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Schreib mal über deine Leute,
Jelena“, meinte mein damaliger
Chef zu mir. Ich machte
gerade ein Praktikum bei
einer Tageszeitung. Wen meint er denn?
Vorarlberger*innen? Leute aus Ex-Yu?
Frauen unter 1,60 m? Auf meinen verwirrten
Blick entgegnet er mir, ich könne
doch einen Text über die Auswirkungen
von Corona auf die Ex-Yu-Diaspora und
ihre Sommerpläne schreiben. Natürlich
betrifft es doch auch mich und meine
Familie – aber warum bin ich plötzlich
Pressesprecherin für alle Ex-Yus in
Vorarlberg geworden? Macht mich allein
mein Migrationshintergrund zu einer
Expertin? Nein, natürlich nicht. Andererseits
habe ich es auch satt, wie in den
gängigen Medien über „uns“ berichtet
wird. Man erinnere sich an Meldungen
wie „Ausländer sind schuld an Corona,
weil sie über Weihnachten zuhause
waren“.
ZWISCHEN
PFLICHTGEFÜHL UND
HERZENSANGELEGENHEIT
Der österreichische Journalismus
braucht mehr Diversität. Eine einzige
queere Person, jemand, dessen Nachname
mit „ić“ endet oder eine Person
mit Kopftuch einzustellen, macht die
Redaktion noch lange nicht divers.
Schon gar nicht, wenn diese Person nur
über ihre*seine Themen schreiben soll.
Natürlich sollen alle Ressourcen genützt
werden – Fremdsprachenkenntnisse,
Kontakte oder spezielles Know-how bei
einem Thema, aber es kann nicht sein,
dass ich unfreiwillig zur Diversity-Beauftragten
gemacht werde, nur weil ich
anders bin als der Rest der Belegschaft.
Bei einem Bewerbungsgespräch meinte
mein Chef: „Wir mögen dein Profil so
gerne und freuen uns auf die frischen
Perspektiven, die du aus deiner Community
einbringen kannst.“ Ich hatte noch
nicht mal begonnen dort zu arbeiten
und mein Schwerpunkt schien schon
festzustehen.
Ich denke, viele Journalist*innen,
die einer Minderheit angehören, kennen
dieses Gefühl. Ich fühle manchmal
fast diese Pflicht, über „meine“ Leute
zu schreiben, weil ich es besser kann.
Ich habe einen besseren Zugang zu den
Communitys und spreche die Sprache.
Und wenn ich es nicht mache, würde das
Thema vielleicht unbehandelt bleiben.
Mögliche Gründe dafür sind die mangelnde
Vielfalt in den Redaktionen und die
Tatsache, dass für viele Journalist*innen
Themen, die außerhalb ihrer Lebensrealität
sind, unsichtbar sind – natürlich gibt
es Ausnahmen wie bei außenpolitischen
Themen oder Kriegsberichterstattung,
aber selbst da lassen sich rassistische
Tendenzen herauslesen und oftmals
werden typische Stereotype bestärkt. Ich
kann ja nicht ständig über den österreichischen
Journalismus bashen und dann
nichts ändern, oder? Das Tauziehen im
Kopf geht los. Was mache ich denn jetzt?
Ich wollte es lange nicht sehen – es
werden an Migrant*innen andere Erwartungshaltungen
gestellt als an Autochthone.
Sogar im Qualitätsjournalismus,
der sich selbst als progressiv und woke
einschätzt. „Hast du den Text wirklich
selber geschrieben? Er ist so gut“,
entgegnet mir mein damaliger Chef,
nachdem ich einen Text abgab, an dem
ich drei Wochen gearbeitet hatte.
Der Journalismus Report (2020) zeigt
folgende Merkmale für Journalist*innen
in Österreich: Cis-Mann, 46 Jahre,
arbeitet Vollzeit, kein Uni-Abschluss
und arbeitet für ein Printmedium. Diese
Beobachtung machte ich auch schnell.
Berufseinstiege sind nie leicht. Als Frau
mit Migrationshintergrund fallen zwei
Diskriminierungskategorien auf einmal
zusammen: Sexismus und Xenophobie.
Die anfängliche Freude endlich in
einer Redaktion zu arbeiten wird schnell
überschattet von einer Pasta Mixta aus
dem bekannten Hochstapler-Syndrom,
People-Pleasing und dem Gefühl die
eigene Community nicht enttäuschen zu
wollen. Ich will zu einem Vorbild werden.
Ich konnte meinen Kolleg*innen noch
nicht einmal erklären, wie man meinen
Nachnamen ausspricht und schon brach
das Hochstapler-Syndrom über mich
herein. Gedanken wie „Vielleicht gehöre
ich ja wirklich nicht hier hin?“ und „Ich
bin nicht gut genug!“ machten sich in mir
breit. Ich musste mich nur umschauen,
um zu sehen, dass mich der Journalismus
aufgrund meines Profils eigentlich
nicht in einer Redaktion sitzend sieht.
Diese Zweifel zusammen mit meiner
Erziehung, dass man Erwachsenen nicht
widerspricht – auch wenn ich selbst
schon erwachsen bin – und der verinnerlichten
Scham, machten mich zu einem
leichten Opfer für die Scharade der Vielfalt
in österreichischen Redaktionen. Ich
sollte ja überhaupt dankbar sein, dass
ich hier sitzen darf. Viele schaffen ja das
nicht einmal.
Es brauchte viele empathische
Kolleg*innen, Vorbilder wie Melisa Erkurt
oder Olivera Stajić, und auch Therapie,
um diesen Irrglauben abzulegen. Ich
habe genauso eine Berechtigung als
Journalistin zu arbeiten – genauso wie
ein Maximilian oder eine Lisa.
„NE DAJ SEBE NI ZA
KOGA“
Mit diesem Satz bin ich aufgewachsen.
Es heißt so viel wie „Gib dich für niemanden
auf“. Für mich steckt hinter diesem
Satz der Mut und die Liebe meiner Eltern,
die sich vielen Hindernissen stellen
mussten, um sich ein Leben in einem
Land aufzubauen, das ihnen nichts
gab. Viele Diasporakids haben ähnliche
Geschichten. Es ist nur logisch, dass
Journalist*innen mit einem ähnlichen
Background auch das in ihre Arbeit einfließen
lassen.
Über die eigene Community zu
schreiben, geht aber oft mit familiären
Konflikten einher. Das Tauziehen geht
wieder los. Ist es dieser Text wert, dass
ich Stress mit meiner Familie habe, weil
ich ihr und unserer Community einen
Spiegel vorhalte? Das würde die Redaktion
natürlich feiern, weil wenn ich schon
über meine Community schreibe, dann
nur kritisch. Unsere Migrationsgeschichte
definiert uns nicht. Natürlich hat sie
einen erheblichen Einfluss auf unsere
Weltanschauung und prägt unsere
Lebensrealität. Es ist aber keineswegs
ein Freifahrtschein für Vorgesetzte uns in
Schubladen zu stecken. Also gebt euch
für niemanden auf und vergesst nicht,
woher ihr kommt – auch wenn es sich
manchmal so anfühlt, als ob die Gesellschaft
euch dazu zwingen würde. ●
Jelena Čolić ist 25 Jahre alt, hat
bosnisch-kroatischen Wurzeln und ist in
Vorarlberg geboren und aufgewachsen.
2015 ist sie fürs Studium nach Wien
gezogen und hat seitdem in verschiedenen
Redaktionen als Journalistin gearbeitet.
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