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Österreichische Post AG; PZ 18Z041372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1070 Wien
www.dasbiber.at
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UKRAINISCHER
BOTSCHAFTER
IN ZAHLEN
+
GUTER
FLÜCHTLING,
SCHLECHTER
FLÜCHTLING
+
ŠVABO-LEHRER
+
MIT SCHARF
NEWCOMER
SCHOOL
EDITION
JUNI 2022
„SEI EIN MANN!“
DER KAMPF EINER JUNGEN SERBIN UM IHRE IDENTITÄT
ZUSAMMEN
AUF DER
GEWINNERSEITE
SEIN.
GEHT
SICHER!
ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG. AGENTURFOTO, MIT MODELS GESTELLT.
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BLEIBEN:
JETZT
IMPFUNG
HOLEN!
Spielend durch den Sommer – die Impfung macht es möglich!
Wichtig: Nur wer drei Mal geimpft ist, ist grundimmunisiert und damit gut
geschützt vor einer schweren Erkrankung durch COVID-19. Das gilt auch für
Genesene. Checken Sie jetzt Ihren Impfplan und stellen Sie sicher, dass Sie
alle empfohlenen Teilimpfungen haben.
Alles rund ums Impfen finden Sie auf gemeinsamgeimpft.at
3
minuten
mit
Aladdin
Jameel
Er imitiert alle möglichen
Akzente, macht Witze über
Ausländer:innen sowie über
Österreicher:innen und sieht
die Bühne als eine Therapie:
Aladdin Jameel. 3 Minuten
mit dem Wiener Comedian
mit turkmenisch-kurdischarabisch-assyrischen
Wurzeln.
Interview: Aleksandra Tulej,
Foto: Zoe Opratko
Wer ist er?
Name: Aladdin Jameel
Alter: 30
TikTok & Instagram:
aladdinjameel
BIBER: Die nervigste Frage zuerst:
Kannst du auf Kommando lustig sein?
ALADDIN JAMEEL: Nein. Es passiert
so oft, dass Leute zu mir kommen und
mich auffordern: „Erzähl einen Witz!“
Das geht nicht auf Kommando und das
ist schon sehr nervig. Oder sie erzählen
mir Witze und ich denke mir dann so
„Bitte, mach das nie wieder.“ (lacht)
In den meisten deiner Sketches imitierst
du verschiedene Akzente. Macht das
für dich einen Unterschied, ob ein Migra-Comedian
oder ein Ur-Österreicher
solche Witze macht ?
Ich bin mit diesen Leuten aufgewachsen.
Ich hab das aufgesaugt. Es gibt
Comedians, die ich jetzt nicht namentlich
nennen will, die diesen „Čuxl
Slang“ auf der Bühne machen, und
es klingt einfach nicht gut. Und die
machen das immer und immer wieder.
Ich frage mich da schon, ob die keine
Freunde haben, die denen einfach mal
sagen: „Bro, das klingt scheiße, lass
das einfach.“ Sollen die doch den Wie-
ner Dialekt nachmachen, das ist dann
auch authentischer und lustig.
Du hast ja bei weitem keine einfache
Kindheit gehabt. Du bist mit deiner
Familie aus dem Irak geflüchtet, ihr
wurdet 1999 von Österreich nach Istanbul
abgeschoben. Wieder in Österreich
angekommen, konntest du in der Schule
nicht benotet werden und musstest auf
die Hauptschule wechseln. Und das ist
nur ein Auszug deiner Vergangenheit.
Verarbeitest du das alles auch in deiner
Comedy?
Ja total. Die Bühne ist eine Art Therapie
für mich. Ich verarbeite meine Erlebnisse
auf eine humoristische Art und
Weise und wenn ich Menschen zum
Lachen bringen kann, gibt mir das echt
viel.
Wie steht deine Familie zu deiner Karriere
?
Am Anfang waren sie natürlich nicht
begeistert. Sie kennen das halt nicht,
es gibt vor allem in Wien keine berühmten
Comedians, vor allem keine Auslän-
der. Noch dazu habe ich meinen ersten
Auftritt vor meiner Mutter und meiner
Schwester gehabt und die fanden mich
null witzig. (lacht) Meine Mutter hat mir
Tipps gegeben, was sie anders machen
würde. Aber im Ernst: Meine Familie hat
mich immer sehr unterstützt.
Was wünscht du dir von der österreichischen
Comedy-Szene?
Dass mehr junge Menschen zu Stand-
Up-Shows kommen. Mein Ziel ist ein
Stand-Up-Club in Wien, wo wir jeden
Tag ein volles Programm haben. Aber
ich denke, es braucht einen großen
österreichischen Migranten-Comedian,
der in Deutschland komplett abreißen
wird. Dann werden es die Österreicher
erst checken. Das ist immer so, das
beste Beispiel ist ja RAF Camora. Seine
alten Sachen sind ur gut, aber die
haben niemanden interessiert, und erst
nachdem er nach Deutschland gegangen
ist, wird er auch in Österreich
gefeiert.
/ 3 MINUTEN / 3
3 3 MINUTEN MIT ALADDIN
JAMEEL
Der Migra-Comedian über „Čuxl-Slang“ und
seine scharfen Sketches.
8 IVANAS WELT
Ivana Cucujkić über den Clash im Hörsaal.
14 SCHÜLER:INNENBLOGS
Eldin über Nationalismus als Gift in
Ex-Jugoslawien, Ljubica will wieder zurück
nach Serbien emgrieren.
POLITIKA
16 GUTER FLÜCHTLING,
SCHLECHTER FLÜCHTLING?
Haben Ukrainer:innen es in Österreich besser
als andere Geflüchtete?
22 HERR BOTSCHAFTER, WIE
LANGE DAUERT DER KRIEG
IN DER UKRAINE NOCH?
Biber fragt in Worten, Wassyl Chymynez
antwortet in Zahlen.
24 IM SCHWIMMBAD
MIT WIEDERKEHR
Der Vize-Bürgermeister über Schüler:innen
aus der Ukraine, Schwimmbad-Preise und
Staatsbürgerschaft
26 SCHÜLER:INNENBLOGS
Wörter hinterlassen Wunden, schreibt eine
anonyme Autorin, und Lejla erklärt, warum sie
das Kopftuch trägt.
LIFE&STYLE
27 GOSSIP GIRL MIT DÖNER
Şeyda Gün über Dan Humphrey, Must-Have
Lippenstift und Hamsterbacken
SPECIAL
30 WONDER-WOMAN
Steffi Stanković erzählt, wie sie in Wien endlich
ein Leben als Frau aufbauen konnte.
34 CHEFICA AUF UMWEGEN
Tränen, Wut und Biss: Amra Durić über ihren
steinigen Weg zur Führungsposition.
38 KEINE KINDER, BITTE!
Sie will keine Kinder, und wird deshalb als
Egoistin abgestempelt: Maria Lovrić-Anušić.
22
UKRAINISCHER BOTSCHAFTER
IN ZAHLEN
Wassyl Chymynez hat Null russische
Freunde und schläft 4 Stunden pro Nacht.
16
ZWISCHEN
SOLIDARITÄT
UND NEID
Werden Geflüchtete
aus der Ukraine in
Österreich bevorzugt?
Menschen aus Syrien,
Ex-Jugoslawien und
Afghanistan fühlen
sich ungerecht
behandelt. Aber wie
sieht die faktische
Realität aus?
IN
42 ES KOMMT EH ANDERS,
ALS MAN DENKT
Nihal Shousha über den gesellschaftlichen
Druck und Meilensteine, die man nicht
erreichen muss.
44 „SCHREIB‘ MAL ÜBER DEINE
LEUTE“
Jelena Čolić über den Zwiespalt zwischen
Quote und Fremdbestimmung im Journalismus.
28
HALT JUNI
2022
REVOLUTION
„Wir bestimmen.
Punkt“. Fünf
Frauen über ihre
persönlichen
Empowerment-
Geschichten.
54
DER RETTER
DER GERÄTE
Laptop, Handy,
Tablet: Mazen
El-Aassar
repariert eure
Elektro-Geräte
und gibt Tipps,
wie sie länger am
Leben bleiben.
© Zoe Opratko, Aliaa Abou Khaddour, Markus Korenjak, Cover © Zoe Opratko
KARRIERE&KOHLE
46 KEIN PARA, KEIN
PRAKTIKUM?
Šemsa Salioski gibt Arbeiter:innenkindern
Tipps, wie man auch ohne Geld an
Auslandspraktika kommt.
48 ŠVABO-LEHRER
Er beherrscht die Muttersprachen seiner
Schüler:innen und kennt Balkan-Sänger beim
Namen: Lehrer Alexander Sigmund.
50 DANKE
Ohne unsere Sponsor:innen könnte diese
Ausgabe nicht erscheinen!
TECHNIK
53 SURVIVAL IN DER KRISE
Adam Bezeczky über Notstrom und Solarzellen.
54 DER COMPUTER-DOKTOR
Mazen El-Aassar von Infinitech ist der Mann für
alle technischen Gebrechen.
56 SCHÜLER:INNENBLOGS
Sind Noten wichtiger als die eigene
Gesundheit?, fragt sich Tuba. Tatjana ist am
Balkan die „Švabica“, und hier die Ausländerin.
KULTURA
58 #MENTOO
Nada El-Azar-Chekh über Johnny Depp,
Dschinns und gratis Museumsbesuche.
62 NEHMT EUCH NICHT SO
ERNST
Jad Turjman über Smartphones und dumme
Handys
Liebe LeserInnen,
Essen mit Freund:innen, Tanzen mit Fremden, Einkaufen ohne Maske.
Ach, wie haben wir das „alte“ Leben vermisst. Dazu gehören für die
biber-Redaktion auch die Schulbesuche, bei denen wir zusammen mit
einer Schulklasse über Journalismus, Fake-News, Vorbilder, unfähige
Politiker:innen oder das Kopftuch debattieren. Wie immer handeln wir
nach der Devise: Wir schreiben nicht über Schüler:innen, sondern lassen
sie höchstpersönlich zu Wort kommen. Was daraus entstanden ist, könnt
ihr in den Schüler:innenkommentaren auf den Seiten 14, 26, 52 oder 56
nachlesen.
„
Wie immer handeln wir nach
der Devise: Wir schreiben
nicht über Schüler:innen,
sondern lassen sie höchstpersönlich
zu Wort kommen.
S. “ 10
Nada El-Azar-Chekh und Amar
Rajković
Die fünf Frauen aus unserem großen „Empowerment-Special“ ab S. 28
mussten unüberwindbare Hindernisse meistern, um dort zu stehen, wo
sie jetzt sind. Unabhängig und selbstbestimmt. In unserer Cover-Story
beschreibt Autorin Stefanie Stanković ihren Weg vom braven Sohn aus
dem ultranationalistischen Serbien, bis zu ihrer persönlichen Befreiung
und ihrem neuen Leben als Steffi nach ihrer Ankunft in Österreich. Maria
Lovrić-Anušić hat partout keinen Bock auf Kinder, was vor allem ihre
weibliche Verwandtschaft vor den Kopf stößt. Amra Durić hat sich dem
Druck aus der Familie widersetzt, zog von Tirol nach Wien, und sitzt heute
in der Chefredaktion einer bekannten Tageszeitung. Jelena Čolić möchte
als migrantische Journalistin nicht nur über „ihre Leute“ schreiben. Und
Nihal Shousha macht sich keinen Druck mehr, mit 25 Jahren noch zu
studieren und keine Familie gegründet zu haben.
Der Krieg in der Ukraine geht in den vierten Monat. Ein Ende ist leider
nicht in Sicht. Oder doch? Im Interview in Zahlen mit dem ukrainischen
Botschafter in Österreich, Wassyl Chymynez , schätzt der 52-jährige
Diplomat, dass der Krieg in drei Monaten zu Ende gehen dürfte, wenn
die Ukraine mit ausreichend Waffen beliefert wird. Außerdem benennt
er die Zahl der getöteten russischen Soldaten und sieht sein Heimatland
spätestens 2030 als Mitglied der EU. Ab S. 22.
Während die Vertriebenen aus der Ukraine versuchen, im Ausland Fuß zu
fassen, wächst unter ehemaligen Geflüchteten in Österreich der Unmut.
Wurden sie schlechter als ihre Leidensgenoss:innen aus Kiew, Charkiw
oder Odessa behandelt? Aleksandra Tulej geht diesem Phänomen auf die
Spur und stößt auf erstaunliche Ansichten und verspäteten Frust von
Afghan:innen, Syrer:innen oder Bosnier:innen. Ab S. 16.
Viel Spaß beim Lesen wünscht
Eure biber-Redaktion
© Zoe Opratko
6 / MIT SCHARF /
IMPRESSUM
MEDIENINHABER:
Biber Verlagsgesellschaft mbH, Quartier 21, Museumsplatz 1,
E-1.4, 1070 Wien
HERAUSGEBER
Simon Kravagna
CHEFREDAKTEURIN:
Delna Antia-Tatić (karenziert)
STV. CHEFREDAKTEURE:
Amar Rajković und Aleksandra Tulej
CHEFREPORTERIN:
Aleksandra Tulej
KULTUR:
Nada El-Azar-Chekh
FOTOCHEFIN:
Zoe Opratko
ART DIRECTOR: Dieter Auracher
KOLUMNIST/IN:
Ivana Cucujkić-Panić, Jad Turjman
LEKTORAT: Florian Haderer
REDAKTION & FOTOGRAFIE:
Adam Bezeczky, Nada El-Azar-Chekh, Maria Lovrić- Anušić,
Justyna Pikusa, Šemsa Salioski, Franziska Liehl, Aliaa Abou
Khaddour, Mafalda Rakoš, Markus Korenjak
VERLAGSLEITUNG :
Aida Durić
MARKETING & ABO:
Şeyda Gün
REDAKTIONSHUND:
Casper
BUSINESS DEVELOPMENT:
Andreas Wiesmüller
GESCHÄFTSFÜHRUNG:
Wilfried Wiesinger
KONTAKT: biber Verlagsgesellschaft mbH Quartier 21,
Museumsplatz 1, E-1.4, 1070 Wien
Tel: +43/1/ 9577528 redaktion@dasbiber.at
marketing@dasbiber.at abo@dasbiber.at
WEBSITE: www.dasbiber.at
ÖAK GEPRÜFT laut Bericht über die Jahresprüfung im
2. HJ 2021:
Druckauflage 85.000 Stück
Verbreitete Auflage 80.700 Stück
Die Offenlegung gemäß §25 MedG ist unter www.dasbiber.at/
impressum abrufbar.
DRUCK: Mediaprint
Erklärung zu gendergerechter Sprache:
In welcher Form bei den Texten gegendert wird, entscheiden
die jeweiligen Autoren und Autorinnen selbst: Somit bleibt die
Authentizität der Texte erhalten - wie immer „mit scharf“.
© Arif_Vector/stock.adobe.com
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bis 30. Juni 2022
• Finale Bewerbungsfrist
31. August 2022
Diese Veröffentlichung erfolgte mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union. Die Inhalte liegen in
der alleinigen Verantwortung des WWF und anderer Eat4Change Projektpartner und spiegeln nicht unbedingt
die Ansichten der Europäischen Union wider.
In Ivanas WELT berichtet die biber-Redakteurin
Ivana Cucujkić über ihr daily life.
IVANAS WELT
Foto: Igor Minić
FROM ZERO TO HÖRSAAL
Kinder sind die Zukunft des Landes. Ach, drauf geschissen.
Als Studentin dachte ich, alle Studierenden sind gleich.
Schwänzen die Vorlesung. Verteilen Flyer. Trinken miesen
Tequila auf Unipartys. Da waren die Bundesland-
Studis mit all ihren witzigen Dialekten, eine einzige
Sprachbarriere für mich, und allesamt viel freundlicher
als die grantelnden Wiener. Da waren die Auslandsstudenten
aus aller Welt, die crazy und naiv genug waren,
um Deutsch als Studiensprache zu wählen, und die
dem versifften Audimax so ein bisschen internationales
Flair verliehen. Und da waren die Erstsemester vom
Balkan.
JUGO-STUDENTEN VS. STUDENTEN-JUGO
Frisch inskribiert und im Wohnheim eingecheckt, die
Koffer voller Trainingsanzüge und Replay-Jeans. Eine
Mischung aus Belgrader Rich Kids und vorstädtischen
Stipendiaten, die ganz aufgeregt aber souverän den
Red Carpet des westlichen Studentenlebens beschritten.
Es war die Bildungselite, die da nach Wien zum Studieren
gekommen ist und auf die Nachkommen der
Gastarbeiter:innen traf. Zu denen gehöre ich. Ein Gastarbeiterkind,
das von den Eltern ins Gymnasium mit
dem guten Ruf geschickt wurde, um das Ticket zu eben
dieser Elite einzulösen. Wobei die tolle Schule Zufall
war, sie lag einfach glücklich auf dem Weg zur Arbeit
meines Vaters. So ähnlich zufällig stolpern Migrantenkids
ganz oft die Bildungsleiter hinauf.
MASTER VOR SUV
Die Schule habe ich geschafft. Weil meine Eltern an
mich glaubten. Und weil sie viele tausend Schilling
in die Latein-Nachhilfe gesteckt haben. Meine Lehrer
glaubten nicht an mich: „Eine leichtere Schule wäre
vielleicht eine bessere Option für ihr Kind!“ So ähnlich
stolpern Migrantenkids ganz oft die Bildungsleiter hinunter.
Wie gut, dass der akademische Titel bei Gastarbeitereltern
als Währung für Status den deutschen SUV
langsam aber sicher wegdrängte. Jene aber, deren
einziger Job es gewesen wäre, taten es nicht. Es? An
mich glauben. Vorbild sein. Das brauchen Kinder. Jene,
die nicht grad aus Notars- und Juristenfamilien kommen
umso mehr. Vorbilder, die am Spielrand stehen,
die Pompons schwingen und die kleinen Samiras, Ados
und Steffis bis zur Höchstleistung motivieren, sie motivieren
dranzubleiben.
THIS COULD BE US, BUT EH WURSCHT
Schwierig wird’s, wenn der Coach selber vorher das
Handtuch wirft. Wenn Pädagogen keinen Bock auf
ihre(n) Beruf(ung) haben und mein Vierjähriger im ersten
Kindergartenjahr so drei Erzieherinnen kennenlernen
musste. Ich bin wütend. Gut, wütend ist nicht neu,
das ist mein zweiter Vorname, seitdem ich Kleinkinder
zu betreuen habe. Diese Knochenarbeit aber als berufliche
Tätigkeit auszuüben, würde bei mir wohl, wie
bei den drei Erzieherinnen, nicht die Probezeit schaffen.
Ein Kinderlächeln lässt die Eltern ihre Erschöpfung
nicht vergessen, macht bei Pädagoginnen die üble
Bezahlung und mangelnde Wertschätzung nicht wett.
Wenn eine gute wie kontinuierliche Förderumgebung
schon im Kindergarten scheitert, schaut’s schlecht
aus für Österreichs Elite. Deswegen nimmt das Mutti
selbst in die Hand. Ich werde verdammt nochmal dafür
sorgen, dass meine Kinder eines Tages die Vorlesung
schwänzen, Flyer verteilen und miesen Tequila trinken.
Weil sie auf die Uni gehen werden. ●
cucujkic@dasbiber.at, Instagram: @ivanaswelt
8 / MIT SCHARF /
Warum ist Eiweiß für
Menschen mit chronischen
Wunden so wichtig
Die Antwort gibt das Pflegestudium
Bachelor of Science in Health Studies
an der FH Campus Wien.
#WissenSchafftPflege
Jetzt informieren auf fh-campuswien.ac.at
AS UNS
von Justyna Pikusa
10 KLIMA-FAKTEN
ZUM MERKEN
1 In den letzten 50 Jahren stieg die Zahl der
Extremwetter-Katastrophen um das 5-fache.
2 Die Pasterze, der größte Gletscher Österreichs,
könnte bis 2050 völlig verschwinden.
3 Wenn alle Polkappen und Gletscher dieser
Welt schmelzen, würde der Meeresspiegel um
bis zu 66 Meter steigen. Dadurch würden
die Niederlande, Dänemark und große Teile
Norddeutschlands in der Nordsee versinken.
4 Der Anstieg der durchschnittlichen Temperatur
gegenüber der vorindustriellen Zeit beträgt
bereits etwa 1,1 Grad Celsius (manche
Quellen sprechen von 1,2 °C).
5 2050 könnte die durchschnittliche Temperatur
um 3 Grad Celsius höher sein als in der
vorindustriellen Zeit.
6 Wenn die durchschnittliche Temperatur um 3
Grad Celsius ansteigt …
→ steigt der Meeresspiegel um 50 cm.
→ wird mehr als die Hälfte der globalen
Bevölkerung 20 Tage pro Jahr tödlicher
Hitze ausgesetzt sein.
→ wird über eine Milliarde Menschen
aus tropischen Gebieten ihre Heimat verlassen
müssen.
→
wird 10% der Fläche von Bangladesch unter
Wasser stehen.
7 In Österreich gibt es 85.847 rein elektrisch
betriebene Pkws (Stand April 2022).
8 Elektrogeräten eine zweite Chance zu geben ist
umweltfreundlich: Das Klimaschutzministerium
übernimmt 50% deiner Reparaturkosten von
elektronischen und elektrischen Geräten (Mehr
Info: www.bmk.gv.at)
9 Jede/r vierte/r WienerIn (über
15) fühlt sich während einer Hitzeperiode
körperlich stark belastet.
10 Knapp 20% der Wiener:innen (über 15) sind
täglich mit dem Auto unterwegs.
SAG’S MULTI – IN 39 SPRACHEN!
Die Teilnehmer:innen des Sprachwettbewerbs wechseln
mehrmals zwischen Deutsch und einer weiteren Sprache.
Oft handelt es sich dabei um die Muttersprache wie
Somali, Arabisch, Bisayan oder Türkisch. In Wien spricht
jede:r Jugendliche eine zweite Sprache neben Deutsch
und genau diese Talente bekommen bei Sag‘s Multi eine
Bühne.
Die Themen dabei sind genauso bunt wie die
Redner:innen: Identität, Frauenrechte, Demokratie,
BiPoc, Rassismus, Klima, Bodypositivity oder Mobbing
werden von den Jugendlichen aus ihrer Perspektive
beschrieben und einer Jury präsentiert.
„Wir zeigen mit ‚SAG’S MULTI!‘, dass jede Sprache
gleich viel wert ist, und, dass keine Sprache besser, oder
schlechter ist“, so Eser Akbaba, die für den ORF durch
den Wettbewerb führt. Ein großer Teil der Redner:innen
stammt aus Familien mit Zuwanderungsgeschichte, über
80 Prozent sind Mädchen.
Der Österreich-Abschluss findet am 26. Juni im Wiener
Rathaus statt. In der ORF TV-Thek sind die Reden
der Finalrunde nachzusehen. Infos: sagsmulti.orf.at
© Klaus Titzer
10 / MIT SCHARF /
BEWEGT
WEBDESIGN, PROGRAMMIE-
RUNG UND KYLIE JENNER:
WEIBLICHE VORBILDER DER
IT-BRANCHE
BIBER: Ihr hebt hervor, dass es sich um eine von Frauen
geführte Agentur handelt. Warum ist das in eurer Branche
wichtig?
REBECCA BALOGH: Frauen scheinen in der Hierarchie
immer weiter unten stehen zu müssen. Die meisten an
unserer Uni waren weiblich. Ich könnte heute aber trotzdem
einfach zehn bekannte Agenturen nennen, die von
Männern gegründet wurden und nicht einmal fünf, die
von Frauen gegründet wurden. Frauen müssen in unserer
Branche endlich sichtbarer werden! Ich selbst hätte gerne
mehr weibliche Vorbilder gehabt. Das versuchen wir jetzt
für andere zu sein.
REBECCA RUSSELL: Die IT-Branche ist grundsätzlich
leider noch immer als männerdominiert bekannt. Design
alleine deutlich weniger, aber, wie Rebecca schon gesagt
hat, sobald man sich Agenturleitungen oder Gäst*innen
bei Talks oder Konferenzen anschaut, kommen trotzdem
größtenteils Männer zu Wort.
Gab es Momente, in denen ihr euch als Frauen direkt
diskriminiert gefühlt habt?
REBECCA RUSSELL: Ja. Uns ist Transparenz extrem
wichtig. Konkret gab es Fälle, wo unsere Ehrlichkeit über
kleinere Unsicherheiten direkt als typisch „weibliche
Schwäche in der Businesswelt“ interpretiert wurde. Der
Umgangston wurde automatisch so herablassend, was bei
uns überhaupt keinen Platz hat. Uns ist Respekt extrem
wichtig. Wenn wir merken, dass wir nicht ernst genommen
werden, hat es sich für uns erledigt.
REBECCA BALOGH: Genau, uns wurde da einfach die
Expertise abgesprochen, obwohl wir nur wie immer
einfach das Beste für das Projekt wollten. Man hat an der
Wortwahl so richtig gemerkt, dass sie sich das nur getraut
haben, weil wir zwei jung und vor allem weiblich sind.
Die 28-jährige Rebecca Russell und die 29-jährige
Rebecca Balogh sind die Gründerinnen der Wiener
Design- und Webdevelopment-Agentur „Same
Same Studio“. Die beiden wurden letztens von Kylie
Jenners Team damit beauftragt, die Webseite für die
neue „Swimwear Collection“ zu erstellen. Aber sie
wollen nicht nur dafür bekannt sein: über Frauen in
der IT-Branche, Respekt und ihre Zukunftspläne.
Von Šemsa Salioski, Foto: Mafalda Rakoš
Was würdet ihr jungen Frauen raten, die sich für Design
und Webdevelopment interessieren?
REBECCA RUSSELL: Ein bisschen mehr abschauen, was
andere machen. Natürlich nicht einfach alles kopieren,
aber sich ruhig öfter inspirieren lassen. Research ist
extrem wichtig, ob im Internet oder in Magazinen im Café.
Ruhig auch in andere Länder schauen. Die skandinavischen
Länder, Schweiz oder Japan sind da super.
REBECCA BALOGH: Außerdem: Es ist von Vorteil einen
Plan zu haben, bevor man etwas anfängt. Das spart
Energie und Geld. Wenn der Fokus zu zerstreut ist, kommt
man nur langsam voran. Jeder muss sein Big-picture
kennen.
/ MIT SCHARF / 11
BEWIRB
DICH JETZT!
Kontaktiere uns
auf Instagram.
Einfach QR-Code
mit deiner Smartphone-Kamera
abfotografieren!
Die SUMMER SCHOOL –
Journalismus-Skills mit Aussicht
Du gehst noch zur Schule und möchtest in den Sommerferien in den
Journalismus hineinschnuppern? Du willst lernen, wie man in einer Redaktion
arbeitet, schreibt, recherchiert und Social-Media-Content erstellt?
Dann bist du bei unserer multimedialen Summer School richtig!
DAS PROGRAMM DER JOURNALISMUS
SUMMER-SCHOOL VON BIBER UND DER
CHEFREDAKTION
In der multimedialen Summer School lernst du
Journalismus-Skills von der schärfsten und der
jüngsten Redaktion des Landes.
In kleinen Klassen erfährst du, wie du deine Storyidee
in einer Redaktionssitzung pitchst, welche
Headline wie viele Klicks bringt und was guten Content
für Social-Media ausmacht. Du wirst recherchieren,
schreiben, diskutieren, Videos drehen und
in den Journalismus hineinschnuppern.
LEITUNG DER JOURNALISMUS
SUMMER-SCHOOL
Aleksandra Tulej, Nada El-Azar-Chekh (biber)
Melisa Erkurt (die_Chefredaktion)
DIE TERMINE DER JOURNALISMUS
SUMMER-SCHOOL
Die Summer-School findet in Blöcken im Juli 2022
in unserer Redaktion in Wien statt. Jede Woche
startet und endet eine Klasse. Du hast also drei Terminblöcke
zur Auswahl, wann es eben für dich
passt!
Die Unterrichtszeit ist von Montag bis Freitag
TERMINBLÖCKE
ZUR AUSWAHL:
04.–08. Juli 2022
11.–15. Juli 2022
18.–22. Juli 2022
jeweils vormittags,
von 10 bis
13 Uhr.
DIE KOSTEN UND VORAUSSETZUNGEN
DER JOURNALISMUS SUMMER SCHOOL
Die Summer School kostet nichts. Das Angebot gilt
für Schüler:innen ab 13 Jahren (Einverständniserklärung
der Eltern notwendig) bis inkl. 19 Jahren.
Du brauchst keine Voraussetzungen zu erfüllen.
Hauptsache, du bist engagiert dabei.
DEIN ZERTIFIKAT VON DER
JOURNALISMUS SUMMER-SCHOOL
Uns ist natürlich klar: Nur zum Spaß stehst du in
den Ferien nicht vor Mittag auf. Daher erhältst du in
der Summer-School nicht nur Journalismus-Skills,
sondern wirst am Ende etwas für deine Bewerbungsmappe
zum Vorzeigen haben: Ob Text, Video
oder Instagram-Content. Last but not least: Für eine
erfolgreiche Teilnahme gibt es ein Zertifikat.
RÄUMLICHKEITEN BEI DER
JOURNALISMUS SUMMER-SCHOOL
Die Summer-School findet in der biber-Redaktion im
Museumsquartier in Wien (Museumsplatz 1, 1070
Wien) statt. Wer keinen Laptop mitbringen kann,
dem stellen wir gerne einen Computer zur Verfügung.
ANMELDUNG FÜR DIE
JOURNALISMUS SUMMER-SCHOOL
Lust bekommen? Dann jetzt mit Wunschtermin
bei Programmkoordinatorin Hannah Jutz anmelden:
jutz@diechefredaktion.at
WIR FREUEN UNS AUF DICH!
© Zoe Opratko
MEINUNG
JUGO-DIASPORA, WERDET
ENDLICH ERWACHSEN!
Nationalismus. Das Gift, das Jugoslawien langsam aber
sicher von innen heraus zersetzt hat. Oft hörte ich meinen
Opa dieses Land lobpreisen. In seinen nostalgischen
Monologen sagte er, dass wir heute das zweite Deutschland
wären, wenn Josip Broz Tito noch leben würde. Jeder
hatte Arbeit, es gab keine Kriminalität und niemand musste
Hunger leiden. Aber wie kam es dazu, dass Menschen, die
gerade noch alle im „Paradies“ Nachbarn waren, sich plötzlich
so unaussprechbar grausame Dinge antun konnten?
Um das Ende der SFR Jugoslawien zu verstehen, muss
man ihre Entstehung unter die Lupe nehmen. Während
des Zweiten Weltkriegs hatten sich die Bewohner ALLER
Volksgruppen zusammengeschlossen, um die Nazis zu
vertreiben. Unter dem Motto „Brüderlichkeit und Einheit“
bauten sie ihr zerschundenes Land wieder auf. Für 35 Jahre
funktionierte dieses multiethnische „Projekt“ ganz gut,
doch dann passierte das, wovor sich alle gefürchtet hatten:
Am 5. Mai 1980 verstarb Tito. Einst hörte ich einen Mann
sagen, dass Tito um 15.05 Uhr starb, und dass wir schon
um 15.10 Uhr knietief im Dreck steckten.
Zwar sind die Jugoslawienkriege seit 23 Jahren vorbei,
doch unter der dortigen Bevölkerung herrschen immer
noch Argwohn, Hass und Misstrauen den „Anderen“
gegenüber. In der Politik regieren immer noch die gleichen
korrupten Parteien, die damals den Krieg vom Zaun
gebrochen hatten. Sie treiben die Spaltung voran, nicht
die Versöhnung. Das Einzige, was sie tatsächlich geschafft
haben, ist es, einen Exodus junger Leute aus der Region
heraufzubeschwören. Dabei wäre die einzige Hoffnung die
Jugend, die bleibt und die Dinge anders macht - doch auch
an sie ist dieser Hass weitergegeben worden.
Ich frage mich, warum wir uns in der Diaspora alle so gut
verstehen, während uns in der Heimat ganze Welten zu
trennen scheinen. Wir suchen nach Unterschieden, wo
keine sind, und ignorieren Gemeinsamkeiten, die mehr als
offensichtlich sind. So unterschiedlich, wie wir uns alle gerne
darstellen, sind wir nämlich gar nicht und wir täten gut
daran, das endlich zu erkennen und zu akzeptieren.
Eldin Salihović, 18, 1AL, BHAK und BHAS Wien 10
BABA WIEN,
ZDRAVO SRBIJA
Heimweh ist der Grund, weshalb ich Wien, meinen
Geburtsort, verlassen möchte und nach Serbien emigrieren
möchte. Der Gedanke lässt mich und meine Familie
seit Jahren nicht mehr los. Nun stellen sich viele die
Frage: „Wie kommst du zu diesem Entschluss? Menschen
wandern aus, um in einem sicheren Land wie Österreich
zu leben und du?“ Meine Antwort auf diese Frage ist ein
herzhaftes Lachen.
Der Großteil meiner Familie und Freunde lebt in Serbien,
das ist ein großer Punkt, der mich zu meinem Entschluss
geführt hat. Den Kontakt zu ihnen halte ich seit Ewigkeiten
über Social Media aufrecht und es fühlt sich so an, als
würden wir jeden Tag über Chat miteinander verbringen. In
Wien fiel es mir schon immer schwerer, Freunde zu finden,
denn viele schreckliche Erfahrungen haben mich geprägt.
Ich fühle ich mich wie in einem großen Käfig, der eine gute
Ausbildung und Geld bietet, jedoch kein Glück ersetzen
kann. Eine Wohnung zu einem angemessenen Preis zu
finden, ist fast unmöglich, so auch einen sicheren Job.
Serbien ist ein für viele verborgener Schatz, der unzählige
Türen öffnet, wenn man zielstrebig ist und an das Potenzial
dieses Landes glaubt.
Mein Glück möchte ich selbst in die Hand nehmen. Seitdem
ich klein bin, weiß ich, dass ich in das Geburtsland
meiner Eltern zurückkehren möchte. Meine Idee ist es, die
Erfahrungen und Erkenntnisse, die ich in Wien gesammelt
habe, auf Serbien zu übertragen und etwas Sinnvolles zu
tun. Meine Heimat liegt mir sehr am Herzen und jedes Mal,
wenn ich die Grenze überquere, verspüre ich ein Glücksgefühl,
da ich mich hier wirklich frei fühle. Alle in Serbien
verbrachten Ferien haben mir von Mal zu Mal bewiesen,
dass ich mich dort geborgen, glücklich und vor allem zu
Hause fühle. Meine Heimat.
Nur weil unsere Eltern hergekommen sind, damit es uns
besser geht, heißt es nicht, dass wir hierbleiben müssen.
Es wird immer an uns liegen, ob wir aus den vielen
Bausteinen, die uns unsere Eltern mitgegeben haben, eine
Mauer oder Brücken bauen. Wir probieren es!
Ljubica Milanović, 17, 1AL, BHAK und BHAS Wien 10
© Zoe Opratko
14 / MIT SCHARF /
WOBEI
HILFT DIE AK ?
Wir von der Arbeiterkammer sind für Sie
da, wenn es Probleme im Job oder im
Alltag gibt. Wir helfen Ihnen, damit Sie
zu Ihren Rechten kommen.
Arbeitsrecht
Konsumentenschutz
Mutterschutz
Wohnen
Ausbildung
Lohn und
Gehalt
Pension
Pflege
Steuer und
Geld
Arbeitspapiere
Verträge
WIEN.ARBEITERKAMMER.AT
„Sind wir für Österreich
weniger wert?“
16 / POLITIKA /
Ukraine-Flaggen in ganz Wien, gratis Öffis, Erleichterungen am
Arbeitsmarkt und beim Aufenthaltsrecht. Während Ukrainer:innen in
Österreich einen neuen Wind der Willkommenskultur spüren, fragen
sich „schon da gewesene“ Geflüchtete aus Syrien, Bosnien und Afghanistan:
Sind wir für Österreich weniger wert?
Von Aleksandra Tulej, Illustrationen: Aliaa Abou Khaddour
Ich schäme mich ein bisschen, das zu sagen. Aber ich
habe keine Motivation mehr, den Ukrainer:innen hier
zu helfen“, erzählt die Syrerin Haya * und beißt sich auf
die Unterlippe. „Bei den Syrern damals habe ich alles
gemacht, wo ich nur helfen konnte – gedolmetscht, koordiniert
und überall versucht, sie zu unterstützen,“ setzt sie
energisch fort, „aber bei den Ukrainern denke ich mir: Der
österreichische Staat tut eh schon genug. Ich weiß, dass
die Menschen nichts dafürkönnen. Es ist schrecklich, dass
sie fliehen müssen. Ich weiß ja, wie das ist. Aber ich tue
mir immer schwieriger, mit ihnen Mitleid zu haben.“ Haya
betont zwar, dass sie versuche, sich für die Ukrainer:innen zu
freuen. Sie fragt sich aber, warum die Erleichterungen beim
Integrationsprozess von Ukrainer:innen so schnell durchgegangen
sind, und warum sie und viele andere so lange
darauf warten mussten.
„Ich durfte hier lange
nicht arbeiten. Ich habe
schwarz als Babysitterin
gearbeitet, ehrenamtlich
gedolmetscht, alles.“
GUTER FLÜCHTLING, SCHLECHTER
FLÜCHTLING?
Wie Haya geht es unzähligen Migrant:innen, die in erster
Generation in Österreich leben, die in ihrer Heimat ein
Studium oder eine Ausbildung abgeschlossen und auf eine
sichere Zukunft hingearbeitet haben. Dann kam der Krieg
und mit ihm die Flucht. Oft dauerte es Jahre, bis es mit
dem Aufenthalt, mit der Arbeitserlaubnis und Nostrifizierung
(Anerkennung des Studienabschlusses) klappte – wenn überhaupt.
Menschen, die jetzt aus der Ukraine nach Österreich
geflohen sind, sollen es leichter haben.
Die „guter Flüchtling, schlechter Flüchtling“-Debatte ist
seit der Fluchtbewegung aus der Ukraine in Österreich Dauerthema.
Vor allem Geflüchtete, die seit Jahren in Österreich
leben, begrüßen die neuen Maßnahmen zwar, sehen sich
aber im Vergleich ungerecht behandelt – nicht nur, was die
rechtliche Situation anbelangt, sondern auch bezüglich der
Solidarität mit der Ukraine.
Doch wie sieht die rechtliche
Situation nun aus? Haben
Ukrainer:innen es wirklich so viel
leichter? Wie läuft das in der Praxis?
Konkret will die türkis-grüne
Regierung die Regeln für den
Arbeitsmarktzugang lockern und
Bürokratie abbauen, um qualifiziertem
Personal einen schnelleren
Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen zu können. Das
betrifft u. a. auch die „Blaue Karte“ (s. Infobox) und andere
Lockerungen, durch die Ukrainer:innen die Integration am
Arbeitsmarkt leichter gemacht werden soll. Auch was die
Aufenthaltsbewilligung anbelangt, gibt es Unterschiede.
Ukrainer:innen bekommen bei ihrer Ankunft den Ausweis
für Vertriebene. Bei anderen Staaten, wie beispielsweise
Syrien, gibt es beim Ayslantrag eine individuelle Prüfung
des Antrags. Die gibt es für Ukrainer:innen nicht. Hier gelten
unterschiedliche Rechtsgrundlagen (s. Infobox). „Ich glaube
schon, dass in vielen Bereichen eine Integration am Arbeitsmarkt
einfacher sein wird", sagt Arbeitsminister Martin
Kocher zu den Vorwürfen, dass Ukrainer:innen im Vergleich
zu anderen Geflüchteten besser behandelt werden. Das
liege laut Kocher auch daran, dass Englisch in der Ukraine
weiter verbreitet sei, und auch Abschlüsse leichter anerkannt
werden könnten, so der Arbeitsminister in einem Interview
mit PULS24.
„HIER IST ALLES SO BÜROKRATISCH,
DANN STUDIERE ICH HALT NICHT“
Haya ist 30 und in der syrischen Hauptstadt Damaskus geboren.
Nach ihrer Matura im Jahr 2008 hat sie den Bachelor an
der Universität in Damaskus gemacht. „Irgendwann wurde
der Weg zur Uni zerbombt, spätestens da konnte ich nicht
mehr zu den Vorlesungen“, erzählt sie. 2016 kam Haya nach
Österreich. „Ich durfte hier lange nicht arbeiten. Ich habe
schwarz als Babysitterin gearbeitet, ehrenamtlich gedolmetscht,
alles.“ Um hier den Master machen zu können, hat
Haya noch ein Dokument über den Nachweis ihres Bachelorstudiums
gefehlt – sie hat es bei der Flucht zurückgelassen
und hatte bis heute keine Möglichkeit, es zu holen. „Ich hatte
den ISIC-Ausweis (Anm.: International Student Identity Card).
Aber immer hat noch etwas gefehlt, es gab keine klaren
Regelungen“, sagt Haya frustriert.
„Ich wollte unbedingt weiterstudieren
und arbeiten. Am Anfang
war ich sehr motiviert, aber dann
dachte ich mir irgendwann: Hier
ist alles so bürokratisch, dann
studiere ich halt nicht.“ Unzählige
Stunden hat Haya damit verbracht,
Dokumente nachzureichen, von
Behörde zu Behörde zu laufen. Bis
/ POLITIKA / 17
18 / POLITIKA /
sie irgendwann nicht mehr konnte.
Heute arbeitet sie als freiberufliche
Fotografin und wartet auf ihre
österreichische Staatsbürgerschaft.
Haya ist wütend und genervt von
der europäischen Doppelmoral, was
Geflüchtete angeht. Sie sieht eine
klare Bevorzugung ukrainischer
Geflüchteter, nicht nur, was den
Arbeitsmarkt angeht. „Überall diese
Ukraine-Flaggen, überall Solidarität.
Sie sind hier klar willkommen.
Bei uns war das damals ganz was
anders“, erinnert sie sich an 2016
zurück. „Krieg ist Krieg. Aber ich
denke mir echt langsam schon: Ist
mein Leben für Österreich weniger
wert? Warum war es für uns so viel
schwieriger, hier anzukommen?“,
fragt sie wütend.
„DIE KONKURRENZ-
SITUATION IST
VERSTÄNDLICH“
Dieser Tenor ist laut Migrationsforscherin
und Kulturwissenschaftlerin
Judith Kohlenberger kein
neues Phänomen. „Das konnte
man schon 2015 beobachten, als
Geflüchtete aus dem Kosovo oder
Tschetschenien meinten: Bei den
Syrern klatschen alle, die sind hier
willkommen, bei uns war das damals aber nicht so.“
Es ist für Kohlenberger nicht verwunderlich, dass eine
Konkurrenzsituation entsteht, wenn die jeweils neue Generation
der Geflüchteten mehr Möglichkeiten und Rechte hat.
„Der zentrale Unterschied jetzt im Vergleich zu 2015 ist
sicherlich der politische Diskurs. Man ist auf EU-Ebene und
auf nationaler Ebene geeinter. Damals wurde die EU-Massenzustromrichtlinie
(s. Infobox) nicht aktiviert. Jetzt schon.
Der Grundkonsens, dass Hilfe angeboten werden muss, ist
da.“ Allerdings betont Kohlenberger auch, dass es in der
Praxis auch für Ukrainer:innen schwieriger aussieht, als es
scheinen mag. Was den Arbeitsmarkt angeht, scheitere es
oft an der Beschäftigungsbewilligung. „Es ist nicht so, dass
die einen jetzt alles bekommen, und die anderen gar nichts.
So rosig ist es auch für Ukrainer:innen nicht.“ Trotzdem würde
Kohlenberger sich wünschen, dass die Erleichterungen
auch für andere Gruppen gelten könnten. „Dass ein Standard
geschaffen wird, der nicht mehr unterschritten werden
kann.“
PUTZEN MIT DIPLOM IN DER TASCHE
„Es interessiert mich nicht, dass bei euch Krieg ist, in drei
Monaten musst du wieder zurück! Das ist nicht unser Problem.“
An diese Worte eines Beamten der Wiener Fremdenpolizei,
die 1992 gefallen sind, erinnert sich die heute
© Elodie Grethen
Judith Kohlenberger
„Es ist nicht so, dass die einen
jetzt alles bekommen, und die
anderen gar nichts. So rosig ist es
auch für Ukrainer:innen nicht.“
67-jährige Goca noch allzu gut.
„Natürlich wollte ich wieder zurück
nach Bosnien. Wir alle wollten
zurück. Aber es gab nichts, zu dem
ich hätte zurückkehren können“,
sagt sie ernst. Goca war in einer
Situation, in der sich jetzt unzählige
Ukrainer:innen wiederfinden. Vom
Krieg vertrieben, die Heimat zerstört,
das bisherige Leben aufgegeben,
und jetzt vor einem Neuanfang
in Österreich.
Aus drei Monaten wurden bei
Goca über dreißig Jahre. Sie ist
1955 in Bosnien geboren. Sie hat
nach der Matura in Mostar Wirtschaft
studiert. „In Mindestzeit, ich
hatte auch immer sehr gute Noten.
Ich wusste, dass das wichtig ist,
wenn ich mir eine Zukunft aufbauen
will“, fügt sie hinzu. Nach
ihrem Studium arbeitete Goca in
einem Statistik-Institut in Mostar.
1991 brach dann der Krieg aus –
Goca floh 1992 nach Österreich,
ihr Ehemann blieb in Bosnien. In
Österreich angekommen, musste
Goca Geld verdienen, um sich und
ihre Söhne zu erhalten. „Ich musste
an Geld kommen, egal wie.
Ich war mir für nichts zu schade,
das Wichtigste war, dass wir hier
überleben. Alles andere konnte warten. Ich machte mir keine
Illusionen. Ich wusste, dass ohne Deutsch nichts geht.“ Aber
Geld für einen Deutschkurs hatte Goca anfangs nicht. „Also
bin ich Putzen gegangen – natürlich schwarz.“ Trotz Diplom
in der Tasche.
SURVIVAL-MODUS
Goca erinnert sich an ihre Anfangszeit in Österreich, als sie
eines Abends im Jahr 1992 vor dem Fernseher saß und
„Wetten, dass…?“ lief. In der Sendung wurde eine Spendenaktion
für Geflüchtete aus dem Jugoslawienkrieg gestartet.
Goca war eine von ihnen. „Das war schön zu sehen“, sagt
sie nachdenklich. Aber dieses Erlebnis ist auch das Einzige,
das ihr positiv in Erinnerung geblieben ist, was die Willkommenskultur
in Österreich anbelangt. Im Alltag war es um
einiges härter.
Ihr Diplom hätte sie zwar nostrifizieren lassen können,
das wäre allerdings mit unglaublich viel Bürokratie, Geld und
Zeit verbunden gewesen. Vor allem Letzteres fehlte ihr – sie
war alleine mit zwei kleinen Kindern in Wien angekommen
und hat im Survival-Modus versucht, hier ein neues Leben
aufzubauen. In ihrer Heimat war Krieg, sie wartete jeden Tag
auf Informationen, ob alle aus der Familie noch am Leben
waren, gleichzeitig stemmte sie den Haushalt, erzog ihre
Kinder und ging arbeiten. Abends besuchte sie Fortbildungen
/ POLITIKA / 19
und Deutschkurse, tat alles, damit ihre Kinder es hier gut
haben. Goca erzählt in einem Schwall, ihr Kaffee am Tisch
ist längst kalt. „Egal, das ist eine Art Therapie für mich, dass
ich all das endlich erzählen kann“, winkt sie ab und schlürft
die kalte Brühe. „Versteh mich nicht falsch. Ich war und bin
immer noch sehr dankbar, dass ich in Österreich leben und
arbeiten durfte“, sagt sie demütig. Sie war eingeschüchtert
und verunsichert, wollte keine Ansprüche stellen. Und so
ging sie jahrelang weiterhin putzen.
„DU NIX DEUTSCH“
Sie erzählt von dem schroffen Umgang der österreichischen
Beamt:innen ihr gegenüber. „Wenn ich die Menschen beim
Finanzamt bat, langsamer zu sprechen, sind sie ausgezuckt.
Sie haben mich immer wieder so behandelt, als wäre ich
weniger Wert, nur weil ich nicht so gut Deutsch konnte.
Dabei wusste ich – ohne jemanden niederzumachen bitte
– dass ich viel gebildeter bin als mein Gegenüber.“ Goca
erinnert sich an viele Stunden bei Ämtern, Verzweiflung und
heimlich vergossene Tränen. „Das waren andere Zeiten, es
gab kein Internet. Alles ging viel langsamer“, erzählt sie.
Irgendwann klappte es aber mit dem dauerhaften Aufenthalt.
Nach jahrelangem Hin und Her konnte Goca auch ihre Dokumente
nachreichen und bekam 2002 ihr Studium nostrifiziert.
2008 trat sie eine Stelle in einer Steuerberatungskanzlei an.
„Damals dachte ich zum ersten Mal: Da gehöre ich hin, hier
bin ich richtig. Mathe und Zahlen, da fühle ich mich wohl“,
strahlt sie. Dort blieb sie auch bis zu ihrer Pension. Heute
lebt sie mit ihrem Mann in Wien und genießt die Zeit mit
ihrem Enkel – das bereitet ihr die größte Freude. „Nochmal
- ich bin dankbar für alles, dankbar für Österreich. Nur der
Weg war echt schwer. Vielleicht hatte ich einfach nur Pech
im Leben, aber ich wünschte, dass ich nicht so viele Tränen
hätte vergießen müssen.“
Als Anfang Februar der Krieg in der Ukraine ausbrach,
kamen bei Goca Erinnerungen und Ängste hoch, die sie
WELCHE NEUEN REGELUNGEN GIBT ES NOCH?
QUALIFIKATIONEN:
Speziell für Vertriebene aus der Ukraine
wurde kürzlich beschlossen, dass
sie in Österreich eine so genannte
„Blaue Karte“ erhalten. Die Blaue Karte
ermöglicht nicht nur einen Zugang zu
Arbeitsmarkt und Krankenversicherung,
sondern ist auch ein Identitätsdokument.
Zuständig für die Aufenthaltskarte
ist das Bundesamt für Fremdenwesen
und Asyl. Österreichweit wurden
laut BMI stand Ende Mai 71.850
ukrainische Geflüchtete erfasst und
62.000 Vertriebenenausweise ausgestellt,
davon 59.904 verschickt.
Die Beschäftigungsbewilligungen
für Ukrainer:innen werden vom AMS
innerhalb weniger Tage ausgestellt.
Ukrainische Geflüchtete können also
von Anfang an mehr Geld in Österreich
verdienen, als Menschen aus anderen
Drittstaaten, die oft sehr lange auf ihre
Genehmigungen warten.
Auch was die universitäre Laufbahn
angeht, gibt es Erleichterungen:
So erlässt die Universität Wien
Studierenden aus der Ukraine die
Studiengebühren und hat ein eigenes
Stipendium für sie ausgeschrieben.
Was die Anerkennung von Studienabschlüssen
betrifft, gibt es laut
der Universität Wien keine Sonderregelung.
Für die Nostrifikation, also
Anerkennung ausländischer Uni-
Abschlüsse, ist das Bildungsministerium
verantwortlich. Die Nostrifizierung
muss man beantragen, wenn man
außerhalb der EU bzw. des Europäischen
Wirtschaftsraums studiert hat.
In der Praxis gestaltet sich dies aber
schwierig.
AUFENTHALT:
Für vertriebene Ukrainer:innen gilt
die EU-Massenzustromrichtline. Diese
Richtlinie ist für den Fall einer Massenzuflucht
von Staatsangehörigen aus
Drittländern und Staatenlosen in die
EU gedacht, die aus Gebieten vertrieben
wurden, in denen „ein bewaffneter
Konflikt oder dauernde Gewalt
herrscht“ oder die „ernsthaft von
systematischen oder weit verbreiteten
Menschenrechtsverletzungen bedroht
waren oder Opfer solcher geworden
sind“ – und die deshalb nicht sicher
und dauerhaft zurückkehren können.
Sie werden nicht als „Flüchtlinge“,
sondern als „Vertriebene“ begriffen
und brauchen für eine maximal drei
Jahre dauernde vorübergehende
Aufnahme nur ihre Identität nachweisen
oder diese glaubhaft machen; das
vereinfacht das Verfahren.
WIE IST DAS MIT DEN
UNI-ABSCHLÜSSEN?
In Österreich sind Universitäten,
Fachhochschulen und Pädagogische
Hochschulen für die Anerkennung
ausländischer Studienabschlüsse
zuständig. Für die Ukraine gibt es derzeit
lt. Universität Wien keine Ausnahmeregelungen.
Achtung: Für eine Tätigkeit in der
Privatwirtschaft wird keine Nostrifizierung
benötigt, da hier nur der/die
potenzielle Arbeitgeber:in beurteilt,
ob durch das im Ausland absolvierte
Studium auch entsprechende Qualifikationen
erworben worden sind.
Da kommt es nämlich häufig
zu Missverständnissen sowohl
auf Antragsteller:innen - als auf
Arbeitgeber:innen- Seite, die meinen,
eine Nostrifizierung sei in jedem Fall
zwingend notwendig. Dies ist nur
notwendig, wenn ein österreichischer
Abschluss (oder ein in Österreich
nostrifizierter Abschluss; für EU/
EWR Bürger:innen gibt es im Recht
Ausnahmen) Voraussetzung für eine
Berufsausübung in Österreich ist - das
ist z. B. bei Apotheker:innen oder bei
Lehrer:innen der Fall.
20 / POLITIKA /
dreißig Jahre lang verdrängt hatte.
Sie freut sich, wenn sie sieht, dass
Ukrainer:innen es in Österreich
am Arbeitsmarkt einfacher haben
sollen – denkt aber auch, dass die
österreichische Politik heuchlerisch
ist, damit zu argumentieren, dass
„diese Leute ja eh wieder zurückgehen
werden.“ Auch OECD-Migrationsexperte
Thomas Liebig äußerste
sich Anfang Mai so dazu: „Bei den
Syrern war klar: Wer einen Aufenthaltstitel
bekommt, wird bleiben.
Aktuell wollen die Geflüchteten
zurück in die Ukraine. Dort wiederum
hoffe man auf deren Rückkehr
und auf den Wiederaufbau.“ Goca
zuckt mit den Schultern und fragt:
„Wohin? Wohin zurück?“
VOM JURISTEN ZUM
BADEMEISTER
Ein „Zurück“ gab es auch für ihn
nicht. Der 62-Jährige Mir Abdul
Samed Farid hat in Afghanistan
an der Universität in Kabul Jus
studiert. Dort hatte er ein „sehr
gutes und schönes Leben“, wie
er sagt. Er war Anwalt, hat gutes
Geld verdient und ihm stand
eine glückliche Zukunft bevor. Bis der Krieg ausbrach. 2001
flüchtete er nach Österreich. Es gab Schwierigkeiten mit
der Aufenthaltsgenehmigung, nach einem Jahr hat er sie
dann bekommen. Er musste jegliche Dokumente vorweisen
– über seinen Studienabschluss, über seinen vorherigen
Arbeitsplatz. Er hatte alles da, nur sein Diplom wurde hier
nie anerkannt. Er musste aber Geld verdienen, um seine
Familie hier zu erhalten. Deshalb begann er, in einer Küche
als Abwäscher zu arbeiten. Dort blieb er jahrelang, heute
arbeitet er als Bademeister in Wien. Mir Abdul Samed Farid
sieht die Willkommenskultur und die gesetzlichen Vorteile,
die Ukrainer:innen geboten werden, eher kritisch. „Das sind
europäische, christliche Leute, die werden anders behandelt
als wir“, meint er. „Als ich nach Österreich gekommen bin,
ist schon die Polizei gekommen, nur weil man als Afghane
sein Fahrrad falsch angekettet hat. Jetzt, wenn ein Ukrainer
irgendwo in der Kurzparkzone parkt, ist das kein Problem.
(Anm. d. Red: Die Regelung für die kostenlose Öffi-Nutzung
und gratis Parken für Ukrainer:innen in Wien ist mit Ende Mai
ausgelaufen) Er ist ja ein Geflüchteter. Aber das waren wir
genauso.“
„Erstens ist es auch für Ukrainer:innen in der Praxis
auch nicht so einfach. Nicht alle bekommen die Aufenthaltsbewilligung
und Arbeitserlaubnis. Man muss sich selbst
darum kümmern, was oft schwierig ist, wenn man kein
Deutsch spricht“, so Kommunikationswissenschaftlerin Lidiia
A kryshora, die seit 2013 in Österreich lebt. „Diese Vergleiche
© Klaus Ranger
Lidiia Akryshora
„Diese Vergleiche sind grausam.
Man kann nicht vergleichen,
welcher Krieg ,schlimmer‘ ist.“
sind grausam. Man kann nicht vergleichen,
welcher Krieg ,schlimmer‘
ist. Der Grundtenor in der Community,
was dieses Thema anbelangt,
ist: Leute, seid ihr verrückt? Die
Welt geht unter, und wir diskutieren
hier darüber, wer es besser und wer
schlimmer hat?“, so die gebürtige
Ukrainerin. „Man sollte aus der
Geschichte lernen: Den Aggressor
benennen und sich einigen, um
gegen ihn gemeinsam zu kämpfen“,
will sie noch loswerden.
„WARUM LEGT
ÖSTERREICH SICH
SELBST STEINE IN DEN
WEG?“
Senada ist 1992 genau wie Goca
vor dem Jugoslawienkrieg
geflüchtet. Sie ist heute 52 Jahre
alt und stammt ursprünglich aus
Bosnien, dort hat sie ihre Ausbildung
zur diplomierten Krankenschwester
gemacht. Auch
sie dachte, dass sie nur ein paar
Monate in Österreich bleiben
würde. In Graz angekommen,
musste Senada schnell Geld verdienen
– alles andere war zweitrangig.
Ihr fehlte jegliche Information darüber, wie sie ihre
Ausbildung hier anerkennen lassen kann. „Ich habe jeden
Job gemacht, der mir unterkam: Ich war Zimmermädchen,
Kochgehilfin – alles, was ging.“ Ihr Diplom wurde in Österreich
mit der Ausbildung einer Pflegehelferin (mittlerweile
lautet die Bezeichnung Pflegeassistenz) gleichgesetzt. „Ohne
jemanden zu beleidigen, aber das sind zwei verschiedene
Ausbildungen.“ Senada ist einfach sauer und wütend über
den österreichischen Umgang mit qualifiziertem Personal
aus dem Ausland. „Österreich legt den Leuten und irgendwie
ja auch sich selbst so viele Steine in den Weg. Das ist
alles so bürokratisch und so viel Papierschwachsinn.“ Auch
heute arbeitet Senada noch in einem Altersheim in Graz.
„Die Leute glauben, wir sind nur Arschputzer“, so Senada.
„Dabei sind wir viel mehr als das. In der Pflege mangelt es
sowieso immer an Kräften – warum wird es den Leuten dann
so schwer gemacht, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen?“,
fragt sie. Senada zeigt sich verständnisvoll darüber, dass
Ukrainer:innen vieles erleichtert werden soll. Sie betont aber,
dass Europa ihrer Ansicht nach rassistisch handelt und den
Geflüchteten aus beispielsweise Syrien oder Afghanistan das
Ankommen und Weiterleben sehr viel schwerer gemacht hat
als den Ukrainer:innen jetzt. „Ich bin gespannt, wie das jetzt
weitergeht, wenn der Arbeitsmarkt für die Ukrainer:innen
geöffnet wird.“ ●
* Name von der Redaktion geändert
/ POLITIKA / 21
Herr Botschafter,
wie viele
russische Freunde
haben Sie?
Wie hoch
schätzen Sie
die Wahrscheinlichkeit
(in %) eines
Nuklearkriegs
in Europa ein?
Wenn die Ukraine
die Unterstützung
bekommt, die sie
verlangt, in wie
vielen Monaten
könnte der Krieg
beendet sein?
Wie hoch
schätzen Sie
die Wahrscheinlichkeit
(in %) des
ukrainischen
Sieges ein?
Interview in Zahlen: In der Politik
wird genug geredet. Biber fragt
in Worten, der ukrainische
Botschafter in Österreich
Wassyl Chymynez antwortet
mit einer Zahl.
50
3
100
Von Amar Rajković, Fotos: Zoe Opratko
Der ukrainische Botschafter war noch nie am Grab des
umstrittenen Partisanenführers Stepan Bandera.
Chymynez schläft nur durchschnittlich 4 Stunden seit
Ausbruch des Krieges.
Wie viele
Stunden
schlafen Sie
seit Ausbruch
des Kriegs
pro Nacht?
Wie viele gute
ukrainische
Restaurants
gibt es in Wien?
Wie viele
russische
Soldaten sind
seit 24.2.
im Gefecht
getötet
worden?
Wie viele
UkrainerInnen
sind Stand
heute in
Österreich
erfasst?
Wie viele
UkrainerInnen
sind insgesamt
von den russischen
Truppen
vertrieben
worden?
4
1
29.200
≈
70.000
5.700.00
(Anm. d. Red.:
Elvira’s Restaurant)
22 / POLITIKA /
Wie zufrieden
sind Sie mit der
Unterstützung
Österreichs?
Wie hoch schätzen
Sie die Wahrscheinlichkeit
(in %) eines Sturzes
von Vladimir
Putin im Falle
eines ukrainischen
Sieges ein?
Wie oft
telefonieren Sie
täglich in die
Ukraine?
Wie oft
haben Sie den
russischen
Botschafter
in Österreich
getroffen?
Wie viele
russische
Freunde haben
Sie?
7
100
3
0
0
(Auf einer Skala 1-10; 1=gar
nicht, 10=voll zufrieden)
Der Diplomat glaubt bei entsprechender Hilfe des Westens an
den ukrainischen Sieg in 3 Monaten.
Ein einziges ukrainisches Restaurant in Wien ist
Chymynez bekannt.
Wie viele
Menschen
auf der Welt
ernährt die
ukrainische
Landwirtschaft?
Bis zu welchem
Jahr wird
die Ukraine
spätestens der
EU beitreten?
Wie hoch ist die
Wahrscheinlichkeit
(in %), dass
die Ukraine in den
nächsten zehn
Jahren der Nato
beitritt?
Wie oft waren
Sie am Grab
von Stepan
Bandera?
Wie viele
UkrainierInnen
wurden seit
Kriegsanfang
von russischen
Streitkräften
nach Russland
verschleppt?
400.000.000*
2030
100
0
≈
1.200.000
* Quelle: UN World Food
Programme
/ POLITIKA / 23
„Pommes oder
Lángos, Herr
Vizebürgermeister?“
WER IST ER?
Name: Christoph Wiederkehr
Alter: 32
Funktion: Wiener Bildungsstadtrat
für Bildung, Jugend, Integration,
Transparenz und Bäder.
Vizebürgermeister von Wien.
Besonderes: Eine kroatische Omi
crashte unser Fotoshooting und
verteilte vierblättrige Kleeblätter.
Sie outete sich als Riesenfan. Ob
das am Spontanstrip des Vizebürgermeisters
lag, ist nicht geklärt.
Er zog sich das Hemd aus und
schlüpfte in ein weißes T-Shirt.
24 / POLITIKA /
Vizebürgermeister und Integrationsstadtrat
Christoph Wiederkehr
(NEOS) spricht über Ukrainisch-
Klassen, erleichterten Zugang zum
österreichischen Pass und richtet einen
Appell an Bildungsminister Polaschek.
Interview: Amar Rajković, Mitarbeit: Justyna Pikusa, Foto: Franziska Liehl
BIBER: 6,20 € für eine Tageskarte fürs
Schwimmbad ist ganz schön happig.
Finden Sie nicht?
CHRISTOPH WIEDERKEHR: Wir sind
preislich dort, wo wir vor Corona waren
(Anm. d. Red.: Das waren 5,90 €).
Aufgrund der Pandemie gab es jedoch in
den letzten zwei Jahren einen Sondertarif.
Wir haben keinen eingeschränkten
Badebetrieb mehr und haben mit der
Bonuskarte mehr Flexibilität geschaffen.
Dabei zahlt man für zehn Besuche und
bekommt drei Eintritte kostenlos dazu. Es
gibt auch Ermäßigungen für Mindestsicherungsbezieher
oder PensionistInnen.
Trotzdem gab es reichlich Kritik für den
Preisanstieg.
Es gab seit zwei Jahren keine Preiserhöhung
und die Anpassung der Tarife ist
weit unter der Inflation. Ich kenne kaum
eine Großstadt, die sich über 40 öffentliche
Bäder leistet. Junge, Alte, Familien,
es gehen alle gerne in unsere öffentlichen
Bäder.
Sie auch?
Ja, ich finde das Schafberg- aber auch
das Kongressbad, in dem wir uns gerade
befinden, sehr schön.
Sind Sie ein Fan von Deutschförderklassen?
Nicht in der jetzigen Form. In einer Klasse
mit 18 Kindern, in der kein einziges
Kind Deutsch kann, ist es nicht möglich,
mit einer Lehrperson die Inhalte zu vermitteln.
Diese von der Bundesregierung
beschlossene Struktur der Deutschförderklassen
ist nicht förderlich für den
Spracherwerb. Ich bin ein Freund der
Schulautonomie. In manchen Schulen
wird es kleine Deutschklassen geben, die
sinnvoll sind. In anderen lieber integrativ
im normalen Regelunterricht. Es sollen
die Schulstandorte selbst entscheiden
und nicht das Ministerium.
Es gibt die Kritik, dass die ukrainischen
SchülerInnen nicht gut integriert werden,
wenn sie nur unter ihresgleichen in
Deutschförderklassen bleiben. Sehen sie
das auch so?
Ich halte es in der jetzigen Phase für
die aus der Ukraine geflohenen Kinder
sinnvoll, wenn sie in eigenen Klassen
gut begleitet werden, weil wir auch
noch nicht wissen, wie viele hierbleiben
werden. Langfristig braucht es die bestmögliche
Durchmischung in den Wiener
Schulen von unterschiedlichen Ethnien
und Sprachen, damit Integration wirklich
gelingen kann.
2015 kamen die meisten syrischen Kinder
in die Neue Mittelschule, obwohl ihr
Bildungsniveau dem der AHS entsprach.
Dort hat man sie zum größten Teil abgelehnt,
weil sie kein Deutsch sprachen.
Muss man Gymnasien mehr in die Pflicht
nehmen?
Es gibt in Wien Gymnasien, die gerne
ukrainische Kinder aufnehmen würden.
Sie dürfen aber nicht, weil ihnen die
räumlichen Ressourcen für die Deutschförderklassen
fehlen. Die gesetzlichen
Rahmenbedingungen sind sehr starr.
Mein Appell an den Bildungsminister:
Bitte stellen Sie in dieser schwierigen
Zeit die finanziellen Mittel zur Verfügung
und erlauben Sie mehr Flexibilität bei den
Deutschförderklassen.
Von wie vielen ukrainischen SchülerInnen
sprechen wir?
Wir haben aktuell knapp 3000 aus der
Ukraine geflüchtete Kinder und Jugendliche
in den Wiener Schulen. Das sind
über 100 Schulklassen. Wir sind darauf
vorbereitet, dass über den Sommer
zusätzliche Kinder im schulpflichtigen
Alter nach Wien kommen werden.
Sie werden auch alle einen Schulplatz
bekommen. Ich will nicht leugnen, dass
die Herausforderung sehr groß ist.
Darum unterstützen wir die bestehenden
Lehrkräfte zusätzlich, indem wir neues
Lehrpersonal anstellen.
Woher nehmen Sie das Personal?
Einerseits pensionierte Lehrkräfte, andererseits
Geflohene aus der Ukraine und
auch solche, die sich noch im Lehramtsstudium
befinden und Russisch oder
Ukrainisch sprechen. Das sind rund 100
zusätzliche Lehrkräfte, die wir seit dem
Ausbruch des Krieges angestellt haben.
In diesen Klassen ist eine Lehrperson, die
das österreichische Schulsystem kennt
und eine zweite die geflohen ist oder
Ukrainisch als Muttersprache hat.
Die Arbeiterkammer will den Zugang
zur österreichischen Staatsbürgerschaft
erleichtern, die ÖVP-Generalsekretärin
sieht keinen Grund dazu. Wo stehen Sie
als Wiener Integrationsstadtrat?
Ein Beispiel: Wenn ein hier geborenes
Mädchen aus Bosnien und Herzegowina
ein Jahr ERASMUS im Rahmen ihres Studiums
macht, hat sie keinen Anspruch
mehr auf die österreichische Staatsbürgerschaft.
Das entspricht nicht dem Zeitgeist,
weil junge Menschen heutzutage
viel mobiler geworden sind.
Sollten hier geborene Kinder automatisch
den österreichischen Pass erhalten?
Ich bin nicht dafür, komplett vom Prinzip
der Abstammung (ius sanguinis) in
Österreich wegzugehen. Die hier geborenen
Kinder sollen einen erleichterten
Zugang bekommen, weil in Wien immer
mehr Menschen leben, arbeiten, dabei
aber nicht demokratisch mitbestimmen
können.
Zum Abschluss die wichtigste Frage im
Bad – Pommes oder Langos?
Als Sohn eines ungarischen Vaters, ganz
klar: Langos. Mit Knoblauch.
/ POLITIKA / 25
MEINUNG
WÖRTER HINTERLASSEN
WUNDEN
Ich brauche eine Ablenkung von der verkorksten Realität,
nicht nur davon, sondern auch vor mir selbst. Ich halte meine
Gedanken, kombiniert mit all meinen Ängsten, die ich der
Gesellschaft zu verdanken habe, nicht lange aus. Viele wissen
nicht, dass jeder seine eigene Wahrnehmung und Interpretation
von Wörtern hat. Was dem einen harmlos erscheint, kann
den anderen verletzen. Verbale Angriffe können tief greifendere
Schäden hinterlassen als körperliche Angriffe – im Alter
von sieben bis 14 war ich ein Opfer von Mobbing und musste
daran glauben.
Damals wusste ich nicht, was Mobbing ist, und war jahrelang
der Überzeugung, das Problem zu sein. Das hatte dazu
geführt, dass ich mich ständig änderte und Angststörungen,
niemals gut genug zu sein, entwickelte. Schrittweise hatte ich
mich immer mehr von der Person, die ich war, entfernt. Dies
ging so lange, bis ich den Bezug zu meinem alten Ich verlor.
Die Auswirkungen meiner Ängste schränken mich ein und
begleiten mich im (Schul-)Alltag – egal, wie stark ich auch
versuche, sie zu unterdrücken. Es häufen sich alle Ängste,
wie Versagensängste und Soziophobie an, doch das ist für
die meisten Lehrer/innen nicht von Relevanz. Es ist schwer,
von mir zu erwarten, diese Ängste zu überwinden, aber doch
wird so getan, als würde ich damit leben wollen, als hätte
ich nicht versucht, etwas daran zu ändern. Zwinge ich mich,
das zu tun, übernimmt die Angst genauso meinen Körper. Ich
kriege einen Kloß im Hals, das Atmen wird schwer, ich stehe
mit zittrigen Händen und weichen Knien da, mache, wozu ich
gezwungen werde, und stelle mich selbst dabei bloß, was
wiederum weitere Ängste triggert.
Ich wünschte, ich könnte meine Gedanken kontrollieren, sie
sind schmerzhafter und gehen tiefer als die Worte anderer.
Will ich die Ängste loswerden oder dramatisiere ich nur, was
mir andere manchmal vorwerfen? Ich weiß nach so einer
langen Zeit nicht mehr, wie es ist, ‚normal‘ zu denken. Wie
würde es mir ohne meine gewohnten Ängste gehen? Woran
würde ich jede Nacht denken? Was, wenn sich Leere anstelle
von Angst in mir ausbreitet? Dieser Gedanke bringt die leise
Stimme in mir zum Schweigen, die mir eine letzte Hoffnung
auf Besserung gab.
Anonym, 18
WARUM ICH MEIN
KOPFTUCH TRAGE
„Wieso hast du dich dazu entschieden?“, fragen mich meine
Professor*innen mit überraschtem Gesichtsausdruck, als sie
mich zum ersten Mal mit Kopftuch sahen. „War das deine
Entscheidung?“ „Tragen deine Schwestern auch Kopftuch?“
„Bist du Mitglied in einer Moschee?“ oder „Es muss nicht alles
richtig sein, was im Quran steht!“
Das alles sind Fragen und Aussagen, die ich mir am Anfang
des Kopftuchtragens nicht nur einmal anhören musste.
Dieses gewisse Rechtfertigen musste ich bei fast allen
Professor*innen, die mich zu dieser Zeit unterrichtet hatten.
Als der erste Professor mit dem Fragenstellen anfing, dachte
ich mir nichts dabei, weil es für mich wichtig ist, Menschen
aufzuklären und ich mir schon dessen bewusst war, dass so
eine Reaktion folgen würde, doch nicht in so einem Ausmaß
... Wieso habe ich mich also für die Kopfbedeckung entschieden,
wenn sich weder meine Schwestern (damals) bedeckten,
noch ich Mitglied einer Moschee war? Wieso habe ich mich
gegen die westlichen Werte gestellt und bin meinem Glauben
gefolgt? Ob mich jemand gezwungen hat, mich zu bedecken?
Heutzutage ist es eher so, dass man gezwungen wird,
sich auszuziehen. Je offener eine Frau bzw. ein Mädchen
angezogen ist, desto „freier“ ist sie. Das Festhalten an der
islamischen Weiblichkeit ist in der Zeit, in der wir leben, alles
andere als einfach. Aber nur weil es nicht einfach ist, heißt es
nicht, dass man die Wahrheit für den leichteren Weg austauschen
sollte.
Anstatt über uns und für uns zu sprechen und Entscheidungen
zu treffen, die uns betreffen, sollte man mit uns sprechen
und die richtigen Fragen stellen. Die Bedeckung ist etwas
Wunderschönes, denn sie identifiziert mich schon auf den
ersten Blick als Muslima. Wir tragen dieses „Stück Stoff“, wie
es gerne von manchen genannt wird, aus Überzeugung und
Hingabe gegenüber unserem Herrn. Es war keine übereilte
Entscheidung, sondern eher das Gegenteil. Ich habe mich
sehr lange mit dem Islam befasst und habe mich dann aus
voller Überzeugung fürs Kopftuchtragen entschieden. Denn
es gibt mir die innere Glückseligkeit in einer Welt, wo Glück
Geld und Erfolg bedeutet. Je stärker man versucht, an diesem
Stück Stoff zu ziehen, desto stärker werde ich es verteidigen.
Lejla Ibrahimi, 17, 1AL, BHAK und BHAS Wien 10
© Zoe Opratko
26 / MIT SCHARF /
LIFE & STYLE
Mache mir die Welt,
wie sie mir gefällt
Von Şeyda Gün
Ship des Monats
ZENDAYA &
TOM HOLLAND
© Zoe Opratko, ImagePressAgency / Action Press / picturedesk.com, Maybelline, theBalm
MEINUNG
Vorhang auf für
Gossip Girl 2.0
„Guten Morgen, Upper East
Siders“, mit diesen Worten wollte
ich euch begrüßen, jedoch erwache
ich von meinem Tagtraum
und sehe der Realität ins Gesicht.
Ich bin nicht in Manhattan und
ich bin auch nicht Gossip Girl aka
Dan Humphrey. Ihr fragt euch
bestimmt, wer ich bin und wohin
eure unterhaltsame Life & Style
Queen Aleks verschwunden ist.
Sie hat einen Tapetenwechsel für
diese Seite beantragt und voilà:
Hier bin ich, als eine neue Update-
Version von Gossip Girl. Eines kann
ich euch vorab versprechen: Mit
mir beginnt eine neue Ära. Skandale
über die Elite der Stadt gibt
es bei mir zwar nicht, dafür teile
ich mit euch meine persönlichen
Beauty- und Fashion-Geheimnisse,
probiere für euch neue Produkte
aus und schmücke meine Seite mit
bisschen Klatsch und Tratsch. Holt
euch etwas zu trinken, macht es
euch bequem und lest euch meine
Tipps durch. In diesem Sinne:
Willkommen in meiner Welt, liebste
bibericas. Xoxo Ş.
guen@dasbiber.at
Ich liebe es, Celebrities oder Film-
Charaktere zu shippen und steigere
mich meistens so sehr hinein, dass
ich beinahe in einer parasozialen
Beziehung ende. Mein erstes Shipdes-Monats-Couple
sind Zendaya
und Tom Holland.
Beauty-Tipp 1
YALLA SCHWESTER,
GÖNN DIR SELBST
BEWUSSTSEIN
Roten Lippenstift zu tragen hat mich
jede Menge an Überwindung gekostet.
Ich dachte immer, ich würde
aussehen wie ein Clown. Mittlerweile
ist die rote Farbe ein
Must-have unter meinen
Schminksachen. Diese
kombiniere ich gerne mit
einer Boyfriend-Jeans,
mit weißem T-Shirt und
Sonnenbrillen. Der Superstay-Matte-Ink
Lippenstift
von Maybelline ist seit
Jahren mein Liebling,
hält auch sehr lange und
sorgt für Baba-Selbstbewusstsein.
Bekommt ihr
beim DM für 9,95 Euro
Beauty-Tipp 2
SHINE
BRIGHT LIKE
A DIAMOND
Ich bekomme immer Komplimente
ab, dass meine Hamsterbacken
funkeln. Das liegt wohl an meinem
Mary-Lou Manizer Highlighter von
The Balm. Sharing ist caring, für
diesen Tipp könnt ihr mir später
danken. Douglas, 17,95 Euro
/ MIT SCHARF / 27
Die Autorinnen v.l.n.r. Oben:
Nihal Shousha, Stefanie
Stanković, Amra Durić
Unten: Jelena Čolić, Maria
Lovrić-Anušić
28 / EMPOWERMENT SPECIAL /
DU
BESTIMMST
IMMER.
PUNKT.
Geschlechterrollen durchbrechen, eigene Träume und Leidenschaften verfolgen,
sich dem Druck aus der Familie hingeben: Weibliche Selbstbestimmung
hat viele Gesichter und kann auf unterschiedlichen Wegen passieren.
Fünf starke, junge Autorinnen aus verschiedenen Communitys erzählen von
ihren persönlichen Revolutionen und was sie dafür in Kauf nehmen mussten.
Wie eine junge Frau ihrem Doppelleben als Mann endgültig ein Ende setzte,
eine andere ihre Wunschkarriere trotz Widerstand aus der Verwandtschaft
verfolgte und wie man lernt, dass gute Dinge Zeit brauchen.
Von der Entscheidung, keine Kinder bekommen zu wollen, bis hin zur
Überwindung von Stereotypen über die eigene Community am Arbeitsplatz.
Sie kommen in diesem Empowerment-Special selbst zu Wort.
Mit Beiträgen von Jelena Čolić, Amra Durić, Maria Lovrić-Anušić, Nihal
Shousha und Stefanie Stanković.
© Zoe Opratko
Das Projekt „Du bestimmst IMMER. Punkt!“ findet im Rahmen des Aufrufs „Maßnahmen
zur Stärkung von Frauen und Mädchen im Kontext von Integration“ des Österreichischen
Integrationsfonds statt. Dieses Projekt wird durch den Österreichischen Integrationsfonds
(ÖIF) finanziert. Die redaktionelle Verantwortung liegt allein bei biber.
/ EMPOWERMENT / MIT SCHARF SPECIAL / / 29
ZWEI GESCHLECHTER
EIN LEBEN
30 / EMPOWERMENT SPECIAL /
Als Mann wird man zur Freizügigkeit gedrängt, als Frau kassiert man dafür
Scham: Stefanie Stanković musste doppelt mit Genderrollen kämpfen.
Sie wurde bei ihrer Geburt in Serbien dem männlichen Geschlecht
zugeordnet und führte in Österreich ein Doppelleben als Frau. Zwölf
Jahre nach ihrem Coming-out will sie anderen Mut machen.
Von Stefanie Stanković, Fotos: Zoe Opratko
Ich war als Kind sehr schüchtern,
introvertiert, verschlossen. Man hat
mir immer gesagt: „Steffi, sei ein
Mann, hole dir, was dir zusteht! Sei
aggressiv, laut, zeig deine Männlichkeit,
nur so kommst du voran im Leben!“ Ich
war vielleicht acht Jahre alt, als ich mit
meinen Eltern auf Urlaub gefahren bin.
Genau wie die anderen Männer und
Jungs, sollte ich einfach mein T-Shirt
ausziehen, es hat sich aber so falsch
angefühlt. Die Antwort auf die Frage,
warum meine Mutter ein Bikini-Oberteil
tragen musste und ich nicht, hat für mich
keinen Sinn ergeben. Ich habe immer nur
gehört: „Du bist ein Mann und sie eine
Frau“ – in meinem Kopf antwortete ich:
„Ich bin aber kein Mann, sondern eine
Frau“.
Mein Umfeld, meine Familie und
Freunde waren immer enttäuscht,
wenn ich nicht geschafft habe, mich
durchzusetzen. Sie meinten, dass sich
das für einen Jungen nicht gehöre.
Ich bin in Serbien zur Welt gekommen.
Anhand meiner Genitalien wurde mir
das männliche Geschlecht zugeordnet,
und genau so wurde ich auch erzogen.
Patriotisch, orthodox, sehr nationalistisch
und toxisch-männlich, denn genau so
hat Serbien nach dem Jugoslawienkrieg
ausgesehen. Vor der Schulzeit war es
mir egal, dass ich diese Stereotype, die
meine Familie von mir erwartete, nicht
erfüllte. Aber später empfanden mich die
Kinder und LehrerInnen in meiner Schule
als komisch und so kam die Verwirrung.
ICH FÜHRTE EIN
DOPPELLEBEN
Zu Zeiten des Krieges und der Inflation
gab es in Serbien nur zwei Fernsehkanäle
und meine Eltern haben mich von klein
auf deutsche Fernsehsender und Zeichentrickfilme
schauen lassen. So habe
ich Deutsch gelernt. Durch Zufall stieß
ich eines Tages auf eine Fernsehsendung
mit Arabella Kiesbauer, in der Transpersonen
ihre Lebensgeschichte teilten –
und plötzlich machte alles Sinn. Ich war
nicht allein, es gibt so viele Menschen,
die sich genauso fühlen wie ich! Ich
begann schon als Kind, meine Zukunft
zu planen, und suchte alle passenden
Informationen dazu im Internet. Ich fand
heraus, dass Österreich ein sehr gutes
Gesundheitssystem hat. Es zwar auch
„
In Wien war ich die
Steffi, und zuhause
auf Skype mit meinen
Eltern war ich dann
wieder der Sohn, den sie
zu kennen glaubten.
“
nicht perfekt für Transpersonen, aber
dennoch viel fortschrittlicher war als
jenes in Serbien. In Serbien war der Prozess
einer Geschlechtsangleichung fast
unmöglich: Es gab keine Ressourcen,
medizinische Hilfe oder therapeutische
Unterstützung – und von gesellschaftlicher
Akzeptanz oder Sicherheit kann ich
nicht einmal sprechen.
Ich kam volljährig im Oktober 2010 in
Wien an, denn ich wollte hier studieren.
Ich konnte hier neu anfangen, als Steffi.
Für meine Eltern war ich immer noch der
brave Sohn, daher unterstützten sie mich
bei meinem Vorhaben. Es war perfekt!
In Wien kannte mich keiner von früher,
niemand konnte mir sagen, dass etwas
nicht zu mir passt, dass ich mich verändert
hatte, oder konnte fälschlicherweise
meinen Geburtsnamen verwenden. Ich
führte ein Doppelleben: In Wien war ich
die Steffi, und zuhause auf Skype mit
meinen Eltern war ich dann wieder der
Sohn, den sie zu kennen glaubten. Eine
Zeit lang ging das gut, aber dann kamen
Hormone ins Spiel und die Veränderungen
an meinem Körper wurden sichtbarer.
Die Zeit nach meinem Outing war für
alle Beteiligten nicht leicht. Ich denke,
dass kein Elternteil wirklich erfreut ist,
über die queere Identität ihres Kindes
zu erfahren. Dazu kommt noch mein
Balkan-Hintergrund, mein Vater akzeptiert
mich bis heute nicht. Für meine
Mutter gab es am Anfang nur Ängste,
wie ich durchs Leben gehen werde, und
ob es für mich Möglichkeiten gäbe, ein
„normales Leben“´ zu führen. Meine
Mutter begleitete und unterstützte mich
aber auf jedem Teil des Weges zu meinem
wahren Ich.
GENDER IST EIN
SPEKTRUM
Ich weiß nicht, wie bewusst es Außenstehenden
ist, dass ich mein Leben quasi
aus der Sicht von zwei Geschlechtern
erlebt habe. Zwischen den beiden Polen
„Mann“ und „Frau“ gab es auch eine
androgyne Phase, wo ich als keines von
beiden Geschlechtern wahrgenommen
wurde – und das alles in zwei komplett
unterschiedlichen Ländern. Ich hatte in
Serbien und Österreich das Glück (oder
Unglück), sehr viele Erfahrungen machen
zu dürfen, die mich verstehen ließen,
warum ich eine Frau bin. Ich war kreativ,
/ EMPOWERMENT SPECIAL / 31
„Mich vor zwölf Jahren in so einer
Gesellschaft zu outen, war erniedrigend“,
erinnert sich Steffi.
sanft, empathisch und sensibel.
Heute, mit 30 Jahren, kann ich nicht
genau beschreiben, was mich als
Frau ausmacht. Ich bin weder Mann
noch Frau, und doch beides gleichzeitig
– genau dieser Satz würde mich im
Moment am besten beschreiben. Gender,
Maskulinität und Feminität sind für mich
wie ein breites Spektrum, das sich auf
einer Skala von eins bis zehn bewegt,
wobei eins für „männlich“ steht, und
zehn für „weiblich“. An manchen Tagen
bin ich eine Sieben, an anderen eine
Drei. Genau so sehe ich auch Sexualität,
sie hat so viele Facetten. Und sie ist
in ständiger Veränderung. Ich entdecke
immer wieder neue Sachen, die
ich anziehend finde. Nur weil ich heute
etwas attraktiv fand, muss es nicht die
Regel für morgen sein. Für mich wirkt
alles sehr simpel und trotzdem sind viele
Menschen verwirrt, was Sexualität und
Gender betrifft. Warum?
Es ist die Gesellschaft, unsere
Erziehung, die über Generationen den
Jüngeren beibringt, wie man sich zu
verhalten hat. Die meisten Menschen
behaupten, dass es ihnen egal sei, was
andere Menschen von ihnen halten, aber
ich kann das nicht unterschreiben. Wir
alle wollen gemocht werden, einen guten
Eindruck hinterlassen, gut in Erinnerung
bleiben. Und deswegen empfinden wir
Scham, wenn es um unsere Sexualität
geht. Es ist generell ein gesellschaftliches
verpöntes Thema, auch wenn man
nur ein wenig aus der heteronormativen
Reihe tanzt. Auch ich spürte Scham.
Mich vor zwölf Jahren in so einer Gesellschaft
als Transfrau zu outen, war sehr
erniedrigend. Ich wurde als Witzfigur
hingestellt und verspottet. Man braucht
deshalb für diesen Schritt ein starkes
Durchsetzungsvermögen und viel Selbstbewusstsein.
FREIZÜGIG SEIN ALS
MANN GEHT – ALS FRAU
ABER NICHT
Ich wurde als Mann erzogen. Dinge, wie
selbstbewusst ohne Oberteil draußen zu
sein, oder offen zuzugeben, dass man
viel sexuelle Erfahrungen gemacht hat,
gehörten zum Alltag. Es sind Dinge, mit
denen „Mann“ gerne prahlt und dafür
Anerkennung bekommt, sei es von
anderen Männern oder Frauen. Diese
Regeln, die mir bei meiner Erziehung
aufgezwungen wurden, praktiziere ich
heute – allerdings als Frau. Das kommt
nicht gut an. Oft höre ich, dass es nicht
angebracht und billig sei, viel Haut zu
zeigen. Andererseits werde ich genauso
zum Objekt gemacht, weil mein Kleidungsstil
doch „so einladend sei“. Das
ist an sich schon sehr problematisch, vor
allem aber auch, weil diese Sachen einfach
nicht stimmen. Ich sehe Mode und
Kleidung als ein Instrument, um mich
selbst nach außen zu spiegeln. Wie auch
immer die Kritik genau aussieht: Dass
ich trans bin, verstärkt alles nochmal.
Warum sollte ich nicht das Recht haben,
mich in meiner Haut wohl zu fühlen und
Selbstbewusstsein, Stärke und Schönheit
auszustrahlen?
ALLES IST GUT, SOLANGE
DU VERFÜGBAR BIST?
Drehen wir mal die Rollen um: Wie viele
Frauen bekommen für sexuelle Erfahrungen
Anerkennung? Es ist nur Scham! Die
Frau sollte ein reines Bild bewahren und
darf dem Mann nicht gleichgestellt werden.
Sie muss dafür bestraft, ausgelacht
und verurteilt werden. Eine Frau sollte
begehrenswert oder verfügbar sein,
sie bewegt sich aber auf sehr dünnem
Eis. Die Gesellschaft wartet regelrecht
auf den Moment, um ihr „Schäm dich!“
laut hinterherzuschreien bei ihrem Gang
auf der Straße. Einmal habe ich für eine
Geburtstagsfeier von einem Freund alle
Geschütze aufgefahren: High Heels, kurzes
Kleid, welliges langes Haar, schönes
Make-up. Keine fünf Schritte konnte ich
im öffentlichen Raum gehen, ohne von
Männern angesprochen zu werden, dass
ich wunderschön, sexy, eine Traumfrau
sei. Aber sobald ich sie ablehnte, wurde
ich innerhalb einer Sekunde zum Gegenteil.
Ich war hässlich, prüde, ein Mann
– das dünne Eis unter meinen Füßen war
gebrochen.
Seit sechs Jahren bin ich auf Social
Media aktivistisch für die LGBTQIA+
Community, und nutze meine Plattformen,
um aufzuklären. Seit meinem
Coming-out habe ich viel gelernt. Ich
habe gelernt, unverschämt zu mir selbst
zu stehen. Ich kenne meinen Wert, was
ich für meine Zufriedenheit brauche,
um frei zu leben und ohne Pardon über
mein Leben zu bestimmen. Ich befinde
mich vielleicht in einer Seifenblase, die
ich für mich selbst kreiert habe, aber ich
bin frei. Und ich lasse mir das um keinen
Preis wegnehmen. Es gibt kein Image,
das ich bewahren muss. Meine Existenz
wird viele erstaunen, andere wird es
vielleicht schockieren. Aber beide Seiten
bekommen zu sehen, dass ich authentisch
bin, keine Scham davor habe, mein
wahres Ich zu zeigen - und genau das
macht mein Leben so besonders. ●
Stefanie Stanković ist 30 Jahre alt,
kommt aus Požarevac (Serbien) und lebt
und arbeitet in Wien als Make-Up-Artist
und Aktivistin.
32 / EMPOWERMENT SPECIAL /
BEZAHLTE ANZEIGE
MEHR RAUM
FÜR VIELFALT
In Wien laufen die Vorbereitungen für Österreichs
erstes queeres Jugendzentrum auf Hochtouren.
© Mercedes Mehling/unsplash
Die offene Jugendarbeit der Stadt
Wien bereitet in Zusammenarbeit
mit der Wiener Antidiskriminierungsstelle
für LGBTIQ-Angelegenheiten
(WASt) die Schaffung
des ersten queeren Jugendzentrums
Österreichs vor. Laut einer
Erhebung des Instituts für Höhere
Studien (IHS) ist der Bedarf
größer denn je. Alleine in Wien
leben 180.000 Lesben, Schwule
und Transgender-Personen.
Niederschwelligkeit, Barrierefreiheit,
Räume für Aktivitäten und
Freizeitgestaltung, Weiterbildungsprogramme,
Zivilcourage,
Empowerment und Aufklärungsarbeit
sind wichtige Themen in der
Arbeit mit LGBTIQ-Jugendlichen.
Das queere Jugendzentrum soll
ein Safer Space und ein Ort der
Begegnung werden. Besonders
bedeutend sind auch Konzepte für
die Arbeit mit sehr jungen Jugendlichen
ab 12 Jahren, trans- und
intergeschlechtlichen Jugendlichen,
die Arbeit mit Eltern sowie
mit Jugendlichen ohne Unterstützung
der Eltern.
Anschluss an bereits
bestehende Projekte:
„Wichtig ist, das Vorhaben mit
einem guten Konzept zu starten
und das queere Jugendzentrum in
weiterer Folge mit Beteiligung der
Jugendlichen, die es besuchen,
auszubauen und weiterzuentwickeln.
Es ist sinnvoll, dass das
queere Jugendzentrum an die
bereits bestehenden Angebote
für queere Menschen in unserer
Stadt anschließt“, sagt Wolfgang
Wilhelm, Leiter der WASt. Die Vorbereitungen
für die Ausschreibung
eines queeren Jugendzentrums
sollen noch vor dem Sommer
abgeschlossen sein, 2023 soll es
seine Pforten öffnen.
In der Regenbogenhauptstadt
Wien kannst du deine Lebens- und
Liebesentwürfe frei von Diskriminierung
leben. Die Stadt unterstützt
alle von Diskriminierung
betroffenen homo-, bi-, transsexuellen
und intergeschlechtlichen
Wiener*innen und bietet
Aufklärungsarbeit. Du erhältst
anonyme und kostenlose Beratung
bei der Wiener Antidiskriminierungsstelle
(WASt).
Hol dir jetzt Beratung!
wien.gv.at/queer
FÜR DEN
TRAUMJOB
DIE FAMILIE
IM STICH
LASSEN?
WIE ICH (FAST NICHT)
JOURNALISTIN WURDE.
34 / EMPOWERMENT SPECIAL /
Fast hätte Amra Durić ihren Traum, Journalistin zu werden, aufgegeben:
Trotz Geldsorgen, Gewissensbissen, Unverständnis vom Umfeld und fehlender
Unterstützung hat sie es geschafft: Heute sitzt sie als migrantische
Frau aus einer sozial schwachen Arbeiter:innenfamilie in einer Führungsposition
bei einer großen österreichischen Tageszeitung.
Von Amra Durić, Fotos: Zoe Opratko
Die Zugfahrt von Wien nach
Innsbruck dauert mit dem
Railjet etwa 4 Stunden und
20 Minuten – wenn es keine
Zwischenfälle gibt. Diese Strecke bin ich
in den vergangenen Jahren unzählige
Male abgefahren. Egal ob bei Schnee,
Sturm, Regen oder Sonnenschein. Wie
es der Zufall so will, schreibe ich diese
Worte sogar im Zug von Innsbruck nach
Wien. Diese 4 Stunden und 20 Minuten
sollten mein Familienleben völlig aus der
Bahn werfen.
TRAUMJOB MIT
HINDERNISSEN
Vor knapp 13 Jahren beschloss ich, nach
Wien zu ziehen. Bis ich meinen Plan in
die Tat umsetzen konnte, sollte aber
noch Zeit vergehen. Bereits im Teenageralter
wusste ich, dass ich Journalistin
werden wollte. Meine Mama und ich
saßen jeden Tag mit einer Tasse Cappuccino
vor dem Fernseher und sahen
uns „Gilmore Girls“ an. Wir fühlten uns
den Charakteren verbunden. Ein starkes
Mutter-Tochter-Duo, das viel redete,
noch mehr Kaffee trank und zusammen
viel durchgemacht hatte. Nur, es gab keine
reichen Großeltern, die uns unterstützen
konnten. Stattdessen hatte ich zwei
Geschwister, die die Schule besuchten
und eine alleinerziehende Mutter, die mit
schweren gesundheitlichen Problemen
kämpfte, weshalb sie ihrem Beruf nicht
mehr nachgehen konnte.
In meinem Vorhaben, Journalistin zu
werden, hatte mich meine Mutter immer
unterstützt. Dass ich dafür studieren
und in ein anderes Bundesland ziehen
musste, da man in Tirol nicht Publizistik
studieren konnte, war ihr nicht bewusst.
In Österreich wird Bildung überdurchschnittlich
vererbt. Ob die Eltern studieren,
oder einen Hauptschulabschluss
haben und wie viel Geld der Familie zur
Verfügung steht, entscheidet darüber,
welche Rolle ein Kind am Bildungsmarkt
einnimmt. Laut einer OECD-Studie
erreicht nur jedes fünfte Kind in Österreich
einen höheren Bildungsabschluss
als seine Eltern.
STUDIEREN MUSS MAN
SICH ERST VERDIENEN
Nach meiner Matura entwickelte sich
mein Sommerpraktikum zur Festanstellung
– zum Glück. Ging es nach meinem
Plan, musste ich etwa ein Jahr lang
arbeiten, um mir überhaupt den Umzug
nach Wien leisten zu können. Ich hatte
seit meinem 16. Lebensjahr zwar schon
Geld verdient, der Großteil floss aber
in die familiäre Haushaltskasse. Jeder
Cent zählte. Ich war in meiner Familie die
Erste, die studieren gehen sollte. Doch
im Unterschied zu meinen Freundinnen
und Freunden, deren Eltern selbst eine
Universität besucht hatten und für die
es daher selbstverständlich war, dass
auch das Kind studieren ging, war bei
mir wenig Rückhalt da. Verwandte und
Bekannte meiner Familie zeigten sich
entsetzt darüber, dass ich nach Wien
ziehen wollte, um Publizistik zu studieren.
„Jetzt, wo du sie durch die Schule
gebracht hast, zieht sie einfach weg und
lässt dich allein. Sie zieht sicher nur nach
„
Ich wusste dass ich in
Wien sofort eine Stelle
finden musste, um
mich selbst finanzieren
zu können.
“
Wien, um Party zu machen“, waren noch
die netteren Sätze, die sich meine Mutter
anhören musste. Viele konnten mit meinem
Studium nichts anfangen. Die meisten
Cousins und Cousinen hatten keine
höhere Schule abgeschlossen, sondern
waren nach der Hauptschule direkt in die
Lehre gegangen. „Jetzt, wo du endlich
arbeiten gehen solltest, willst du deinen
Kopf in noch mehr Bücher stecken“,
wetterten Verwandte.
Die laute Kritik konnte mich von
meinem Wunsch nicht abbringen. Bei
meiner Mama sah ich aber die ersten
Zweifel aufkommen. Kurz vor meinem
Umzug bekam ich ein Jobangebot in
Tirol. Vollzeit, gut bezahlt, im Marketingbereich.
Meine Mutter fragte mich, ob
ich annehmen wolle. Zumindest eine Zeit
lang. „Du kannst in ein paar Jahren noch
immer studieren“, meinte sie. Der Job
hätte auch unsere finanzielle Situation
immens verbessert. Ich hatte schon ein
Jahr lang gewartet und Angst, dass,
wenn ich blieb, mehrere daraus werden
würden. Mein Gefühl sagte mir: jetzt
oder nie. „Ich kann bleiben und den Job
annehmen. Ich fürchte aber, dass ich es
mein Leben lang bereuen werde und dir
dafür die Schuld gebe“, erklärte ich meiner
Mama. Wir sprachen lange darüber.
Ich bekam Studienbeihilfe, wusste aber,
dass ich in Wien sofort eine Stelle finden
musste, um mich selbst finanzieren zu
können und auch, um meine Familie
weiterhin, so gut es möglich war, zu
unterstützen.
VOM WG-ZIMMER
INS SPITAL
Im September 2011 war es endlich so
weit. Ich hatte ein WG-Zimmer gefunden
und stand kurz vor der Übersiedlung.
Meine Mutter war fertig mit den Ner-
/ EMPOWERMENT SPECIAL / 35
„
Meine Mutter
brachte es nicht über
das Herz, mich zum
Zug zu bringen.
“
Die Autorin pendelte eine Zeit lang jede Woche zwischen Wien und Tirol.
ven. Ihre Augen waren von ihren Tränen
verquollen. Sie brachte es nicht über das
Herz, mich zum Zug zu bringen. In den
ersten Wochen fuhr ich jedes Wochenende
wieder nach Tirol. Doch obwohl
mich meine Mutter am Wochenende
sah und wir täglich telefonierten, ging
es ihr immer schlechter. Die ständige
Kritik der Verwandtschaft, die abschätzigen
Bemerkungen und die Sorge,
dass ich allein in einer fremden Stadt
war, verschlimmerten die Situation.
Sie erlitt einen Zusammenbruch und
landete im Spital. Zwei Tage lang lag
sie im Krankenhaus. Ich saß mit meinen
Geschwistern, die ebenfalls unter
der Situation litten, zu Hause in Tirol.
Mein einziger Gedanke war: Das ist es
nicht wert. Ich beschloss, das Studium
abzubrechen und den Traum vom
Journalismus platzen zu lassen. Dass ich
doch weiterstudieren konnte, war nur
mit viel Kraft und Geduld möglich. Meine
Mama konzentrierte sich mehr auf meine
Geschwister und fing an, sich tagsüber
um den kleinen Sohn einer Bekannten zu
kümmern. Ich fuhr weiterhin fast jedes
Wochenende nach Tirol. Noch heute, elf
Jahre später, telefoniere ich täglich mit
meiner Mama. Wir distanzierten uns von
Menschen, die meinen Umzug als Im-
Stich-Lassen der Familie betrachteten.
Ich fand in Wien recht schnell einen Job
und arbeitete während meiner Studienzeit
unter anderem bei einer Versicherung,
als Museumsaufsicht, verteilte
Flyer und ging Babysitten. Nebenher
machte ich Praktika bei Zeitungen und
schrieb als freie Journalistin.
Für Menschen mit Migrationshintergrund
ist der Weg zu höherer
Bildung meist besonders schwierig.
Migrant:innen brechen häufiger ihr Studium
ab, machen geringere akademische
Abschlüsse. Bei mir erschwerten die
ökonomische Situation meiner Familie
und das negative Umfeld den Einstieg ins
Studienleben zusätzlich. Doch auch die
schweren Herausforderungen und vielen
Rückschläge schafften es nicht, mich von
meinem Weg abzubringen. Ich absolvierte
mein Studium erfolgreich. Seit über
acht Jahren arbeite ich als Journalistin
bei Heute, einer der größten österreichi-
schen Tageszeitungen und bin mittlerweile
sogar Teil der Chefredaktion.
Rund drei Monate nach meiner Übersiedlung
stieg meine Mama schließlich
selbst in einen Zug und fuhr das erste
Mal nach Wien, um mich zu besuchen.
Es sollten noch viele weitere Zugfahren
folgen. ●
Amra Durić ist 31 Jahre alt und Mitglied
der Chefredaktion von Heute.at, sowie
Digital Project Managerin.
36 / EMPOWERMENT SPECIAL /
Was bringt
die Erhöhung des
Familienbonus Plus
fürs Familienbudget?
Entgeltliche Einschaltung
Das Entlastungspaket bringt’s – z.B. für Kinder bis 18 Jahre:
Ab 1. Juli 2022: Erhöhung des Familienbonus Plus
um 250 Euro auf bis zu 1.750 Euro pro Kind und Jahr
Ab 1. Jänner 2023: Erhöhung des Familienbonus Plus
um 500 Euro auf bis zu 2.000 Euro pro Kind und Jahr
Gleich nachrechnen:
bmf.gv.at/entlastungsrechner
Jetzt kommt das Plus für Familien: Wenn Sie den Familienbonus Plus im Rahmen der Lohnverrechnung
bei Ihrem Arbeitgeber beantragt haben, erfolgt ab Juli 2022 eine automatische Berücksichtigung
mit dem erhöhten monatlichen Betrag. Bei Beantragung im Rahmen der Arbeitnehmerveranlagung wird
ab dem Veranlagungsjahr 2022 der erhöhte Betrag herangezogen.
Mehr fürs Leben – fair für alle.
Alle Infos auf: bmf.gv.at/familienbonusplus
„WIE, DU WILLST
KEINE KINDER?“
38 / EMPOWERMENT SPECIAL /
Frau mit Balkan-Background, Mitte 20, unverheiratet und dann auch noch
keine Pläne, ein Kind zu bekommen? Das stößt in der Community sauer auf,
berichtet Autorin Maria Lovrić-Anušić. Sie hat für sich selbst beschlossen,
dass sie kinderlos und glücklich bleiben will. Auch wenn viele nicht verstehen
können, wie diese zwei Haltungen zueinander passen.
Von Maria Lovrić-Anušić, Fotos: Zoe Opratko
Ein Einfamilienhaus, ein Ehemann
und drei Kinder. Was
für Viele in meinem Umfeld
ein Traum ist, klingt für mich
nach einem Horrorszenario. Ich möchte
Karriere machen, viel Reisen und
die Welt ohne jegliche Verpflichtungen
erkunden. Mit dem Gedanken zu
heiraten, könnte ich mich vielleicht noch
irgendwann anfreunden, Kinder möchte
ich aber keine. Das bedeutet nicht, dass
ich Kinder hasse, ich möchte nur keine
Verantwortung für ein neues Leben übernehmen.
Wenn ich das bei Verwandten
und Bekannten so kommuniziere, stoße
ich allerdings nur auf Unverständnis. Wie
kann es sein, dass eine Frau lieber Karriere
macht und keine Kinder will? Das
gehört sich doch so nicht.
DAS KRITISCHE WELTBILD
Diese Abneigung gegen Karrierefrauen
kommt nicht von ungefähr. Sowohl in
meiner Heimat Kroatien als auch in den
restlichen Balkanstaaten existiert ein
vorgefertigtes und vor allem unglaublich
veraltetes Bild vom Leben einer Frau. Sie
wird geboren, geht zur Schule, hilft im
Haushalt, heiratet, bekommt Kinder und
lebt als Hausfrau und Mutter, während
ihr Mann arbeiten geht. Die Menschen
sind nicht gewillt, ihre Ansichten zu
ändern, denn „es war ja schon immer
so“. Jede Frau, die sich gegen dieses
traditionelle Bild wehrt, wird nur belächelt
und nicht ernstgenommen. „Du
wirst deine Meinung schon noch ändern,
wenn du älter bist“, ist der Standardkonter.
Das ist unglaublich problematisch,
denn dadurch gibt die ältere Generation
der Balkan-Community den jungen
Frauen das Gefühl, sie wären nur auf der
Welt, um Kinder zu gebären, und, dass
ihre persönlichen Wünsche nicht relevant
wären.
„WIE, DU WILLST KEINE
KINDER?“
Eine Bekannte, die selber grade erst
Anfang zwanzig ist und aus Bulgarien
kommt, erzählte mir letztens, dass sie
mindestens zwei Kinder haben möchte
und sie eigentlich auch relativ bald
heiraten will. Ihr Lehramtsstudium würde
sie sowieso nur als Zeitvertreib absolvieren,
denn eigentlich wollte sie schon
immer Hausfrau werden. Meine Antwort
auf ihre Frage, wie viele Kinder ich gerne
hätte, schockierte sie etwas. „Ich will
keine Kinder,“ meinte ich. Ich erzählte
ihr euphorisch von meinen Plänen, mein
Masterstudium zu Ende zu machen und
mich vollkommen auf meinen Traum,
Journalistin zu werden, zu konzentrieren.
Immerhin bin ich ja erst Mitte zwanzig
und hab mein ganzes Leben noch vor
mir. „Wie, du willst keine Kinder? Was ist
denn sonst der Sinn in deinem Leben?“,
erwiderte sie mir nur. Auf meine Wünsche
und Träume ging sie gar nicht erst
ein. Es war ihr einfach ein Rätsel, wie ich
sowas nur aussprechen konnte. Auch
„
Meine Erwartungen soll
ich runterschrauben,
denn offensichtlich
verlange ich zu viel,
wenn ich keinen
sexistischen oder
rassistischen Mann
heiraten will.
“
Verwandte machen es sich zur Aufgabe,
mir die Frage „Kad ćeš se udat?“, was
so viel wie „Wann wirst du heiraten?“
bedeutet, zu stellen. Warum fragen sie
mich nicht, wie mein Studium läuft und
welche Pläne ich arbeitstechnisch hege?
Ahja, weil ich eine ledige 24-jährige Frau
bin. Meine biologische Uhr ist am Ticken
und es ist Zeit, sich einen Mann zu
suchen, bevor es zu spät ist. Das wollen
sie mir zumindest damit sagen, ohne es
direkt auszusprechen. Meine Erwartungen
sollte ich aber doch etwas runterschrauben,
denn offensichtlich verlange
ich zu viel, wenn ich keinen sexistischen
oder rassistischen Mann heiraten will.
Eine Frau, die sich nämlich nur auf sich
selbst konzentriert und zu viele Ansprüche
stellt, wird schnell als egoistisch
abgestempelt.
KINDER ALS
ALTERSVORSORGE
„Wer soll sich denn um dich kümmern,
wenn du alt und schwach bist?“, ist eine
der häufigsten Fragen, wenn ich erzähle,
dass ich mir in meiner Zukunft keine Kinder
vorstellen kann. Es ist der Kreislauf
des Lebens, man bekommt Kinder, die
sich dann um einen kümmern, wenn man
alt ist. Immer wenn ich das höre, frage
ich mich, ob diese Menschen wirklich
Kinder oder einfach nur eine sichere
Altersvorsorge haben möchten. Was ist
denn, wenn diese Kinder in ihrer Zukunft
auf einen anderen Kontinent ziehen oder
nicht genug Geld verdienen, um sich um
ihre Eltern zu kümmern? Sind sie dann
uninteressant und undankbar? Vor Jahrzehnten
war das eine gängige Begründung,
um Kinder zu bekommen, heute
haben wir aber genug Möglichkeiten, um
uns für die Zukunft abzusichern, und wir
/ EMPOWERMENT SPECIAL / 39
müssen definitiv nicht Kinder in die Welt
setzen, nur um diese Verantwortung auf
sie abzuwälzen. Ich persönlich könnte
das niemals mit meinen moralischen
Wertvorstellungen vereinbaren.
Auf dem Spielplatz abhängen? Nein, danke!
„SEI NIEMALS VON EINEM
MANN ABHÄNGIG!“
Ich habe zum Glück von meinen Eltern
selbst nie den Druck verspürt, zu heiraten
und Mutter werden zu müssen. Ganz
im Gegenteil. „Sei niemals von einem
Mann abhängig!“ – diesen Spruch musste
ich mir von meinem Vater schon mein
ganzes Leben lang anhören. Ich habe als
Kind nie ganz verstanden, warum er das
so oft betonte. Was sollte so schlimm
daran sein, wenn der Mann die Familie
ernährt? So habe ich es doch immer in
meinem Umfeld gesehen. Die Frauen
waren Mütter und Hausfrauen und sie
wirkten doch glücklich. Mit der Zeit wurde
mir aber bewusst, dass er in diesen
Frauen mehr sah als die glücklichen
Mütter. Es waren Frauen, die sehr wenig
Geld verdienten und in hundertprozentiger
Abhängigkeit von ihren Männern
lebten. Sie hätten es niemals gewagt,
sich von ihren Männern zu trennen.
„Männer kommen und gehen, zum Heiraten
und Kinder kriegen hast du noch
genug Zeit.“ Es war ihm wichtig, dass ich
meine Schule zu Ende bringe und mein
eigenes Geld verdiene, sodass ich auf
meinen eigenen Beinen stehen kann und
mich niemals aufgrund von finanzieller
„
Es war meinem Vater
wichtig, dass ich die
Schule zu Ende bringe
und mein eigenes Geld
verdiene, sodass ich
auf eigenen Beinen
stehen kann.
“
Abhängigkeit schlecht behandeln lassen
muss. Ich habe diese Sätze verinnerlicht
und ich glaube, dieser fortschrittliche
Umgang meines Vaters hat auch meine
Einstellung geprägt. Kinder passen in
mein persönliches Weltbild einfach nicht
hinein und auch eine Ehe ist für mich
nur eine Art positiver Bonus. Mein Leben
kann aber auch ohne diesen Bonus
erfüllend sein.
Ob ihr jetzt Kinder wollt oder nicht,
eins ist sicher: Eine Frau muss gar nichts.
Ihr dürft euch von niemandem etwas
einreden lassen, das ihr nicht wollt. Klärt
die Menschen lieber auf, dass nicht jede
Frau ihre Erfüllung in Kindern sieht und
auch viele Frauen einfach keine Kinder
bekommen können und diese ständigen
Fragerein extrem verletzend sein können.
Verstehen sie es noch immer nicht?
Dann überlegt euch, ob ihr diese Personen
wirklich in eurem Umfeld haben
wollt. Es liegt allein in eurer Hand, ob ihr
heiraten und Kinder kriegen oder Karriere
machen wollt. Für welchen Weg ihr euch
entscheidet, ist irrelevant - solange ihr
euch aus eigener Überzeugung für einen
entscheidet, kann es nur der richtige
sein. Ich für meinen Teil weiß, was ich
will und vor allem: Ich weiß, was ich
nicht will. Und reinreden lasse ich mir da
auch gar nichts mehr. Wenn ich dafür als
Egoistin betitelt werde, dann bin ich das
gerne. ●
Maria Lovrić-Anušić ist 24 Jahre alt und
in Wien aufgewachsen. Sie arbeitet als
freie Journalistin und studiert nebenbei
Publizistik.
40 / EMPOWERMENT SPECIAL /
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42 / EMPOWERMENT SPECIAL /
Mit 25 Jahren auf eigenen Beinen stehen, Erfolg haben und eine Familie
gründen. Autorin Nihal Shousha hatte eigentlich einen fixen Plan für ihr
Leben. Warum es für sie aber doch kein Weltuntergang ist, diese Ziele noch
nicht erreicht zu haben.
Von Nihal Shousha, Fotos: Zoe Opratko
Ich gehöre zu den wenigen Menschen,
die schon als Kind genau
wussten, was sie in ihrem Leben
erreichen wollen. Bereits mit zwölf
Jahren wusste ich, dass ich in Zukunft in
der Welt der Medien Fuß fassen möchte
und mir zudem eine Karriere als Modedesignerin
aufbauen will.
Laut meinem Plan, den ich in meiner
Kindheit geschmiedet hatte, sollte ich
mit 25 auf eigenen Beinen stehen,
finanziell unabhängig, selbstständig und
erfolgreich sein und eine eigene Familie
gegründet haben. Heute bin ich 25, Single
und studiere noch. Ich mache zwar
den Master und arbeite gleichzeitig in
meinem Gebiet, jedoch heißt es trotzdem
für viele Menschen in meiner arabischen
Community, dass ich bis jetzt nicht viel
erreicht hätte. Da eine Frau „in meinem
Alter“ eher eine Familie als eine Karriere
anstreben sollte oder eine Weiterbildung.
Familie ist wichtig, aber Frauen existieren
nicht nur, um eine Familie zu gründen.
Jede Frau setzt für sich andere Prioritäten.
ICH WILL MICH NICHT
MEHR RECHTFERTIGEN
Als sichtbare Muslima spüre ich zudem
noch den Druck, ein Vorbild für meine
Community sein zu müssen. Wenn
ich mich falsch verhalte, passiert das
scheinbar stellvertretend für all die 1,9
Milliarden Muslime weltweit. Ich darf keine
Grammatikfehler machen, denn das
deutet auf meinen Migrationshintergrund
hin. Ich darf mich bloß nicht versprechen,
sonst geht man automatisch davon
aus, dass ich kein Deutsch kann. Ich
muss mich mehr bemühen als alle anderen.
Ich möchte das nicht mehr tun. Ich
möchte mich nicht nur zu Wort melden,
um zu beweisen, dass ich der deutschen
Sprache mächtig bin. Ich möchte mich
nicht extra in einem Gespräch einbauen,
um meinen KollegInnen zu beweisen,
dass ich ein normaler Mensch bin. Ich
möchte ich selbst sein. Ich darf Fehler
machen. Ich bin kein Vorbild, sondern
einfach ich. Ich bin Nihal, eine simple
Frau, die sich vom gesellschaftlichen
Druck befreien möchte. Ich habe große
Träume, die ich eines Tages erreichen
werde, ohne dabei jemandem etwas
beweisen zu müssen.
Wer sagt, dass man in einem
bestimmten Alter bestimmte Dinge
erreicht haben muss? Wer sagt, dass
man in einem bestimmten Alter verheiratet
sein oder Kinder haben muss? Es
gibt kein perfektes Alter, um bestimmte
Dinge im Leben zu erreichen. Das ist
eine individuelle Reise, die jeder unabhängig
von äußeren Einflüssen selbst
bestimmen sollte. Im Laufe der Zeit habe
ich gelernt, dass das Alter nur eine Zahl
ist. Oft ist dieses einschränkende Denken
tief in der Gesellschaft verankert. Je älter
man wird, desto schneller rücken Ziele
dabei in weite Ferne. Aber wieso? Das
Leben hat mehr zu bieten, als dass man
sich an Zahlen bindet. Wir sollten uns
nicht mit irrelevanten Regeln selbst im
Weg stehen.
„
Es gibt kein perfektes
Alter, um bestimmte
Dinge im Leben
zu erreichen.
“
EINEN GANG
ZURÜCKSCHALTEN
Ich hatte die Chance, in diverse Medienhäuser
in Österreich zu schnuppern, und
landete sogar meinen langersehnten
Traumjob als Redakteurin in einem Medienkonzern.
Dort verstand ich schnell,
dass die Position nicht meiner Vorstellung
entsprach und nicht zu mir passte.
Mein Arbeitgeber und ich hatten unterschiedliche
Interessen und unterschiedliche
Ziele. Die entscheidende Situation
war, als eines Tages der Islamische Staat
das Kernthema in einer Redaktionssitzung
war und dabei jeder mich beobachtete
und neugierig auf meine Reaktion
wartete. In diesem Moment wusste ich,
dass ich am falschen Ort und im falschen
Umfeld war. Nachdem ich gemerkt hatte,
dass ich mich in meinem Traumjob fehl
am Platz fühlte, war das eine große
Enttäuschung für mich. Immerhin hatte
ich mir diesen Job jahrelang gewünscht!
Ich bin in eine Schockstarre verfallen, als
ich verstand, wie viele Medien bewusst
nicht die ganze Wahrheit zeigen wollen.
Ihnen war es wichtiger, über anregende
Themen als über relevante gesellschaftspolitische
oder unbehandelte Themen zu
berichten.
In dem Moment begriff ich, dass es
okay ist, etwas zu probieren und mir
dann einzugestehen, dass es mir nicht
gefällt. Es ist okay, wenn ich in eine
Branche einsteige und wieder aussteige.
Es ist okay, meine Ziele und Interessen
zu ändern. Wie einen die Leute betrachten,
ist das Letzte, was dich interessieren
sollte. Ob du als verwirrt oder
unentschlossen im Leben abgestempelt
wirst, weil du dein Studium zweimal
gewechselt hast oder drei unterschiedliche
Richtungen studieren möchtest, ist
bedeutungslos. Es ist in Ordnung, nicht
zu wissen, was man studieren möchte
oder ob man überhaupt studieren möchte.
Momentan mache ich den Master aus
reinem Interesse. Auch wenn manchmal
Menschen in meiner Umgebung sarkastisch
nachfragen, ob ich mein ganzes
Leben mit dem Studieren verbringen
möchte, werde ich mein Ding durchziehen.
●
Nihal Shousha ist 25 Jahre alt und ist
in Wien geboren und aufgewachsen. Die
Masterstudentin arbeitet als Journalistin
& Social Media Assistentin.
/ EMPOWERMENT SPECIAL / 43
„SCHREIB MAL
ÜBER DEINE LEUTE!“
ZWISCHEN QUOTE UND FREMDBESTIMMUNG
Woke und progressiv – so stellt sich der Großteil des österreichischen
Journalismus dar. Schafft man als Frau mit Migrationshintergrund den
Schritt in die österreichische Medienlandschaft, ist die Schlacht noch lange
nicht geschlagen. Dann fängt es erst so richtig an.
Von Jelena Čolić, Fotos: Zoe Opratko
44 / EMPOWERMENT SPECIAL /
Schreib mal über deine Leute,
Jelena“, meinte mein damaliger
Chef zu mir. Ich machte
gerade ein Praktikum bei
einer Tageszeitung. Wen meint er denn?
Vorarlberger*innen? Leute aus Ex-Yu?
Frauen unter 1,60 m? Auf meinen verwirrten
Blick entgegnet er mir, ich könne
doch einen Text über die Auswirkungen
von Corona auf die Ex-Yu-Diaspora und
ihre Sommerpläne schreiben. Natürlich
betrifft es doch auch mich und meine
Familie – aber warum bin ich plötzlich
Pressesprecherin für alle Ex-Yus in
Vorarlberg geworden? Macht mich allein
mein Migrationshintergrund zu einer
Expertin? Nein, natürlich nicht. Andererseits
habe ich es auch satt, wie in den
gängigen Medien über „uns“ berichtet
wird. Man erinnere sich an Meldungen
wie „Ausländer sind schuld an Corona,
weil sie über Weihnachten zuhause
waren“.
ZWISCHEN
PFLICHTGEFÜHL UND
HERZENSANGELEGENHEIT
Der österreichische Journalismus
braucht mehr Diversität. Eine einzige
queere Person, jemand, dessen Nachname
mit „ić“ endet oder eine Person
mit Kopftuch einzustellen, macht die
Redaktion noch lange nicht divers.
Schon gar nicht, wenn diese Person nur
über ihre*seine Themen schreiben soll.
Natürlich sollen alle Ressourcen genützt
werden – Fremdsprachenkenntnisse,
Kontakte oder spezielles Know-how bei
einem Thema, aber es kann nicht sein,
dass ich unfreiwillig zur Diversity-Beauftragten
gemacht werde, nur weil ich
anders bin als der Rest der Belegschaft.
Bei einem Bewerbungsgespräch meinte
mein Chef: „Wir mögen dein Profil so
gerne und freuen uns auf die frischen
Perspektiven, die du aus deiner Community
einbringen kannst.“ Ich hatte noch
nicht mal begonnen dort zu arbeiten
und mein Schwerpunkt schien schon
festzustehen.
Ich denke, viele Journalist*innen,
die einer Minderheit angehören, kennen
dieses Gefühl. Ich fühle manchmal
fast diese Pflicht, über „meine“ Leute
zu schreiben, weil ich es besser kann.
Ich habe einen besseren Zugang zu den
Communitys und spreche die Sprache.
Und wenn ich es nicht mache, würde das
Thema vielleicht unbehandelt bleiben.
Mögliche Gründe dafür sind die mangelnde
Vielfalt in den Redaktionen und die
Tatsache, dass für viele Journalist*innen
Themen, die außerhalb ihrer Lebensrealität
sind, unsichtbar sind – natürlich gibt
es Ausnahmen wie bei außenpolitischen
Themen oder Kriegsberichterstattung,
aber selbst da lassen sich rassistische
Tendenzen herauslesen und oftmals
werden typische Stereotype bestärkt. Ich
kann ja nicht ständig über den österreichischen
Journalismus bashen und dann
nichts ändern, oder? Das Tauziehen im
Kopf geht los. Was mache ich denn jetzt?
Ich wollte es lange nicht sehen – es
werden an Migrant*innen andere Erwartungshaltungen
gestellt als an Autochthone.
Sogar im Qualitätsjournalismus,
der sich selbst als progressiv und woke
einschätzt. „Hast du den Text wirklich
selber geschrieben? Er ist so gut“,
entgegnet mir mein damaliger Chef,
nachdem ich einen Text abgab, an dem
ich drei Wochen gearbeitet hatte.
Der Journalismus Report (2020) zeigt
folgende Merkmale für Journalist*innen
in Österreich: Cis-Mann, 46 Jahre,
arbeitet Vollzeit, kein Uni-Abschluss
und arbeitet für ein Printmedium. Diese
Beobachtung machte ich auch schnell.
Berufseinstiege sind nie leicht. Als Frau
mit Migrationshintergrund fallen zwei
Diskriminierungskategorien auf einmal
zusammen: Sexismus und Xenophobie.
Die anfängliche Freude endlich in
einer Redaktion zu arbeiten wird schnell
überschattet von einer Pasta Mixta aus
dem bekannten Hochstapler-Syndrom,
People-Pleasing und dem Gefühl die
eigene Community nicht enttäuschen zu
wollen. Ich will zu einem Vorbild werden.
Ich konnte meinen Kolleg*innen noch
nicht einmal erklären, wie man meinen
Nachnamen ausspricht und schon brach
das Hochstapler-Syndrom über mich
herein. Gedanken wie „Vielleicht gehöre
ich ja wirklich nicht hier hin?“ und „Ich
bin nicht gut genug!“ machten sich in mir
breit. Ich musste mich nur umschauen,
um zu sehen, dass mich der Journalismus
aufgrund meines Profils eigentlich
nicht in einer Redaktion sitzend sieht.
Diese Zweifel zusammen mit meiner
Erziehung, dass man Erwachsenen nicht
widerspricht – auch wenn ich selbst
schon erwachsen bin – und der verinnerlichten
Scham, machten mich zu einem
leichten Opfer für die Scharade der Vielfalt
in österreichischen Redaktionen. Ich
sollte ja überhaupt dankbar sein, dass
ich hier sitzen darf. Viele schaffen ja das
nicht einmal.
Es brauchte viele empathische
Kolleg*innen, Vorbilder wie Melisa Erkurt
oder Olivera Stajić, und auch Therapie,
um diesen Irrglauben abzulegen. Ich
habe genauso eine Berechtigung als
Journalistin zu arbeiten – genauso wie
ein Maximilian oder eine Lisa.
„NE DAJ SEBE NI ZA
KOGA“
Mit diesem Satz bin ich aufgewachsen.
Es heißt so viel wie „Gib dich für niemanden
auf“. Für mich steckt hinter diesem
Satz der Mut und die Liebe meiner Eltern,
die sich vielen Hindernissen stellen
mussten, um sich ein Leben in einem
Land aufzubauen, das ihnen nichts
gab. Viele Diasporakids haben ähnliche
Geschichten. Es ist nur logisch, dass
Journalist*innen mit einem ähnlichen
Background auch das in ihre Arbeit einfließen
lassen.
Über die eigene Community zu
schreiben, geht aber oft mit familiären
Konflikten einher. Das Tauziehen geht
wieder los. Ist es dieser Text wert, dass
ich Stress mit meiner Familie habe, weil
ich ihr und unserer Community einen
Spiegel vorhalte? Das würde die Redaktion
natürlich feiern, weil wenn ich schon
über meine Community schreibe, dann
nur kritisch. Unsere Migrationsgeschichte
definiert uns nicht. Natürlich hat sie
einen erheblichen Einfluss auf unsere
Weltanschauung und prägt unsere
Lebensrealität. Es ist aber keineswegs
ein Freifahrtschein für Vorgesetzte uns in
Schubladen zu stecken. Also gebt euch
für niemanden auf und vergesst nicht,
woher ihr kommt – auch wenn es sich
manchmal so anfühlt, als ob die Gesellschaft
euch dazu zwingen würde. ●
Jelena Čolić ist 25 Jahre alt, hat
bosnisch-kroatischen Wurzeln und ist in
Vorarlberg geboren und aufgewachsen.
2015 ist sie fürs Studium nach Wien
gezogen und hat seitdem in verschiedenen
Redaktionen als Journalistin gearbeitet.
/ EMPOWERMENT SPECIAL / 45
KARRIERE & KOHLE
Para gut, alles gut
Von Šemsa Salioski
MEINUNG
Kein Geld, keine
Auslandserfahrung?
In all den Jahren an der Uni habe ich kein
einziges studierendes Arbeiter*innenkind
kennengelernt, das ein Auslandssemester
gemacht hat. Nicht überraschend, dass von
100 Nicht-Akademiker*innen-Kindern nur 22
ein Bachelor- und nur 7 ein Masterstudium
beginnen. Das finanzielle Risiko für Personen,
in deren Familien die Krise ausbricht,
wenn die Waschmaschine kaputtgeht,
scheint immer zu hoch zu sein. Im Notfall
500 Euro von Mama und Papa geschickt zu
bekommen, geht nicht, weil dann die Miete
daheim nicht bezahlt werden kann. Ich
verzichtete wie viele darauf, ein Auslandssemester
auch nur in Erwägung zu ziehen. Zu
unrealistisch, zu kompliziert! Jetzt frage ich
mich, ob direkt Aufgeben ein Fehler war. Es
gibt nämlich neben den üblichen Uni-Stipendien
noch viele externe Finanzierungsmöglichkeiten
für Auslandsaufenthalte, die man
in der schlechteren finanziellen Lage unbedingt
nutzen sollte. Für den Anfang braucht
man nur ein Mobility-Online-Konto, auf dem
dein Sammelzeugnis, ein Motivationsschreiben,
dein Sprach- und Identitätsnachweis
hochgeladen werden. Try it! Man lernt, verantwortungsvoll
mit Fristen und Geld umzugehen,
ist vor Ort auf sich alleine gestellt
und kann zusätzlich Social- und Sprachskills
aufbessern. Arbeiter*innenkinder sollten
in Zukunft versuchen, Türen wie diese mit
allen (finanziellen Hilfs-) Mitteln aufzureißen,
anstatt an ihnen vorbeizulaufen.
salioski@dasbiber.at
WELCHE UNI-MOBILITÄTS PRO
GRAMME GÖNNEN WIE VIEL
PARA?
→
Erasmus + Studienaufenthalt: Studienaufenthalt an Universitäten in
Europa – ca. 380-480 Euro im Monat.
→
Erasmus+ Praktikum: Studienbezogene Praktika in Europa - ca. 480-
580 Euro im Monat.
→
Erasmus+ International: Studienaufenthalt an Universitäten außerhalb
von Europa - bis zu 700 Euro im
Monat.
→
Non-EU Student Exchange: Studienaufenthalt
an Universitäten außerhalb
von Europa - ca. 250-500 Euro im
Monat.
→
KWA – Kurzfristige wissenschaftliche
Auslandsstipendien: Forschungsaufenthalte
für Diplom- und
Masterarbeiten – ca. 600–1100 Euro
im Monat.
Mehr Infos unter:
https://international.univie.ac.at/studierendenmobilitaet/outgoing-students/
ANDERE PARA
GÖNNER FINDET
IHR UNTER:
● Österreichs umfangreichster
Datenbank für Stipendien
und Forschungsförderung
(darunter Stipendien wie
Andrássy Postgraduate-
Stipendium des BMBWF,
CEEPUS, Monbukagakusho-
Stipendium, Aktion Österreich-
Ungarn (Outgoing):
www.grants.at
● Beihilfe für ein Auslandsstudium:
https://www.stipendium.at/
● Eurodesk Opportunity Finder
(Kurse, Praktika, Stipendien
für Europäer*innen): https://
programmes.eurodesk.eu/
learning
Veranstaltungstipp
Online Live Info
Sessions zu Studium und
Praktikum im Ausland
mit Erasmus+ & Co
Das International Office beantwortet
in der Infoveranstaltung alle Fragen
rund um die Mobilitätsprogramme der
Universität Wien. Nächster Termin: 14.
Juni 2022
Mehr Infos unter:
https://international.univie.ac.at/studierendenmobilitaet/outgoing-students/
digitale-infoveranstaltung/
© Zoe Opratko, unsplash.com/Nareeta Martin
46 / KARRIERE /
J e t z t
D r o g i s t * i n ,
F r i s e u r * i n
o d e r K o s m e t i k e r * i n
w e r d e n .
d m - l e h r e . a t
Traust du dir zu,
mit den
Besten zu
arbeiten?
Du liebst die Herausforderung und willst zeigen, was du draufhast?
Du hast Spaß daran, Neues zu lernen und möchtest an spannenden
Aufgaben wachsen? Ob als Drogist*in, Friseur*in oder Kosmetiker*in
und Fußpfleger*in – bei dm arbeitest du mit einem Team, das an
dich glaubt. Und dich vieles ausprobieren lässt. Bist du bereit?
Mein dm-App
dm.at
„Herr Fessor, sind Sie
wirklich ein echter Švabo?“
Lehrer Alexander
Sigmund (Mitte) mit
seinen Schüler:innen
Er sieht wie ein „Super-Švabo“ aus, fühlt sich aber nicht so.
Der Deutschprofessor Alexander Sigmund über seinen
babylonischen Alltag in einer HAK in Favoriten.
Fotos: Mafalda Rakoš
48 / MIT SCHARF /
W
as auf den ersten Blick für viele Lehrer*innen
wie eine versteckte Beleidigung klingen
mag, ist für mich eigentlich ein schönes
Kompliment, das mir schon öfter gemacht wurde. Dass
ich angesichts meiner Erstsprache ein Švabo bin, ist
meinen Schüler*innen klar, doch etwas passt nicht ganz
in ihr Švabo-Stereotyp. Sind meine Haare zu dunkel?
Mein Bart zu dicht? Meine Einstellung zu südländisch,
obwohl ich doch als Lehrer vermeintlich – so die häufige
Schüler*innendefinition – strenger, humorloser und
pedantischer sein müsste?
Hvala, Jovane, srećan Uskrs tebi i tvojima! (Danke,
Jovan, dir und deiner Familie auch frohe Ostern!) Was
jemanden bei einem Gespräch unter Ex-Jugos nicht
verwundern würde, überrascht dann doch aus dem Mund
des Deutschlehrers. Ex-Jugo-Wurzeln? In Beziehung mit
einer BKS-Sprecherin? Aber nein, ja sam samo Austrijanac
(Ich bin nur Österreicher), aber mit so vielen Personen
aus verschiedenen Kulturen aufgewachsen und zur
Schule gegangen, dass ich einige Jugo-Clubs persönlich
kenne, schon kläglich kolo getanzt habe, sarma und roštilj
oft gegessen habe, die Bedeutung einer slava kenne und
auch gute Grundkenntnisse in BKS (plus Schimpfwortkenntnisse
in diversen, anderen Sprachen) habe, die aber
noch ausbaufähig sind.
Doch neben meinen Freund*innen vom Balkan bin
ich auch mit vielen v. a. türkisch-, polnisch- oder andersstämmigen
Kindern bzw. Jugendlichen aufgewachsen,
die alle ihre Spuren in meiner Sozialisation hinterlassen
haben. Über die Grundzüge des Islams Bescheid
zu wissen, mit indisch- oder pakistanischstämmigen
Schüler*innen über das perfekte Curry oder Dal zu philosophieren
oder im seltenen Fall auf BKS oder Türkisch
die Jugendlichen anzusprechen oder liebevoll zurückzuschimpfen,
begeistert meine Schüler*innen noch immer.
Denn ein Švabo ist für sie höchstens auf dem Gebiet der
Lederhosen, faden Hochkultur‘ und der Schnitzelzubereitung
bewandert.
„Herr Prof, wie können Sie sich für so viele verschiedene
Kulturen interessieren?“, fragte mich ein Maturant
in diesem Schuljahr. Sprachbegabung und Sozialisation
sind wohl wichtige Faktoren, die man als Kind bzw.
Jugendlicher wenig selber beeinflussen kann, aber Offenheit
und Neugierde am Neuen, Fremden, Anderen kann
man selbst kultivieren. Doch öfter, als man denken möge,
schließen sich genau die Schüler*innen mit Migrationshintergrund
leider in ihren kulturell-familiären Blasen ein.
Bin ich nun ein ‚echter‘ Švabo? Laut Reisepass, dem
Großteil meines Stammbaums und meiner Muttersprache
eindeutig ja, doch im Herzen bin ich die Summe aller
kulturellen Puzzlestücke, die ich im Laufe meines Lebens
zusammengesammelt habe – und somit irgendwie
auch ein bisschen „Čuxl“ (wie die Schüler*innen sagen
würden). Durch mehr Offenheit und Freude am Neuen
und Unbekannten aller Menschen können wir Diversität
in allen Formen nicht nur erleben, sondern vor allem
gemeinsam leben. ●
© Markus Korenjak
MEINUNG
MACHT PLATZ FÜR MEINE
SUPER-MAMA!
Ich lebe seit zehn Jahren in Wien. Meine Mutter lebte schon
länger hier. Ich musste bei meiner Oma in Kinshasa bleiben.
Aber meine Mutter arbeitete Tag und Nacht, um mich nach
Österreich holen zu können. Mein Vater hatte uns – meine
Mutter, meine Schwester und mich – plötzlich verlassen. Er
hatte angeblich einen wertvollen Stein im Kongo unter Wasser
gefunden. Nun war er sehr wohlhabend. Seine Mutter riet
ihm, meine Mutter zu verlassen. Und kurz darauf schmiss er
uns raus. Nun standen wir da, auf der Straße mit drei Koffern.
Ich war noch ein Baby. Meine Mutter ist mit uns nach Angola
gegangen. Warum sie das Land verlassen wollte, hat sie mir
nie so richtig erklärt. Ich glaube, sie hat sich geschämt. Wir
lebten dort für mehrere Monate in einer Art Flüchtlingsheim.
Eines Tages bekam meine drei Jahre ältere Schwester Bauchschmerzen.
Auf dem Weg ins Krankenhaus verstarb sie. Wie
und warum, das will mir meine Mutter bis heute nicht erzählen.
Sie hat das Grab ihrer Tochter nie gesehen und es gibt
nichts Schlimmeres, als das eigene Kind zu verlieren. Meine
Mutter gab nicht auf und zog wieder in den Kongo mit mir.
Sie ließ mich bei meiner Oma und ging nach Österreich. Hier
anzukommen, ohne die Sprache zu sprechen und eine Wohnung
zu haben, ist sehr schwer. Doch meine Mutter kannte
das Wort „schwer“ nicht. Sie arbeitete zuerst als Kellnerin.
Dann als Reinigungskraft. Sie lebte in einer kleinen Wohnung
nur mit den notwendigsten Sachen zum Leben. Sie leistete
sich keine Smartphone, keinen Schmuck, keinen Friseurbesuch.
Sie sparte nur Geld, um mich nach Österreich zu holen.
Nach einem Jahr war ich da und sie bekam mit den Jahren
immer bessere Jobs. Wir zogen in eine größere Wohnung. Ich
denke mit einem Lächeln an meine Kindheit, sie verlief ganz
gut und normal. Naja, nicht immer, manchmal musste ich einiges
aushalten als einziger schwarzer Junge in der Volksschulklasse.
Aber dank ihrer Ratschläge konnte ich jeden blöden
Spruch wegstecken und zu einer selbstbewussten Person
heranwachsen. Meine Mutter ist eine Kämpferin. Noch heute.
Sie ist die stärkste Frau, die ich kenne. Ich bewundere sie,
weil sie immer für mich da war und nie einen Mann gebraucht
hat, um all die Hürden, die das Leben bereithält, zu meistern.
Das ist der Grund, warum ich dich so sehr liebe, Mama!
Alex Maguala, 16, 1BS VBS Hamerlingplatz
/ MIT SCHARF / 49
DIE PARTNER:INNEN
„Die Biber-Redaktion informiert
durch wertvolle und vielfältige
Berichterstattung über Jugendthemen
und aktuelle Ereignisse. Als Jugendstadtrat
freue ich mich über diese bunte
Bereicherung der österreichischen
Medienlandschaft. Es ist großartig,
wenn junge Menschen mitgestalten
können und damit Zukunftsperspektiven
ermöglicht werden.“
Christoph Wiederkehr
Vizebürgermeister,
Stadtrat für Jugend und Bildung
„Wien steht für Vielfalt. SPAR steht für
Vielfalt. biber steht für Vielfalt. Es ist
schön, Partner für ein Jugendprojekt zu
sein, das diese Vielfalt auch abbildet.“
Alois Huber
SPAR-Geschäftsführer
Im Rahmen des Projekts „Newcomer“ touren biber-
Redakteur:innen durch Wiener Schulen und geben Jugendlichen
eine Woche lang die Chance, ihre Medienkompetenz
und Persönlichkeit zu stärken und neue (Job)-Perspektiven
zu sehen. Der biber-Newcomer wird von Menschen gestaltet,
die selbst aus zugewanderten Familien kommen und daher
wissen, mit welchen Schwierigkeiten die Jugendlichen auf
dem Weg ins Arbeitsleben konfrontiert sind. Wenn wir es
geschafft haben, können sie es auch!
Um Österreichs größte Schülerredaktion aufzubauen,
„Durch die lebensnahe Vermittlung
von Medienkompetenz und
der Möglichkeit sich Gehör zu
verschaffen, wird das Selbstvertrauen
der Schüler:innen gestärkt – damit
ist „Newcomer“ ein besonders
nachhaltiges Projekt.“
Heinrich Himmer
Bildungsdirektor für Wien
BMBWF/Lusser, Martin Lusser, SPAR/Johannes Brunnbauer, Georg Hochmuth, ÖBB Hauswirth, PID/David Bohmann
50 / NEWCOMER /
DER „NEWCOMER“
braucht es mehr als nur guten Willen. Es braucht enorm viel
Zeit, Geld und Know-how sowie verlässliche Partner, die das
Projekt begleiten.
Wir danken unseren vielen Leser:innen, die unsere Crowdfunding-Kampagne
unterstützt haben, um das Projekt zu
finanzieren.
Wir danken zudem folgenden Institutionen und Firmen für
die Unterstützung des „Newcomer“-Projekts: Bildungsdirektion
Wien, Arbeiterkammer, SPAR und ORF.
„Der ORF ist heimischer Marktführer in
Radio, Fernsehen und Online. Neun von
zehn Österreicher:innen nutzen jeden
Tag mindestens ein ORF-Angebot. Um
diese Erfolge weiterzuführen, müssen
wir uns weiterentwickeln und streben
nach mehr Diversität, Digitalisierung und
weiblichen Führungskräften.“
Mag. Roland Weißmann
ORF-Generaldirektor
AK/Sebastian Philipp, Thomas Ramstorfer / ORF, Bildungsdirektion Wien/Zinner, Zoe Opratko
„Guter Journalismus schafft Verständnis:
Indem er Einblicke in das Leben anderer
vermittelt, berührt, verbindet, Probleme
und Lösungen aufzeigt und eine Basis für
die Demokratie und das Zusammenleben
bildet. Es ist super, wenn sich junge
Menschen dafür begeistern.“
Renate Anderl
AK Präsidentin
/ NEWCOMER / 51
MEINUNG
SIND NOTEN WICHTIGER ALS
UNSERE GESUNDHEIT?
Seit über zwei Jahren Leben wir mit einer Pandemie.
Früher, als wir in der Schule die hohen Infektionsraten
gesehen haben, waren wir oft schockiert und haben
uns gefragt, wie es jetzt weiter geht. Jetzt lachen wir
nur mehr darüber. Corona ist zum Glück vorerst weg.
Blöderweise hat uns die Pandemie etwas dagelassen:
Den Stress, der vor allem uns Jugendliche zu mentalen
Erkrankungen führt. Das E-Learning hat eine Zeit
lang gut funktioniert. Dann aber ging mal das Internet
nicht, ein andermal streikte der Laptop. Diese Probleme
schlugen sich auf das Gemüt und waren nicht gerade
förderlich in der schweren Corona-Zeit. Die Noten spielen
sowieso eine zu große Rolle in der Schule. Wenn
sich schon VolksschülerInnen beschweren, dann könnt
ihr euch gut vorstellen, welcher Druck auf Schülern
in HAK, AHS oder HTL lastet. Und das bilde ich mir
nicht ein, wie mir manche LehrerInnen geantwortet
haben, als ich das Problem der mentalen Gesundheit
angesprochen habe. „Ich wünschte, ich würde noch
in die Schule gehen“ oder „Du bist noch so jung. Was
für Probleme wirst du schon haben?“ sind noch die
harmlosen Antworten, die man von Erwachsenen und
LehrerInnen hört.
Erstens sind wir auch nur Menschen und ja, wir können
auch solche Probleme haben! Zweitens bewirkt man mit
solchen letztklassigen Aussagen, dass viele Jugendliche
sich zurückziehen und nicht über ihre mentalen
Probleme sprechen möchten. Dann heißt es plötzlich
von Lehrerseite: „Warum bist du so leise?“ oder
„Warum sprichst du nie über deine Probleme?“ Naja, es
könnte daran liegen, dass ich es so oft versucht habe
und mich niemand mit meinen Problemen ernst genommen
hat. Dass sich viele Jugendliche danach in ihrem
Schneckenhaus verkriechen und auf stumm schalten,
wundert mich nicht. Es ist an der Zeit, die psychische
Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ernst zu
nehmen. Jetzt!
Tuba Kaya, 17, 3IK VBS Hamerlingplatz
UNTEN DIE ŠVABICA,
HIER DIE AUSLÄNDERIN
Was könnte ich mit „unten“ meinen? Natürlich mein Heimatland
Serbien. Als eine Person mit Migrationshintergrund
hat man das Privileg, die positiven Seiten beider Länder zu
genießen. Trotzdem gibt es immer wieder Menschen, die
den Miesepeter spielen. Ich musste nie Wörter wie „Migration“,
„Ausländer“ oder „Diskriminierung“ im Wörterbuch
nachschlagen und nach der Definition suchen. Ich hatte
all das am eigenen Leib zu spüren bekommen. Bei einem
Schulprojekt in der Unterstufe hatten wir als Auftrag, einen
Familienbaum zu gestalten und ihn der Klasse vorzustellen.
Meine Arbeit wurde nicht akzeptiert, da meine Lehrerin der
Meinung war, dass man es in Österreich nicht so machen
würde und dass das hier kein kleines Dorf in Serbien sei.
Oder folgende Situation: Am Flughafen sagt eine fremde
Person zu mir: „Ich wünsche dir einen guten Rückflug.“ Ganz
lieb, nur das ich mich gerade von meiner Tante verabschiedete,
die zurückflog. Ich blieb. Der Flughafen war in Wien,
meinem Zuhause. Faszinierend, wie schnell man durch sein
Aussehen diskriminiert werden kann. Als würdest du nicht als
ein ganzes Individuum angesehen, sondern als würde deine
Hautfarbe, deine Aussprache und dein Verhalten bestimmen,
wer du bist und wie du dich zu verhalten hast.
Hast du dein Land verlassen, gehörst du nicht mehr dazu.
Man ist sofort dieser Neuling aus Wien. Ich wurde in Serbien
geboren, bin dort aufgewachsen. Punkt. Ab dem Moment,
als mein Leben in Wien begonnen hat, nahm das Spiel einen
Wendepunkt. In Serbien zu sein, ist gut und schön, solange
man nicht vergisst, dass man nicht mehr dazugehört. Die
einen reden mit dir, als wärst du zum ersten Mal in diesem
Land. Die anderen suchen nur nach einer Chance, um dich
auszunutzen. Kaum bin ich wieder in Wien, ist das Handy
still.
Hier bin ich nicht „österreichisch“ genug und dort nicht
„serbisch“ genug. Ich bin wie zwei Pole, die sich ständig
voneinander abstoßen. Ich habe nicht nur eine Persönlichkeit.
Ich bin nicht nur eine Farbe. Meine Religion und mein
Glaube sollten nicht bestimmen, wie ich zu leben oder mich
zu verhalten habe. Ich bin nicht meine Religion – ich bin ich,
verwechselt das bitte nicht.
Tatjana Ranković, 17, 3IK VBS Hamerlingplatz
© Markus Korenjak
52 / MIT SCHARF /
TECHNIK & MOBIL
Alt+F4 und der Tag gehört dir.
Von Adam Bezeczky
Solarzellen, die
auch in der Nacht
Strom erzeugen
© Marko Mestrovic, unsplash.com/Valentin Petkov, unsplash.com/Manny Becerra, Electronic Arts
MEINUNG
Kommt der
Blackout?
Jahrelang haben ExpertInnen
gewarnt und Autoren gut
damit verdient: der Blackout.
Der komplette Ausfall der
Stromversorgung. Ursprünglich
nahm man an, dies würde
durch Hackerangriffe oder
Naturkatastrophen verursacht
werden. Die wenigsten dachten
an die ausbleibende Gasversorgung,
die jetzt durch
den Krieg in der Ukraine
droht. Mein Vorschlag wäre,
den Zivilschutz jetzt noch in
den warmen Monaten auszubauen
und den Menschen
beizubringen, wie sie einige
Tage ohne Strom durchkommen
können. Damit ist nicht
gemeint, aus dem nächsten
Supermarkt 100 kg Klopapier
mitzunehmen, sondern nur
ein 6er Tragerl Mineralwasser
in den Keller zu stellen, und
vielleicht die Nudeln, die man
vor dem Lockdown gekauft
hat, auf das Haltbarkeitsdatum
zu überprüfen.
bezeczky@dasbiber.at
paprikap0w3r
Notstrom
Computeringenieure haben ein
batterieloses System entwickelt,
mit dem elektronische Geräte,
die nur zeitweise eine Stromversorgung
erhalten, betrieben werden
können. Das bedeutet, dass
diese Geräte auch bei Verlust der
Stromversorgung Berechnungen
pausieren können. Das BFree
genannte System könnte durch
die reibungslose Wiederaufnahme
von Programmen eine neue
Bewegung nachhaltiger DIY-Elektronik
ermöglichen.
Was ist mit Dice los?
Battlefield 2042 ist, so wie
der Vorgänger Battlefield 5, in
Turbulenzen. Fallende Spielerzahl,
Balancingprobleme
... EA verspricht Besserung
und kündigt an, bereits am
Nachfolger zu arbeiten. Meine
Bitte an die Shareholder
dieser Firmen: Lasst‘s den
Developern mehr Zeit, ihre
Produkte fertig zu programmieren.
Die Franchise leidet
ForscherInnen der Universität Stanford
haben Solarzellen entwickelt,
die auch in der Nacht Strom produzieren.
Bisher war das aufgrund
des fehlenden Sonnenlichts nicht
möglich - die Stromerzeugung funktioniert
hier durch einen thermoelektrischen
Generator, der aus dem
Temperaturunterschied zwischen
Solarzelle und Umgebungsluft geringe
Mengen Strom gewinnt.
unter den häufigen Neuveröffentlichungen,
die im
Kern das Battlefield-Erlebnis
stören. Die Fans sind ja eh
schon leidgeplagt: Sie wollen
doch nur eine Neuauflage
von Battlefield 4 mit aktueller
Grafik - das Gameplay
einfach 1:1 übernehmen,
vielleicht die Hubschrauber
entschärfen. Es wär so leicht.
Man müsste halt wollen.
/ TECHNIK / 53
„Es ist wirklich grausig,
wie manche Leute mit
ihren Geräten umgehen.“
Technik-Guru
Mazen El-Aassar
54 / MIT SCHARF /
Mazen „Fahmy“ El-Aassar
(26) hat seine Faszination
für Technik zum Beruf
gemacht. Der gebürtige
Wiener mit ägyptischen
Wurzeln gründete dieses
Jahr die Firma „Infinitech“
und gibt seine Top-Tipps
für ein langes Leben von
Elektrogeräten.
Von Nada El-Azar-Chekh,
Foto: Markus Korenjak
BIBER: Wie entstand dein Interesse für
Technik?
MAZEN EL-AASSAR: Einmal ging der
Gameboy von meinem Bruder kaputt.
Damals war ich etwa acht oder neun.
Und ich dachte mir: Ich schau einfach
rein. Die Platine zu sehen, die Schrauben
und Chips – das hat mich sofort interessiert.
Ich wollte schon immer wissen,
wie Dinge funktionieren. Warum zeigt
ein Fernseher ein Bild? Warum kann er
etwas anzeigen, das tausende Kilometer
entfernt passiert? Später, als Jugendlicher,
habe ich mir über Youtube-Videos
viel beibringen können und gelernt,
wie man eine Diagnose erstellen kann
und woher man Ersatzteile bekommt.
Anfangs habe ich auch Sachen kaputtgemacht,
beim Displaytausch oder so, aber
das gehört dazu.
Wie wurde aus dieser Leidenschaft eine
eigene Firma?
In der Schule konnte ich mich nur schwer
konzentrieren – ich brauche einfach das
Praktische, das liegt in meiner Natur. In
meiner Familie wurde ich schnell zu dem,
der jede Kleinigkeit repariert. Dann auch
in der Schule und in meinem Freundeskreis.
Ich habe in Handyshops und
einer EDV-Firma gearbeitet, habe eine
Microsoldering-Ausbildung gemacht, bei
der ich an Platinen unter dem Mikroskop
arbeite und seit Februar habe ich meine
Firma Infinitech. Am häufigsten kommen
Kunden mit Displayschäden, Akkuschäden
und Wasserschäden zu mir.
Feinarbeit unterm Mikroskop: Mazen kümmert sich auch um die kleinsten Probleme
Was war einer der schwierigsten Fälle
bis jetzt?
Es ist wirklich grausig, wie manche Leute
mit ihren Geräten umgehen. Einmal kam
ein Raucher mit seinem Laptop zu mir,
weil dieser zu schnell überhitzt. Jede Öffnung
des Geräts und der Lüfter waren so
verstopft mit Nikotin und Dreck, dass der
Akku sich schon aufgebläht hatte. Das
kann wirklich gefährlich werden, denn
wenn der Akku öfter heißer als 60°Celsius
wird, können sich Gase bilden, die
austreten wollen. Drei Stunden habe ich
mit der Reinigung und Reparatur verbracht
– und das Gerät war danach nicht
wiederzuerkennen.
Welche Tipps gibst du deinen Kundinnen
und Kunden?
Daten sichern! Daten sind unbezahlbar,
und man bekommt sie nicht mehr
zurück, wenn sie weg sind. Unbedingt
iCloud und Google Fotos installieren und
dafür etwas zahlen. Zwei oder drei Euro
tun nicht weh, da spart man sich einfach
einen Döner – und viel Stress.
Was sollte man noch beachten?
Bei den meisten Akkus sind eine
bestimmte Zahl von Ladezyklen enthalten.
Lässt man das Gerät zwischen
20 und 80 Prozent aufgeladen, hält er
wesentlich länger. Ganz wichtig sind
noch Cover und Schutzfolien - gerne hier
auch ein wenig mehr zahlen. Versichert
man sein Gerät zusätzlich noch, kann
man sehr viel Geld für Reparaturen
sparen.
Infinitech ist Partnerbetrieb beim
Reparaturbonus! Spare damit bis
zu 200 Euro für deine Geräte.
Mehr Informationen unter:
www.infinitech.at
/ MIT SCHARF / 55
MEINUNG
RAUBTIER DER SPIELAUTOMATEN
Mein Leben war früher noch gut, weil ich mich an Regeln
hielt. Regeln machen uns zu Menschen, ohne sie wären wir
Tiere. Ich aber wurde zum Raubtier der Spielothek. Freunde
findet man überall, auch die ganz schlechten, die dir die Welt
des Spielens zeigen. Und ich fand richtig schlechte. Es dauerte
nicht lange und mein Alltag bestand nur noch aus Casinos,
Underground-Casinos und Spielotheken.
Das „Beste“ ist noch, wenn einer deiner Verwandten, den
du sehr gut kennst, ein eigenes Underground-Casino hat
und du gefühlt jedes Wochenende bei ihm zockst. In einem
Underground-Casino gibt’s nicht diese Eleganz und Finesse
wie in den Casinos Austria, du hörst nicht mal den Spruch:
winner, winner, chicken dinner! Am Tisch wird die ganze Zeit
nur getrunken, geraucht, geschimpft und auch gedroht.
Ich will nicht lügen und behaupten, es habe keinen Spaß
gemacht, oh nein, es hat mehr als Spaß gemacht. Stell dir
vor, du gehst mit 20 € rein und machst plötzlich 400 € bis
500 € schnelles Geld. Mit dem Geld kannst du deine süße
Freundin einladen oder deinen Eltern etwas Schönes kaufen
oder, was ich hätte tun sollen: das Geld sparen und aufhören
zu zocken…
Irgendwann wollte ich mehr Geld einsetzen und die Gewinnchancen
erhöhen, aber wie, wenn ich keines hatte? Geld ausleihen
– von meiner Freundin, von Freunden? Meinen Eltern
erzählen, dass ich eine Investition gefunden habe … doch
welche? Das Ergebnis: eine beendete Beziehung, Schulden
bei Freunden und das Vertrauen der Eltern verloren.
Ich war am Ende. Aber genau diese Fehler machen uns zu
erwachsenen Menschen. Ich habe daraus gelernt und arbeite,
um das Geld wieder zurückzuverdienen, und natürlich
spare ich jetzt mein Geld. Zum Glück hatte ich auch Freunde,
die mich unterstützt hatten und mir aus dieser Lage herausgeholfen
haben. Ich hab’s auch meinen Eltern erzählt, am
Anfang waren sie nicht wirklich begeistert davon, aber sie
wissen, dass ich das nie wieder tun werde. Und mit meiner
Freundin? Derzeit wollen wir es wieder versuchen und sie
findet es gut, dass ich auf „Entzug“ bin. Am Ende musst du
dir Frage stellen: Ehrliches Geld oder doch jeden Tag das
Klingeln des Spielautomaten hören, wenn du einen hohen
Gewinn erzielst?
Marcell Mijailović, 20, 1AL, BHAK und BHAS Wien 10
SOZIALE MEDIEN
VERURSACHEN KOMPLEXE
„Ich könnte mir ein Leben ohne Smartphones und Soziale
Medien nicht vorstellen“, so die gängige Meinung in
meinem Freundeskreis. Das spiegelt sich auch im Freizeitverhalten
von uns „Digital Natives“ wider. Wie war
das damals? Wenn man mit seinen Freunden rausgehen
wollte, hat man sie einfach angerufen oder ihnen eine SMS
geschrieben. Man hat sich einen Treffpunkt ausgemacht, et
voilà. Wenn man an Informationen kommen wollte, hat man
die Zeitung aufgeschlagen oder TV-Nachrichten geschaut.
Alles easy. Und jetzt? Wir nutzen Social Media alltäglich
und lassen die Bilder, die dort fertig gefacetuned oder
retuschiert gepostet werden, auf uns wirken. Wir hören von
den negativen Sachen, die durch Social Media angerichtet
werden: geringes Selbstwertgefühl, Komplexe, Depressionen
oder Angstzustände. Im schlimmsten Fall können diese
Symptome zu Selbstverletzungen oder gar Selbstmord
führen. Wo leben wir bitte überhaupt, wenn mobile Apps
die Kraft haben, uns zu zerstören?
Ich bin jeden Tag auf Instagram, Snapchat oder TikTok
und muss sagen, dass ich auch oft darunter leide, mich
irgendwie selbst schön finden zu müssen. Viele Mädchen
kriegen Komplexe, wenn sie einzigartige, schöne Menschen
über Social Media sehen. Wenn sie kein Problem
mit ihrem Aussehen haben, selbstbewusst sind und Fotos
von sich posten, kommt dann aber die Hate-Speech. Man
kann es niemandem recht machen. Wieso wird in der
Gesellschaft nicht mehr über Intelligenz und innere Werte
gesprochen und stattdessen nur aufs Aussehen geachtet?
Wie würden wir ohne Soziale Medien unser Leben führen?
Ganz verzichten möchte ich trotz all der negativen Social-
Media-Begleiterscheinungen auf sie aber trotzdem nicht.
Ich möchte schließlich mit meinen FreundInnen in Kontakt
bleiben und ihnen auf Insta folgen. Und es gibt so etwas
wie sozialen Druck. Der Druck, der viele meiner Freundinnen
dazu zwingt, hübscher und einzigartiger als so viele
andere junge Frauen zu sein. Muss ich genauso wie jede
klassische Influencerin ausschauen? Ich liebe mich und
meinen Körper. Das muss das Wichtigste sein. Alles andere
kommt danach.
Denisa Gramblickova, 17, 3IK, VBS Hamerlingplatz
© Zoe Opratko, Markus Korenjak
56 / MIT SCHARF /
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MEINUNG
#MenToo
Neuerdings vertreibe ich mir meine morgendliche
Schminkzeit mit dem Livestream
des Prozesses zwischen Johnny Depp und
seiner Exfrau Amber Heard. Die öffentliche
Schlammschlacht zwischen den Schauspielern
wurde zu meiner neuen Lieblings-Reality-TV-Serie.
Neben vielen Fragezeichen, die
sich um pikante Details aus der wahrscheinlich
toxischsten Beziehung Hollywoods
ranken – ja, ich meine damit auch die K*cke
in Johnnys Bett und die Sache mit seinem
beinahe abgetrennten Finger – ist der
Prozess vor allem deswegen so interessant,
weil sich mit ihm endlich die Kehrseite von
#MeToo aufgezeigt haben könnte. Wilde
Anschuldigungen reichen in einem funktionierenden
Rechtsstaat eben nicht aus, um
andere für schuldig zu befinden und ganze
Karrieren zu beenden. Auch Frauen können
berechnend und destruktiv sein – sie sind
nicht nur Opfer, sondern können durchaus
auch Täterinnen sein. Wer das nicht glauben
kann, denkt schlicht sexistisch. Manch
einer unterstellt Heard sogar, sie habe mit
ihren Lügen wahre Opfer von häuslicher
Gewalt verhöhnt. Beziehungen sind aber
am Ende des Tages genauso komplex, wie
die menschliche Psyche. Es ist bekanntlich
nicht alles schwarz und weiß. Wie auch
immer der Prozess ausgehen mag: Er könnte
vielleicht der Ausgangspunkt einer neuen
Bewusstseinskampagne sein: #MenToo.
el-azar@dasbiber.at
KULTURA NEWS
Klappe zu und Vorhang auf!
Von Nada El-Azar-Chekh
Gratis
ins Museum
Schon gewusst? Bis zur Vollendung des
19. Lebensjahres können Kinder und
Jugendliche gratis in alle österreichische
Bundesmuseen. Dazu gehören:
Albertina, Kunsthistorisches Museum,
Museum für Moderne Kunst, Oberes
und Unteres Belvedere, Technisches
Museum und viele mehr! Diese Chance
solltet ihr euch nicht entgehen lassen.
Film-Tipp
DER SCHLIMMSTE
MENSCH DER WELT
Julie wird bald 30 und weiß immer noch
nicht, wohin mit sich. Ihr über zehn Jahre
älterer Freund Aksel feiert große Erfolge als
Comicbuchautor, während sie nur auf ein
paar abgebrochene Studiengänge schauen
kann. Dann lernt sie den exzentrischen Eivind
kennen und alles wird anders. Eine Tragikomödie
von Regisseur Joachim Trier über das,
was es bedeutet, ein Millennial zu sein.
Ab 2. Juni 2022 in den
österreichischen Kinos!
Buch-Tipp:
DSCHINNS
30 Jahre lang musste Hüseyin
in Deutschland arbeiten,
um sich endlich den Traum
einer Eigentumswohnung
in Istanbul zu erfüllen –
jedoch stirbt er am Tag des
Einzugs. Fatma Aydemirs
zweiter Roman ist eine große
deutsch-türkische Familiengeschichte,
die sechs
grundverschiedene Menschen
durch ihre zufällige
Verwandtschaft porträtiert.
Erschienen beim Hanser
Verlag, Hardcover, 24 Euro
© Christoph Liebentritt, Albertina/ Rainer Mirau, Filmladen Filmverleih, Hanser Verlag
58 / KULTURA /
3 FRAGEN AN…
ALPER TURAN
Alper Turan (29) ist einer der
Kuratoren der Ausstellung „How
does the body take shape under
pressure?“ die noch bis zum
15. Juni im Queer Museum Wien
gezeigt wird.
© Othello
BIBER: Wie kam der Ausstellungstitel „How does the body
take shape under pressure?“ zustande?
ALPER TURAN: Nazım Ünal Yılmaz, der von Anfang an
im Team des Queer Museum Wien war, lud mich ein,
gemeinsam diese Ausstellung im Queer Museum Wien zu
kuratieren. Wir sind beide Kuratoren und Künstler, die aus
der Türkei stammen und nach Europa migriert sind. Uns
war natürlich wichtig, dass KünstlerInnen aus der Türkei
teilnehmen, aber wir wollten weder ein nationales Narrativ
schaffen, noch die Ausstellung auf türkenspezifische Themen
beschränken. Stattdessen brachten wir eine internationale
Gruppe von Künstlern zusammen, die sich entweder
symbolisch oder ganz materiell mit dem Körper und seinen
Möglichkeiten beschäftigen, sich gegen die ihm auferlegte
Gewalt zu wehren. Der Körper steht unter dem Druck von
Totalitarismus, Biopolitik, sexuellen Regimen, aber auch
von Krieg, Migration, Prekarität und Identitätspolitik. In der
Ausstellung wollten wir einen Raum für die poetische, ergebnisoffene
und sinnliche Erkundung der Bewältigungsstrategien
des Körpers schaffen, die sich auf viele Situationen
übertragen lassen, in denen politische Gewalt herrscht.
Welche Arbeiten unterstreichen diese Überlegungen am
besten?
Zwei Videoarbeiten fassen unsere kuratorische Position perfekt
zusammen: Dorian Saris „A&a (If art fails, thought fails,
justice fails)” und İz Öztat & Ann Antidotes „Suspended“.
Dorian zeigt uns eine Szene, in der zwei Figuren miteinander
ringen, ihre sexuelle Dominanz zeigen. Wir werden Zeuge,
wie der große weiße Europäer den kleinen, vermeintlich
schwachen braunen Nahostler dominiert und sich an ihm
ergötzt. Der kleine Kerl scheint keinen Spaß zu haben, aber
er bleibt in der Schleife der Dominanz. In der Zusammenarbeit
von İz Öztat und Ann Antidote sehen wir eine Bondage-
Szene, in der Ann İz zunächst in Pergament wickelt, sie
fesselt und aufhängt. Wir sehen sie zusammengekauert in
der Luft schwebend, wie in ein Grabgewand gehüllt. Beide
Werke nutzen eine sexuelle oder intime Ästhetik und
Dramaturgie, um uns über größere gesellschaftliche Hierarchien
und Verletzungen nachdenken zu lassen. Beide zeigen
Szenen der Dialektik von Herrschaft und Unterwerfung,
die sowohl jenseits als auch innerhalb sexueller Praktiken
interpretiert werden können. Sie zeigen, dass Passivität eine
Form des Widerstands ist.
Die Ausstellung lässt queere Positionen aus der Türkei mit
welchen aus Österreich interagieren. Wie unterschiedlich sind
sie voneinander?
Wir haben ausdrücklich versucht, diese beiden Diskurse
nicht gegeneinander zu stellen, sondern sie zusammen zu
denken. Wir wissen, dass Queers in der Türkei in unserer
heutigen Realität mehr Opfer von systematischer Gewalt sind
als in Österreich, das ist eine Tatsache. Aber das bedeutet
nicht, dass das, was in der Türkei passiert, nicht auch in
Österreich passiert, oder umgekehrt. Oder was auf der Mikroebene
in der Türkei passiert, kann auf der Makroebene in
Österreich passieren, oder umgekehrt. Wir alle sind Subjekte,
TäterInnen, BeobachterInnen gewisser Praktiken der Gewalt,
egal wo und auf welche Weise. Die Position, die wir angesichts
dieser Gewalt einnehmen, sei es als passive oder aktive
Teilnehmer, definiert unsere Rolle in der Gesellschaft. Ich
bin strikt gegen jede Viktimisierung von queeren Menschen
in der Türkei und gegen jede Verherrlichung der Freiheit von
Queers in Europa.
GORAN BREGOVIĆ
IST ZURÜCK!
Der legendäre Rockmusiker
aus Sarajevo tritt mit seiner
„Wedding and Funeral Band“
im Wiener Konzerthaus auf.
Biber verlost Karten.
Von Nada El-Azar-Chekh
Am 24. Juni
2022 kehrt Goran
Bregović in den
Großen Saal des
Konzerthauses
Wien zurück.
Bei dem Konzert
nicht zu tanzen
ist keine Option!
Rockstar, Gründer der legendären jugoslawischen Band
„Bijelo Dugme“, Filmkomponist, weltberühmte Ikone
aus Sarajevo: Goran Bregović kennt man als vielseitigen
Musiker mit Pfiff. Eines ist klar: Ohne ihn hätte es wohl
keinen Balkan-Boom gegeben. Der bosnische Altmeister
ist die Galionsfigur der überschäumend-schmerzreichen
Musik des europäischen Südostens. Mit seiner
„Wedding and Funeral Band“ heizte der legendäre Musiker
im Konzerthaus bereits im Jahr 2019 mächtig ein.
Anders als der Name der Band suggeriert, wird aber
auf keinen Fall Friedhofsstimmung herrschen. Bregović,
der in Sarajevo zwischen
dem Läuten der Kirchenglocken
und dem Gebetsruf
des Muezzins aufwuchs,
verbindet verschiedene
musikalische Strömungen zu
einem unverkennbaren Mix
aus traditioneller Balkan- und
Romamusik, spanischen
Klängen und Rockmusik.
GEWINNSPIEL
Achtung, jetzt aber schnell! Biber verlost auf
Facebook und Instagram 2x2 Karten für das
Konzert von Goran Bregović. Sagt euren Tanten,
Onkeln, Eltern, Freunden und anderen Liebsten
Bescheid. Wir wünschen viel Glück!
„Meine Musik ist die einer kleinen eigenen Welt,
die des Balkans, Musik die zwischen Budapest und
Istanbul entsteht, Musik entlang der Grenze zwischen
Moslems, Katholiken und Orthodoxen. Diese Kulturen
haben zwar viel gegeneinander gekämpft, aber sie
haben sich auch gegenseitig beeinflusst.“
Goran Bregović
© Nebojsa Babic
60 / KULTURA /
www.hospiz.wien
KOLUMNE
AUF DER SUCHE NACH DUMMEN HANDYS
Als Fremder in Österreich angekommen,
begab ich mich auf die Suche nach einem
Freundeskreis, in dem ich mich wohlfühle.
Ich habe mittlerweile alle möglichen
Gesellschaften ausprobiert und nach jeder
Erfahrung zog ich weiter auf die Suche –
hungriger und durstiger als zuvor – nach
einer Gemeinschaft, in der ich ohne
Vorbehalte einfach ich selbst sein kann.
Die Fußballer waren die ersten, bei denen
ich Bezug suchte. Und es hat nicht lange
gedauert bis ich abgehauen bin. Abgesehen
von toxischen Männlichkeiten und
Homoangst, sind die meistens Fußballer
einfach gestrickt und nur über die nächste
Bierkiste und die Größe ihrer Penisse reden. Bei den
Spirituellen dachte ich, zumindest am Anfang, mein
Zuhause gefunden zu haben. Aber gleich bei der ersten
gemeinsamen Meditation habe ich mich veratmet
und bin fast erstickt. Und egal, welche Probleme und
Krankheiten ich hatte, empfohlen sie mir, mehr Hafer
zu essen.
turjman@dasbiber.at
Jad Turjman
ist Comedian, Buch-Autor
und Flüchtling aus Syrien.
In seiner Kolumne schreibt
er über sein Leben in
Österreich.
MEINUNGEN ÜBERALL
Bei den Impfgegner:innen war es ebenfalls eine
Bauchlandung. Sie können über sich nicht lachen und
müssen das Alphabet des Humors von null lernen.
Jurastudierende nehmen sich ebenfalls zu ernst und
reden sogar mehr als ich über sich. Musiker:innen können
über Emotionen nicht reden. Feminist:innen habe
ich grundsätzlich vermieden. Ich hatte ständig Angst,
dass sie meine toxischen Charakterzüge thematisieren.
Bei den Intellektuellen war es am schlimmsten. Intellektuelle
haben einfach zu viel Meinungen und Prinzipien.
Sie haben zu allem und jedem eine Meinung. Sie
haben eine Meinung im Mund, eine Meinung im Bauch,
und eine Meinung im Ärmel. Intellektuelle waren meistens
diejenigen, die mich an mein Flüchtlingsein mit
ihren intellektuellen Gesprächen erinnern, in dem sie
kundgetan haben, dass sie nichts gegen mich hätten.
Ich wurde depressiv und dachte ich gehöre nirgendwohin.
Aber eines Tages, als ich am Berg
stand und in die Tiefe hinunterschaute,
begrüßt mich eine ca. vierzigjährige Frau
und fragte mich, ob ich aus der Gegend
sei. Sie wirkte auf mich sehr sympathisch,
sehr entspannt und authentisch. Ich habe
das Gespräch mit ihr genossen. Ich wollte
nicht, dass unsere Begegnung endet. Ich
war neugierig, was an ihr so besonders
sei. Es hat auch nicht lange gedauert, den
Grund zu entdecken. Ihr Handy klingelte.
Ich stellte fest, dass die Frau kein Smartphone
hatte, sondern ein altes Handy. Es
leuchtete bei mir ein.
ENDLICH ANGEKOMMEN
So hielt ich Ausschau nach Menschen, die kein Smartphone
haben, sondern ein „dummes“ Handy. Und in
der Tat. Jeder Begegnung mit einem Menschen mit
einem dummen Handy, war ein Raum für Heilung und
Erholung. So entschied ich mich, mir ein dummes Handy
zu besorgen und mein Smartphone, wenn ich mich
mit meinen Freund:innen mit dummen Handys treffe,
zuhause zu lassen. Ich fühle mich so geborgen und
wohl in dieser Gesellschaft. Ich bin angekommen. Vor
kurzem traf ich einen Mann im Bus, der ein dummes
Handy hat. Ich spürte Kribbeln im Bauch. Er wirkte auf
mich wie ein Gott. Er musste keine Sozialen Medien
checken und keine Wetterlage. Er war vollkommen da.
Anwesend mit all seinen Sinnen. Ich wollte ihn umarmen
und laut rufen: „Ich liebe dich.“
Ich will nicht den Eindruck erwecken, dass wir, die
Community der dummen Handys, euch die Gesellschaft
der Smartphones abschätzig betrachten oder
ablehnen. Im Gegenteil. Wir sind nicht ideologisch. Wir
brauchen euch sogar, damit ihr uns den Weg, wenn
wir uns verlaufen, durch eure Google Maps zu erklären,
oder ein Taxi zu bestellen. Wir wollen einfach,
wenn wir uns mit euch treffen, dass ihr eure klugen
Handys in der Tasche lässt, und uns in die Augen
schaut.
Robert Herbe
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