gibt einem ein unglaublich starkes<br />

Gefühl. Er ist wie eine Schutzschicht<br />

und gibt seiner Trägerin gleichzeitig das<br />

Gefühl, unabhängig und sexy zu sein.<br />

Was sind deine Inspirationsquellen?<br />

Meine Inspiration für neue Modelle und<br />

Schnitte ist vor allem das Feedback von<br />

Kundinnen und deren unterschiedliche<br />

Körperformen und Bedürfnisse. Die Motivation<br />

besteht darin für jede Kundin einen<br />

perfekt passenden Badeanzug zu haben.<br />

Wo kann man die Bademode kaufen?<br />

Aktuell in unserem Sommer-Pop-up<br />

auf der Praterstraße 14, 1020 Wien,<br />

der Montag bis Samstag von 11 bis 18<br />

Uhr geöffnet ist. Zudem ganzjährig in<br />

unserem Webstore www.rendl.co und<br />

in einigen Boutiquen in Wien und auch<br />

international.<br />

© Zoe Opratko, unsplash.com/Ecaterina Tanase, Rendl<br />

46 / LIFESTYLE /


READY FOR TAKE-OFF: IN EINE<br />

KLIMAFREUNDLICHE ZUKUNFT.<br />

Wir machen den nächsten Schritt.<br />

Die OMV ist nicht nur eine verlässliche Partnerin in der österreichischen Energieversorgung. Sie treibt auch den Wandel<br />

in eine nachhaltige Zukunft voran. Zum Beispiel mit dem innovativen Kerosinprodukt Sustainable Aviation Fuel (SAF),<br />

welches durch die Mitverarbeitung von regionalem Altspeiseöl zu einer Einsparung von mehr als 80 % CO 2<br />

beiträgt.<br />

Erfahren Sie mehr dazu auf: omv.com


KARRIERE & KOHLE<br />

Para gut, alles gut<br />

Von Šemsa Salioski<br />

MEINUNG<br />

Luxus:<br />

Vollzeitstudieren<br />

Während Kolleg:innen<br />

wöchentlich mit Magazinen,<br />

die sie zuvor entspannt im Hof<br />

gelesen haben, zu Seminaren<br />

spaziert sind, musste ich, wie<br />

alle Studierenden mit Vollzeitjob,<br />

während der Kernarbeitszeit<br />

zum Campus hetzen und<br />

diesen Zeitverlust im Laufe<br />

der Woche im Job nacharbeiten.<br />

Noch immer werden nur<br />

selten Seminare nach 17 Uhr<br />

oder am Wochenende angeboten.<br />

Ärgerlicher ist aber<br />

das mangelnde Verständnis<br />

seitens vieler Lehrkräfte, wenn<br />

Vollzeitarbeitende um Deadlineverschiebungen<br />

oder eine<br />

zusätzliche Fehleinheit bitten.<br />

Glaubt mir: Wir sind nicht faul,<br />

wir sind erschöpft. Es wäre<br />

schön, wenn Unis endlich auch<br />

Arbeitende berücksichtigen<br />

würden. Im Master Vollzeit zu<br />

studieren und nicht oder nur<br />

ein paar Stunden pro Woche<br />

arbeiten zu müssen, bleibt ein<br />

Luxus, den sich nicht alle leisten<br />

können.<br />

salioski@dasbiber.at<br />

KNOW YOUR<br />

RIGHTS:<br />

FERIALJOB<br />

Der Sommer steht vor der Tür.<br />

Das heißt viele Schüler:innen<br />

und Student:innen sind aktuell<br />

auf der Suche nach einem<br />

Ferialjob. Damit euch niemand<br />

verarscht, hier die wichtigsten<br />

Infos kurz zusammengefasst:<br />

Ferialjobber:innen in Österreich<br />

haben die gleichen Rechte wie<br />

reguläre Arbeitnehmer:innen.<br />

Dazu zählen Mindestlohn, geregelte<br />

Arbeitszeiten, Pausen<br />

und bezahlter Urlaub. Der<br />

Arbeitgeber muss Sozialversicherungsbeiträge<br />

zahlen und die<br />

Ferialjobber:innen unfallversichern.<br />

Ein schriftlicher Dienstvertrag<br />

mit genauen Konditionen ist<br />

wichtig.<br />

FOMO<br />

(„FEAR OF MISSING OUT“)<br />

WAR GESTERN!<br />

Arrivederci liebes Sommerloch<br />

Mit über dreihundert Kursen im Freien<br />

bleibt keine Zeit für Langeweile.<br />

Mit dem Angebot der VHS kannst du<br />

für den anstehenden Rom-Trip deine<br />

Italienisch-Kenntnisse auffrischen, beim<br />

Kurs „Guten Morgen liebe Sorgen“ im<br />

Kurpark Oberlaa lernen, wie du mit<br />

Alltagsproblemen umgehst oder mit der<br />

Wirbelsäulengymnastik deinen Bandscheiben<br />

etwas Gutes tun (Office People,<br />

ihr wisst Bescheid). Fact ist, die VHS<br />

bietet euch eine super Auswahl, wie ihr<br />

euch um eure mentale und physische<br />

Gesundheit kümmern könnt – und das<br />

Beste daran:<br />

Viele Kurse sind sogar kostenlos!<br />

Also es gibt keine Ausreden – ab auf<br />

www.vhs.at/sommer und raus ins Freie.<br />

KENNT IHR SCHON DIE FAKTORY?<br />

Die Arbeiterkammer (AK) bietet Beratung für<br />

arbeitende Studierende direkt neben der Uni<br />

Wien an. In der FAKTory stehen euch erfahrene<br />

AK-Jurist:innen dienstags und donnerstags für<br />

Einzelberatungen zur Verfügung. Es werden auch<br />

Infoabende zu arbeitsrechtlichen Fragen angeboten.<br />

Bei allgemeinen Fragen kann der Kontakt telefonisch<br />

oder per E-Mail aufgenommen werden. Zusätzlich<br />

zur Arbeitsrechtsberatung gibt es auch Beratungsund<br />

Informationsangebote zu Themen wie Wohnen,<br />

Konsumentenschutz, Karenz und Steuer in der FAKTory.<br />

Expert:innen der AK stehen kostenlos zur Verfügung.<br />

Mehr Infos unter: https://faktory.at/beratung<br />

© Zoe Opratko, unsplash.com/Miguel A Amutio, Faktory<br />

48 / KARRIERE /


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offenen Stellen.


KULTURA NEWS<br />

Klappe zu und Vorhang auf!<br />

Von Nada El-Azar-Chekh<br />

Ausstellungstipps<br />

Yoshitomi Nara<br />

All My<br />

Little Words<br />

MEINUNG<br />

Heiße Sommer-<br />

Novellen<br />

Und wo tut ihr es am liebsten im<br />

Sommer? Auf der Picknickdecke<br />

im Park? Auf der Wiese, nach dem<br />

Baden? Oder sogar in einem Kaffeehaus?<br />

Die Rede ist natürlich von:<br />

Bücher lesen. Auf Social Media<br />

ist Lesen wieder cool geworden –<br />

TikToker:innen präsentieren stolz<br />

ihre #ReadingOutfits für die bestmögliche<br />

#ReadingAesthetic: Lieber<br />

Sommerkleidchen in der Natur?<br />

Oder eher in Fantasie-Schuluniformen,<br />

so ein bisschen akademisch?<br />

Dass #Booktok auch außerhalb des<br />

Bildschirms seine Wirkung hat, zeigen<br />

die Büchercharts im heimischen<br />

Laden – „TikTok made me read it“ ist<br />

längst keine Floskel mehr, sondern<br />

ein gern gesehenes Attribut in Form<br />

von Stickern auf dem Umschlag.<br />

Segen und Fluch liegen jedoch nah<br />

beieinander: Wann hast du das<br />

letzte Mal ein Buch durchgelesen,<br />

ohne Ablenkung durch Scrolling?<br />

Meine Empfehlung, um wieder Lust<br />

auf Lesen zu bekommen: Wie wäre<br />

es mit einer knackigen Novelle? Die<br />

sind doch eine nette Erfrischung für<br />

die vom Display gebräunten Augen.<br />

el-azar@dasbiber.at<br />

Die Arbeiten des japanischen Künstlers<br />

Yoshitomi Nara (*1959) sind an seinem einzigartigen<br />

Stil leicht zu erkennen: In seinen<br />

niedlichen, aber dennoch subversiven Darstellungen<br />

vereinen sich japanische Ästhetik<br />

und universelle Thematiken wie Einsamkeit,<br />

Verletzlichkeit und Kindheitsträume. Die<br />

Albertina Modern widmet ihm die erste große<br />

Einzelschau seit über zehn Jahren in Europa.<br />

Bis 1. November in der Albertina Modern.<br />

Music Lounge<br />

Die Ausstellung „Music Lounge“ im Technischen<br />

Museum Wien bietet einen Einblick<br />

in die Geschichte der elektronischen Musik.<br />

Es werden technologische Meilensteine, und<br />

Pionierinnen wie Johanna Magdalena Beyer,<br />

Daphne Oram, Laurie Spiegel und Wendy<br />

Carlos vorgestellt. Die Ausstellung umfasst<br />

auch die Ära der elektronischen Musik in<br />

Österreich mit Originalobjekten von zB Parov<br />

Stelar. Besucher können interaktive Elemente<br />

nutzen und auf einer Showbühne selbst Musik<br />

komponieren, singen und performen.<br />

Buch-Tipp:<br />

EINE BLUME<br />

OHNE<br />

WURZELN<br />

Big News: Ich werde im<br />

Herbst 20<strong>23</strong> ein Buch veröffentlichen!<br />

In „Eine Blume<br />

ohne Wurzeln“ setze<br />

ich mich, unter anderem,<br />

mit meiner konservativmuslimischen<br />

Erziehung<br />

kritisch auseinander und<br />

erzähle die Geschichte<br />

meines Ausbruchs aus ihr.<br />

Mit dabei sind auch viele<br />

skurrile Geschichten sowie<br />

Illustrationen aus meiner<br />

Feder. Jetzt vorbestellen:<br />

Eine Blume ohne Wurzeln,<br />

erscheint am 31. Oktober<br />

20<strong>23</strong> beim Haymon Verlag<br />

© Zoe Opratko, Yoshitomo Nara, Haymon Verlag/Zoe Opratko<br />

50 / KULTURA /


SOMMER, SONNE,<br />

FESTIVALZEIT!<br />

Kultursommer<br />

in Wien<br />

Auch in diesem Jahr kann man beim<br />

Kultursommer (bis 13. August) zahlreiche<br />

Lesungen, Kabarett, Konzerte, Theater- und<br />

Performanceprogramm und vieles mehr in<br />

ganz Wien erleben. Alles bei kostenfreiem<br />

Eintritt.<br />

Impulstanz wird<br />

40 Jahre alt!<br />

© Estelle Hanania<br />

Das Impulstanz Festival feiert außerdem sein 40. Jubiläum!<br />

Das Programm beim größten internationalen<br />

Festival für zeitgenössischen Tanz und Performance<br />

bietet das Beste aus Acts, Workshops<br />

und Research Projects. Hier gibt es alle Infos<br />

und Tickets:<br />

Demokratie – was<br />

geht? Festival<br />

Von 21. - <strong>23</strong>. September findet im MQ Wien das „Demokratie<br />

– was geht?“ Festival statt, bei dem junge Teilenehmende drei<br />

Tage lang ihre Kunstwerke und Performances<br />

vorstellen. Entstanden sind sie im Rahmen<br />

eines Projekts von Gleisdreieck Wien, die<br />

seit vielen Jahren Community-basierte Arbeit<br />

leisten. Informationen dazu gibt’s hier:<br />

30/09/<strong>23</strong><br />

Albumpräsentation<br />

EsRAP &<br />

Gasmac<br />

Gilmore<br />

© Christopher Glanzl


SKOPJE<br />

ZU GAST IN<br />

WIEN:<br />

No Feeling<br />

is Final.<br />

The Skopje<br />

Solidarity<br />

Collection.<br />

In der Kunsthalle Wien<br />

Museumsquartier ist ein<br />

bedeutsames Stück der<br />

Geschichte von Skopje zu<br />

sehen, die unser Verständnis<br />

von Solidarität durch und mit<br />

Kunst herausfordert.<br />

Gülsün Karamustafa, The Crime Scene (Tatort)<br />

Es ist eine beinahe vergessene Tragödie: Vor 60 Jahren<br />

erschütterte ein Erdbeben der Stärke 6,1 die Hauptstadt des<br />

heutigen Nordmazedonien, Skopje. Mit über 1.000 Toten und<br />

einer völlig zerstörten Stadt war dies eine der schlimmsten<br />

Naturkatastrophen im damaligen Jugoslawien. Mit unglaublicher<br />

Unterstützung durch eine internationale Gemeinschaft<br />

aus Ost und West wurde die Stadt rasch wiederaufgebaut<br />

– im Kalten Krieg keine Selbstverständlichkeit. Auch Kunst<br />

spielte eine wesentliche Rolle: Pablo Picasso, Jasper Johns<br />

und Meret Oppenheim waren nur einige der international<br />

bekannten Künstler*innen, die nach dem Beben Werke nach<br />

Skopje spendeten. Das Museum für Zeitgenössische Kunst<br />

(MoCA) in Skopje und dessen umfangreiche Sammlung ist<br />

das Ergebnis dieser beispiellosen Solidaritätsaktion.<br />

Zentrales Postamt und Telekommunikationszentrum, fotografiert<br />

von Elfie Semotan<br />

EINE BEGEGNUNG VON OST UND WEST<br />

Für die Ausstellung „No Feeling is Final. The Skopje Solidarity<br />

Collection” wurden zeitgenössische Künstler*innen<br />

wie Gülsün Karamustafa, Iman Issa und Elfie Semotan in die<br />

Kunsthalle Wien Museumsquartier eingeladen, sich mit ausgewählten<br />

Exponaten des MoCA auseinanderzusetzen und<br />

sie mit eigenen Arbeiten neu zu kontextualisieren: So treffen<br />

bekannte Vertreter*innen der Moderne wie Alex Katz und auf<br />

renommierte Künstler*innen vom Balkan und Osteuropa wie<br />

Olga Jančić und Ion Grigorescu. Der Titel der Ausstellung ist<br />

aus einem Zitat von Rainer Maria Rilke abgeleitet.<br />

Noch bis Ende Jänner 2024 ist die Ausstellung in der Kunsthalle<br />

Wien Museumsquartier zu sehen!<br />

© www.kunst-dokumentation.com, Elfie Semotan<br />

52 / KULTURA /


SAG’S<br />

MULTI!<br />

„Wie kann Vielfalt uns stärker<br />

machen, anstatt uns zu spalten?“<br />

„Es geht um alle Menschen, die ähnliche Erfahrungen wie ich gemacht haben. Aber auch um alle anderen.“ Maya ist<br />

eine der diesjährigen dreißig Gewinner:innen des mehrsprachigen Redewettbewerbs „SAG’S MULTI!“. Mit ihrer Rede auf<br />

Deutsch und Englisch zum Thema „Dafür will ich stark sein“, erzählt die 14-Jährige von ihren eigenen Erfahrungen und<br />

Diskriminierungen gegen BPOCs, über Rassismus, das Black Voices Volksbegehren und die Lebensrealitäten schwarzer<br />

Menschen in Österreich. Von: Maria Lovrić-Anušić<br />

© Roman Zach-Kiesling<br />

<strong>BIBER</strong>: Du hast deine Rede auf Deutsch<br />

und Englisch gehalten. Was bedeuten<br />

diese Sprachen für dich?<br />

MAYA: Deutsch ist die Sprache, mit der<br />

ich aufgewachsen bin. Mein Vater kommt<br />

aber aus Kamerun und spricht Französisch<br />

und Englisch. Leider lebt er in Berlin<br />

und konnte mir darum diese Sprachen<br />

nie beibringen. Ich habe mir Englisch mit<br />

der Zeit selbst beigebracht und habe das<br />

Gefühl, dass ich dadurch auch eine bessere<br />

Beziehung zu meinem Vater habe.<br />

Ich denke, dass wir auf Englisch unsere<br />

Emotionen und Gefühle besser verstehen<br />

können.<br />

Was war dein erster Gedanke, als du<br />

gewonnen hast?<br />

Ich dachte mir einfach nur „zum Glück“.<br />

Ich hatte die irrationale Angst, dass ich<br />

meine Rede vortrage, nichts gewinne<br />

und dann die ganzen Leute Mitleid mit<br />

mir haben.<br />

Wie ging es dir dabei, diese Rede zu<br />

verfassen?<br />

Es war wirklich schwer diese Rede zu<br />

schreiben. Als ich darüber nachgedacht<br />

habe, von welchen Erlebnissen aus meinem<br />

Leben ich erzählen könnte, habe ich<br />

erst realisiert, wie viele rassistische und<br />

diskriminierende Erfahrungen ich bereits<br />

gemacht habe.<br />

„Sag’s Multi!“ ist ein Redewettbewerb, bei dem Jugendliche ab der 7.<br />

Schulstufe Reden über ihre Lebensrealitäten halten – die Besonderheit: Sie<br />

wechseln dabei immer wieder zwischen Deutsch und einer Fremdsprache.<br />

Der Wettbewerb fand dieses Jahr schon zum 14. Mal statt.<br />

Kultur<br />

findet draußen statt<br />

Eintritt frei<br />

30.6. – 13.8.20<strong>23</strong><br />

© Kultursommer Wien:<br />

Kiki House of Dive, Stellaccord, Sandra Hanschitz,<br />

Fotos: Niko Havranek, Theresa Wey


DER QUOTEN-ALMANCI<br />

VON SELBSTGESPONNENEN<br />

AUFFANGNETZEN<br />

Von Özben Önal<br />

In eine neue Stadt zu ziehen kann schwierig sein.<br />

Vor allem in eine Stadt, in der man noch niemanden<br />

kennt. Die man vorher noch nie besucht hat. Wenn<br />

es dann noch um die bayrische Hauptstadt geht, hat<br />

man den Salat. Oder eben die Weißwurst. Entgegen<br />

aller Vorurteile gegenüber München, die auch mir<br />

nicht erspart blieben, habe ich das Gefühl schon<br />

nach zwei Wochen angekommen zu sein. Zu Beginn<br />

schob ich das noch auf den Luxus jederzeit innerhalb<br />

kürzester Zeit in einen Fluss springen zu können,<br />

der durch die gesamte Stadt fließt. Die Isar ist<br />

definitiv ein nennenswerter Zusatz. Aber ich meine<br />

ein ganz bestimmtes Ankommen. Nicht<br />

im Sinne von: Ich weiß, welchen Bus in<br />

welche Richtung ich nehmen muss, ohne<br />

vorher bei Google Maps nachzuschauen.<br />

Vielmehr meine ich damit, mich wohlzufühlen,<br />

entgegen aller Zweifel. Ich meine<br />

damit, mich mit Menschen zu umgeben,<br />

die safe spaces sind. Mit denen ich auf<br />

dem Balkon sitzen kann und über die<br />

Welt philosophieren, während wir an Raki-Gläsern<br />

nippen und im Hintergrund kurdische und türkische<br />

Lieder laufen. Das Gefühl von Community ist, was<br />

ich meine. Umgeben von Menschen zu sein, die ich<br />

allesamt bewundere für die Persönlichkeiten, die sie<br />

sind. Für die Kämpfe, die sie Tag für Tag führen, kollektiv<br />

und individuell. Für eine bessere Gesellschaft,<br />

eine bessere Welt. Ohne zu diskriminieren. Mit der<br />

nötigen Sensibilität füreinander.<br />

Kolumnistin Özben<br />

Önal ist euer „Quoten-<br />

Almanci“ – ein bisschen<br />

deutsch, ein bisschen<br />

türkisch, mit ein bisschen<br />

Liebe zu Wien. In ihrer<br />

Kolumne berichtet sie<br />

über Schönes, Schwieriges<br />

und Alltägliches.<br />

KEINE KOMPROMISSE<br />

Mir ist bewusst, dass das eine sehr romantisierte,<br />

vielleicht sogar übertriebene Darstellung ist. Aber<br />

als jemand, der viel Zeit damit verbracht hat, sich<br />

zu assimilieren und um jeden Preis zu einer Mehrheitsgesellschaft<br />

dazugehören zu wollen, sind das<br />

besondere Begegnungen. Und besondere Verbindungen.<br />

Das Konzept von Genoss:innenschaft wird mit<br />

jedem Tag, an dem ich lerne, wer ich bin und mit<br />

wem ich mich umgeben möchte, klarer. Das sind<br />

Menschen, die akzeptieren, respektieren, aber stets<br />

reflektieren. Das sind Menschen, die für Gerechtigkeit<br />

einstehen und hinsehen. Die Unterdrückung<br />

adressieren, sich ihrer Privilegien bewusst sind<br />

und diese nutzen. Die mich zum Nachdenken und<br />

Überdenken anregen, die mich verstehen und mich<br />

gleichzeitig fordern. Ich bin nicht mehr<br />

bereit Kompromisse einzugehen. Das<br />

mag manch eine:r als radikal ansehen,<br />

ich für meinen Teil sehe eine wichtige<br />

persönliche Entwicklung darin zu realisieren,<br />

welche Wichtigkeit ein Auffangnetz<br />

hat, in dem ich mich sicher und gesehen<br />

fühle. In dem unterdrückte, marginalisierte<br />

Gruppen sicher sind und gesehen<br />

werden. Und sicher fühle ich mich wiederum<br />

erst, wenn Menschen, die stärker oder mehrfach<br />

marginalisiert sind, sich in meinem Auffangnetz<br />

sicher fühlen. Um es in Şeyda Kurts Worten aus<br />

ihrem Buch Radikale Zärtlichkeit auszudrücken: „Die<br />

Welt wird nicht allein dadurch besser, dass ich in<br />

meinem nächsten Umfeld zärtliche Beziehungen<br />

führe. Es muss um Solidarität mit anderen Menschen<br />

gehen, die über meine Partner:innen- oder<br />

Freund:innenschaft hinausgeht.“ Wir sind geprägt<br />

von unterdrückerischen Systemen, die unser Handeln<br />

bestimmen, die wir internalisiert haben. Aber<br />

das zu reflektieren, stets zu hinterfragen und zu<br />

verändern sehe ich auch in unserer Verantwortung<br />

– das macht mein persönliches Auffangnetz aus. ●<br />

© Zoe Opratko<br />

54 / MIT SCHARF /


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Ab 20. Juli alle Spiele live in ORF 1<br />

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