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BIBER 10_23_OLA (1)_DIENSTAG

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Österreichische Post AG; PZ 18Z041372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, <strong>10</strong>70 Wien<br />

www.dasbiber.at<br />

MIT SCHARF<br />

OKTOBER<br />

20<strong>23</strong><br />

+<br />

ISRAEL-PALÄSTINA<br />

+<br />

DER HOMO<br />

MUSLIMICUS<br />

+<br />

RELIGION UND<br />

REBELLION<br />

+<br />

„BIN ICH GUT<br />

GENUG?“<br />

DIE MIGRA-HOCHSTAPLER


JOBS MIT ZUKUNFT<br />

INHALT<br />

OKTOBER 20<strong>23</strong><br />

6 IVANAS WELT<br />

Über Helden-Väter und Care-Arbeit-Mütter<br />

POLITIKA<br />

8 ISRAEL/PALÄSTINA<br />

Während der gesamte Nahe Osten politische<br />

Destabilisierung erlebt, diskutiert man in der Welt darüber,<br />

auf welcher Seite das Blutvergießen „legitimer“ erscheint.<br />

<strong>10</strong> „FRAU HASHEMI, WANN WAREN SIE<br />

DAS LETZTE MAL IM IRAN?“<br />

Die Geschäftsführerin von Amnesty International, Shoura<br />

Zehetner-Hashemi, im Interview in Zahlen.<br />

„Jeder fängt mal klein an.<br />

Aber hier werd’ ich groß!“<br />

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© Zoe Opratko, Aliaa Abou Khaddour, Cover: © Aliaa Abou Khaddour<br />

12<br />

DIE VERMESSUNG DES<br />

HOMO MUSLIMICUS<br />

Warum gibt es so viele Studien zu<br />

Muslim:innen in Österreich?<br />

16<br />

„ICH KANN DOCH NIX!“<br />

Das Hochstapler-Phänomen ist bei<br />

Migras besonders stark ausgeprägt.<br />

RAMBAZAMBA<br />

12 DIE VERMESSUNG DES<br />

HOMO MUSLIMICUS<br />

Keine Bevölkerungsgruppe wird in Österreich so ausgiebig<br />

erforscht wie Muslim:innen, analysiert der Politologe Rami<br />

Ali. Was macht das mit der Gesellschaft?<br />

16 NIEMALS GUT GENUG?<br />

Maria Lovrić-Anusić über das allgegenwärtige Imposter-<br />

Phänomen bei Migras.<br />

20 EINE BLUME OHNE WURZELN<br />

Redakteurin Nada Chekh hat ein Buch geschrieben – über<br />

ihr Aufwachsen in einer Community, in der sie sich nie<br />

zugehörig gefühlt hat.<br />

24 DIE PERFEKTE ÖSTERREICHERIN?<br />

Stipendiatin Ajleen Hasan über Integration und<br />

Staatsbürgerschaft.<br />

26 HAAR-ÖL, BAKLAVA UND SERIEN<br />

Seyda Gün liefert Lifestyle-Tipps mit scharf.<br />

27 MEHR MUT STATT STILLER WUT<br />

Šemsa Salioski fordert überfällige Rebellion<br />

am Arbeitsmarkt.<br />

28 ENDE GELÄNDE<br />

Nada Chekh verabschiedet sich in ihrer letzten Kolumne von<br />

euch.<br />

30 ENTSTIGMATISIERUNG ODER<br />

ENTWERTUNG?<br />

Özben Önal über psychische Erkrankungen auf TikTok.<br />

Inserat_Biber_207x270mm_2022_Lehrlinge.indd 1 17.05.<strong>23</strong> 13:24


IMPRESSUM<br />

Liebe Leser:innen,<br />

MEDIENINHABER:<br />

Biber Verlagsgesellschaft mbH, Quartier 21,<br />

Museumsplatz 1, E-1.4, <strong>10</strong>70 Wien<br />

KONTAKT: biber Verlagsgesellschaft mbH Quartier 21, Museumsplatz 1,<br />

E-1.4, <strong>10</strong>70 Wien<br />

redaktion@dasbiber.at, abo@dasbiber.at<br />

HERAUSGEBER:<br />

Simon Kravagna<br />

WEBSITE: www.dasbiber.at<br />

CHEFREDAKTEURIN:<br />

Aleksandra Tulej<br />

„<br />

Meine Kollegin Nada Chekh hat<br />

ein Buch geschrieben. Ab S.<br />

20 spreche ich mit Nada über<br />

Doppelmoral, Doppelleben,<br />

Rebellion, Religion und<br />

schlussendlich eine<br />

Versöhnung, die ich mir für sie<br />

seit Jahren gewünscht habe.<br />

Aleksandra “ Tulej,<br />

Chefredakteurin<br />

Während der gesamte Nahe Osten politische Destabilisierung<br />

erlebt, diskutiert die Welt darüber, auf welcher Seite das Blutvergießen<br />

„legitimer“ erscheint. Man bekennt Farbe, als ginge es um<br />

ein Fußballspiel – egal, auf welche Seite man sich stellt, birgt es<br />

problematische Assoziationen. Nada Chekh, selbst Tochter eines<br />

Palästinensers, schreibt in ihrem viralen Kommentar ab Seite 8 über<br />

die ewige Suche nach dem Tropfen, der das Fass zum Überlaufen<br />

gebracht hat.<br />

Die neue Geschäftsführerin von Amnesty Österreich, die iranischstämmige<br />

Juristin Shoura Zehetner-Hashemi, beantwortet im<br />

Interview in Zahlen, wie viele unbegleitete Kinder jedes Jahr in<br />

Österreich „verschwinden“, wie viel Geld sie selbst im Jahr an<br />

gemeinnützige Organisationen spendet, und wann sie das letzte<br />

Mal im Iran war. Mehr lest ihr ab Seite <strong>10</strong>.<br />

Keine Bevölkerungsgruppe wird in Österreich so ausgiebig<br />

erforscht wie Muslim:innen. Die Studien verhehlen mittlerweile<br />

kaum mehr, dass sie mehr einer politischen Agenda dienen als der<br />

Wissenschaft, meint der Politologe Rami Ali in seinem Essay ab<br />

Seite 12.<br />

„Bin ich gut genug? Habe ich verdient, in diesem Job und dieser<br />

Position zu arbeiten? Ich kann doch nix, ich blamiere mich doch<br />

nur!“ diese Fragen stellen sich Migras ziemlich oft. Kein Wunder,<br />

das Hochstapler-Phänomen ist bei Menschen mit Migrationshintergrund<br />

besonders prävalent. Warum eigentlich? Maria Lovrić-Anusič<br />

ist dieser Frage ab Seite 16 nachgegangen.<br />

Vom Ausbruch zum Buch: Als Tochter einer muslimischen<br />

Familie im Gemeindebau aufgewachsen,<br />

konnte sie sich weder mit der Religion noch<br />

mit der Community identifizieren. In ihrem Buch<br />

„Eine Blume ohne Wurzeln“ beschreibt biber-<br />

Redakteurin Nada Chekh ehrlich und unverschönt<br />

über ihre Frage der Zugehörigkeit, ihr chaotisches<br />

Aufwachsen, ihre Struggles bis hin zur Versöhnung<br />

mit ihren Eltern. Ab Seite 20 sprechen wir mit ihr<br />

im Interview.<br />

Viel Spaß beim Lesen,<br />

eure biber-Redaktion<br />

SCHARFE<br />

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In unserem<br />

wöchentlichen<br />

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wir dir die<br />

spannendsten<br />

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des Landes<br />

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KULTUR & LEITUNG AKADEMIE:<br />

Nada Chekh<br />

FOTOCHEFIN:<br />

Zoe Opratko<br />

ART DIRECTOR: Dieter Auracher<br />

KOLUMNIST:INNEN:<br />

Ivana Cucujkić-Panić, Dennis Miskić, Özben Önal<br />

LEKTORAT: Florian Haderer<br />

REDAKTION, FOTOGRAFIE & ILLUSTRATION:<br />

Maria Lovrić-Anušić, Šemsa Salioski, Aliaa Abou Khaddour<br />

VERLAGSLEITUNG :<br />

Aida Durić<br />

MARKETING & ABO:<br />

Şeyda Gün<br />

REDAKTIONSHUND:<br />

Casper<br />

BUSINESS DEVELOPMENT:<br />

Andreas Wiesmüller<br />

GESCHÄFTSFÜHRUNG:<br />

Wilfried Wiesinger<br />

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und Energieverbrauch senken.<br />

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beim Verlassen des Raumes ab und nutze vermehrt<br />

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Verbreitete Auflage 80.700 Stück<br />

Die Offenlegung gemäß §25 MedG ist unter<br />

www.dasbiber.at/impressum abrufbar.<br />

DRUCK: Mediaprint<br />

Erklärung zu gendergerechter Sprache:<br />

In welcher Form bei den Texten gegendert wird, entscheiden die<br />

jeweiligen Autoren und Autorinnen selbst: Somit bleibt die Authentizität<br />

der Texte erhalten – wie immer „mit scharf“.<br />

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© Zoe Opratko<br />

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4 / MIT SCHARF /<br />

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In „Ivanas Welt“ berichtet die biber-Kolumnistin Ivana Cucujkić-Panić<br />

über ihr Leben - Glamour zwischen Balkan und Baby<br />

IVANAS WELT<br />

NEMA PROBLEMA<br />

TELENOVELA<br />

Senada ärgert sich, dass sie so viel arbeitet, aber so wenig Geld bezahlt<br />

bekommt. Der Chef schreibt ihr zu wenige Stunden! Nenad ist verärgert:<br />

Er hat auf TikTok gesehen, dass jedes Jahr 47 Mio. Überstunden nicht<br />

bezahlt werden. Jelena fragt, ob Senada denn selbst die Stunden aufschreibt?<br />

Da Mama Senada das nicht macht, lädt ihr Tochter Jelena den<br />

AK Zeitspeicher auf’s Handy! Am Monatsende kann Mama Senada dann<br />

mit den Aufzeichnungen zum Chef und dann gibt’s keine Ausreden mehr.<br />

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NEUES AUS DEM LEBEN<br />

DER FAMILIE PRAVDOVIĆ<br />

VÄTER, DIE HELDEN, UND MÜTTER,<br />

DIE HALT DIE CARE-ARBEIT ERLEDIGEN<br />

Ein Hero(j)! Ein Held! Das war mein Vater für mich, als<br />

ich ein kleines Mädchen war. Ein großer, starker Mann,<br />

der mich im Sommerurlaub meterweit ins Wasser<br />

schleudern konnte. Mich auf Schultern durch den Prater<br />

trug. Oder mit mir auf dem Rücken und bunten Glitzer-<br />

Zöpfchen als Pony durchs Wohnzimmer spazierte.<br />

BALKANDADS<br />

Die dicksten (Extra)Wurstscheiben packte er uns ins Jausenbrot.<br />

Die tollsten (Schlechtes-Gewissen-)Geschenke<br />

brachte er mit, wenn er wieder einmal tagelang irgendwo<br />

arbeiten gehen musste. An den urleiwanden gelben<br />

Plastik-LKW mit Kippfunktion kann ich mich heute noch<br />

erinnern. Mein Vater war der beste Spielkamerad, ein<br />

ehemaliger Sportler und Hobbyexperte. Alle Balkandads<br />

wissen alles über Sport und jede erdenkliche Sportart.<br />

Und noch so ein Phänomen: Sie können alles reparieren.<br />

Lampen, Autos, Waschmaschinen, Baby Born, wenn die<br />

nicht mehr weinen wollte.<br />

EIN RICHTIGER HELD EBEN<br />

Das war mein Vater für uns. Duden definiert den Helden<br />

als männliche Person, die sich mit Unerschrockenheit<br />

und Mut einer schweren Aufgabe stellt, eine ungewöhnliche<br />

Tat vollbringt, die ihr Bewunderung einträgt; eine<br />

Person, die auf ihrem Gebiet Hervorragendes, gesellschaftlich<br />

Bedeutendes leistet. Vielleicht hab ich bloß<br />

eine Auflage aus 1678 erwischt. In vielen Köpfen ist<br />

auch ein Update fällig. Ein Held – das war mein Vater,<br />

keine Frage. Er hat sich immerhin von mir und meiner<br />

Schwester Glitzer auf die Augenlider schmieren lassen.<br />

Aber: Unerschrocken, sich schweren Aufgaben stellen,<br />

ungewöhnliche Taten vollbringen und auf ihrem Gebiet<br />

Hervorragendes, gesellschaftlich Bedeutsames leisten –<br />

statt Helden könnte man doch einfach sagen: Mütter.<br />

cucujkic@dasbiber.at, Instagram: @ivanaswelt<br />

6 / MIT SCHARF /<br />

MUTTI MACHT’S DANN<br />

Denn wenn’s um den Real Life Struggle, um den ganzen<br />

Wahnsinn der Care-Arbeit geht, dann waren das Generationen<br />

an Müttern, die unerschrocken und mutig all die<br />

gesellschaftlich bedeutenden Dinge vollbringen mussten.<br />

Einfach die unsexy Drecksarbeit gemacht haben,<br />

für die es keinen feuchten Händedruck gibt. Vielleicht<br />

Blumen am 8. März. Bewunderung bekamen sie erst<br />

recht keine.<br />

HELDEN werden bewundert. Für ihre Unerschrockenheit,<br />

mit lila Lidschatten Teekränzchen zu spielen. Oder<br />

mit Baby in der Trage alleine einkaufen zu gehen. Vätern<br />

wird für solche Taten ordentlich auf die Schulter geklopft.<br />

„Wow, was für ein toller Papa. Der bringt sich ja<br />

richtig ein. Hilft ja richtig mit!“ Und wenn er auch noch<br />

die aktuelle Bodygröße kennt, steigt er zum feuchten<br />

Traum anderer Frauen auf. Der Cola-Light Mann unter<br />

den „neuen“ Vätern.<br />

ICH WILL KEINE HELDEN, ICH WILL LIEBER EINEN<br />

MANN<br />

Wenn ich an meinen Held-Papa denke und dann rüber<br />

zur anderen Seite des Schlafzimmerbettes schiele, sehe<br />

ich: Ja, das hat sich definitiv einiges getan zwischen den<br />

Generationen. Mein Papa ist für mich der Beste, keine<br />

Frage. Für meine Kinder möchte ich dennoch mehr als<br />

einen Helden. Ich brauche ganz dringend mehr als Heldentum!<br />

Ich brauche den anderen Elternteil, der seinen<br />

Part übernimmt. Denn Pony kann ich auch. Scheiß auf<br />

Waschmaschine-Reparieren. Dafür haben wir dann Opa,<br />

den Hero(j)! ●<br />

© Zoe Opratko<br />

Fotos: Zoe Opratko<br />

Was ist<br />

los Mama,<br />

warum seufzt<br />

du so?<br />

Ich verstehe<br />

einfach nicht, warum<br />

ich so wenig bezahlt<br />

bekomme. Immer arbeite<br />

ich, aber es gibt nie<br />

mehr Geld…<br />

Äh, was<br />

aufschreiben? Was<br />

soll ich aufschreiben?“<br />

Hey, ich<br />

habe bei der AK<br />

auf TikTok gesehen,<br />

dass 47 Mio. Überstunden<br />

im Jahr nicht bezahlt<br />

werden… arg oder?<br />

Schau, ich lade<br />

dir den Zeitspeicher<br />

von der AK runter – da<br />

schreibst du alle deine<br />

Stunden auf! Am Monatsende<br />

gehst du damit zu deinem<br />

Chef & dann soll er dir<br />

dein Para geben!<br />

Uff, danke Sine!<br />

Ja aber Mama,<br />

du schreibst dir<br />

deine Stunden ja eh auf,<br />

oder nicht?<br />

TIPP Arbeiterkammer:<br />

Hol auch du dir den<br />

AK Zeitspeicher, denn<br />

niemand sollte gratis<br />

arbeiten<br />

müssen


8. Oktober 20<strong>23</strong>:<br />

Israelis suchen unter<br />

Luftalarm Unterschlupf<br />

vor einem Hamas-<br />

Rakatenangriff<br />

in Ashkelon.<br />

Während der Krieg in Israel wieder aufflammt und der gesamte Nahe<br />

Osten politische Destabilisierung erlebt, diskutiert man in der Welt<br />

darüber, auf welcher Seite das Blutvergießen „legitimer“ erscheint.<br />

Von Nada Chekh<br />

ISRAEL<br />

AUF DER SUCHE NACH DEM TROPFEN, DER<br />

DAS FASS ZUM ÜBERLAUFEN GEBRACHT HAT.<br />

9. Oktober 20<strong>23</strong>:<br />

Der Gazastreifen wird in<br />

Folge eines Großangriffs<br />

durch die radikalislamistische<br />

Hamas heftig<br />

von Israel bombardiert.<br />

PALÄSTINA<br />

© Ohad Zwigenberg / AP / picturedesk.com, MOHAMMED SALEM / REUTERS / picturedesk.com<br />

Inmitten der jüngsten Eskalation im langanhaltenden<br />

israelisch-palästinensischen Konflikt wird nicht nur auf<br />

offizieller Ebene durch Politiker:innen europäischer<br />

Regierungen, sondern auch vor allem auf Social Media<br />

ordentlich Farbe bekannt: Sei es mit der israelischen oder<br />

der palästinensischen Fahne. Man könnte fast meinen, es<br />

ginge um ein Fußballspiel – doch die Realität dieses Krieges<br />

verlangt ein deutlich vielschichtigeres Verständnis dieser<br />

Parteien: Es gibt so gesehen keine Gewinner:innen und keine<br />

Verlierer:innen.<br />

Egal, auf wessen Seite man sich schlägt, birgt das problematische<br />

Assoziationen: Schlägt man sich auf die Seite<br />

der Palästinenser:innen, wird einem prompt unterstellt, offen<br />

eine brutale radikal-islamistische Terrororganisation und ein<br />

Volk mit einem Holocaustleugner an der Spitze zu unterstützen<br />

und demnach ein:e Antisemit:in zu sein. Stellt man sich<br />

gegen sie, kann das im Umkehrschluss nur bedeuten, man<br />

billige einen rechtsnationalen Apartheid-Staat, der systematisch<br />

Menschen unterdrückt und seit Jahrzehnten in die<br />

Vertreibung drängt und in der Staatenlosigkeit gefangen hält.<br />

Es stellt sich die Frage: Kann man in einem so komplexen<br />

Konflikt, der sich seit über 50 Jahren zuträgt, und in dem<br />

es immer wieder zu massiven Grenzüberschreitungen und<br />

Gewalt auf beiden Seiten kam, überhaupt eine „gute“ Position<br />

beziehen? Wer sind am Ende des Tages die „Guten“ und<br />

wer die „Bösen“?<br />

Seit wann ist es in Ordnung, die Existenzberechtigung<br />

eines Volkes als Freifahrtschein<br />

für die Vernichtung eines anderen Volkes<br />

herzunehmen?<br />

Auf der ewigen Suche nach dem Tropfen, der das Fass zum<br />

Überlaufen gebracht hat, wird vor allem übersehen, dass<br />

in diesem Moment tausende unschuldige Menschen Leid<br />

erleben, unabhängig davon, auf welcher Seite sie geboren<br />

wurden. Seit wann ist es in Ordnung, die Existenzberechtigung<br />

eines Volkes als Freifahrtschein für die Vernichtung<br />

eines anderen Volkes herzunehmen?<br />

Als Tochter eines Palästinensers muss ich offen sagen:<br />

Ja, es gibt ein Problem mit einem vehementen Antisemitismus<br />

in der arabischen Community, der durch die Entwicklungen<br />

im Konflikt von Israel/Palästina selbstverständlich<br />

immer wieder aufs Neue entfacht wird: Zionismus und<br />

Judentum werden zu oft fälschlicherweise gleichgesetzt.<br />

Und die Hamas, die nach wie vor in vielen Ländern der Welt<br />

als Terrororganisation gilt, ist eine mehr als unpassende<br />

Vertretung der Interessen der Palästinenser:innen. Oft stoße<br />

ich im Internet auf fraglichen Content, in dem die Aktionen<br />

der Hamas als „göttliche Aufgabe“ im Sinne des Islams präsentiert<br />

werden. Dem propagandistischen Märtyrerkult um<br />

Hamas-Terroristen muss endlich ein Ende gesetzt werden.<br />

Gleichzeitig bin ich mir des Traumas der Palästinenser:innen<br />

im Inneren bewusst, sie haben ein Recht auf eine Erinnerungskultur<br />

und ein Leben in Würde verdient – von beidem<br />

sind sie noch nie weiter entfernt gewesen. Ihre Verluste und<br />

Schmerzen haben keinerlei Bedeutung in der öffentlichen<br />

Aufmerksamkeit, sondern werden ebenfalls als antisemitisch<br />

und falsch abgestempelt.<br />

Das Durchschnittsalter in Palästina liegt bei 20<br />

Jahren<br />

Letztlich trägt auch die internationale Gemeinschaft, die in<br />

vielen Sachen unzureichend vermittelt hat und jahrzehntelang<br />

verpasste, eine Radikalisierung der Palästinenser:innen zu<br />

verhindern, Mitschuld an den heutigen Zusammenstößen. Das<br />

Durchschnittsalter der Bevölkerung im Palästinensergebiet<br />

liegt bei knapp 20 Jahren, ist also fast halb so hoch wie das<br />

Durchschnittsalter in Österreich. Die vielen jungen Menschen<br />

in diesem Gebiet fristen ein perspektivenloses Dasein und<br />

haben dabei nicht einmal entfernt die Anfänge dieses Konflikts<br />

miterlebt. Diese jungen Menschen und wohl auch die kommenden<br />

Generationen sind der Unterdrückung von außen<br />

und der Propaganda nach innen ausgeliefert – weiterhin ohne<br />

Aussicht auf Frieden und Gedeihen. Wenn ich die Nachrichten<br />

aus Israel/Palästina lese, blutet mir einfach das Herz. Für alle<br />

Beteiligten. ●<br />

Dieser Text ist am 9.Oktober 20<strong>23</strong> online auf dasbiber.at erschienen.<br />

8 / POLITIKA /<br />

/ POLITIKA/ 9


„FRAU ZEHETNER-<br />

HASHEMI, WANN<br />

WAREN SIE DAS<br />

LETZTE MAL<br />

IM IRAN?“<br />

In wie vielen<br />

Ländern hat<br />

Amnesty<br />

International<br />

einen Sitz?<br />

Wie viele unbegleitete<br />

Kinder<br />

„verschwinden“<br />

jedes Jahr in<br />

Österreich ?<br />

Wie viele<br />

Aktivist:innen<br />

engagieren sich<br />

bei Amnesty<br />

International<br />

Österreich?<br />

Wie viele Fälle<br />

von Menschenrechtsverletzungen<br />

im<br />

Iran haben Sie<br />

dieses Jahr<br />

registriert?<br />

Wann waren<br />

Sie das letzte<br />

Mal im Iran?<br />

Wie viele €<br />

an Spenden<br />

kamen im<br />

Vorjahr bei<br />

Amnesty<br />

International<br />

an?<br />

Welche<br />

Schulnote<br />

würden Sie an<br />

Karl Nehammer<br />

vergeben?<br />

Wie alt ist<br />

das jüngste<br />

aktive Mitglied<br />

von Amnesty<br />

International in<br />

Österreich?<br />

Interview in Zahlen: In der Politik<br />

und in den Medien wird schon genug<br />

geredet. Biber fragt in Worten,<br />

Amnesty-Geschäftsführerin<br />

Shoura Zehetner-Hashemi<br />

antwortet mit einer Zahl.<br />

70<br />

11.600<br />

830<br />

∞<br />

2006<br />

7.000.000<br />

5<br />

14<br />

Von Aleksandra Tulej und Nada Chekh, Fotos: Zoe Opratko<br />

Ein „Nicht genügend“ würde die Juristin dem<br />

Bundeskanzler Nehammer vergeben.<br />

Sieben Millionen € Spenden kamen im Vorjahr<br />

bei Amnesty International an.<br />

In nur zehn Semestern hat die gebürtige Iranerin<br />

ihr Jus-Studium abgeschlossen.<br />

Drei Parteien hat Hashemi in ihrem Leben gewählt.<br />

Wie viele<br />

Stunden<br />

arbeiten Sie<br />

pro Woche?<br />

60<br />

Wie viele<br />

Sprachen<br />

sprechen Sie?<br />

4<br />

Wie viele<br />

Semester<br />

haben<br />

Sie für ihr<br />

Jus-Studium<br />

gebraucht?<br />

<strong>10</strong><br />

Wie viele<br />

Parteien haben<br />

Sie in Ihrem<br />

Leben gewählt?<br />

3<br />

Wie oft kommen<br />

Sie persönlich<br />

mit Opfern von<br />

Menschenrechtsverletzungen<br />

in Kontakt?<br />

3<br />

Mal die Woche<br />

Wie viele<br />

TikToks haben<br />

Sie schon selbst<br />

gedreht?<br />

0<br />

Wie viel Geld<br />

im Jahr spenden<br />

Sie selbst<br />

an gemeinnützige<br />

Organisationen?<br />

600€<br />

Wie viele<br />

Menschenrechte<br />

stehen<br />

in der UN-<br />

Deklaration<br />

der Menschenrechte?<br />

30<br />

Wie viele davon<br />

können Sie<br />

jetzt aufzählen?<br />

5<br />

Wie viele<br />

Jahre haben<br />

Sie auf die<br />

österr. Staatsbürgerschaft<br />

gewartet?<br />

6<br />

<strong>10</strong> / POLITIKA /<br />

/ POLITIKA / 11


Anmerkung: Der Text ist zuvor in der Herbst-Ausgabe 20<strong>23</strong> des Magazins QAMAR erschienen.<br />

Keine Bevölkerungsgruppe wird in Österreich so ausgiebig<br />

erforscht wie Muslim:innen. Die Studien verbergen mittlerweile<br />

kaum mehr, dass sie mehr einer politischen Agenda dienen als<br />

der Wissenschaft, meint der Politologe Rami Ali in seinem Essay.<br />

Von Rami Ali, Collagen: Zoe Opratko<br />

DIE VERMESSUNG DES<br />

HOMO MUSLIMICUS<br />

Im Lichte der unberechenbaren, satirisch anmutenden<br />

politischen Geschehnisse in diesem Land kann man<br />

mit Gewissheit sagen, dass es den Österreicher:innen<br />

nicht langweilig wird. Langeweile – das ist etwas für<br />

unsere Schweizer Nachbarn zum Beispiel. Aber hier? Hier<br />

gibt es Neuwahlen so regelmäßig wie die Kürbiszeit, Präsidentschaftswahlen<br />

werden wiederholt, weil der Klebstoff die<br />

Wahlkuverts nicht richtig zusammenhält, Politiker treten nach<br />

„b’soffenen G’schichten“ zurück, in denen sie unter Alkoholeinfluss<br />

über den Verkauf heimischer Medien an Oligarchen<br />

sinnieren, während sie von versteckten Kameras gefilmt werden,<br />

oder – etwas aktueller – die Sozialdemokratische Partei<br />

verwechselt bei der Wahl ihres neuen Vorsitzenden Sieger<br />

und Verlierer. Ganze 48 Stunden war Hans Peter Doskozil<br />

irrtümlich der neue Mann an der Spitze der SPÖ – bis man<br />

zurückrudern musste: Sorry, eigentlich ist es Andreas Babler.<br />

Das Wahlfiasko ist symptomatisch für den Zerfall und Verfall<br />

der Sozialdemokratie in Österreich – es gibt Zeugnis über<br />

ihren Zustand: desaströs. Aber das ist ein anderes Thema.<br />

Solche unvorhergesehenen Ereignisse sind manchmal<br />

frustrierend, manchmal amüsant, aber immer überraschend.<br />

Wer rechnet schon damit? Auf Dauer zehren sie an den<br />

Kräften aller. Deshalb braucht es Beständigkeit. Es braucht<br />

wichtige Eckpfeiler für die Politik in diesem Land. Im Idealfall<br />

ein Thema, über das man eine Debatte hoch- und<br />

runterfahren kann. Ein Thema, das polarisiert, aber auch<br />

jederzeit instrumentalisiert werden kann. Etwas, das so<br />

regelmäßig gespielt wird und so vorhersehbar kommt wie<br />

die Jahreszeiten. Und was eignet sich dafür in einem Land<br />

mit einer so reichen Geschichte wie Österreich besser als<br />

eine Minderheit? Richtig: nichts. Deshalb spielt „der Islam“ in<br />

Österreich eine große Rolle. In Abgrenzung zu ihm formieren<br />

sich (partei-)politische Identitäten, Parteiprogramme und<br />

ideologische Bewegungen. Der vielzitierte „Islamdiskurs“<br />

ist ein Dauerbrenner – unverzichtbar für die österreichische<br />

Identität. Eigentlich sollten Österreicher:innen dankbar sein<br />

für diese Konstante in der heimischen Politlandschaft. Nichts<br />

ist beruhigender, als zu wissen, dass die nächste Kopftuchdebatte<br />

nur ein Interview entfernt ist, in dem ein selbst<br />

ernannter Experte das Kopftuch mit Unfreiheit, Kindesmissbrauch<br />

und Unterdrückung in Verbindung bringt. Wir können<br />

unsere Uhren stellen nach der öffentlichen „Diskussion“<br />

darüber, wie gewaltverherrlichend der Islam eigentlich sei,<br />

sobald unter Jugendlichen im Park eine Schlägerei ausbricht.<br />

Und genauso ist eine Extrarunde „Islamdiskurs“ garantiert,<br />

wenn wissenschaftlich fragwürdige Autor:innen ihre neueste<br />

ÖVP-Auftragsstudie vorlegen.<br />

GEGENBILD DES ÖSTERREICHERTUMS<br />

„Diskurs“ – das Wort gefällt mir. Im philosophischen Sinne,<br />

etwa bei Foucault oder Habermas, steckt noch viel mehr<br />

dahinter, ganze politische Theorien basieren zum Teil auf diesem<br />

Begriff. Im engeren Sprachgebrauch aber versteht man<br />

darunter eine Art sachlichen Austausch von Argumenten,<br />

einen Dialog, könnte man sagen. Zu einem Dialog gehören<br />

aber mehrere Seiten. Der Diskursbegriff in Österreich, insbesondere<br />

im Zusammenhang mit dem Islam, ist aber eine<br />

Farce.<br />

Der discurs austriacus (ich hatte nie Latein) klingt so<br />

offiziell und verleiht dem Sprecher eine Autorität, wenn auch<br />

nur eine imaginierte. Er suggeriert Seriosität und Objektivität.<br />

Genau das soll er auch, damit die österreichische Seele nicht<br />

verletzt wird, wenn unter dem Vorwand eines vermeintlichen<br />

Diskurses Politik auf dem Rücken einer Minderheit gemacht<br />

wird. Der Schein einer zivilisierten Nation muss aufrechterhalten<br />

werden, er dient auch der Konstitution des (vermeintlich)<br />

aufgeklärten Selbstbildes – in Abgrenzung zu dieser<br />

mysteriös anmutenden, oft gefährlichen, ja barbarischen<br />

Minderheit der Muslim:innen. Deshalb muss diese Minderheit<br />

auch ständig kontrolliert werden, man weiß ja nie. Denn „der<br />

Islam“ erfüllt nicht nur die Funktion des Gegenbildes zum<br />

imaginierten österreichischen Selbst – das ist nur eine Seite<br />

der Medaille. Er ist vor allem auch ein Einfallstor für jede<br />

rassistisch motivierte Politik in diesem Land, ein Durchlauferhitzer.<br />

Du bist gegen Migration, hast Angst, dass „die uns die<br />

Arbeitsplätze wegnehmen“, weißt aber nicht, wie du das<br />

am besten argumentieren sollst? Keine Sorge. Der Islam<br />

regelt das. Deine Lieblingspartei könnte zum Beispiel ständig<br />

von der „lauernden islamischen Gefahr“ reden, davon, wie<br />

12 / POLITIKA /<br />

/ POLITIKA / 13


unvereinbar der Islam mit dem „christlichen Abendland“ sei,<br />

vom „Kampf der Kulturen“ schwadronieren und am Ende<br />

zu dem Schluss kommen, dass Migration an sich abzulehnen<br />

sei, denn offenkundig sind Migrant:innen ja fast immer<br />

Muslim:innen.<br />

Du hast ein Problem mit deinem muslimischen Arbeitskollegen<br />

und warst sowieso schon immer „islamkritisch“,<br />

die offen rassistischen Eskapaden der FPÖ sind dir aber<br />

irgendwie zu brutal? Der Islam hat die Lösung. Deine Lieblingspartei<br />

könnte zum Beispiel öffentlich finanzierte Studien<br />

an ausgewählte Forscher:innen vergeben, die gefällige<br />

Ergebnisse liefern. So könnte deine Partei eine vermeintlich<br />

„objektive“ Grundlage schaffen, um dann „seriös“ ihr Hauptanliegen<br />

zu vertreten. Das Gute daran: Man kann sich auf<br />

die Wissenschaft berufen, was wiederum der anderen Seite<br />

der Medaille zugutekommt, nämlich der Herausbildung eines<br />

aufgeklärten Selbstbildes. Man muss sich also nicht schlecht<br />

fühlen, wenn man der Schließung muslimischer Gotteshäuser<br />

applaudiert. Immerhin hat ja ein „Wissenschaftler“ erklärt,<br />

dass diese Moscheen problematisch seien.<br />

QUANTITÄT VOR QUALITÄT<br />

Und mach dir keine Sorgen, wenn du beim Anblick von<br />

migrantisch aussehenden Jugendlichen sofort davon ausgehst,<br />

dass einige von ihnen sicher antidemokratische bis<br />

gewaltverherrlichende Ansichten haben – denn auch da hat<br />

deine Partei schon „Studien“ parat, die du zitieren kannst,<br />

um deine Abneigung zu rationalisieren. Du brauchst dir keine<br />

Sorgen zu machen: Zu keiner anderen Religionsgemeinschaft<br />

gibt es in Österreich so viel Forschung wie zu den<br />

Muslim:innen. Und wenn der Auftraggeber, wie es in den<br />

letzten Jahren fast ausschließlich der Fall war, die ÖVP oder<br />

ein ÖVP-geführtes Bundesministerium ist, dann brauchst<br />

du die „Studie“ nicht mal zu lesen. Du kannst schon bei der<br />

Auftragsvergabe davon ausgehen, dass das Forschungsdesign<br />

so angelegt ist, dass die Studie das „richtige“ – also<br />

ein skandalisierbares – Ergebnis liefert. Das ist es, was ich<br />

als Österreicher gerade an Studien über den Islam und<br />

Muslim:innen in Österreich so schätze – diese Berechenbarkeit.<br />

Immer dieselben Autor:innen, meist derselbe Auftraggeber,<br />

stets dasselbe qualitativ abgründige Niveau und mit sehr<br />

hoher Sicherheit ähnliche Ergebnisse. Erfrischend.<br />

Aber im Ernst: Die Quantität dieser Studien bei gleichbleibend<br />

schlechter Qualität sagt viel darüber aus, welche<br />

Funktion sie inzwischen erfüllen und in welchem gesellschaftlichen<br />

Klima sie operieren. In vielen Fällen dienen sie<br />

schlicht der Rationalisierung rassistisch motivierter Politik<br />

gegen die Minderheit der Muslim:innen und zielen auf ein<br />

Publikum, das entweder auf eine vermeintlich „objektive“<br />

Begründung der eigenen Vorurteile gewartet hat oder<br />

ohnehin schon genug belastet ist. Und weil die Zielgruppe so<br />

spezifisch und relevant und das Ziel populistische Stimmenmaximierung<br />

ist, spielt die Qualität der Studien keine Rolle –<br />

die Überschrift reicht.<br />

Deshalb kann es sich die ÖVP auch leisten, immer wieder<br />

Autor:innen mit antimuslimischer Schlagseite zu engagieren,<br />

die kaum Expertise in empirischer Sozialforschung haben,<br />

oder gar Autor:innen, die in der Vergangenheit bei der<br />

Manipulation von Studienergebnissen erwischt wurden, ohne<br />

einen besonderen Backlash erlebt zu haben. Denn wenn es<br />

um Muslim:innen und den Islam geht, versinkt die liberaldemokratische<br />

Öffentlichkeit vorsorglich im Koma. Mit gelegentlichen<br />

Zuckungen einzelner Gliedmaßen auf der linken<br />

Körperhälfte. Erst dieses antizipierte Ausbleiben lauter öffentlicher<br />

Kritik ist es, das „Islam-Studien“ und „Islam-Debatten“<br />

im Dauerschleifemodus hält. Die Kurz-ÖVP verdankte nicht<br />

zuletzt dieser auf dem Rücken von Muslim:innen praktizierten<br />

Strategie ihren Aufstieg ins Bundeskanzleramt.<br />

Studien haben also gezeigt: „Der Islam“ ist ein echter<br />

Star in Österreich – wenn auch nicht zur Freude der inspizierten<br />

Minderheit. Eigentlich wäre eine Würdigung längst überfällig.<br />

Warum nicht mit einem schönen Porträt des neuen<br />

Lieblings in den Parlamentsbüros der ÖVP? Bis vor Kurzem<br />

hing dort noch ein Porträt des Austrofaschisten Dollfuß. Es<br />

sollte also Platz sein. ●<br />

Rami Ali ist Politologe<br />

und Islamwissenschaftler<br />

mit<br />

besonderem Fokus<br />

auf Extremismus-,<br />

Präventions-und<br />

Jihadismusforschung.<br />

© Portrait: Hiba Khelifi<br />

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14 / POLITIKA /<br />

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„Bin ich gut genug? Habe ich verdient, in diesem Job und dieser Position zu<br />

arbeiten? Ich kann doch nix!“ Das Hochstapler-Phänomen ist bei Menschen<br />

mit Migra-Background besonders stark ausgeprägt – das merkt auch<br />

Autorin Maria Lovrić-Anušić, während sie an diesem Text schreibt.<br />

Von: Maria Lovrić-Anušić, Illustrationen: Aliaa Abou Khaddour<br />

NIEMALS GUT GENUG?<br />

DIE MIGRA-HOCHSTAPLER<br />

Okay Maria, dieser Text<br />

muss jetzt perfekt werden,<br />

sonst merken alle, dass du<br />

eigentlich nichts draufhast“,<br />

rede ich mir ein, während ich müde<br />

an meinem Schreibtisch sitze. Es ist<br />

kurz vor Mitternacht und meine Augen<br />

sind durch das Licht meines Laptops<br />

bereits rot, doch an das Schließen der<br />

Word-Datei denke ich noch lange nicht.<br />

Jeder Satz, den ich tippe, ist eine Qual.<br />

Löschen, erneut schreiben, zweifeln –<br />

der Druck, Perfektion zu erreichen, lastet<br />

auf meinen Schultern. Die Angst davor,<br />

den Ansprüchen der Vorgesetzten nicht<br />

zu genügen, ist ein strapazierendes<br />

Gefühl, das mich bis an den Rand des<br />

Wahnsinns treibt. Die Stunden verfliegen<br />

und trotz der Erschöpfung kann ich nicht<br />

aufhören. Die Angst, als Hochstaplerin<br />

entlarvt zu werden, ist stärker als die<br />

Müdigkeit. Erst gegen halb vier in der<br />

Früh, genervt und erschöpft, schließe ich<br />

endlich meinen Laptop. Dieses Szenario<br />

wiederholt sich immer und immer wieder.<br />

Es ist ein ständiger Kampf gegen das<br />

Gefühl, nicht gut genug zu sein und ein<br />

Ringen nach Anerkennung.<br />

Das Gefühl, im Job nicht gut genug<br />

zu sein, den Arbeits- oder Studienplatz<br />

gar nicht erst verdient und bei Erfolgen<br />

ständig nur Glück gehabt zu haben,<br />

begleitet nicht nur mich. Sowohl in<br />

meinem unmittelbaren Umfeld als auch<br />

auf Social Media erzählen immer mehr<br />

Menschen, dass sie auch von solchen<br />

Gefühlen geplagt werden – und auch die<br />

Wissenschaft hat schon einen Begriff<br />

für die eingebildete Erbärmlichkeit:<br />

das „Imposter Phänomen“. Der Begriff<br />

‚Imposter‘ stammt aus dem Englischen<br />

und bedeutet so viel wie ‚Betrüger‘ und<br />

genauso fühlen sich auch die Betroffenen.<br />

Obwohl sie objektiv betrachtet gute<br />

Leistungen erbringen, nagt in ihrem Hinterkopf<br />

der Irrglaube, dass ihre Umgebung<br />

sie jeden Moment als Hochstapler<br />

entlarven wird. Laut einer Studie der<br />

Wissenschaftler Jaruwan Sakulku und<br />

James Alexander aus dem Jahre 2011<br />

finden sich satte 70 Prozent aller Menschen<br />

einmal in ihrem Leben in so einer<br />

Lebenslage wieder.<br />

FEHLENDE ANERKENNUNG<br />

UND WERTSCHÄTZUNG<br />

„Wenn die Leute heute nicht merken,<br />

dass ich meinen Job nicht gut mache,<br />

dann sehen sie es eben morgen“, erzählt<br />

Yunus und lacht auf. Der 30-Jährige mit<br />

türkischen Wurzeln arbeitet als freier<br />

Journalist und eigentlich liebt er seinen<br />

Job. Allerdings kann er seine Kompetenzen<br />

selbst nur schwer anerkennen.<br />

Er spürt bei jedem Auftrag das Gefühl,<br />

nicht gut, schnell oder korrekt genug<br />

zu arbeiten. Diese ständigen Gedanken<br />

üben einen wahnsinnigen Druck auf ihn<br />

aus. Eigentlich ist ihm bewusst, dass er<br />

genauso wie seine Kolleg:innen qualitative<br />

Arbeit leistet. Doch im Hinterkopf<br />

schwebt der Gedanke, es sei kein<br />

Können, sondern er hätte einfach nur<br />

Glück, dass der Auftraggeber ihn einfach<br />

nur noch nicht als unfähig entlarvt hat.<br />

„Das hängt vielleicht damit zusammen,<br />

dass ich relativ wenige Erfolgserlebnisse<br />

in meinem Leben hatte.“ Yunus erzählt,<br />

dass er schlecht in der Schule war und<br />

auch im Studium „nur rumgeeiert“<br />

hätte, ohne zu wissen, was er eigentlich<br />

machen wolle. „Ich hatte tausende Minijobs<br />

und da habe ich nie Anerkennung<br />

oder Wertschätzung für meine Arbeit<br />

bekommen“, erzählt er ernst. In seiner<br />

Migrationsgeschichte sieht er ebenfalls<br />

eine mögliche Erklärung für sein<br />

mangelndes Vertrauen in seine Kompetenzen.<br />

Er ist der Ansicht, dass Migrantenkinder<br />

in ihrer Kindheit und Jugend<br />

oft zu hören bekommen, dass sie besser<br />

als alle anderen sein müssen. Dieser<br />

Druck, sich ständig mit anderen messen<br />

zu müssen, begründet er damit, dass<br />

Migrant:innen generell in der Arbeitswelt<br />

vor zusätzlichen Herausforderungen<br />

stehen. Yunus fasst es bedrückt zusammen:<br />

„Praktisch sollst du Rassismus<br />

kompensieren, indem du besser bist als<br />

die Einheimischen. Du sollst so überdurchschnittlich<br />

gut sein, dass Arbeitgeber<br />

nicht drumherum kommen, dich<br />

einzustellen.“ Doch die Realität sieht oft<br />

anders aus und Yunus war nicht immer<br />

besser als seine Kolleg:innen. Die damit<br />

einhergehende Vorstellung, dass er in<br />

Wirklichkeit über keinerlei Kompetenzen<br />

verfügt, hat sich tief in ihn verwurzelt.<br />

Heute fällt es ihm schwer, Lob von seinen<br />

Vorgesetzten anzunehmen, und er<br />

reagiert eher zurückhaltend auf positives<br />

Feedback. „Es passt einfach nicht zu<br />

dem, was ich in den letzten 30 Jahren<br />

von den Menschen um mich herum<br />

erfahren habe. Es passt nicht zu meiner<br />

Lebensrealität, wenn mir etwas Positives<br />

entgegengebracht wird.“<br />

DIE MIGRANTISCHEN<br />

IMPOSTER<br />

„Forschungen zeigen, dass das Imposter-Phänomen<br />

vermehrt bei Menschen<br />

mit Migrationshintergrund und bei<br />

marginalisierten Gruppen auftritt“, erklärt<br />

Psychotherapeut Philipp Lioznov. Laut<br />

16 / RAMBAZAMBA /<br />

/ RAMBAZAMBA / 17


ihm sei es jedoch wichtig zu betonen,<br />

dass das Phänomen keine Diagnose ist<br />

und es dafür keinen alleinstehenden<br />

Auslöser gäbe. „Erklären kann man sich<br />

das mittels des bio-psycho-sozialen Systems<br />

des Menschen“, so Lioznov. „Bio“<br />

steht für die Genetik. Wenn die Eltern in<br />

ihrem Leben starkem Stress ausgesetzt<br />

waren oder eventuell traumatisiert sind,<br />

geben sie das an ihre Kinder genetisch<br />

weiter. Der Punkt „psycho“ betrifft die<br />

individuelle psychische Verfassung. Hier<br />

spielen die eigenen Traumata, Stresssituationen<br />

und der Druck der Eltern eine<br />

wesentliche Rolle. Der dritte Aspekt,<br />

„sozial“, wird oft übersehen, obwohl er<br />

entscheidend ist. Die soziale Umwelt,<br />

beispielsweise in Form von Rassismus,<br />

kann einen erheblichen Einfluss auf das<br />

Imposter-Phänomen haben. Es handelt<br />

sich demnach um ein komplexes Zusammenspiel<br />

aus mehreren Faktoren, die in<br />

den Menschen Komplexe auslösen.<br />

„SOLL ICH WIRKLICH<br />

WEITERSTUDIEREN?“<br />

„Sie wissen, dass ihre Tochter nicht die<br />

Matura machen muss, oder?“, mit diesen<br />

Worten versuchte Tatjanas Mathematikprofessorin<br />

ihrer Mutter in einem<br />

persönlichen Gespräch zu erklären, dass<br />

nicht alle Kinder für höhere Schulen<br />

gemacht sind. Die heute 20-Jährige, die<br />

serbische Wurzeln hat, befand sich zu<br />

der Zeit in der Oberstufe eines Gymnasiums.<br />

Eigentlich war sie eine recht gute<br />

Schülerin, doch durch die Worte ihrer<br />

Mathematikprofessorin fing sie, an sich<br />

fehl am Platz zu fühlen – alle ihre guten<br />

Leistungen waren plötzlich egal. Dieses<br />

Gefühl des „Nicht-gut-genug-Seins“ lässt<br />

sie bis heute auf der Fachhochschule<br />

nicht los. Sie studiert Content Produktion<br />

und spürt das ständige Bedürfnis, sich<br />

beweisen zu müssen. Tatjana ist eine<br />

der wenigen Studierenden mit Migrationshintergrund<br />

in ihrer Studienrichtung<br />

und besonders darin sieht sie die Wurzel<br />

ihrer Unsicherheiten. „Ich wünsche mir<br />

so ein bisschen, dass ich die gleichen<br />

Möglichkeiten hätte wie meine autochthonen<br />

Kommilitonen an der FH. Sie<br />

können einfach verreisen, unbezahlte<br />

Praktika absolvieren und haben Eltern,<br />

die sie im Studium finanziell unterstützen<br />

können. Da fühle ich mich so, als hätte<br />

ich da keinen Platz und würde nicht<br />

dahin gehören“, erklärt sie bedrückt. Sie<br />

versteht nicht, warum sie diesen Platz<br />

auf der Fachhochschule bekommen hat,<br />

da sie ihn ihrer Meinung nach gar nicht<br />

verdient hätte. Sätze wie „Sollte ich nicht<br />

vielleicht abbrechen?“ oder „Soll ich<br />

wirklich weiterstudieren?“ machen sich<br />

in ihrem Kopf breit. Sie hat konstante<br />

Selbstzweifel und vergleicht sich mit<br />

ihren Mitstudierenden. Alle ihre Qualifikationen<br />

und Fähigkeiten sind nichts<br />

wert oder zumindest nicht so viel wie die<br />

der anderen. „Mir ist sehr wohl bewusst,<br />

dass Studieren etwas für jeden ist,<br />

aber vielleicht bin ich doch nicht dafür<br />

geschaffen, eine höhere Schule abzuschließen.<br />

Vielleicht sollte man das doch<br />

den Österreicher:innen überlassen“,<br />

erzählt Tatjana.<br />

„ICH BLAMIERE MICH<br />

DOCH NUR“<br />

„Ich bin einfach ein sehr lieber, kommunikativer<br />

und offener Mensch und ich<br />

glaube, dass das vielen gefällt und sie<br />

deswegen gar nicht merken, dass ich<br />

eigentlich nichts draufhabe.“ Mit diesen<br />

Worten versucht Ana ihr Gefühl, sie<br />

würde Vorgesetzte hinters Licht führen,<br />

zu erklären. Dabei besitzt die 27-Jährige<br />

mit bosnisch-kroatischen Wurzeln mehr<br />

als nur Charme. Ihr Lebenslauf ist gefüllt<br />

mit erstklassigen Arbeitserfahrungen<br />

und auch ihr Masterstudium hat sie<br />

erfolgreich abgeschlossen. Nichtsdestotrotz<br />

plagen sie ihre Unsicherheiten.<br />

Als sich Ana letztes Jahr für einen Job<br />

als Kundenberaterin in einer großen<br />

Consulting-Firma bewarb, musste sie<br />

sich durch einen harten Bewerbungsprozess<br />

boxen. Einen Monat und vier<br />

Runden später hatte sie zwar die Stelle,<br />

doch vor allem in den ersten Monaten<br />

verfolgten sie Gedanken wie: „Oh mein<br />

Gott, wieso haben die mich genommen?“<br />

oder „Irgendwann merken sie,<br />

dass sie einen Fehler gemacht haben.“<br />

Die Frage, was die anderen über sie<br />

denken könnten, verfolgt sie auf Schritt<br />

und Tritt. Diese Denkweise hat sie schon<br />

früh von ihren Eltern vererbt bekommen.<br />

Ihnen war es wichtig, als Migrant:innen<br />

einen guten Eindruck zu machen und<br />

nicht schlechter als Österreicher:innen<br />

gesehen zu werden – das war die größte<br />

Angst der Eltern und immer mit unglaublich<br />

großer Scham verbunden. Doch<br />

diese Angst, etwas Falsches zu sagen<br />

oder zu machen, schränkt Ana nun ein,<br />

ihr wahres Potenzial zu zeigen. „Häufig in<br />

Gruppen-Settings traue ich mich nichts<br />

zu sagen, weil sich in mir solche Gedanken<br />

aufdrängen: `Die anderen werden<br />

es doch eh besser wissen und ich<br />

blamier mich jetzt nur, ich bin doch eh<br />

nicht kompetent genug, warum bin ich<br />

überhaupt hier?´ Ich unterschätze mich<br />

selbst enorm“, erzählt sie bedrückt. Eine<br />

endgültige Lösung für diese Gedanken<br />

hat die 27-Jährige noch nicht gefunden,<br />

allerdings findet sie Lob hilfreich. „Wenn<br />

Kolleg:innen mir sagen, dass ich etwas<br />

gut gemacht habe, hilft das“, erklärt<br />

sie. Sie warnt jedoch davor, von positivem<br />

Feedback abhängig zu werden und<br />

ermutigt dazu, auch ohne Bestätigung<br />

von anderen selbstbewusst und selbstständig<br />

zu handeln.<br />

SPRECHT ÜBER EURE<br />

NEGATIVEN GEDANKEN.<br />

Obwohl es zu einfach klingen mag,<br />

ist Kommunikation der Schlüssel zur<br />

mentalen Entlastung. „Die Fähigkeit,<br />

seine Schwächen zu offenbaren, ist ein<br />

Zeichen von Stärke“, betont Lioznov und<br />

ermutigt dazu, ehrlich über negative<br />

Gedanken zu sprechen. In den passenden<br />

Umgebungen und mit den richtigen<br />

Menschen kann dies eine äußerst heilsame<br />

Erfahrung sein. Sprecht mit anderen,<br />

erzählt von euch und fragt, ob sie das<br />

Gefühl kennen, ob es ihnen ähnlich geht.<br />

Irgendwer muss ja den Anfang machen.<br />

Dennoch beschäftigt mich, auch nachdem<br />

dieser Text von der Redaktion als<br />

gut befunden und abgedruckt wurde, die<br />

Frage: War das jetzt gut genug? ●<br />

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18 / RAMBAZAMBA / / RAMBAZAMBA / 19


„Mein Buch ist keine Anleitung<br />

für den Ausbruch aus einer<br />

konservativen Familie.“<br />

Nada Chekh ist nicht nur<br />

biber-Redakteurin, sondern<br />

neuerdings auch Buch-Autorin.<br />

Interview: Aleksandra Tulej, Fotos: Zoe Opratko<br />

Als Tochter einer muslimischen Familie<br />

im Gemeindebau aufgewachsen, konnte<br />

sie sich weder mit der Religion noch mit<br />

der Community identifizieren. Was folgte,<br />

waren jahrelange Auseinandersetzungen<br />

mit der Familie, dem Umfeld und allen voran<br />

mit sich selbst:<br />

Auf knapp 220 Seiten beschreibt biber-<br />

Redakteurin Nada Chekh in ihrem Debüt<br />

„Eine Blume ohne Wurzeln“ offen und<br />

ungeschönt ihren Weg: über das Doppelleben,<br />

das sie als Jugendliche führte, über<br />

mentale Struggles, kulturelle Moralvorstellungen,<br />

über Rebellion, über Hin-und Her-<br />

Gerissenheit mit der Familie, die Frage der<br />

Zugehörigkeit und im Endeffekt auch über<br />

eine Versöhnung.<br />

<strong>BIBER</strong>: Nada, wir sind seit sechs Jahren Kolleginnen, du<br />

hast in Artikeln, Texten und Podiumsdiskussionen immer<br />

wieder die Community, in der du aufgewachsen bist,<br />

angeklagt. Nachdem ich dein Buch gelesen habe, hatte<br />

ich den Eindruck, dass es dann doch eine Versöhnung<br />

gab – mit deinem Aufwachsen, mit deiner Familie. Du<br />

setzt dich auch mit den Wurzeln deiner Eltern auseinander,<br />

es ist auch eine Art Legitimierung dessen, was du<br />

früher beklagt hast. Was siehst du jetzt anders als vor<br />

einigen Jahren?<br />

NADA CHEKH: Das war in der Tat so. Das<br />

Schreiben an dem Buch hat viele Knoten<br />

gelöst. Ich hätte mir keinen Therapeuten<br />

leisten können, der das mit mir geschafft<br />

hätte, was dieses Buch mit mir gemacht hat,<br />

und zwar habe ich auf eine Art und Weise<br />

wirklich inneren Frieden gefunden. Vielleicht<br />

liegt es auch daran, dass ich jetzt mittlerweile<br />

einige Jahre älter bin und dieser ganze<br />

Kampf, den ich führte, jetzt schon fast zehn<br />

Jahre zurückliegt. Ich hatte in der Zwischenzeit<br />

sehr viele Gelegenheiten, mich wieder<br />

meiner Familie anzunähern. Das klappt mal<br />

besser, mal weniger gut: Mit meinen Eltern<br />

funktioniert das sehr gut, mit zweien meiner<br />

insgesamt vier Geschwister habe ich seit bald<br />

Buchtipp:<br />

Nada Chekh<br />

“Eine Blume ohne Wurzeln.<br />

Wie ich Selbstbestimmung<br />

zwischen<br />

Doppelleben und Doppelmoral<br />

fand.“<br />

17, 90 €<br />

Erscheint beim Haymon<br />

Verlag. Ab 31. Oktober.<br />

zwei Jahren eigentlich gar keinen Kontakt.<br />

Du schreibst in deinem Buch sehr ungeschönt<br />

über mentale Struggles, die du in deiner<br />

Jugend hattest: Selbstverletzung, Krankenhausaufenthalt,<br />

Antidepressiva. Ist das das<br />

erste Mal, dass du mit diesen Themen an die<br />

Öffentlichkeit gehst? Ich habe die Szene im<br />

Kopf, als du nach einem heftigen Streit mit<br />

deiner Familie paradoxerweise in dem Krankenhaus<br />

gelandet bist, in dem dein Vater gearbeitet hat.<br />

Ich verstecke meine Narben nicht mehr – aber ich habe<br />

mit mir selbst gehadert, ob ich so offen darüber schreiben<br />

soll. Es war nun mal ein sehr großer Teil meiner<br />

Pubertät, der jahrelang meinen Gemütszustand und mein<br />

Leben bestimmt hat. Die Selbstverletzung war für mich<br />

ein Ventil, weil ich keine Kontrolle über meinen eigenen<br />

Körper hatte, über meine Sexualität oder darüber, wie<br />

und wann ich mich frei bewegen konnte – im Endeffekt<br />

war diese Aggression aber zu einem großen Teil auch<br />

gegen mich selbst gerichtet. All das erscheint mir heute<br />

aber schon sehr weit weg – zum Glück. Ich denke aber,<br />

dass es vor allem vielen jungen Frauen so geht, deshalb<br />

sollte das kein Tabu sein.<br />

Du bist in einer Community aufgewachsen, der du dich<br />

nicht zugehörig gefühlt hast. Du hast, wie du selbst<br />

schreibst, ein Doppelleben geführt. Kannst du heute du<br />

selbst sein und wo fühlst du dich zugehörig?<br />

Niemand kann in der Öffentlichkeit so sein, wie er zu<br />

Hause ist (lacht). Aber ich habe heute endlich die Bewegungsfreiheit<br />

und finanzielle Unabhängigkeit, die ich mir<br />

so lange gewünscht habe.<br />

Du schilderst viele sehr persönliche Erlebnisse, unter<br />

anderem auch deine jahrelangen Auseinandersetzungen<br />

mit deiner Familie, die Missstände daheim, die Tabus.<br />

Werden deine Eltern dein Buch lesen?<br />

Sie werden es auf jeden Fall versuchen, aber ich habe<br />

meine Eltern noch nie ein Buch auf Deutsch lesen gesehen<br />

(lacht). Im Ernst: Ich denke, dass da einerseits eine<br />

Sprachbarriere da ist, andererseits verstehen<br />

sie nicht immer, was ich mit meinen Texten<br />

ausdrücken will.<br />

Es gab nur einen Deal. Meine Eltern haben<br />

zu mir gesagt: „Schreib, was du willst, wir<br />

werden nicht für immer hier sein. Aber deine<br />

Geschwister werden dich noch dein Leben<br />

lang begleiten, denk bitte auch an die.“<br />

Von wem wird Kritik zum Buch kommen?<br />

Natürlich habe ich die Sorge, dass das Buch<br />

verrissen wird. Deshalb betone ich schon<br />

im Vorwort: Ich erzähle meine persönliche<br />

Geschichte. Mein Buch ist bitte keine Anleitung<br />

zum Ausbruch aus einer konservativen<br />

Familie.<br />

Du beschreibst auch viele schöne Erinnerungen<br />

an deine Kindheit und Jugend, so<br />

schreibst du beispielsweise sehr respektvoll<br />

über deinen Vater. Welche Erlebnisse in deinem<br />

Aufwachsen sind dir besonders positiv<br />

in Erinnerung geblieben?<br />

Es gab zuhause nicht genug Geld, um auf<br />

individuelle Interessen von uns Kindern<br />

einzugehen, wir haben im Gemeindebau auf<br />

20 / RAMBAZAMBA /<br />

/ RAMBAZAMBA / 21


engem Raum gelebt, Privatsphäre war ein Fremdwort.<br />

Trotz allem hatte ich eine sehr behütete Kindheit. Ich<br />

weiß vor allem, was für ein riesengroßes Privileg es ist,<br />

eine gute Vaterfigur in seinem Leben zu haben. Mein<br />

Vater ist mit uns Mädchen im Sommer, immer wenn er<br />

Zeit hatte, ins Freibad gegangen, hat mit uns geblödelt<br />

und gespielt. Er entspricht nicht dem Stereotyp des<br />

distanzierten, verhaltenen, arabischen Vaters, wie ich es<br />

in meinem Umfeld bei anderen Familien erlebt habe. Er<br />

hat auch bis zur Pension als diplomierter Krankenpfleger<br />

gearbeitet, was lange Zeit ein typischer Frauenberuf war<br />

– ich verbinde bis heute den Geruch von Desinfektionsmittel<br />

mit ihm, auf eine sehr positive Art und Weise.<br />

Thema Religion: Du bist keine praktizierende Muslima,<br />

dennoch hat Religion lange dein Leben bestimmt – aber<br />

war es wirklich die Religion oder eher die Kultur, die mit<br />

der Religion legitimiert wurde?<br />

Ich glaube, das kann man gar nicht so leicht trennen.<br />

Gerade bei Muslimen gibt es eine große Identifikation mit<br />

Vom Bruch zum Buch:<br />

Die Autorin arbeitet<br />

in ihrem Debüt ihr<br />

bisheriges Leben auf.<br />

der Religion im Alltag – der Koran stellt ja ein Regelwerk<br />

da, das alle möglichen Lebensbereiche beeinflusst.<br />

Meine Erziehung und die Traditionen zu Hause waren<br />

sehr religiös geprägt. Diese Codes, die man zu befolgen<br />

hatte, wenn du als Tochter in so einer Familie aufwächst,<br />

bedeuten dir: Du sollst fromm und unterwürfig sein<br />

und nicht von dir reden machen. So gesehen ist auch<br />

vieles davon kulturell verankert. Das hat mich sehr lange<br />

begleitet.<br />

Hättest du dir gewünscht, dich mehr mit „deiner“ Community<br />

zu identifizieren?<br />

Ich glaube, das hätte einiges einfacher gemacht (lacht).<br />

Aber was heißt denn überhaupt, sich mit einer Community<br />

zu identifizieren? Ich habe heutzutage gar keine<br />

arabischen Freunde, was ich einerseits sehr schade finde.<br />

Aber für mich ist diese Zugehörigkeit weniger mit der<br />

Herkunft verbunden als mehr mit bestimmten „Bubbles“.<br />

Ich fühlte mich immer schon unter Nerds und Geeks am<br />

wohlsten.<br />

Du hast einen orthodoxen Russen geheiratet – lange gab<br />

es deshalb auch Diskussionen mit deinen Eltern, weil<br />

sie nicht zu eurer Hochzeit kommen wollten, da er einen<br />

anderen Glauben hat. Im Endeffekt waren sie dort. Wie<br />

kam das?<br />

Bis wenige Wochen vor dem eigentlichen Trauungstermin<br />

wusste ich nicht, ob meine Eltern zu meiner Hochzeit<br />

kommen würden, was mich sehr mitgenommen hat.<br />

Ich habe ihnen dann als letzten Ausweg ein Ultimatum<br />

gestellt und ganz scharf gesagt „Wenn ihr nicht zu<br />

meiner Hochzeit kommt, komme ich auch nicht zu eurem<br />

Begräbnis.“ Sie haben sich im Endeffekt damit abgefunden,<br />

dass es für sie wichtiger ist, mich in ihrem Leben<br />

zu behalten, als wegen ihrer eigenen Überzeugungen<br />

den Kontakt abzubrechen. Meine Mutter sieht auf vielen<br />

der Hochzeitsfotos zwar so aus, als würde sie auf einer<br />

Beerdigung stehen – aber vielleicht lag das auch eher<br />

daran, dass sie zum ersten Mal mein riesiges Rückentattoo<br />

gesehen hatte (lacht). Das Wichtige ist, dass sie dort<br />

war.<br />

Wenn die 19-jährige Nada dieses Buch lesen würde, wie<br />

würde sie reagieren?<br />

Ich glaube, sie hätte es sehr gerne gelesen, und zwar,<br />

weil mir in meiner Jugend genau solche Geschichten<br />

gefehlt haben. Man kann das blöd finden oder nicht, aber<br />

wenn du jemanden siehst, der eine ähnliche Geschichte<br />

hat wie du, dir auch noch ähnlich schaut, dann kannst du<br />

dich viel besser damit identifizieren. Ich bin mit amerikanischen<br />

High-School-Filmen und Büchern aufgewachsen,<br />

die niemals meine Lebensrealität widerspiegelt haben<br />

– mir haben einfach Vorbilder gefehlt und ich hoffe, dass<br />

ich zumindest für andere eines sein kann.<br />

© Zoe Opratko, unsplash.com/christina@wocintechchat.com, Dollar Gill<br />

MEINUNG<br />

Ist der Job gut<br />

genug für dich?<br />

In meinem Millennial-Bekanntenkreis ist<br />

in den letzten Monaten eine riesige Welle<br />

der Job-Unzufriedenheit ausgebrochen<br />

– schlechte Bezahlung, Überlastung oder<br />

keine Wertschätzung. Einerseits stand<br />

die Frage im Raum, ob wir zu wenig<br />

leisten, um nun glücklich im Berufsleben<br />

sein zu dürfen. Dabei haben die meisten<br />

einen Uni-Abschluss und arbeiten seit<br />

Jahren. Andererseits kommen alle aus<br />

Umfeldern, wo stets über beschissene<br />

Arbeitsverhältnisse gemeckert, aber<br />

Beschwerden oder gar Kündigungen<br />

aus finanzieller Sicht niemals in Erwägung<br />

gezogen wurden. „Hauptsache<br />

Arbeit, das muss man eben aushalten!”<br />

Kein Wunder, dass so viele qualifizierte<br />

Menschen sich dann viel zu selten “Ist<br />

der Job gut genug für MICH?” fragen.<br />

Der Teufelskreis der niedrigen Ansprüche<br />

muss gebrochen werden. Eine Freundin<br />

hat kürzlich angekündigt, ein Angebot<br />

abzulehnen, wenn die Gehaltsvorstellungen<br />

nicht erfüllt werden. Auch mein<br />

Freund hat sich bei seinem aktuellen Job<br />

wochenlang geweigert, den Arbeitsvertrag<br />

zu unterschreiben, weil er mit der<br />

Home-Office-Regelung des Unternehmens<br />

nicht einverstanden war. Mehr Mut<br />

statt stiller Wut.<br />

salioski@dasbiber.at<br />

KARRIERE & KOHLE<br />

Para gut, alles gut<br />

Von Šemsa Salioski<br />

„UND HABEN SIE<br />

NOCH FRAGEN?“<br />

FOMO<br />

(„FEAR OF MISSING OUT“)<br />

WAR GESTERN!<br />

Unsere mentale Gesundheit ist unser wichtigstes Gut. Denn Psyche und<br />

Körper sind eng miteinander verknüpft. Wenn unsere Mental Health<br />

leidet, löst das auch körperliche Beschwerden wie Herzbeschwerden,<br />

Darmerkrankungen und Depressionen aus. Deshalb ist es super wichtig,<br />

aktiv etwas Gutes für unsere mentale Psyche zu tun. Die VHS bietet<br />

daher eine vielseitige Auswahl an Kursen zur Persönlichkeitsentwicklung<br />

an. Kurse wie „Wie wir Stress frühzeitig erkennen und effektiv damit<br />

umgehen können“ und „Achtsamer Atem“ geben uns Raum und Zeit für<br />

uns selbst. Mehr Infos gibt’s auf:<br />

www.vhs.at/de/k/personlichkeitsentwicklung<br />

Ein Vorstellungsgespräch dient nicht<br />

nur dazu, dass ihr euch dem Unternehmen<br />

vorstellt. Es soll euch auch bei<br />

der Entscheidung helfen, ob ihr einen<br />

Großteil eurer Zeit wirklich dort verbringen<br />

möchtet. Hier sind 4 unübliche Fragen,<br />

die ihr beim Bewerbungsgespräch<br />

stellen solltet.<br />

1. Warum haben SIE sich dafür<br />

entschieden, bei diesem<br />

Unternehmen zu arbeiten?<br />

2. Was macht das Unternehmen zu<br />

einem guten Arbeitgeber für mich?<br />

3. Warum haben die letzten drei<br />

Personen das Unternehmen<br />

verlassen?<br />

4. Gibt es Weiterbildungsprogramme für<br />

Mitarbeitende?<br />

ENTSPANNEN<br />

UND PARA<br />

SPAREN<br />

Apps wie “Calm” sollen mit<br />

speziellen Sounds dabei<br />

helfen, Stress abzubauen.<br />

Aber allein der Gedanke,<br />

dafür 50 Euro blechen<br />

zu müssen, stresst mich<br />

schon, vor allem da es diese<br />

Angebote in hervorragender<br />

Qualität genauso auf Youtube<br />

gibt. Alles, was es braucht,<br />

sind die richtigen Buzzwords,<br />

meine lieben Leute!<br />

Versucht es mit „Nature<br />

Sounds”, „Binaural Beats”<br />

oder „Meditation Music”.<br />

Kopfhörer rein, Regentropfen<br />

fühlen und Füße hochlegen.<br />

22 / RAMBAZAMBA /<br />

/ KARRIERE / <strong>23</strong>


LIFE & STYLE<br />

Mache mir die Welt,<br />

wie sie mir gefällt<br />

Von Şeyda Gün<br />

Zusammen<br />

spenden wir Mut.<br />

McDonald’s Österreich unterstützt die Ronald McDonald<br />

Kinderhilfe dabei, Familien schwerkranker Kinder ein<br />

Zuhause auf Zeit zu geben.<br />

MEINUNG<br />

Priorisiere dein<br />

Wohlbefinden<br />

Vor kurzem fragte ich mich selbst:<br />

„Was tue ich eigentlich für meine<br />

mentale Gesundheit?“ und konnte<br />

diese Frage nicht beantworten. Ich<br />

weiß es nämlich wirklich nicht. Wer<br />

von mentaler Gesundheit spricht,<br />

spricht doch von emotionalem, psychologischem<br />

und sozialem Wohlbefinden.<br />

Ich weiß aber nicht mehr,<br />

wann ich das letzte Mal etwas für<br />

mein Wohlbefinden getan habe. Dabei<br />

ist es doch so wichtig, dass wir auf<br />

uns schauen und uns wohl fühlen. Ich<br />

habe in diesem Jahr viele Situationen<br />

erlebt, in denen ich Stärke zeigen<br />

musste, in erster Linie für meine<br />

Familie. Dabei habe ich mein eigenes<br />

Wohlbefinden zurückgestellt, weil es<br />

wichtiger war, auf meine Liebsten zu<br />

achten, als auf mich selbst. Heute<br />

ist mir aber bewusst, dass das nicht<br />

der richtige Ansatz war, immerhin hat<br />

meine mentale Gesundheit darunter<br />

gelitten. Wir erleben alle Situationen<br />

im Leben, die uns herausfordern können,<br />

sei es die Schule, Uni, Karriere<br />

oder unser Privatleben. Wichtig ist<br />

jedoch, dass wir dabei nicht unser<br />

eigenes Wohlbefinden vernachlässigen.<br />

guen@dasbiber.at<br />

WUNDER-ÖL<br />

FÜR EURE HAARE<br />

Ich habe das Wunderheilmittel für<br />

meine trockenen Haare gefunden:<br />

Honey Infused Hair Oil von Gisou.<br />

Mein neuer Wegbegleiter seit einigen<br />

Monaten und ich muss ehrlich<br />

gestehen, meine Haare waren noch<br />

nie so glänzend. Perfekt für gesünderes,<br />

weicheres und stärkeres<br />

Haar – probiert es unbedingt aus!<br />

Herbstzeit-Serienzeit<br />

BOCK AUF BAKLAVA?<br />

Hand aufs Herz: Wer hier liebt<br />

keine Baklava? Wem aber der<br />

herkömmliche Mix aus Honig,<br />

Pistazien und Nüssen dann<br />

doch ein bisschen zu süß ist:<br />

Bei HANA gibt’s Baklava nach<br />

dem Rezept der ägyptischen<br />

Oma des Gründers Hamza Imara<br />

– nur mit weniger Zucker. Der<br />

Laden ist auf jeden Fall einen<br />

Besuch wert!<br />

Brückengasse 4, <strong>10</strong>60 Wien.<br />

MEINE<br />

TOP 5 SERIENTIPPS<br />

Der Herbst ist da – genau die perfekte<br />

Jahreszeit, um es sich unter<br />

einer warmen Decke kuschelig zu<br />

machen und Serien zu bindgewatchen.<br />

Hier meine Top 5 an<br />

Serientipps:<br />

▶ The Bold Type<br />

(Amazon Prime)<br />

▶ Never Have I Ever<br />

(Netflix)<br />

▶ Mitternacht im Pera Palace<br />

(Netflix)<br />

▶ Manifest<br />

(Netflix)<br />

▶ Carnival Row<br />

(Amazon Prime)<br />

© Zoe Opratko, Gisou, unsplash.com/Bastian Riccardi, Johannes Brunnbauer<br />

Ronald McDonald<br />

Kinderhilfe<br />

Von jedem verkauften Mutlicht werden € 2,28<br />

an die Ronald McDonald Kinderhilfe gespendet.<br />

Das<br />

Mutlicht.<br />

Je<strong>10</strong>€<br />

Jetzt Mut<br />

spenden!<br />

Leuchtet bunt und projiziert<br />

einen Sternenhimmel!<br />

24 / LIFESTYLE /<br />

© 20<strong>23</strong> McDonald’s<br />

Erhältlich in allen teilnehmenden McDonald’s Restaurants in Österreich, solange der Vorrat reicht. Nähere Infos auf www.mcdonalds.at<br />

mcd_<strong>BIBER</strong>_20<strong>23</strong><strong>10</strong>21_RMHC_Mutlicht_207x270_ISOnewspaper26v4.indd 1 29.09.<strong>23</strong> 12:19


MEINUNG<br />

DIE PERFEKTE ÖSTERREICHERIN. ODER DOCH NICHT?<br />

Zielstrebig, sprachtalentiert, engagiert, ausgezeichnet integriert und erfolgreich, das höre ich oft<br />

von Österreicher*innen. Aber für die Staatsbürgerschaft reicht es trotzdem nicht.<br />

Von Aljeen Hasan<br />

Nervosität macht sich in mir breit, als ich an der<br />

Tür klopfe und das Zimmer betrete. Vor dem<br />

Monitor sitzt eine blonde Frau, eine Vertreterin<br />

der bürokratischen Macht. Nach den formalen<br />

Höflichkeiten lege ich meine Dokumente auf den Tisch.<br />

Ein Stapel von Unterlagen, Lohnzettel der letzten drei Jahre,<br />

Strafregisterauszüge und mein handgeschriebener Lebenslauf,<br />

der meine siebenjährige Hingabe für die Integration in<br />

Österreich dokumentiert. „Solche Menschen brauchen wir<br />

in Österreich“, sagt die Beamtin. In diesem Moment könnte<br />

ich vor Freude schweben und interpretiere es als ein Zeichen<br />

des Aufbruchs.<br />

Doch etwa sechs Wochen später, ein Anruf von der<br />

Behörde: „Frau Hasan, normalerweise verschicken wir die<br />

Antwort per E-Mail, aber ich möchte es Ihnen persönlich mitteilen<br />

- leider müssen wir Ihren Antrag ablehnen.“ Ab diesem<br />

Satz konnte ich nichts mehr wahrnehmen… Bla Bla Bla. Ich<br />

höre nur noch ein undeutliches Gemurmel im Hintergrund.<br />

WILL ICH ÜBERHAUPT ÖSTERREICHERIN SEIN?<br />

Als ich wütend meinen Eltern davon erzählte, fragten sie<br />

gleichgültig: „Warum legst du so viel Wert auf die Staatsbürgerschaft?“<br />

Ihre Frage brachte mich dazu, ernsthaft zu<br />

hinterfragen, welche Rolle die Staatsbürgerschaft für mich<br />

spielen wird. Was möchte ich damit erreichen? Akzeptanz<br />

und Anerkennung? Dass ich ein Mensch bin, der auf demselben<br />

Niveau steht und denselben Status wie die anderen hat?<br />

Kann ein Stück Papier, das mich offiziell als Österreicherin<br />

auszeichnet, tatsächlich dieses Gefühl der Zugehörigkeit<br />

erzeugen? Denn obwohl ich seit sieben Jahren in Österreich<br />

bin und Syrien vor zehn Jahren verlassen musste, habe ich<br />

in Österreich viel mehr geleistet als in meiner Heimat. Die<br />

Steuern, die ich wie jeder andere zahle, meine zwei Uniabschlüsse<br />

auf Deutsch und vor allem jahrelanges politisches<br />

und gesellschaftliches Engagement in Bezug auf das Zusammenleben<br />

und die Integration in Österreich sind kein Hinweis<br />

auf meine emotionale und physische Integration? Sind die<br />

Leistungen, die ich erbracht habe, kein Beweis für die Erfüllung<br />

der Voraussetzungen?<br />

Warum können persönliche Leistungen nicht<br />

als Kriterium für die Verleihung der Staatsbürgerschaft<br />

berücksichtigt werden, anstatt einer<br />

bürokratischen Liste, die ohne jeglichen menschlichen<br />

Bezug abgehakt werden muss? Warum sollte ich<br />

überhaupt Österreicherin werden wollen? Damit ich mich<br />

an Wahldiskussionen beteiligen kann? Oder eine Story auf<br />

Instagram teilen kann, während ich endlich wählen gehen<br />

darf und meine Stimme jemandem gebe? Aber die größte<br />

Frage hier ist: Sollte ich als unabhängige Journalistin besser<br />

unparteiisch bleiben? Damit ich in meiner Berichterstattung<br />

meine Partei nicht verherrliche.<br />

HUNDE CHECK-IN STATT VERHÖR<br />

Seit Jahren strebe ich die Staatsbürgerschaft an, aber wenn<br />

ich mir vorstelle, dass ich plötzlich mit meinen österreichischen<br />

Freund*innen über Luxusprobleme wie die lange Wartezeit<br />

in der Schlange für den Hunde-Check-in am Flughafen<br />

sprechen würde, dann ziehe ich es vor, eine engagierte<br />

Flüchtling zu bleiben. Denn ich gebe es ganz ehrlich zu, die<br />

Staatsbürgerschaft ist ein Privileg, nach dem ich strebe, aber<br />

was wirklich hinter meinem Streben steckt, ist das Privileg<br />

als angehende Auslandsreporterin endlich frei reisen zu<br />

dürfen, ohne Monate vor der Reise ein Visum beantragen<br />

zu müssen, nach der Landung in Österreich nicht in der<br />

Schlange für Fremdenpässe warten zu müssen und nicht fast<br />

verhört werden zu müssen, wie viel Geld ich mitgenommen<br />

habe und wie viel übrig geblieben ist. Die Staatsbürgerschaft<br />

ist weit mehr als ein rotes Dokument, das Privilegien verleiht.<br />

Sie bedeutet eine größere Verantwortung, mehr Verpflichtungen<br />

und natürlich mehr Freiheit. Abgesehen davon, dass<br />

eine Story auf Social Media cool aussehen würde, indem<br />

mein roter Pass am Flughafen zu sehen ist, ist die Staatsbürgerschaft<br />

viel mehr als ein Privileg und einen roten Pass. Sie<br />

ist eine Verantwortung gegenüber der Demokratie, Diversität<br />

und den Menschenrechten. Dieses magische Dokument verändert<br />

meine Rolle in der Gesellschaft, denn ich werde nicht<br />

mehr als passive Bürgerin betrachtet, sondern als aktiver Teil<br />

dieser Gesellschaft.<br />

© Zoe Opratko<br />

Alle Infos zu den LUKOIL Lubricants Produkten „Made in Austria“<br />

gibt es online unter www.lukoil-lubricants.eu<br />

26 / RAMBAZAMBA /


MEINUNG<br />

Aller Abschied<br />

ist schwer<br />

Meine Lieben, ihr lest richtig: Nach<br />

mehr als sechs aufregenden Jahren<br />

neigt sich meine Zeit bei biber einem<br />

Ende zu. Und schon jetzt vermisse<br />

ich die Zeit in der schärfsten Redaktion<br />

der Welt unendlich: Meinen tollen<br />

Kolleg:innen und Weggefährt:innen bin<br />

ich sehr zu Dank verpflichtet, da sie<br />

mich emotional und psychisch gefordert<br />

und somit auch gefördert haben,<br />

wie kein anderer Job es hätte tun<br />

können – sie haben mich zu dem Menschen<br />

gemacht, der ich heute bin. Doch<br />

statt überschwänglicher Trauer gibt es<br />

hier noch etwas hinter die Ohren: Der<br />

Printjournalismus steckt wahrlich in<br />

einer tiefen Krise. Hohe Papierpreise,<br />

Teuerung und Inflation, wo man hinschaut,<br />

gepaart mit ohnehin prekären<br />

Arbeitsbedingungen zeichnen in einer<br />

hochalgorithmisierten Welt ein dunkles<br />

Bild für die Zukunft der vierten Säule<br />

der Demokratie. Im Social-Media-Zeitalter<br />

entwickelt sich guter Journalismus<br />

zunehmend zu einer Informationsindustrie,<br />

die ständig Hunger auf mehr<br />

Content hat. Lasst nicht zu, dass<br />

anspruchsvolle Texte und gute Recherchen<br />

untergehen. Ich widme mich jetzt<br />

der Promo meines ersten Buches „Eine<br />

Blume ohne Wurzeln“ und einem Masterstudium,<br />

das auf Abschluss wartet.<br />

Macht’s gut! Man liest sich hoffentlich<br />

weiterhin. Eure Nada.<br />

el-azar@dasbiber.at<br />

KULTURA NEWS<br />

Klappe zu und Vorhang auf!<br />

Von Nada Chekh<br />

Ausstellungstipp:<br />

Louise<br />

Bourgeois:<br />

Unbeirrbarer<br />

Widerstand<br />

Das multimediale Schaffen der 1911 in<br />

Frankreich geborenen Künstlerin Louise<br />

Bourgeois lässt sich nur schwer eingrenzen:<br />

Von monumentalen Skulpturen und Installationen,<br />

Zeichnungen, bis hin zu Gemälden<br />

und Grafiken hat sie in 70-jähriger Schaffenszeit<br />

ein unglaubliches Erbe für die<br />

Kunst des 20. Jahrhunderts hinterlassen.<br />

Das Untere Belvedere zeigt in der Einzelausstellung<br />

„Unbeirrbarer Widerstand“ ihr<br />

malerisches Schaffen.<br />

Bis 28. Jänner im Unteren Belvedere<br />

Film-Tipp:<br />

EUROPA<br />

Die junge ambitionierte Managerin<br />

Beate ist in beruflicher<br />

Mission für einen multinationalen<br />

Konzern namens EUROPA<br />

am Balkan unterwegs, allem<br />

Anschein nach um Philanthropie<br />

und Investitionen in unterentwickelten<br />

Regionen zu fördern. Ihre<br />

Reise führt sie in ein abgelegenes<br />

Tal in Albanien, wo sie versucht,<br />

den wenigen verbliebenen<br />

Einheimischen ihr Land abzukaufen.<br />

Dabei gerät sie in Konflikt<br />

mit Jetnor, einem eigensinnigen<br />

und tief spirituellen Bauern und<br />

Imker, der sich weigert, das Land<br />

seiner Vorfahren aufzugeben. Ein<br />

Film von Sudabeh Mortezai.<br />

Ab 2. November in den österreichischen<br />

Kinos!<br />

© Zoe Opratko, Christopher Burke, © The Easton Foundation / Bildrecht, Wien 20<strong>23</strong>, Filmladen Filmverleih<br />

© Muhtar Pattabanoğlu<br />

3 FRAGEN AN…<br />

TINA KESEROVIĆ<br />

Tina Keserović ist Ensemblemitglied im<br />

Schauspielhaus Wien und leitet den<br />

Sprechchor Čuj TSCHUXXL – einen<br />

Sprechchor für BKS-Muttersprachler:innen<br />

und Kenner:innen.<br />

<strong>BIBER</strong>: Wie unterscheidet sich<br />

die kroatische Theaterszene<br />

von der österreichischen oder<br />

deutschen?<br />

TINA KESEROVIĆ: Eine freie<br />

Theaterszene und Stadttheater<br />

mit fest angestellten<br />

Ensembles gibt es in allen<br />

drei Ländern. In Kroatien<br />

findet im Sommer viel an der<br />

Küste statt und open-air mit<br />

Meerblick zu proben ist ein<br />

krasses Erlebnis! Österreich<br />

fördert explizit Kultur und in<br />

Kroatien gehen viele Gelder<br />

an kulturelle Vereine und Institutionen,<br />

die der Kirche und<br />

der rechtskonservativen Partei<br />

HDZ nahestehen. Progressive<br />

Kunst kommt da oft zu kurz.<br />

Du bist Schauspielerin, hattest<br />

aber auch eine Band. Wie<br />

begann deine Leidenschaft für<br />

die Bühne?<br />

Ich war schon immer die<br />

Entertainerin meiner Familie.<br />

Die Band habe ich zwar nicht<br />

mehr, aber dafür habe ich Rap<br />

für mich entdeckt. Mein Solostück<br />

„Migrant Migraine“ ist<br />

ein Rap für die Bühne mit der<br />

Musikerin Suzana Bradarić.<br />

Es beginnt mit der Erzählung,<br />

wie meine Familie zwar in<br />

physischer Sicherheit, aber<br />

besorgt in Österreich vor dem<br />

Fernseher sitzt. Schreckensnachrichten<br />

vom Jugoslawienkrieg<br />

flimmern über den<br />

Bildschirm und Angst um<br />

Verwandte und Freund:innen,<br />

die es nicht nach Österreich<br />

geschafft haben, breitet sich<br />

aus. Sie schalten den Fernseher<br />

aus, heben mich auf<br />

DU KANNST AUCH ANDERS.<br />

DU KANNST AUCH MAL INS KONZERT.<br />

DAS KULTURMINISTERIUM FÖRDERT JÄHRLICH RUND<br />

285 KONZERTVERANSTALTER:INNEN IN GANZ ÖSTERREICH.<br />

den Tisch, um zu tanzen, sie<br />

singen und klatschen, damit<br />

ich nicht in Angst aufwachse<br />

und sie in mir eine hellere<br />

Zukunft sehen. So ist meine<br />

Leidenschaft für die Bühne<br />

gewachsen.<br />

Deine nächste Premiere im<br />

Schauspielhaus Wien ist das<br />

Stück „Wunder“. Worauf bist<br />

du besonders gespannt?<br />

„Wunder“ ist ein spannendes<br />

Projekt, da wir gemeinsam<br />

mit Schauspielkolleginnen in<br />

der Regie von Juan Miranda<br />

in Barcelona proben und<br />

Premiere feiern. Wir sprechen<br />

in mehreren Sprachen, haben<br />

unterschiedliche Herkünfte<br />

und bringen diverse Kontexte<br />

auf die Bühne. Mich interessiert<br />

sehr, welche Gemeinsamkeiten<br />

wir entdecken,<br />

neben der Tatsache, dass wir<br />

alle Frauen sind. Aufgeführt<br />

wird auf Deutsch, Spanisch<br />

und Katalanisch.<br />

ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG<br />

28 / KULTURA /<br />

Foto: Christoph Liebentritt


DER QUOTEN-ALMANCI<br />

ENTSTIGMATISIERUNG ODER ENTWERTUNG?<br />

Von Özben Önal<br />

Kolumnistin Özben<br />

Önal ist euer „Quoten-<br />

Almanci“ – ein bisschen<br />

deutsch, ein bisschen<br />

türkisch, mit ein bisschen<br />

Liebe zu Wien. In ihrer<br />

Kolumne berichtet sie<br />

über Schönes, Schwieriges<br />

und Alltägliches.<br />

Wer regelmäßig die Tiktok App auf dem Handy öffnet,<br />

stolpert früher oder später über Videos, in denen es um<br />

mentale Gesundheit geht. Die meisten von ihnen sind<br />

humorvoll, bringen mich zum Grinsen. Nun sind diese<br />

Videos aber nicht mehr nur beschränkt auf lustigen<br />

Content, es geht auch um die Sichtbarkeit psychischer<br />

Erkrankungen und auf diese aufmerksam zu machen.<br />

Dabei zeigen sich junge Menschen offen und sprechen<br />

über ihre persönlichen Erfahrungen, in den Kommentaren<br />

finden sich Nutzer*innen die sich für die Offenheit<br />

bedanken, weil sie sich verstanden und nicht mehr alleine<br />

mit ihren Sorgen fühlen. So wird auch zu einer Entstigmatisierung<br />

von psychischen Erkrankungen<br />

beigetragen. Aber es existiert auch noch eine<br />

andere Seite der Medaille – denn es kursieren<br />

zusätzlich Videos, in denen vermeintliche<br />

Symptome von und Informationen zu Krankheiten<br />

wie Angststörungen, Depressionen,<br />

ADHS oder Zwangsneurosen, die schlichtweg<br />

falsch oder unvollständig sind. Eine kanadische<br />

Studie von 2022 untersuchte die <strong>10</strong>0<br />

beliebtesten Videos zu ADHS und fand heraus, dass 52%<br />

dieser Videos irreführend oder falsch waren. Dass ich<br />

nicht unbedingt eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung<br />

habe, nur weil ich viel prokrastiniere, ist mir<br />

bewusst, auch wenn die POV (steht für „point of view“)<br />

Videos mich vom Gegenteil überzeugen wollen. Trotzdem<br />

gab es eine Zeit in der ich ernsthaft glaubte, es könne<br />

ADHS sein, weil mir immer wieder Videos in die Timeline<br />

gespült wurden, die vermeintliche Symptome der Krankheit<br />

aufzählten, die nahezu alle auf mich zutrafen. Nun<br />

ist das erstmal nicht ausgeschlossen, selbstverständlich<br />

kann es durchaus möglich sein. Worum es mir geht, ist<br />

nur, sich nicht auf eine Selbstdiagnose über Tiktok zu<br />

versteifen, vielmehr sollte diese Annahme der Anstoß<br />

sein tatsächlich ein*e Psychiater*in aufzusuchen. In dem<br />

Fall können sich diese Videos dann sogar als enorm hilfreich<br />

erweisen. Aber sich anzuhören was vermeintliche<br />

Tiktok-Therapeut*innen erzählen kann keine professionelle<br />

Therapie ersetzen, erst recht nicht, wenn es um<br />

Erkrankungen geht, die im schlimmsten Fall tödlich sein<br />

können, wenn sie nicht behandelt werden.<br />

Fragwürdig finde ich bei dem Trend über mentale<br />

Erkrankungen zu sprechen auch, dass so inflationär mit<br />

Wörtern um sich geworfen wird, die eigentlich nur im<br />

Zusammenhang mit einzelnen Erkrankungen genutzt<br />

werden. So kann roter Nagellack bereits „triggernd“ für<br />

Nutzer*innen sein oder das Überdenken von Situationen<br />

einen bereits „delusional“ (englisch für<br />

„wahnhaft“) machen. Das bewirkt nämlich<br />

das genaue Gegenteil von Entstigmatisierung,<br />

vielmehr entwertet es die Erfahrung derjenigen,<br />

die tatsächlich traumatische Erfahrungen<br />

gemacht und in gewissen Situationen von<br />

Reizen oder Einflüssen getriggert werden<br />

können oder mit Schizophrenie und anderen<br />

psychotischen Störungen zu kämpfen haben.<br />

Ähnlich verhält es sich zu expliziten Inhalten über die<br />

Erfahrung mit sexuellen Übergriffen und anderen Formen<br />

von Gewalt. Auch wenn der Algorithmus von Tiktok die<br />

Nutzung gewisser Wörter oder Bilder verbietet, gibt<br />

es längst Wege sich trotzdem auszutauschen, indem<br />

Metaphern bzw. alternative Worte gefunden werden.<br />

Zuletzt gab es beispielsweise den „Mascara“-Trend, bei<br />

dem junge Menschen von früheren problematischen Ex-<br />

Partner*innen als Mascara, die sie früher nutzten, erzählten.<br />

Dabei ging es auch um Gewalterfahrungen. Mir geht<br />

es nicht darum die Sichtbarkeit dieser Themen unterbinden<br />

zu wollen, sondern darum, dass diese Inhalte nun<br />

mal auch schädlich oder eben triggernd sein können<br />

für Personen, die diese Erfahrungen ebenfalls gemacht<br />

haben. Und das ist ein Aspekt, der auf gar keinen Fall<br />

ignoriert werden sollte. ●<br />

© Zoe Opratko<br />

„Ich setze mich<br />

dafür ein, dass<br />

wir uns alle<br />

Anliegen zu<br />

Herzen nehmen.“<br />

Rania, Publikumsservice-Mitarbeiterin<br />

Eine Mitarbeiterin des ORF, die wie all ihre Kolleginnen und Kollegen den Auftrag hat, mit einem<br />

ausgewogenen Programm zu einer funktionierenden Gemeinschaft in Österreich beizutragen.<br />

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