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Fast hätte Amra Durić ihren Traum, Journalistin zu werden, aufgegeben:
Trotz Geldsorgen, Gewissensbissen, Unverständnis vom Umfeld und fehlender
Unterstützung hat sie es geschafft: Heute sitzt sie als migrantische
Frau aus einer sozial schwachen Arbeiter:innenfamilie in einer Führungsposition
bei einer großen österreichischen Tageszeitung.
Von Amra Durić, Fotos: Zoe Opratko
Die Zugfahrt von Wien nach
Innsbruck dauert mit dem
Railjet etwa 4 Stunden und
20 Minuten – wenn es keine
Zwischenfälle gibt. Diese Strecke bin ich
in den vergangenen Jahren unzählige
Male abgefahren. Egal ob bei Schnee,
Sturm, Regen oder Sonnenschein. Wie
es der Zufall so will, schreibe ich diese
Worte sogar im Zug von Innsbruck nach
Wien. Diese 4 Stunden und 20 Minuten
sollten mein Familienleben völlig aus der
Bahn werfen.
TRAUMJOB MIT
HINDERNISSEN
Vor knapp 13 Jahren beschloss ich, nach
Wien zu ziehen. Bis ich meinen Plan in
die Tat umsetzen konnte, sollte aber
noch Zeit vergehen. Bereits im Teenageralter
wusste ich, dass ich Journalistin
werden wollte. Meine Mama und ich
saßen jeden Tag mit einer Tasse Cappuccino
vor dem Fernseher und sahen
uns „Gilmore Girls“ an. Wir fühlten uns
den Charakteren verbunden. Ein starkes
Mutter-Tochter-Duo, das viel redete,
noch mehr Kaffee trank und zusammen
viel durchgemacht hatte. Nur, es gab keine
reichen Großeltern, die uns unterstützen
konnten. Stattdessen hatte ich zwei
Geschwister, die die Schule besuchten
und eine alleinerziehende Mutter, die mit
schweren gesundheitlichen Problemen
kämpfte, weshalb sie ihrem Beruf nicht
mehr nachgehen konnte.
In meinem Vorhaben, Journalistin zu
werden, hatte mich meine Mutter immer
unterstützt. Dass ich dafür studieren
und in ein anderes Bundesland ziehen
musste, da man in Tirol nicht Publizistik
studieren konnte, war ihr nicht bewusst.
In Österreich wird Bildung überdurchschnittlich
vererbt. Ob die Eltern studieren,
oder einen Hauptschulabschluss
haben und wie viel Geld der Familie zur
Verfügung steht, entscheidet darüber,
welche Rolle ein Kind am Bildungsmarkt
einnimmt. Laut einer OECD-Studie
erreicht nur jedes fünfte Kind in Österreich
einen höheren Bildungsabschluss
als seine Eltern.
STUDIEREN MUSS MAN
SICH ERST VERDIENEN
Nach meiner Matura entwickelte sich
mein Sommerpraktikum zur Festanstellung
– zum Glück. Ging es nach meinem
Plan, musste ich etwa ein Jahr lang
arbeiten, um mir überhaupt den Umzug
nach Wien leisten zu können. Ich hatte
seit meinem 16. Lebensjahr zwar schon
Geld verdient, der Großteil floss aber
in die familiäre Haushaltskasse. Jeder
Cent zählte. Ich war in meiner Familie die
Erste, die studieren gehen sollte. Doch
im Unterschied zu meinen Freundinnen
und Freunden, deren Eltern selbst eine
Universität besucht hatten und für die
es daher selbstverständlich war, dass
auch das Kind studieren ging, war bei
mir wenig Rückhalt da. Verwandte und
Bekannte meiner Familie zeigten sich
entsetzt darüber, dass ich nach Wien
ziehen wollte, um Publizistik zu studieren.
„Jetzt, wo du sie durch die Schule
gebracht hast, zieht sie einfach weg und
lässt dich allein. Sie zieht sicher nur nach
„
Ich wusste dass ich in
Wien sofort eine Stelle
finden musste, um
mich selbst finanzieren
zu können.
“
Wien, um Party zu machen“, waren noch
die netteren Sätze, die sich meine Mutter
anhören musste. Viele konnten mit meinem
Studium nichts anfangen. Die meisten
Cousins und Cousinen hatten keine
höhere Schule abgeschlossen, sondern
waren nach der Hauptschule direkt in die
Lehre gegangen. „Jetzt, wo du endlich
arbeiten gehen solltest, willst du deinen
Kopf in noch mehr Bücher stecken“,
wetterten Verwandte.
Die laute Kritik konnte mich von
meinem Wunsch nicht abbringen. Bei
meiner Mama sah ich aber die ersten
Zweifel aufkommen. Kurz vor meinem
Umzug bekam ich ein Jobangebot in
Tirol. Vollzeit, gut bezahlt, im Marketingbereich.
Meine Mutter fragte mich, ob
ich annehmen wolle. Zumindest eine Zeit
lang. „Du kannst in ein paar Jahren noch
immer studieren“, meinte sie. Der Job
hätte auch unsere finanzielle Situation
immens verbessert. Ich hatte schon ein
Jahr lang gewartet und Angst, dass,
wenn ich blieb, mehrere daraus werden
würden. Mein Gefühl sagte mir: jetzt
oder nie. „Ich kann bleiben und den Job
annehmen. Ich fürchte aber, dass ich es
mein Leben lang bereuen werde und dir
dafür die Schuld gebe“, erklärte ich meiner
Mama. Wir sprachen lange darüber.
Ich bekam Studienbeihilfe, wusste aber,
dass ich in Wien sofort eine Stelle finden
musste, um mich selbst finanzieren zu
können und auch, um meine Familie
weiterhin, so gut es möglich war, zu
unterstützen.
VOM WG-ZIMMER
INS SPITAL
Im September 2011 war es endlich so
weit. Ich hatte ein WG-Zimmer gefunden
und stand kurz vor der Übersiedlung.
Meine Mutter war fertig mit den Ner-
/ EMPOWERMENT SPECIAL / 35