„SCHREIB MALÜBER DEINE LEUTE!“ZWISCHEN QUOTE UND FREMDBESTIMMUNGWoke und progressiv – so stellt sich der Großteil des österreichischenJournalismus dar. Schafft man als Frau mit Migrationshintergrund denSchritt in die österreichische Medienlandschaft, ist die Schlacht noch langenicht geschlagen. Dann fängt es erst so richtig an.Von Jelena Čolić, Fotos: Zoe Opratko44 / EMPOWERMENT SPECIAL /
Schreib mal über deine Leute,Jelena“, meinte mein damaligerChef zu mir. Ich machtegerade ein Praktikum beieiner Tageszeitung. Wen meint er denn?Vorarlberger*innen? Leute aus Ex-Yu?Frauen unter 1,60 m? Auf meinen verwirrtenBlick entgegnet er mir, ich könnedoch einen Text über die Auswirkungenvon Corona auf die Ex-Yu-Diaspora undihre Sommerpläne schreiben. Natürlichbetrifft es doch auch mich und meineFamilie – aber warum bin ich plötzlichPressesprecherin für alle Ex-Yus inVorarlberg geworden? Macht mich alleinmein Migrationshintergrund zu einerExpertin? Nein, natürlich nicht. Andererseitshabe ich es auch satt, wie in dengängigen Medien über „uns“ berichtetwird. Man erinnere sich an Meldungenwie „Ausländer sind schuld an Corona,weil sie über Weihnachten zuhausewaren“.ZWISCHENPFLICHTGEFÜHL UNDHERZENSANGELEGENHEITDer österreichische Journalismusbraucht mehr Diversität. Eine einzigequeere Person, jemand, dessen Nachnamemit „ić“ endet oder eine Personmit Kopftuch einzustellen, macht dieRedaktion noch lange nicht divers.Schon gar nicht, wenn diese Person nurüber ihre*seine Themen schreiben soll.Natürlich sollen alle Ressourcen genütztwerden – Fremdsprachenkenntnisse,Kontakte oder spezielles Know-how beieinem Thema, aber es kann nicht sein,dass ich unfreiwillig zur Diversity-Beauftragtengemacht werde, nur weil ichanders bin als der Rest der Belegschaft.Bei einem Bewerbungsgespräch meintemein Chef: „Wir mögen dein Profil sogerne und freuen uns auf die frischenPerspektiven, die du aus deiner Communityeinbringen kannst.“ Ich hatte nochnicht mal begonnen dort zu arbeitenund mein Schwerpunkt schien schonfestzustehen.Ich denke, viele Journalist*innen,die einer Minderheit angehören, kennendieses Gefühl. Ich fühle manchmalfast diese Pflicht, über „meine“ Leutezu schreiben, weil ich es besser kann.Ich habe einen besseren Zugang zu denCommunitys und spreche die Sprache.Und wenn ich es nicht mache, würde dasThema vielleicht unbehandelt bleiben.Mögliche Gründe dafür sind die mangelndeVielfalt in den Redaktionen und dieTatsache, dass für viele Journalist*innenThemen, die außerhalb ihrer Lebensrealitätsind, unsichtbar sind – natürlich gibtes Ausnahmen wie bei außenpolitischenThemen oder Kriegsberichterstattung,aber selbst da lassen sich rassistischeTendenzen herauslesen und oftmalswerden typische Stereotype bestärkt. Ichkann ja nicht ständig über den österreichischenJournalismus bashen und dannnichts ändern, oder? Das Tauziehen imKopf geht los. Was mache ich denn jetzt?Ich wollte es lange nicht sehen – eswerden an Migrant*innen andere Erwartungshaltungengestellt als an Autochthone.Sogar im Qualitätsjournalismus,der sich selbst als progressiv und wokeeinschätzt. „Hast du den Text wirklichselber geschrieben? Er ist so gut“,entgegnet mir mein damaliger Chef,nachdem ich einen Text abgab, an demich drei Wochen gearbeitet hatte.Der Journalismus Report (2020) zeigtfolgende Merkmale für Journalist*innenin Österreich: Cis-Mann, 46 Jahre,arbeitet Vollzeit, kein Uni-Abschlussund arbeitet für ein Printmedium. DieseBeobachtung machte ich auch schnell.Berufseinstiege sind nie leicht. Als Fraumit Migrationshintergrund fallen zweiDiskriminierungskategorien auf einmalzusammen: Sexismus und Xenophobie.Die anfängliche Freude endlich ineiner Redaktion zu arbeiten wird schnellüberschattet von einer Pasta Mixta ausdem bekannten Hochstapler-Syndrom,People-Pleasing und dem Gefühl dieeigene Community nicht enttäuschen zuwollen. Ich will zu einem Vorbild werden.Ich konnte meinen Kolleg*innen nochnicht einmal erklären, wie man meinenNachnamen ausspricht und schon brachdas Hochstapler-Syndrom über michherein. Gedanken wie „Vielleicht gehöreich ja wirklich nicht hier hin?“ und „Ichbin nicht gut genug!“ machten sich in mirbreit. Ich musste mich nur umschauen,um zu sehen, dass mich der Journalismusaufgrund meines Profils eigentlichnicht in einer Redaktion sitzend sieht.Diese Zweifel zusammen mit meinerErziehung, dass man Erwachsenen nichtwiderspricht – auch wenn ich selbstschon erwachsen bin – und der verinnerlichtenScham, machten mich zu einemleichten Opfer für die Scharade der Vielfaltin österreichischen Redaktionen. Ichsollte ja überhaupt dankbar sein, dassich hier sitzen darf. Viele schaffen ja dasnicht einmal.Es brauchte viele empathischeKolleg*innen, Vorbilder wie Melisa Erkurtoder Olivera Stajić, und auch Therapie,um diesen Irrglauben abzulegen. Ichhabe genauso eine Berechtigung alsJournalistin zu arbeiten – genauso wieein Maximilian oder eine Lisa.„NE DAJ SEBE NI ZAKOGA“Mit diesem Satz bin ich aufgewachsen.Es heißt so viel wie „Gib dich für niemandenauf“. Für mich steckt hinter diesemSatz der Mut und die Liebe meiner Eltern,die sich vielen Hindernissen stellenmussten, um sich ein Leben in einemLand aufzubauen, das ihnen nichtsgab. Viele Diasporakids haben ähnlicheGeschichten. Es ist nur logisch, dassJournalist*innen mit einem ähnlichenBackground auch das in ihre Arbeit einfließenlassen.Über die eigene Community zuschreiben, geht aber oft mit familiärenKonflikten einher. Das Tauziehen gehtwieder los. Ist es dieser Text wert, dassich Stress mit meiner Familie habe, weilich ihr und unserer Community einenSpiegel vorhalte? Das würde die Redaktionnatürlich feiern, weil wenn ich schonüber meine Community schreibe, dannnur kritisch. Unsere Migrationsgeschichtedefiniert uns nicht. Natürlich hat sieeinen erheblichen Einfluss auf unsereWeltanschauung und prägt unsereLebensrealität. Es ist aber keineswegsein Freifahrtschein für Vorgesetzte uns inSchubladen zu stecken. Also gebt euchfür niemanden auf und vergesst nicht,woher ihr kommt – auch wenn es sichmanchmal so anfühlt, als ob die Gesellschafteuch dazu zwingen würde. ●Jelena Čolić ist 25 Jahre alt, hatbosnisch-kroatischen Wurzeln und ist inVorarlberg geboren und aufgewachsen.2015 ist sie fürs Studium nach Wiengezogen und hat seitdem in verschiedenenRedaktionen als Journalistin gearbeitet./ EMPOWERMENT SPECIAL / 45