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Österreichische Post AG; PZ 18Z041372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1<strong>07</strong>0 Wien<br />
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ASYLSTATUS:<br />
UNTERGETAUCHT<br />
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THÜR IN ZAHLEN<br />
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KRISE IM KAUKASUS<br />
Mehr dazu gibt‘s auf der nächsten Seite<br />
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UMWELTSCHUTZ<br />
Schütze die Umwelt und trage zur Lebensqualität in<br />
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arbeitet strategisch für die Sicherung der<br />
Luftqualität, Biodiversität und Resilienz<br />
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Omar<br />
Al Kaissi<br />
Kämpferische Frauen- oder<br />
Tierfiguren, kriegerische und<br />
erotische Szenen, und mystische<br />
Symbole und Kalligraphie:<br />
Die Tattoos von Omar Al Kaissi<br />
sind unverkennbar. Wir trafen<br />
den irakischstämmigen Künstler<br />
in seinem Studio bei Ex<br />
Machina in Margareten.<br />
Interview: Nada El-Azar-Chekh<br />
Foto: Atila Vadoc<br />
<strong>BIBER</strong>: Wie kamst du dazu, hauptberuflich<br />
Tätowierer zu werden?<br />
OMAR AL KAISSI: Ich habe immer<br />
schon gezeichnet und hatte meine<br />
ersten Berührungspunkte mit Tattoos<br />
schon in Tunesien, wo ich aufgewachsen<br />
bin. In der Berberkultur sieht man<br />
immer noch ältere Frauen mit typischen<br />
Hand- und Gesichtstattoos. Mit 18 habe<br />
ich meine ersten kleineren Tattoos<br />
gestochen und mich weiter mit Malerei<br />
beschäftigt. Meine Eltern legten immer<br />
einen großen Wert auf einen Abschluss.<br />
Ich bin der erste Künstler in einer Ärztefamilie,<br />
und erst nachdem ich Tätowieren<br />
zu meinem Beruf gemacht habe,<br />
haben meine Eltern wirklich verstanden,<br />
dass das ein Job sein kann.<br />
Deine Motive haben einen ganz eigenen<br />
Stil – woher nimmst du die Inspiration<br />
für deine Arbeiten?<br />
Für mich hat meine Kunst viel mit der<br />
Suche nach meinen eigenen Wurzeln<br />
zu tun – meine Familie kommt<br />
ursprünglich aus dem Irak, aber ich bin<br />
in Tunesien geboren und aufgewachsen<br />
und kenne meine Heimat bis heute<br />
nicht. Ich ziehe vor allem Inspiration<br />
aus der östlichen Mythologie, also aus<br />
alten arabischen, persischen, babylonischen<br />
und assyrischen Motiven und<br />
kombiniere das Ganze mit arabischer<br />
Kalligraphie.<br />
Die arabische Schrift ist seit einigen<br />
Jahren ein regelrechter Tattoo-Trend.<br />
Wie stehst du dazu?<br />
Ich sehe häufig Motive, die wie aus<br />
Souvenirshops wirken. Zugegeben,<br />
anfangs habe auch ich mehr in diese<br />
Richtung gearbeitet. Aber nach meiner<br />
langen Reise und Identitätsfindung<br />
habe ich eine Ästhetik gefunden, die<br />
deutlich mehr Tiefgang hat und ein<br />
Produkt aus unterschiedlichen Traditionen<br />
ist.<br />
Wie sieht dein Arbeitsplatz aus?<br />
Zuhause ist mein Arbeitstisch ein Esstisch<br />
mit vielen Farben, an dem ich mit<br />
Pinsel und Tusche die Entwürfe mache.<br />
Digital mit iPad arbeite ich eher wenig,<br />
da bin ich noch sehr oldschool.<br />
Was ist das Wichtigste, das du im<br />
Laufe der Zeit im Tattoostudio gelernt<br />
hast, und was sind deine Pläne für die<br />
Zukunft?<br />
Als Tätowierer muss man sich gut in den<br />
Kunden einfühlen können und mit ihm<br />
oder ihr in Austausch stehen, was das<br />
Motiv und den Schmerz angeht. Ich habe<br />
die letzten 18 Jahre in Wien verbracht<br />
und auch in Städten wie Brüssel oder<br />
London gearbeitet. Nun möchte ich es<br />
mit Asien probieren, so weit weg war ich<br />
bis jetzt noch nie.<br />
Name: Omar Al Kaissi<br />
Alter: 31<br />
Insta: @hyenavienna<br />
Fun Fact: Hat seine Ausbildung zum<br />
Psychotherapeuten abgebrochen.<br />
/ 3 MINUTEN / 3
3 3 MINUTEN MIT<br />
OMAR AL KAISSI<br />
Der 31-jährige Tätowierer im Schnellinterview.<br />
8 IVANAS WELT<br />
Die neue Generation hat keinen<br />
Bock auf Jugo-Feste.<br />
10 KLIMA-NEWS<br />
Interessante Zahlen, Daten und Fakten<br />
rund um das Thema Umweltschutz.<br />
POLITIKA<br />
12 MEINUNGSMACHE<br />
Politische Themen kurz, komprimiert<br />
und mit scharf.<br />
20<br />
„HERR THÜR, WIE VIELE ORF-<br />
KOLLEG:INNEN GEHEN IHNEN<br />
AUF DIE NERVEN?“<br />
ZiB2-Moderator Martin Thür im Interview.<br />
14 PASS ILLEGAL?<br />
Österreichs untergetauchte Migranten.<br />
20 „HERR THÜR, WIE OFT<br />
WOLLTEN SIE IHREN<br />
JOB KÜNDIGEN?“<br />
Biber fragt in Worten, ZiB2-Moderator<br />
Martin Thür antwortet mit einer Zahl.<br />
22 „NICHT SCHON WIEDER!“<br />
Manche Gesinnungen dürfen keine<br />
Privatsache sein.<br />
24 „DIE WELT DARF KEINEN<br />
ZWEITEN VÖLKERMORD<br />
ZULASSEN!“<br />
Die Lage in Berg-Karabach spitzt sich zu.<br />
26 BALKAN NEWS<br />
Dennis Miskić über die „vermissten“ Opfer<br />
von Srebrenica.<br />
14<br />
ABGEWIESEN,<br />
ABER GEBLIEBEN<br />
Das Leben<br />
mit negativem<br />
Asylbescheid.<br />
IN<br />
RAMBAZAMBA<br />
28 GEMMA GRILLEN?<br />
Wie Wien diesen Sommer brutzelt.
36 SEID‘S IHR ALLE DEPPERT?<br />
Warum Diskussionen über sexualisierte<br />
Gewalt ermüdend sind.<br />
38 SOMMER IN WIEN<br />
Coole Tipps für alle, die diesen Sommer<br />
in der Großstadt verbringen.<br />
28<br />
VOM ROST<br />
ZUM TELLER<br />
Wiener Grillzonen<br />
mit scharf.<br />
HALT SOMMER<br />
20<strong>23</strong><br />
40 SAFER SEX<br />
Warum wir bei der Aufklärungsarbeit noch<br />
viel nachzuholen haben.<br />
42 „STELL DICH NICHT SO AN!“<br />
Wenn Migra-Eltern nichts von Therapien<br />
hören wollen.<br />
LIFE&STYLE<br />
46 DAS VERGÄNGLICHE LEBEN<br />
Şeyda Gün erklärt, warum man sich selbst<br />
priorisieren sollte.<br />
KARRIERE&KOHLE<br />
46 LUXUS:<br />
VOLLZEITSTUDIEREN<br />
Šemsa Salioski über das Ausbalancieren<br />
von Arbeit und Studium.<br />
KULTURA<br />
52 KULTURA NEWS<br />
Nada El-Azar-Chekh über #booktok<br />
und #ReadingAesthetic.<br />
54 QUOTEN-ALMANCI<br />
Kolumnistin Özben Önal erklärt, wie wichtig<br />
persönliche Auffangnetze sind.<br />
42<br />
„WARUM SOLLTEST DU<br />
TRAURIG SEIN?“<br />
Wenn Migra-Eltern psychische<br />
Erkrankungen nicht ernst nehmen.<br />
© Zoe Opratko, Cover: © Zoe Opratko
Liebe Leser:innen,<br />
Nach einer negativen Asylentscheidung in Österreich gibt es<br />
zwei Möglichkeiten: Freiwillige Ausreise oder Abschiebung. Es<br />
gibt aber geflüchtete Menschen, die hierbleiben, untertauchen<br />
und weiterhin illegal im Land leben. Sie werden in keiner Statistik<br />
geführt, sie bilden eigene Mikro-Parallelgesellschaften und<br />
Netzwerke, in die die Mehrheitsgesellschaft sonst selten Einblick<br />
bekommt. In unserer Reportage ab Seite 14 erzählen Geflüchtete,<br />
wie sie als sogenannte „U-Boote“ ihren Alltag bestreiten, und<br />
warum dieses heimliche Leben für sie dennoch besser ist als in<br />
ihre Heimat zurückzukehren.<br />
„<br />
Die Reportage „Asylstatus:<br />
Untergetaucht“ auf S. 14 hat<br />
nur funktioniert, weil mir und<br />
uns unzählige Menschen ihr<br />
Vertrauen geschenkt, mit<br />
Kontakten weitergeholfen und<br />
ohne wenn und aber selbst viel<br />
riskiert haben. An dieser Stelle:<br />
Die Credits gehören zu einem<br />
großen Teil euch allen.<br />
Aleksandra “ Tulej,<br />
Chefredakteurin<br />
Auf den Wiener Grillzonen auf der Donauinsel geht es heuer<br />
heiß her. Täglich brutzeln hier leckere Ćevapčići, ägyptische<br />
Schaschlikspieße und Pfefferoni. In unserer Fotostrecke „Gemma<br />
Grillen“ zeigen wir euch, was bei den neuen und alteingesessenen<br />
Wiener:innen für einen perfekten Grilltag nicht fehlen darf. Aber<br />
Achtung: Die Fotos machen Hunger auf mehr. Ab S. 28.<br />
Während sich die einen auf den Grillzonen tummeln, arbeitet<br />
ZiB2-Moderator Martin Thür satte 55 Stunden pro Woche, wollte<br />
schon dreißig Mal seinen Job kündigen und schläft dabei insgesamt<br />
sieben Stunden pro Nacht. Im „Interview in Zahlen“ verrät<br />
er, wie viele ORF-Kolleg:innen ihm auf die Nerven gehen, und wie<br />
oft er über die SPÖ-Excel-Panne staunen musste. Ab S. 20.<br />
Bei Erkältungen und Schnupfen haben Migra-<br />
Eltern schnell eine Lösung parat. Geht es allerdings<br />
um die psychische Gesundheit, stehen<br />
ihre Kinder oftmals alleine da. Egal ob Depressionen,<br />
Panikattacken oder Angstzustände, einige<br />
Eltern wollen und können diese Art von Problemen<br />
nicht ernst nehmen. „Du hast ein Dach<br />
über dem Kopf. Warum solltest du traurig sein“,<br />
ist die Standardaussage. Was diese Ablehnung<br />
mit veralteten kulturellen Codes und Mythen<br />
über psychisch Erkrankte zu tun hat, könnt ihr<br />
ab Seite 42 nachlesen.<br />
SCHARFE<br />
POST:<br />
In unserem<br />
wöchentlichen<br />
Newsletter senden<br />
wir dir die<br />
spannendsten<br />
Beiträge aus der<br />
schärfsten Redaktion<br />
des Landes<br />
in dein Postfach.<br />
Hier kannst du ihn<br />
gleich abonnieren:<br />
Viel Spaß beim Lesen<br />
und einen schönen Sommer,<br />
eure biber-Redaktion<br />
© Zoe Opratko<br />
6 / MIT SCHARF /
IMPRESSUM<br />
MEDIENINHABER:<br />
Biber Verlagsgesellschaft mbH, Quartier 21,<br />
Museumsplatz 1, E-1.4, 1<strong>07</strong>0 Wien<br />
HERAUSGEBER:<br />
Simon Kravagna<br />
KONTAKT: biber Verlagsgesellschaft mbH Quartier 21, Museumsplatz 1,<br />
E-1.4, 1<strong>07</strong>0 Wien<br />
Tel: +43/1/ 9577528 redaktion@dasbiber.at, abo@dasbiber.at<br />
WEBSITE: www.dasbiber.at<br />
CHEFREDAKTEURIN:<br />
Aleksandra Tulej<br />
KULTUR & LEITUNG AKADEMIE:<br />
Nada El-Azar-Chekh<br />
FOTOCHEFIN:<br />
Zoe Opratko<br />
ART DIRECTOR: Dieter Auracher<br />
KOLUMNIST:INNEN:<br />
Ivana Cucujkić-Panić, Dennis Miskić, Özben Önal<br />
LEKTORAT: Florian Haderer<br />
ÖAK GEPRÜFT laut Bericht über die Jahresprüfung im 2. HJ 2022:<br />
Druckauflage 85.000 Stück<br />
Verbreitete Auflage 80.700 Stück<br />
Die Offenlegung gemäß §25 MedG ist unter<br />
www.dasbiber.at/impressum abrufbar.<br />
DRUCK: Mediaprint<br />
REDAKTION, FOTOGRAFIE & ILLUSTRATION:<br />
Maria Lovrić-Anušić, Šemsa Salioski, Dione Azemi, Anja Bachleitner,<br />
Atila Vadoc<br />
VERLAGSLEITUNG :<br />
Aida Durić<br />
MARKETING & ABO:<br />
Şeyda Gün<br />
REDAKTIONSHUND:<br />
Casper<br />
BUSINESS DEVELOPMENT:<br />
Andreas Wiesmüller<br />
GESCHÄFTSFÜHRUNG:<br />
Wilfried Wiesinger<br />
Erklärung zu gendergerechter Sprache:<br />
In welcher Form bei den Texten gegendert wird, entscheiden die<br />
jeweiligen Autoren und Autorinnen selbst: Somit bleibt die Authentizität<br />
der Texte erhalten – wie immer „mit scharf“.<br />
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KUNST & KULTUR<br />
IN DER STAHLSTADT<br />
LINZ ERLEBEN!<br />
Deine Pride ist noch nicht vorbei? Dann besuche<br />
doch die Ausstellung „QUEER. Vielfalt ist unsere<br />
Natur“ im OK Linz, die einen aufregenden Bogen<br />
zwischen Queerness in der Natur, bis hin zur Popkultur<br />
spannt. Niemals ohne deine Geschwister?<br />
Dann besuche das Lentos Kunstmuseum mit seiner<br />
aktuellen Schau „Sisters & Brothers. 500 Jahre<br />
Geschwister in der Kunst“. Warum Linz auch die<br />
„Stahlstadt“ an der Donau genannt wird, erfahrt ihr<br />
zudem bei Führungen, Werkstouren und Workshops<br />
in der voestalpine Stahlwelt. Vorwärts blickt auch<br />
das Ars Electronica Festival. Vom 6.–10. September<br />
denkt es als größtes europäisches Festival für Kunst,<br />
Technologie und Gesellschaft unter dem Motto „Wem<br />
gehört die Wahrheit?“ die Zukunft neu.<br />
© Marko Mestrovič<br />
Neugierig auf Linz?<br />
Wir empfehlen einen 3-Tages-<br />
Kurzurlaub ab 134 Euro pro<br />
Person, inklusive Übernachtung<br />
im Hotel, Frühstück und<br />
der Linz-Card, mit der ihr<br />
freien Museumseintritt, Öffi-<br />
Ticket und eine Pöstlingbergbahn-Fahrt<br />
zugleich in der<br />
Tasche habt.<br />
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In „Ivanas Welt“ berichtet die biber-Kolumnistin Ivana Cucujkić-Panić<br />
über ihr Leben - Glamour zwischen Balkan und Baby<br />
IVANAS WELT<br />
DIE LETZTE GENERACIJA<br />
Zu meiner Zeit wurden Feste noch gefeiert, wie sie<br />
fielen. Bis in die Morgenstunden bei Qualm und Lärm,<br />
bis unsere Väter peinlich auffielen und wir Kinder erschöpft<br />
auf dem Schoß einer Großmutter eingesackt<br />
sind. Nicht unbedingt auf dem unserer eigenen. Aber<br />
irgendein älterer Mensch über 70, 80 war immer zugegen<br />
und selbst bereits viel zu lange wach und zu müde,<br />
um auf den Nachwuchs von verantwortungslosen, feierwütigen<br />
Eltern aufzupassen.<br />
DIE NEUEN JUNGEN MACHEN NICHT MEHR MIT<br />
Wir sind die letzte Generation, die ihre halbe Kindheit<br />
schlafend auf Stühlen bei 100 Dezibel verbracht<br />
hat. Playdates existierten damals noch nicht. Kindergeburtstage<br />
wurden nicht in Spielcafés, sondern in<br />
der Kafana (Beisl) veranstaltet. Liveband statt Clown-<br />
Show, Sängerin mit Ausschnitt statt Elsa-Prinzessin.<br />
„Wir haben das auch so mit euch gemacht. Und, hat‘s<br />
euch geschadet?“, fragten sie.<br />
Also wagten wir das Experiment und nahmen den<br />
Zwei- und den Fünfjährigen mit zur ersten Jugofeier.<br />
Wird schon gut gehen, sagen wir. Viele Kinder werden<br />
da sein, feuern wir uns an.<br />
DEZIBEL & PAW PATROL<br />
Und da saßen wir nun – oh, Fehler – standen wir nun,<br />
für die nächsten acht Stunden, rannten, trösteten, entfernten<br />
spitze Gegenstände von allen Oberflächen.<br />
„Wie lange dauert das noch?“ Junge, die Wahrheit,<br />
dass das hier jetzt nicht mehr aufhören wird, erträgst<br />
du nicht, und deine Reaktion darauf werde ich nicht<br />
ertragen können. Deswegen lüge ich dich wohlwollend<br />
und ohne Skrupel an und liefere dir eine Antwort, die<br />
du zeitlich einordnen kannst und die mir für die nächsten<br />
zwei Stunden Luft verschafft: „Also, die spielen<br />
jetzt noch so lange wie vier Paw-Patrol-Folgen dauern.“<br />
Fünfjährige haben ein recht gut entwickeltes Zeitgefühl,<br />
wenn es um Screen-Time geht, also kam er zwei<br />
cucujkic@dasbiber.at, Instagram: @ivanaswelt<br />
Stunden später, seinem Alter entsprechend komplett<br />
überfordert und überstimuliert, und forderte ein, dass<br />
„diese schirche laute Musik abgeschaltet wird“. Als<br />
Mutter lernt man irgendwann Lippenlesen, deswegen<br />
habe ich trotz der lauten „Kalašnjikov“-Darbietung der<br />
Band die Message meines ungehorsamen Filius verstanden:<br />
Und sollte ich das diesem Mann dort nicht<br />
sagen, mache er das. Achja, genau, machst du, denk<br />
ich mir. Falsch gedacht. Diese neue Generation scheißt<br />
sich nix und geht zum Kellner.<br />
MARSCHIEREN, SKANDIEREN,<br />
DAS JUGOFEST SABOTIEREN<br />
Was ist los mit diesen neuen Jungen? Marschieren die<br />
los und fordern ihre Rechte auf altersgerechte Lautstärke,<br />
rauchfreie Lungen und so ein. Und geben keine<br />
Ruhe, picken an dir, skandieren, bis du endlich nachgibst<br />
und diesen verdammten Eventsaal und dein noch<br />
immer volles Weinglas verlässt, um an der frischen Luft<br />
einem violetten Luftballon nachzujagen. Auf 11 Zentimetern.<br />
Auf Schotter. Und nirgends eine Oma oder ein<br />
Opa in der Nähe, die übernehmen könnten, sodass ich<br />
mir stattdessen in Ruhe einen anzwitschern, mein neu<br />
bestelltes Glitterdress vor der Kamera präsentieren und<br />
komische Verwandte am Nebentisch dissen könnte.<br />
Die Generation meiner Eltern hatte diese Freiheiten.<br />
Hatte Privilegien. Hatte Großeltern, und ich eine Uroma<br />
und einen Uropa, die nicht von meiner Seite wichen,<br />
als ich wieder mal auf einem Jugofestl bisschen<br />
erschöpft, bisschen verschwitzt und bisschen dreckig<br />
unmittelbar neben dem Lautsprecher, auf irgendeiner<br />
Holzbank oder eben allem, was man zu einem improvisierten<br />
Schlafplatz umfunktionieren kann, eingeschlafen<br />
war. Auch auf dieser Feier waren kaum noch Omas<br />
und Opas unter den Gästen. Dafür aber viele Eltern,<br />
die mehr schlecht als recht zum Trompetensound abfeierten.<br />
Eine Generation verschwindet. Wir sehen uns<br />
im Spielcafé! ●<br />
© Zoe Opratko<br />
8 / MIT SCHARF /
IHRE IM FALL<br />
DES FALLES-<br />
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in dem Sie sich aufhalten, und helfen, sollten Sie Unterstützung brauchen.<br />
– Ihr Außenministerium<br />
24/7
LIMANEWS<br />
Von Anja Bachleitner<br />
Gerade jetzt bei der Hitze! Bewusstsein schaffen, Verantwortung übernehmen<br />
und Lösungen unterstützen: Wir zeigen, warum der Klimawandel alle etwas<br />
angeht, und zeigen einige hilfreiche Tipps für mehr Klimaschutz im Alltag.<br />
REPARATURBONUS:<br />
Wenn Haushaltsgeräte oder<br />
Smartphones kaputt gehen, kann<br />
das eine finanzielle Belastung<br />
sein. Außerdem sind die Entsorgung<br />
von Elektroschrott und die<br />
Herstellung neuer Geräte umweltund<br />
klimaschädlich. Um Abhilfe in<br />
solchen Situationen zu schaffen,<br />
gibt es den Reparaturbonus. Das<br />
Klimaschutzministerium unterstützt<br />
bei anstehenden Reparaturen<br />
und übernimmt 50 Prozent der<br />
Kosten – bis zu einer Obergrenze<br />
von 200€. Ihr könnt den Reparaturbonus<br />
online herunterladen<br />
(reparaturbonus.at), beim Reparaturbetrieb<br />
einreichen und bis<br />
zu 200€ sparen. Wenn ihr euer<br />
handwerkliches Geschick testen<br />
und selbst reparieren möchtet, findet<br />
ihr hilfreiche<br />
Tipps über den<br />
QR-Code hier.<br />
CITY FARM AUGARTEN<br />
Gemüse selbst anbauen oder regional kaufen<br />
ist gut für das Klima: Weniger Transportwege<br />
bedeuten eine bessere CO2-Bilanz für die<br />
Veggies. In Wien mag das Selber-Anbauen<br />
eine Herausforderung sein, aber es gibt<br />
Alternativen. Wie wäre es zum Beispiel mit<br />
einem Besuch bei der City Farm Augarten?<br />
Dort könnt ihr bis zum Herbst jeden Mittwoch<br />
und Freitag zwischen 10:00 und 14:00<br />
Uhr frisches Gemüse und Grünzeug kaufen,<br />
das direkt vor Ort angebaut wird. Neben<br />
dem beeindruckenden Erntefeld gibt es auch<br />
einen vielfältigen Schaugarten mit Gemüse,<br />
Blumen und Kräutern. Hier finden spannende<br />
Workshops für Kinder und Erwachsene statt<br />
und es werden Jungpflanzenmärkte veranstaltet.<br />
Übrigens: Die City Farm betreibt<br />
ganzjährigen Anbau, aber ohne Beheizung<br />
ihrer Folientunnel. Sie bauen nur das an, was<br />
im Winter ohne Heizung überleben kann.<br />
© unsplash.com/Clint Bustrillos, Anja Bachleitner, City Farm Augarten<br />
10 / MIT SCHARF /
© unsplash.com/Sunorwind<br />
SCHON<br />
GEWUSST?<br />
0,08<br />
Grad Celsius<br />
… das ist der<br />
durchschnittliche<br />
Anstieg der<br />
Erdtemperatur pro<br />
Jahrzehnt seit 1880.<br />
21,5 Millionen<br />
… so viele Menschen<br />
mussten 2008-<br />
2016 aufgrund von<br />
Naturkatastrophen<br />
migrieren bzw.<br />
evakuiert werden.<br />
135<br />
Milliarden<br />
Tonnen<br />
… so viel Erdreich ging<br />
aufgrund von Agrikultur<br />
seit der Industriellen<br />
Revolution verloren.<br />
2,3 Milliarden<br />
Tonnen<br />
… industrielle<br />
Chemikalien werden<br />
jedes Jahr für die<br />
Agrarwirtschaft<br />
produziert.<br />
55%<br />
… um so viel will die EU<br />
bis 2030 Emissionen<br />
reduzieren.<br />
SOMMERREZEPT:<br />
GAZPACHO<br />
Genieße eine Gazpacho, die kalte spanische<br />
Siesta-Suppe, als Vorspeise oder<br />
leichtes Mittagessen. Einfach perfekt<br />
für heiße Sommertage.<br />
So einfach geht’s:<br />
Zutaten:<br />
4 reife Tomaten<br />
1 Gurke<br />
1 rote Paprika<br />
1 kleine Zwiebel<br />
1 Knoblauchzehe<br />
2 Scheiben trockenes Weißbrot (ohne<br />
Rinde)<br />
3 EL Olivenöl<br />
2 EL Weißweinessig<br />
Salz und Pfeffer nach Geschmack<br />
Optional: eine Prise Kreuzkümmel oder<br />
Cayennepfeffer für zusätzliche Würze<br />
Frische Kräuter (z. B. Basilikum oder Petersilie)<br />
zum Garnieren<br />
Zubereitung:<br />
Die Tomaten, Gurke und Paprika grob würfeln. Die Zwiebel und die Knoblauchzehe schälen<br />
und grob hacken. Das altbackene Weißbrot in Wasser einweichen und ausdrücken. Alle<br />
vorbereiteten Zutaten in einen Mixer geben. Olivenöl, Weißweinessig und Gewürze hinzufügen.<br />
Alles gut mixen, bis eine glatte Suppenkonsistenz entsteht. Falls die Gazpacho zu dick<br />
ist, kannst du etwas Wasser hinzufügen, um die gewünschte Konsistenz zu erreichen. Nach<br />
Bedarf mit Salz und Pfeffer abschmecken. Die Gazpacho für mindestens eine Stunde im<br />
Kühlschrank abkühlen lassen, damit sie gut durchzieht. Vor dem Servieren die Gazpacho mit<br />
frischen Kräutern garnieren. Guten Appetit!<br />
KLIMA<br />
BONUS<br />
20<strong>23</strong><br />
Auch heuer wird<br />
es ab Herbst einen<br />
Klimabonus geben:<br />
Diesmal jedoch<br />
in gestaffelter<br />
Form, abhängig<br />
vom Wohnsitz und<br />
der Infrastruktur.<br />
Alle Informationen<br />
zu den Voraussetzungen<br />
dafür,<br />
der Höhe des<br />
Betrags und mehr,<br />
findest du hier:<br />
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klimabonus.gv.at<br />
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EMPFEHLUNG<br />
ÖSTERREICH<br />
RADELT:<br />
Die App kann euch<br />
motivieren, Wege mit<br />
dem Rad zurückzulegen<br />
anstatt mit dem Auto.<br />
Dabei könnt ihr die<br />
gesammelten Kilometer<br />
dokumentieren und<br />
erfahren, wie viel CO2<br />
ihr gespart habt – und<br />
sogar Preise gewinnen.<br />
Web-Tipp:<br />
https://<br />
www.<br />
radelt.at/<br />
VIRTUELLES WASSER<br />
Ein bewusster Umgang mit Wasser ist<br />
angebracht – gerade, weil wir beim<br />
Konsum verschiedener Produkte auch<br />
indirekt Wasser verbrauchen, das<br />
für die Herstellung verwendet oder<br />
verschmutzt wurde. Eine Studie der<br />
BOKU Wien von 2021 spricht von<br />
„virtuellem Wasser“ und unserem<br />
„Wasserfußabdruck“.<br />
● 1 Espresso ergibt einen virtuellen<br />
Wasserfußabdruck von 100 Litern.<br />
● Jährlich verbrauchen wir in Österreich<br />
durchschnittlich 1<strong>07</strong> Liter<br />
virtuelles Wasser pro Kilogramm<br />
Tomaten.<br />
● 1 Baumwoll-T-Shirt benötigt etwa<br />
2.720 Liter virtuelles Wasser.<br />
/ MIT SCHARF / 11
MEINUNGSMACHE MIT SCHARF<br />
Aktuelle politische Themen im Überblick: komprimiert, kurz und mit scharf.<br />
ÖSTERREICH SERBIEN ÖSTERREICH<br />
EXTREMISMUS HAT<br />
KEINE NATIONALITÄT<br />
STOLZ UND<br />
VERZWEIFLUNG<br />
HASS<br />
IM HÖRSAAL<br />
Mitte Juni wurde vom Innenministerium<br />
eine neue Studie über<br />
Extremismus in Migra-Communitys<br />
veröffentlicht. Dabei sollte ein<br />
Überblick über verschiedene Formen<br />
von Extremismus verschafft<br />
werden. Aber es wurden auch<br />
Erscheinungsformen herausgearbeitet,<br />
um potenzielle Gefahren<br />
und Probleme abschätzen zu<br />
können. Für die Studie wurden<br />
Migra-Communitys aus der Türkei,<br />
Tschetschenien, dem arabischen<br />
Raum und dem Westbalkan<br />
untersucht. Die Studie ist nicht<br />
uninteressant, aber dennoch lässt<br />
mich ein spezieller Gedanke nicht<br />
los. Wieso müssen wieder einmal<br />
Migrant:innen als die „Bösen“ oder<br />
als „Gefahr“ in unserer Gesellschaft<br />
dargestellt werden? Extremistisches<br />
Gedankengut hat nichts<br />
mit Nationalität oder Religion zu<br />
tun. Es ist ja nicht so, als gäbe<br />
es keine Österreicher:innen mit<br />
extremistischen Gedanken. Erst<br />
Ende Juni wurde in Ober- und Niederösterreich<br />
ein Waffenlager bei<br />
rechtsextremen „Rockern“ ausgehoben.<br />
Neben Waffen wurden auch<br />
NS-Flaggen gefunden. Ist Extremismus<br />
also ein Migra-Problem<br />
oder eher ein politisches Problem<br />
für Österreich?<br />
„Ihr blamiert unser Land!“, „Hoch<br />
lebe Vučić!“ Sprüche wie diese<br />
finden sich zuhauf als Kommentare<br />
unter Videos von den<br />
Demonstrationen in Serbien. Seit<br />
den zwei Amokläufen im Mai,<br />
bei denen 18 Menschen getötet<br />
wurden, begeben sich regelmäßig<br />
tausende Bürger:innen auf die<br />
Straßen Serbiens, um gegen die<br />
Regierung zu protestieren. Für<br />
einige der in Österreich lebenden<br />
Serb:innen sind die Demonstrationen<br />
jedoch eine Form des<br />
Volksverrats. Laut ihnen würde<br />
Präsident Aleksandar Vučić<br />
alles richtig machen, und an der<br />
Gewalt in Serbien wäre natürlich<br />
der Westen schuld. Ich frage<br />
mich wirklich: Seht ihr denn nicht<br />
die Verzweiflung der serbischen<br />
Bevölkerung? Die Menschen<br />
dort fordern einen bitter nötigen<br />
politischen Umschwung, weil<br />
sie nicht in Angst leben wollen.<br />
Also, gebt doch bitte endlich<br />
euren verkorksten Nationalstolz<br />
auf und hört auf die serbischen<br />
Bürger:innen, die die missliche<br />
politische Lage wirklich hautnah<br />
miterleben.<br />
Mein Papa ist gelernter Maurer,<br />
meine Mama hat eine Lehre zur<br />
Physiklaborantin gemacht. Ich<br />
bin die Erste in meiner Familie,<br />
die studiert. Als Arbeiterkind hat<br />
sich schon immer etwas in mir<br />
gespießt, wenn es an der Uni um<br />
vererbte Bildung und Co ging.<br />
Klar, der familiäre Hintergrund<br />
eines Kindes sollte nicht ausschlaggebend<br />
dafür sein, welche<br />
Bildungswege ihm offenstehen –<br />
und welche nicht. Ilkim Erdost von<br />
der Arbeiterkammer Wien forderte<br />
in diesem Zusammenhang erst<br />
kürzlich einen „Neustart“ des<br />
österreichischen Bildungssystems.<br />
Anstatt hierauf den Fokus zu<br />
legen, verfällt aber fast jede:r Prof<br />
beim Thema in eine „Wenn die<br />
Eltern nur eine Lehre haben, dann<br />
haben die Kinder wahrscheinlich<br />
auch nur…“-Rhetorik. Ich kann<br />
diese Hierarchisierungen nicht<br />
mehr hören. Es sollte doch bei<br />
dem Thema wirklich nicht darum<br />
gehen, den einen Bildungsweg<br />
über den anderen zu stellen, denn<br />
alle Berufe und Ausbildungen<br />
haben ihre Wertigkeit. Also bitte,<br />
liebe „Expert:innen“, spart euch<br />
euer internalisiertes Berufsgruppen-Ranking!<br />
Şeyda Gün, Kolumnistin<br />
guen@dasbiber.at<br />
Maria Lovrić-Anušić, Redakteurin<br />
lovric-anusic@dasbiber.at<br />
Anja Bachleitner, Stipendiatin<br />
redaktion@dasbiber.at<br />
© Zoe Opratko<br />
12 / MEINUNGSMACHE MIT SCHARF /
Hätte, hätte<br />
Hätte, hätte<br />
Lieferkette<br />
Lieferkette<br />
Lieferkette<br />
Lieferkette<br />
Kinderarbeit,<br />
Verletzung von<br />
Menschenrechten?<br />
Mit dem neuen EU-Lieferkettengesetz<br />
nehmen wir Unternehmen in in die die Pflicht!<br />
Denn vom Rohmaterial bis bis zum fertigen<br />
Produkt – Umweltvorschriften, sowie Arbeitsund<br />
Menschenrechte müssen stets für für jede:n<br />
gelten.
ASYLSTATUS:<br />
UNTERGETAUCHT<br />
Sie verstecken sich bei Freunden, halten sich mit Schwarzarbeit über Wasser und hoffen<br />
jeden Tag, nicht von der Polizei erwischt zu werden. Chefredakteurin Aleksandra Tulej hat<br />
abgelehnte Asylwerber getroffen, die als sogenannte „U-Boote” weiterhin illegal im Land<br />
bleiben. Es sind Einblicke in Lebensrealitäten, die an der Gesamtgesellschaft vorbei existieren.<br />
Von Aleksandra Tulej, Fotos: Zoe Opratko<br />
14 / POLITIKA | WIEN /
Keine Probleme machen,<br />
nicht auffallen, keine Polizei<br />
antreffen”, diese drei Regeln<br />
bestimmen Mahdis* Alltag.<br />
Der 27-Jährige ist vor vier Jahren aus<br />
Afghanistan nach Österreich geflüchtet,<br />
nach mehreren abgelehnten Asylanträgen<br />
wurde er vor die Wahl gestellt:<br />
Entweder verlässt er das Land, oder er<br />
wird abgeschoben. Mahdi entschied sich<br />
für die dritte Option: Er blieb in Österreich<br />
und tauchte hier unter. Genauer<br />
gesagt wohnt er bei einem älteren Ehepaar<br />
in einem Dorf irgendwo in Tirol. Die<br />
Nachbarn in der kleinen Ortschaft leben<br />
in dem Glauben, dass er sich legal in<br />
Österreich aufhält. Dass Mahdi eigentlich<br />
keine Papiere hat, wissen nur seine<br />
Zieh-Eltern und sehr enge Freunde, die<br />
in einer ähnlichen Situation stecken. Er<br />
hilft dem Ehepaar bei der Gartenarbeit<br />
und anstehenden Handwerksarbeiten im<br />
Haus. „Das ist für die beiden auch ein<br />
großes Risiko, aber sie helfen mir und ich<br />
helfe ihnen” – so lautet die Abmachung.<br />
Er lebt zwar in ständiger Angst, aber<br />
„das ist immer noch besser als in meiner<br />
Heimat”, erklärt der Afghane. „In den<br />
österreichischen Dörfern leben viele von<br />
uns, da ist es einfacher unterzutauchen<br />
als in der Großstadt”, erzählt er.<br />
ÖSTERREICHS „U-BOOTE“<br />
Mahdi ist einer von etwa 30.000 Menschen,<br />
die sich momentan illegal in<br />
Österreich aufhalten. Die Zahl ist hierbei<br />
bloß eine Schätzung verschiedener<br />
NGOs, die Dunkelziffer dürfte höher sein.<br />
Offizielle Statistiken betreffend dieser Fälle<br />
werden nicht geführt. „Erstens gehen<br />
wir aufgrund des dichten Kontrollnetzes<br />
auf verschiedenen Ebenen davon aus,<br />
dass die meisten Menschen vor, beim<br />
oder zeitnah zum Grenzübertritt aufgegriffen<br />
werden. Zweitens würde das nicht<br />
wirklich viel Sinn machen, da die meisten<br />
Menschen ja nach Asyl bzw. Legitimation<br />
ihres Aufenthalts streben, also entweder<br />
in andere Zielländer weiterreisen oder<br />
in Österreich um Asyl ansuchen. Selbst,<br />
wenn es Fälle gibt, in denen das nicht<br />
so ist, gibt es naturgemäß dazu keine<br />
Zahlen“, bestätigt BMI-Sprecher Harald<br />
Sörös.<br />
Bis Ende April 20<strong>23</strong> wurden laut<br />
BMI 3.624 negative Entscheidungen in<br />
den Schnell- und Eilverfahren getroffen.<br />
Außerdem haben sich bis Ende Mai rund<br />
16.989 Personen dem Verfahren entzogen,<br />
damit auf Schutz verzichtet und<br />
Österreich selbständig wieder verlassen.<br />
Die Rede ist von Personen, die nach<br />
mehreren negativen Asylentscheidungen<br />
das Land verlassen müssten – freiwillig<br />
oder eben unfreiwillig. Manche bleiben<br />
aber als sogenannte „U-Boote” hier:<br />
Sie kommen in illegal untervermieteten<br />
Wohnungen unter, halten sich mit<br />
Schwarzarbeit über Wasser und hoffen,<br />
dass sie niemand erwischt. Manche von<br />
ihnen fangen an, mit Drogen zu dealen,<br />
viele andere sind der Gutmütigkeit<br />
oder eben auch der Ausbeutung seitens<br />
anderer Menschen ausgeliefert. Manche<br />
werden vom Staat in die Illegalität getrieben,<br />
viele Fälle sind überaus komplex. In<br />
Länder wie Afghanistan oder Syrien wird<br />
momentan aus geopolitischen Gründen<br />
aus Österreich nicht abgeschoben – was<br />
passiert aber mit jenen, die schon länger<br />
hier sind? Wie sieht ihre Lebensrealität<br />
aus? Warum bleiben sie im Land?<br />
Welche Gedanken begleiten ihren Alltag?<br />
Wie schafft man es, in einem Land wie<br />
Österreich einfach unterzutauchen? Pauschalisierend<br />
ist es für Politik und Medien<br />
leicht, von „illegalen Flüchtlingen” zu<br />
sprechen – doch die Realität ist weitaus<br />
vielschichtiger. Es sind unterschiedlichste<br />
Geschichten, Beweggründe und Lebensrealitäten<br />
– ich will all das aus erster<br />
Hand erfahren.<br />
Die Recherche gestaltet sich wie<br />
erwartet als sehr schwierig und überaus<br />
kompliziert: „Die will doch, dass wir<br />
in den Knast kommen“, „Vergiss es“,<br />
„Dann kann ich mich ja gleich abschieben<br />
lassen“, „Spinnt die, glaubt sie echt,<br />
wir reden mit der?“, lauten die meisten<br />
Antworten, die mir über gefühlt zwanzig<br />
Ecken weitergeleitet werden. Angst und<br />
Misstrauen der Betroffenen spielen hier<br />
eine vorrangige Rolle – verständlich, wer<br />
in solch einer Situation will schon mit<br />
den Medien sprechen? Immer wieder<br />
springen Gesprächspartner ab, Streifzüge<br />
durch Wien auf der Suche nach<br />
Protagonisten scheitern und hunderte<br />
Telefonate scheinen mich nicht weiter<br />
zu bringen. Bis ich eines Abends von<br />
einer unterdrückten Nummer angerufen<br />
werde.<br />
„WENN ICH ERWISCHT WERDE,<br />
DANN: BUMM, ZACK, AB IN<br />
SCHUBHAFT“<br />
Es ist Amir*, der zögerlich einem Treffen<br />
einwilligt. „Woher weiß ich, dass du<br />
keine Zivilpolizistin bist?” ist seine erste<br />
– sehr berechtigte – Frage, als wir uns<br />
eine Stunde später im zweiten Bezirk in<br />
Wien treffen. Untertags geht er nicht so<br />
gerne raus, nachts fühlt er sich sicherer.<br />
Ich zeige ihm meinen Presseausweis,<br />
mein Instagram-Profil und erkläre ihm,<br />
dass niemand seine wahre Identität<br />
erfahren wird. Erst dann wird er ruhiger<br />
und beginnt zu erzählen. „Jetzt gibt es<br />
ja gerade Abschiebestopp nach Afghanistan,<br />
aber ich bin schon seit 2018<br />
hier. Wenn die (Anm. die Behörden) das<br />
erfahren würden, dann: Bumm, Zack,<br />
ab in Schubhaft, oder?” Nach Afghanistan<br />
gibt es seit 2021 Abschiebestopp.<br />
Was würde also mit Amir passieren?<br />
Das erklärt Julia Ecker, Anwältin für<br />
Fremden- und Asylrecht. „In so einer<br />
Situation könnte er natürlich bei einer<br />
Kontrolle trotzdem erstmal angehalten<br />
und festgenommen werden. Allerdings<br />
sollte dann wegen der Unmöglichkeit der<br />
Abschiebung eine Duldung ausgesprochen<br />
werden. Wenn sich, wie im Fall von<br />
Afghanistan, die Situation seit der negativen<br />
Entscheidung maßgeblich geändert<br />
„In den österreichischen Dörfern<br />
leben viele von uns, da ist es einfacher<br />
unterzutauchen als in der Großstadt”<br />
/ POLITIKA | WIEN / 15
„Man kennt sich untereinander, man weiß, wo<br />
es gerade bissi Geld zu verdienen gibt oder<br />
wo man am besten nicht hingehen sollte.“<br />
hat, würde sich auch empfehlen, nach<br />
Inanspruchnahme einer Rechtsberatung<br />
einen Folgeantrag zu stellen und so<br />
könnte die betroffene Person doch noch<br />
einen Schutzstatus in Österreich erhalten“<br />
(Mehr Infos s. Infobox)<br />
Amir hätte nach mehreren negativen<br />
Asylbescheiden abgeschoben werden<br />
sollen – vor der neuerlichen Machtübernahme<br />
der Taliban 2021. Seinen<br />
afghanischen Pass hat er längst nicht<br />
mehr. „Aber wohin soll ich gehen? Meine<br />
Familie würde sofort glauben, dass ich<br />
hier kriminell war, und sie würden nicht<br />
mehr mit mir sprechen, ich hätte kein<br />
Leben mehr dort.” Solche Geschichten<br />
kennt er von seinen Freunden, die aus<br />
Österreich nach Kabul abgeschoben<br />
wurden. Also entschied sich Amir, hier<br />
zu bleiben. Auch ohne Papiere. „Alles ist<br />
besser, als zurück nach Afghanistan zu<br />
gehen, da gibt es nichts. Auch bevor die<br />
Taliban da waren, das war, seitdem ich<br />
lebe, immer ein Scheißland.” Während<br />
wir durch einen Park gehen, blickt er<br />
immer wieder um sich. „Ich lebe echt<br />
mit der ur Paranoia, aber ein bissi selber<br />
Schuld, oder? Aber was würdest du an<br />
meiner Stelle machen?“, fragt er mich.<br />
Amir hat einige Freunde, die in einer<br />
ähnlichen Situation stecken – „Man kennt<br />
sich untereinander, man weiß, wo es<br />
gerade bissi Geld zu verdienen gibt oder<br />
wo man am besten nicht hingehen sollte.“<br />
Amir lebt mit sieben anderen in einer<br />
Wohnung in einem Industriegebiet in<br />
Wien – besagte Wohnung wird schwarz<br />
untervermietet. Sein Handyvertrag läuft<br />
auf einen anderen Namen. Krankenversichert<br />
ist er auch nicht, einmal hat er sich<br />
die e-card eines Freundes geborgt, um<br />
zum Arzt zu gehen – damals gab es auf<br />
den Karten noch keine Fotos.<br />
Seinen Lebensunterhalt bestreitet<br />
er mit „bissi bei Umzügen helfen, bissi<br />
Computer zusammenbauen, du weißt<br />
schon, dies und das halt”. Früher hat er<br />
auch „bissi mit Gras und so gedealt”,<br />
aber das wurde ihm auf Dauer doch<br />
zu unsicher – zu groß war die Sorge,<br />
erwischt zu werden. Und das Geld war<br />
sowieso nicht gut. Er sei aber nicht<br />
einer dieser Afghanen, die „schon wieder<br />
mit einem Messer irgendwen angegriffen,<br />
oder irgendeine Frau belästigt<br />
oder anderen Scheiß gebaut haben“,<br />
versichert er mir mehrmals – wenn er<br />
solche Schlagzeilen liest, schämt er sich<br />
für seine Herkunft. Amir kann verstehen,<br />
wenn „die Österreicher” Menschen<br />
wie ihn hier nicht haben wollen. „Die<br />
wissen einfach zu wenig über unsere<br />
Situation, aber sieh’s mal positiv:<br />
Ich koste den Staat ja nichts”, sagt er<br />
schmunzelnd. „Wien ist eigentlich ur<br />
schön, aber ich gehe selten raus – ich<br />
habe zu viel Angst davor, dass mich<br />
die Polizei erwischt.” Amir hofft darauf,<br />
dass er irgendwann ein Schlupfloch<br />
findet, durch das er legal in Österreich<br />
bleiben könnte. „Oder ich gehe nach<br />
Frankreich, die haben bessere Asylgesetze<br />
für uns.”<br />
„IN AFGHANISTAN BIN ICH<br />
GESTORBEN UND HIER WURDE<br />
ICH NOCHMAL GEBOREN“<br />
„In Afghanistan herrscht folgende<br />
Annahme: Wenn du abgeschoben wirst,<br />
dann warst du in Österreich sicher<br />
straffällig. Du verlierst dein Gesicht<br />
und kannst dort nicht mehr normal<br />
leben”, erzählt mir Shaukat Walizadeh,<br />
Geschäftsführer des afghanischen<br />
Kulturvereins „NEUER START” in Wien.<br />
„Diese Asylverfahren werden teilweise<br />
so willkürlich entschieden, teilweise<br />
schlampig oder nicht gründlich genug.<br />
Ich bin der Meinung, dass Österreich<br />
hier massiv Ressourcen verschwendet.<br />
Menschen stecken teilweise jahrelang<br />
in Asylverfahren, diese Zeit könnte<br />
man viel besser nutzen, wenn sie eine<br />
Arbeitserlaubnis hätten oder schneller<br />
ihren Aufenthalt bekommen – dann<br />
hätte Österreich auch mehr davon.”<br />
Der gebürtige Afghane selbst lebt seit<br />
2009 in Österreich, hatte zuerst Asyl<br />
bekommen und besitzt mittlerweile die<br />
österreichische Staatsbürgerschaft.<br />
„Ich sage immer: In Afghanistan bin ich<br />
gestorben und hier wurde ich nochmal<br />
geboren. Ich mag Österreich, weil<br />
ich hier meine Familie gegründet habe<br />
und man hier einem geregelten Alltag<br />
nachgehen kann. Aber warum klappt das<br />
dann nicht bei den Behörden auch?”,<br />
fragt er sich. Gründe für Flucht sind<br />
unterschiedlich, genau wie die Länder,<br />
aus denen Menschen nach Österreich<br />
kommen.<br />
„WIR KÖNNEN NICHT ZURÜCK,<br />
ABER HIER KÖNNEN WIR AUCH<br />
NICHT NORMAL LEBEN“<br />
„Wir haben uns zwanzig Tage lang bei<br />
einem Freund in seiner Wohnung in<br />
Wien versteckt. Die Polizei war alle zwei<br />
Tage bei uns im Asylheim und hat nach<br />
uns gesucht”, erzählt Mohammed*. Er<br />
ist Ende zwanzig und vor acht Jahren<br />
mit seinen Eltern und seinem jüngeren<br />
Bruder Yasin* aus dem Irak nach Österreich<br />
gekommen. Sie lebten jahrelang im<br />
Asylheim, 2019 sollten sie abgeschoben<br />
werden. „Der Irak ist ein sicheres Land,<br />
es gibt keinen Grund dafür, dass ihr Asyl<br />
bekommt”, hieß es seitens der Behörden.<br />
„Wir haben aber leider genug Gründe,<br />
und wir haben auch alle Beweise vorgelegt.<br />
Unser Vater wurde von der Asa’ib<br />
Ahl al-Haqq Terrormiliz im Irak (Anm. ein<br />
paramilitärisches Terrornetzwerk) verfolgt.<br />
Wir können nicht dorthin zurück”,<br />
erzählt Yasin. Mithilfe eines Anwalts<br />
gelang es der Familie, wieder Asylwerberstatus<br />
zu erlangen. Das bedeutet:<br />
Sie leben wieder im Asylheim, sie dürfen<br />
sich momentan legal im Land aufhalten.<br />
Trotzdem leben sie weiterhin großteils<br />
von Schwarzarbeit: „Haare schneiden,<br />
bei Umzügen helfen, bei großen Festen<br />
als Security, weil die da keinen Ausweis<br />
wollen”, zählt Yasin auf. „Die Lage ist<br />
einfach so schlecht, ich würde ja gerne<br />
mehr machen und arbeiten gehen.<br />
Aber wir können nicht zurück, aber hier<br />
können wir auch nicht normal leben, es<br />
ist zum Verzweifeln”, wirft Mohammed<br />
ein. Dennoch befinden sie sich in einer<br />
vergleichsweise stabileren Lage – vorerst<br />
dürfen sie im Land bleiben.<br />
DIE SACHE MIT DEM<br />
STUDENTENVISUM<br />
Als „U-Boote” leben in Österreich übrigens<br />
auch Menschen, die hier auf einen<br />
16 / POLITIKA | WIEN /
„Keine Probleme machen,<br />
nicht auffallen, keine Polizei<br />
antreffen”, diese drei Regeln<br />
bestimmen Mahdis* Alltag.<br />
/ POLITIKA | WIEN / 17
Instanzen. Wenn ein Asylantrag von<br />
allen Behörden und Gerichten abgelehnt<br />
wurde, besteht zunächst einmal die Möglichkeit<br />
einer freiwilligen Ausreise, für die<br />
man normalerweise 14 Tage Zeit hat“<br />
so Anwältin Julia Ecker. „In manchen<br />
Konstellationen besteht aber auch schon<br />
früher im Verfahren eine durchsetzbare<br />
Ausreisepflicht. Wenn man nicht kooperiert,<br />
gibt es Beugemaßnahmen und kann<br />
man auch in Schubhaft gesteckt werden,<br />
wo man bis zu 18 Monate angehalten<br />
werden kann. Danach ist die letzte<br />
Maßnahme eine Abschiebung“, so die<br />
Anwältin.<br />
Der afghanische Pass zählt zu einem der schwächsten<br />
Pässe weltweit – mit der geringsten Reisefreiheit.<br />
Uni-Abschluss hingearbeitet haben.<br />
„Wenn die Polizei mich schnappen<br />
würde, würde es gleich heißen: Ab nach<br />
Algerien.” Der 24-jährige Djamal* ist<br />
2017 mit einer Aufenthaltsbewilligung als<br />
Studierender aus Algerien nach Österreich<br />
gekommen. Er begann, Germanistik<br />
zu studieren, aber als sein Studentenvisum<br />
abgelaufen ist, hätte er Österreich<br />
verlassen müssen. Er hat lange versucht,<br />
eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, es<br />
mit seinem Anwalt auf „allen möglichen<br />
Wegen probiert“ – ohne Erfolg. Djamal<br />
ist trotzdem in Österreich geblieben – er<br />
hat hier eine Freundin gefunden, die er<br />
gerne heiraten würde. „Dafür müssten<br />
wir aber klarerweise zum Standesamt<br />
und das geht in meiner Situation nicht”,<br />
so Djamal. Angst, erwischt zu werden,<br />
hat er zwar, nimmt das Risiko aber dennoch<br />
auf sich: Zurück nach Algerien zu<br />
ziehen, ist für ihn keine Option. „Da gibt<br />
es nichts, dort kannst du nicht leben, ich<br />
sehe Österreich als meine Heimat.“ Er<br />
kommt gerade in der Nähe von Salzburg<br />
in einer kleineren Ortschaft unter, die<br />
Wohnung wird schwarz untervermietet.<br />
„Ich verstehe das einfach nicht,<br />
ab wann ist man genug integriert? Ich<br />
spreche ja gut Deutsch, das merkst du<br />
ja auch”, erklärt er sich. „Menschen,<br />
die nicht einmal Ja oder Nein sagen<br />
können, bekommen hier dann ohne<br />
Probleme Aufenthalt?”, wundert er sich.<br />
Er hält sich mit Gelegenheitsjobs an der<br />
Baustelle oder als Gartenpfleger über<br />
Wasser. „Ich habe echt keine Lust mehr,<br />
schwarz arbeiten zu gehen. Aber ich<br />
sterbe lieber vor Hunger, als dass ich<br />
etwas stehlen würde oder irgendeine<br />
wirkliche Straftat begehe.” Wie sieht hier<br />
die Rechtslage aus?<br />
„Es gibt im fremdenpolizeilichen und<br />
Asylverfahren grundsätzlich mehrere<br />
WAS PASSIERT MIT<br />
STRAFFÄLLIGEN<br />
ASYLWERBER:INNEN?<br />
Straffällige Asylwerber:innen oder<br />
Menschen, die sich illegal in Österreich<br />
aufhalten und straffällig werden, kommen<br />
häufig im Anschluss an ein Strafverfahren<br />
in Schubhaft. Abu Bakar* ist <strong>23</strong><br />
Jahre alt, in Tschetschenien geboren und<br />
in Österreich aufgewachsen. 2021 wurde<br />
er nach § 278, also wegen Mitgliedschaft<br />
in einer Terroristischen Vereinigung<br />
in Schubhaft gesteckt. „Ich habe<br />
in privaten Chats Blödsinn geschrieben,<br />
so mit ‚Komm, lass eine Terrororganisation<br />
gründen‘ – das war nur dummer<br />
Spaß, ich war jung – das hat das Gericht<br />
aber nicht als Scherz gesehen”, erzählt<br />
er. Sein Asylstatus wurde ihm daraufhin<br />
entzogen. In der Schubhaft hat er<br />
einen Hungerstreik durchgezogen und<br />
wurde deshalb auch wieder freigelassen,<br />
was man auch einem Schreiben<br />
der Volksanwaltschaft entnehmen kann<br />
– Abu Bakar hatte aber daraufhin ein<br />
Jahr lang Meldepflicht bei der Polizei.<br />
Dies wurde damit begründet dass er,<br />
„seiner Ausreiseverpflichtung bislang<br />
nicht nachgekommen sei.“ Die Lage ist<br />
aber wesentlich komplexer: Seitens der<br />
russischen Behörden hieß es, dass eine<br />
„Rückführung nach Russland nicht möglich<br />
sei, da „es anhand der behördlichen<br />
Register nicht möglich sei, festzustellen,<br />
ob er wirklich russischer Staatsbürger<br />
sei“, was die Lage nochmals verkompliziert.<br />
Auch die Schubhaft wurde im<br />
Nachhinein übrigens als rechtswidrig<br />
erklärt – auch das bestätigt das Schreiben<br />
der Volksanwaltschaft. Daraufhin hat<br />
Abu einen Folgeantrag auf Internationa-<br />
18 / POLITIKA | WIEN /
Was ihn in seiner Heimat erwartet?<br />
„Folter, Schläge, Stromschläge,<br />
Schnitte mit Messern.“<br />
len Schutz eingereicht – das war zu<br />
dem Zeitpunkt, als in Russland gerade<br />
die Mobilmachung im Rahmen des<br />
Krieges gegen die Ukraine stattfand.<br />
Der Antrag wurde abgelehnt, Abu<br />
Bakar hat eine Beschwerde eingereicht<br />
– diese wurde dann angenommen.<br />
Nach diesem mühseligen<br />
Verfahren, dem ewigen hin - und her,<br />
darf Abu Bakar also bleiben. Vorerst.<br />
Heute lebt er von der Mindestsicherung<br />
seiner Großmutter und hofft<br />
darauf, bald eine Arbeitserlaubnis<br />
zu bekommen – und normal an der<br />
Gesellschaft teilhaben zu können.<br />
An dieser Stelle frage auch ich mich<br />
mittlerweile, wie das auf lange Sicht<br />
funktionieren wird – im Endeffekt<br />
haben ja beide Seiten nichts davon.<br />
„IN TSCHETSCHENIEN WERDEN<br />
SIE MICH FOLTERN“<br />
Übrigens: Nach Tschetschenien,<br />
einer Teilrepublik Russlands, gibt es<br />
aufgrund der momentanen geopolitischen<br />
Lage gerade ebenfalls keine<br />
Abschiebungen. Trotzdem hat Abu<br />
Bakar Sorge davor, dass sich das<br />
bald ändern könnte. Was mit ihm<br />
passieren würde, wenn man ihn nach<br />
Russland abschiebt? „Das Übliche,<br />
was sie mit allen meinen Landsleuten<br />
tun, die nicht für sie arbeiten oder<br />
nicht mit ihnen kooperieren. Folter,<br />
Schläge, Stromschläge, Schnitte mit<br />
Messern…“, zählt Abu Bakar auf. Er<br />
nimmt hier Bezug auf den Machthaber<br />
Tschetscheniens und Putins<br />
„Mann fürs Grobe“, Ramzan Kadyrow<br />
und sein Gefolge. Im Internet<br />
kursieren etliche Videos, auf denen<br />
Folter gegenüber sogenannten<br />
„Landesverrätern“ in Tschetschenien<br />
ersichtlich ist – das gilt mehreren<br />
Berichten zufolge nicht nur für seine<br />
Kritiker:innen, sondern auch für Menschen<br />
mit Vorstrafen, wie es bei Abu<br />
der Fall ist.<br />
NEUES ASYLGESETZ ALS<br />
LÖSUNG?<br />
Erst Anfang Juni haben sich die<br />
EU-Staaten auf eine Verschärfung<br />
der Asylregeln geeinigt – der Kompromiss<br />
sieht einen deutlich strengeren<br />
Umgang mit Menschen ohne<br />
Bleibeperspektive vor. Menschen, die<br />
aus als sicher geltenden Ländern in<br />
EU-Staaten kommen, sollen in Zukunft<br />
gleich nach dem Grenzübertritt unter<br />
haftähnlichen Bedingungen in streng<br />
kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen<br />
kommen – dort wird innerhalb einer<br />
Frist von sechs Monaten geprüft,<br />
ob eine Chance auf Asyl besteht<br />
oder nicht. Wenn nicht, soll man<br />
umgehend zurückgeschickt werden.<br />
Dadurch würde sich aus EU-Sicht die<br />
Lücke schließen, in der Menschen<br />
erst in die Situation kommen, in<br />
einem Land ohne Bleiberecht untertauchen<br />
zu können. Aber: Was als<br />
„sicheres Land“ gilt, ist in der Realität<br />
der Einzelnen oft genau das Gegenteil.<br />
Das ist streitbar und wird je nach<br />
Einzelfall entschieden. Was passiert<br />
aber mit Menschen wie Amir, Djamal,<br />
Mahdi und all den anderen, die schon<br />
da sind und bleiben? Sie schaffen<br />
sich ein eigenes Paralleluniversum,<br />
mit eigenen Gesetzen, mit eigenen<br />
Strategien, Auffangnetzen und Regeln<br />
– ganz im Stillen, sie leben an der<br />
Gesamtgesellschaft vorbei, ob es ihr<br />
gefällt oder nicht. „Schreib‘ mir, wenn<br />
du zuhause bist, man weiß ja nie, ob<br />
um die Uhrzeit keine illegalen Flüchtlinge<br />
rumlaufen“, mit diesen Worten<br />
verabschiedet sich Amir lachend nach<br />
unserem Treffen. ●<br />
* Die Namen wurden zum Schutz der Personen<br />
von der Redaktion geändert.<br />
Die Fotos wurden für die Geschichte nachgestellt.<br />
Auf den Bildern handelt es sich nicht<br />
um die Protagonisten aus der Reportage.<br />
INFOS ZUR<br />
RECHTSLAGE:<br />
Wo gibt es Beratung?<br />
Bei der Bundesagentur für Betreuungsund<br />
Unterstützungsleistungen (BBU)<br />
gibt es Rechts- und Rückkehrberatung<br />
für „Fremde” und Asylwerber:innen.<br />
Oder bei unabhängigen NGOs, wie<br />
beispielsweise die Diakonie, Caritas,<br />
Helping Hands und spezialisierten<br />
Rechtsanwält:innen (wie z.B. vom<br />
„Netzwerk Asylanwält:innen)<br />
Wer bestimmt, ob man abgeschoben<br />
wird?<br />
Das BFA (Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen)<br />
Was bedeutet „freiwillige Rückkehr“?<br />
Für eine freiwillige Rückkehr in das Heimatland<br />
oder das nächste sichere Land<br />
hat man nach einem mehrmals abgelehnten<br />
Asylantrag in der Regel 14 Tage.<br />
Das Bundesministerium für Inneres<br />
(BMI) und das BFA unterstützen Personen,<br />
die in ihr Heimatland zurückkehren,<br />
mit unterschiedlichen Leistungen. Während<br />
das BFA die individuellen Anträge<br />
zur freiwilligen Rückkehr genehmigt und<br />
eine Rückkehrhilfe gewährt, fördert das<br />
BMI eine „bundesweit flächendeckende<br />
Rückkehrberatung“.<br />
Was bedeutet „Duldung“?<br />
Es gibt in Österreich, nach § 46a<br />
Fremdenpolizeigesetz 2005, einen<br />
Auffangtatbestand, der sich „Duldung“<br />
nennt. Dieser besagt: „Der Aufenthalt<br />
von Fremden ist zu dulden“, wenn eine<br />
Abschiebung nicht zulässig ist. Das gilt<br />
auch für „Fremde“, die eigentlich nicht<br />
rechtmäßig hier aufhältig sind („für Personen<br />
bei denen […] nicht durch Legalisierung<br />
des Aufenthaltes im Rahmen<br />
eines anderen Rechtsinstituts [wie z.B.<br />
nach AsylG oder NAG] Rechnung getragen<br />
wird, bei denen aber ein „Abschiebehindernis“<br />
vorliegt“). Die Person<br />
hat also folglich einen Anspruch auf<br />
Duldung und eine sogenannte „Karte<br />
für Geduldete“. Diese gilt dann ein Jahr<br />
und kann nach einem Jahr verlängert<br />
werden, wenn die gleichen Voraussetzungen<br />
dann noch gelten.<br />
/ POLITIKA | WIEN / 19
Herr Thür, wie<br />
oft haben Sie die<br />
Republik Österreich<br />
verklagt?<br />
Welche Mathe-<br />
Note hatten<br />
Sie bei der<br />
Matura?<br />
Wie viele<br />
Stunden<br />
pro Woche<br />
verbringen Sie<br />
am Küniglberg?<br />
Wie viele<br />
Parteien haben<br />
Sie in Ihrem<br />
Leben gewählt?<br />
Interview in Zahlen: In Politik<br />
und Medien wird schon genug<br />
geredet. Biber fragt in Worten,<br />
ZiB2-Moderator Martin Thür<br />
antwortet mit einer Zahl.<br />
4<br />
40–50<br />
4<br />
Von Aleksandra Tulej und Nada El-Azar-Chekh,<br />
Fotos: Zoe Opratko<br />
Drei ORF-Kolleg:innen gehen dem<br />
ZiB2-Moderator auf die Nerven.<br />
Eine Vier hatte der gebürtige St. Pöltner<br />
bei der Mathe-Matura im Zeugnis.<br />
Wie viele<br />
Journalismuspreise<br />
haben<br />
Sie bis jetzt<br />
gewonnen?<br />
In welchem<br />
Bezirk<br />
wohnen Sie?<br />
Wie viele<br />
Stunden<br />
schlafen Sie<br />
pro Nacht?<br />
In welchem<br />
Alter wussten<br />
Sie, dass Sie<br />
Journalist<br />
werden wollen?<br />
Wie viele<br />
Anzüge hängen<br />
in Ihrem<br />
Schrank?<br />
5<br />
<strong>23</strong><br />
7<br />
19<br />
8<br />
20 / POLITIKA /
Wie oft haben<br />
Sie über die<br />
SPÖ-Excel-<br />
Panne staunen<br />
müssen?<br />
Wie oft<br />
pro Woche<br />
verwenden Sie<br />
Excel?<br />
Wie viele<br />
Politiker:innen<br />
wollen Sie<br />
am liebsten<br />
nie wieder<br />
interviewen?<br />
Wie viele ORF-<br />
Kolleg:innen<br />
gehen Ihnen auf<br />
die Nerven?<br />
Wie viele<br />
Stunden<br />
arbeiten Sie<br />
pro Woche?<br />
200<br />
20<br />
0<br />
3<br />
55<br />
Fünf Mal pro Woche kocht der Journalist selbst zuhause.<br />
Acht Anzüge hat Thür in seinem Schrank hängen.<br />
Wie viele<br />
Menschen<br />
würden Sie als<br />
„enge Freunde“<br />
bezeichnen?<br />
Wie oft<br />
haben Sie<br />
die Republik<br />
Österreich<br />
verklagt?<br />
Wie viele<br />
Klagen<br />
bekamen<br />
Sie für Ihre<br />
journalistische<br />
Arbeit bis jetzt?<br />
Wie oft pro<br />
Woche kochen<br />
Sie selbst<br />
zuhause?<br />
Wie oft wollten<br />
Sie Ihren Job<br />
kündigen?<br />
3<br />
4<br />
3<br />
5<br />
30<br />
(Damit ist nicht die<br />
ZiB2 gemeint)<br />
/ POLITIKA / 21
KOMMENTAR<br />
ROT-WEISS-BRAUNES<br />
(OBER)ÖSTERREICH<br />
Von Anja Bachleitner<br />
Nach dem riesigen Waffenlagerfund einer rechtsextremen Gruppierung<br />
in Oberösterreich ist die Politik neuerlich zum Handeln aufgefordert.<br />
In der Bevölkerung muss indessen das Prinzip von „Nie wieder“<br />
abermals einem Gefühl von „Bitte nicht schon wieder!“ weichen.<br />
Ende Juni wurde bekannt, dass bei<br />
Razzien in Ober- und Niederösterreich<br />
hundertfach Waffen und NS-<br />
Devotionalien bei einem Ableger des<br />
Rockerclubs „Bandidos“ in Oberösterreich<br />
sichergestellt wurden. Bereits im<br />
Vorfeld kam es zu vier Festnahmen in der<br />
Causa. Im Zuge der Razzien wurden weitere<br />
sechs Personen verhaftet und in U-Haft gebracht,<br />
darunter auch ein ehemaliges Führungsmitglied der<br />
rechtsradikalen Gruppierung „Objekt21“, die seit 10<br />
Jahren als zerschlagen gilt. Auch bei diesem rechtsextremen<br />
Zusammenschluss wurden damals Waffen<br />
und Sprengstoff in einem angemieteten Bauernhof,<br />
im oberösterreichischen Desselbrunn, gefunden.<br />
Man muss allerdings gar nicht so weit zurückgehen<br />
in der Zeit: Die jüngsten Nachrichten lesen sich wie<br />
die traurige Fortsetzung von Berichten über Brandanschläge<br />
auf eine geplante Asylunterkunft in Linz,<br />
unaufgeklärte Schändungen der KZ-Gedenkstätte<br />
Mauthausen oder verurteilte Neonazis, die Grabkerzen<br />
vorm Geburtshaus Hitlers, in Braunau, abstellten.<br />
Was all diese Vorfälle neben ihrer rechtsextremen<br />
Motivation gemeinsam haben, ist das Bundesland,<br />
in denen sie sich ereignet haben. Oberösterreich ist<br />
zwar bei weitem nicht der einzige Ort, wo Rassismus<br />
und Rechtsextremismus ein Problem darstellen, aber<br />
dennoch scheint hier der Tonus „Nie wieder“ besonders<br />
oft von einem „Bitte nicht schon wieder“ abgelöst<br />
zu werden. Bitte nicht schon wieder ein Naziring,<br />
bitte nicht schon wieder ein Waffenlager, bitte nicht<br />
schon wieder dieses ewig braune Gedankengut. Das<br />
„profil“ hat einmal versucht zu analysieren,<br />
was gerade Oberösterreich<br />
so attraktiv macht für Rechtsextreme.<br />
Es wurden unter anderem die Nähe zu<br />
Deutschland und eine „Kultur des Verharmlosens“<br />
als Gründe genannt, das Innund<br />
Hausruckviertel als „Aufmarschgebiete“<br />
der Rechtsextremen bezeichnet und als „Milieu“,<br />
wo auch die FPÖ ihre Ausgänge genommen hat.<br />
ÖSTERREICH UND DER<br />
EINZELFALL<br />
Eine „Kultur des Verharmlosens“, des Wegschauens,<br />
des Hinunterspielens. Das hört sich jedenfalls<br />
nicht unösterreichisch an. Wie problematisch dieser<br />
Zugang im Bezug auf Rechtsextremismus ist, wird<br />
einmal mehr klar, wenn man Willi Mernyi, dem Vorsitzenden<br />
des Mauthausen Komitees Österreich oder<br />
Robert Eiter, Sprecher des OÖ. Netzwerks gegen<br />
Rassismus und Rechtsextremismus, zuhört. Sie kritisieren<br />
eine Praxis des Totschweigens und der Untätigkeit<br />
seitens der Regierung und Exekutive sowie<br />
die immer noch ausstehende Realisierung eines Nationalen<br />
Aktionsplans gegen Rechtsextremismus, der<br />
bereits 2021 vom Nationalrat beschlossen wurde.<br />
Als oberösterreichisches Kind vom Land muss<br />
ich selbst nicht weit über den Tellerrand meiner<br />
behüteten Erziehung hinausschauen, um zu wissen,<br />
dass Maßnahmen und Veränderungen dringend<br />
benötigt werden. Man redet immer von Aufarbeitung<br />
und Aufklärung. Aber wie und vor allem mit<br />
welcher Reichweite und Resonanz wird diese Arbeit<br />
© Zoe Opratko<br />
22 / POLITIKA /
in Österreich wirklich betrieben? Und hat man die<br />
Notwendigkeit von Präventionsmaßnahmen und Ausstiegshilfen<br />
für Rechtsextreme wirklich schon in ihrer<br />
ganzen Tragweite erkannt? Während wir hierzulande<br />
Klimaaktivist*innen als Terrorist*innen bezeichnen,<br />
muss ich nicht einmal über die Grenzen meiner Heimatgemeinde<br />
hinausdenken, um zu wissen, wer sich<br />
tatsächlich in einschlägigen Gruppen herumtreibt.<br />
Das bleibt unkommentiert. Wird hingenommen.<br />
Wahrscheinlich muss erst eine Gewalttat passieren,<br />
bevor der Ort darüber spricht. Manchmal frage ich<br />
mich, wie lange es noch dauern wird, bis „jeder<br />
jemanden kennt“, dem man problematische Aussagen<br />
bis hin zu Wiederbetätigung vorwerfen kann.<br />
Und dabei stoppt das Problem ja nicht einmal bei<br />
NS-Verherrlichung. „Die Sicherstellung von automatischen<br />
Waffen ist ein alarmierender Hinweis darauf,<br />
wie gefährlich diese Szene ist“, so Justizministerin<br />
Alma Zadić in einer Stellungnahme zu den neuesten<br />
Funden. Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas<br />
Stelzer forderte unterdessen mehr Personal und<br />
Überwachungsmöglichkeiten für die Polizei. Zudem<br />
verwies er auf ein neues „Handlungskonzept gegen<br />
Extremismus“, welches in den letzten Wochen<br />
erweitert und überarbeitet worden sei. Dabei handelt<br />
es sich laut Berichten allerdings um ein Konzept<br />
gegen jegliche Formen des Extremismus, nicht nur<br />
den von Rechts. Während Stelzer nicht müde wird<br />
zu betonen, dass er sich Oberösterreich nicht in ein<br />
rechtsradikales Eck drängen lasse, machen sich viele<br />
Menschen reale Sorgen und wünschen sich konkretere<br />
Schutzmaßnahmen.<br />
OBERÖSTERREICH: GANZ<br />
VORNE BEI RECHTSEXTREMEN<br />
STRAFTATEN<br />
So zum Beispiel Landesgeschäftsführer der SPÖ<br />
Oberösterreich, Florian Koppler. Er forderte die<br />
Regierung nach den jüngsten Geschehnissen<br />
erneut zum Handeln auf: „Der riesige rechtsextreme<br />
Waffenlagerfund verdeutlicht, wie dringend ein OÖ-<br />
Aktionsplan gegen Rechtsextremismus fehlt und wie<br />
sehr ÖVP/FPÖ mit ihrer Blindheit am rechten Auge<br />
die Sicherheit in Oberösterreich gefährden!” Er weist<br />
in diesem Zusammenhang auf die „Spitzenposition“<br />
Oberösterreichs in Sachen rechtsextreme Straftaten<br />
hin. Diese geht auch aus einem Dokument des<br />
Innenministeriums vom März dieses Jahres hervor.<br />
173 „Tathandlungen mit rechtsextremem Hintergrund“<br />
wurden darin für Oberösterreich im Jahr<br />
2022 dokumentiert, womit sich das Bundesland als<br />
Zweiter, hinter Wien, einreiht - allerdings leben in<br />
Wien auch eine halbe Million mehr Menschen. 1<strong>23</strong>-<br />
mal kam es in Oberösterreich zu Anzeigen gegen<br />
Personen, wegen rassistischer, fremdenfeindlicher,<br />
antisemitischer oder rechtsextremer Aktivitäten. Die<br />
restlichen Bundesländer blieben hier im zweistelligen<br />
Bereich. SPÖ-Abgeordnete Sabine Schatz musste<br />
diese Daten erst in einer parlamentarischen Nachfrage<br />
anfordern, bevor sie vom Innenministerium<br />
zur Verfügung gestellt wurden. Jüngst standen die<br />
Zahlen allerdings in der Kritik, da sie sich nicht mit<br />
jenen aus dem Justizministerium decken würden,<br />
sondern, auf Gesamtösterreich gesehen, um das<br />
eineinhalbfache geringer ausgefallen seien. Im Zuge<br />
dieses „Zahlenchaos“ wurde erneut die schnellere<br />
Umsetzung des Rechtsextremismus-Berichts gefordert.<br />
Dieser wurde im Jahr 2002 unter schwarz-blau<br />
abgeschafft, wobei Burschenschaften im Vorfeld ein<br />
Ende der „Gesinnungsschnüffele“ gefordert haben<br />
sollen. 2021 wurde unter türkis-grün die Wiedereinführung<br />
des Berichts durchgesetzt. Erschienen ist er<br />
bisher noch nicht.<br />
Dass manche Gesinnungen keine Privatsache<br />
sind, sondern sowohl rechtlich als auch moralisch<br />
untragbar sind und eine reale Bedrohung für Menschen,<br />
deren Freiheit und deren Recht auf ein Leben<br />
in Vielfalt und Frieden darstellen, darüber sollten<br />
wir uns, gerade in Österreich, eigentlich einig sein.<br />
Völlige Verurteilung rechtsextremen Gedankenguts<br />
und völlige Solidarisierung mit Opfern und potenziell<br />
Gefährdeten sollte die österreichische Devise lauten,<br />
die gleichzeitig die Basis zum Handeln bilden sollte.<br />
Anstatt aber einen klaren Kurs zu fahren, wurschteln<br />
wir weiter herum und brüsten uns mit einzelnen<br />
Ermittlungserfolgen, während der Erfolg der FPÖ<br />
von keiner Liederbuchaffäre und keiner Identitären-<br />
Freundschaft getrübt scheint. Dort, wo es ein<br />
Problem mit Rechtsextremismus gibt, muss es auch<br />
so benannt und behandelt werden. Einerseits würde<br />
man dadurch falsche Pauschalisierungen abbauen,<br />
gegen die sich unter anderem der oberösterreichische<br />
Landeshauptmann so zu wehren scheint. Andererseits,<br />
und darum sollte es hauptsächlich gehen,<br />
kann einem ehrlichen Streben nach „Nie wieder“ nur<br />
so nachgekommen werden - anstatt sich von einem<br />
Vorfall zum nächsten zu hanteln. ●<br />
Anja Bachleitner, Biber-Stipendiatin<br />
redaktion@dasbiber.at<br />
/ POLITIKA / <strong>23</strong>
„Die Welt darf keinen zweiten<br />
Völkermord zulassen.“<br />
Im Schatten des Ukrainekrieges spitzt sich die Lage in Berg-Karabach weiter zu:<br />
Seit Dezember ist die umstrittene Region zwischen Armenien und Aserbaidschan<br />
blockiert. Weder Lebensmittel, noch humanitäre Hilfe kommt an. Ararat Mgdsian, der<br />
Wurzeln in Karabach hat, erzählt, wie es seinen Freunden und Familie vor Ort geht.<br />
Von Nada El-Azar-Chekh<br />
© Sergey Akopyan<br />
24 / POLITIKA /
© DAVIT GHAHRAMANYAN / AFP / picturedesk.com<br />
Es gibt einen großen Doppelstandard<br />
in Europa: Man kauft<br />
kein Gas mehr aus Russland,<br />
weil es im Krieg mit der Ukraine<br />
ist. Jedoch hat man kein Problem<br />
damit, stattdessen Gas-Deals mit Aserbaidschan<br />
abzuschließen und verschließt<br />
die Augen vor der existenziellen Krise in<br />
Berg-Karabach“, sagt Ararat Mgdsian.<br />
Der 24-Jährige lebt seit 2017 in Österreich<br />
und hat Verwandte und Freunde in<br />
jener Region, um die sich die Nachbarstaaten<br />
Armenien und Aserbaidschan in<br />
einem langen Konflikt befinden.<br />
Seit mehr als 200 Tagen ist der<br />
Latschin-Korridor von aserbaidschanischen<br />
Truppen besetzt. Er ist einzige<br />
Verbindung zwischen der autonomen<br />
Republik Arzach, die seit 1991 in der<br />
Region Berg-Karabach unabhängig ist,<br />
und Armenien. Über 130.000 Menschen<br />
– davon etwa 30.000 Kinder – haben seit<br />
Dezember keinen Zugang zu Medikamenten,<br />
Lebensmitteln oder humanitärer<br />
Hilfe. Die Blockade begann als Protest<br />
von aserbaidschanischen Öko-Aktivisten<br />
gegen angeblich illegale Bergbauarbeiten<br />
am Latschin-Korridor. Zu einem weiteren<br />
Krieg zwischen Aserbaidschan und<br />
Armenien kam es zuletzt im Jahr 2020,<br />
bei dem tausende Menschen starben.<br />
Damals griff Russland als alte Schutzmacht<br />
Armeniens ein und vereinbarte<br />
einen Waffenstillstand. Doch vor dem<br />
Hintergrund des Ukrainekriegs ist nicht<br />
nur die westliche Berichterstattung,<br />
sondern auch das Engagement für Berg-<br />
Karabach deutlich abgeflacht.<br />
15 TAGE STROM IM MONAT<br />
„Ich verbrachte Weihnachten in der<br />
Hauptstadt Jerewan und wollte eigentlich<br />
zu meiner Verwandtschaft nach<br />
Berg-Karabach fahren. Der Besuch kam<br />
doch nicht zustande – zu meinem Glück,<br />
denn sonst wäre auch ich in der Blockade<br />
gefangen“, erzählt Ararat, der BWL<br />
an der WU studiert. Einige seiner engen<br />
Freunde sind vor Ort in der Enklave. Sie<br />
berichten, dass seit Dezember die Kinder<br />
in der Region die Schule nicht besuchen<br />
können. Strom gäbe es nur 15 Tage im<br />
Monat, ohne Vorwarnung. „Wenn es<br />
gerade keinen Strom und kein Internet<br />
dort gibt, können wir keinen Kontakt aufnehmen.“<br />
Einer von Ararats Freunden ist<br />
Arzt. „Die Situation dort ist sehr schwer,<br />
da die wenigen Krankenhäuser in der<br />
Region schlecht ausgestattet sind. Alte<br />
und kranke Menschen, sowie Schwangere<br />
müssten nach Armenien fahren,<br />
um ausreichend betreut zu werden.<br />
Sollten sie das Gebiet jedoch verlassen,<br />
kommen sie nie mehr zurück zu ihren<br />
Häusern.“ Der Alltag in Berg-Karabach<br />
gestaltet sich schwer, wie Ararat von<br />
seinen Kontakten vor Ort erfahren hat.<br />
„Bereits nach dem ersten Monat der<br />
Blockade wurden Lebensmittel knapp.<br />
Deshalb hat sich die Karabach-Regierung<br />
dazu entschlossen, Produkte zu rationieren.<br />
Für eine vierköpfige Familie gibt es<br />
nur 100 Gramm Brot. Jetzt im Sommer<br />
wird Obst und Gemüse von der Bevölkerung<br />
eingekocht für den Winter.“<br />
GROSSTÜRKISCHE<br />
FANTASIEN<br />
Während Menschenrechtsorganisationen<br />
Alarm schlagen, verschärft sich der Ton<br />
seitens der aserbaidschanischen Regierung<br />
immer weiter. Die Idee vom „Großen<br />
Turan“, also einem politischen und<br />
kulturellen Zusammenschluss der turksprachigen<br />
Länder wie Aserbaidschan,<br />
Kirgistan, Turkmenistan und Usbekistan<br />
im Kaukasus wird auch vom türkischen<br />
WORUM GEHT ES BEI<br />
DEM KONFLIKT UM<br />
BERG-KARABACH?<br />
Der Konflikt zwischen Armenien<br />
und Aserbaidschan um Bergkarabach<br />
besteht aus einem<br />
langjährigen territorialen Streit<br />
um die Region Bergkarabach.<br />
Beide Länder beanspruchen<br />
das Gebiet, das zu sowjetischen<br />
Zeiten zu Aserbaidschan<br />
gehörte, aber überwiegend von<br />
ethnischen Armeniern bewohnt<br />
wird. Der Konflikt eskalierte<br />
2020 in einen weiteren Krieg,<br />
bei dem fast 4.000 Menschen<br />
starben und viele vertrieben<br />
wurden. Im November 2020<br />
wurde eine Waffenruhe vereinbart,<br />
aber die Spannungen<br />
bleiben bestehen und eine dauerhafte<br />
Lösung ist noch nicht<br />
gefunden.<br />
Russland hat als Vermittler und Akteur<br />
Einfluss im Konflikt um Berg-Karabach.<br />
Präsidenten Erdogan immer weiter vorangetrieben.<br />
Die Region Berg-Karabach,<br />
die eine ethnisch armenische Bevölkerung<br />
hat, sich aber laut UN völkerrechtlich<br />
zu Aserbaidschan gehöre, spielt<br />
geopolitisch eine entscheidende Rolle.<br />
Ararat findet, dass die Welt nicht weiter<br />
tatenlos zusehen darf. Er vergleicht die<br />
aktuelle Blockade Berg-Karabachs mit<br />
der Situation vor dem osmanischen<br />
Genozid an der armenischen Bevölkerung<br />
im Jahr 1915. Gemeinsam mit 30<br />
anderen Ländern, erkannte Österreich<br />
den Genozid an den Armeniern offiziell<br />
an. „Die Menschen werden wieder<br />
vor die Wahl gestellt, entweder ein Teil<br />
von Aserbaidschan zu werden, oder zu<br />
sterben“, so der BWL-Student. Armenien<br />
befände sich, als demokratisch und<br />
westlich-orientiertes Land umrandet von<br />
diktatorischen, antiwestlichen Staaten.<br />
„Die Welt darf keinen zweiten Völkermord<br />
zulassen“, sagt Ararat. Schon seine<br />
Vorfahren mussten vor 100 Jahren vor<br />
dem Genozid nach Vanadzor im Osten<br />
von Armenien fliehen. „Ich möchte nicht,<br />
dass meine Freunde oder meine zukünftigen<br />
Kinder dasselbe erleben.“ ●<br />
/ POLITIKA / 25
WAS GIBT’S NEUES AM BALKAN?<br />
Von Dennis Miskić<br />
SREBRENICA: VERGRABEN UND<br />
VERSCHARRT, ABER NICHT VERMISST<br />
Ich verrichtete letztes Jahr meinen Auslandsgedenkdienst<br />
in Srebrenica, ich lebte also<br />
über mehrere Monate vor Ort, die Stadt war<br />
nichts Fremdes mehr für mich. Der 11. Juli,<br />
der Gedenktag für die Opfer des Genozids<br />
von Srebrenica, war ganz anders: Ich war es<br />
nicht gewohnt, so viele Menschen und eine<br />
so belebte Stadt zu sehen. Ich hatte mich zu<br />
sehr an den Anblick von leeren Parkplätzen<br />
und geschlossenen Gasthäusern<br />
gewöhnt. Ich hatte mich an eine<br />
gewisse Ruhe gewöhnt. Eine gewisse<br />
Ruhe, die an einem Ort wie Srebrenica<br />
herrscht. Ein Ort, der zuerst belagert,<br />
bombardiert und systematisch<br />
ausgehungert wurde. Nur, um die<br />
Menschen darin danach unter UN-<br />
Schutz fast völlig zu vertreiben oder<br />
zu ermorden. Ein Ort, wie so viele<br />
andere in Bosnien und Herzegowina,<br />
den die serbisch-nationalistische Elite am liebsten<br />
dem Erdboden gleichgemacht hätte.<br />
Während der kalten, trüben und vor allem<br />
einsamen Wintertage in Srebrenica habe ich<br />
mich auch gefragt, ob sie das nicht auf eine<br />
gewisse Art auch geschafft hat. Nach dem<br />
Genozid gibt es kaum noch jemanden, der dort<br />
lebt. Wer hat denn schon die Kraft, an den Ort<br />
zurückzukehren, an dem man seine Familie das<br />
letzte Mal gesehen hat?<br />
Für dieses Jahr hat sich die Gedenkstätte<br />
dazu entschieden, den Schwerpunkt<br />
der Gedenkwoche auf die noch vermissten<br />
Personen zu legen. Denn von den mindestens<br />
Kolumnist Dennis Miskić<br />
hat seinen Auslandsdienst<br />
in Srebrenica<br />
geleistet und engagiert<br />
sich in verschiedenen<br />
NGOs zum Thema Westbalkan<br />
und Migrationspolitik.<br />
In seiner Kolumne<br />
hält er euch über Politisches<br />
& Kulturelles vom<br />
Balkan am Laufenden.<br />
8372 Ermordeten wurden mehr als 1000 noch<br />
nicht beigesetzt. Ihre Körperteile, oft auch<br />
einzelne Knochen, werden noch gesucht und<br />
einzelnen Ermordeten zugeordnet – jedes Jahr<br />
werden so identifizierte Opfer zum Gedenktag<br />
begraben. Die meisten Getöteten wurden kurz<br />
vor Kriegsende exhumiert und über das ganze<br />
Land verstreut in weiteren Massengräbern<br />
deponiert. Ein panischer und feiger Versuch<br />
das gesamte Ausmaß des Verbrechens<br />
zu verschleiern.<br />
DIE HOFFNUNG IST<br />
GESTORBEN<br />
Bis heute werden in den Wäldern<br />
Knochen oder Leichenteile gefunden.<br />
So passiert es, dass Mütter<br />
die Körperteile ihrer Söhne in drei<br />
verschiedenen Massengräbern<br />
finden. Andere Mütter gehen durch<br />
das Leben mit nur einem Wunsch: ihren Sohn<br />
zu finden und zu begraben. Viele von ihnen<br />
sind gestorben, bevor ihnen dieser Wunsch<br />
erfüllt wurde.<br />
Aber diese Menschen sind für mich nicht<br />
vermisst. Das waren sie vielleicht kurz nach<br />
Kriegsende, als man sie für vermisst hielt.<br />
Aber kann man heute, 30 Jahre nach Kriegsende,<br />
noch von „vermissten Personen“ sprechen?<br />
Ja, sie werden von ihren Allerliebsten<br />
vermisst. Aber die Hoffnung, sie noch lebend<br />
aufzufinden, ist gestorben. Genau wie sie.<br />
Sie sind viel eher vergraben, verscharrt und<br />
versteckt. ●<br />
© Zoe Opratko<br />
26 / MIT SCHARF /
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Von Nada El-Azar-Chekh, Fotos: Zoe Opratko<br />
28 / EMPOWERMENT / RAMBAZAMBA SPECIAL | WIEN / /
RAMBAZAMBA | WIEN / 29
DER FRÜHE VOGEL FÄNGT DIE BANK<br />
Adam zog vor 20 Jahren aus der Türkei nach Österreich<br />
und kreuzt gerne schon um 7 Uhr früh in der<br />
Grillzone bei der Steinspornbrücke auf, um eine der<br />
heiß begehrten Tisch-Bank-Kombinationen zu ergattern.<br />
Die Zeit bis zum großen Mittagessen mit seiner<br />
Frau und seinen beiden Kindern überbrückt er, indem<br />
erst einmal der Samowar mit türkischem Tee hergerichtet<br />
wird. Immer mit dabei: eine kleine Axt, um<br />
die Holzscheite für den Holzofen zu zerstückeln. Auf<br />
den Grill kommt bei dem Imker selbstgeschlachtetes<br />
Lamm aus Tschechien. Den Grillmeister spielt an jenem<br />
Tag Adams Nachbar, ihre Ehefrauen haben sich vor<br />
fast zehn Jahren im Deutschkurs kennengelernt und<br />
die Familien verbringen seither viel Zeit miteinander.<br />
Neben Lamm und Huhn gibt es selbst gemachtes Fladenbrot<br />
und einen frischen Gemüsesalat mit gerösteter<br />
Melanzani und rotem Pfeffer als Beilage.<br />
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GETEILTE FAMILIENTRADITIONEN<br />
Wenn eine syrische und eine ägyptische Familie<br />
gemeinsam grillen, bedeutet das vor allem eines:<br />
Es gibt ordentlich Fleisch. „Wir essen halt anders<br />
als die Österreicher. Bei denen gibt es doch nur ein<br />
Mal pro Woche Fleisch, ansonsten essen sie vegan,<br />
oder?“, fragt eine zweifache Mutter, die seit 1997 in<br />
Wien lebt. Das Fleisch für die Schaschlikspieße wird<br />
einen ganzen Tag lang in einer Joghurt-Marinade im<br />
Kühlschrank aufbewahrt, damit es zart wird. Natürlich<br />
darf ein durch Kurkuma gewürzter, knallgelber<br />
Reis und hausgemachter Hummus zum arabischen<br />
Fladenbrot nicht fehlen. Rund um den selbst mitgebrachten<br />
Tisch spielen die Kinder Fußball und<br />
kommen für ein Stück Wassermelone oder ein Glas<br />
Saft zurück. Die Nachbarn grillen zum ersten Mal<br />
gemeinsam – sieht ganz nach dem Beginn einer neuen,<br />
geteilten Familientradition aus.<br />
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32 / RAMBAZAMBA | WIEN /<br />
SONNENBLUMENKERNE UND<br />
SUPPE AUS DEM KESSEL<br />
Eine Gruppe tschetschenischer Männer sitzt im Kreis<br />
um den Grill, über dem bald ein mit einem speziellen<br />
Gerüst befestigter Kessel hängen soll. Ihre Gespräche<br />
werden vom stetigen Knabbern von Sonnenblumenkernen<br />
begleitet. Was wird es Leckeres aus dem Topf<br />
geben? „Eine typisch tschetschenische Suppe, mit<br />
Rindfleisch und reichlich Gemüse“, entgegnet einer der<br />
bärtigen Männer.<br />
Unweit der Männergruppe hat eine türkisch stämmige<br />
Großfamilie am Donauufer groß aufgeschlagen: Teekannen<br />
und gleich mehrere Grills versorgen die Gruppe<br />
aus zwanzig Familien mitgliedern, im angrenzenden Zelt<br />
hält ein Cousin seinen Verdauungsschlaf. „Die Älteren<br />
von uns sind in der Türkei geboren, die Jüngeren hier in<br />
Wien“, erklärt eine der jugendlichen Töchter. Faschierte<br />
Laibchen und Kotelett vom Lamm und diverse hausgemachte<br />
Salate bringen genug Energie für den ganzen<br />
Tag auf der Insel.
„WIR SIND ÄGYPTER!“<br />
Auch in der Brigittenauer Bucht sind Menschen noch<br />
am Abend eifrig am Grillen: Wir werden auf eine Gruppe<br />
junger ägyptischstämmiger Männer aufmerksam.<br />
„Wir kennen uns alle aus Kindertagen, aufgewachsen<br />
am Schöpfwerk“, erzählt uns einer von ihnen. Heute<br />
Morgen sollen sie insgesamt <strong>23</strong> gewesen sein, davon<br />
waren noch 18 am Abend übrig. Ein großes Zelt, das<br />
locker für 20 Festivalgäste Platz bietet, umrahmt im<br />
Hintergrund den Grill. „Das hat alles unser Chefkoch<br />
mitgebracht“, erklären die Jungs aus Meidling. Spieße,<br />
Cheeseburger, kiloweise Gemüse und hausgemachtes<br />
Brot („Von Mama!“) gibt es hier, bis die Tische sich<br />
biegen. „Wie wollt ihr das alles essen?“, fragen wir. Die<br />
stolze Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen:<br />
„Wir sind Ägypter!“<br />
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SHISHA UND MUSIK AUS DEM IRAK<br />
Deutlich entspannter her geht es einige Schritte<br />
entfernt bei einer Gruppe aus dem Irak. Hier klatscht<br />
man im Rhythmus zu arabischer Musik und blubbert<br />
fröhlich an der Wasserpfeife. Den Grill hat man von<br />
seinen Kochzwecken gelöst und wird nun für einen<br />
stetigen Nachschub an Kohle für die Shisha verwendet.<br />
Ein junger Mann mit Lockenpracht, er ist<br />
schließlich Friseur, bereitet die Tabakmischung vor.<br />
Seine Finger pink gefärbt vom Granatapfeltabak.<br />
Wir haben zuvor bereits den Tipp bekommen: Immer<br />
Handschuhe mitnehmen zur Grillerei. ●<br />
CHECKLISTE:<br />
Darauf solltest du bei deinem nächsten Barbecue<br />
achten.<br />
→ Salate und Beilagen am besten zuhause vorbereiten<br />
und das Dressing kurz vor dem Essen dazugeben.<br />
→ Handschuhe und Seife garantieren sauberes<br />
Arbeiten.<br />
→ Lunchdosen für Reste nicht vergessen!<br />
→ Feuerfestes Grillbesteck ist das A und O für<br />
Sicherheit.<br />
→ Dein mitgebrachter Grill sollte mindestens 15 cm<br />
über dem Boden stehen.<br />
→ Nimm Sonnenschutz und eine Kopfbedeckung<br />
mit, um der Hitze zu trotzen.<br />
→ Statt Fleisch eignen sich auch Gemüse wie Karfiol,<br />
Melanzani und Portobello-Pilze als Alternativen.<br />
34 / RAMBAZAMBA / MIT SCHARF | WIEN / /
GRILLEN IN WIEN – ABER WO?<br />
Du möchtest es ganz privat? Auf dem Balkon, Terrasse<br />
und im Garten ist das Grillen grundsätzlich erlaubt,<br />
solange man dadurch die Nachbarn nicht stört oder<br />
es durch den Mietvertrag bzw. die Hausordnung nicht<br />
ausdrücklich untersagt ist.<br />
Grillzonen: Die Stadt Wien stellt acht Grillzonen zur<br />
Verfügung, in denen kostenfreies Grillen mit dem<br />
eigenen Grill möglich ist:<br />
▶ Brigittenauer Bucht (Neue Donau, zwischen Brigittenauer<br />
Brücke und Brigittenauer Badebucht),<br />
erreichbar mit dem Bus 20A<br />
▶ Steinspornbrücke (Neue Donau, zwischen Ostbahnbrücke<br />
und Steinspornbrücke), erreichbar mit<br />
dem Bus 92A<br />
Grillplätze: Die 15 Grillplätze der Stadt Wien kann<br />
man online für nur 10 Euro pro Reservierung<br />
mieten! Nähere Auskünfte<br />
bekommt man beim Inseltelefon: 01<br />
4000 96500 oder online bei der Stadt<br />
Wien unter:<br />
/ RAMBAZAMBA / MIT SCHARF | WIEN / / 35
KOMMENTAR<br />
„SEID’S IHR ALLE DEPPERT?“<br />
Von Aleksandra Tulej<br />
Fünfzehn Frauenmorde, Causa Rammstein & Co.:<br />
Warum debattieren wir wieder einmal über sexualisierte Gewalt?<br />
Was steht hier zur Debatte? Wann hört das endlich auf?<br />
Und welche Mitschuld tragen wir Medien?<br />
Anfang Juli wird eine Frau in Wien<br />
Ottakring von einem Mann erstochen.<br />
Es ist der fünfzehnte Frauenmord in<br />
Österreich im Jahr 20<strong>23</strong>, der dreizehnte,<br />
der als Femizid eingestuft wird. „Wie<br />
kann das schon wieder passieren?“ fragen<br />
sich Gesellschaft, Politik und Medien.<br />
Wieder einmal. Ja, wie denn? Ziehen wir an<br />
dieser Stelle mal Bilanz.<br />
„Kann es sein, dass ihr zwei ein bissl deppert<br />
seid‘s?“ – So reagierte ein Wiener Polizist auf den<br />
Anruf einer Frau, die den Notruf gewählt hatte, weil<br />
ihr Ex-Ehemann mit einem Messer auf sie losgegangen<br />
ist. Als der Beamte versuchte, nach der Adresse<br />
zu fragen, waren nur mehr Schreie und „Geräusche,<br />
die wie Lachen klangen“ zu hören, danach wurde<br />
das Gespräch abgebrochen. Ein Zeuge rief daraufhin<br />
nochmals bei der Polizei an, und diesmal wurde<br />
der Anruf ernst genommen. Die Frau überlebte nur<br />
knapp. Die Konsequenz? Der Polizist wurde zu einer<br />
Geldstrafe von 8.000 Euro verurteilt, er darf weiter<br />
im Dienst bleiben. Ehrlicherweise hat mich diese<br />
Meldung nicht schockiert. Es werden sich kurz alle<br />
aufregen und bis zum nächsten Femizid schweigen,<br />
und dann wieder aufschreien. Auch wir Medien.<br />
„DAS IST HALT SEX, DRUGS &<br />
ROCK’N’ROLL“<br />
Bekannterweise sorgte auch die Causa Rammstein in<br />
den letzten Wochen überall für Schlagzeilen: Anfang<br />
Juni 20<strong>23</strong> warfen mehrere Frauen dem Rammstein-<br />
Frontsänger Till Lindemann sexuelle Übergriffe,<br />
Machtmissbrauch und teilweise die Verabreichung<br />
von Betäubungsmitteln im Rahmen von Rammstein-<br />
Konzerten vor. Die Konsequenz? Vorerst<br />
wurden die Afterpartys nach den Konzerten<br />
abgesagt und die „Row Zero“<br />
gibt es nicht mehr. Die Ermittlungen<br />
laufen.<br />
Was passiert aber in der Öffentlichkeit?<br />
Was tun wir Medien? Es wird – wieder<br />
einmal – über sexualisierte Gewalt debattiert.<br />
Aber warum, verdammt noch mal, debattieren<br />
wir überhaupt darüber? Es ist jedes Mal dasselbe:<br />
Eine Person, die in der Öffentlichkeit steht, wird<br />
mit Missbrauchsvorwürfen konfrontiert, und sofort<br />
schreien alteingesessene Fans auf, dass ihr Idol so<br />
etwas doch niemals getan haben könnte und, dass<br />
die mutmaßlichen Opfer doch nur Aufmerksamkeit<br />
und Fame wollen. Egal, ob Sänger, Politiker, Schauspieler,<br />
ein Andrew Tate, die Liste ist ewig lang. So<br />
auch jetzt: In den letzten Wochen gab es unzählige<br />
Talk-Shows, Gesprächsrunden und öffentliche<br />
Stellungnahmen zu dem Fall Lindemann: Neben<br />
Solidaritätsbekundungen mit den Opfern kamen und<br />
kommen auch immer wieder Menschen, vorwiegend<br />
ältere Männer, zu Wort, die Lindemann verteidigen:<br />
„Der wird das nie getan haben“, „Das ist halt Sex,<br />
Drugs & Rock’n’Roll“, „Die Frauen wollen doch nur<br />
Aufmerksamkeit“, um nur wenige der verstörenden<br />
Aussagen zu nennen. Wenn wir Medien solchen<br />
Menschen eine Plattform bieten, ist die Absicht<br />
häufig die, aufzeigen, wie sie denken, und wie viel<br />
in unserer Gesellschaft hinsichtlich dieser Themen<br />
noch schiefläuft. Aber ich bin mir gerade nicht ganz<br />
sicher, ob wir dabei das gewünschte Ziel erreichen.<br />
Das Machtverhältnis ist einfach zu unausgewogen,<br />
diejenigen mit den „kontroversen Meinungen“<br />
© Zoe Opratko<br />
36 / RAMBAZAMBA /
schreien ja bekanntlich am lautesten. Ich frage mich<br />
an dieser Stelle, wieso diese Debatte immer und<br />
immer wieder gleich abläuft. Wie bringt uns das<br />
weiter? Und welche Konsequenzen hat das für Täter?<br />
In diesem Zusammenhang von „Cancel Culture“ zu<br />
sprechen, ist mehr als geschmacklos. Bewährungsstrafen<br />
oder Geldstrafen, die vor allem einflussreiche<br />
Menschen mit Top-Anwält:innen leicht abschütteln<br />
können, sind auch keine ausreichende Maßnahme.<br />
Anstatt uns immer weiter im Kreis zu drehen und so<br />
zu tun, als wären das alles Einzelfälle, und „Es ist ja<br />
eh nichts passiert“ zu murmeln, nehmen wir das bitte<br />
endlich ernst. Ich weiß, es ist unangenehm. Genau<br />
deshalb sprechen wir jetzt darüber. Das gilt vor allem<br />
für jene Männer – aber auch Frauen – die jetzt defensiv<br />
den Kopf schütteln werden und sich fragen, ob es<br />
„wirklich so schlimm ist“. Ja, ist es.<br />
WELCHE FRAU DENKT GERNE AN<br />
SEXUELLE ÜBERGRIFFE ZURÜCK?<br />
Niemand zwingt euch, eure Songs vom Handy zu<br />
löschen, niemand verlangt, dass ihr eure Shirts einer<br />
problematischen Band weghaut oder keine Filme<br />
eines Regisseurs mehr schaut. Wer sich aber lieber<br />
Sorgen um das Image des mutmaßlichen Täters<br />
macht, als sich einzugestehen, dass Machtmissbrauch<br />
und sexualisierte Gewalt durchaus alltägliche<br />
Probleme sind, die gerne totgeschwiegen werden,<br />
dann haben wir echt ein Problem. Und wir sprechen<br />
hier ja bloß von den Fällen, die an die Öffentlichkeit<br />
gelangen. Aber genug zu den Medien, wir müssen<br />
über die Fälle reden, die nicht an der Öffentlichkeit<br />
sind.<br />
Ganz, ganz viele Fälle werden niemals zur Anzeige<br />
gebracht. Weil die Opfer nicht ernst genommen<br />
werden, aus Angst vor dem Täter, oder eben aus<br />
Scham. Welche Frau stellt sich freiwillig hin und<br />
erzählt öffentlich darüber, dass sie sexualisierte<br />
Gewalt erlebt hat? Welche Frau ist jemals dadurch<br />
„berühmt“ geworden, weil sie einen Täter angezeigt<br />
hat? Welche Frau will dafür „bekannt“ sein, ein Missbrauchsopfer<br />
zu sein? Wie viele Situationen haben<br />
ich und Frauen in meinem Umfeld in den letzten<br />
Jahren kleingeredet, totgeschwiegen und lachend<br />
abgetan? Unzählige. Wir sind mit dem Verständnis<br />
aufgewachsen, dass es normal ist, wenn dir als<br />
Teenagerin ein Mann im Vorbeigehen im Club an den<br />
Po grapscht, dass es normal ist, wenn jemand deine<br />
Betrunkenheit ausnutzt, dass es normal ist, dass man<br />
Männern irgendetwas schuldet, wenn man auch nur<br />
kurz ein „zu freundliches“ Signal gesendet hat. Und<br />
wenn man einmal für sich oder wen anderen aufgestanden<br />
ist und laut gesagt hat, dass eine Situation<br />
überhaupt nicht in Ordnung war? „Stell dich nicht so<br />
an“, „Es ist ja nichts passiert“, „Jetzt komm mal runter“,<br />
waren die Klassiker. Das waren keine Aussagen<br />
von Tätern, sondern von Menschen im Freundeskreis.<br />
Auch von Frauen, auch von mir. Wir dachten<br />
lange, dass das alles normal ist.<br />
ANDERE ZEITEN? NA UND?<br />
Es widert mich an, wenn ich jetzt darüber nachdenke.<br />
„Damals war es halt so, das waren andere<br />
Zeiten“, hört man in Retrospektive. Ja, eh. Vielleicht<br />
versuchen wir auch, uns selbst zu schützen und vor<br />
uns selbst zu rechtfertigen? Welche Frau erinnert<br />
sich schon gerne daran zurück, als ein fremder Mann<br />
seinen steifen Penis in der U-Bahn an ihr gerieben<br />
hat? Welche Frau erinnert sich gerne daran zurück,<br />
als zwei Männer sie vor dem Club in ein Gebüsch<br />
zerren wollten? Ich nicht. Ich habe naiverweise<br />
geglaubt, dass all das nicht mehr passiert, wenn<br />
man älter wird. Bis mir vor einem Monat ein fremder,<br />
betrunkener Mann an der Straßenbahn-Haltestelle in<br />
den Po gekniffen hat. Wohlgemerkt stand ich in Hoodie<br />
und langer Hose da, auf keine Weise irgendwie<br />
aufreizend, was übrigens auch keine Rolle zu spielen<br />
hat. Dieses Gefühl von Ekel, das ich von früher zu<br />
gut kannte, hat mich dann tagelang begleitet. Ich<br />
habe diese Zeile in diesem Text übrigens gerade<br />
zweimal gelöscht, aus Scham und aus Ekel. Aber<br />
damit ist jetzt Schluss. Und dann die Gedanken: Hätte<br />
ich nicht so laut Musik gehört, hätte ich ihn sich<br />
ja anschleichen gehört, oder? Aber: Wieso muss<br />
ich dem entgegenwirken? Wie komme ich dazu? Ich<br />
habe einfach echt keine Lust mehr, das immer und<br />
immer wieder zu erklären. Ein letztes Mal: Niemand<br />
denkt gerne an sexuelle Übergriffe zurück – allein,<br />
dass ich das hier ausschreiben muss, ist ein komplettes<br />
Armutszeugnis für unsere Gesellschaft.<br />
Aber nochmal: Scheinbar gibt es immer noch genug<br />
Menschen, die ernsthaft glauben, dass man als Frau,<br />
die sexualisierte Gewalt erlebt hat, irgendeine Form<br />
von Aufmerksamkeit und Berühmtheit erlangen will.<br />
Seid‘s ihr deppert? ●<br />
Aleksandra Tulej, Chefredakteurin<br />
tulej@dasbiber.at<br />
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SOMMER IN WIEN:<br />
Coole Tipps für alle, die diesen Sommer<br />
in der Großstadt verbringen.<br />
Von Maria Lovrić-Anušić<br />
Du fliegst diesen Sommer<br />
nicht ans Meer oder in die<br />
Berge? Kein Problem, denn<br />
der Sommer im Beton-<br />
Dschungel ist alles andere<br />
als trist und langweilig! Ob<br />
Alpaka-Wanderung, eine<br />
Radtour in Seestadt oder<br />
ein Besuch im Freiluftkino:<br />
Für jeden ist etwas dabei.<br />
KINO MAL ANDERS<br />
Du möchtest die Sommernächte nicht in einem geschlossenen Kinosaal verbringen,<br />
aber trotzdem keinen Film verpassen? Dann ist das Freiluftkino auf<br />
der Dachterrasse der Hauptbücherei Wien die perfekte Lösung für dich! Beim<br />
„Kino am Dach“ kannst du dir bis zum 10. September täglich einen Filmklassiker<br />
ansehen. Snacks und Getränke gibt es natürlich auch vor Ort. Im Juli<br />
starten die Filme um 21 Uhr, im August um 20:30 Uhr und im September um<br />
20 Uhr. Tickets kannst du dir direkt online oder an der Abendkassa besorgen.<br />
KAFFEEKLATSCH IM<br />
CAFÉ HILDEBRANDT<br />
Das Café Hildebrandt im Volkskundemuseum<br />
ist der perfekte Spot<br />
für ein gemütliches Frühstück,<br />
Mittagessen oder ein Coffee-Date<br />
zwischendurch. Der Gastgarten mit<br />
romantischem Flair lädt abgetrennt<br />
vom Großstadttrubel zum Abschalten<br />
ein. Um eine Tischplatzreservierung<br />
wird gebeten.<br />
AFRIKA TAGE AUF<br />
DER DONAUINSEL<br />
Afrobeats, authentisches afrikanisches<br />
Essen und gute Laune erwarten<br />
dich vom 11. bis zum 28. August<br />
mitten auf der Donauinsel. 18 Tage<br />
lang kannst du sowohl durchfeiern<br />
als auch an coolen Workshops wie<br />
z.B. „Afrodance“ teilnehmen. Montags<br />
ist der Eintritt frei und den Rest<br />
der Woche kostet eine Tageskarte<br />
bei einem Eintritt vor 17 Uhr nur 12<br />
Euro. Aufgepasst: Schüler:innen und<br />
Student:innen bekommen zusätzlich<br />
50% Rabatt auf den Eintritt.<br />
© Stefan Dworak, Hildebrandt Café<br />
38 / RAMBAZAMBA | WIEN /
WANDERN MIT ALPAKAS<br />
Normalerweise leben sie in Peru, Chile oder<br />
Bolivien. Die drei Alpaka-Brüder Cosmo,<br />
Benny und Henry heißen euch allerdings bei<br />
„Alpaka-Wandern-Wien“ im <strong>23</strong>. Bezirk Willkommen.<br />
Hier könnt ihr bei ein- bis dreistündigen<br />
Wanderungen die Tiere füttern, Fotos mit<br />
ihnen machen und sie sogar streicheln.<br />
Auf ihrer Website könnt ihr euch direkt einen<br />
Termin für eure Wanderung ausmachen.<br />
SEESTADT-FAHRRADTOUR<br />
Jeder liebt Fahrradfahren, doch die Radwege in der inneren Stadt sind<br />
häufig unübersichtlich und gefährlich. Wer im Sommer eine entspannte<br />
Radtour ohne hupende Autos machen möchte, sollte unbedingt die<br />
Seestadt erkunden. Ab der U2-Station Hausfeldstraße erwartet dich<br />
ein 15 Kilometer langer Radweg. Achtung: Vergiss<br />
deine Badesachen nicht, denn nach der Tour kannst<br />
du dich im Asperner See abkühlen.<br />
Tipp: Wer kein eigenes Fahrrad hat, kann sich<br />
ganz easy über die „Wien Mobil“-App ein City-Bike<br />
checken<br />
ABKÜHLUNG<br />
GEFÄLLIG?<br />
Wenn dir die Hitze mal zu Kopf<br />
steigt, dann bekommst du an<br />
einem der „Wiener Cooling<br />
Spots“ die nötige Portion Abkühlung.<br />
In der „Stadt Wien“ – App<br />
kannst du unter dem Reiter „Cooles<br />
Wien“ abchecken, wo sich<br />
der nächste Trinkwasserbrunnen<br />
oder Wassersprinkler befindet.<br />
© Alpaka Wandern Wien, Raffael F. Lehner<br />
KUNST-LIEBLINGE<br />
AUFGEPASST:<br />
Wer diesen Sommer etwas aus Wien raus und<br />
sich von Kunst berieseln lassen möchte, sollte<br />
unbedingt einen Tagesausflug nach Krems<br />
einplanen. Auf einer Strecke von 1,6 km bietet<br />
die Kunstmeile Krems eine Vielzahl an Museen,<br />
Galerien und Ausstellungen an. Vom „Karikaturmuseum“<br />
bis hin zur „Landesgalerie Niederösterreich“<br />
ist für jeden Geschmack etwas dabei.<br />
Mit dem Zug kommt man auch in nur circa einer<br />
Stunde bei der Kunstmeile an.<br />
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SAFER SEX<br />
EIN BLINDER FLECK<br />
IN DER AUFKLÄRUNG?<br />
„Spitz auf Doggy?“, „Scharf auf<br />
Scissoring?“ – „Ja. SAFE!“. An<br />
dieser Informationskampagne des<br />
Gesundheitsministeriums störte<br />
sich die FPÖ so sehr, dass sie<br />
prompt Anzeige gegen Minister<br />
Rauch erstattete. Der Aufschrei<br />
rund um das Thema Safer Sex<br />
sollte in unserer Gesellschaft<br />
allerdings ganz woanders liegen.<br />
Von Anja Bachleitner<br />
Einmal nicht aufzupassen ist einmal zu viel, Kind!“ Mit<br />
diesem Warnhinweis meiner Mutter, der ausschließlich<br />
auf ungewollte Schwangerschaften bezogen<br />
war, wurde ich in meine erste Beziehung mit einem<br />
Mann entlassen. Er fasst das Aufklärungsgespräch, das ich von<br />
zu Hause bekommen habe, lückenlos zusammen. Und obwohl<br />
meine Mama hier einen guten Punkt gebracht hat, bestimmte<br />
er lange Zeit meinen einzigen Fokus, wenn es um Verhütung<br />
ging. Rückblickend erkenne ich einen großen blinden Fleck,<br />
sowohl bei mir, als auch in meinem Umfeld: das Bewusstsein<br />
für sexuell übertragbare Krankheiten. Auch die Schule konnte<br />
mein fehlendes Wissen in dem Bereich nicht kompensieren.<br />
Und das, obwohl es seit den 1970ern in Österreich einen<br />
Grundsatzerlass gibt, der sexuelle Bildung als unterrichtsübergreifendes<br />
Prinzip festlegt.<br />
Für die klinische Sexologin Magdalena Heinzl sind meine<br />
Erzählungen nicht überraschend. Bei unserem Gespräch<br />
erklärt sie mir, dass es, trotz des Grundsatzerlasses, oftmals<br />
vom Engagement der Lehrpersonen abhänge, wie das Thema<br />
sexuelle Bildung in den Unterricht integriert werde. Gleichzeitig<br />
gäbe es aber kein verpflichtendes Fach Sexualpädagogik in<br />
der Ausbildung für Lehrkräfte. Die Kampagne des Gesundheitsministeriums<br />
sieht die Sexualtherapeutin durchwegs<br />
positiv. Es brauche mehr Verantwortung beim Thema sexuelle<br />
Gesundheit - einerseits von Einzelpersonen, die sich regelmä-<br />
© freepik.com<br />
40 / RAMBAZAMBA /
ßig testen lassen, andererseits muss auch auf institutioneller<br />
Ebene der Zugang zu gesundheitlichen Check-ups erleichtert<br />
werden. Heinzl findet es außerdem wichtig, dass mit Slogans<br />
wie „Scharf auf Scissoring?“ auch queere Jugendliche angesprochen<br />
werden, da viele unter ihnen, mit dem Wegfall der<br />
Schwangerschaftsverhütung, gar nicht an das Thema denken<br />
würden. Im Aufklärungsunterricht an Schulen würde zudem<br />
nach wie vor die heterosexuelle Perspektive dominieren.<br />
AUFGEKLÄRT SEIN,<br />
BEDEUTET SICHER SEIN<br />
Laut Heinzl sei es nicht das Problem, dass Kinder mit den<br />
Inhalten der Kampagne konfrontiert werden könnten, die<br />
übrigens gänzlich auf die Darstellung von Erotik und Pornografie<br />
verzichtet, sondern, dass Kinder oft keine erwachsenen<br />
Bezugspersonen hätten, die bereit sind, potentielle Fragen<br />
dazu zu beantworten. Eltern würden die Thematik gerne der<br />
Schule überlassen und die Schule geht umgekehrt davon aus,<br />
dass Aufklärungsarbeit zu Hause passiert. Am Ende laufe es<br />
laut Heinzl immer wieder darauf hinaus, dass es eine flächendeckende<br />
Finanzierung sexueller Bildung in Österreich brauche,<br />
nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern auch für<br />
Erwachsene. Denn viele Erwachsene hätten selbst Wissenslücken<br />
und Eltern stünden oft vor der Frage, wie sie das Thema<br />
Sexualität kindgerecht vermitteln können. In diesem Zusammenhang<br />
gäbe es zahlreiche Studien, so Heinzl, die belegen,<br />
dass aufgeklärte Kinder weniger Risiken ausgesetzt sind<br />
- sowohl was sexuelle und sexualisierte Gewalt betrifft als<br />
auch, im späteren Leben, Schwangerschaftsverhütung und<br />
Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten. Diskurse über<br />
Sexualität aus der Öffentlichkeit zu verbannen, scheint also nie<br />
zielführend zu sein - für kein Mitglied unserer Gesellschaft. ●<br />
© Verlagsgruppe Beltz<br />
„BOCK AUF RIMMING“ ODER DOCH<br />
LIEBER „BLÜMCHENSEX“?<br />
Zu lesen sind die Slogans der Kampagne auf Postkarten,<br />
Bierdeckeln und Plakaten, die in Clubs und Bars aufliegen. Die<br />
Fragen „Heiß auf Blümchensex?“, „Bock auf Rimming?“ oder<br />
„Spitz auf Doggy?“ werden darauf stets mit „Ja. SAFE!“ beantwortet.<br />
Auf der Webseite des Gesundheitsministeriums wurde<br />
zudem eine Seite eingerichtet, die über sexuell übertragbare<br />
Krankheiten und Infektionen aufklärt und unter dem Motto<br />
„Nein heißt nein, Ja heißt Ja. SAFE!“ sowohl Konsens, als auch<br />
sexuelle Gesundheit in den Mittelpunkt stellt. Die FPÖ sieht<br />
darin nun einen Verstoß gegen §2 des Pornographiegesetzes,<br />
denn der Informationsgehalt der Kampagne über den Schutz<br />
vor sexuell übertragbaren Krankheiten sei zu gering. „Vielmehr<br />
scheint die 'Enttabuisierung' wenig bekannter Sexualpraktiken<br />
bzw. das Bewerben dieser Praktiken im Vordergrund<br />
zu stehen“, so FPÖ-Familiensprecherin Rosa Ecker, die sich<br />
gleichzeitig um Kinder sorgt, welche die Kampagne durcheinanderbringen<br />
könnte.<br />
Wieder einmal also schiebt eine rechte Partei den Kinderschutz<br />
vor, um Politiken für progressive Sexualität oder queere<br />
Themen im Allgemeinen zu verunglimpfen – dass die Anzeige<br />
unmittelbar vor der Regenbogenparade erstattet wurde, ist in<br />
diesem Zusammenhang mindestens auffällig. Die FPÖ hat sich<br />
durch ihre Reaktion auf die Kampagne nicht nur den Spott aus<br />
dem Internet zugezogen, sondern auch eine verhöhnend gelassene<br />
Reaktion des Gesundheitsministers. Er bedankte sich bei<br />
einer Pressekonferenz für den Gewinn an Aufmerksamkeit, die<br />
die Safer-Sex-Kampagne dadurch verzeichnen durfte. Noch<br />
dazu scheint die Argumentation der FPÖ vor der Expertise<br />
Heinzls nicht Stand zu halten.<br />
NÜTZLICHE ANLAUFSTELLEN<br />
IM ÜBERBLICK:<br />
Infos und Unterstützung rund um das Thema<br />
sexuelle Gesundheit, sowie anonyme Test- und<br />
Beratungsangebote bietet die Aids Hilfe Wien. Darunter<br />
auch Infos und Gespräche für Migrant*innen<br />
in verschiedenen Sprachen.<br />
www.aids.at<br />
Beratung: +43 1 599 37 8426 oder<br />
beratung@aids-hilfe-wien.at<br />
Mariahilfer Gürtel 4, 1060 Wien<br />
Geschlechtskrankheiten können alle Menschen,<br />
unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, betreffen.<br />
Sie bleiben oft unbemerkt und können dabei<br />
trotzdem negative gesundheitliche Folgen nach sich<br />
ziehen und an andere weitergegeben werden.<br />
STIs (englischer Begriff für Geschlechtskrankheiten,<br />
der „Sexually Transmitted Infections“ bedeutet)<br />
können vor allem beim Geschlechtsverkehr (Oral-,<br />
Vaginal- oder Analsex) und, im Fall von HPV, sogar<br />
schon über engen Hautkontakt übertragen werden.<br />
Zur Vorbeugung von Geschlechtskrankheiten dienen<br />
Kondome, Femidome, Lecktücher oder Impfungen<br />
(z.B. bei HPV)<br />
Laut der WHO infizieren sich weltweit über 1 Million<br />
Menschen täglich mit einer Geschlechtskrankheit<br />
Etwa 80 % aller Frauen und Männer werden im Laufe<br />
ihres Lebens mit genitalen HPV infiziert.<br />
Buchtipp: „Was kribbelt da so<br />
schön?“ von Magdalena Heinzl<br />
mit 80 kindgerechten Antworten<br />
auf Fragen zu Sexualität, Körper<br />
und Gefühle.<br />
/ RAMBAZAMBA / 41
DICH<br />
SO AN!<br />
STELL<br />
NICHT<br />
42 / RAMBAZAMBA /
WENN MIGRA-ELTERN PSYCHISCHE<br />
ERKRANKUNGEN NICHT ERNST NEHMEN<br />
Egal, ob Depressionen, Panikattacken oder Angstzustände: Viele Migra-Eltern können<br />
und wollen die psychischen Erkrankungen ihrer Kinder nicht anerkennen.<br />
Von: Maria Lovrić-Anušić, Collagen: Zoe Opratko<br />
Du hast ein Dach über dem<br />
Kopf, Essen und Trinken<br />
am Tisch. Was für einen<br />
Grund hättest du, traurig zu<br />
sein?“, fragten Sanjas Eltern mit einem<br />
ironischen Unterton, als sie von ihren<br />
psychischen Problemen erzählte. Dass<br />
die 25-Jährige mit kroatischen Wurzeln<br />
in der Arbeit gemobbt wurde und sie<br />
dadurch mit starken Panikattacken und<br />
Depressionen zu kämpfen hat, möchten<br />
sie nicht wahrhaben. Sie stößt damit auf<br />
pures Unverständnis. Sie müsse sich<br />
doch um nichts kümmern, außer zur Uni<br />
zu gehen und zu arbeiten. „Immer, wenn<br />
ich versuche meine Panikattacken anzusprechen,<br />
wird mir nicht geantwortet. Es<br />
wird einfach nur hingenommen, als wäre<br />
es nichts“, lässt Sanja ihrer Enttäuschung<br />
freien Lauf.<br />
Sanja ist nicht die Einzige, die von<br />
ihren Eltern mit ihren psychischen Problemen<br />
alleingelassen wird. Wie weit verbreitet<br />
dieses Phänomen ist, zeigt sich<br />
auf Social Media. Immer mehr Migra-Kids<br />
berichten auf TikTok und Instagram<br />
davon, dass sie von ihren Eltern nicht<br />
ernst genommen werden, geschweige<br />
denn Unterstützung bekommen.<br />
Dabei leiden laut dem österreichischen<br />
Integrationsbericht aus dem Jahre 2022<br />
gerade Menschen mit Migrationshintergrund<br />
deutlich häufiger an psychischen<br />
Erkrankungen wie Depressionen und<br />
chronischen Angstzuständen. Allein<br />
unter den Geflüchteten sind, laut dem<br />
österreichischen Depressionsbericht aus<br />
dem Jahre 2019, satte 30 bis 40 Prozent<br />
von Depressionen betroffen.<br />
UNWISSENHEIT UND<br />
KULTURELLE CODES<br />
Menschen mit Migrationsgeschichte<br />
stehen dem Konzept von psychischem<br />
Leid häufig skeptisch gegenüber, erklärt<br />
die Bildungsmanagerin und Geschlechterforscherin<br />
Emina Šarić. „Diese Skepsis<br />
basiert auf einer Mischung aus Halbwissen<br />
und Mythen über psychische<br />
Erkrankungen, welche in ihrer Heimat<br />
vorhanden sind.“ Viele Eltern, die aus<br />
dem Ausland nach Österreich migriert<br />
sind, haben dieses Gedankengut noch<br />
sehr tief verankert und sitzen in einer<br />
Bubble mit kulturellen Codes im Bezug zu<br />
Menschen mit psychischen Erkrankungen<br />
fest. Diese sind stark negativ behaftet<br />
und Betroffene werden prinzipiell ausgegrenzt,<br />
weshalb Eltern nicht wollen,<br />
dass ihre Kinder in dieses Narrativ fallen.<br />
Es herrscht eine große Wissenslücke zu<br />
den Themen psychische Gesundheit und<br />
Therapiemöglichkeiten.<br />
TABUTHEMA: PSYCHISCHE<br />
ERKRANKUNGEN<br />
„Wir werden unser ganzes Leben schon<br />
gemobbt, weil wir Ausländer sind. Das ist<br />
normal“, erklärten Sanjas Eltern ihr, als<br />
sie sich über ihre Mobbingerfahrungen<br />
auf der Arbeit beschwerte. Die 25-Jährige<br />
arbeitete, neben ihrem forderndem<br />
Vollzeit Jusstudium, in einer Anwaltskanzlei.<br />
Dort wurde sie ständig von zwei<br />
Kolleginnen gemobbt und für sie war das<br />
alles andere als normal. „Ich zog mich<br />
zurück, vermied es rauszugehen und<br />
bekam regelmäßig Panikattacken und<br />
Angstzustände, die ich zu verstecken<br />
versuchte“, erzählt Sanja nachdenklich.<br />
Und das nicht ohne Grund. In ihrer Familie<br />
sind psychische Erkrankungen ein<br />
absolutes Tabuthema und werden immer<br />
nur runtergespielt. Diese ablehnende<br />
Haltung kommt nicht von ungefähr. In<br />
ihrer Heimat werden Menschen, die<br />
offensichtlich erkrankt sind, als verrückt<br />
abgestempelt und das wollen Sanjas<br />
Eltern für ihre Tochter nicht. Laut Šarić<br />
ist das ein häufiges Phänomen in Balkanstaaten.<br />
„Behinderte Menschen wurden<br />
im ehemaligen Jugoslawien absolut<br />
abgelehnt und Kinder mit Behinderungen<br />
häufig versteckt. Außerdem herrscht<br />
der Mythos, dass psychisch erkrankte<br />
Menschen ansteckend wären.“ Dieser<br />
Gedanke ist in den Köpfen von Sanjas<br />
Eltern noch sehr stark verankert. Wie<br />
man nach außen hin wirkt, ist demnach<br />
wichtiger, als wie man sich wirklich fühlt.<br />
„Man redet nicht über die eigenen Probleme,<br />
damit niemand dann über einen<br />
reden kann“, erklärt die 25-Jährige.<br />
„<br />
Man redet nicht über<br />
die eigenen Probleme,<br />
damit niemand dann<br />
über einen reden kann.<br />
“<br />
/ RAMBAZAMBA / 43
Nichtsdestotrotz hätte sie sich mehr Verständnis<br />
erwartet, da ihre Mutter selbst<br />
mit Depression diagnostiziert wurde. Sie<br />
hörte ihrer Mutter zu, wenn sie ihr von<br />
ihren Gefühlen berichtete und musste<br />
immer wieder schlucken, denn sie selbst<br />
fühlte sich genauso, nur schenkte ihr<br />
niemand Gehör. Sanja beschloss, ihre<br />
Probleme selbst in die Hand zu nehmen,<br />
und kündigte ihren Job. Seitdem geht es<br />
ihr zwar besser, doch mit den Panikattacken<br />
und dem Herzflattern hat sie heute<br />
noch zu kämpfen und überlegt deswegen<br />
auch, sich ohne die Hilfe ihrer Eltern in<br />
Therapie zu begeben. „Ich wünschte, sie<br />
würden mehr auf mich eingehen, sodass<br />
ich jetzt nicht allein mit mir kämpfen<br />
müsste.“<br />
DIE „NORMALE“ TOCHTER<br />
„Mein Bruder hat eine geistige Behinderung,<br />
darum hatte ich das Gefühl,<br />
ich müsste die ‚Normale‘ sein“, erzählt<br />
Milica. Lange verheimlichte sie aus<br />
diesem Grund ihre Gefühle, doch mit 18<br />
Jahren erzählte sie ihren Eltern ungewollt<br />
von ihren psychischen Problemen.<br />
Zuvor ist sie auf eigene Faust zu einem<br />
Arzt gegangen, der ihr Antidepressiva<br />
verschrieb. Als sie diese abrupt absetzte,<br />
hatte sie starke Nebenwirkungen und<br />
lag eine Woche krank im Bett. „Weil sich<br />
meine Eltern Sorgen gemacht hatten,<br />
dass mit mir körperlich etwas nicht<br />
stimmt, musste ich es ihnen erzählen.“<br />
Ihre Mutter zeigte Verständnis, versank<br />
jedoch schnell in Selbstmitleid und fragte<br />
sich, was sie als Eltern falsch gemacht<br />
hätten. Ihr Vater sah das ganz anders.<br />
Sie müsse nur etwas mehr ausgehen<br />
oder einen Freund finden, dann wäre<br />
alles wieder gut. „Ich glaube, für meinen<br />
Vater sind Depressionen nichts Reales,<br />
sondern nur etwas, das man sich<br />
einbildet“, erzählt die 28-Jährige mit<br />
bosnischen Wurzeln. Diese Einstellung<br />
kommt nicht von ungefähr. Ihre Eltern<br />
mussten sich nach dem Krieg ihren Weg<br />
durchkämpfen, da blieb keine Zeit, sich<br />
um ihre Psyche zu kümmern. Genau<br />
diese durchkämpferische Art erwartet<br />
sich der Vater auch von seiner Tochter.<br />
Laut Šarić nehmen Eltern häufig an,<br />
dass ihre Kinder ein Abbild ihrer selbst<br />
sind. Das führt dazu, dass sie von ihren<br />
Kindern verlangen, mit Problemen so<br />
wie sie selbst umzugehen. Mit 19 Jahren<br />
entschied Milica, nochmal allein zu einer<br />
Therapeutin zu gehen. Diese diagnostizierte<br />
ihre starke Depression, ADHS und<br />
eine soziale Angststörung. Auf Grund<br />
ihrer Diagnose musste sie ihren Job als<br />
Erzieherin aufgeben und in einen Langzeitkrankenstand<br />
gehen, in dem sie sich<br />
bis heute befindet. Echte Anerkennung<br />
für ihre Probleme bekommt sie jedoch<br />
noch immer nicht. „Mein Vater hat bis<br />
heute den Ernst der Lage nicht ganz<br />
verstanden“, so Milica. Er gibt ihr regelmäßig<br />
seltsame Tipps, die er im Internet<br />
gelesen hat, wie sich beispielsweise einfach<br />
nur mehr mit Freunden zu treffen.<br />
Er möchte nicht verstehen, dass seine<br />
Tochter echte Probleme haben könnte.<br />
„<br />
Immer, wenn ich<br />
versuche meine Panikattacken<br />
anzusprechen,<br />
wird mir nicht<br />
geantwortet.<br />
“<br />
Auf der einen Seite verletzt es Milica, zu<br />
wissen, dass ihr Vater gar nicht versteht,<br />
wie es ihr geht. Auf der anderen Seite<br />
jedoch kann sie ihm nicht böse sein,<br />
da er es wahrscheinlich auch gar nicht<br />
besser weiß.<br />
DIE EMOTIONALE<br />
VERNACHLÄSSIGUNG<br />
„Ich glaube, meine Mutter hat unterschätzt,<br />
was meine Schwester und<br />
ich damals gebraucht hätten“, erzählt<br />
Zahra. Als sie vierzehn Jahre alt war,<br />
flog ihre Mutter für ein Jahr in den Iran,<br />
da ihr Vater im Sterben lag. Die beiden<br />
Schwestern blieben mit ihrem Stiefvater,<br />
der viel arbeitete und an manchen Tagen<br />
auch gewalttätig war, zurück. Dabei hätte<br />
Zahra genau zu dieser Zeit eine mütterliche<br />
Hand gebraucht, die sie durch die<br />
Pubertät führt. Sie fühlte sich vernachlässigt<br />
und im Stich gelassen und so kam<br />
es dazu, dass sie begann, sich selbst zu<br />
verletzen. Nicht weil es ihr geholfen hat,<br />
sich besser zu fühlen, sondern um die<br />
Aufmerksamkeit ihrer Mutter auf sich zu<br />
ziehen. „Als meine Mutter zurückkam<br />
und meine Ritznarben sah, sagte sie mir<br />
nur, dass es nicht schön aussieht und<br />
ich deswegen damit aufhören sollte“,<br />
so die Iranerin. Dass ihre Narben das<br />
Resultat von Depressionen und emotionaler<br />
Vernachlässigung waren, wollte<br />
ihre Mutter nicht akzeptieren, geschweige<br />
denn anerkennen. Laut ihr sollte sie<br />
sich nur etwas mehr zusammenreißen.<br />
Zahras Familie lebt nach dem Grundsatz:<br />
Wenn man schweigt, verschwinden die<br />
Probleme früher oder später ganz von<br />
selbst. Therapie im Gegensatz war für<br />
ihre Mutter ein absolutes No-Go, denn<br />
laut ihr würde man sich erst dadurch<br />
Probleme schaffen. „Ich glaube, dass<br />
sie einfach nur Angst hatte, dass die<br />
Familiengeheimnisse, für die sie sich<br />
schämt, rauskommen und dann Leute<br />
44 / RAMBAZAMBA /
über uns reden würden“, stellt die 27-Jährige fest.<br />
Diese Einstellung ist laut Šarić unglaublich gefährlich,<br />
da das Ignorieren der psychischen Bedürfnisse<br />
der Kinder laut der Kinderrechtskonvention unter<br />
emotionale Gewalt fällt und die Probleme der<br />
Kinder verstärken kann. So erging es auch Zahra.<br />
Durch die Vernachlässigung entwickelte sie bereits<br />
mit 15 Jahren Suizidgedanken. Mit diesen konfrontierte<br />
sie ihre Mutter erst letztes Jahr, elf Jahre<br />
später. „Meine Mutter meinte nur, dass meine<br />
Gründe, mir das Leben nehmen zu wollen, lächerlich<br />
waren“, erzählt Zahra kopfschüttelnd. Dass sie<br />
mit 26 Jahren noch mal so von ihrer Mutter verletzt<br />
werden würde, hätte sie nicht erwartet. Ein offenes<br />
Gespräch über Zahras noch immer anhaltende<br />
psychische Probleme ist mit ihrer Mutter bis heute<br />
nicht möglich. Um anderen zu helfen, die ebenfalls<br />
in so einer Situation wie sie stecken, macht sie eine<br />
Ausbildung zur Kinder- und Jugendtherapeutin.<br />
DAS DURCHBRECHEN DER<br />
SPIRALE<br />
„Ich weiß, dass meine Mutter selbst sehr viele<br />
Probleme hatte, und wenn ich jetzt als gleichaltrige<br />
mit ihr reden würde, hätte ich auch Verständnis<br />
für sie“, resümiert Zahra. Viele migrantische Eltern<br />
haben selbst Traumata erlebt, sei es durch Flucht<br />
oder Diskriminierung, die sie nie aufarbeiten konnten.<br />
Sie waren damit beschäftigt, sich in einem<br />
neuen Land zurechtzufinden und ihren Kindern<br />
ein besseres Leben zu ermöglichen. Ihnen fehlte<br />
schlichtweg die Zeit, sich mit ihrer Psyche auseinanderzusetzen.<br />
Darum liegt es an uns und auch an<br />
den kommenden Generationen, über psychische<br />
Erkrankungen sowie Therapiemöglichkeiten aufzuklären,<br />
um diese Spirale des Schweigens endlich<br />
aufzubrechen. ●<br />
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Wenn du oder jemand den du kennst,<br />
psychische Beratung braucht, kannst<br />
du dich an folgende Stellen wenden:<br />
● Rat auf Draht:<br />
147<br />
● Psychosoziale Dienste Wien:<br />
01 4000 53000<br />
● Telefonseelsorge:<br />
142<br />
● Notfallpsychologischer Dienst<br />
Österreich:<br />
069918855400<br />
Österreichische Post AG; PZ 18Z041372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1<strong>07</strong>0 Wien<br />
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20<strong>23</strong><br />
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WENN DIE ELTERN DER LIEBE IM WEG STEHEN<br />
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LIFE & STYLE<br />
Mache mir die Welt,<br />
wie sie mir gefällt<br />
Von Şeyda Gün<br />
MEINUNG<br />
Schieb dein<br />
Leben nicht auf<br />
Sebastian Kurz und ich haben jetzt nicht<br />
so viel gemeinsam. Aber sein berühmter<br />
Sager „Ich will nicht mehr. Ich kann<br />
nicht mehr. Ich halte das alles nicht<br />
mehr aus“ – ja, mit dem kann ich mich<br />
identifizieren. So fühlt sich nämlich mein<br />
aktueller Lebensabschnitt an. Eigentlich<br />
bin ich kein Fan von Vorsätzen, aber<br />
mein 20<strong>23</strong> war bisher etwas zwischen<br />
einer Achterbahnfahrt und einem neverending<br />
Alptraum. Genau aus diesem<br />
Anlass habe ich mir vorgenommen mich<br />
selbst als Priorität in meinem Leben zu<br />
setzen. Solange es mir nicht gut geht,<br />
werde ich meinem Umfeld auch nichts<br />
Gutes tun können. Mein größter Fehler<br />
bisher war, dass ich mein Leben immer<br />
aufgeschoben habe, und genau das<br />
möchte ich nicht mehr. Egal ob es eine<br />
Reisedestination ist, die ich erkunden<br />
möchte, die Party, auf die ich unbedingt<br />
gehen möchte, oder eine Ausstellung,<br />
die mir nicht entgehen soll – ich werde<br />
mir dafür die Zeit nehmen. Während wir<br />
vom Alltagsstress aufgefressen werden,<br />
vergessen wir eine wesentliche Sache:<br />
die Vergänglichkeit des Lebens. Deshalb<br />
habe ich für mich beschlossen, im<br />
Hier und Jetzt zu leben, alles andere ist<br />
nebensächlich.<br />
guen@dasbiber.at<br />
COCKTAILS<br />
UND BABA<br />
AUSSICHT<br />
Der Sommer ist da, die Temperaturen<br />
steigen: Sommerstimmung on! Was<br />
gibt es Besseres als den Abend in<br />
einer schönen Rooftop-Bar ausklingen<br />
zu lassen? Deshalb habe ich für euch<br />
drei super schöne Spots über den<br />
Dächern Wiens ausgesucht:<br />
● Aurora Rooftop Bar, Arsenalstraße<br />
10, 1100 Wien<br />
● Atmosphere Rooftop Bar,<br />
Schubertring 5-7, 1010 Wien<br />
● JUWEL Wien, Taborstraße 1-3,<br />
1020 Wien<br />
3 FRAGEN AN:<br />
RENDL<br />
Passend zum Sommer: Designerin<br />
Rosa Rendl beantwortet uns drei<br />
kurze Fragen zu ihrem nachhaltigen<br />
Modelabel RENDL und<br />
alles rund um ihre selbstkreierte<br />
Bademode.<br />
Was macht die RENDL Badeanzüge so<br />
besonders?<br />
Die Badeanzüge haben zeitlose Designs,<br />
die keinem Trend folgen und für unterschiedliche<br />
Figurtypen entworfen wurden.<br />
Einige der Modelle gibt es bis Größe<br />
XXXL. Es ist mir wichtig, dass man sich in<br />
den Swimsuits angezogen und supportet<br />
fühlt. Ein gut sitzender Badeanzug oder<br />
Bikini gibt einem ein unglaublich starkes<br />
Gefühl. Er ist wie eine Schutzschicht<br />
und gibt seiner Trägerin gleichzeitig das<br />
Gefühl, unabhängig und sexy zu sein.<br />
Was sind deine Inspirationsquellen?<br />
Meine Inspiration für neue Modelle und<br />
Schnitte ist vor allem das Feedback von<br />
Kundinnen und deren unterschiedliche<br />
Körperformen und Bedürfnisse. Die Motivation<br />
besteht darin für jede Kundin einen<br />
perfekt passenden Badeanzug zu haben.<br />
Wo kann man die Bademode kaufen?<br />
Aktuell in unserem Sommer-Pop-up<br />
auf der Praterstraße 14, 1020 Wien,<br />
der Montag bis Samstag von 11 bis 18<br />
Uhr geöffnet ist. Zudem ganzjährig in<br />
unserem Webstore www.rendl.co und<br />
in einigen Boutiquen in Wien und auch<br />
international.<br />
© Zoe Opratko, unsplash.com/Ecaterina Tanase, Rendl<br />
46 / LIFESTYLE /
READY FOR TAKE-OFF: IN EINE<br />
KLIMAFREUNDLICHE ZUKUNFT.<br />
Wir machen den nächsten Schritt.<br />
Die OMV ist nicht nur eine verlässliche Partnerin in der österreichischen Energieversorgung. Sie treibt auch den Wandel<br />
in eine nachhaltige Zukunft voran. Zum Beispiel mit dem innovativen Kerosinprodukt Sustainable Aviation Fuel (SAF),<br />
welches durch die Mitverarbeitung von regionalem Altspeiseöl zu einer Einsparung von mehr als 80 % CO 2<br />
beiträgt.<br />
Erfahren Sie mehr dazu auf: omv.com
KARRIERE & KOHLE<br />
Para gut, alles gut<br />
Von Šemsa Salioski<br />
MEINUNG<br />
Luxus:<br />
Vollzeitstudieren<br />
Während Kolleg:innen<br />
wöchentlich mit Magazinen,<br />
die sie zuvor entspannt im Hof<br />
gelesen haben, zu Seminaren<br />
spaziert sind, musste ich, wie<br />
alle Studierenden mit Vollzeitjob,<br />
während der Kernarbeitszeit<br />
zum Campus hetzen und<br />
diesen Zeitverlust im Laufe<br />
der Woche im Job nacharbeiten.<br />
Noch immer werden nur<br />
selten Seminare nach 17 Uhr<br />
oder am Wochenende angeboten.<br />
Ärgerlicher ist aber<br />
das mangelnde Verständnis<br />
seitens vieler Lehrkräfte, wenn<br />
Vollzeitarbeitende um Deadlineverschiebungen<br />
oder eine<br />
zusätzliche Fehleinheit bitten.<br />
Glaubt mir: Wir sind nicht faul,<br />
wir sind erschöpft. Es wäre<br />
schön, wenn Unis endlich auch<br />
Arbeitende berücksichtigen<br />
würden. Im Master Vollzeit zu<br />
studieren und nicht oder nur<br />
ein paar Stunden pro Woche<br />
arbeiten zu müssen, bleibt ein<br />
Luxus, den sich nicht alle leisten<br />
können.<br />
salioski@dasbiber.at<br />
KNOW YOUR<br />
RIGHTS:<br />
FERIALJOB<br />
Der Sommer steht vor der Tür.<br />
Das heißt viele Schüler:innen<br />
und Student:innen sind aktuell<br />
auf der Suche nach einem<br />
Ferialjob. Damit euch niemand<br />
verarscht, hier die wichtigsten<br />
Infos kurz zusammengefasst:<br />
Ferialjobber:innen in Österreich<br />
haben die gleichen Rechte wie<br />
reguläre Arbeitnehmer:innen.<br />
Dazu zählen Mindestlohn, geregelte<br />
Arbeitszeiten, Pausen<br />
und bezahlter Urlaub. Der<br />
Arbeitgeber muss Sozialversicherungsbeiträge<br />
zahlen und die<br />
Ferialjobber:innen unfallversichern.<br />
Ein schriftlicher Dienstvertrag<br />
mit genauen Konditionen ist<br />
wichtig.<br />
FOMO<br />
(„FEAR OF MISSING OUT“)<br />
WAR GESTERN!<br />
Arrivederci liebes Sommerloch<br />
Mit über dreihundert Kursen im Freien<br />
bleibt keine Zeit für Langeweile.<br />
Mit dem Angebot der VHS kannst du<br />
für den anstehenden Rom-Trip deine<br />
Italienisch-Kenntnisse auffrischen, beim<br />
Kurs „Guten Morgen liebe Sorgen“ im<br />
Kurpark Oberlaa lernen, wie du mit<br />
Alltagsproblemen umgehst oder mit der<br />
Wirbelsäulengymnastik deinen Bandscheiben<br />
etwas Gutes tun (Office People,<br />
ihr wisst Bescheid). Fact ist, die VHS<br />
bietet euch eine super Auswahl, wie ihr<br />
euch um eure mentale und physische<br />
Gesundheit kümmern könnt – und das<br />
Beste daran:<br />
Viele Kurse sind sogar kostenlos!<br />
Also es gibt keine Ausreden – ab auf<br />
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KENNT IHR SCHON DIE FAKTORY?<br />
Die Arbeiterkammer (AK) bietet Beratung für<br />
arbeitende Studierende direkt neben der Uni<br />
Wien an. In der FAKTory stehen euch erfahrene<br />
AK-Jurist:innen dienstags und donnerstags für<br />
Einzelberatungen zur Verfügung. Es werden auch<br />
Infoabende zu arbeitsrechtlichen Fragen angeboten.<br />
Bei allgemeinen Fragen kann der Kontakt telefonisch<br />
oder per E-Mail aufgenommen werden. Zusätzlich<br />
zur Arbeitsrechtsberatung gibt es auch Beratungsund<br />
Informationsangebote zu Themen wie Wohnen,<br />
Konsumentenschutz, Karenz und Steuer in der FAKTory.<br />
Expert:innen der AK stehen kostenlos zur Verfügung.<br />
Mehr Infos unter: https://faktory.at/beratung<br />
© Zoe Opratko, unsplash.com/Miguel A Amutio, Faktory<br />
48 / KARRIERE /
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offenen Stellen.
KULTURA NEWS<br />
Klappe zu und Vorhang auf!<br />
Von Nada El-Azar-Chekh<br />
Ausstellungstipps<br />
Yoshitomi Nara<br />
All My<br />
Little Words<br />
MEINUNG<br />
Heiße Sommer-<br />
Novellen<br />
Und wo tut ihr es am liebsten im<br />
Sommer? Auf der Picknickdecke<br />
im Park? Auf der Wiese, nach dem<br />
Baden? Oder sogar in einem Kaffeehaus?<br />
Die Rede ist natürlich von:<br />
Bücher lesen. Auf Social Media<br />
ist Lesen wieder cool geworden –<br />
TikToker:innen präsentieren stolz<br />
ihre #ReadingOutfits für die bestmögliche<br />
#ReadingAesthetic: Lieber<br />
Sommerkleidchen in der Natur?<br />
Oder eher in Fantasie-Schuluniformen,<br />
so ein bisschen akademisch?<br />
Dass #Booktok auch außerhalb des<br />
Bildschirms seine Wirkung hat, zeigen<br />
die Büchercharts im heimischen<br />
Laden – „TikTok made me read it“ ist<br />
längst keine Floskel mehr, sondern<br />
ein gern gesehenes Attribut in Form<br />
von Stickern auf dem Umschlag.<br />
Segen und Fluch liegen jedoch nah<br />
beieinander: Wann hast du das<br />
letzte Mal ein Buch durchgelesen,<br />
ohne Ablenkung durch Scrolling?<br />
Meine Empfehlung, um wieder Lust<br />
auf Lesen zu bekommen: Wie wäre<br />
es mit einer knackigen Novelle? Die<br />
sind doch eine nette Erfrischung für<br />
die vom Display gebräunten Augen.<br />
el-azar@dasbiber.at<br />
Die Arbeiten des japanischen Künstlers<br />
Yoshitomi Nara (*1959) sind an seinem einzigartigen<br />
Stil leicht zu erkennen: In seinen<br />
niedlichen, aber dennoch subversiven Darstellungen<br />
vereinen sich japanische Ästhetik<br />
und universelle Thematiken wie Einsamkeit,<br />
Verletzlichkeit und Kindheitsträume. Die<br />
Albertina Modern widmet ihm die erste große<br />
Einzelschau seit über zehn Jahren in Europa.<br />
Bis 1. November in der Albertina Modern.<br />
Music Lounge<br />
Die Ausstellung „Music Lounge“ im Technischen<br />
Museum Wien bietet einen Einblick<br />
in die Geschichte der elektronischen Musik.<br />
Es werden technologische Meilensteine, und<br />
Pionierinnen wie Johanna Magdalena Beyer,<br />
Daphne Oram, Laurie Spiegel und Wendy<br />
Carlos vorgestellt. Die Ausstellung umfasst<br />
auch die Ära der elektronischen Musik in<br />
Österreich mit Originalobjekten von zB Parov<br />
Stelar. Besucher können interaktive Elemente<br />
nutzen und auf einer Showbühne selbst Musik<br />
komponieren, singen und performen.<br />
Buch-Tipp:<br />
EINE BLUME<br />
OHNE<br />
WURZELN<br />
Big News: Ich werde im<br />
Herbst 20<strong>23</strong> ein Buch veröffentlichen!<br />
In „Eine Blume<br />
ohne Wurzeln“ setze<br />
ich mich, unter anderem,<br />
mit meiner konservativmuslimischen<br />
Erziehung<br />
kritisch auseinander und<br />
erzähle die Geschichte<br />
meines Ausbruchs aus ihr.<br />
Mit dabei sind auch viele<br />
skurrile Geschichten sowie<br />
Illustrationen aus meiner<br />
Feder. Jetzt vorbestellen:<br />
Eine Blume ohne Wurzeln,<br />
erscheint am 31. Oktober<br />
20<strong>23</strong> beim Haymon Verlag<br />
© Zoe Opratko, Yoshitomo Nara, Haymon Verlag/Zoe Opratko<br />
50 / KULTURA /
SOMMER, SONNE,<br />
FESTIVALZEIT!<br />
Kultursommer<br />
in Wien<br />
Auch in diesem Jahr kann man beim<br />
Kultursommer (bis 13. August) zahlreiche<br />
Lesungen, Kabarett, Konzerte, Theater- und<br />
Performanceprogramm und vieles mehr in<br />
ganz Wien erleben. Alles bei kostenfreiem<br />
Eintritt.<br />
Impulstanz wird<br />
40 Jahre alt!<br />
© Estelle Hanania<br />
Das Impulstanz Festival feiert außerdem sein 40. Jubiläum!<br />
Das Programm beim größten internationalen<br />
Festival für zeitgenössischen Tanz und Performance<br />
bietet das Beste aus Acts, Workshops<br />
und Research Projects. Hier gibt es alle Infos<br />
und Tickets:<br />
Demokratie – was<br />
geht? Festival<br />
Von 21. - <strong>23</strong>. September findet im MQ Wien das „Demokratie<br />
– was geht?“ Festival statt, bei dem junge Teilenehmende drei<br />
Tage lang ihre Kunstwerke und Performances<br />
vorstellen. Entstanden sind sie im Rahmen<br />
eines Projekts von Gleisdreieck Wien, die<br />
seit vielen Jahren Community-basierte Arbeit<br />
leisten. Informationen dazu gibt’s hier:<br />
30/09/<strong>23</strong><br />
Albumpräsentation<br />
EsRAP &<br />
Gasmac<br />
Gilmore<br />
© Christopher Glanzl
SKOPJE<br />
ZU GAST IN<br />
WIEN:<br />
No Feeling<br />
is Final.<br />
The Skopje<br />
Solidarity<br />
Collection.<br />
In der Kunsthalle Wien<br />
Museumsquartier ist ein<br />
bedeutsames Stück der<br />
Geschichte von Skopje zu<br />
sehen, die unser Verständnis<br />
von Solidarität durch und mit<br />
Kunst herausfordert.<br />
Gülsün Karamustafa, The Crime Scene (Tatort)<br />
Es ist eine beinahe vergessene Tragödie: Vor 60 Jahren<br />
erschütterte ein Erdbeben der Stärke 6,1 die Hauptstadt des<br />
heutigen Nordmazedonien, Skopje. Mit über 1.000 Toten und<br />
einer völlig zerstörten Stadt war dies eine der schlimmsten<br />
Naturkatastrophen im damaligen Jugoslawien. Mit unglaublicher<br />
Unterstützung durch eine internationale Gemeinschaft<br />
aus Ost und West wurde die Stadt rasch wiederaufgebaut<br />
– im Kalten Krieg keine Selbstverständlichkeit. Auch Kunst<br />
spielte eine wesentliche Rolle: Pablo Picasso, Jasper Johns<br />
und Meret Oppenheim waren nur einige der international<br />
bekannten Künstler*innen, die nach dem Beben Werke nach<br />
Skopje spendeten. Das Museum für Zeitgenössische Kunst<br />
(MoCA) in Skopje und dessen umfangreiche Sammlung ist<br />
das Ergebnis dieser beispiellosen Solidaritätsaktion.<br />
Zentrales Postamt und Telekommunikationszentrum, fotografiert<br />
von Elfie Semotan<br />
EINE BEGEGNUNG VON OST UND WEST<br />
Für die Ausstellung „No Feeling is Final. The Skopje Solidarity<br />
Collection” wurden zeitgenössische Künstler*innen<br />
wie Gülsün Karamustafa, Iman Issa und Elfie Semotan in die<br />
Kunsthalle Wien Museumsquartier eingeladen, sich mit ausgewählten<br />
Exponaten des MoCA auseinanderzusetzen und<br />
sie mit eigenen Arbeiten neu zu kontextualisieren: So treffen<br />
bekannte Vertreter*innen der Moderne wie Alex Katz und auf<br />
renommierte Künstler*innen vom Balkan und Osteuropa wie<br />
Olga Jančić und Ion Grigorescu. Der Titel der Ausstellung ist<br />
aus einem Zitat von Rainer Maria Rilke abgeleitet.<br />
Noch bis Ende Jänner 2024 ist die Ausstellung in der Kunsthalle<br />
Wien Museumsquartier zu sehen!<br />
© www.kunst-dokumentation.com, Elfie Semotan<br />
52 / KULTURA /
SAG’S<br />
MULTI!<br />
„Wie kann Vielfalt uns stärker<br />
machen, anstatt uns zu spalten?“<br />
„Es geht um alle Menschen, die ähnliche Erfahrungen wie ich gemacht haben. Aber auch um alle anderen.“ Maya ist<br />
eine der diesjährigen dreißig Gewinner:innen des mehrsprachigen Redewettbewerbs „SAG’S MULTI!“. Mit ihrer Rede auf<br />
Deutsch und Englisch zum Thema „Dafür will ich stark sein“, erzählt die 14-Jährige von ihren eigenen Erfahrungen und<br />
Diskriminierungen gegen BPOCs, über Rassismus, das Black Voices Volksbegehren und die Lebensrealitäten schwarzer<br />
Menschen in Österreich. Von: Maria Lovrić-Anušić<br />
© Roman Zach-Kiesling<br />
<strong>BIBER</strong>: Du hast deine Rede auf Deutsch<br />
und Englisch gehalten. Was bedeuten<br />
diese Sprachen für dich?<br />
MAYA: Deutsch ist die Sprache, mit der<br />
ich aufgewachsen bin. Mein Vater kommt<br />
aber aus Kamerun und spricht Französisch<br />
und Englisch. Leider lebt er in Berlin<br />
und konnte mir darum diese Sprachen<br />
nie beibringen. Ich habe mir Englisch mit<br />
der Zeit selbst beigebracht und habe das<br />
Gefühl, dass ich dadurch auch eine bessere<br />
Beziehung zu meinem Vater habe.<br />
Ich denke, dass wir auf Englisch unsere<br />
Emotionen und Gefühle besser verstehen<br />
können.<br />
Was war dein erster Gedanke, als du<br />
gewonnen hast?<br />
Ich dachte mir einfach nur „zum Glück“.<br />
Ich hatte die irrationale Angst, dass ich<br />
meine Rede vortrage, nichts gewinne<br />
und dann die ganzen Leute Mitleid mit<br />
mir haben.<br />
Wie ging es dir dabei, diese Rede zu<br />
verfassen?<br />
Es war wirklich schwer diese Rede zu<br />
schreiben. Als ich darüber nachgedacht<br />
habe, von welchen Erlebnissen aus meinem<br />
Leben ich erzählen könnte, habe ich<br />
erst realisiert, wie viele rassistische und<br />
diskriminierende Erfahrungen ich bereits<br />
gemacht habe.<br />
„Sag’s Multi!“ ist ein Redewettbewerb, bei dem Jugendliche ab der 7.<br />
Schulstufe Reden über ihre Lebensrealitäten halten – die Besonderheit: Sie<br />
wechseln dabei immer wieder zwischen Deutsch und einer Fremdsprache.<br />
Der Wettbewerb fand dieses Jahr schon zum 14. Mal statt.<br />
Kultur<br />
findet draußen statt<br />
Eintritt frei<br />
30.6. – 13.8.20<strong>23</strong><br />
© Kultursommer Wien:<br />
Kiki House of Dive, Stellaccord, Sandra Hanschitz,<br />
Fotos: Niko Havranek, Theresa Wey
DER QUOTEN-ALMANCI<br />
VON SELBSTGESPONNENEN<br />
AUFFANGNETZEN<br />
Von Özben Önal<br />
In eine neue Stadt zu ziehen kann schwierig sein.<br />
Vor allem in eine Stadt, in der man noch niemanden<br />
kennt. Die man vorher noch nie besucht hat. Wenn<br />
es dann noch um die bayrische Hauptstadt geht, hat<br />
man den Salat. Oder eben die Weißwurst. Entgegen<br />
aller Vorurteile gegenüber München, die auch mir<br />
nicht erspart blieben, habe ich das Gefühl schon<br />
nach zwei Wochen angekommen zu sein. Zu Beginn<br />
schob ich das noch auf den Luxus jederzeit innerhalb<br />
kürzester Zeit in einen Fluss springen zu können,<br />
der durch die gesamte Stadt fließt. Die Isar ist<br />
definitiv ein nennenswerter Zusatz. Aber ich meine<br />
ein ganz bestimmtes Ankommen. Nicht<br />
im Sinne von: Ich weiß, welchen Bus in<br />
welche Richtung ich nehmen muss, ohne<br />
vorher bei Google Maps nachzuschauen.<br />
Vielmehr meine ich damit, mich wohlzufühlen,<br />
entgegen aller Zweifel. Ich meine<br />
damit, mich mit Menschen zu umgeben,<br />
die safe spaces sind. Mit denen ich auf<br />
dem Balkon sitzen kann und über die<br />
Welt philosophieren, während wir an Raki-Gläsern<br />
nippen und im Hintergrund kurdische und türkische<br />
Lieder laufen. Das Gefühl von Community ist, was<br />
ich meine. Umgeben von Menschen zu sein, die ich<br />
allesamt bewundere für die Persönlichkeiten, die sie<br />
sind. Für die Kämpfe, die sie Tag für Tag führen, kollektiv<br />
und individuell. Für eine bessere Gesellschaft,<br />
eine bessere Welt. Ohne zu diskriminieren. Mit der<br />
nötigen Sensibilität füreinander.<br />
Kolumnistin Özben<br />
Önal ist euer „Quoten-<br />
Almanci“ – ein bisschen<br />
deutsch, ein bisschen<br />
türkisch, mit ein bisschen<br />
Liebe zu Wien. In ihrer<br />
Kolumne berichtet sie<br />
über Schönes, Schwieriges<br />
und Alltägliches.<br />
KEINE KOMPROMISSE<br />
Mir ist bewusst, dass das eine sehr romantisierte,<br />
vielleicht sogar übertriebene Darstellung ist. Aber<br />
als jemand, der viel Zeit damit verbracht hat, sich<br />
zu assimilieren und um jeden Preis zu einer Mehrheitsgesellschaft<br />
dazugehören zu wollen, sind das<br />
besondere Begegnungen. Und besondere Verbindungen.<br />
Das Konzept von Genoss:innenschaft wird mit<br />
jedem Tag, an dem ich lerne, wer ich bin und mit<br />
wem ich mich umgeben möchte, klarer. Das sind<br />
Menschen, die akzeptieren, respektieren, aber stets<br />
reflektieren. Das sind Menschen, die für Gerechtigkeit<br />
einstehen und hinsehen. Die Unterdrückung<br />
adressieren, sich ihrer Privilegien bewusst sind<br />
und diese nutzen. Die mich zum Nachdenken und<br />
Überdenken anregen, die mich verstehen und mich<br />
gleichzeitig fordern. Ich bin nicht mehr<br />
bereit Kompromisse einzugehen. Das<br />
mag manch eine:r als radikal ansehen,<br />
ich für meinen Teil sehe eine wichtige<br />
persönliche Entwicklung darin zu realisieren,<br />
welche Wichtigkeit ein Auffangnetz<br />
hat, in dem ich mich sicher und gesehen<br />
fühle. In dem unterdrückte, marginalisierte<br />
Gruppen sicher sind und gesehen<br />
werden. Und sicher fühle ich mich wiederum<br />
erst, wenn Menschen, die stärker oder mehrfach<br />
marginalisiert sind, sich in meinem Auffangnetz<br />
sicher fühlen. Um es in Şeyda Kurts Worten aus<br />
ihrem Buch Radikale Zärtlichkeit auszudrücken: „Die<br />
Welt wird nicht allein dadurch besser, dass ich in<br />
meinem nächsten Umfeld zärtliche Beziehungen<br />
führe. Es muss um Solidarität mit anderen Menschen<br />
gehen, die über meine Partner:innen- oder<br />
Freund:innenschaft hinausgeht.“ Wir sind geprägt<br />
von unterdrückerischen Systemen, die unser Handeln<br />
bestimmen, die wir internalisiert haben. Aber<br />
das zu reflektieren, stets zu hinterfragen und zu<br />
verändern sehe ich auch in unserer Verantwortung<br />
– das macht mein persönliches Auffangnetz aus. ●<br />
© Zoe Opratko<br />
54 / MIT SCHARF /
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