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Österreichische Post AG; PZ 18Z041372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1070 Wien

www.dasbiber.at

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UKRAINISCHER

BOTSCHAFTER

IN ZAHLEN

+

GUTER

FLÜCHTLING,

SCHLECHTER

FLÜCHTLING

+

ŠVABO-LEHRER

+

MIT SCHARF

NEWCOMER

SCHOOL

EDITION

JUNI 2022

„SEI EIN MANN!“

DER KAMPF EINER JUNGEN SERBIN UM IHRE IDENTITÄT


ZUSAMMEN

AUF DER

GEWINNERSEITE

SEIN.

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Wichtig: Nur wer drei Mal geimpft ist, ist grundimmunisiert und damit gut

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3

minuten

mit

Aladdin

Jameel

Er imitiert alle möglichen

Akzente, macht Witze über

Ausländer:innen sowie über

Österreicher:innen und sieht

die Bühne als eine Therapie:

Aladdin Jameel. 3 Minuten

mit dem Wiener Comedian

mit turkmenisch-kurdischarabisch-assyrischen

Wurzeln.

Interview: Aleksandra Tulej,

Foto: Zoe Opratko

Wer ist er?

Name: Aladdin Jameel

Alter: 30

TikTok & Instagram:

aladdinjameel

BIBER: Die nervigste Frage zuerst:

Kannst du auf Kommando lustig sein?

ALADDIN JAMEEL: Nein. Es passiert

so oft, dass Leute zu mir kommen und

mich auffordern: „Erzähl einen Witz!“

Das geht nicht auf Kommando und das

ist schon sehr nervig. Oder sie erzählen

mir Witze und ich denke mir dann so

„Bitte, mach das nie wieder.“ (lacht)

In den meisten deiner Sketches imitierst

du verschiedene Akzente. Macht das

für dich einen Unterschied, ob ein Migra-Comedian

oder ein Ur-Österreicher

solche Witze macht ?

Ich bin mit diesen Leuten aufgewachsen.

Ich hab das aufgesaugt. Es gibt

Comedians, die ich jetzt nicht namentlich

nennen will, die diesen „Čuxl

Slang“ auf der Bühne machen, und

es klingt einfach nicht gut. Und die

machen das immer und immer wieder.

Ich frage mich da schon, ob die keine

Freunde haben, die denen einfach mal

sagen: „Bro, das klingt scheiße, lass

das einfach.“ Sollen die doch den Wie-

ner Dialekt nachmachen, das ist dann

auch authentischer und lustig.

Du hast ja bei weitem keine einfache

Kindheit gehabt. Du bist mit deiner

Familie aus dem Irak geflüchtet, ihr

wurdet 1999 von Österreich nach Istanbul

abgeschoben. Wieder in Österreich

angekommen, konntest du in der Schule

nicht benotet werden und musstest auf

die Hauptschule wechseln. Und das ist

nur ein Auszug deiner Vergangenheit.

Verarbeitest du das alles auch in deiner

Comedy?

Ja total. Die Bühne ist eine Art Therapie

für mich. Ich verarbeite meine Erlebnisse

auf eine humoristische Art und

Weise und wenn ich Menschen zum

Lachen bringen kann, gibt mir das echt

viel.

Wie steht deine Familie zu deiner Karriere

?

Am Anfang waren sie natürlich nicht

begeistert. Sie kennen das halt nicht,

es gibt vor allem in Wien keine berühmten

Comedians, vor allem keine Auslän-

der. Noch dazu habe ich meinen ersten

Auftritt vor meiner Mutter und meiner

Schwester gehabt und die fanden mich

null witzig. (lacht) Meine Mutter hat mir

Tipps gegeben, was sie anders machen

würde. Aber im Ernst: Meine Familie hat

mich immer sehr unterstützt.

Was wünscht du dir von der österreichischen

Comedy-Szene?

Dass mehr junge Menschen zu Stand-

Up-Shows kommen. Mein Ziel ist ein

Stand-Up-Club in Wien, wo wir jeden

Tag ein volles Programm haben. Aber

ich denke, es braucht einen großen

österreichischen Migranten-Comedian,

der in Deutschland komplett abreißen

wird. Dann werden es die Österreicher

erst checken. Das ist immer so, das

beste Beispiel ist ja RAF Camora. Seine

alten Sachen sind ur gut, aber die

haben niemanden interessiert, und erst

nachdem er nach Deutschland gegangen

ist, wird er auch in Österreich

gefeiert.

/ 3 MINUTEN / 3


3 3 MINUTEN MIT ALADDIN

JAMEEL

Der Migra-Comedian über „Čuxl-Slang“ und

seine scharfen Sketches.

8 IVANAS WELT

Ivana Cucujkić über den Clash im Hörsaal.

14 SCHÜLER:INNENBLOGS

Eldin über Nationalismus als Gift in

Ex-Jugoslawien, Ljubica will wieder zurück

nach Serbien emgrieren.

POLITIKA

16 GUTER FLÜCHTLING,

SCHLECHTER FLÜCHTLING?

Haben Ukrainer:innen es in Österreich besser

als andere Geflüchtete?

22 HERR BOTSCHAFTER, WIE

LANGE DAUERT DER KRIEG

IN DER UKRAINE NOCH?

Biber fragt in Worten, Wassyl Chymynez

antwortet in Zahlen.

24 IM SCHWIMMBAD

MIT WIEDERKEHR

Der Vize-Bürgermeister über Schüler:innen

aus der Ukraine, Schwimmbad-Preise und

Staatsbürgerschaft

26 SCHÜLER:INNENBLOGS

Wörter hinterlassen Wunden, schreibt eine

anonyme Autorin, und Lejla erklärt, warum sie

das Kopftuch trägt.

LIFE&STYLE

27 GOSSIP GIRL MIT DÖNER

Şeyda Gün über Dan Humphrey, Must-Have

Lippenstift und Hamsterbacken

SPECIAL

30 WONDER-WOMAN

Steffi Stanković erzählt, wie sie in Wien endlich

ein Leben als Frau aufbauen konnte.

34 CHEFICA AUF UMWEGEN

Tränen, Wut und Biss: Amra Durić über ihren

steinigen Weg zur Führungsposition.

38 KEINE KINDER, BITTE!

Sie will keine Kinder, und wird deshalb als

Egoistin abgestempelt: Maria Lovrić-Anušić.

22

UKRAINISCHER BOTSCHAFTER

IN ZAHLEN

Wassyl Chymynez hat Null russische

Freunde und schläft 4 Stunden pro Nacht.

16

ZWISCHEN

SOLIDARITÄT

UND NEID

Werden Geflüchtete

aus der Ukraine in

Österreich bevorzugt?

Menschen aus Syrien,

Ex-Jugoslawien und

Afghanistan fühlen

sich ungerecht

behandelt. Aber wie

sieht die faktische

Realität aus?

IN


42 ES KOMMT EH ANDERS,

ALS MAN DENKT

Nihal Shousha über den gesellschaftlichen

Druck und Meilensteine, die man nicht

erreichen muss.

44 „SCHREIB‘ MAL ÜBER DEINE

LEUTE“

Jelena Čolić über den Zwiespalt zwischen

Quote und Fremdbestimmung im Journalismus.

28

HALT JUNI

2022

REVOLUTION

„Wir bestimmen.

Punkt“. Fünf

Frauen über ihre

persönlichen

Empowerment-

Geschichten.

54

DER RETTER

DER GERÄTE

Laptop, Handy,

Tablet: Mazen

El-Aassar

repariert eure

Elektro-Geräte

und gibt Tipps,

wie sie länger am

Leben bleiben.

© Zoe Opratko, Aliaa Abou Khaddour, Markus Korenjak, Cover © Zoe Opratko

KARRIERE&KOHLE

46 KEIN PARA, KEIN

PRAKTIKUM?

Šemsa Salioski gibt Arbeiter:innenkindern

Tipps, wie man auch ohne Geld an

Auslandspraktika kommt.

48 ŠVABO-LEHRER

Er beherrscht die Muttersprachen seiner

Schüler:innen und kennt Balkan-Sänger beim

Namen: Lehrer Alexander Sigmund.

50 DANKE

Ohne unsere Sponsor:innen könnte diese

Ausgabe nicht erscheinen!

TECHNIK

53 SURVIVAL IN DER KRISE

Adam Bezeczky über Notstrom und Solarzellen.

54 DER COMPUTER-DOKTOR

Mazen El-Aassar von Infinitech ist der Mann für

alle technischen Gebrechen.

56 SCHÜLER:INNENBLOGS

Sind Noten wichtiger als die eigene

Gesundheit?, fragt sich Tuba. Tatjana ist am

Balkan die „Švabica“, und hier die Ausländerin.

KULTURA

58 #MENTOO

Nada El-Azar-Chekh über Johnny Depp,

Dschinns und gratis Museumsbesuche.

62 NEHMT EUCH NICHT SO

ERNST

Jad Turjman über Smartphones und dumme

Handys


Liebe LeserInnen,

Essen mit Freund:innen, Tanzen mit Fremden, Einkaufen ohne Maske.

Ach, wie haben wir das „alte“ Leben vermisst. Dazu gehören für die

biber-Redaktion auch die Schulbesuche, bei denen wir zusammen mit

einer Schulklasse über Journalismus, Fake-News, Vorbilder, unfähige

Politiker:innen oder das Kopftuch debattieren. Wie immer handeln wir

nach der Devise: Wir schreiben nicht über Schüler:innen, sondern lassen

sie höchstpersönlich zu Wort kommen. Was daraus entstanden ist, könnt

ihr in den Schüler:innenkommentaren auf den Seiten 14, 26, 52 oder 56

nachlesen.

Wie immer handeln wir nach

der Devise: Wir schreiben

nicht über Schüler:innen,

sondern lassen sie höchstpersönlich

zu Wort kommen.

S. “ 10

Nada El-Azar-Chekh und Amar

Rajković

Die fünf Frauen aus unserem großen „Empowerment-Special“ ab S. 28

mussten unüberwindbare Hindernisse meistern, um dort zu stehen, wo

sie jetzt sind. Unabhängig und selbstbestimmt. In unserer Cover-Story

beschreibt Autorin Stefanie Stanković ihren Weg vom braven Sohn aus

dem ultranationalistischen Serbien, bis zu ihrer persönlichen Befreiung

und ihrem neuen Leben als Steffi nach ihrer Ankunft in Österreich. Maria

Lovrić-Anušić hat partout keinen Bock auf Kinder, was vor allem ihre

weibliche Verwandtschaft vor den Kopf stößt. Amra Durić hat sich dem

Druck aus der Familie widersetzt, zog von Tirol nach Wien, und sitzt heute

in der Chefredaktion einer bekannten Tageszeitung. Jelena Čolić möchte

als migrantische Journalistin nicht nur über „ihre Leute“ schreiben. Und

Nihal Shousha macht sich keinen Druck mehr, mit 25 Jahren noch zu

studieren und keine Familie gegründet zu haben.

Der Krieg in der Ukraine geht in den vierten Monat. Ein Ende ist leider

nicht in Sicht. Oder doch? Im Interview in Zahlen mit dem ukrainischen

Botschafter in Österreich, Wassyl Chymynez , schätzt der 52-jährige

Diplomat, dass der Krieg in drei Monaten zu Ende gehen dürfte, wenn

die Ukraine mit ausreichend Waffen beliefert wird. Außerdem benennt

er die Zahl der getöteten russischen Soldaten und sieht sein Heimatland

spätestens 2030 als Mitglied der EU. Ab S. 22.

Während die Vertriebenen aus der Ukraine versuchen, im Ausland Fuß zu

fassen, wächst unter ehemaligen Geflüchteten in Österreich der Unmut.

Wurden sie schlechter als ihre Leidensgenoss:innen aus Kiew, Charkiw

oder Odessa behandelt? Aleksandra Tulej geht diesem Phänomen auf die

Spur und stößt auf erstaunliche Ansichten und verspäteten Frust von

Afghan:innen, Syrer:innen oder Bosnier:innen. Ab S. 16.

Viel Spaß beim Lesen wünscht

Eure biber-Redaktion

© Zoe Opratko

6 / MIT SCHARF /


IMPRESSUM

MEDIENINHABER:

Biber Verlagsgesellschaft mbH, Quartier 21, Museumsplatz 1,

E-1.4, 1070 Wien

HERAUSGEBER

Simon Kravagna

CHEFREDAKTEURIN:

Delna Antia-Tatić (karenziert)

STV. CHEFREDAKTEURE:

Amar Rajković und Aleksandra Tulej

CHEFREPORTERIN:

Aleksandra Tulej

KULTUR:

Nada El-Azar-Chekh

FOTOCHEFIN:

Zoe Opratko

ART DIRECTOR: Dieter Auracher

KOLUMNIST/IN:

Ivana Cucujkić-Panić, Jad Turjman

LEKTORAT: Florian Haderer

REDAKTION & FOTOGRAFIE:

Adam Bezeczky, Nada El-Azar-Chekh, Maria Lovrić- Anušić,

Justyna Pikusa, Šemsa Salioski, Franziska Liehl, Aliaa Abou

Khaddour, Mafalda Rakoš, Markus Korenjak

VERLAGSLEITUNG :

Aida Durić

MARKETING & ABO:

Şeyda Gün

REDAKTIONSHUND:

Casper

BUSINESS DEVELOPMENT:

Andreas Wiesmüller

GESCHÄFTSFÜHRUNG:

Wilfried Wiesinger

KONTAKT: biber Verlagsgesellschaft mbH Quartier 21,

Museumsplatz 1, E-1.4, 1070 Wien

Tel: +43/1/ 9577528 redaktion@dasbiber.at

marketing@dasbiber.at abo@dasbiber.at

WEBSITE: www.dasbiber.at

ÖAK GEPRÜFT laut Bericht über die Jahresprüfung im

2. HJ 2021:

Druckauflage 85.000 Stück

Verbreitete Auflage 80.700 Stück

Die Offenlegung gemäß §25 MedG ist unter www.dasbiber.at/

impressum abrufbar.

DRUCK: Mediaprint

Erklärung zu gendergerechter Sprache:

In welcher Form bei den Texten gegendert wird, entscheiden

die jeweiligen Autoren und Autorinnen selbst: Somit bleibt die

Authentizität der Texte erhalten - wie immer „mit scharf“.

© Arif_Vector/stock.adobe.com

Für alle zwischen 15 und 25 Jahren

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und Juli 2023

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bis 30. Juni 2022

• Finale Bewerbungsfrist

31. August 2022

Diese Veröffentlichung erfolgte mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union. Die Inhalte liegen in

der alleinigen Verantwortung des WWF und anderer Eat4Change Projektpartner und spiegeln nicht unbedingt

die Ansichten der Europäischen Union wider.


In Ivanas WELT berichtet die biber-Redakteurin

Ivana Cucujkić über ihr daily life.

IVANAS WELT

Foto: Igor Minić

FROM ZERO TO HÖRSAAL

Kinder sind die Zukunft des Landes. Ach, drauf geschissen.

Als Studentin dachte ich, alle Studierenden sind gleich.

Schwänzen die Vorlesung. Verteilen Flyer. Trinken miesen

Tequila auf Unipartys. Da waren die Bundesland-

Studis mit all ihren witzigen Dialekten, eine einzige

Sprachbarriere für mich, und allesamt viel freundlicher

als die grantelnden Wiener. Da waren die Auslandsstudenten

aus aller Welt, die crazy und naiv genug waren,

um Deutsch als Studiensprache zu wählen, und die

dem versifften Audimax so ein bisschen internationales

Flair verliehen. Und da waren die Erstsemester vom

Balkan.

JUGO-STUDENTEN VS. STUDENTEN-JUGO

Frisch inskribiert und im Wohnheim eingecheckt, die

Koffer voller Trainingsanzüge und Replay-Jeans. Eine

Mischung aus Belgrader Rich Kids und vorstädtischen

Stipendiaten, die ganz aufgeregt aber souverän den

Red Carpet des westlichen Studentenlebens beschritten.

Es war die Bildungselite, die da nach Wien zum Studieren

gekommen ist und auf die Nachkommen der

Gastarbeiter:innen traf. Zu denen gehöre ich. Ein Gastarbeiterkind,

das von den Eltern ins Gymnasium mit

dem guten Ruf geschickt wurde, um das Ticket zu eben

dieser Elite einzulösen. Wobei die tolle Schule Zufall

war, sie lag einfach glücklich auf dem Weg zur Arbeit

meines Vaters. So ähnlich zufällig stolpern Migrantenkids

ganz oft die Bildungsleiter hinauf.

MASTER VOR SUV

Die Schule habe ich geschafft. Weil meine Eltern an

mich glaubten. Und weil sie viele tausend Schilling

in die Latein-Nachhilfe gesteckt haben. Meine Lehrer

glaubten nicht an mich: „Eine leichtere Schule wäre

vielleicht eine bessere Option für ihr Kind!“ So ähnlich

stolpern Migrantenkids ganz oft die Bildungsleiter hinunter.

Wie gut, dass der akademische Titel bei Gastarbeitereltern

als Währung für Status den deutschen SUV

langsam aber sicher wegdrängte. Jene aber, deren

einziger Job es gewesen wäre, taten es nicht. Es? An

mich glauben. Vorbild sein. Das brauchen Kinder. Jene,

die nicht grad aus Notars- und Juristenfamilien kommen

umso mehr. Vorbilder, die am Spielrand stehen,

die Pompons schwingen und die kleinen Samiras, Ados

und Steffis bis zur Höchstleistung motivieren, sie motivieren

dranzubleiben.

THIS COULD BE US, BUT EH WURSCHT

Schwierig wird’s, wenn der Coach selber vorher das

Handtuch wirft. Wenn Pädagogen keinen Bock auf

ihre(n) Beruf(ung) haben und mein Vierjähriger im ersten

Kindergartenjahr so drei Erzieherinnen kennenlernen

musste. Ich bin wütend. Gut, wütend ist nicht neu,

das ist mein zweiter Vorname, seitdem ich Kleinkinder

zu betreuen habe. Diese Knochenarbeit aber als berufliche

Tätigkeit auszuüben, würde bei mir wohl, wie

bei den drei Erzieherinnen, nicht die Probezeit schaffen.

Ein Kinderlächeln lässt die Eltern ihre Erschöpfung

nicht vergessen, macht bei Pädagoginnen die üble

Bezahlung und mangelnde Wertschätzung nicht wett.

Wenn eine gute wie kontinuierliche Förderumgebung

schon im Kindergarten scheitert, schaut’s schlecht

aus für Österreichs Elite. Deswegen nimmt das Mutti

selbst in die Hand. Ich werde verdammt nochmal dafür

sorgen, dass meine Kinder eines Tages die Vorlesung

schwänzen, Flyer verteilen und miesen Tequila trinken.

Weil sie auf die Uni gehen werden. ●

cucujkic@dasbiber.at, Instagram: @ivanaswelt

8 / MIT SCHARF /


Warum ist Eiweiß für

Menschen mit chronischen

Wunden so wichtig

Die Antwort gibt das Pflegestudium

Bachelor of Science in Health Studies

an der FH Campus Wien.

#WissenSchafftPflege

Jetzt informieren auf fh-campuswien.ac.at


AS UNS

von Justyna Pikusa

10 KLIMA-FAKTEN

ZUM MERKEN

1 In den letzten 50 Jahren stieg die Zahl der

Extremwetter-Katastrophen um das 5-fache.

2 Die Pasterze, der größte Gletscher Österreichs,

könnte bis 2050 völlig verschwinden.

3 Wenn alle Polkappen und Gletscher dieser

Welt schmelzen, würde der Meeresspiegel um

bis zu 66 Meter steigen. Dadurch würden

die Niederlande, Dänemark und große Teile

Norddeutschlands in der Nordsee versinken.

4 Der Anstieg der durchschnittlichen Temperatur

gegenüber der vorindustriellen Zeit beträgt

bereits etwa 1,1 Grad Celsius (manche

Quellen sprechen von 1,2 °C).

5 2050 könnte die durchschnittliche Temperatur

um 3 Grad Celsius höher sein als in der

vorindustriellen Zeit.

6 Wenn die durchschnittliche Temperatur um 3

Grad Celsius ansteigt …

→ steigt der Meeresspiegel um 50 cm.

→ wird mehr als die Hälfte der globalen

Bevölkerung 20 Tage pro Jahr tödlicher

Hitze ausgesetzt sein.

→ wird über eine Milliarde Menschen

aus tropischen Gebieten ihre Heimat verlassen

müssen.

wird 10% der Fläche von Bangladesch unter

Wasser stehen.

7 In Österreich gibt es 85.847 rein elektrisch

betriebene Pkws (Stand April 2022).

8 Elektrogeräten eine zweite Chance zu geben ist

umweltfreundlich: Das Klimaschutzministerium

übernimmt 50% deiner Reparaturkosten von

elektronischen und elektrischen Geräten (Mehr

Info: www.bmk.gv.at)

9 Jede/r vierte/r WienerIn (über

15) fühlt sich während einer Hitzeperiode

körperlich stark belastet.

10 Knapp 20% der Wiener:innen (über 15) sind

täglich mit dem Auto unterwegs.

SAG’S MULTI – IN 39 SPRACHEN!

Die Teilnehmer:innen des Sprachwettbewerbs wechseln

mehrmals zwischen Deutsch und einer weiteren Sprache.

Oft handelt es sich dabei um die Muttersprache wie

Somali, Arabisch, Bisayan oder Türkisch. In Wien spricht

jede:r Jugendliche eine zweite Sprache neben Deutsch

und genau diese Talente bekommen bei Sag‘s Multi eine

Bühne.

Die Themen dabei sind genauso bunt wie die

Redner:innen: Identität, Frauenrechte, Demokratie,

BiPoc, Rassismus, Klima, Bodypositivity oder Mobbing

werden von den Jugendlichen aus ihrer Perspektive

beschrieben und einer Jury präsentiert.

„Wir zeigen mit ‚SAG’S MULTI!‘, dass jede Sprache

gleich viel wert ist, und, dass keine Sprache besser, oder

schlechter ist“, so Eser Akbaba, die für den ORF durch

den Wettbewerb führt. Ein großer Teil der Redner:innen

stammt aus Familien mit Zuwanderungsgeschichte, über

80 Prozent sind Mädchen.

Der Österreich-Abschluss findet am 26. Juni im Wiener

Rathaus statt. In der ORF TV-Thek sind die Reden

der Finalrunde nachzusehen. Infos: sagsmulti.orf.at

© Klaus Titzer

10 / MIT SCHARF /


BEWEGT

WEBDESIGN, PROGRAMMIE-

RUNG UND KYLIE JENNER:

WEIBLICHE VORBILDER DER

IT-BRANCHE

BIBER: Ihr hebt hervor, dass es sich um eine von Frauen

geführte Agentur handelt. Warum ist das in eurer Branche

wichtig?

REBECCA BALOGH: Frauen scheinen in der Hierarchie

immer weiter unten stehen zu müssen. Die meisten an

unserer Uni waren weiblich. Ich könnte heute aber trotzdem

einfach zehn bekannte Agenturen nennen, die von

Männern gegründet wurden und nicht einmal fünf, die

von Frauen gegründet wurden. Frauen müssen in unserer

Branche endlich sichtbarer werden! Ich selbst hätte gerne

mehr weibliche Vorbilder gehabt. Das versuchen wir jetzt

für andere zu sein.

REBECCA RUSSELL: Die IT-Branche ist grundsätzlich

leider noch immer als männerdominiert bekannt. Design

alleine deutlich weniger, aber, wie Rebecca schon gesagt

hat, sobald man sich Agenturleitungen oder Gäst*innen

bei Talks oder Konferenzen anschaut, kommen trotzdem

größtenteils Männer zu Wort.

Gab es Momente, in denen ihr euch als Frauen direkt

diskriminiert gefühlt habt?

REBECCA RUSSELL: Ja. Uns ist Transparenz extrem

wichtig. Konkret gab es Fälle, wo unsere Ehrlichkeit über

kleinere Unsicherheiten direkt als typisch „weibliche

Schwäche in der Businesswelt“ interpretiert wurde. Der

Umgangston wurde automatisch so herablassend, was bei

uns überhaupt keinen Platz hat. Uns ist Respekt extrem

wichtig. Wenn wir merken, dass wir nicht ernst genommen

werden, hat es sich für uns erledigt.

REBECCA BALOGH: Genau, uns wurde da einfach die

Expertise abgesprochen, obwohl wir nur wie immer

einfach das Beste für das Projekt wollten. Man hat an der

Wortwahl so richtig gemerkt, dass sie sich das nur getraut

haben, weil wir zwei jung und vor allem weiblich sind.

Die 28-jährige Rebecca Russell und die 29-jährige

Rebecca Balogh sind die Gründerinnen der Wiener

Design- und Webdevelopment-Agentur „Same

Same Studio“. Die beiden wurden letztens von Kylie

Jenners Team damit beauftragt, die Webseite für die

neue „Swimwear Collection“ zu erstellen. Aber sie

wollen nicht nur dafür bekannt sein: über Frauen in

der IT-Branche, Respekt und ihre Zukunftspläne.

Von Šemsa Salioski, Foto: Mafalda Rakoš

Was würdet ihr jungen Frauen raten, die sich für Design

und Webdevelopment interessieren?

REBECCA RUSSELL: Ein bisschen mehr abschauen, was

andere machen. Natürlich nicht einfach alles kopieren,

aber sich ruhig öfter inspirieren lassen. Research ist

extrem wichtig, ob im Internet oder in Magazinen im Café.

Ruhig auch in andere Länder schauen. Die skandinavischen

Länder, Schweiz oder Japan sind da super.

REBECCA BALOGH: Außerdem: Es ist von Vorteil einen

Plan zu haben, bevor man etwas anfängt. Das spart

Energie und Geld. Wenn der Fokus zu zerstreut ist, kommt

man nur langsam voran. Jeder muss sein Big-picture

kennen.

/ MIT SCHARF / 11


BEWIRB

DICH JETZT!

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Einfach QR-Code

mit deiner Smartphone-Kamera

abfotografieren!


Die SUMMER SCHOOL –

Journalismus-Skills mit Aussicht

Du gehst noch zur Schule und möchtest in den Sommerferien in den

Journalismus hineinschnuppern? Du willst lernen, wie man in einer Redaktion

arbeitet, schreibt, recherchiert und Social-Media-Content erstellt?

Dann bist du bei unserer multimedialen Summer School richtig!

DAS PROGRAMM DER JOURNALISMUS

SUMMER-SCHOOL VON BIBER UND DER

CHEFREDAKTION

In der multimedialen Summer School lernst du

Journalismus-Skills von der schärfsten und der

jüngsten Redaktion des Landes.

In kleinen Klassen erfährst du, wie du deine Storyidee

in einer Redaktionssitzung pitchst, welche

Headline wie viele Klicks bringt und was guten Content

für Social-Media ausmacht. Du wirst recherchieren,

schreiben, diskutieren, Videos drehen und

in den Journalismus hineinschnuppern.

LEITUNG DER JOURNALISMUS

SUMMER-SCHOOL

Aleksandra Tulej, Nada El-Azar-Chekh (biber)

Melisa Erkurt (die_Chefredaktion)

DIE TERMINE DER JOURNALISMUS

SUMMER-SCHOOL

Die Summer-School findet in Blöcken im Juli 2022

in unserer Redaktion in Wien statt. Jede Woche

startet und endet eine Klasse. Du hast also drei Terminblöcke

zur Auswahl, wann es eben für dich

passt!

Die Unterrichtszeit ist von Montag bis Freitag

TERMINBLÖCKE

ZUR AUSWAHL:

04.–08. Juli 2022

11.–15. Juli 2022

18.–22. Juli 2022

jeweils vormittags,

von 10 bis

13 Uhr.

DIE KOSTEN UND VORAUSSETZUNGEN

DER JOURNALISMUS SUMMER SCHOOL

Die Summer School kostet nichts. Das Angebot gilt

für Schüler:innen ab 13 Jahren (Einverständniserklärung

der Eltern notwendig) bis inkl. 19 Jahren.

Du brauchst keine Voraussetzungen zu erfüllen.

Hauptsache, du bist engagiert dabei.

DEIN ZERTIFIKAT VON DER

JOURNALISMUS SUMMER-SCHOOL

Uns ist natürlich klar: Nur zum Spaß stehst du in

den Ferien nicht vor Mittag auf. Daher erhältst du in

der Summer-School nicht nur Journalismus-Skills,

sondern wirst am Ende etwas für deine Bewerbungsmappe

zum Vorzeigen haben: Ob Text, Video

oder Instagram-Content. Last but not least: Für eine

erfolgreiche Teilnahme gibt es ein Zertifikat.

RÄUMLICHKEITEN BEI DER

JOURNALISMUS SUMMER-SCHOOL

Die Summer-School findet in der biber-Redaktion im

Museumsquartier in Wien (Museumsplatz 1, 1070

Wien) statt. Wer keinen Laptop mitbringen kann,

dem stellen wir gerne einen Computer zur Verfügung.

ANMELDUNG FÜR DIE

JOURNALISMUS SUMMER-SCHOOL

Lust bekommen? Dann jetzt mit Wunschtermin

bei Programmkoordinatorin Hannah Jutz anmelden:

jutz@diechefredaktion.at

WIR FREUEN UNS AUF DICH!

© Zoe Opratko


MEINUNG

JUGO-DIASPORA, WERDET

ENDLICH ERWACHSEN!

Nationalismus. Das Gift, das Jugoslawien langsam aber

sicher von innen heraus zersetzt hat. Oft hörte ich meinen

Opa dieses Land lobpreisen. In seinen nostalgischen

Monologen sagte er, dass wir heute das zweite Deutschland

wären, wenn Josip Broz Tito noch leben würde. Jeder

hatte Arbeit, es gab keine Kriminalität und niemand musste

Hunger leiden. Aber wie kam es dazu, dass Menschen, die

gerade noch alle im „Paradies“ Nachbarn waren, sich plötzlich

so unaussprechbar grausame Dinge antun konnten?

Um das Ende der SFR Jugoslawien zu verstehen, muss

man ihre Entstehung unter die Lupe nehmen. Während

des Zweiten Weltkriegs hatten sich die Bewohner ALLER

Volksgruppen zusammengeschlossen, um die Nazis zu

vertreiben. Unter dem Motto „Brüderlichkeit und Einheit“

bauten sie ihr zerschundenes Land wieder auf. Für 35 Jahre

funktionierte dieses multiethnische „Projekt“ ganz gut,

doch dann passierte das, wovor sich alle gefürchtet hatten:

Am 5. Mai 1980 verstarb Tito. Einst hörte ich einen Mann

sagen, dass Tito um 15.05 Uhr starb, und dass wir schon

um 15.10 Uhr knietief im Dreck steckten.

Zwar sind die Jugoslawienkriege seit 23 Jahren vorbei,

doch unter der dortigen Bevölkerung herrschen immer

noch Argwohn, Hass und Misstrauen den „Anderen“

gegenüber. In der Politik regieren immer noch die gleichen

korrupten Parteien, die damals den Krieg vom Zaun

gebrochen hatten. Sie treiben die Spaltung voran, nicht

die Versöhnung. Das Einzige, was sie tatsächlich geschafft

haben, ist es, einen Exodus junger Leute aus der Region

heraufzubeschwören. Dabei wäre die einzige Hoffnung die

Jugend, die bleibt und die Dinge anders macht - doch auch

an sie ist dieser Hass weitergegeben worden.

Ich frage mich, warum wir uns in der Diaspora alle so gut

verstehen, während uns in der Heimat ganze Welten zu

trennen scheinen. Wir suchen nach Unterschieden, wo

keine sind, und ignorieren Gemeinsamkeiten, die mehr als

offensichtlich sind. So unterschiedlich, wie wir uns alle gerne

darstellen, sind wir nämlich gar nicht und wir täten gut

daran, das endlich zu erkennen und zu akzeptieren.

Eldin Salihović, 18, 1AL, BHAK und BHAS Wien 10

BABA WIEN,

ZDRAVO SRBIJA

Heimweh ist der Grund, weshalb ich Wien, meinen

Geburtsort, verlassen möchte und nach Serbien emigrieren

möchte. Der Gedanke lässt mich und meine Familie

seit Jahren nicht mehr los. Nun stellen sich viele die

Frage: „Wie kommst du zu diesem Entschluss? Menschen

wandern aus, um in einem sicheren Land wie Österreich

zu leben und du?“ Meine Antwort auf diese Frage ist ein

herzhaftes Lachen.

Der Großteil meiner Familie und Freunde lebt in Serbien,

das ist ein großer Punkt, der mich zu meinem Entschluss

geführt hat. Den Kontakt zu ihnen halte ich seit Ewigkeiten

über Social Media aufrecht und es fühlt sich so an, als

würden wir jeden Tag über Chat miteinander verbringen. In

Wien fiel es mir schon immer schwerer, Freunde zu finden,

denn viele schreckliche Erfahrungen haben mich geprägt.

Ich fühle ich mich wie in einem großen Käfig, der eine gute

Ausbildung und Geld bietet, jedoch kein Glück ersetzen

kann. Eine Wohnung zu einem angemessenen Preis zu

finden, ist fast unmöglich, so auch einen sicheren Job.

Serbien ist ein für viele verborgener Schatz, der unzählige

Türen öffnet, wenn man zielstrebig ist und an das Potenzial

dieses Landes glaubt.

Mein Glück möchte ich selbst in die Hand nehmen. Seitdem

ich klein bin, weiß ich, dass ich in das Geburtsland

meiner Eltern zurückkehren möchte. Meine Idee ist es, die

Erfahrungen und Erkenntnisse, die ich in Wien gesammelt

habe, auf Serbien zu übertragen und etwas Sinnvolles zu

tun. Meine Heimat liegt mir sehr am Herzen und jedes Mal,

wenn ich die Grenze überquere, verspüre ich ein Glücksgefühl,

da ich mich hier wirklich frei fühle. Alle in Serbien

verbrachten Ferien haben mir von Mal zu Mal bewiesen,

dass ich mich dort geborgen, glücklich und vor allem zu

Hause fühle. Meine Heimat.

Nur weil unsere Eltern hergekommen sind, damit es uns

besser geht, heißt es nicht, dass wir hierbleiben müssen.

Es wird immer an uns liegen, ob wir aus den vielen

Bausteinen, die uns unsere Eltern mitgegeben haben, eine

Mauer oder Brücken bauen. Wir probieren es!

Ljubica Milanović, 17, 1AL, BHAK und BHAS Wien 10

© Zoe Opratko

14 / MIT SCHARF /


WOBEI

HILFT DIE AK ?

Wir von der Arbeiterkammer sind für Sie

da, wenn es Probleme im Job oder im

Alltag gibt. Wir helfen Ihnen, damit Sie

zu Ihren Rechten kommen.

Arbeitsrecht

Konsumentenschutz

Mutterschutz

Wohnen

Ausbildung

Lohn und

Gehalt

Pension

Pflege

Steuer und

Geld

Arbeitspapiere

Verträge

WIEN.ARBEITERKAMMER.AT


„Sind wir für Österreich

weniger wert?“

16 / POLITIKA /


Ukraine-Flaggen in ganz Wien, gratis Öffis, Erleichterungen am

Arbeitsmarkt und beim Aufenthaltsrecht. Während Ukrainer:innen in

Österreich einen neuen Wind der Willkommenskultur spüren, fragen

sich „schon da gewesene“ Geflüchtete aus Syrien, Bosnien und Afghanistan:

Sind wir für Österreich weniger wert?

Von Aleksandra Tulej, Illustrationen: Aliaa Abou Khaddour

Ich schäme mich ein bisschen, das zu sagen. Aber ich

habe keine Motivation mehr, den Ukrainer:innen hier

zu helfen“, erzählt die Syrerin Haya * und beißt sich auf

die Unterlippe. „Bei den Syrern damals habe ich alles

gemacht, wo ich nur helfen konnte – gedolmetscht, koordiniert

und überall versucht, sie zu unterstützen,“ setzt sie

energisch fort, „aber bei den Ukrainern denke ich mir: Der

österreichische Staat tut eh schon genug. Ich weiß, dass

die Menschen nichts dafürkönnen. Es ist schrecklich, dass

sie fliehen müssen. Ich weiß ja, wie das ist. Aber ich tue

mir immer schwieriger, mit ihnen Mitleid zu haben.“ Haya

betont zwar, dass sie versuche, sich für die Ukrainer:innen zu

freuen. Sie fragt sich aber, warum die Erleichterungen beim

Integrationsprozess von Ukrainer:innen so schnell durchgegangen

sind, und warum sie und viele andere so lange

darauf warten mussten.

„Ich durfte hier lange

nicht arbeiten. Ich habe

schwarz als Babysitterin

gearbeitet, ehrenamtlich

gedolmetscht, alles.“

GUTER FLÜCHTLING, SCHLECHTER

FLÜCHTLING?

Wie Haya geht es unzähligen Migrant:innen, die in erster

Generation in Österreich leben, die in ihrer Heimat ein

Studium oder eine Ausbildung abgeschlossen und auf eine

sichere Zukunft hingearbeitet haben. Dann kam der Krieg

und mit ihm die Flucht. Oft dauerte es Jahre, bis es mit

dem Aufenthalt, mit der Arbeitserlaubnis und Nostrifizierung

(Anerkennung des Studienabschlusses) klappte – wenn überhaupt.

Menschen, die jetzt aus der Ukraine nach Österreich

geflohen sind, sollen es leichter haben.

Die „guter Flüchtling, schlechter Flüchtling“-Debatte ist

seit der Fluchtbewegung aus der Ukraine in Österreich Dauerthema.

Vor allem Geflüchtete, die seit Jahren in Österreich

leben, begrüßen die neuen Maßnahmen zwar, sehen sich

aber im Vergleich ungerecht behandelt – nicht nur, was die

rechtliche Situation anbelangt, sondern auch bezüglich der

Solidarität mit der Ukraine.

Doch wie sieht die rechtliche

Situation nun aus? Haben

Ukrainer:innen es wirklich so viel

leichter? Wie läuft das in der Praxis?

Konkret will die türkis-grüne

Regierung die Regeln für den

Arbeitsmarktzugang lockern und

Bürokratie abbauen, um qualifiziertem

Personal einen schnelleren

Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen zu können. Das

betrifft u. a. auch die „Blaue Karte“ (s. Infobox) und andere

Lockerungen, durch die Ukrainer:innen die Integration am

Arbeitsmarkt leichter gemacht werden soll. Auch was die

Aufenthaltsbewilligung anbelangt, gibt es Unterschiede.

Ukrainer:innen bekommen bei ihrer Ankunft den Ausweis

für Vertriebene. Bei anderen Staaten, wie beispielsweise

Syrien, gibt es beim Ayslantrag eine individuelle Prüfung

des Antrags. Die gibt es für Ukrainer:innen nicht. Hier gelten

unterschiedliche Rechtsgrundlagen (s. Infobox). „Ich glaube

schon, dass in vielen Bereichen eine Integration am Arbeitsmarkt

einfacher sein wird", sagt Arbeitsminister Martin

Kocher zu den Vorwürfen, dass Ukrainer:innen im Vergleich

zu anderen Geflüchteten besser behandelt werden. Das

liege laut Kocher auch daran, dass Englisch in der Ukraine

weiter verbreitet sei, und auch Abschlüsse leichter anerkannt

werden könnten, so der Arbeitsminister in einem Interview

mit PULS24.

„HIER IST ALLES SO BÜROKRATISCH,

DANN STUDIERE ICH HALT NICHT“

Haya ist 30 und in der syrischen Hauptstadt Damaskus geboren.

Nach ihrer Matura im Jahr 2008 hat sie den Bachelor an

der Universität in Damaskus gemacht. „Irgendwann wurde

der Weg zur Uni zerbombt, spätestens da konnte ich nicht

mehr zu den Vorlesungen“, erzählt sie. 2016 kam Haya nach

Österreich. „Ich durfte hier lange nicht arbeiten. Ich habe

schwarz als Babysitterin gearbeitet, ehrenamtlich gedolmetscht,

alles.“ Um hier den Master machen zu können, hat

Haya noch ein Dokument über den Nachweis ihres Bachelorstudiums

gefehlt – sie hat es bei der Flucht zurückgelassen

und hatte bis heute keine Möglichkeit, es zu holen. „Ich hatte

den ISIC-Ausweis (Anm.: International Student Identity Card).

Aber immer hat noch etwas gefehlt, es gab keine klaren

Regelungen“, sagt Haya frustriert.

„Ich wollte unbedingt weiterstudieren

und arbeiten. Am Anfang

war ich sehr motiviert, aber dann

dachte ich mir irgendwann: Hier

ist alles so bürokratisch, dann

studiere ich halt nicht.“ Unzählige

Stunden hat Haya damit verbracht,

Dokumente nachzureichen, von

Behörde zu Behörde zu laufen. Bis

/ POLITIKA / 17


18 / POLITIKA /


sie irgendwann nicht mehr konnte.

Heute arbeitet sie als freiberufliche

Fotografin und wartet auf ihre

österreichische Staatsbürgerschaft.

Haya ist wütend und genervt von

der europäischen Doppelmoral, was

Geflüchtete angeht. Sie sieht eine

klare Bevorzugung ukrainischer

Geflüchteter, nicht nur, was den

Arbeitsmarkt angeht. „Überall diese

Ukraine-Flaggen, überall Solidarität.

Sie sind hier klar willkommen.

Bei uns war das damals ganz was

anders“, erinnert sie sich an 2016

zurück. „Krieg ist Krieg. Aber ich

denke mir echt langsam schon: Ist

mein Leben für Österreich weniger

wert? Warum war es für uns so viel

schwieriger, hier anzukommen?“,

fragt sie wütend.

„DIE KONKURRENZ-

SITUATION IST

VERSTÄNDLICH“

Dieser Tenor ist laut Migrationsforscherin

und Kulturwissenschaftlerin

Judith Kohlenberger kein

neues Phänomen. „Das konnte

man schon 2015 beobachten, als

Geflüchtete aus dem Kosovo oder

Tschetschenien meinten: Bei den

Syrern klatschen alle, die sind hier

willkommen, bei uns war das damals aber nicht so.“

Es ist für Kohlenberger nicht verwunderlich, dass eine

Konkurrenzsituation entsteht, wenn die jeweils neue Generation

der Geflüchteten mehr Möglichkeiten und Rechte hat.

„Der zentrale Unterschied jetzt im Vergleich zu 2015 ist

sicherlich der politische Diskurs. Man ist auf EU-Ebene und

auf nationaler Ebene geeinter. Damals wurde die EU-Massenzustromrichtlinie

(s. Infobox) nicht aktiviert. Jetzt schon.

Der Grundkonsens, dass Hilfe angeboten werden muss, ist

da.“ Allerdings betont Kohlenberger auch, dass es in der

Praxis auch für Ukrainer:innen schwieriger aussieht, als es

scheinen mag. Was den Arbeitsmarkt angeht, scheitere es

oft an der Beschäftigungsbewilligung. „Es ist nicht so, dass

die einen jetzt alles bekommen, und die anderen gar nichts.

So rosig ist es auch für Ukrainer:innen nicht.“ Trotzdem würde

Kohlenberger sich wünschen, dass die Erleichterungen

auch für andere Gruppen gelten könnten. „Dass ein Standard

geschaffen wird, der nicht mehr unterschritten werden

kann.“

PUTZEN MIT DIPLOM IN DER TASCHE

„Es interessiert mich nicht, dass bei euch Krieg ist, in drei

Monaten musst du wieder zurück! Das ist nicht unser Problem.“

An diese Worte eines Beamten der Wiener Fremdenpolizei,

die 1992 gefallen sind, erinnert sich die heute

© Elodie Grethen

Judith Kohlenberger

„Es ist nicht so, dass die einen

jetzt alles bekommen, und die

anderen gar nichts. So rosig ist es

auch für Ukrainer:innen nicht.“

67-jährige Goca noch allzu gut.

„Natürlich wollte ich wieder zurück

nach Bosnien. Wir alle wollten

zurück. Aber es gab nichts, zu dem

ich hätte zurückkehren können“,

sagt sie ernst. Goca war in einer

Situation, in der sich jetzt unzählige

Ukrainer:innen wiederfinden. Vom

Krieg vertrieben, die Heimat zerstört,

das bisherige Leben aufgegeben,

und jetzt vor einem Neuanfang

in Österreich.

Aus drei Monaten wurden bei

Goca über dreißig Jahre. Sie ist

1955 in Bosnien geboren. Sie hat

nach der Matura in Mostar Wirtschaft

studiert. „In Mindestzeit, ich

hatte auch immer sehr gute Noten.

Ich wusste, dass das wichtig ist,

wenn ich mir eine Zukunft aufbauen

will“, fügt sie hinzu. Nach

ihrem Studium arbeitete Goca in

einem Statistik-Institut in Mostar.

1991 brach dann der Krieg aus –

Goca floh 1992 nach Österreich,

ihr Ehemann blieb in Bosnien. In

Österreich angekommen, musste

Goca Geld verdienen, um sich und

ihre Söhne zu erhalten. „Ich musste

an Geld kommen, egal wie.

Ich war mir für nichts zu schade,

das Wichtigste war, dass wir hier

überleben. Alles andere konnte warten. Ich machte mir keine

Illusionen. Ich wusste, dass ohne Deutsch nichts geht.“ Aber

Geld für einen Deutschkurs hatte Goca anfangs nicht. „Also

bin ich Putzen gegangen – natürlich schwarz.“ Trotz Diplom

in der Tasche.

SURVIVAL-MODUS

Goca erinnert sich an ihre Anfangszeit in Österreich, als sie

eines Abends im Jahr 1992 vor dem Fernseher saß und

„Wetten, dass…?“ lief. In der Sendung wurde eine Spendenaktion

für Geflüchtete aus dem Jugoslawienkrieg gestartet.

Goca war eine von ihnen. „Das war schön zu sehen“, sagt

sie nachdenklich. Aber dieses Erlebnis ist auch das Einzige,

das ihr positiv in Erinnerung geblieben ist, was die Willkommenskultur

in Österreich anbelangt. Im Alltag war es um

einiges härter.

Ihr Diplom hätte sie zwar nostrifizieren lassen können,

das wäre allerdings mit unglaublich viel Bürokratie, Geld und

Zeit verbunden gewesen. Vor allem Letzteres fehlte ihr – sie

war alleine mit zwei kleinen Kindern in Wien angekommen

und hat im Survival-Modus versucht, hier ein neues Leben

aufzubauen. In ihrer Heimat war Krieg, sie wartete jeden Tag

auf Informationen, ob alle aus der Familie noch am Leben

waren, gleichzeitig stemmte sie den Haushalt, erzog ihre

Kinder und ging arbeiten. Abends besuchte sie Fortbildungen

/ POLITIKA / 19


und Deutschkurse, tat alles, damit ihre Kinder es hier gut

haben. Goca erzählt in einem Schwall, ihr Kaffee am Tisch

ist längst kalt. „Egal, das ist eine Art Therapie für mich, dass

ich all das endlich erzählen kann“, winkt sie ab und schlürft

die kalte Brühe. „Versteh mich nicht falsch. Ich war und bin

immer noch sehr dankbar, dass ich in Österreich leben und

arbeiten durfte“, sagt sie demütig. Sie war eingeschüchtert

und verunsichert, wollte keine Ansprüche stellen. Und so

ging sie jahrelang weiterhin putzen.

„DU NIX DEUTSCH“

Sie erzählt von dem schroffen Umgang der österreichischen

Beamt:innen ihr gegenüber. „Wenn ich die Menschen beim

Finanzamt bat, langsamer zu sprechen, sind sie ausgezuckt.

Sie haben mich immer wieder so behandelt, als wäre ich

weniger Wert, nur weil ich nicht so gut Deutsch konnte.

Dabei wusste ich – ohne jemanden niederzumachen bitte

– dass ich viel gebildeter bin als mein Gegenüber.“ Goca

erinnert sich an viele Stunden bei Ämtern, Verzweiflung und

heimlich vergossene Tränen. „Das waren andere Zeiten, es

gab kein Internet. Alles ging viel langsamer“, erzählt sie.

Irgendwann klappte es aber mit dem dauerhaften Aufenthalt.

Nach jahrelangem Hin und Her konnte Goca auch ihre Dokumente

nachreichen und bekam 2002 ihr Studium nostrifiziert.

2008 trat sie eine Stelle in einer Steuerberatungskanzlei an.

„Damals dachte ich zum ersten Mal: Da gehöre ich hin, hier

bin ich richtig. Mathe und Zahlen, da fühle ich mich wohl“,

strahlt sie. Dort blieb sie auch bis zu ihrer Pension. Heute

lebt sie mit ihrem Mann in Wien und genießt die Zeit mit

ihrem Enkel – das bereitet ihr die größte Freude. „Nochmal

- ich bin dankbar für alles, dankbar für Österreich. Nur der

Weg war echt schwer. Vielleicht hatte ich einfach nur Pech

im Leben, aber ich wünschte, dass ich nicht so viele Tränen

hätte vergießen müssen.“

Als Anfang Februar der Krieg in der Ukraine ausbrach,

kamen bei Goca Erinnerungen und Ängste hoch, die sie

WELCHE NEUEN REGELUNGEN GIBT ES NOCH?

QUALIFIKATIONEN:

Speziell für Vertriebene aus der Ukraine

wurde kürzlich beschlossen, dass

sie in Österreich eine so genannte

„Blaue Karte“ erhalten. Die Blaue Karte

ermöglicht nicht nur einen Zugang zu

Arbeitsmarkt und Krankenversicherung,

sondern ist auch ein Identitätsdokument.

Zuständig für die Aufenthaltskarte

ist das Bundesamt für Fremdenwesen

und Asyl. Österreichweit wurden

laut BMI stand Ende Mai 71.850

ukrainische Geflüchtete erfasst und

62.000 Vertriebenenausweise ausgestellt,

davon 59.904 verschickt.

Die Beschäftigungsbewilligungen

für Ukrainer:innen werden vom AMS

innerhalb weniger Tage ausgestellt.

Ukrainische Geflüchtete können also

von Anfang an mehr Geld in Österreich

verdienen, als Menschen aus anderen

Drittstaaten, die oft sehr lange auf ihre

Genehmigungen warten.

Auch was die universitäre Laufbahn

angeht, gibt es Erleichterungen:

So erlässt die Universität Wien

Studierenden aus der Ukraine die

Studiengebühren und hat ein eigenes

Stipendium für sie ausgeschrieben.

Was die Anerkennung von Studienabschlüssen

betrifft, gibt es laut

der Universität Wien keine Sonderregelung.

Für die Nostrifikation, also

Anerkennung ausländischer Uni-

Abschlüsse, ist das Bildungsministerium

verantwortlich. Die Nostrifizierung

muss man beantragen, wenn man

außerhalb der EU bzw. des Europäischen

Wirtschaftsraums studiert hat.

In der Praxis gestaltet sich dies aber

schwierig.

AUFENTHALT:

Für vertriebene Ukrainer:innen gilt

die EU-Massenzustromrichtline. Diese

Richtlinie ist für den Fall einer Massenzuflucht

von Staatsangehörigen aus

Drittländern und Staatenlosen in die

EU gedacht, die aus Gebieten vertrieben

wurden, in denen „ein bewaffneter

Konflikt oder dauernde Gewalt

herrscht“ oder die „ernsthaft von

systematischen oder weit verbreiteten

Menschenrechtsverletzungen bedroht

waren oder Opfer solcher geworden

sind“ – und die deshalb nicht sicher

und dauerhaft zurückkehren können.

Sie werden nicht als „Flüchtlinge“,

sondern als „Vertriebene“ begriffen

und brauchen für eine maximal drei

Jahre dauernde vorübergehende

Aufnahme nur ihre Identität nachweisen

oder diese glaubhaft machen; das

vereinfacht das Verfahren.

WIE IST DAS MIT DEN

UNI-ABSCHLÜSSEN?

In Österreich sind Universitäten,

Fachhochschulen und Pädagogische

Hochschulen für die Anerkennung

ausländischer Studienabschlüsse

zuständig. Für die Ukraine gibt es derzeit

lt. Universität Wien keine Ausnahmeregelungen.

Achtung: Für eine Tätigkeit in der

Privatwirtschaft wird keine Nostrifizierung

benötigt, da hier nur der/die

potenzielle Arbeitgeber:in beurteilt,

ob durch das im Ausland absolvierte

Studium auch entsprechende Qualifikationen

erworben worden sind.

Da kommt es nämlich häufig

zu Missverständnissen sowohl

auf Antragsteller:innen - als auf

Arbeitgeber:innen- Seite, die meinen,

eine Nostrifizierung sei in jedem Fall

zwingend notwendig. Dies ist nur

notwendig, wenn ein österreichischer

Abschluss (oder ein in Österreich

nostrifizierter Abschluss; für EU/

EWR Bürger:innen gibt es im Recht

Ausnahmen) Voraussetzung für eine

Berufsausübung in Österreich ist - das

ist z. B. bei Apotheker:innen oder bei

Lehrer:innen der Fall.

20 / POLITIKA /


dreißig Jahre lang verdrängt hatte.

Sie freut sich, wenn sie sieht, dass

Ukrainer:innen es in Österreich

am Arbeitsmarkt einfacher haben

sollen – denkt aber auch, dass die

österreichische Politik heuchlerisch

ist, damit zu argumentieren, dass

„diese Leute ja eh wieder zurückgehen

werden.“ Auch OECD-Migrationsexperte

Thomas Liebig äußerste

sich Anfang Mai so dazu: „Bei den

Syrern war klar: Wer einen Aufenthaltstitel

bekommt, wird bleiben.

Aktuell wollen die Geflüchteten

zurück in die Ukraine. Dort wiederum

hoffe man auf deren Rückkehr

und auf den Wiederaufbau.“ Goca

zuckt mit den Schultern und fragt:

„Wohin? Wohin zurück?“

VOM JURISTEN ZUM

BADEMEISTER

Ein „Zurück“ gab es auch für ihn

nicht. Der 62-Jährige Mir Abdul

Samed Farid hat in Afghanistan

an der Universität in Kabul Jus

studiert. Dort hatte er ein „sehr

gutes und schönes Leben“, wie

er sagt. Er war Anwalt, hat gutes

Geld verdient und ihm stand

eine glückliche Zukunft bevor. Bis der Krieg ausbrach. 2001

flüchtete er nach Österreich. Es gab Schwierigkeiten mit

der Aufenthaltsgenehmigung, nach einem Jahr hat er sie

dann bekommen. Er musste jegliche Dokumente vorweisen

– über seinen Studienabschluss, über seinen vorherigen

Arbeitsplatz. Er hatte alles da, nur sein Diplom wurde hier

nie anerkannt. Er musste aber Geld verdienen, um seine

Familie hier zu erhalten. Deshalb begann er, in einer Küche

als Abwäscher zu arbeiten. Dort blieb er jahrelang, heute

arbeitet er als Bademeister in Wien. Mir Abdul Samed Farid

sieht die Willkommenskultur und die gesetzlichen Vorteile,

die Ukrainer:innen geboten werden, eher kritisch. „Das sind

europäische, christliche Leute, die werden anders behandelt

als wir“, meint er. „Als ich nach Österreich gekommen bin,

ist schon die Polizei gekommen, nur weil man als Afghane

sein Fahrrad falsch angekettet hat. Jetzt, wenn ein Ukrainer

irgendwo in der Kurzparkzone parkt, ist das kein Problem.

(Anm. d. Red: Die Regelung für die kostenlose Öffi-Nutzung

und gratis Parken für Ukrainer:innen in Wien ist mit Ende Mai

ausgelaufen) Er ist ja ein Geflüchteter. Aber das waren wir

genauso.“

„Erstens ist es auch für Ukrainer:innen in der Praxis

auch nicht so einfach. Nicht alle bekommen die Aufenthaltsbewilligung

und Arbeitserlaubnis. Man muss sich selbst

darum kümmern, was oft schwierig ist, wenn man kein

Deutsch spricht“, so Kommunikationswissenschaftlerin Lidiia

A kryshora, die seit 2013 in Österreich lebt. „Diese Vergleiche

© Klaus Ranger

Lidiia Akryshora

„Diese Vergleiche sind grausam.

Man kann nicht vergleichen,

welcher Krieg ,schlimmer‘ ist.“

sind grausam. Man kann nicht vergleichen,

welcher Krieg ,schlimmer‘

ist. Der Grundtenor in der Community,

was dieses Thema anbelangt,

ist: Leute, seid ihr verrückt? Die

Welt geht unter, und wir diskutieren

hier darüber, wer es besser und wer

schlimmer hat?“, so die gebürtige

Ukrainerin. „Man sollte aus der

Geschichte lernen: Den Aggressor

benennen und sich einigen, um

gegen ihn gemeinsam zu kämpfen“,

will sie noch loswerden.

„WARUM LEGT

ÖSTERREICH SICH

SELBST STEINE IN DEN

WEG?“

Senada ist 1992 genau wie Goca

vor dem Jugoslawienkrieg

geflüchtet. Sie ist heute 52 Jahre

alt und stammt ursprünglich aus

Bosnien, dort hat sie ihre Ausbildung

zur diplomierten Krankenschwester

gemacht. Auch

sie dachte, dass sie nur ein paar

Monate in Österreich bleiben

würde. In Graz angekommen,

musste Senada schnell Geld verdienen

– alles andere war zweitrangig.

Ihr fehlte jegliche Information darüber, wie sie ihre

Ausbildung hier anerkennen lassen kann. „Ich habe jeden

Job gemacht, der mir unterkam: Ich war Zimmermädchen,

Kochgehilfin – alles, was ging.“ Ihr Diplom wurde in Österreich

mit der Ausbildung einer Pflegehelferin (mittlerweile

lautet die Bezeichnung Pflegeassistenz) gleichgesetzt. „Ohne

jemanden zu beleidigen, aber das sind zwei verschiedene

Ausbildungen.“ Senada ist einfach sauer und wütend über

den österreichischen Umgang mit qualifiziertem Personal

aus dem Ausland. „Österreich legt den Leuten und irgendwie

ja auch sich selbst so viele Steine in den Weg. Das ist

alles so bürokratisch und so viel Papierschwachsinn.“ Auch

heute arbeitet Senada noch in einem Altersheim in Graz.

„Die Leute glauben, wir sind nur Arschputzer“, so Senada.

„Dabei sind wir viel mehr als das. In der Pflege mangelt es

sowieso immer an Kräften – warum wird es den Leuten dann

so schwer gemacht, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen?“,

fragt sie. Senada zeigt sich verständnisvoll darüber, dass

Ukrainer:innen vieles erleichtert werden soll. Sie betont aber,

dass Europa ihrer Ansicht nach rassistisch handelt und den

Geflüchteten aus beispielsweise Syrien oder Afghanistan das

Ankommen und Weiterleben sehr viel schwerer gemacht hat

als den Ukrainer:innen jetzt. „Ich bin gespannt, wie das jetzt

weitergeht, wenn der Arbeitsmarkt für die Ukrainer:innen

geöffnet wird.“ ●

* Name von der Redaktion geändert

/ POLITIKA / 21


Herr Botschafter,

wie viele

russische Freunde

haben Sie?

Wie hoch

schätzen Sie

die Wahrscheinlichkeit

(in %) eines

Nuklearkriegs

in Europa ein?

Wenn die Ukraine

die Unterstützung

bekommt, die sie

verlangt, in wie

vielen Monaten

könnte der Krieg

beendet sein?

Wie hoch

schätzen Sie

die Wahrscheinlichkeit

(in %) des

ukrainischen

Sieges ein?

Interview in Zahlen: In der Politik

wird genug geredet. Biber fragt

in Worten, der ukrainische

Botschafter in Österreich

Wassyl Chymynez antwortet

mit einer Zahl.

50

3

100

Von Amar Rajković, Fotos: Zoe Opratko

Der ukrainische Botschafter war noch nie am Grab des

umstrittenen Partisanenführers Stepan Bandera.

Chymynez schläft nur durchschnittlich 4 Stunden seit

Ausbruch des Krieges.

Wie viele

Stunden

schlafen Sie

seit Ausbruch

des Kriegs

pro Nacht?

Wie viele gute

ukrainische

Restaurants

gibt es in Wien?

Wie viele

russische

Soldaten sind

seit 24.2.

im Gefecht

getötet

worden?

Wie viele

UkrainerInnen

sind Stand

heute in

Österreich

erfasst?

Wie viele

UkrainerInnen

sind insgesamt

von den russischen

Truppen

vertrieben

worden?

4

1

29.200

70.000

5.700.00

(Anm. d. Red.:

Elvira’s Restaurant)

22 / POLITIKA /


Wie zufrieden

sind Sie mit der

Unterstützung

Österreichs?

Wie hoch schätzen

Sie die Wahrscheinlichkeit

(in %) eines Sturzes

von Vladimir

Putin im Falle

eines ukrainischen

Sieges ein?

Wie oft

telefonieren Sie

täglich in die

Ukraine?

Wie oft

haben Sie den

russischen

Botschafter

in Österreich

getroffen?

Wie viele

russische

Freunde haben

Sie?

7

100

3

0

0

(Auf einer Skala 1-10; 1=gar

nicht, 10=voll zufrieden)

Der Diplomat glaubt bei entsprechender Hilfe des Westens an

den ukrainischen Sieg in 3 Monaten.

Ein einziges ukrainisches Restaurant in Wien ist

Chymynez bekannt.

Wie viele

Menschen

auf der Welt

ernährt die

ukrainische

Landwirtschaft?

Bis zu welchem

Jahr wird

die Ukraine

spätestens der

EU beitreten?

Wie hoch ist die

Wahrscheinlichkeit

(in %), dass

die Ukraine in den

nächsten zehn

Jahren der Nato

beitritt?

Wie oft waren

Sie am Grab

von Stepan

Bandera?

Wie viele

UkrainierInnen

wurden seit

Kriegsanfang

von russischen

Streitkräften

nach Russland

verschleppt?

400.000.000*

2030

100

0

1.200.000

* Quelle: UN World Food

Programme

/ POLITIKA / 23


„Pommes oder

Lángos, Herr

Vizebürgermeister?“

WER IST ER?

Name: Christoph Wiederkehr

Alter: 32

Funktion: Wiener Bildungsstadtrat

für Bildung, Jugend, Integration,

Transparenz und Bäder.

Vizebürgermeister von Wien.

Besonderes: Eine kroatische Omi

crashte unser Fotoshooting und

verteilte vierblättrige Kleeblätter.

Sie outete sich als Riesenfan. Ob

das am Spontanstrip des Vizebürgermeisters

lag, ist nicht geklärt.

Er zog sich das Hemd aus und

schlüpfte in ein weißes T-Shirt.

24 / POLITIKA /


Vizebürgermeister und Integrationsstadtrat

Christoph Wiederkehr

(NEOS) spricht über Ukrainisch-

Klassen, erleichterten Zugang zum

österreichischen Pass und richtet einen

Appell an Bildungsminister Polaschek.

Interview: Amar Rajković, Mitarbeit: Justyna Pikusa, Foto: Franziska Liehl

BIBER: 6,20 € für eine Tageskarte fürs

Schwimmbad ist ganz schön happig.

Finden Sie nicht?

CHRISTOPH WIEDERKEHR: Wir sind

preislich dort, wo wir vor Corona waren

(Anm. d. Red.: Das waren 5,90 €).

Aufgrund der Pandemie gab es jedoch in

den letzten zwei Jahren einen Sondertarif.

Wir haben keinen eingeschränkten

Badebetrieb mehr und haben mit der

Bonuskarte mehr Flexibilität geschaffen.

Dabei zahlt man für zehn Besuche und

bekommt drei Eintritte kostenlos dazu. Es

gibt auch Ermäßigungen für Mindestsicherungsbezieher

oder PensionistInnen.

Trotzdem gab es reichlich Kritik für den

Preisanstieg.

Es gab seit zwei Jahren keine Preiserhöhung

und die Anpassung der Tarife ist

weit unter der Inflation. Ich kenne kaum

eine Großstadt, die sich über 40 öffentliche

Bäder leistet. Junge, Alte, Familien,

es gehen alle gerne in unsere öffentlichen

Bäder.

Sie auch?

Ja, ich finde das Schafberg- aber auch

das Kongressbad, in dem wir uns gerade

befinden, sehr schön.

Sind Sie ein Fan von Deutschförderklassen?

Nicht in der jetzigen Form. In einer Klasse

mit 18 Kindern, in der kein einziges

Kind Deutsch kann, ist es nicht möglich,

mit einer Lehrperson die Inhalte zu vermitteln.

Diese von der Bundesregierung

beschlossene Struktur der Deutschförderklassen

ist nicht förderlich für den

Spracherwerb. Ich bin ein Freund der

Schulautonomie. In manchen Schulen

wird es kleine Deutschklassen geben, die

sinnvoll sind. In anderen lieber integrativ

im normalen Regelunterricht. Es sollen

die Schulstandorte selbst entscheiden

und nicht das Ministerium.

Es gibt die Kritik, dass die ukrainischen

SchülerInnen nicht gut integriert werden,

wenn sie nur unter ihresgleichen in

Deutschförderklassen bleiben. Sehen sie

das auch so?

Ich halte es in der jetzigen Phase für

die aus der Ukraine geflohenen Kinder

sinnvoll, wenn sie in eigenen Klassen

gut begleitet werden, weil wir auch

noch nicht wissen, wie viele hierbleiben

werden. Langfristig braucht es die bestmögliche

Durchmischung in den Wiener

Schulen von unterschiedlichen Ethnien

und Sprachen, damit Integration wirklich

gelingen kann.

2015 kamen die meisten syrischen Kinder

in die Neue Mittelschule, obwohl ihr

Bildungsniveau dem der AHS entsprach.

Dort hat man sie zum größten Teil abgelehnt,

weil sie kein Deutsch sprachen.

Muss man Gymnasien mehr in die Pflicht

nehmen?

Es gibt in Wien Gymnasien, die gerne

ukrainische Kinder aufnehmen würden.

Sie dürfen aber nicht, weil ihnen die

räumlichen Ressourcen für die Deutschförderklassen

fehlen. Die gesetzlichen

Rahmenbedingungen sind sehr starr.

Mein Appell an den Bildungsminister:

Bitte stellen Sie in dieser schwierigen

Zeit die finanziellen Mittel zur Verfügung

und erlauben Sie mehr Flexibilität bei den

Deutschförderklassen.

Von wie vielen ukrainischen SchülerInnen

sprechen wir?

Wir haben aktuell knapp 3000 aus der

Ukraine geflüchtete Kinder und Jugendliche

in den Wiener Schulen. Das sind

über 100 Schulklassen. Wir sind darauf

vorbereitet, dass über den Sommer

zusätzliche Kinder im schulpflichtigen

Alter nach Wien kommen werden.

Sie werden auch alle einen Schulplatz

bekommen. Ich will nicht leugnen, dass

die Herausforderung sehr groß ist.

Darum unterstützen wir die bestehenden

Lehrkräfte zusätzlich, indem wir neues

Lehrpersonal anstellen.

Woher nehmen Sie das Personal?

Einerseits pensionierte Lehrkräfte, andererseits

Geflohene aus der Ukraine und

auch solche, die sich noch im Lehramtsstudium

befinden und Russisch oder

Ukrainisch sprechen. Das sind rund 100

zusätzliche Lehrkräfte, die wir seit dem

Ausbruch des Krieges angestellt haben.

In diesen Klassen ist eine Lehrperson, die

das österreichische Schulsystem kennt

und eine zweite die geflohen ist oder

Ukrainisch als Muttersprache hat.

Die Arbeiterkammer will den Zugang

zur österreichischen Staatsbürgerschaft

erleichtern, die ÖVP-Generalsekretärin

sieht keinen Grund dazu. Wo stehen Sie

als Wiener Integrationsstadtrat?

Ein Beispiel: Wenn ein hier geborenes

Mädchen aus Bosnien und Herzegowina

ein Jahr ERASMUS im Rahmen ihres Studiums

macht, hat sie keinen Anspruch

mehr auf die österreichische Staatsbürgerschaft.

Das entspricht nicht dem Zeitgeist,

weil junge Menschen heutzutage

viel mobiler geworden sind.

Sollten hier geborene Kinder automatisch

den österreichischen Pass erhalten?

Ich bin nicht dafür, komplett vom Prinzip

der Abstammung (ius sanguinis) in

Österreich wegzugehen. Die hier geborenen

Kinder sollen einen erleichterten

Zugang bekommen, weil in Wien immer

mehr Menschen leben, arbeiten, dabei

aber nicht demokratisch mitbestimmen

können.

Zum Abschluss die wichtigste Frage im

Bad – Pommes oder Langos?

Als Sohn eines ungarischen Vaters, ganz

klar: Langos. Mit Knoblauch.

/ POLITIKA / 25


MEINUNG

WÖRTER HINTERLASSEN

WUNDEN

Ich brauche eine Ablenkung von der verkorksten Realität,

nicht nur davon, sondern auch vor mir selbst. Ich halte meine

Gedanken, kombiniert mit all meinen Ängsten, die ich der

Gesellschaft zu verdanken habe, nicht lange aus. Viele wissen

nicht, dass jeder seine eigene Wahrnehmung und Interpretation

von Wörtern hat. Was dem einen harmlos erscheint, kann

den anderen verletzen. Verbale Angriffe können tief greifendere

Schäden hinterlassen als körperliche Angriffe – im Alter

von sieben bis 14 war ich ein Opfer von Mobbing und musste

daran glauben.

Damals wusste ich nicht, was Mobbing ist, und war jahrelang

der Überzeugung, das Problem zu sein. Das hatte dazu

geführt, dass ich mich ständig änderte und Angststörungen,

niemals gut genug zu sein, entwickelte. Schrittweise hatte ich

mich immer mehr von der Person, die ich war, entfernt. Dies

ging so lange, bis ich den Bezug zu meinem alten Ich verlor.

Die Auswirkungen meiner Ängste schränken mich ein und

begleiten mich im (Schul-)Alltag – egal, wie stark ich auch

versuche, sie zu unterdrücken. Es häufen sich alle Ängste,

wie Versagensängste und Soziophobie an, doch das ist für

die meisten Lehrer/innen nicht von Relevanz. Es ist schwer,

von mir zu erwarten, diese Ängste zu überwinden, aber doch

wird so getan, als würde ich damit leben wollen, als hätte

ich nicht versucht, etwas daran zu ändern. Zwinge ich mich,

das zu tun, übernimmt die Angst genauso meinen Körper. Ich

kriege einen Kloß im Hals, das Atmen wird schwer, ich stehe

mit zittrigen Händen und weichen Knien da, mache, wozu ich

gezwungen werde, und stelle mich selbst dabei bloß, was

wiederum weitere Ängste triggert.

Ich wünschte, ich könnte meine Gedanken kontrollieren, sie

sind schmerzhafter und gehen tiefer als die Worte anderer.

Will ich die Ängste loswerden oder dramatisiere ich nur, was

mir andere manchmal vorwerfen? Ich weiß nach so einer

langen Zeit nicht mehr, wie es ist, ‚normal‘ zu denken. Wie

würde es mir ohne meine gewohnten Ängste gehen? Woran

würde ich jede Nacht denken? Was, wenn sich Leere anstelle

von Angst in mir ausbreitet? Dieser Gedanke bringt die leise

Stimme in mir zum Schweigen, die mir eine letzte Hoffnung

auf Besserung gab.

Anonym, 18

WARUM ICH MEIN

KOPFTUCH TRAGE

„Wieso hast du dich dazu entschieden?“, fragen mich meine

Professor*innen mit überraschtem Gesichtsausdruck, als sie

mich zum ersten Mal mit Kopftuch sahen. „War das deine

Entscheidung?“ „Tragen deine Schwestern auch Kopftuch?“

„Bist du Mitglied in einer Moschee?“ oder „Es muss nicht alles

richtig sein, was im Quran steht!“

Das alles sind Fragen und Aussagen, die ich mir am Anfang

des Kopftuchtragens nicht nur einmal anhören musste.

Dieses gewisse Rechtfertigen musste ich bei fast allen

Professor*innen, die mich zu dieser Zeit unterrichtet hatten.

Als der erste Professor mit dem Fragenstellen anfing, dachte

ich mir nichts dabei, weil es für mich wichtig ist, Menschen

aufzuklären und ich mir schon dessen bewusst war, dass so

eine Reaktion folgen würde, doch nicht in so einem Ausmaß

... Wieso habe ich mich also für die Kopfbedeckung entschieden,

wenn sich weder meine Schwestern (damals) bedeckten,

noch ich Mitglied einer Moschee war? Wieso habe ich mich

gegen die westlichen Werte gestellt und bin meinem Glauben

gefolgt? Ob mich jemand gezwungen hat, mich zu bedecken?

Heutzutage ist es eher so, dass man gezwungen wird,

sich auszuziehen. Je offener eine Frau bzw. ein Mädchen

angezogen ist, desto „freier“ ist sie. Das Festhalten an der

islamischen Weiblichkeit ist in der Zeit, in der wir leben, alles

andere als einfach. Aber nur weil es nicht einfach ist, heißt es

nicht, dass man die Wahrheit für den leichteren Weg austauschen

sollte.

Anstatt über uns und für uns zu sprechen und Entscheidungen

zu treffen, die uns betreffen, sollte man mit uns sprechen

und die richtigen Fragen stellen. Die Bedeckung ist etwas

Wunderschönes, denn sie identifiziert mich schon auf den

ersten Blick als Muslima. Wir tragen dieses „Stück Stoff“, wie

es gerne von manchen genannt wird, aus Überzeugung und

Hingabe gegenüber unserem Herrn. Es war keine übereilte

Entscheidung, sondern eher das Gegenteil. Ich habe mich

sehr lange mit dem Islam befasst und habe mich dann aus

voller Überzeugung fürs Kopftuchtragen entschieden. Denn

es gibt mir die innere Glückseligkeit in einer Welt, wo Glück

Geld und Erfolg bedeutet. Je stärker man versucht, an diesem

Stück Stoff zu ziehen, desto stärker werde ich es verteidigen.

Lejla Ibrahimi, 17, 1AL, BHAK und BHAS Wien 10

© Zoe Opratko

26 / MIT SCHARF /


LIFE & STYLE

Mache mir die Welt,

wie sie mir gefällt

Von Şeyda Gün

Ship des Monats

ZENDAYA &

TOM HOLLAND

© Zoe Opratko, ImagePressAgency / Action Press / picturedesk.com, Maybelline, theBalm

MEINUNG

Vorhang auf für

Gossip Girl 2.0

„Guten Morgen, Upper East

Siders“, mit diesen Worten wollte

ich euch begrüßen, jedoch erwache

ich von meinem Tagtraum

und sehe der Realität ins Gesicht.

Ich bin nicht in Manhattan und

ich bin auch nicht Gossip Girl aka

Dan Humphrey. Ihr fragt euch

bestimmt, wer ich bin und wohin

eure unterhaltsame Life & Style

Queen Aleks verschwunden ist.

Sie hat einen Tapetenwechsel für

diese Seite beantragt und voilà:

Hier bin ich, als eine neue Update-

Version von Gossip Girl. Eines kann

ich euch vorab versprechen: Mit

mir beginnt eine neue Ära. Skandale

über die Elite der Stadt gibt

es bei mir zwar nicht, dafür teile

ich mit euch meine persönlichen

Beauty- und Fashion-Geheimnisse,

probiere für euch neue Produkte

aus und schmücke meine Seite mit

bisschen Klatsch und Tratsch. Holt

euch etwas zu trinken, macht es

euch bequem und lest euch meine

Tipps durch. In diesem Sinne:

Willkommen in meiner Welt, liebste

bibericas. Xoxo Ş.

guen@dasbiber.at

Ich liebe es, Celebrities oder Film-

Charaktere zu shippen und steigere

mich meistens so sehr hinein, dass

ich beinahe in einer parasozialen

Beziehung ende. Mein erstes Shipdes-Monats-Couple

sind Zendaya

und Tom Holland.

Beauty-Tipp 1

YALLA SCHWESTER,

GÖNN DIR SELBST­

BEWUSSTSEIN

Roten Lippenstift zu tragen hat mich

jede Menge an Überwindung gekostet.

Ich dachte immer, ich würde

aussehen wie ein Clown. Mittlerweile

ist die rote Farbe ein

Must-have unter meinen

Schminksachen. Diese

kombiniere ich gerne mit

einer Boyfriend-Jeans,

mit weißem T-Shirt und

Sonnenbrillen. Der Superstay-Matte-Ink

Lippenstift

von Maybelline ist seit

Jahren mein Liebling,

hält auch sehr lange und

sorgt für Baba-Selbstbewusstsein.

Bekommt ihr

beim DM für 9,95 Euro

Beauty-Tipp 2

SHINE

BRIGHT LIKE

A DIAMOND

Ich bekomme immer Komplimente

ab, dass meine Hamsterbacken

funkeln. Das liegt wohl an meinem

Mary-Lou Manizer Highlighter von

The Balm. Sharing ist caring, für

diesen Tipp könnt ihr mir später

danken. Douglas, 17,95 Euro

/ MIT SCHARF / 27


Die Autorinnen v.l.n.r. Oben:

Nihal Shousha, Stefanie

Stanković, Amra Durić

Unten: Jelena Čolić, Maria

Lovrić-Anušić

28 / EMPOWERMENT SPECIAL /


DU

BESTIMMST

IMMER.

PUNKT.

Geschlechterrollen durchbrechen, eigene Träume und Leidenschaften verfolgen,

sich dem Druck aus der Familie hingeben: Weibliche Selbstbestimmung

hat viele Gesichter und kann auf unterschiedlichen Wegen passieren.

Fünf starke, junge Autorinnen aus verschiedenen Communitys erzählen von

ihren persönlichen Revolutionen und was sie dafür in Kauf nehmen mussten.

Wie eine junge Frau ihrem Doppelleben als Mann endgültig ein Ende setzte,

eine andere ihre Wunschkarriere trotz Widerstand aus der Verwandtschaft

verfolgte und wie man lernt, dass gute Dinge Zeit brauchen.

Von der Entscheidung, keine Kinder bekommen zu wollen, bis hin zur

Überwindung von Stereotypen über die eigene Community am Arbeitsplatz.

Sie kommen in diesem Empowerment-Special selbst zu Wort.

Mit Beiträgen von Jelena Čolić, Amra Durić, Maria Lovrić-Anušić, Nihal

Shousha und Stefanie Stanković.

© Zoe Opratko

Das Projekt „Du bestimmst IMMER. Punkt!“ findet im Rahmen des Aufrufs „Maßnahmen

zur Stärkung von Frauen und Mädchen im Kontext von Integration“ des Österreichischen

Integrationsfonds statt. Dieses Projekt wird durch den Österreichischen Integrationsfonds

(ÖIF) finanziert. Die redaktionelle Verantwortung liegt allein bei biber.

/ EMPOWERMENT / MIT SCHARF SPECIAL / / 29


ZWEI GESCHLECHTER

EIN LEBEN

30 / EMPOWERMENT SPECIAL /


Als Mann wird man zur Freizügigkeit gedrängt, als Frau kassiert man dafür

Scham: Stefanie Stanković musste doppelt mit Genderrollen kämpfen.

Sie wurde bei ihrer Geburt in Serbien dem männlichen Geschlecht

zugeordnet und führte in Österreich ein Doppelleben als Frau. Zwölf

Jahre nach ihrem Coming-out will sie anderen Mut machen.

Von Stefanie Stanković, Fotos: Zoe Opratko

Ich war als Kind sehr schüchtern,

introvertiert, verschlossen. Man hat

mir immer gesagt: „Steffi, sei ein

Mann, hole dir, was dir zusteht! Sei

aggressiv, laut, zeig deine Männlichkeit,

nur so kommst du voran im Leben!“ Ich

war vielleicht acht Jahre alt, als ich mit

meinen Eltern auf Urlaub gefahren bin.

Genau wie die anderen Männer und

Jungs, sollte ich einfach mein T-Shirt

ausziehen, es hat sich aber so falsch

angefühlt. Die Antwort auf die Frage,

warum meine Mutter ein Bikini-Oberteil

tragen musste und ich nicht, hat für mich

keinen Sinn ergeben. Ich habe immer nur

gehört: „Du bist ein Mann und sie eine

Frau“ – in meinem Kopf antwortete ich:

„Ich bin aber kein Mann, sondern eine

Frau“.

Mein Umfeld, meine Familie und

Freunde waren immer enttäuscht,

wenn ich nicht geschafft habe, mich

durchzusetzen. Sie meinten, dass sich

das für einen Jungen nicht gehöre.

Ich bin in Serbien zur Welt gekommen.

Anhand meiner Genitalien wurde mir

das männliche Geschlecht zugeordnet,

und genau so wurde ich auch erzogen.

Patriotisch, orthodox, sehr nationalistisch

und toxisch-männlich, denn genau so

hat Serbien nach dem Jugoslawienkrieg

ausgesehen. Vor der Schulzeit war es

mir egal, dass ich diese Stereotype, die

meine Familie von mir erwartete, nicht

erfüllte. Aber später empfanden mich die

Kinder und LehrerInnen in meiner Schule

als komisch und so kam die Verwirrung.

ICH FÜHRTE EIN

DOPPELLEBEN

Zu Zeiten des Krieges und der Inflation

gab es in Serbien nur zwei Fernsehkanäle

und meine Eltern haben mich von klein

auf deutsche Fernsehsender und Zeichentrickfilme

schauen lassen. So habe

ich Deutsch gelernt. Durch Zufall stieß

ich eines Tages auf eine Fernsehsendung

mit Arabella Kiesbauer, in der Transpersonen

ihre Lebensgeschichte teilten –

und plötzlich machte alles Sinn. Ich war

nicht allein, es gibt so viele Menschen,

die sich genauso fühlen wie ich! Ich

begann schon als Kind, meine Zukunft

zu planen, und suchte alle passenden

Informationen dazu im Internet. Ich fand

heraus, dass Österreich ein sehr gutes

Gesundheitssystem hat. Es zwar auch

In Wien war ich die

Steffi, und zuhause

auf Skype mit meinen

Eltern war ich dann

wieder der Sohn, den sie

zu kennen glaubten.

nicht perfekt für Transpersonen, aber

dennoch viel fortschrittlicher war als

jenes in Serbien. In Serbien war der Prozess

einer Geschlechtsangleichung fast

unmöglich: Es gab keine Ressourcen,

medizinische Hilfe oder therapeutische

Unterstützung – und von gesellschaftlicher

Akzeptanz oder Sicherheit kann ich

nicht einmal sprechen.

Ich kam volljährig im Oktober 2010 in

Wien an, denn ich wollte hier studieren.

Ich konnte hier neu anfangen, als Steffi.

Für meine Eltern war ich immer noch der

brave Sohn, daher unterstützten sie mich

bei meinem Vorhaben. Es war perfekt!

In Wien kannte mich keiner von früher,

niemand konnte mir sagen, dass etwas

nicht zu mir passt, dass ich mich verändert

hatte, oder konnte fälschlicherweise

meinen Geburtsnamen verwenden. Ich

führte ein Doppelleben: In Wien war ich

die Steffi, und zuhause auf Skype mit

meinen Eltern war ich dann wieder der

Sohn, den sie zu kennen glaubten. Eine

Zeit lang ging das gut, aber dann kamen

Hormone ins Spiel und die Veränderungen

an meinem Körper wurden sichtbarer.

Die Zeit nach meinem Outing war für

alle Beteiligten nicht leicht. Ich denke,

dass kein Elternteil wirklich erfreut ist,

über die queere Identität ihres Kindes

zu erfahren. Dazu kommt noch mein

Balkan-Hintergrund, mein Vater akzeptiert

mich bis heute nicht. Für meine

Mutter gab es am Anfang nur Ängste,

wie ich durchs Leben gehen werde, und

ob es für mich Möglichkeiten gäbe, ein

„normales Leben“´ zu führen. Meine

Mutter begleitete und unterstützte mich

aber auf jedem Teil des Weges zu meinem

wahren Ich.

GENDER IST EIN

SPEKTRUM

Ich weiß nicht, wie bewusst es Außenstehenden

ist, dass ich mein Leben quasi

aus der Sicht von zwei Geschlechtern

erlebt habe. Zwischen den beiden Polen

„Mann“ und „Frau“ gab es auch eine

androgyne Phase, wo ich als keines von

beiden Geschlechtern wahrgenommen

wurde – und das alles in zwei komplett

unterschiedlichen Ländern. Ich hatte in

Serbien und Österreich das Glück (oder

Unglück), sehr viele Erfahrungen machen

zu dürfen, die mich verstehen ließen,

warum ich eine Frau bin. Ich war kreativ,

/ EMPOWERMENT SPECIAL / 31


„Mich vor zwölf Jahren in so einer

Gesellschaft zu outen, war erniedrigend“,

erinnert sich Steffi.

sanft, empathisch und sensibel.

Heute, mit 30 Jahren, kann ich nicht

genau beschreiben, was mich als

Frau ausmacht. Ich bin weder Mann

noch Frau, und doch beides gleichzeitig

– genau dieser Satz würde mich im

Moment am besten beschreiben. Gender,

Maskulinität und Feminität sind für mich

wie ein breites Spektrum, das sich auf

einer Skala von eins bis zehn bewegt,

wobei eins für „männlich“ steht, und

zehn für „weiblich“. An manchen Tagen

bin ich eine Sieben, an anderen eine

Drei. Genau so sehe ich auch Sexualität,

sie hat so viele Facetten. Und sie ist

in ständiger Veränderung. Ich entdecke

immer wieder neue Sachen, die

ich anziehend finde. Nur weil ich heute

etwas attraktiv fand, muss es nicht die

Regel für morgen sein. Für mich wirkt

alles sehr simpel und trotzdem sind viele

Menschen verwirrt, was Sexualität und

Gender betrifft. Warum?

Es ist die Gesellschaft, unsere

Erziehung, die über Generationen den

Jüngeren beibringt, wie man sich zu

verhalten hat. Die meisten Menschen

behaupten, dass es ihnen egal sei, was

andere Menschen von ihnen halten, aber

ich kann das nicht unterschreiben. Wir

alle wollen gemocht werden, einen guten

Eindruck hinterlassen, gut in Erinnerung

bleiben. Und deswegen empfinden wir

Scham, wenn es um unsere Sexualität

geht. Es ist generell ein gesellschaftliches

verpöntes Thema, auch wenn man

nur ein wenig aus der heteronormativen

Reihe tanzt. Auch ich spürte Scham.

Mich vor zwölf Jahren in so einer Gesellschaft

als Transfrau zu outen, war sehr

erniedrigend. Ich wurde als Witzfigur

hingestellt und verspottet. Man braucht

deshalb für diesen Schritt ein starkes

Durchsetzungsvermögen und viel Selbstbewusstsein.

FREIZÜGIG SEIN ALS

MANN GEHT – ALS FRAU

ABER NICHT

Ich wurde als Mann erzogen. Dinge, wie

selbstbewusst ohne Oberteil draußen zu

sein, oder offen zuzugeben, dass man

viel sexuelle Erfahrungen gemacht hat,

gehörten zum Alltag. Es sind Dinge, mit

denen „Mann“ gerne prahlt und dafür

Anerkennung bekommt, sei es von

anderen Männern oder Frauen. Diese

Regeln, die mir bei meiner Erziehung

aufgezwungen wurden, praktiziere ich

heute – allerdings als Frau. Das kommt

nicht gut an. Oft höre ich, dass es nicht

angebracht und billig sei, viel Haut zu

zeigen. Andererseits werde ich genauso

zum Objekt gemacht, weil mein Kleidungsstil

doch „so einladend sei“. Das

ist an sich schon sehr problematisch, vor

allem aber auch, weil diese Sachen einfach

nicht stimmen. Ich sehe Mode und

Kleidung als ein Instrument, um mich

selbst nach außen zu spiegeln. Wie auch

immer die Kritik genau aussieht: Dass

ich trans bin, verstärkt alles nochmal.

Warum sollte ich nicht das Recht haben,

mich in meiner Haut wohl zu fühlen und

Selbstbewusstsein, Stärke und Schönheit

auszustrahlen?

ALLES IST GUT, SOLANGE

DU VERFÜGBAR BIST?

Drehen wir mal die Rollen um: Wie viele

Frauen bekommen für sexuelle Erfahrungen

Anerkennung? Es ist nur Scham! Die

Frau sollte ein reines Bild bewahren und

darf dem Mann nicht gleichgestellt werden.

Sie muss dafür bestraft, ausgelacht

und verurteilt werden. Eine Frau sollte

begehrenswert oder verfügbar sein,

sie bewegt sich aber auf sehr dünnem

Eis. Die Gesellschaft wartet regelrecht

auf den Moment, um ihr „Schäm dich!“

laut hinterherzuschreien bei ihrem Gang

auf der Straße. Einmal habe ich für eine

Geburtstagsfeier von einem Freund alle

Geschütze aufgefahren: High Heels, kurzes

Kleid, welliges langes Haar, schönes

Make-up. Keine fünf Schritte konnte ich

im öffentlichen Raum gehen, ohne von

Männern angesprochen zu werden, dass

ich wunderschön, sexy, eine Traumfrau

sei. Aber sobald ich sie ablehnte, wurde

ich innerhalb einer Sekunde zum Gegenteil.

Ich war hässlich, prüde, ein Mann

– das dünne Eis unter meinen Füßen war

gebrochen.

Seit sechs Jahren bin ich auf Social

Media aktivistisch für die LGBTQIA+

Community, und nutze meine Plattformen,

um aufzuklären. Seit meinem

Coming-out habe ich viel gelernt. Ich

habe gelernt, unverschämt zu mir selbst

zu stehen. Ich kenne meinen Wert, was

ich für meine Zufriedenheit brauche,

um frei zu leben und ohne Pardon über

mein Leben zu bestimmen. Ich befinde

mich vielleicht in einer Seifenblase, die

ich für mich selbst kreiert habe, aber ich

bin frei. Und ich lasse mir das um keinen

Preis wegnehmen. Es gibt kein Image,

das ich bewahren muss. Meine Existenz

wird viele erstaunen, andere wird es

vielleicht schockieren. Aber beide Seiten

bekommen zu sehen, dass ich authentisch

bin, keine Scham davor habe, mein

wahres Ich zu zeigen - und genau das

macht mein Leben so besonders. ●

Stefanie Stanković ist 30 Jahre alt,

kommt aus Požarevac (Serbien) und lebt

und arbeitet in Wien als Make-Up-Artist

und Aktivistin.

32 / EMPOWERMENT SPECIAL /


BEZAHLTE ANZEIGE

MEHR RAUM

FÜR VIELFALT

In Wien laufen die Vorbereitungen für Österreichs

erstes queeres Jugendzentrum auf Hochtouren.

© Mercedes Mehling/unsplash

Die offene Jugendarbeit der Stadt

Wien bereitet in Zusammenarbeit

mit der Wiener Antidiskriminierungsstelle

für LGBTIQ-Angelegenheiten

(WASt) die Schaffung

des ersten queeren Jugendzentrums

Österreichs vor. Laut einer

Erhebung des Instituts für Höhere

Studien (IHS) ist der Bedarf

größer denn je. Alleine in Wien

leben 180.000 Lesben, Schwule

und Transgender-Personen.

Niederschwelligkeit, Barrierefreiheit,

Räume für Aktivitäten und

Freizeitgestaltung, Weiterbildungsprogramme,

Zivilcourage,

Empowerment und Aufklärungsarbeit

sind wichtige Themen in der

Arbeit mit LGBTIQ-Jugendlichen.

Das queere Jugendzentrum soll

ein Safer Space und ein Ort der

Begegnung werden. Besonders

bedeutend sind auch Konzepte für

die Arbeit mit sehr jungen Jugendlichen

ab 12 Jahren, trans- und

intergeschlechtlichen Jugendlichen,

die Arbeit mit Eltern sowie

mit Jugendlichen ohne Unterstützung

der Eltern.

Anschluss an bereits

bestehende Projekte:

„Wichtig ist, das Vorhaben mit

einem guten Konzept zu starten

und das queere Jugendzentrum in

weiterer Folge mit Beteiligung der

Jugendlichen, die es besuchen,

auszubauen und weiterzuentwickeln.

Es ist sinnvoll, dass das

queere Jugendzentrum an die

bereits bestehenden Angebote

für queere Menschen in unserer

Stadt anschließt“, sagt Wolfgang

Wilhelm, Leiter der WASt. Die Vorbereitungen

für die Ausschreibung

eines queeren Jugendzentrums

sollen noch vor dem Sommer

abgeschlossen sein, 2023 soll es

seine Pforten öffnen.

In der Regenbogenhauptstadt

Wien kannst du deine Lebens- und

Liebesentwürfe frei von Diskriminierung

leben. Die Stadt unterstützt

alle von Diskriminierung

betroffenen homo-, bi-, transsexuellen

und intergeschlechtlichen

Wiener*innen und bietet

Aufklärungsarbeit. Du erhältst

anonyme und kostenlose Beratung

bei der Wiener Antidiskriminierungsstelle

(WASt).

Hol dir jetzt Beratung!

wien.gv.at/queer


FÜR DEN

TRAUMJOB

DIE FAMILIE

IM STICH

LASSEN?

WIE ICH (FAST NICHT)

JOURNALISTIN WURDE.

34 / EMPOWERMENT SPECIAL /


Fast hätte Amra Durić ihren Traum, Journalistin zu werden, aufgegeben:

Trotz Geldsorgen, Gewissensbissen, Unverständnis vom Umfeld und fehlender

Unterstützung hat sie es geschafft: Heute sitzt sie als migrantische

Frau aus einer sozial schwachen Arbeiter:innenfamilie in einer Führungsposition

bei einer großen österreichischen Tageszeitung.

Von Amra Durić, Fotos: Zoe Opratko

Die Zugfahrt von Wien nach

Innsbruck dauert mit dem

Railjet etwa 4 Stunden und

20 Minuten – wenn es keine

Zwischenfälle gibt. Diese Strecke bin ich

in den vergangenen Jahren unzählige

Male abgefahren. Egal ob bei Schnee,

Sturm, Regen oder Sonnenschein. Wie

es der Zufall so will, schreibe ich diese

Worte sogar im Zug von Innsbruck nach

Wien. Diese 4 Stunden und 20 Minuten

sollten mein Familienleben völlig aus der

Bahn werfen.

TRAUMJOB MIT

HINDERNISSEN

Vor knapp 13 Jahren beschloss ich, nach

Wien zu ziehen. Bis ich meinen Plan in

die Tat umsetzen konnte, sollte aber

noch Zeit vergehen. Bereits im Teenageralter

wusste ich, dass ich Journalistin

werden wollte. Meine Mama und ich

saßen jeden Tag mit einer Tasse Cappuccino

vor dem Fernseher und sahen

uns „Gilmore Girls“ an. Wir fühlten uns

den Charakteren verbunden. Ein starkes

Mutter-Tochter-Duo, das viel redete,

noch mehr Kaffee trank und zusammen

viel durchgemacht hatte. Nur, es gab keine

reichen Großeltern, die uns unterstützen

konnten. Stattdessen hatte ich zwei

Geschwister, die die Schule besuchten

und eine alleinerziehende Mutter, die mit

schweren gesundheitlichen Problemen

kämpfte, weshalb sie ihrem Beruf nicht

mehr nachgehen konnte.

In meinem Vorhaben, Journalistin zu

werden, hatte mich meine Mutter immer

unterstützt. Dass ich dafür studieren

und in ein anderes Bundesland ziehen

musste, da man in Tirol nicht Publizistik

studieren konnte, war ihr nicht bewusst.

In Österreich wird Bildung überdurchschnittlich

vererbt. Ob die Eltern studieren,

oder einen Hauptschulabschluss

haben und wie viel Geld der Familie zur

Verfügung steht, entscheidet darüber,

welche Rolle ein Kind am Bildungsmarkt

einnimmt. Laut einer OECD-Studie

erreicht nur jedes fünfte Kind in Österreich

einen höheren Bildungsabschluss

als seine Eltern.

STUDIEREN MUSS MAN

SICH ERST VERDIENEN

Nach meiner Matura entwickelte sich

mein Sommerpraktikum zur Festanstellung

– zum Glück. Ging es nach meinem

Plan, musste ich etwa ein Jahr lang

arbeiten, um mir überhaupt den Umzug

nach Wien leisten zu können. Ich hatte

seit meinem 16. Lebensjahr zwar schon

Geld verdient, der Großteil floss aber

in die familiäre Haushaltskasse. Jeder

Cent zählte. Ich war in meiner Familie die

Erste, die studieren gehen sollte. Doch

im Unterschied zu meinen Freundinnen

und Freunden, deren Eltern selbst eine

Universität besucht hatten und für die

es daher selbstverständlich war, dass

auch das Kind studieren ging, war bei

mir wenig Rückhalt da. Verwandte und

Bekannte meiner Familie zeigten sich

entsetzt darüber, dass ich nach Wien

ziehen wollte, um Publizistik zu studieren.

„Jetzt, wo du sie durch die Schule

gebracht hast, zieht sie einfach weg und

lässt dich allein. Sie zieht sicher nur nach

Ich wusste dass ich in

Wien sofort eine Stelle

finden musste, um

mich selbst finanzieren

zu können.

Wien, um Party zu machen“, waren noch

die netteren Sätze, die sich meine Mutter

anhören musste. Viele konnten mit meinem

Studium nichts anfangen. Die meisten

Cousins und Cousinen hatten keine

höhere Schule abgeschlossen, sondern

waren nach der Hauptschule direkt in die

Lehre gegangen. „Jetzt, wo du endlich

arbeiten gehen solltest, willst du deinen

Kopf in noch mehr Bücher stecken“,

wetterten Verwandte.

Die laute Kritik konnte mich von

meinem Wunsch nicht abbringen. Bei

meiner Mama sah ich aber die ersten

Zweifel aufkommen. Kurz vor meinem

Umzug bekam ich ein Jobangebot in

Tirol. Vollzeit, gut bezahlt, im Marketingbereich.

Meine Mutter fragte mich, ob

ich annehmen wolle. Zumindest eine Zeit

lang. „Du kannst in ein paar Jahren noch

immer studieren“, meinte sie. Der Job

hätte auch unsere finanzielle Situation

immens verbessert. Ich hatte schon ein

Jahr lang gewartet und Angst, dass,

wenn ich blieb, mehrere daraus werden

würden. Mein Gefühl sagte mir: jetzt

oder nie. „Ich kann bleiben und den Job

annehmen. Ich fürchte aber, dass ich es

mein Leben lang bereuen werde und dir

dafür die Schuld gebe“, erklärte ich meiner

Mama. Wir sprachen lange darüber.

Ich bekam Studienbeihilfe, wusste aber,

dass ich in Wien sofort eine Stelle finden

musste, um mich selbst finanzieren zu

können und auch, um meine Familie

weiterhin, so gut es möglich war, zu

unterstützen.

VOM WG-ZIMMER

INS SPITAL

Im September 2011 war es endlich so

weit. Ich hatte ein WG-Zimmer gefunden

und stand kurz vor der Übersiedlung.

Meine Mutter war fertig mit den Ner-

/ EMPOWERMENT SPECIAL / 35


Meine Mutter

brachte es nicht über

das Herz, mich zum

Zug zu bringen.

Die Autorin pendelte eine Zeit lang jede Woche zwischen Wien und Tirol.

ven. Ihre Augen waren von ihren Tränen

verquollen. Sie brachte es nicht über das

Herz, mich zum Zug zu bringen. In den

ersten Wochen fuhr ich jedes Wochenende

wieder nach Tirol. Doch obwohl

mich meine Mutter am Wochenende

sah und wir täglich telefonierten, ging

es ihr immer schlechter. Die ständige

Kritik der Verwandtschaft, die abschätzigen

Bemerkungen und die Sorge,

dass ich allein in einer fremden Stadt

war, verschlimmerten die Situation.

Sie erlitt einen Zusammenbruch und

landete im Spital. Zwei Tage lang lag

sie im Krankenhaus. Ich saß mit meinen

Geschwistern, die ebenfalls unter

der Situation litten, zu Hause in Tirol.

Mein einziger Gedanke war: Das ist es

nicht wert. Ich beschloss, das Studium

abzubrechen und den Traum vom

Journalismus platzen zu lassen. Dass ich

doch weiterstudieren konnte, war nur

mit viel Kraft und Geduld möglich. Meine

Mama konzentrierte sich mehr auf meine

Geschwister und fing an, sich tagsüber

um den kleinen Sohn einer Bekannten zu

kümmern. Ich fuhr weiterhin fast jedes

Wochenende nach Tirol. Noch heute, elf

Jahre später, telefoniere ich täglich mit

meiner Mama. Wir distanzierten uns von

Menschen, die meinen Umzug als Im-

Stich-Lassen der Familie betrachteten.

Ich fand in Wien recht schnell einen Job

und arbeitete während meiner Studienzeit

unter anderem bei einer Versicherung,

als Museumsaufsicht, verteilte

Flyer und ging Babysitten. Nebenher

machte ich Praktika bei Zeitungen und

schrieb als freie Journalistin.

Für Menschen mit Migrationshintergrund

ist der Weg zu höherer

Bildung meist besonders schwierig.

Migrant:innen brechen häufiger ihr Studium

ab, machen geringere akademische

Abschlüsse. Bei mir erschwerten die

ökonomische Situation meiner Familie

und das negative Umfeld den Einstieg ins

Studienleben zusätzlich. Doch auch die

schweren Herausforderungen und vielen

Rückschläge schafften es nicht, mich von

meinem Weg abzubringen. Ich absolvierte

mein Studium erfolgreich. Seit über

acht Jahren arbeite ich als Journalistin

bei Heute, einer der größten österreichi-

schen Tageszeitungen und bin mittlerweile

sogar Teil der Chefredaktion.

Rund drei Monate nach meiner Übersiedlung

stieg meine Mama schließlich

selbst in einen Zug und fuhr das erste

Mal nach Wien, um mich zu besuchen.

Es sollten noch viele weitere Zugfahren

folgen. ●

Amra Durić ist 31 Jahre alt und Mitglied

der Chefredaktion von Heute.at, sowie

Digital Project Managerin.

36 / EMPOWERMENT SPECIAL /


Was bringt

die Erhöhung des

Familienbonus Plus

fürs Familienbudget?

Entgeltliche Einschaltung

Das Entlastungspaket bringt’s – z.B. für Kinder bis 18 Jahre:

Ab 1. Juli 2022: Erhöhung des Familienbonus Plus

um 250 Euro auf bis zu 1.750 Euro pro Kind und Jahr

Ab 1. Jänner 2023: Erhöhung des Familienbonus Plus

um 500 Euro auf bis zu 2.000 Euro pro Kind und Jahr

Gleich nachrechnen:

bmf.gv.at/entlastungsrechner

Jetzt kommt das Plus für Familien: Wenn Sie den Familienbonus Plus im Rahmen der Lohnverrechnung

bei Ihrem Arbeitgeber beantragt haben, erfolgt ab Juli 2022 eine automatische Berücksichtigung

mit dem erhöhten monatlichen Betrag. Bei Beantragung im Rahmen der Arbeitnehmerveranlagung wird

ab dem Veranlagungsjahr 2022 der erhöhte Betrag herangezogen.

Mehr fürs Leben – fair für alle.

Alle Infos auf: bmf.gv.at/familienbonusplus


„WIE, DU WILLST

KEINE KINDER?“

38 / EMPOWERMENT SPECIAL /


Frau mit Balkan-Background, Mitte 20, unverheiratet und dann auch noch

keine Pläne, ein Kind zu bekommen? Das stößt in der Community sauer auf,

berichtet Autorin Maria Lovrić-Anušić. Sie hat für sich selbst beschlossen,

dass sie kinderlos und glücklich bleiben will. Auch wenn viele nicht verstehen

können, wie diese zwei Haltungen zueinander passen.

Von Maria Lovrić-Anušić, Fotos: Zoe Opratko

Ein Einfamilienhaus, ein Ehemann

und drei Kinder. Was

für Viele in meinem Umfeld

ein Traum ist, klingt für mich

nach einem Horrorszenario. Ich möchte

Karriere machen, viel Reisen und

die Welt ohne jegliche Verpflichtungen

erkunden. Mit dem Gedanken zu

heiraten, könnte ich mich vielleicht noch

irgendwann anfreunden, Kinder möchte

ich aber keine. Das bedeutet nicht, dass

ich Kinder hasse, ich möchte nur keine

Verantwortung für ein neues Leben übernehmen.

Wenn ich das bei Verwandten

und Bekannten so kommuniziere, stoße

ich allerdings nur auf Unverständnis. Wie

kann es sein, dass eine Frau lieber Karriere

macht und keine Kinder will? Das

gehört sich doch so nicht.

DAS KRITISCHE WELTBILD

Diese Abneigung gegen Karrierefrauen

kommt nicht von ungefähr. Sowohl in

meiner Heimat Kroatien als auch in den

restlichen Balkanstaaten existiert ein

vorgefertigtes und vor allem unglaublich

veraltetes Bild vom Leben einer Frau. Sie

wird geboren, geht zur Schule, hilft im

Haushalt, heiratet, bekommt Kinder und

lebt als Hausfrau und Mutter, während

ihr Mann arbeiten geht. Die Menschen

sind nicht gewillt, ihre Ansichten zu

ändern, denn „es war ja schon immer

so“. Jede Frau, die sich gegen dieses

traditionelle Bild wehrt, wird nur belächelt

und nicht ernstgenommen. „Du

wirst deine Meinung schon noch ändern,

wenn du älter bist“, ist der Standardkonter.

Das ist unglaublich problematisch,

denn dadurch gibt die ältere Generation

der Balkan-Community den jungen

Frauen das Gefühl, sie wären nur auf der

Welt, um Kinder zu gebären, und, dass

ihre persönlichen Wünsche nicht relevant

wären.

„WIE, DU WILLST KEINE

KINDER?“

Eine Bekannte, die selber grade erst

Anfang zwanzig ist und aus Bulgarien

kommt, erzählte mir letztens, dass sie

mindestens zwei Kinder haben möchte

und sie eigentlich auch relativ bald

heiraten will. Ihr Lehramtsstudium würde

sie sowieso nur als Zeitvertreib absolvieren,

denn eigentlich wollte sie schon

immer Hausfrau werden. Meine Antwort

auf ihre Frage, wie viele Kinder ich gerne

hätte, schockierte sie etwas. „Ich will

keine Kinder,“ meinte ich. Ich erzählte

ihr euphorisch von meinen Plänen, mein

Masterstudium zu Ende zu machen und

mich vollkommen auf meinen Traum,

Journalistin zu werden, zu konzentrieren.

Immerhin bin ich ja erst Mitte zwanzig

und hab mein ganzes Leben noch vor

mir. „Wie, du willst keine Kinder? Was ist

denn sonst der Sinn in deinem Leben?“,

erwiderte sie mir nur. Auf meine Wünsche

und Träume ging sie gar nicht erst

ein. Es war ihr einfach ein Rätsel, wie ich

sowas nur aussprechen konnte. Auch

Meine Erwartungen soll

ich runterschrauben,

denn offensichtlich

verlange ich zu viel,

wenn ich keinen

sexistischen oder

rassistischen Mann

heiraten will.

Verwandte machen es sich zur Aufgabe,

mir die Frage „Kad ćeš se udat?“, was

so viel wie „Wann wirst du heiraten?“

bedeutet, zu stellen. Warum fragen sie

mich nicht, wie mein Studium läuft und

welche Pläne ich arbeitstechnisch hege?

Ahja, weil ich eine ledige 24-jährige Frau

bin. Meine biologische Uhr ist am Ticken

und es ist Zeit, sich einen Mann zu

suchen, bevor es zu spät ist. Das wollen

sie mir zumindest damit sagen, ohne es

direkt auszusprechen. Meine Erwartungen

sollte ich aber doch etwas runterschrauben,

denn offensichtlich verlange

ich zu viel, wenn ich keinen sexistischen

oder rassistischen Mann heiraten will.

Eine Frau, die sich nämlich nur auf sich

selbst konzentriert und zu viele Ansprüche

stellt, wird schnell als egoistisch

abgestempelt.

KINDER ALS

ALTERSVORSORGE

„Wer soll sich denn um dich kümmern,

wenn du alt und schwach bist?“, ist eine

der häufigsten Fragen, wenn ich erzähle,

dass ich mir in meiner Zukunft keine Kinder

vorstellen kann. Es ist der Kreislauf

des Lebens, man bekommt Kinder, die

sich dann um einen kümmern, wenn man

alt ist. Immer wenn ich das höre, frage

ich mich, ob diese Menschen wirklich

Kinder oder einfach nur eine sichere

Altersvorsorge haben möchten. Was ist

denn, wenn diese Kinder in ihrer Zukunft

auf einen anderen Kontinent ziehen oder

nicht genug Geld verdienen, um sich um

ihre Eltern zu kümmern? Sind sie dann

uninteressant und undankbar? Vor Jahrzehnten

war das eine gängige Begründung,

um Kinder zu bekommen, heute

haben wir aber genug Möglichkeiten, um

uns für die Zukunft abzusichern, und wir

/ EMPOWERMENT SPECIAL / 39


müssen definitiv nicht Kinder in die Welt

setzen, nur um diese Verantwortung auf

sie abzuwälzen. Ich persönlich könnte

das niemals mit meinen moralischen

Wertvorstellungen vereinbaren.

Auf dem Spielplatz abhängen? Nein, danke!

„SEI NIEMALS VON EINEM

MANN ABHÄNGIG!“

Ich habe zum Glück von meinen Eltern

selbst nie den Druck verspürt, zu heiraten

und Mutter werden zu müssen. Ganz

im Gegenteil. „Sei niemals von einem

Mann abhängig!“ – diesen Spruch musste

ich mir von meinem Vater schon mein

ganzes Leben lang anhören. Ich habe als

Kind nie ganz verstanden, warum er das

so oft betonte. Was sollte so schlimm

daran sein, wenn der Mann die Familie

ernährt? So habe ich es doch immer in

meinem Umfeld gesehen. Die Frauen

waren Mütter und Hausfrauen und sie

wirkten doch glücklich. Mit der Zeit wurde

mir aber bewusst, dass er in diesen

Frauen mehr sah als die glücklichen

Mütter. Es waren Frauen, die sehr wenig

Geld verdienten und in hundertprozentiger

Abhängigkeit von ihren Männern

lebten. Sie hätten es niemals gewagt,

sich von ihren Männern zu trennen.

„Männer kommen und gehen, zum Heiraten

und Kinder kriegen hast du noch

genug Zeit.“ Es war ihm wichtig, dass ich

meine Schule zu Ende bringe und mein

eigenes Geld verdiene, sodass ich auf

meinen eigenen Beinen stehen kann und

mich niemals aufgrund von finanzieller

Es war meinem Vater

wichtig, dass ich die

Schule zu Ende bringe

und mein eigenes Geld

verdiene, sodass ich

auf eigenen Beinen

stehen kann.

Abhängigkeit schlecht behandeln lassen

muss. Ich habe diese Sätze verinnerlicht

und ich glaube, dieser fortschrittliche

Umgang meines Vaters hat auch meine

Einstellung geprägt. Kinder passen in

mein persönliches Weltbild einfach nicht

hinein und auch eine Ehe ist für mich

nur eine Art positiver Bonus. Mein Leben

kann aber auch ohne diesen Bonus

erfüllend sein.

Ob ihr jetzt Kinder wollt oder nicht,

eins ist sicher: Eine Frau muss gar nichts.

Ihr dürft euch von niemandem etwas

einreden lassen, das ihr nicht wollt. Klärt

die Menschen lieber auf, dass nicht jede

Frau ihre Erfüllung in Kindern sieht und

auch viele Frauen einfach keine Kinder

bekommen können und diese ständigen

Fragerein extrem verletzend sein können.

Verstehen sie es noch immer nicht?

Dann überlegt euch, ob ihr diese Personen

wirklich in eurem Umfeld haben

wollt. Es liegt allein in eurer Hand, ob ihr

heiraten und Kinder kriegen oder Karriere

machen wollt. Für welchen Weg ihr euch

entscheidet, ist irrelevant - solange ihr

euch aus eigener Überzeugung für einen

entscheidet, kann es nur der richtige

sein. Ich für meinen Teil weiß, was ich

will und vor allem: Ich weiß, was ich

nicht will. Und reinreden lasse ich mir da

auch gar nichts mehr. Wenn ich dafür als

Egoistin betitelt werde, dann bin ich das

gerne. ●

Maria Lovrić-Anušić ist 24 Jahre alt und

in Wien aufgewachsen. Sie arbeitet als

freie Journalistin und studiert nebenbei

Publizistik.

40 / EMPOWERMENT SPECIAL /


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GEH‘ DEINEN WEG – EGAL,

WIE LANGE ES DAUERT!

42 / EMPOWERMENT SPECIAL /


Mit 25 Jahren auf eigenen Beinen stehen, Erfolg haben und eine Familie

gründen. Autorin Nihal Shousha hatte eigentlich einen fixen Plan für ihr

Leben. Warum es für sie aber doch kein Weltuntergang ist, diese Ziele noch

nicht erreicht zu haben.

Von Nihal Shousha, Fotos: Zoe Opratko

Ich gehöre zu den wenigen Menschen,

die schon als Kind genau

wussten, was sie in ihrem Leben

erreichen wollen. Bereits mit zwölf

Jahren wusste ich, dass ich in Zukunft in

der Welt der Medien Fuß fassen möchte

und mir zudem eine Karriere als Modedesignerin

aufbauen will.

Laut meinem Plan, den ich in meiner

Kindheit geschmiedet hatte, sollte ich

mit 25 auf eigenen Beinen stehen,

finanziell unabhängig, selbstständig und

erfolgreich sein und eine eigene Familie

gegründet haben. Heute bin ich 25, Single

und studiere noch. Ich mache zwar

den Master und arbeite gleichzeitig in

meinem Gebiet, jedoch heißt es trotzdem

für viele Menschen in meiner arabischen

Community, dass ich bis jetzt nicht viel

erreicht hätte. Da eine Frau „in meinem

Alter“ eher eine Familie als eine Karriere

anstreben sollte oder eine Weiterbildung.

Familie ist wichtig, aber Frauen existieren

nicht nur, um eine Familie zu gründen.

Jede Frau setzt für sich andere Prioritäten.

ICH WILL MICH NICHT

MEHR RECHTFERTIGEN

Als sichtbare Muslima spüre ich zudem

noch den Druck, ein Vorbild für meine

Community sein zu müssen. Wenn

ich mich falsch verhalte, passiert das

scheinbar stellvertretend für all die 1,9

Milliarden Muslime weltweit. Ich darf keine

Grammatikfehler machen, denn das

deutet auf meinen Migrationshintergrund

hin. Ich darf mich bloß nicht versprechen,

sonst geht man automatisch davon

aus, dass ich kein Deutsch kann. Ich

muss mich mehr bemühen als alle anderen.

Ich möchte das nicht mehr tun. Ich

möchte mich nicht nur zu Wort melden,

um zu beweisen, dass ich der deutschen

Sprache mächtig bin. Ich möchte mich

nicht extra in einem Gespräch einbauen,

um meinen KollegInnen zu beweisen,

dass ich ein normaler Mensch bin. Ich

möchte ich selbst sein. Ich darf Fehler

machen. Ich bin kein Vorbild, sondern

einfach ich. Ich bin Nihal, eine simple

Frau, die sich vom gesellschaftlichen

Druck befreien möchte. Ich habe große

Träume, die ich eines Tages erreichen

werde, ohne dabei jemandem etwas

beweisen zu müssen.

Wer sagt, dass man in einem

bestimmten Alter bestimmte Dinge

erreicht haben muss? Wer sagt, dass

man in einem bestimmten Alter verheiratet

sein oder Kinder haben muss? Es

gibt kein perfektes Alter, um bestimmte

Dinge im Leben zu erreichen. Das ist

eine individuelle Reise, die jeder unabhängig

von äußeren Einflüssen selbst

bestimmen sollte. Im Laufe der Zeit habe

ich gelernt, dass das Alter nur eine Zahl

ist. Oft ist dieses einschränkende Denken

tief in der Gesellschaft verankert. Je älter

man wird, desto schneller rücken Ziele

dabei in weite Ferne. Aber wieso? Das

Leben hat mehr zu bieten, als dass man

sich an Zahlen bindet. Wir sollten uns

nicht mit irrelevanten Regeln selbst im

Weg stehen.

Es gibt kein perfektes

Alter, um bestimmte

Dinge im Leben

zu erreichen.

EINEN GANG

ZURÜCKSCHALTEN

Ich hatte die Chance, in diverse Medienhäuser

in Österreich zu schnuppern, und

landete sogar meinen langersehnten

Traumjob als Redakteurin in einem Medienkonzern.

Dort verstand ich schnell,

dass die Position nicht meiner Vorstellung

entsprach und nicht zu mir passte.

Mein Arbeitgeber und ich hatten unterschiedliche

Interessen und unterschiedliche

Ziele. Die entscheidende Situation

war, als eines Tages der Islamische Staat

das Kernthema in einer Redaktionssitzung

war und dabei jeder mich beobachtete

und neugierig auf meine Reaktion

wartete. In diesem Moment wusste ich,

dass ich am falschen Ort und im falschen

Umfeld war. Nachdem ich gemerkt hatte,

dass ich mich in meinem Traumjob fehl

am Platz fühlte, war das eine große

Enttäuschung für mich. Immerhin hatte

ich mir diesen Job jahrelang gewünscht!

Ich bin in eine Schockstarre verfallen, als

ich verstand, wie viele Medien bewusst

nicht die ganze Wahrheit zeigen wollen.

Ihnen war es wichtiger, über anregende

Themen als über relevante gesellschaftspolitische

oder unbehandelte Themen zu

berichten.

In dem Moment begriff ich, dass es

okay ist, etwas zu probieren und mir

dann einzugestehen, dass es mir nicht

gefällt. Es ist okay, wenn ich in eine

Branche einsteige und wieder aussteige.

Es ist okay, meine Ziele und Interessen

zu ändern. Wie einen die Leute betrachten,

ist das Letzte, was dich interessieren

sollte. Ob du als verwirrt oder

unentschlossen im Leben abgestempelt

wirst, weil du dein Studium zweimal

gewechselt hast oder drei unterschiedliche

Richtungen studieren möchtest, ist

bedeutungslos. Es ist in Ordnung, nicht

zu wissen, was man studieren möchte

oder ob man überhaupt studieren möchte.

Momentan mache ich den Master aus

reinem Interesse. Auch wenn manchmal

Menschen in meiner Umgebung sarkastisch

nachfragen, ob ich mein ganzes

Leben mit dem Studieren verbringen

möchte, werde ich mein Ding durchziehen.

Nihal Shousha ist 25 Jahre alt und ist

in Wien geboren und aufgewachsen. Die

Masterstudentin arbeitet als Journalistin

& Social Media Assistentin.

/ EMPOWERMENT SPECIAL / 43


„SCHREIB MAL

ÜBER DEINE LEUTE!“

ZWISCHEN QUOTE UND FREMDBESTIMMUNG

Woke und progressiv – so stellt sich der Großteil des österreichischen

Journalismus dar. Schafft man als Frau mit Migrationshintergrund den

Schritt in die österreichische Medienlandschaft, ist die Schlacht noch lange

nicht geschlagen. Dann fängt es erst so richtig an.

Von Jelena Čolić, Fotos: Zoe Opratko

44 / EMPOWERMENT SPECIAL /


Schreib mal über deine Leute,

Jelena“, meinte mein damaliger

Chef zu mir. Ich machte

gerade ein Praktikum bei

einer Tageszeitung. Wen meint er denn?

Vorarlberger*innen? Leute aus Ex-Yu?

Frauen unter 1,60 m? Auf meinen verwirrten

Blick entgegnet er mir, ich könne

doch einen Text über die Auswirkungen

von Corona auf die Ex-Yu-Diaspora und

ihre Sommerpläne schreiben. Natürlich

betrifft es doch auch mich und meine

Familie – aber warum bin ich plötzlich

Pressesprecherin für alle Ex-Yus in

Vorarlberg geworden? Macht mich allein

mein Migrationshintergrund zu einer

Expertin? Nein, natürlich nicht. Andererseits

habe ich es auch satt, wie in den

gängigen Medien über „uns“ berichtet

wird. Man erinnere sich an Meldungen

wie „Ausländer sind schuld an Corona,

weil sie über Weihnachten zuhause

waren“.

ZWISCHEN

PFLICHTGEFÜHL UND

HERZENSANGELEGENHEIT

Der österreichische Journalismus

braucht mehr Diversität. Eine einzige

queere Person, jemand, dessen Nachname

mit „ić“ endet oder eine Person

mit Kopftuch einzustellen, macht die

Redaktion noch lange nicht divers.

Schon gar nicht, wenn diese Person nur

über ihre*seine Themen schreiben soll.

Natürlich sollen alle Ressourcen genützt

werden – Fremdsprachenkenntnisse,

Kontakte oder spezielles Know-how bei

einem Thema, aber es kann nicht sein,

dass ich unfreiwillig zur Diversity-Beauftragten

gemacht werde, nur weil ich

anders bin als der Rest der Belegschaft.

Bei einem Bewerbungsgespräch meinte

mein Chef: „Wir mögen dein Profil so

gerne und freuen uns auf die frischen

Perspektiven, die du aus deiner Community

einbringen kannst.“ Ich hatte noch

nicht mal begonnen dort zu arbeiten

und mein Schwerpunkt schien schon

festzustehen.

Ich denke, viele Journalist*innen,

die einer Minderheit angehören, kennen

dieses Gefühl. Ich fühle manchmal

fast diese Pflicht, über „meine“ Leute

zu schreiben, weil ich es besser kann.

Ich habe einen besseren Zugang zu den

Communitys und spreche die Sprache.

Und wenn ich es nicht mache, würde das

Thema vielleicht unbehandelt bleiben.

Mögliche Gründe dafür sind die mangelnde

Vielfalt in den Redaktionen und die

Tatsache, dass für viele Journalist*innen

Themen, die außerhalb ihrer Lebensrealität

sind, unsichtbar sind – natürlich gibt

es Ausnahmen wie bei außenpolitischen

Themen oder Kriegsberichterstattung,

aber selbst da lassen sich rassistische

Tendenzen herauslesen und oftmals

werden typische Stereotype bestärkt. Ich

kann ja nicht ständig über den österreichischen

Journalismus bashen und dann

nichts ändern, oder? Das Tauziehen im

Kopf geht los. Was mache ich denn jetzt?

Ich wollte es lange nicht sehen – es

werden an Migrant*innen andere Erwartungshaltungen

gestellt als an Autochthone.

Sogar im Qualitätsjournalismus,

der sich selbst als progressiv und woke

einschätzt. „Hast du den Text wirklich

selber geschrieben? Er ist so gut“,

entgegnet mir mein damaliger Chef,

nachdem ich einen Text abgab, an dem

ich drei Wochen gearbeitet hatte.

Der Journalismus Report (2020) zeigt

folgende Merkmale für Journalist*innen

in Österreich: Cis-Mann, 46 Jahre,

arbeitet Vollzeit, kein Uni-Abschluss

und arbeitet für ein Printmedium. Diese

Beobachtung machte ich auch schnell.

Berufseinstiege sind nie leicht. Als Frau

mit Migrationshintergrund fallen zwei

Diskriminierungskategorien auf einmal

zusammen: Sexismus und Xenophobie.

Die anfängliche Freude endlich in

einer Redaktion zu arbeiten wird schnell

überschattet von einer Pasta Mixta aus

dem bekannten Hochstapler-Syndrom,

People-Pleasing und dem Gefühl die

eigene Community nicht enttäuschen zu

wollen. Ich will zu einem Vorbild werden.

Ich konnte meinen Kolleg*innen noch

nicht einmal erklären, wie man meinen

Nachnamen ausspricht und schon brach

das Hochstapler-Syndrom über mich

herein. Gedanken wie „Vielleicht gehöre

ich ja wirklich nicht hier hin?“ und „Ich

bin nicht gut genug!“ machten sich in mir

breit. Ich musste mich nur umschauen,

um zu sehen, dass mich der Journalismus

aufgrund meines Profils eigentlich

nicht in einer Redaktion sitzend sieht.

Diese Zweifel zusammen mit meiner

Erziehung, dass man Erwachsenen nicht

widerspricht – auch wenn ich selbst

schon erwachsen bin – und der verinnerlichten

Scham, machten mich zu einem

leichten Opfer für die Scharade der Vielfalt

in österreichischen Redaktionen. Ich

sollte ja überhaupt dankbar sein, dass

ich hier sitzen darf. Viele schaffen ja das

nicht einmal.

Es brauchte viele empathische

Kolleg*innen, Vorbilder wie Melisa Erkurt

oder Olivera Stajić, und auch Therapie,

um diesen Irrglauben abzulegen. Ich

habe genauso eine Berechtigung als

Journalistin zu arbeiten – genauso wie

ein Maximilian oder eine Lisa.

„NE DAJ SEBE NI ZA

KOGA“

Mit diesem Satz bin ich aufgewachsen.

Es heißt so viel wie „Gib dich für niemanden

auf“. Für mich steckt hinter diesem

Satz der Mut und die Liebe meiner Eltern,

die sich vielen Hindernissen stellen

mussten, um sich ein Leben in einem

Land aufzubauen, das ihnen nichts

gab. Viele Diasporakids haben ähnliche

Geschichten. Es ist nur logisch, dass

Journalist*innen mit einem ähnlichen

Background auch das in ihre Arbeit einfließen

lassen.

Über die eigene Community zu

schreiben, geht aber oft mit familiären

Konflikten einher. Das Tauziehen geht

wieder los. Ist es dieser Text wert, dass

ich Stress mit meiner Familie habe, weil

ich ihr und unserer Community einen

Spiegel vorhalte? Das würde die Redaktion

natürlich feiern, weil wenn ich schon

über meine Community schreibe, dann

nur kritisch. Unsere Migrationsgeschichte

definiert uns nicht. Natürlich hat sie

einen erheblichen Einfluss auf unsere

Weltanschauung und prägt unsere

Lebensrealität. Es ist aber keineswegs

ein Freifahrtschein für Vorgesetzte uns in

Schubladen zu stecken. Also gebt euch

für niemanden auf und vergesst nicht,

woher ihr kommt – auch wenn es sich

manchmal so anfühlt, als ob die Gesellschaft

euch dazu zwingen würde. ●

Jelena Čolić ist 25 Jahre alt, hat

bosnisch-kroatischen Wurzeln und ist in

Vorarlberg geboren und aufgewachsen.

2015 ist sie fürs Studium nach Wien

gezogen und hat seitdem in verschiedenen

Redaktionen als Journalistin gearbeitet.

/ EMPOWERMENT SPECIAL / 45


KARRIERE & KOHLE

Para gut, alles gut

Von Šemsa Salioski

MEINUNG

Kein Geld, keine

Auslandserfahrung?

In all den Jahren an der Uni habe ich kein

einziges studierendes Arbeiter*innenkind

kennengelernt, das ein Auslandssemester

gemacht hat. Nicht überraschend, dass von

100 Nicht-Akademiker*innen-Kindern nur 22

ein Bachelor- und nur 7 ein Masterstudium

beginnen. Das finanzielle Risiko für Personen,

in deren Familien die Krise ausbricht,

wenn die Waschmaschine kaputtgeht,

scheint immer zu hoch zu sein. Im Notfall

500 Euro von Mama und Papa geschickt zu

bekommen, geht nicht, weil dann die Miete

daheim nicht bezahlt werden kann. Ich

verzichtete wie viele darauf, ein Auslandssemester

auch nur in Erwägung zu ziehen. Zu

unrealistisch, zu kompliziert! Jetzt frage ich

mich, ob direkt Aufgeben ein Fehler war. Es

gibt nämlich neben den üblichen Uni-Stipendien

noch viele externe Finanzierungsmöglichkeiten

für Auslandsaufenthalte, die man

in der schlechteren finanziellen Lage unbedingt

nutzen sollte. Für den Anfang braucht

man nur ein Mobility-Online-Konto, auf dem

dein Sammelzeugnis, ein Motivationsschreiben,

dein Sprach- und Identitätsnachweis

hochgeladen werden. Try it! Man lernt, verantwortungsvoll

mit Fristen und Geld umzugehen,

ist vor Ort auf sich alleine gestellt

und kann zusätzlich Social- und Sprachskills

aufbessern. Arbeiter*innenkinder sollten

in Zukunft versuchen, Türen wie diese mit

allen (finanziellen Hilfs-) Mitteln aufzureißen,

anstatt an ihnen vorbeizulaufen.

salioski@dasbiber.at

WELCHE UNI-MOBILITÄTS PRO­

GRAMME GÖNNEN WIE VIEL

PARA?

Erasmus + Studienaufenthalt: Studienaufenthalt an Universitäten in

Europa – ca. 380-480 Euro im Monat.

Erasmus+ Praktikum: Studienbezogene Praktika in Europa - ca. 480-

580 Euro im Monat.

Erasmus+ International: Studienaufenthalt an Universitäten außerhalb

von Europa - bis zu 700 Euro im

Monat.

Non-EU Student Exchange: Studienaufenthalt

an Universitäten außerhalb

von Europa - ca. 250-500 Euro im

Monat.

KWA – Kurzfristige wissenschaftliche

Auslandsstipendien: Forschungsaufenthalte

für Diplom- und

Masterarbeiten – ca. 600–1100 Euro

im Monat.

Mehr Infos unter:

https://international.univie.ac.at/studierendenmobilitaet/outgoing-students/

ANDERE PARA­

GÖNNER FINDET

IHR UNTER:

● Österreichs umfangreichster

Datenbank für Stipendien

und Forschungsförderung

(darunter Stipendien wie

Andrássy Postgraduate-

Stipendium des BMBWF,

CEEPUS, Monbukagakusho-

Stipendium, Aktion Österreich-

Ungarn (Outgoing):

www.grants.at

● Beihilfe für ein Auslandsstudium:

https://www.stipendium.at/

● Eurodesk Opportunity Finder

(Kurse, Praktika, Stipendien

für Europäer*innen): https://

programmes.eurodesk.eu/

learning

Veranstaltungstipp

Online Live Info

Sessions zu Studium und

Praktikum im Ausland

mit Erasmus+ & Co

Das International Office beantwortet

in der Infoveranstaltung alle Fragen

rund um die Mobilitätsprogramme der

Universität Wien. Nächster Termin: 14.

Juni 2022

Mehr Infos unter:

https://international.univie.ac.at/studierendenmobilitaet/outgoing-students/

digitale-infoveranstaltung/

© Zoe Opratko, unsplash.com/Nareeta Martin

46 / KARRIERE /


J e t z t

D r o g i s t * i n ,

F r i s e u r * i n

o d e r K o s m e t i k e r * i n

w e r d e n .

d m - l e h r e . a t

Traust du dir zu,

mit den

Besten zu

arbeiten?

Du liebst die Herausforderung und willst zeigen, was du draufhast?

Du hast Spaß daran, Neues zu lernen und möchtest an spannenden

Aufgaben wachsen? Ob als Drogist*in, Friseur*in oder Kosmetiker*in

und Fußpfleger*in – bei dm arbeitest du mit einem Team, das an

dich glaubt. Und dich vieles ausprobieren lässt. Bist du bereit?

Mein dm-App

dm.at


„Herr Fessor, sind Sie

wirklich ein echter Švabo?“

Lehrer Alexander

Sigmund (Mitte) mit

seinen Schüler:innen

Er sieht wie ein „Super-Švabo“ aus, fühlt sich aber nicht so.

Der Deutschprofessor Alexander Sigmund über seinen

babylonischen Alltag in einer HAK in Favoriten.

Fotos: Mafalda Rakoš

48 / MIT SCHARF /


W

as auf den ersten Blick für viele Lehrer*innen

wie eine versteckte Beleidigung klingen

mag, ist für mich eigentlich ein schönes

Kompliment, das mir schon öfter gemacht wurde. Dass

ich angesichts meiner Erstsprache ein Švabo bin, ist

meinen Schüler*innen klar, doch etwas passt nicht ganz

in ihr Švabo-Stereotyp. Sind meine Haare zu dunkel?

Mein Bart zu dicht? Meine Einstellung zu südländisch,

obwohl ich doch als Lehrer vermeintlich – so die häufige

Schüler*innendefinition – strenger, humorloser und

pedantischer sein müsste?

Hvala, Jovane, srećan Uskrs tebi i tvojima! (Danke,

Jovan, dir und deiner Familie auch frohe Ostern!) Was

jemanden bei einem Gespräch unter Ex-Jugos nicht

verwundern würde, überrascht dann doch aus dem Mund

des Deutschlehrers. Ex-Jugo-Wurzeln? In Beziehung mit

einer BKS-Sprecherin? Aber nein, ja sam samo Austrijanac

(Ich bin nur Österreicher), aber mit so vielen Personen

aus verschiedenen Kulturen aufgewachsen und zur

Schule gegangen, dass ich einige Jugo-Clubs persönlich

kenne, schon kläglich kolo getanzt habe, sarma und roštilj

oft gegessen habe, die Bedeutung einer slava kenne und

auch gute Grundkenntnisse in BKS (plus Schimpfwortkenntnisse

in diversen, anderen Sprachen) habe, die aber

noch ausbaufähig sind.

Doch neben meinen Freund*innen vom Balkan bin

ich auch mit vielen v. a. türkisch-, polnisch- oder andersstämmigen

Kindern bzw. Jugendlichen aufgewachsen,

die alle ihre Spuren in meiner Sozialisation hinterlassen

haben. Über die Grundzüge des Islams Bescheid

zu wissen, mit indisch- oder pakistanischstämmigen

Schüler*innen über das perfekte Curry oder Dal zu philosophieren

oder im seltenen Fall auf BKS oder Türkisch

die Jugendlichen anzusprechen oder liebevoll zurückzuschimpfen,

begeistert meine Schüler*innen noch immer.

Denn ein Švabo ist für sie höchstens auf dem Gebiet der

Lederhosen, faden Hochkultur‘ und der Schnitzelzubereitung

bewandert.

„Herr Prof, wie können Sie sich für so viele verschiedene

Kulturen interessieren?“, fragte mich ein Maturant

in diesem Schuljahr. Sprachbegabung und Sozialisation

sind wohl wichtige Faktoren, die man als Kind bzw.

Jugendlicher wenig selber beeinflussen kann, aber Offenheit

und Neugierde am Neuen, Fremden, Anderen kann

man selbst kultivieren. Doch öfter, als man denken möge,

schließen sich genau die Schüler*innen mit Migrationshintergrund

leider in ihren kulturell-familiären Blasen ein.

Bin ich nun ein ‚echter‘ Švabo? Laut Reisepass, dem

Großteil meines Stammbaums und meiner Muttersprache

eindeutig ja, doch im Herzen bin ich die Summe aller

kulturellen Puzzlestücke, die ich im Laufe meines Lebens

zusammengesammelt habe – und somit irgendwie

auch ein bisschen „Čuxl“ (wie die Schüler*innen sagen

würden). Durch mehr Offenheit und Freude am Neuen

und Unbekannten aller Menschen können wir Diversität

in allen Formen nicht nur erleben, sondern vor allem

gemeinsam leben. ●

© Markus Korenjak

MEINUNG

MACHT PLATZ FÜR MEINE

SUPER-MAMA!

Ich lebe seit zehn Jahren in Wien. Meine Mutter lebte schon

länger hier. Ich musste bei meiner Oma in Kinshasa bleiben.

Aber meine Mutter arbeitete Tag und Nacht, um mich nach

Österreich holen zu können. Mein Vater hatte uns – meine

Mutter, meine Schwester und mich – plötzlich verlassen. Er

hatte angeblich einen wertvollen Stein im Kongo unter Wasser

gefunden. Nun war er sehr wohlhabend. Seine Mutter riet

ihm, meine Mutter zu verlassen. Und kurz darauf schmiss er

uns raus. Nun standen wir da, auf der Straße mit drei Koffern.

Ich war noch ein Baby. Meine Mutter ist mit uns nach Angola

gegangen. Warum sie das Land verlassen wollte, hat sie mir

nie so richtig erklärt. Ich glaube, sie hat sich geschämt. Wir

lebten dort für mehrere Monate in einer Art Flüchtlingsheim.

Eines Tages bekam meine drei Jahre ältere Schwester Bauchschmerzen.

Auf dem Weg ins Krankenhaus verstarb sie. Wie

und warum, das will mir meine Mutter bis heute nicht erzählen.

Sie hat das Grab ihrer Tochter nie gesehen und es gibt

nichts Schlimmeres, als das eigene Kind zu verlieren. Meine

Mutter gab nicht auf und zog wieder in den Kongo mit mir.

Sie ließ mich bei meiner Oma und ging nach Österreich. Hier

anzukommen, ohne die Sprache zu sprechen und eine Wohnung

zu haben, ist sehr schwer. Doch meine Mutter kannte

das Wort „schwer“ nicht. Sie arbeitete zuerst als Kellnerin.

Dann als Reinigungskraft. Sie lebte in einer kleinen Wohnung

nur mit den notwendigsten Sachen zum Leben. Sie leistete

sich keine Smartphone, keinen Schmuck, keinen Friseurbesuch.

Sie sparte nur Geld, um mich nach Österreich zu holen.

Nach einem Jahr war ich da und sie bekam mit den Jahren

immer bessere Jobs. Wir zogen in eine größere Wohnung. Ich

denke mit einem Lächeln an meine Kindheit, sie verlief ganz

gut und normal. Naja, nicht immer, manchmal musste ich einiges

aushalten als einziger schwarzer Junge in der Volksschulklasse.

Aber dank ihrer Ratschläge konnte ich jeden blöden

Spruch wegstecken und zu einer selbstbewussten Person

heranwachsen. Meine Mutter ist eine Kämpferin. Noch heute.

Sie ist die stärkste Frau, die ich kenne. Ich bewundere sie,

weil sie immer für mich da war und nie einen Mann gebraucht

hat, um all die Hürden, die das Leben bereithält, zu meistern.

Das ist der Grund, warum ich dich so sehr liebe, Mama!

Alex Maguala, 16, 1BS VBS Hamerlingplatz

/ MIT SCHARF / 49


DIE PARTNER:INNEN

„Die Biber-Redaktion informiert

durch wertvolle und vielfältige

Berichterstattung über Jugendthemen

und aktuelle Ereignisse. Als Jugendstadtrat

freue ich mich über diese bunte

Bereicherung der österreichischen

Medienlandschaft. Es ist großartig,

wenn junge Menschen mitgestalten

können und damit Zukunftsperspektiven

ermöglicht werden.“

Christoph Wiederkehr

Vizebürgermeister,

Stadtrat für Jugend und Bildung

„Wien steht für Vielfalt. SPAR steht für

Vielfalt. biber steht für Vielfalt. Es ist

schön, Partner für ein Jugendprojekt zu

sein, das diese Vielfalt auch abbildet.“

Alois Huber

SPAR-Geschäftsführer

Im Rahmen des Projekts „Newcomer“ touren biber-

Redakteur:innen durch Wiener Schulen und geben Jugendlichen

eine Woche lang die Chance, ihre Medienkompetenz

und Persönlichkeit zu stärken und neue (Job)-Perspektiven

zu sehen. Der biber-Newcomer wird von Menschen gestaltet,

die selbst aus zugewanderten Familien kommen und daher

wissen, mit welchen Schwierigkeiten die Jugendlichen auf

dem Weg ins Arbeitsleben konfrontiert sind. Wenn wir es

geschafft haben, können sie es auch!

Um Österreichs größte Schülerredaktion aufzubauen,

„Durch die lebensnahe Vermittlung

von Medienkompetenz und

der Möglichkeit sich Gehör zu

verschaffen, wird das Selbstvertrauen

der Schüler:innen gestärkt – damit

ist „Newcomer“ ein besonders

nachhaltiges Projekt.“

Heinrich Himmer

Bildungsdirektor für Wien

BMBWF/Lusser, Martin Lusser, SPAR/Johannes Brunnbauer, Georg Hochmuth, ÖBB Hauswirth, PID/David Bohmann

50 / NEWCOMER /


DER „NEWCOMER“

braucht es mehr als nur guten Willen. Es braucht enorm viel

Zeit, Geld und Know-how sowie verlässliche Partner, die das

Projekt begleiten.

Wir danken unseren vielen Leser:innen, die unsere Crowdfunding-Kampagne

unterstützt haben, um das Projekt zu

finanzieren.

Wir danken zudem folgenden Institutionen und Firmen für

die Unterstützung des „Newcomer“-Projekts: Bildungsdirektion

Wien, Arbeiterkammer, SPAR und ORF.

„Der ORF ist heimischer Marktführer in

Radio, Fernsehen und Online. Neun von

zehn Österreicher:innen nutzen jeden

Tag mindestens ein ORF-Angebot. Um

diese Erfolge weiterzuführen, müssen

wir uns weiterentwickeln und streben

nach mehr Diversität, Digitalisierung und

weiblichen Führungskräften.“

Mag. Roland Weißmann

ORF-Generaldirektor

AK/Sebastian Philipp, Thomas Ramstorfer / ORF, Bildungsdirektion Wien/Zinner, Zoe Opratko

„Guter Journalismus schafft Verständnis:

Indem er Einblicke in das Leben anderer

vermittelt, berührt, verbindet, Probleme

und Lösungen aufzeigt und eine Basis für

die Demokratie und das Zusammenleben

bildet. Es ist super, wenn sich junge

Menschen dafür begeistern.“

Renate Anderl

AK Präsidentin

/ NEWCOMER / 51


MEINUNG

SIND NOTEN WICHTIGER ALS

UNSERE GESUNDHEIT?

Seit über zwei Jahren Leben wir mit einer Pandemie.

Früher, als wir in der Schule die hohen Infektionsraten

gesehen haben, waren wir oft schockiert und haben

uns gefragt, wie es jetzt weiter geht. Jetzt lachen wir

nur mehr darüber. Corona ist zum Glück vorerst weg.

Blöderweise hat uns die Pandemie etwas dagelassen:

Den Stress, der vor allem uns Jugendliche zu mentalen

Erkrankungen führt. Das E-Learning hat eine Zeit

lang gut funktioniert. Dann aber ging mal das Internet

nicht, ein andermal streikte der Laptop. Diese Probleme

schlugen sich auf das Gemüt und waren nicht gerade

förderlich in der schweren Corona-Zeit. Die Noten spielen

sowieso eine zu große Rolle in der Schule. Wenn

sich schon VolksschülerInnen beschweren, dann könnt

ihr euch gut vorstellen, welcher Druck auf Schülern

in HAK, AHS oder HTL lastet. Und das bilde ich mir

nicht ein, wie mir manche LehrerInnen geantwortet

haben, als ich das Problem der mentalen Gesundheit

angesprochen habe. „Ich wünschte, ich würde noch

in die Schule gehen“ oder „Du bist noch so jung. Was

für Probleme wirst du schon haben?“ sind noch die

harmlosen Antworten, die man von Erwachsenen und

LehrerInnen hört.

Erstens sind wir auch nur Menschen und ja, wir können

auch solche Probleme haben! Zweitens bewirkt man mit

solchen letztklassigen Aussagen, dass viele Jugendliche

sich zurückziehen und nicht über ihre mentalen

Probleme sprechen möchten. Dann heißt es plötzlich

von Lehrerseite: „Warum bist du so leise?“ oder

„Warum sprichst du nie über deine Probleme?“ Naja, es

könnte daran liegen, dass ich es so oft versucht habe

und mich niemand mit meinen Problemen ernst genommen

hat. Dass sich viele Jugendliche danach in ihrem

Schneckenhaus verkriechen und auf stumm schalten,

wundert mich nicht. Es ist an der Zeit, die psychische

Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ernst zu

nehmen. Jetzt!

Tuba Kaya, 17, 3IK VBS Hamerlingplatz

UNTEN DIE ŠVABICA,

HIER DIE AUSLÄNDERIN

Was könnte ich mit „unten“ meinen? Natürlich mein Heimatland

Serbien. Als eine Person mit Migrationshintergrund

hat man das Privileg, die positiven Seiten beider Länder zu

genießen. Trotzdem gibt es immer wieder Menschen, die

den Miesepeter spielen. Ich musste nie Wörter wie „Migration“,

„Ausländer“ oder „Diskriminierung“ im Wörterbuch

nachschlagen und nach der Definition suchen. Ich hatte

all das am eigenen Leib zu spüren bekommen. Bei einem

Schulprojekt in der Unterstufe hatten wir als Auftrag, einen

Familienbaum zu gestalten und ihn der Klasse vorzustellen.

Meine Arbeit wurde nicht akzeptiert, da meine Lehrerin der

Meinung war, dass man es in Österreich nicht so machen

würde und dass das hier kein kleines Dorf in Serbien sei.

Oder folgende Situation: Am Flughafen sagt eine fremde

Person zu mir: „Ich wünsche dir einen guten Rückflug.“ Ganz

lieb, nur das ich mich gerade von meiner Tante verabschiedete,

die zurückflog. Ich blieb. Der Flughafen war in Wien,

meinem Zuhause. Faszinierend, wie schnell man durch sein

Aussehen diskriminiert werden kann. Als würdest du nicht als

ein ganzes Individuum angesehen, sondern als würde deine

Hautfarbe, deine Aussprache und dein Verhalten bestimmen,

wer du bist und wie du dich zu verhalten hast.

Hast du dein Land verlassen, gehörst du nicht mehr dazu.

Man ist sofort dieser Neuling aus Wien. Ich wurde in Serbien

geboren, bin dort aufgewachsen. Punkt. Ab dem Moment,

als mein Leben in Wien begonnen hat, nahm das Spiel einen

Wendepunkt. In Serbien zu sein, ist gut und schön, solange

man nicht vergisst, dass man nicht mehr dazugehört. Die

einen reden mit dir, als wärst du zum ersten Mal in diesem

Land. Die anderen suchen nur nach einer Chance, um dich

auszunutzen. Kaum bin ich wieder in Wien, ist das Handy

still.

Hier bin ich nicht „österreichisch“ genug und dort nicht

„serbisch“ genug. Ich bin wie zwei Pole, die sich ständig

voneinander abstoßen. Ich habe nicht nur eine Persönlichkeit.

Ich bin nicht nur eine Farbe. Meine Religion und mein

Glaube sollten nicht bestimmen, wie ich zu leben oder mich

zu verhalten habe. Ich bin nicht meine Religion – ich bin ich,

verwechselt das bitte nicht.

Tatjana Ranković, 17, 3IK VBS Hamerlingplatz

© Markus Korenjak

52 / MIT SCHARF /


TECHNIK & MOBIL

Alt+F4 und der Tag gehört dir.

Von Adam Bezeczky

Solarzellen, die

auch in der Nacht

Strom erzeugen

© Marko Mestrovic, unsplash.com/Valentin Petkov, unsplash.com/Manny Becerra, Electronic Arts

MEINUNG

Kommt der

Blackout?

Jahrelang haben ExpertInnen

gewarnt und Autoren gut

damit verdient: der Blackout.

Der komplette Ausfall der

Stromversorgung. Ursprünglich

nahm man an, dies würde

durch Hackerangriffe oder

Naturkatastrophen verursacht

werden. Die wenigsten dachten

an die ausbleibende Gasversorgung,

die jetzt durch

den Krieg in der Ukraine

droht. Mein Vorschlag wäre,

den Zivilschutz jetzt noch in

den warmen Monaten auszubauen

und den Menschen

beizubringen, wie sie einige

Tage ohne Strom durchkommen

können. Damit ist nicht

gemeint, aus dem nächsten

Supermarkt 100 kg Klopapier

mitzunehmen, sondern nur

ein 6er Tragerl Mineralwasser

in den Keller zu stellen, und

vielleicht die Nudeln, die man

vor dem Lockdown gekauft

hat, auf das Haltbarkeitsdatum

zu überprüfen.

bezeczky@dasbiber.at

paprikap0w3r

Notstrom

Computeringenieure haben ein

batterieloses System entwickelt,

mit dem elektronische Geräte,

die nur zeitweise eine Stromversorgung

erhalten, betrieben werden

können. Das bedeutet, dass

diese Geräte auch bei Verlust der

Stromversorgung Berechnungen

pausieren können. Das BFree

genannte System könnte durch

die reibungslose Wiederaufnahme

von Programmen eine neue

Bewegung nachhaltiger DIY-Elektronik

ermöglichen.

Was ist mit Dice los?

Battlefield 2042 ist, so wie

der Vorgänger Battlefield 5, in

Turbulenzen. Fallende Spielerzahl,

Balancingprobleme

... EA verspricht Besserung

und kündigt an, bereits am

Nachfolger zu arbeiten. Meine

Bitte an die Shareholder

dieser Firmen: Lasst‘s den

Developern mehr Zeit, ihre

Produkte fertig zu programmieren.

Die Franchise leidet

ForscherInnen der Universität Stanford

haben Solarzellen entwickelt,

die auch in der Nacht Strom produzieren.

Bisher war das aufgrund

des fehlenden Sonnenlichts nicht

möglich - die Stromerzeugung funktioniert

hier durch einen thermoelektrischen

Generator, der aus dem

Temperaturunterschied zwischen

Solarzelle und Umgebungsluft geringe

Mengen Strom gewinnt.

unter den häufigen Neuveröffentlichungen,

die im

Kern das Battlefield-Erlebnis

stören. Die Fans sind ja eh

schon leidgeplagt: Sie wollen

doch nur eine Neuauflage

von Battlefield 4 mit aktueller

Grafik - das Gameplay

einfach 1:1 übernehmen,

vielleicht die Hubschrauber

entschärfen. Es wär so leicht.

Man müsste halt wollen.

/ TECHNIK / 53


„Es ist wirklich grausig,

wie manche Leute mit

ihren Geräten umgehen.“

Technik-Guru

Mazen El-Aassar

54 / MIT SCHARF /


Mazen „Fahmy“ El-Aassar

(26) hat seine Faszination

für Technik zum Beruf

gemacht. Der gebürtige

Wiener mit ägyptischen

Wurzeln gründete dieses

Jahr die Firma „Infinitech“

und gibt seine Top-Tipps

für ein langes Leben von

Elektrogeräten.

Von Nada El-Azar-Chekh,

Foto: Markus Korenjak

BIBER: Wie entstand dein Interesse für

Technik?

MAZEN EL-AASSAR: Einmal ging der

Gameboy von meinem Bruder kaputt.

Damals war ich etwa acht oder neun.

Und ich dachte mir: Ich schau einfach

rein. Die Platine zu sehen, die Schrauben

und Chips – das hat mich sofort interessiert.

Ich wollte schon immer wissen,

wie Dinge funktionieren. Warum zeigt

ein Fernseher ein Bild? Warum kann er

etwas anzeigen, das tausende Kilometer

entfernt passiert? Später, als Jugendlicher,

habe ich mir über Youtube-Videos

viel beibringen können und gelernt,

wie man eine Diagnose erstellen kann

und woher man Ersatzteile bekommt.

Anfangs habe ich auch Sachen kaputtgemacht,

beim Displaytausch oder so, aber

das gehört dazu.

Wie wurde aus dieser Leidenschaft eine

eigene Firma?

In der Schule konnte ich mich nur schwer

konzentrieren – ich brauche einfach das

Praktische, das liegt in meiner Natur. In

meiner Familie wurde ich schnell zu dem,

der jede Kleinigkeit repariert. Dann auch

in der Schule und in meinem Freundeskreis.

Ich habe in Handyshops und

einer EDV-Firma gearbeitet, habe eine

Microsoldering-Ausbildung gemacht, bei

der ich an Platinen unter dem Mikroskop

arbeite und seit Februar habe ich meine

Firma Infinitech. Am häufigsten kommen

Kunden mit Displayschäden, Akkuschäden

und Wasserschäden zu mir.

Feinarbeit unterm Mikroskop: Mazen kümmert sich auch um die kleinsten Probleme

Was war einer der schwierigsten Fälle

bis jetzt?

Es ist wirklich grausig, wie manche Leute

mit ihren Geräten umgehen. Einmal kam

ein Raucher mit seinem Laptop zu mir,

weil dieser zu schnell überhitzt. Jede Öffnung

des Geräts und der Lüfter waren so

verstopft mit Nikotin und Dreck, dass der

Akku sich schon aufgebläht hatte. Das

kann wirklich gefährlich werden, denn

wenn der Akku öfter heißer als 60°Celsius

wird, können sich Gase bilden, die

austreten wollen. Drei Stunden habe ich

mit der Reinigung und Reparatur verbracht

– und das Gerät war danach nicht

wiederzuerkennen.

Welche Tipps gibst du deinen Kundinnen

und Kunden?

Daten sichern! Daten sind unbezahlbar,

und man bekommt sie nicht mehr

zurück, wenn sie weg sind. Unbedingt

iCloud und Google Fotos installieren und

dafür etwas zahlen. Zwei oder drei Euro

tun nicht weh, da spart man sich einfach

einen Döner – und viel Stress.

Was sollte man noch beachten?

Bei den meisten Akkus sind eine

bestimmte Zahl von Ladezyklen enthalten.

Lässt man das Gerät zwischen

20 und 80 Prozent aufgeladen, hält er

wesentlich länger. Ganz wichtig sind

noch Cover und Schutzfolien - gerne hier

auch ein wenig mehr zahlen. Versichert

man sein Gerät zusätzlich noch, kann

man sehr viel Geld für Reparaturen

sparen.

Infinitech ist Partnerbetrieb beim

Reparaturbonus! Spare damit bis

zu 200 Euro für deine Geräte.

Mehr Informationen unter:

www.infinitech.at

/ MIT SCHARF / 55


MEINUNG

RAUBTIER DER SPIELAUTOMATEN

Mein Leben war früher noch gut, weil ich mich an Regeln

hielt. Regeln machen uns zu Menschen, ohne sie wären wir

Tiere. Ich aber wurde zum Raubtier der Spielothek. Freunde

findet man überall, auch die ganz schlechten, die dir die Welt

des Spielens zeigen. Und ich fand richtig schlechte. Es dauerte

nicht lange und mein Alltag bestand nur noch aus Casinos,

Underground-Casinos und Spielotheken.

Das „Beste“ ist noch, wenn einer deiner Verwandten, den

du sehr gut kennst, ein eigenes Underground-Casino hat

und du gefühlt jedes Wochenende bei ihm zockst. In einem

Underground-Casino gibt’s nicht diese Eleganz und Finesse

wie in den Casinos Austria, du hörst nicht mal den Spruch:

winner, winner, chicken dinner! Am Tisch wird die ganze Zeit

nur getrunken, geraucht, geschimpft und auch gedroht.

Ich will nicht lügen und behaupten, es habe keinen Spaß

gemacht, oh nein, es hat mehr als Spaß gemacht. Stell dir

vor, du gehst mit 20 € rein und machst plötzlich 400 € bis

500 € schnelles Geld. Mit dem Geld kannst du deine süße

Freundin einladen oder deinen Eltern etwas Schönes kaufen

oder, was ich hätte tun sollen: das Geld sparen und aufhören

zu zocken…

Irgendwann wollte ich mehr Geld einsetzen und die Gewinnchancen

erhöhen, aber wie, wenn ich keines hatte? Geld ausleihen

– von meiner Freundin, von Freunden? Meinen Eltern

erzählen, dass ich eine Investition gefunden habe … doch

welche? Das Ergebnis: eine beendete Beziehung, Schulden

bei Freunden und das Vertrauen der Eltern verloren.

Ich war am Ende. Aber genau diese Fehler machen uns zu

erwachsenen Menschen. Ich habe daraus gelernt und arbeite,

um das Geld wieder zurückzuverdienen, und natürlich

spare ich jetzt mein Geld. Zum Glück hatte ich auch Freunde,

die mich unterstützt hatten und mir aus dieser Lage herausgeholfen

haben. Ich hab’s auch meinen Eltern erzählt, am

Anfang waren sie nicht wirklich begeistert davon, aber sie

wissen, dass ich das nie wieder tun werde. Und mit meiner

Freundin? Derzeit wollen wir es wieder versuchen und sie

findet es gut, dass ich auf „Entzug“ bin. Am Ende musst du

dir Frage stellen: Ehrliches Geld oder doch jeden Tag das

Klingeln des Spielautomaten hören, wenn du einen hohen

Gewinn erzielst?

Marcell Mijailović, 20, 1AL, BHAK und BHAS Wien 10

SOZIALE MEDIEN

VERURSACHEN KOMPLEXE

„Ich könnte mir ein Leben ohne Smartphones und Soziale

Medien nicht vorstellen“, so die gängige Meinung in

meinem Freundeskreis. Das spiegelt sich auch im Freizeitverhalten

von uns „Digital Natives“ wider. Wie war

das damals? Wenn man mit seinen Freunden rausgehen

wollte, hat man sie einfach angerufen oder ihnen eine SMS

geschrieben. Man hat sich einen Treffpunkt ausgemacht, et

voilà. Wenn man an Informationen kommen wollte, hat man

die Zeitung aufgeschlagen oder TV-Nachrichten geschaut.

Alles easy. Und jetzt? Wir nutzen Social Media alltäglich

und lassen die Bilder, die dort fertig gefacetuned oder

retuschiert gepostet werden, auf uns wirken. Wir hören von

den negativen Sachen, die durch Social Media angerichtet

werden: geringes Selbstwertgefühl, Komplexe, Depressionen

oder Angstzustände. Im schlimmsten Fall können diese

Symptome zu Selbstverletzungen oder gar Selbstmord

führen. Wo leben wir bitte überhaupt, wenn mobile Apps

die Kraft haben, uns zu zerstören?

Ich bin jeden Tag auf Instagram, Snapchat oder TikTok

und muss sagen, dass ich auch oft darunter leide, mich

irgendwie selbst schön finden zu müssen. Viele Mädchen

kriegen Komplexe, wenn sie einzigartige, schöne Menschen

über Social Media sehen. Wenn sie kein Problem

mit ihrem Aussehen haben, selbstbewusst sind und Fotos

von sich posten, kommt dann aber die Hate-Speech. Man

kann es niemandem recht machen. Wieso wird in der

Gesellschaft nicht mehr über Intelligenz und innere Werte

gesprochen und stattdessen nur aufs Aussehen geachtet?

Wie würden wir ohne Soziale Medien unser Leben führen?

Ganz verzichten möchte ich trotz all der negativen Social-

Media-Begleiterscheinungen auf sie aber trotzdem nicht.

Ich möchte schließlich mit meinen FreundInnen in Kontakt

bleiben und ihnen auf Insta folgen. Und es gibt so etwas

wie sozialen Druck. Der Druck, der viele meiner Freundinnen

dazu zwingt, hübscher und einzigartiger als so viele

andere junge Frauen zu sein. Muss ich genauso wie jede

klassische Influencerin ausschauen? Ich liebe mich und

meinen Körper. Das muss das Wichtigste sein. Alles andere

kommt danach.

Denisa Gramblickova, 17, 3IK, VBS Hamerlingplatz

© Zoe Opratko, Markus Korenjak

56 / MIT SCHARF /


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MEINUNG

#MenToo

Neuerdings vertreibe ich mir meine morgendliche

Schminkzeit mit dem Livestream

des Prozesses zwischen Johnny Depp und

seiner Exfrau Amber Heard. Die öffentliche

Schlammschlacht zwischen den Schauspielern

wurde zu meiner neuen Lieblings-Reality-TV-Serie.

Neben vielen Fragezeichen, die

sich um pikante Details aus der wahrscheinlich

toxischsten Beziehung Hollywoods

ranken – ja, ich meine damit auch die K*cke

in Johnnys Bett und die Sache mit seinem

beinahe abgetrennten Finger – ist der

Prozess vor allem deswegen so interessant,

weil sich mit ihm endlich die Kehrseite von

#MeToo aufgezeigt haben könnte. Wilde

Anschuldigungen reichen in einem funktionierenden

Rechtsstaat eben nicht aus, um

andere für schuldig zu befinden und ganze

Karrieren zu beenden. Auch Frauen können

berechnend und destruktiv sein – sie sind

nicht nur Opfer, sondern können durchaus

auch Täterinnen sein. Wer das nicht glauben

kann, denkt schlicht sexistisch. Manch

einer unterstellt Heard sogar, sie habe mit

ihren Lügen wahre Opfer von häuslicher

Gewalt verhöhnt. Beziehungen sind aber

am Ende des Tages genauso komplex, wie

die menschliche Psyche. Es ist bekanntlich

nicht alles schwarz und weiß. Wie auch

immer der Prozess ausgehen mag: Er könnte

vielleicht der Ausgangspunkt einer neuen

Bewusstseinskampagne sein: #MenToo.

el-azar@dasbiber.at

KULTURA NEWS

Klappe zu und Vorhang auf!

Von Nada El-Azar-Chekh

Gratis

ins Museum

Schon gewusst? Bis zur Vollendung des

19. Lebensjahres können Kinder und

Jugendliche gratis in alle österreichische

Bundesmuseen. Dazu gehören:

Albertina, Kunsthistorisches Museum,

Museum für Moderne Kunst, Oberes

und Unteres Belvedere, Technisches

Museum und viele mehr! Diese Chance

solltet ihr euch nicht entgehen lassen.

Film-Tipp

DER SCHLIMMSTE

MENSCH DER WELT

Julie wird bald 30 und weiß immer noch

nicht, wohin mit sich. Ihr über zehn Jahre

älterer Freund Aksel feiert große Erfolge als

Comicbuchautor, während sie nur auf ein

paar abgebrochene Studiengänge schauen

kann. Dann lernt sie den exzentrischen Eivind

kennen und alles wird anders. Eine Tragikomödie

von Regisseur Joachim Trier über das,

was es bedeutet, ein Millennial zu sein.

Ab 2. Juni 2022 in den

österreichischen Kinos!

Buch-Tipp:

DSCHINNS

30 Jahre lang musste Hüseyin

in Deutschland arbeiten,

um sich endlich den Traum

einer Eigentumswohnung

in Istanbul zu erfüllen –

jedoch stirbt er am Tag des

Einzugs. Fatma Aydemirs

zweiter Roman ist eine große

deutsch-türkische Familiengeschichte,

die sechs

grundverschiedene Menschen

durch ihre zufällige

Verwandtschaft porträtiert.

Erschienen beim Hanser

Verlag, Hardcover, 24 Euro

© Christoph Liebentritt, Albertina/ Rainer Mirau, Filmladen Filmverleih, Hanser Verlag

58 / KULTURA /


3 FRAGEN AN…

ALPER TURAN

Alper Turan (29) ist einer der

Kuratoren der Ausstellung „How

does the body take shape under

pressure?“ die noch bis zum

15. Juni im Queer Museum Wien

gezeigt wird.

© Othello

BIBER: Wie kam der Ausstellungstitel „How does the body

take shape under pressure?“ zustande?

ALPER TURAN: Nazım Ünal Yılmaz, der von Anfang an

im Team des Queer Museum Wien war, lud mich ein,

gemeinsam diese Ausstellung im Queer Museum Wien zu

kuratieren. Wir sind beide Kuratoren und Künstler, die aus

der Türkei stammen und nach Europa migriert sind. Uns

war natürlich wichtig, dass KünstlerInnen aus der Türkei

teilnehmen, aber wir wollten weder ein nationales Narrativ

schaffen, noch die Ausstellung auf türkenspezifische Themen

beschränken. Stattdessen brachten wir eine internationale

Gruppe von Künstlern zusammen, die sich entweder

symbolisch oder ganz materiell mit dem Körper und seinen

Möglichkeiten beschäftigen, sich gegen die ihm auferlegte

Gewalt zu wehren. Der Körper steht unter dem Druck von

Totalitarismus, Biopolitik, sexuellen Regimen, aber auch

von Krieg, Migration, Prekarität und Identitätspolitik. In der

Ausstellung wollten wir einen Raum für die poetische, ergebnisoffene

und sinnliche Erkundung der Bewältigungsstrategien

des Körpers schaffen, die sich auf viele Situationen

übertragen lassen, in denen politische Gewalt herrscht.

Welche Arbeiten unterstreichen diese Überlegungen am

besten?

Zwei Videoarbeiten fassen unsere kuratorische Position perfekt

zusammen: Dorian Saris „A&a (If art fails, thought fails,

justice fails)” und İz Öztat & Ann Antidotes „Suspended“.

Dorian zeigt uns eine Szene, in der zwei Figuren miteinander

ringen, ihre sexuelle Dominanz zeigen. Wir werden Zeuge,

wie der große weiße Europäer den kleinen, vermeintlich

schwachen braunen Nahostler dominiert und sich an ihm

ergötzt. Der kleine Kerl scheint keinen Spaß zu haben, aber

er bleibt in der Schleife der Dominanz. In der Zusammenarbeit

von İz Öztat und Ann Antidote sehen wir eine Bondage-

Szene, in der Ann İz zunächst in Pergament wickelt, sie

fesselt und aufhängt. Wir sehen sie zusammengekauert in

der Luft schwebend, wie in ein Grabgewand gehüllt. Beide

Werke nutzen eine sexuelle oder intime Ästhetik und

Dramaturgie, um uns über größere gesellschaftliche Hierarchien

und Verletzungen nachdenken zu lassen. Beide zeigen

Szenen der Dialektik von Herrschaft und Unterwerfung,

die sowohl jenseits als auch innerhalb sexueller Praktiken

interpretiert werden können. Sie zeigen, dass Passivität eine

Form des Widerstands ist.

Die Ausstellung lässt queere Positionen aus der Türkei mit

welchen aus Österreich interagieren. Wie unterschiedlich sind

sie voneinander?

Wir haben ausdrücklich versucht, diese beiden Diskurse

nicht gegeneinander zu stellen, sondern sie zusammen zu

denken. Wir wissen, dass Queers in der Türkei in unserer

heutigen Realität mehr Opfer von systematischer Gewalt sind

als in Österreich, das ist eine Tatsache. Aber das bedeutet

nicht, dass das, was in der Türkei passiert, nicht auch in

Österreich passiert, oder umgekehrt. Oder was auf der Mikroebene

in der Türkei passiert, kann auf der Makroebene in

Österreich passieren, oder umgekehrt. Wir alle sind Subjekte,

TäterInnen, BeobachterInnen gewisser Praktiken der Gewalt,

egal wo und auf welche Weise. Die Position, die wir angesichts

dieser Gewalt einnehmen, sei es als passive oder aktive

Teilnehmer, definiert unsere Rolle in der Gesellschaft. Ich

bin strikt gegen jede Viktimisierung von queeren Menschen

in der Türkei und gegen jede Verherrlichung der Freiheit von

Queers in Europa.


GORAN BREGOVIĆ

IST ZURÜCK!

Der legendäre Rockmusiker

aus Sarajevo tritt mit seiner

„Wedding and Funeral Band“

im Wiener Konzerthaus auf.

Biber verlost Karten.

Von Nada El-Azar-Chekh

Am 24. Juni

2022 kehrt Goran

Bregović in den

Großen Saal des

Konzerthauses

Wien zurück.

Bei dem Konzert

nicht zu tanzen

ist keine Option!

Rockstar, Gründer der legendären jugoslawischen Band

„Bijelo Dugme“, Filmkomponist, weltberühmte Ikone

aus Sarajevo: Goran Bregović kennt man als vielseitigen

Musiker mit Pfiff. Eines ist klar: Ohne ihn hätte es wohl

keinen Balkan-Boom gegeben. Der bosnische Altmeister

ist die Galionsfigur der überschäumend-schmerzreichen

Musik des europäischen Südostens. Mit seiner

„Wedding and Funeral Band“ heizte der legendäre Musiker

im Konzerthaus bereits im Jahr 2019 mächtig ein.

Anders als der Name der Band suggeriert, wird aber

auf keinen Fall Friedhofsstimmung herrschen. Bregović,

der in Sarajevo zwischen

dem Läuten der Kirchenglocken

und dem Gebetsruf

des Muezzins aufwuchs,

verbindet verschiedene

musikalische Strömungen zu

einem unverkennbaren Mix

aus traditioneller Balkan- und

Romamusik, spanischen

Klängen und Rockmusik.

GEWINNSPIEL

Achtung, jetzt aber schnell! Biber verlost auf

Facebook und Instagram 2x2 Karten für das

Konzert von Goran Bregović. Sagt euren Tanten,

Onkeln, Eltern, Freunden und anderen Liebsten

Bescheid. Wir wünschen viel Glück!

„Meine Musik ist die einer kleinen eigenen Welt,

die des Balkans, Musik die zwischen Budapest und

Istanbul entsteht, Musik entlang der Grenze zwischen

Moslems, Katholiken und Orthodoxen. Diese Kulturen

haben zwar viel gegeneinander gekämpft, aber sie

haben sich auch gegenseitig beeinflusst.“

Goran Bregović

© Nebojsa Babic

60 / KULTURA /


www.hospiz.wien


KOLUMNE

AUF DER SUCHE NACH DUMMEN HANDYS

Als Fremder in Österreich angekommen,

begab ich mich auf die Suche nach einem

Freundeskreis, in dem ich mich wohlfühle.

Ich habe mittlerweile alle möglichen

Gesellschaften ausprobiert und nach jeder

Erfahrung zog ich weiter auf die Suche –

hungriger und durstiger als zuvor – nach

einer Gemeinschaft, in der ich ohne

Vorbehalte einfach ich selbst sein kann.

Die Fußballer waren die ersten, bei denen

ich Bezug suchte. Und es hat nicht lange

gedauert bis ich abgehauen bin. Abgesehen

von toxischen Männlichkeiten und

Homoangst, sind die meistens Fußballer

einfach gestrickt und nur über die nächste

Bierkiste und die Größe ihrer Penisse reden. Bei den

Spirituellen dachte ich, zumindest am Anfang, mein

Zuhause gefunden zu haben. Aber gleich bei der ersten

gemeinsamen Meditation habe ich mich veratmet

und bin fast erstickt. Und egal, welche Probleme und

Krankheiten ich hatte, empfohlen sie mir, mehr Hafer

zu essen.

turjman@dasbiber.at

Jad Turjman

ist Comedian, Buch-Autor

und Flüchtling aus Syrien.

In seiner Kolumne schreibt

er über sein Leben in

Österreich.

MEINUNGEN ÜBERALL

Bei den Impfgegner:innen war es ebenfalls eine

Bauchlandung. Sie können über sich nicht lachen und

müssen das Alphabet des Humors von null lernen.

Jurastudierende nehmen sich ebenfalls zu ernst und

reden sogar mehr als ich über sich. Musiker:innen können

über Emotionen nicht reden. Feminist:innen habe

ich grundsätzlich vermieden. Ich hatte ständig Angst,

dass sie meine toxischen Charakterzüge thematisieren.

Bei den Intellektuellen war es am schlimmsten. Intellektuelle

haben einfach zu viel Meinungen und Prinzipien.

Sie haben zu allem und jedem eine Meinung. Sie

haben eine Meinung im Mund, eine Meinung im Bauch,

und eine Meinung im Ärmel. Intellektuelle waren meistens

diejenigen, die mich an mein Flüchtlingsein mit

ihren intellektuellen Gesprächen erinnern, in dem sie

kundgetan haben, dass sie nichts gegen mich hätten.

Ich wurde depressiv und dachte ich gehöre nirgendwohin.

Aber eines Tages, als ich am Berg

stand und in die Tiefe hinunterschaute,

begrüßt mich eine ca. vierzigjährige Frau

und fragte mich, ob ich aus der Gegend

sei. Sie wirkte auf mich sehr sympathisch,

sehr entspannt und authentisch. Ich habe

das Gespräch mit ihr genossen. Ich wollte

nicht, dass unsere Begegnung endet. Ich

war neugierig, was an ihr so besonders

sei. Es hat auch nicht lange gedauert, den

Grund zu entdecken. Ihr Handy klingelte.

Ich stellte fest, dass die Frau kein Smartphone

hatte, sondern ein altes Handy. Es

leuchtete bei mir ein.

ENDLICH ANGEKOMMEN

So hielt ich Ausschau nach Menschen, die kein Smartphone

haben, sondern ein „dummes“ Handy. Und in

der Tat. Jeder Begegnung mit einem Menschen mit

einem dummen Handy, war ein Raum für Heilung und

Erholung. So entschied ich mich, mir ein dummes Handy

zu besorgen und mein Smartphone, wenn ich mich

mit meinen Freund:innen mit dummen Handys treffe,

zuhause zu lassen. Ich fühle mich so geborgen und

wohl in dieser Gesellschaft. Ich bin angekommen. Vor

kurzem traf ich einen Mann im Bus, der ein dummes

Handy hat. Ich spürte Kribbeln im Bauch. Er wirkte auf

mich wie ein Gott. Er musste keine Sozialen Medien

checken und keine Wetterlage. Er war vollkommen da.

Anwesend mit all seinen Sinnen. Ich wollte ihn umarmen

und laut rufen: „Ich liebe dich.“

Ich will nicht den Eindruck erwecken, dass wir, die

Community der dummen Handys, euch die Gesellschaft

der Smartphones abschätzig betrachten oder

ablehnen. Im Gegenteil. Wir sind nicht ideologisch. Wir

brauchen euch sogar, damit ihr uns den Weg, wenn

wir uns verlaufen, durch eure Google Maps zu erklären,

oder ein Taxi zu bestellen. Wir wollen einfach,

wenn wir uns mit euch treffen, dass ihr eure klugen

Handys in der Tasche lässt, und uns in die Augen

schaut.

Robert Herbe

62 / MIT SCHARF /



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