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Österreichische Post AG; PZ 18Z041372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1070 Wien<br />
www.dasbiber.at<br />
MIT SCHARF<br />
DEZEMBER<br />
20<strong>23</strong><br />
WIR SIND DANN MAL WEG.<br />
HVALA & SELAM<br />
EIN BEST OF AUS 16 JAHREN JOURNALISMUS MIT SCHARF.
STIMMEN-<br />
VERSTÄRKERIN<br />
WER UND WAS IST DIE AK?<br />
Die Arbeiterkammer ist so etwas wie das<br />
Sprachrohr und die Anwältin der arbeitenden<br />
Menschen. Wir kämpfen dafür, dass sie gehört,<br />
fair bezahlt und rechtlich abgesichert werden.<br />
wien.arbeiterkammer.at/immernah<br />
©dikushin – AdobeStock<br />
WIEN.ARBEITERKAMMER.AT
FÜR IMMER<br />
MIT SCHARF<br />
„Seit meiner Schulzeit bin ich riesiger biber-<br />
Fan. Als ich dort mein erstes Praktikum<br />
machen durfte, wurde meine Bewunderung<br />
nur größer. biber bot kritische Geschichten<br />
von unterschiedlichen Menschen und<br />
Communitys in Österreich – Perspektiven,<br />
die sonst kein heimisches Medium abbildete.<br />
Es ließ uns einander verstehen und<br />
war gleichzeitig ein Sprungbrett für junge<br />
Journalist:innen in die Branche.“<br />
Armin Nadjafkhani, Journalist<br />
Ehemalige<br />
Redakteur:innen<br />
darüber, wie biber ihre<br />
berufliche Laufbahn<br />
geprägt hat.<br />
„Biber war der Türöffner für meine journalistische<br />
Karriere. Eine Karriere, die<br />
hierzulande für Leute mit einem Namen<br />
wie dem meinen eher unüblich ist. Der<br />
Nachteil wurde zum Vorteil, denn zum<br />
ersten Mal konnten wir Migra-Kids Einblicke<br />
liefern, die die Mehrheitsgesellschaft<br />
einfach nicht hatte.“<br />
Šemsa Salioski, Journalistin<br />
© Karahasan Mücahit Khan, BKA/ Wenzel, ifiphotography, Zoe Opratko, Billa/Robert Harson<br />
„Als ich in der biber-Akademie angefangen<br />
habe, wusste ich nicht, dass diese<br />
mein ganzes berufliches Leben formen<br />
würde. Obwohl ich fest davon überzeugt<br />
war, der Journalismus ist das Richtige<br />
für mich, habe ich mit dem Praktikum<br />
nach der Akademiezeit gelernt, dass<br />
meine persönlichen und beruflichen<br />
Stärken ganz wo anders liegen. Danke<br />
für alles, biber!“<br />
Amra Ducić, Abteilungsleiterin Digitale<br />
Kommunikation im BKA<br />
„In jungen Jahren hatte ich die<br />
Gelegenheit, in der Redaktion zu<br />
arbeiten und danach den Vertrieb<br />
des Magazins zu organisieren. Etwa<br />
zehn Jahre später bin ich Vertriebsmanager<br />
bei Billa. In einigen meiner<br />
Filialen befindet sich immer noch ein<br />
biber-Aufsteller. Ironie des Schicksaals:<br />
Jetzt liegt es an mir, diese zu<br />
entfernen – so schließt sich mein<br />
ganz persönlicher Kreis.“<br />
Teoman Tiftik, Vertriebsmanager<br />
REWE<br />
„Als mir am Reumannplatz die erste<br />
biber-Ausgabe in die Hand gedrückt<br />
wurde, hat sich eine neue Welt für mich<br />
aufgetan. biber war mein Lieblingsmagazin<br />
und meine journalistische Heimat.<br />
Ich trage den Spirit immer im Herzen.“<br />
Jelena Pantić-Panić, Journo-Mentorin<br />
„Biber hat mir, als ich gerade in Bosnien gelebt<br />
habe, die Möglichkeit gegeben, meiner Community<br />
eine Stimme zu geben. Ich hoffe, dass<br />
diese Stimme weiterhin laut bleiben kann.“<br />
Dennis Miskić, Journalist<br />
„Ich schrieb über Dinge, die mich bewegten<br />
und das schon von Tag eins in der Akademie.<br />
Darauf folgte eine Festanstellung,<br />
geprägt von unzähligen Erlebnissen und<br />
Geschichten, für die ich immer dankbar<br />
sein werde. Die Redaktion war mein Safe<br />
Space. Bleibt scharf.“<br />
Maria Lovrić-Anušić, Journalistin<br />
„Biber war und bleibt für mich Community,<br />
Zusammenhalt und Widerstand.<br />
Und den Spirit werde ich auch in Zukunft<br />
weiter in mir tragen. Danke für alles.“<br />
Özben Önal, Journalistin<br />
„Biber wird mir für immer in Erinnerung<br />
bleiben, schließlich war es nicht<br />
nur mein erster Berührungspunkt mit<br />
dem Journalismus, sondern auch mein<br />
Sprungbrett in die Medienlandschaft.“<br />
Seyda Gün, Journalistin<br />
„Biber ist für mich ein Safe Space,<br />
in dem ich mich aufgehoben und<br />
verstanden fühle. Einmal biber, immer<br />
biber – dieser Spirit bleibt bei allen<br />
(alten und jungen) Journalist:innen,<br />
die die Ehre hatten, hier zu arbeiten.“<br />
Emilija Ilić, Journalistin<br />
/ MIT SCHARF / 3
3 ABSCHIED MIT SCHARF<br />
Stipendiat:innen der biber-Akademie bedanken<br />
sich für die Zeit in der schärfsten Redaktion<br />
des Landes.<br />
8 MIT SEBASTIAN KURZ AM<br />
KEBAPSTAND<br />
Ex-Politik-Ressortleiter Amar Rajković erinnert<br />
sich an die originellsten Gesprächssettings<br />
zurück.<br />
14 WIE ALLES BEGANN<br />
Kein Geld, keine Redaktion, aber eine brilliante<br />
Idee: Biber-Gründer Simon Kravagna über den<br />
Weg zum ersten Magazin-Prototypen.<br />
14<br />
VON ANFANG AN<br />
Wie aus einer Idee<br />
ein Magazin wurde<br />
16 “BITTE OHNE POLIZEI UND<br />
OHNE ERWACHSENE“<br />
Chefredakteurin Aleksandra Tulej über den<br />
biber’schen Zugang, den nur wir konnten.<br />
IN<br />
22 JEDER MIGRA-JOURNO<br />
WAR MAL BEI <strong>BIBER</strong><br />
Ex-Akademieleiterin Marina Delcheva über<br />
das beste Sprungbrett in die österreichische<br />
Medienbranche.<br />
26 JOURNOS IN DER<br />
WÄSCHEREI<br />
FM4-Journalist Ali Cem Deniz über unser<br />
Prestigeprojekt biber Akademie.<br />
8<br />
POLITIK MIT<br />
MIGRANTISCHEM<br />
TWIST<br />
Mit Sebastian Kurz am<br />
Kebapstand und mit<br />
Michael Ludwig Burek<br />
essen – das konnte nur<br />
biber.<br />
28 HIJABI-STYLE UND<br />
EU-KLOPAPIER<br />
Delna Antia-Tatić lässt die gewagtesten Events<br />
und Fotoshooting-Ideen Revue passieren.
34 SURE DER LEIDENSCHAFT<br />
Anna Thalhammers berühmt-berüchtigte Story<br />
über Sex im Islam aus den Greatest Hits.<br />
16<br />
„WIR<br />
VERTRAUEN<br />
NUR <strong>BIBER</strong>“<br />
Wir verraten euch<br />
endlich, wie die<br />
besten Inside-<br />
Storys entstanden<br />
sind.<br />
HALT DEZEMBER<br />
20<strong>23</strong><br />
28<br />
STYLE MIT<br />
SCHARF<br />
Ob Hijabi-Style,<br />
koschere Perücken<br />
oder ein Laufsteg in<br />
Favoriten zur EU-Wahl:<br />
Wir waren Pioniere in<br />
Sachen Community.<br />
© Philipp Tomsich, Aleksandra Tulej, Marko Mestrović Cover: © Lucia Bartl, Zoe Opratko, Marko Mestrović, Ina Aydogan, Aleksandra Tulej, Aliaa Abou Khaddour, Julie Brass, Philipp Tomsich<br />
38 GENERATION HARAM<br />
Melisa Erkurts Durchbruch und „Story des<br />
Jahres 2016“ nochmal zum Nachlesen.<br />
44 <strong>BIBER</strong>-BURKINI<br />
Menerva Hammads „Burkini“-Story sorgt zehn<br />
Jahre später noch für Furore.<br />
46 AJDE CIAO, BRATE!<br />
Ivana Cucujkić-Panić über den Pioniergeist von<br />
biber in Sachen Community-Journalismus.<br />
46 DER TRAMFAHRENDE<br />
JOURNALIST AUS SYRIEN<br />
Clemens Neuholds preisgekröntes Porträt über<br />
Bilal Albeirouti, der in Wien auf Schiene ging.<br />
54 IN MEMORIAM<br />
Einer der vielen lesenswerten Texte unseres<br />
leider verstorbenen Kolumnisten Jad Turjman.<br />
76 WENN SICH EINE<br />
TÜR SCHLIESST<br />
Šemsa Salioski verabschiedet sich als Karriere-<br />
Kolumnistin.<br />
82 VOM TABUBRUCH ZUM BUCH<br />
Kultur-Ressortleiterin und Buchautorin Nada<br />
Chekh über die Herzensgeschichten, die bei<br />
biber aufgingen.<br />
.
Liebe Leser:innen,<br />
Einmal mit scharf geht noch: Dies ist das letzte biber-Magazin dieser<br />
großartigen Redaktion. Diese finale Ausgabe nehmen wir zum<br />
Anlass, nochmal das Beste aus 16 Jahren Journalismus zu feiern.<br />
Auf Seite <strong>12</strong> erfährt ihr von biber-Gründer Simon Kravagna<br />
höchstpersönlich, wie man in den frühen 2000ern eigentlich auf<br />
die Idee kam, ein Medium zu gründen, das gezielt von und für migrantische<br />
Communitys in Wien ist, und wie es unser erster Prototyp<br />
im Jahr 2006 in den Druck geschafft hat.<br />
„<br />
Wie verpackt man 16 Jahre<br />
biber in einer Ausgabe? Leicht<br />
war‘s nicht – so viele Talente, so<br />
viele gute Geschichten, so viel<br />
„mit scharf.“<br />
In diesem Heft steckt so viel<br />
Herz, so viel Wehmut und<br />
ganz viel biber.<br />
Aleksandra “ Tulej,<br />
Chefredakteurin<br />
Originelle Gesprächssettings waren unser Spezialgebiet: Amar<br />
Rajković plaudert auf Seite 8 aus dem Nähkästchen und erzählt,<br />
wie wir mit Sebastian Kurz am Kebapstand waren und wie man<br />
den Bürgermeister mit einem Rapper und einem Boxer in eine<br />
Story packt. Delna Antia-Tatić schwelgt auf Seite 28 in Erinnerungen<br />
über ganz besondere Lifestyle-Storys und Events mit migrantischem<br />
Twist.<br />
Wie kommen wir zu unseren Reportagen aus Communities, die<br />
sonst verborgen sind? Das hat man uns in der Branche oft gefragt,<br />
verraten haben wir‘s nie. Bis jetzt. Aleksandra Tulej beantwortet<br />
diese brennende Frage in ihrem behind the scenes auf Seite 16.<br />
Ein heißer Tipp: Unser Leuchtturmprojekt biber-Akademie half<br />
uns immer wieder, unseren Horizont mit neuen Geschichten und<br />
Talenten zu erweitern. Marina Delcheva erzählt auf Seite 22 vom<br />
besten Sprungbrett in die Medienbranche.<br />
Und zwischendurch gibt es noch viele Zuckerl und Ostereier zu<br />
sehen: Eine Best-Of-Covergalerie und die stärksten Storys und<br />
ihre Nachwirkungen inklusive. Bevor es jetzt für Euch auf Erinnerungsreise<br />
geht, sagen wir allen unseren Leser:innen, Partner:innen<br />
und Kolleg:innen DANKE für eure Unterstützung und Arbeit. Wir<br />
alle waren biber.<br />
Bleibt für immer scharf.<br />
Eure biber Redaktion<br />
© Zoe Opratko<br />
6 / MIT SCHARF /
IMPRESSUM<br />
MEDIENINHABER:<br />
Biber Verlagsgesellschaft mbH, Quartier 21,<br />
Museumsplatz 1, E-1.4, 1070 Wien<br />
HERAUSGEBER:<br />
Simon Kravagna<br />
CHEFREDAKTEURIN:<br />
Aleksandra Tulej<br />
FOTOCHEFIN:<br />
Zoe Opratko<br />
ART DIRECTOR: Dieter Auracher<br />
LEKTORAT: Florian Haderer<br />
ÖAK GEPRÜFT laut Bericht über die Jahresprüfung im 2. HJ 2022:<br />
Druckauflage 85.000 Stück<br />
Verbreitete Auflage 80.700 Stück<br />
Die Offenlegung gemäß §25 MedG ist unter<br />
www.dasbiber.at/impressum abrufbar.<br />
DRUCK: Mediaprint<br />
REDAKTION, FOTOGRAFIE & ILLUSTRATION:<br />
Nada Chekh, Delna Antia-Tatić, Amar Rajković, Ivana Cucujkić-Panić,<br />
Marina Delcheva, Šemsa Salioski, Özben Önal, Thomas Süß<br />
VERLAGSLEITUNG :<br />
Aida Durić<br />
REDAKTIONSHUND:<br />
Casper<br />
BUSINESS DEVELOPMENT:<br />
Andreas Wiesmüller<br />
GESCHÄFTSFÜHRUNG:<br />
Wilfried Wiesinger<br />
KONTAKT: biber Verlagsgesellschaft mbH Quartier 21, Museumsplatz 1,<br />
E-1.4, 1070 Wien<br />
redaktion@dasbiber.at, abo@dasbiber.at<br />
Erklärung zu gendergerechter Sprache:<br />
In welcher Form bei den Texten gegendert wird, entscheiden die<br />
jeweiligen Autoren und Autorinnen selbst: Somit bleibt die Authentizität<br />
der Texte erhalten – wie immer „mit scharf“.<br />
WEBSITE: www.dasbiber.at
Für Sebastian Kurz’ Porträt<br />
in der Dönerbude aus unserer<br />
Maiausgabe 2011 beneideten uns<br />
so manch andere Medien.<br />
MIT UNS AM<br />
KEBAPSTAND<br />
© Philipp Tomsich<br />
8 / POLITIKA /
Einmal Sebastian Kurz „mit alles“, Michael Häupl<br />
und die starken Männer oder Beate Meinl-Reisinger<br />
beim Kaffeesudlesen: Biber hat Politiker:innen immer<br />
wieder in unerwartbaren Lebenslagen abgelichtet.<br />
Von Amar Rajković<br />
Das ist der Politiker, der so alt<br />
ist wie wir und jetzt irgendwas<br />
mit Ausländern macht.<br />
Aber was genau – keine<br />
Ahnung.“ Die Passanten am Brunnenmarkt<br />
staunten 2011 nicht schlecht, als<br />
sie den designierten Integrationsstaatssekretär<br />
Sebastian Kurz lächelnd und mit<br />
perfekter Frisur hinter der Kebapbude<br />
für das biber-Cover posen sahen. Der<br />
25-Jährige galt damals als die größte<br />
Polithoffnung seit Bruno Kreisky und<br />
überraschte mit ausländerfreundlichen<br />
Aussagen viele Migrant:innen in Österreich.<br />
Bei dem anschließenden Kreuzverhör<br />
im türkischen Restaurant trank er<br />
Çay, offenbarte ein paar kleine Schwächen<br />
in der Wiener Allgemeinbildung<br />
(wusste nicht, wer oder was ein „Schwabo“<br />
ist), erzählte stolz von guten Schulfreundinnen<br />
mit Kopftuch und hielt sogar<br />
„Türkisch“ als Maturafach für vorstellbar.<br />
Ach, wie sich die Zeiten ändern.<br />
Ein paar Hundert Meter weiter initiierte<br />
biber einen diplomatischen Gipfel im<br />
Kent, der so in keinem anderen Medium<br />
vorstellbar war. Wiens damaliger Bürgermeister<br />
Michael Häupl, Ottakrings langjähriger<br />
Bezirksvorsitzender Franz Prokop<br />
und der damalige türkische Botschafter<br />
erzählten von ihrer Jugend, politischen<br />
Vorbildern und Lieblingsessen. Das Foto,<br />
das Michael Häupl vor einer türkischen<br />
Fahne und den türkischen Botschafter<br />
vor einer österreichischen Fahne zeigt,<br />
war schon damals ein Hinschauer – heute<br />
würde sich kein heimischer Spitzenpolitiker<br />
gerne so fotografieren lassen.<br />
und sorgte als „Papa Schlumpf“ (O-Ton<br />
einer biber-Kollegin) für Recht, Ordnung<br />
und Sichtbarkeit von Migrant:innen. Im<br />
September 2010 lief das Netz heiß, als er<br />
auf einem rosa Enzo im Museumsquartier<br />
zusammen mit Rapper Nazar und Boxer<br />
Gogi Knezević breitbeinig posierte (s.<br />
nächste Seite). 2015 war er Protagonist<br />
in einer von der SPÖ geschalteten „Foto-<br />
Love-Story“, bei der er einer im Regen<br />
stehengelassenen Wählerin den Regenschirm<br />
anbot. Das letzte Interview fand<br />
im „Pitawerk“ auf der äußeren Mariahilferstraße<br />
statt, wo Häupl kurz vor seinem<br />
Abgang als Wiener Bürgermeister noch<br />
einmal Schmäh führte und Burek mit<br />
Joghurt schnabulierte. Diese Tradition<br />
setzten wir fort und zwängten den amtierenden<br />
Bürgermeister Michael Ludwig<br />
2020 auf die Sitzbank des bosnischen<br />
„Željo Burek & Grill“ auf der Thaliastraße.<br />
POLITIK IM SUD<br />
Es altes, türkisches Sprichwort sagt:<br />
„Glaube nicht an den Kaffeesud, aber<br />
bleibe nicht ohne Kaffeesud.“ Weil in<br />
manchen migrantischen Communities<br />
der Aberglaube stark ausgeprägt ist (Ich<br />
sage nur „Promaja“, übersetzt die Zugluft,<br />
die laut Balkan-Eltern eine sofortige<br />
Lungenentzündung oder gar den Tod<br />
nach sich zieht), verzichteten wir auf<br />
Wahl-Analysen und ausgeleierte Fragen.<br />
Wir engagierten für die Wiener Gemeinderatswahlen<br />
2015 eine Wahrsagerin<br />
(Danke an dieser Stelle an Zeynep Alan),<br />
die den damaligen Spitzenkandidat:innen<br />
ihr Kismet voraussagte. Beate Meinl-<br />
Reisinger durfte sich über zwei galoppierende<br />
Pferde freuen, die als Glückbringer<br />
interpretiert wurden.<br />
Maria Vassilakou bildeten wir Jahre<br />
zuvor in High-Heels ab, bevor sie in<br />
© Zoe Opratko<br />
DER BÜRGERMEISTER, DER<br />
BOXER UND DER RAPPER<br />
Michael Häupl war jener Politiker, der in<br />
den ersten Jahren wohl am öftesten von<br />
biber interviewt wurde. Kein Wunder,<br />
er war das Oberhaupt der „Multi-Kulti“-<br />
Stadt, in der wir uns alle so wohlfühlen<br />
Im September 2020 stärkten wir uns zum Wahlkampfauftakt<br />
mit Michael Ludwig bei „Željo“ auf der Thaliastraße.<br />
/ POLITIKA / 9
direkt in Schulen und viele Schüler:innen<br />
waren bei uns in der Redaktion. Eine<br />
sonst so goscherte 14-jährige Schülerin,<br />
die bei uns Praktikum machte, verdiente<br />
sich ihren großen Auftritt im Justizministerium,<br />
weil sie sich die besten Fragen<br />
überlegt hatte. Als Alma Zadić dann<br />
tatsächlich vor ihr auftauchte, brachte sie<br />
anfangs kaum ein Wort heraus.<br />
Meine persönliche Lieblings-Polit-<br />
Geschichte war die Cover-Story „I‘m<br />
muslim, don‘t panic“ – aus dem Jahr<br />
20<strong>12</strong>. Dabei ging es um die differenzierte<br />
Betrachtung von Muslimen weltweit.<br />
Einerseits kritisierte ich dabei die<br />
westlich gefärbte, oft sehr einseitige<br />
Betonung von radikalen Muslimen, die<br />
angeblich die Mehrheit in der islamischen<br />
Welt ausmachten. Andererseits gingen<br />
mir die Hobby-Imame auf die Nerven, die<br />
politisch hetzten statt Frieden zu säen.<br />
Mit unseren Themen waren wir meistens<br />
ein bisschen voraus.<br />
Es ist so fies, ein Best-of für die<br />
letzte Ausgabe zusammenzustellen.<br />
Dabei war jede Ausgabe eine Gaudi, ein<br />
chaotisches Treiben, ein Herantasten an<br />
ernste Themen, ohne den Humor dabei<br />
zu verlieren. Mir wird der biber fehlen<br />
aber auch ewig einen ganz besonderen<br />
Platz in meinem Herzen behalten. ●<br />
ihren Kaffeesud blickte und sich dabei<br />
über den Begriff „Wirtschaftsflüchtling“<br />
echauffierte.<br />
Der Boxer, der Rapper und der Bürgermeister:<br />
Gogi Knezević, Nazar und Michael Häupl.<br />
KATER & ROLEX<br />
Übrigens, auch FPÖ-Politiker haben wir<br />
immer wieder getroffen. Mit Ausnahme<br />
von Herbert Kickl. Der wollte nämlich<br />
nicht, obwohl wir das „Go“ von seiner<br />
Pressesprecherin hatten. Warum eigentlich,<br />
Herr Kickl? Im allseits beliebten<br />
Interview-Format „Interview in Zahlen“<br />
besuchte Herausgeber Simon Kravagna<br />
aber unter anderem 2016 Präsidentschaftskandidat<br />
Norbert Hofer und seinen<br />
Kater in seinem Garten in Pinkafeld.<br />
(Juli 2016) Ein paar Jahre zuvor bezifferte<br />
Serbenfreund und Hauptdarsteller<br />
des Ibiza-Krimis HC Strache (O-Ton: „Alle<br />
Journalisten sind Huren“) im „Interview<br />
in Zahlen“ den Wert seiner Rolex und<br />
gab an, 10.000 Euro für das teuerste<br />
Geschenk an eine Frau ausgegeben zu<br />
haben. Welche Frau das war, ist nicht<br />
überliefert. Das Zahleninterview wurde<br />
zum „Big Mac“ des biber, geteilt von<br />
Journo-Größen wie Armin Wolf. Apropos<br />
Wolf. Der ZiB2-Anchorman ließ es sich<br />
nicht nehmen, selbst als Befragter beim<br />
Zahlenformat aufzutreten.<br />
„KIFFEN SIE, HERR WOLF?“<br />
Unser damaliger Schüler-Redakteur Muamer<br />
Bečirović wollte in einem anderen<br />
Interview vom ORF-Moderator wissen:<br />
„Kiffen Sie, Herr Wolf?“ Spoiler: Er tut es<br />
nicht.<br />
Die Einbindung von Schüler:innen in<br />
die Redaktion war kein bloßes Lippenbekenntnis<br />
oder ein Marketing-Gag.<br />
Wir hatten wohl die einzige Schüler-<br />
Redaktion, die diesen Namen so richtig<br />
verdiente. Redakteur:innen von biber<br />
verbrachten oft mehrere Wochen im Jahr<br />
Zum Autor: Amar Rajković war stv.<br />
Chefredakteur und Politik-Ressortleiter<br />
bei biber und arbeitet jetzt im Community<br />
Work bei der Volkshilfe Wien.<br />
P.b.b., Verlagspostamt 1070, Vetragsnummer 09Z038106 M<br />
www.dasbiber.at<br />
Magazin für neue Österreicher<br />
mit scharf<br />
OKTOBER<br />
20<strong>12</strong><br />
kost auch in<br />
der Krise nix<br />
mEIN ISLAm KENNT KEINE bOmbEN<br />
DER<br />
ÖSTERREICHISCHE<br />
JOURNALIST<br />
grAtisMAgAZin des JAhres20<strong>12</strong><br />
++ DR. LADY bITCH RAY ++ WINNETOU LEbT ++ KREUzzUg gEgEN POKEmON ++<br />
Das All-Time-Lieblings-Politcover von<br />
Politredakteur Amar Rajković.<br />
© Lucia Bartl, © Philipp Tomsich<br />
10 / POLITIKA /
Viele Jobs für eine<br />
Herausforderung:<br />
Die Klimawende Über 300<br />
Die Wiener Stadtwerke-Gruppe hält Wien am Laufen<br />
und macht die Stadt klimafit. Dafür braucht es engagierte<br />
Menschen mit vielfältigen Fähigkeiten.<br />
Gemeinsam schaffen wir die Klimawende!<br />
freie Stellen:<br />
Jetzt bewerben!
Ein Stück<br />
Mediengeschichte:<br />
so sah der erste<br />
biber-Prototyp<br />
2006 aus.<br />
© Moritz Schell<br />
<strong>12</strong> / MIT SCHARF /
WIE ALLES BEGANN<br />
Kein Geld, keine Redaktion, aber eine scharfe Idee. Von Fake-<br />
Gucci bis hin zur Balkan-Meile: Gründer Simon Kravagna über<br />
den Launch der ersten biber-Ausgabe 2006.<br />
Von Simon Kravagna<br />
Ich war damals 35, Innenpolitik-Redakteur beim<br />
Kurier und ehrlicherweise etwas gelangweilt von<br />
den typischen Storys rund um Jörg Haider und Co.<br />
Da erreichte mich unter dem Betreff „Bewerbung<br />
für die Neue Wiener Multi-Kulti-Zeitung“ folgendes<br />
Mail: „Sehr geehrtes Team dieser neuen wunderbaren<br />
Zeitung. Ich war gerade auf der Uni und sah, dass<br />
Journalisten für eine Stadtzeitung gesucht werden.<br />
Ich bin gebürtige bosnische Kroatin und kenne mich in<br />
der Balkanszene bestens aus.“ Die Bewerberin schrieb<br />
weiter: „Life-Style und Mode in unserer Stadt sind mir<br />
bekannt. Von aufgeklebten Fälschungen, etwa das „G“<br />
zu „ucci“, bis hin zu Pumaschuhen vom Südbahnhof-<br />
Flohmarkt kann ich Bände schreiben. Musik, Konzerte,<br />
Events fangen in der Ottakringerstraße an, gehen über<br />
die türkischen Diskos bis hin zum Nachtwerk im <strong>23</strong>.<br />
Bezirk, wo wir immer wieder Balkansternchen bewundern<br />
können. Wien, Vienna, Beć oder Viyana – viele<br />
Namen, eine Stadt!!!“<br />
Es war keine klassische Bewerbung für einen Job im<br />
Journalismus, aber es war die richtige Bewerbung für<br />
mein Projekt. Ein paar Tage zuvor hatte ich Zettel an den<br />
Schwarzen Brettern in den Unis aufgehängt. Das war<br />
damals so üblich, Instagram noch nicht erfunden und<br />
selbst Facebook gerade erst am Start.<br />
Ich wollte ein neues Medium gründen<br />
„<br />
Es brauchte Zeit,<br />
bis die Redaktion<br />
wichtiger als die<br />
Herkunftsländer<br />
wurde.<br />
“<br />
und suchte nach dem, was mir in den<br />
etablierten Redaktionen fehlte: junge<br />
Journalist:innen mit Migrationsbackground,<br />
die Medien mehr Kompetenz<br />
geben würden. Durch ihre Sprachkenntnisse,<br />
ihre Netzwerke und Geschichten<br />
aus ihrer Lebenswelt.<br />
Ich suchte damals, das wusste ich<br />
nach diesem Mail, Menschen wie Ivana<br />
Martinović. Die Studentin und spätere<br />
Online-Chefin von biber schrieb mir aus Ottakring<br />
und kannte jeden Balkan-Club dort. Und es gab nicht<br />
nur eine Ivana, die sich meldete. Auch Ivana Cucujkić,<br />
später meine erste stellvertretende Chefredakteurin von<br />
biber, schickte eine Bewerbung. Im Sommer 2006 gab<br />
es dann ein Team von rund zehn jungen Talenten, verstärkt<br />
um ein paar journalistische Profis und Fotografen,<br />
die das Projekt unterstützten. Jetzt gab es nur ein Problem.<br />
Diese neue Stadtzeitung gab es zu diesem Zeitpunkt<br />
noch gar nicht. Es gab nicht einmal den Namen<br />
„biber“. Es gab in Wahrheit gar nichts: keine Redaktion,<br />
kein Geld, kein Produkt. Es gab nur eine Idee. Die Idee<br />
für ein Medium, das von Journalist:innen gestaltet wird,<br />
die Wiens viele Sprachen sprechen – und verstehen.<br />
Wie konnte im September 2006 dann überhaupt<br />
die erste biber-Ausgabe produziert werden? Durch<br />
unbezahlte Arbeit und Selbstausbeutung, wie es heute<br />
heißen würde. Konkret: Wir druckten erst, als wir genug<br />
Inserate hatten, um die Mediaprint zu bezahlen. Sonst<br />
bekam niemand Geld. Das verdienten wir damals alle in<br />
anderen Jobs.<br />
Vor dem Druck brauchte unser Magazin noch einen<br />
Namen. So richtig wollte zuerst keiner passen. Der<br />
Balkanfraktion gefielen die türkischen Vorschläge nicht.<br />
Die Wiener:innen mit türkisch-kurdischen<br />
Wurzeln wiederum konnten nichts mit<br />
den balkanischen Begriffen anfangen.<br />
Und einen österreichischen Namen<br />
wollte sowieso niemand. Es brauchte<br />
viele Runden, meist abends in Lokalen,<br />
um den Durchbruch zu schaffen. „biber“<br />
– das gefiel allen. Der jungen türkischkurdischen<br />
Gruppe, weil es für Paprika/<br />
Pfefferoni steht, den Ex-YU-Leuten, weil<br />
es Pfeffer bedeutete und den „echten“<br />
Österreicher:innen weil biber doch ein<br />
/ MIT SCHARF / 13
Aus dem Archiv: Mittels Aushang in Lokalen und auf Unis<br />
wurde 2006 die erste biber-Generation gefunden<br />
nettes Tierchen ist. Wir haben dann noch den Begriff<br />
„Multi-Kulti“ eliminiert und fertig war „biber. Stadtmagazin<br />
für Wien, Viyana und Beć“.<br />
Völlig enthusiastisch ließen wir von der ersten Ausgabe<br />
„Balkan, aber richtig!“ gleich 20.000 Stück drucken<br />
und (ohne zu fragen) bei U-Bahnstationen verteilen. In<br />
der „Community“ war die Resonanz enorm und unsere<br />
abendlichen Redaktionssitzungen wurden immer größer.<br />
Die hielten wir im damaligen Jugendverein Echo von Co-<br />
Gründer Bülent Öztoplu ab. Damals schon dabei: Amar<br />
Rajković, bis 2022 stellvertretender Chefredakteur und<br />
Eser Akbaba, später erste Marketingleiterin<br />
von biber. Nach jeder neuen Ausgabe<br />
verpackten wir gemeinsam die Magazine<br />
in Kuverts und sendeten Hunderte davon<br />
an Entscheidungsträger und Institutionen.<br />
Dabei ließen wir Pizza kommen und<br />
besprachen die nächsten Storys.<br />
Nach den ersten Ausgaben professionalisierten<br />
wir unsere Strukturen,<br />
indem wir etwa Vertriebskooperationen<br />
mit McDonalds, Anker, Spar, Billa<br />
und anderen eingingen. Die Redaktion<br />
zog von einem kleinen Gassenlokal ins<br />
„<br />
Bei uns wurde<br />
niemand<br />
integriert: Wir<br />
haben das Beste<br />
aus vielen Welten<br />
angenommen.<br />
“<br />
14 / MIT SCHARF /<br />
angesagte Museumsquartier. Aber vor allem führten wir<br />
die biber-Akademie ein. Das Ziel: Mit Hilfe von Förderern<br />
und Sponsoren journalistische Talente auszubilden.<br />
Wie ein Fußballclub scouteten wir systematisch Talente,<br />
bildeten sie aus und kamen unserem Ziel näher,<br />
die heimische Medienlandschaft zu bereichern: mit<br />
guten Journalist:innen, die die anderen Welten in Wien<br />
kennen, weil sie aus Arbeiter:innenfamilien stammen,<br />
Ramadan feiern oder aus Damaskus nach Wien geflüchtet<br />
sind und sich hier ein neues Leben aufbauen.<br />
War immer alles super? Natürlich nicht. Vor allem<br />
in den Anfangsjahren spalteten nationale Konflikte zwischen<br />
Kurd:innen und Türk:innen sowie Serb:innen und<br />
Bosnier:innen immer wieder das Team. Es brauchte Zeit,<br />
bis die Redaktion wichtiger als die Herkunftsländer wurde.<br />
Später wurde dann das Kopftuch heftig debattiert<br />
und die zunehmende Religiosität junger Muslim:innen<br />
wurde zum großen Thema. Früher als andere spürten<br />
wir auch die Radikalisierung einer kleinen Szene. Die<br />
Story „Sure der Leidenschaft – Sex im Islam“ brachte<br />
uns Drohungen von Salafisten ein. Auf Anraten des<br />
Verfassungsschutzes bauten wir eine Sicherheitstür ein.<br />
Gegen rechtsradikale polnische Trolle im Internet, die die<br />
jetzige Chefredakteurin Aleksandra Tulej im Netz verfolgten,<br />
hat die Stahltür leider nicht geholfen. Migrantische<br />
Vereine sahen in biber zudem oft eine Konkurrenz. Wir<br />
würden ihnen „ihre“ Jugendlichen wegnehmen, hieß es.<br />
In all den Jahren war „Integration“ ein Fremdwort für<br />
uns. Bei uns wurde niemand integriert: Wir haben das<br />
Beste aus vielen Welten angenommen und zu möglichst<br />
gutem Journalismus gemacht. Was zählte, waren vor<br />
allem Ideen für gute Geschichten und Leistung. Wir<br />
zogen damit Jungjournalist:innen an, die biber immer<br />
wieder Relevanz gaben wie Aleksandra Tulej, Delna<br />
Antia-Tatić, Nada Chekh, Melisa Erkurt, Alexandra Stanić,<br />
Marina Delcheva und viele mehr.<br />
In all den 16 Jahren hatten wir finanziell immer<br />
wieder zu kämpfen. Gleichzeitig gab es auch viel<br />
Unterstützung: von Menschen, Firmen und Institutionen.<br />
Dafür möchte ich mich bedanken! Vor allem bei Andreas<br />
Wiesmüller, der mit seinem Investment die Gründung<br />
der biber-GmbH im Jahr 2007 ermöglichte, sowie bei<br />
Miteigentümer Rudi Kobza. Sehr beindruckt haben<br />
mich in all den Jahren biber-Geschäftsführer Wilfried<br />
Wiesinger, der mit Nerven aus Stahl den<br />
vielen Krisen trotzte, Art Director Dieter<br />
Auracher, der nächtens mit viel Liebe das<br />
Magazin finalisierte sowie Verlagsleiterin<br />
Aida Durić, die für biber mehr als nur eine<br />
zentrale Rolle einnahm.<br />
Ist jetzt alles vorbei? Nein, denn<br />
biber hat mehr als 150 junge Menschen<br />
geprägt, die auf ihrem Weg durch die<br />
Institutionen sind oder selbst Neues – in<br />
Print, auf Instagram oder TikTok – aufbauen.<br />
Absolvent:innen unserer Akademie<br />
arbeiten in etablierten Medien. Und
noch mehr davon wirken in Firmen oder Institutionen wie<br />
Siemens, REWE, Ärzte ohne Grenzen, Teach for Austria,<br />
dem Parlament oder im Kanzleramt. Das Schöne an einer<br />
Idee ist, dass sie von Menschen weitergetragen werden<br />
kann. Unabhängig von einer fixen Organisationsform. Wir<br />
sind ein Netzwerk und viele von uns werden Wien weiter<br />
prägen und neue Initiativen starten. Diese Stadt hat noch<br />
so viel Potenzial. Wir müssen es nur heben!<br />
© Zoe Opratko<br />
biber-Gründer Simon<br />
Kravagna führte biber<br />
als Chefredakteur und<br />
Herausgeber mehr<br />
als 10 Jahre. 2019<br />
wechselte der frühere<br />
Innenpolitik-Journalist<br />
als Geschäftsführer zum<br />
forum journalismus und<br />
medien (fjum).<br />
„Ethno“-Werbung in der ersten Ausgabe: Das Sujet für den<br />
Telekom-Anbieter „One“ gestalte die Agentur Jung von Matt<br />
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„Wir sprechen nicht mit Journalisten.<br />
Außer mit biber.“<br />
GESCHICHTEN,<br />
DIE NUR DAS LEBEN<br />
(UND <strong>BIBER</strong>) SCHREIBT.<br />
© Marko Mestrović/Aleksandra Tulej<br />
16 / POLITIKA /
Ob untergetauchte Asylwerber, kriminelle<br />
Jugendgangs, tschetschenische Sittenwächter<br />
oder ein polnisch-kurdischer<br />
Zufall in einem belarussischen Grenzgebiet,<br />
der unsere Reportage gerettet hat: „Wie<br />
habt ihr das bitte schon wieder aufgetrieben?<br />
Wie kommt ihr immer an die Leute?”,<br />
wurden wir oft nach unseren Recherchen<br />
gefragt. Wir wiederum stellten uns immer<br />
die Frage: Wie sehen die Lebenswelten<br />
hinter den Schlagzeilen wirklich aus? Wie<br />
schafft man es, mit quasi null Ressourcen<br />
lebensnahe Reportagen zu bringen, die<br />
sonst keiner erzählen kann? Ein letzter Blick<br />
behind the scenes.<br />
Von Aleksandra Tulej<br />
© Zoe Opratko<br />
Mein Freund hat mir erzählt, dass man mit dir<br />
gut reden kann. Können wir uns treffen? Aber<br />
bitte ohne Polizei und ohne Erwachsene.” Im<br />
April 2019 erreicht mich auf Instagram eine<br />
Nachricht des damals 15-jährigen Omar*, der, wie sich herausstellt,<br />
Mitglied einer kriminellen Jugendgang ist. Besagten<br />
Freund hatte ich in seiner Klasse kennengelernt, in der wir<br />
im Rahmen unseres „biber-Newcomer“-Projekts unterwegs<br />
waren. Etwas erstaunt über das Vertrauen, das der damals<br />
Fremde zu mir zu haben scheint, sage ich einem Treffen zu.<br />
Nach und nach weiht Omar mich in seine Kreise ein – und<br />
prompt entsteht daraus die Reportage „Jung, brutal, kriminell<br />
– Inside Wiener Jugendgangs”. Der Artikel schlägt hohe<br />
Wellen, es tritt das ein, was nach großen biber-Reportagen<br />
immer passiert: Plötzlich rieseln die Anfragen größerer Medien<br />
ein, man möge doch bitte die Kontakte weitergeben, man<br />
sei doch unter Kolleg:innen, man wolle doch dasselbe. Naja.<br />
Mit einem kleinen aber nicht unwesentlichen Unterschied.<br />
Biber konnte das, was andere nicht konnten: Das Vertrauen<br />
der Menschen hinter den Schlagzeilen für sich gewinnen.<br />
Weil wir nicht über sie gesprochen haben, sondern mit<br />
ihnen. Wir hatten den Zugang, den sonst keiner hatte.<br />
„Das ist nicht unser Jihad“ – Drei ehemalige IS-<br />
Sympathisanten haben uns 2020 über ihren Ausstieg erzählt.<br />
„WIR SPRECHEN NICHT MIT<br />
JOURNALISTEN. ABER MIT <strong>BIBER</strong><br />
SPRECHEN WIR, IHR SEID ANDERS.”<br />
„Wir sprechen eigentlich nicht mit Journalisten. Aber mit<br />
biber sprechen wir, ihr seid anders.” Es ist dieser Satz, der<br />
uns wieder und wieder zu den besten Reportagen gebracht<br />
hat. Ob das etwas ist, womit man angeben kann, wird sich<br />
der ein oder andere jetzt fragen. Durchaus waren unsere<br />
Protagonisten ja oft problematisch, um es gelinde auszudrücken.<br />
Dabei ist es ganz einfach: Ich war nie Fan davon, Konflikte<br />
schönzureden, oder nur Positivbeispiele „gelungener<br />
Integration“ aufzuzeigen – das fand ich erstens irgendwie<br />
infantilisierend den Protagonisten gegenüber und zweitens<br />
ehrlich gesagt auch schlicht langweilig. In den Migra-<br />
Communities in Wien gibt es durchaus große Probleme, die<br />
angesprochen gehören. Aber der springende Punkt hierbei<br />
ist: Es geht darum, wer sie anspricht und vor allem wie man<br />
sie anspricht.<br />
Bussi-Bussi mit Entscheidungsträgern in Politik und<br />
Medien hat biber nie interessiert. Was uns umso mehr<br />
interessiert hat, sind die Menschen hinter den Schlagzeilen.<br />
Was daraus entstand, ist ein riesiges Netzwerk an Personen,<br />
„an die man sonst nicht rankommt”, wie wir oft von anderen<br />
Journo-Kolleg:innen zu hören bekommen. Wir hatten<br />
nie die Ressourcen oder die finanziellen Möglichkeiten, die<br />
große Medien haben – was wir hatten, waren die Menschen<br />
dahinter. Jene Menschen, die uns dann von einer Reportage<br />
auf das nächste Thema gebracht haben: Ob ehemalige<br />
IS-Sympathisanten, Straßenkonflikte zwischen afghanischen<br />
und tschetschenischen Jugendlichen in Wien, Graue Wölfe,<br />
illegale Tuning-Autorennen am Kahlenberg und und und.<br />
Die Liste wurde mit jedem Jahr länger. Dabei stellten sich<br />
uns auch immer wieder moralische Fragen, vor allem da<br />
wir oft mit Jugendlichen zu tun hatten, die gerne einmal zu<br />
viel und zu ungefiltert erzählen – mehr als ihnen guttut: Wie<br />
macht man eine Geschichte über minderjährige Drogenabhängige<br />
im Stadtpark, ohne sie selbst in Gefahr zu bringen?<br />
Wie redet man mit Frauen aus Communities, bei denen die<br />
/ POLITIKA / 17
„Wir regeln das unter uns“ – 2021 beleuchteten wir<br />
den „Straßenkonflikt“ zwischen afghanischen und<br />
tschetschenischen Jugendlichen von innen. Dafür gab es den<br />
Östereichischen Jugendpreis 2022 des BKA.<br />
In „Das Leben mit den Sittenwächtern“ lieferten<br />
tschetschenische Frauen 2020 Einblicke in ihre<br />
streng verschlossene Community.<br />
Familien nicht erfahren dürfen, wer da mit biber gesprochen<br />
hat? Das Credo: Indem man mit ihnen auf Augenhöhe<br />
spricht. Was auch oft bedeutet hat, mit Leib und Seele über<br />
Wochen in Milieus einzutauchen, mit denen man sonst nicht<br />
in Berührung kommen würde.<br />
„DAS KANNST DU NICHT SCHREIBEN.”<br />
„Das kannst du nicht schreiben. Alles, nur nicht das. Misch<br />
dich da nicht ein“, wurde mir im Sommer 2020 von allen Seiten<br />
geraten. Damals war das Thema der tschetschenischen<br />
Sittenwächter, die ihre Landsfrauen verfolgt und bedroht<br />
hatten, wieder einmal in aller Munde. Die Politik hat sich<br />
darüber aufgeregt, die üblichen Twitter-Experten haben ihre<br />
Elfenbeinturm-Meinungen dazu abgegeben, die Schlagzeilen<br />
haben sich gehäuft. „Warum, zur Hölle, spricht aber niemand<br />
mit den Frauen selbst? Mit denen, um die es bei dieser<br />
ganzen Debatte eigentlich geht?”, die Frage ging mir damals<br />
nicht aus dem Kopf. Also hat biber es getan. Weil biber, wie<br />
so oft, den Zugang hatte. Mit den Frauen aus der Reportage<br />
habe ich bis heute Kontakt und sie liefern mir immer wieder<br />
Einblicke in eine Community, die sehr verschlossen lebt.<br />
Dabei sind es ja oft Themen, die von Politik und Boulevard<br />
nur so zerrissen werden – immer wieder sprach man in<br />
Österreich von untergetauchten Asylwerbern, die hier ohne<br />
Aufenthalt leben. Aber: Wer sind diese „U-Boote”, von denen<br />
die Politik so gerne redet? Was sind ihre Beweggründe und<br />
wie kann man in Österreich untergetaucht leben? Ich wollte<br />
es aus erster Hand erfahren. Etliche Streifzüge durch Wien<br />
bleiben ohne Erfolg. Ich telefonierte damals innerhalb von<br />
zwei Tagen über 200 Kontakte durch, bis ich endlich eine<br />
Spur hatte. Es ist Juni 20<strong>23</strong>, kurz vor Redaktionsschluss:<br />
„Du bist doch fix eine Zivilpolizistin!”, begrüßt mich mein<br />
neuer afghanischer Kontakt, der illegal in Österreich lebt, bei<br />
unserem Treffen am Praterstern. Als ich ihm meinen Presseausweis<br />
zeige, vertraut er mir immer noch nicht. „Nein, zeig<br />
dein Insta, erst dann glaub ich dir.” Gesagt, getan, Vertrauen<br />
gewonnen, weitere Kontakte bekommen, Reportage<br />
geschrieben. Und dann die nächste Frage.<br />
„WO KRIEGEN WIR HEUTE NOCH EINEN<br />
AFGHANISCHEN PASS HER?”<br />
Wie bebildert man Reportagen, auf denen die<br />
Protagonist:innen nicht erkennbar sein dürfen? Biber-<br />
Geschichten waren immer bildstark. Fade Stockfotos und<br />
Symbolbilder waren nie unser Ding. Unsere Fotochefin Zoe<br />
Opratko grübelte immer von Sekunde eins mit uns, wie wir<br />
die Bildebene am besten gestalten. Bei dieser Reportage war<br />
sofort klar: Ein afghanischer, syrischer und irakischer Pass<br />
müssen her. Aber wo treibt man so etwas auf, ohne offizielle<br />
Kontakte? Wir hielten die Requisiten innerhalb weniger<br />
© Calimaat, © Zoe Opratko<br />
18 / POLITIKA /
Stunden in der Hand – wie immer. Immer hatte jemand einen<br />
Cousin, dessen Schwager, dessen Ex-Freundin jemanden<br />
kennt und… ach, ihr wisst schon, biber halt. Übrigens: Wie<br />
oft wir für unsere Shootings den Inhalt unserer Kühl- und<br />
Kleiderschränke, unsere Wohnungen, Geschwister, Partner<br />
oder eigene Körperteile hergeborgt haben – darüber<br />
schreibt Delna Antia-Tatić noch ausführlicher auf Seite 28.<br />
Die Faust, die unser Cover „Jung, brutal, kriminell“ im April<br />
2019 zierte (s. Seite 16), gehörte einem der Protagonisten<br />
– beim Shooting haben wir die Ursprungs-Idee gemeinsam<br />
mit unseren jämmerlichen Fake-Schlagringen beiseite gelegt<br />
und einfach das, was wir vor Augen hatten, abgelichtet. Und<br />
das ging dann auf. Beim Ausräumen unserer Redaktionsräumlichkeiten<br />
stieß ich letztens auf unsere Requisiten-Lade:<br />
Wenn jemand einen positiven Schwangerschaftstest, eine<br />
zerschnittene Türkei-Flagge oder einen aufblasbaren Globus<br />
braucht, gebt gern Bescheid. Gebetsteppiche, Kruzifixe und<br />
Talare hätten wir da auch im Angebot.<br />
Wir konnten jedenfalls aus nichts viel machen. Auch das<br />
war biber. Unsere Sprachenvielfalt in der Redaktion nutzten<br />
wir zum Vorteil: Nach dem verheerenden Erdbeben in der<br />
Türkei und in Syrien im Februar 20<strong>23</strong> waren wir das erste<br />
Medium, das Kontakte vor Ort hatte – die Familien unserer<br />
Redakteur:innen. Wir haben gemeinsam auf Anrufe gewartet,<br />
getrauert, gehofft – und darüber berichtet. Im April sind<br />
wir dann nach Hatay geflogen, um die Trümmer des Hauses<br />
der Familie unserer Kolumnistin Özben Önal zu dokumentieren.<br />
Das waren Reportagen, die nicht nur trockene Berichterstattung<br />
von außen waren, sondern Bestandsaufnahmen<br />
von Ereignissen, von denen unsere Redakteur:innen selbst<br />
betroffen waren – was alles doppelt schwierig machte,<br />
gleichzeitig aber auch doppelt sinnvoll. Wir hatten keine<br />
Fixer, keine Fahrer, keine Dolmetscher. Das waren alles wir<br />
selbst, unsere Familien und Bekannte vor Ort – was journalistisch<br />
ein Vorteil war, war auf der persönlichen Ebene dann<br />
aber doch schwierig. Umso stärker war dann das Endergebnis.<br />
Was nach außen oft nicht sichtbar war: Wir waren eine<br />
Handvoll Menschen, die immer 110 % gegeben haben,<br />
wenn‘s sein musste, auch mal rund um die Uhr. Die Engelsgeduld<br />
unserer Verlagsleiterin Aida Durić bei etlichen Social-<br />
Media-Shitstorms, die aus unterschiedlichsten Communities<br />
daherkamen, gehört hier auch einmal erwähnt. Ich hätte an<br />
ihrer Stelle längst einfach das Internet gelöscht. Aber trotz<br />
aller Morddrohungen und Einschüchterungsversuche haben<br />
wir immer weiter gemacht. Wir haben oft improvisiert, uns<br />
jeden Tag etwas selbst beigebracht, manchmal sind wir an<br />
Recherchen gescheitert, viel öfter wurden andere Geschichten<br />
daraus – kein Strich war umsonst, wie ich jetzt weiß. Das<br />
Credo unseres ersten Chefredakteurs und letzten Herausgebers<br />
Simon Kravagna lautete übrigens immer: „Mach, wie<br />
du glaubst. Und wenns nicht geht, bin ich da.” Für diese<br />
Herangehensweise werde ich ihm immer dankbar sein – nur<br />
so hat biber-Journalismus funktioniert.<br />
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24/7
DIE <strong>BIBER</strong>’SCHEN ZUFÄLLE<br />
Oft waren es aber auch Zufälle, die nur in unserer Redaktion<br />
möglich waren, wie im Sommer 2021. Ich werde nie vergessen,<br />
als unser Politik-Ressortleiter Amar Rajković und ich<br />
auf der berühmten Grübel-Couch der Redaktion saßen und<br />
uns den Kopf darüber zerbrochen haben, wo wir denn jetzt<br />
Protagonisten für eine Geschichte über Afghanen in Wien,<br />
die mit den Taliban sympathisieren, herbekommen. Plötzlich<br />
platzt, mir nichts, dir nichts, ein junger Afghane in unsere<br />
Redaktion – die Hochsicherheitseingangstür stand nicht nur<br />
sprichwörtlich immer offen – und will uns ein Theaterstück<br />
eines afghanischen Filmemachers vorstellen. Die Szene war<br />
tatsächlich filmreif: Wir wechseln ein paar Blicke und Worte<br />
und es wird klar: Theaterstück uninteressant, seine Erzählungen<br />
umso spannender. Wir haben unseren Protagonisten.<br />
Unsere Geschichte ist uns wortwörtlich in den Schoß<br />
gefallen – oder in die Redaktion hereinspaziert. Manchmal<br />
spazierten die Geschichten auch auf Dächern:<br />
„Du, ich komme heute etwas später. Du wirst nicht glauben,<br />
was mir heute Nacht passiert ist. Meine Katze ist weggelaufen,<br />
wir haben sie die ganze Nacht gesucht. Aber weißt du,<br />
wem das Dach von meinem Haus gehört?” Diese kryptische<br />
Nachricht unserer Kulturressortleiterin Nada Chekh an<br />
mich brachte uns zu einer Geschichte über ultraorthodoxes<br />
Judentum in Wien. Einer, die man sonst noch nie so gelesen<br />
hat, wie wir als Feedback bekamen.<br />
Bis heute kann ich übrigens nicht glauben, dass diese<br />
klassisch bibereske Situation wirklich so passiert ist:<br />
November 2021, wir stehen frierend vor einem Krankenhaus<br />
in Bielsk-Podlaski, einer kleinen Ortschaft in Polen<br />
direkt an der Grenze zu Belarus, der damaligen Sperrzone,<br />
die Polen eingerichtet hatte. Wir, das sind unsere Kamerafrau<br />
Soza Jan und ich – und unzählige andere internationale<br />
Journalist:innen und Kamera-Teams: CNN, Reuters, die<br />
ganz Großen eben. Keiner von uns dürfte offiziell hier sein,<br />
aber wir nutzen das Chaos. Alle tummeln sich hier, um ein<br />
Interview mit dem Oberarzt des Spitals, Dr. Arsalan Azzadin,<br />
zu bekommen. Der gebürtige Kurde behandelt hier Flüchtlinge,<br />
die durch Push-Backs aus Belarus wieder nach Polen<br />
gebracht werden: unterkühlt, ausgehungert, und dann auch<br />
noch mitten in der Pandemie. „Ich habe wirklich keine Zeit<br />
für Interviews, Sie müssen verstehen, das geht einfach ni…<br />
Warte! Warte! Bist du Kurdin? Ich glaube, ich kenne deine<br />
Familie!”, fragt der Oberarzt unsere Kamerafrau Soza und<br />
pickt sie aus der Menge raus. Tatsächlich – sie tauschen<br />
einige Worte auf Kurmanji aus und es stellt sich heraus,<br />
dass der Oberarzt des Krankenhauses in einem kleinen<br />
polnischen Dorf die Familie unserer Kamerafrau in Syrien<br />
kennt. „Bei Gott, das ist Schicksal, das kann kein Zufall<br />
sein! Ihr kommt rein, aber nur ihr!” Wir bekommen als einziges<br />
Medium ein Interview mit ihm, das Gespräch wird ein<br />
wesentlicher und exklusiver Bestandteil unserer Reportage<br />
über die Sperrzone im polnisch-belarussischen Grenzgebiet,<br />
wo wir übrigens als einziges österreichisches Medium<br />
waren. Ach ja: Die Grenzsoldaten haben wir dort undercover<br />
über Tinder ausfindig gemacht, aber das ist eine ganz<br />
eigene Geschichte. Ressourcen hatten wir nie, dafür haben<br />
wir gelernt, kreativ über alle Tellerränder zu blicken.<br />
Diese besonderen Zufälle – oder eher Schicksale wie diese<br />
Szenen – passieren nur bei biber. Die Redaktion wird jetzt<br />
ihre Türen schließen, aber was bleibt, sind die Menschen, die<br />
daran mitgewirkt haben. Wir werden alles dafür tun, unsere<br />
Geschichten, unsere Berichterstattung und vor allem unsere<br />
Ideen mitzunehmen und sie in möglichst vielen Redaktionen<br />
des Landes zu streuen – ihr kommt sowieso nicht um uns<br />
herum, wir sind mittlerweile zu viele. ●<br />
Zur Autorin: Aleksandra Tulej war die letzte<br />
Chefredakteurin von biber.<br />
In „Asylstatus: Untergetaucht“ (20<strong>23</strong>) erzählten Asylwerber<br />
ohne Aufenthaltsstatus von ihrem Leben im Versteck.<br />
EIN CREDIT MIT SCHARF.<br />
Biber-Journalismus hat zu einem großen Teil nur funktioniert,<br />
weil unzählige Menschen mir und uns immer<br />
und immer wieder bedingungslos geholfen und vertraut<br />
haben. Menschen, die nie für biber gearbeitet haben,<br />
aber einen großen Part geleistet haben, damit die Reportagen<br />
entstehen konnten. Mein größter Dank gebührt<br />
Fabian Reicher, der mir bei so vielen Geschichten zur<br />
Seite gestanden ist und Rückendeckung geliefert hat.<br />
Genauso bedanke ich mich bei Rami Ali, Julian Pehm,<br />
Derai Al Nuaimi, Obada Karzoon, Even Assad, Ahmad<br />
Mitaev, Mansour, Cheda, Hawa, Amina, Omar, Ahmet und<br />
all den anderen, die nicht namentlich erwähnt werden<br />
wollen oder können – ihr wisst, wer ihr seid. Ohne euch<br />
wären die meisten dieser Geschichten niemals entstanden.<br />
Ihr werdet für mich im Herzen immer „mit scharf”<br />
bleiben.<br />
© Zoe Opratko<br />
20 / POLITIKA /
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WIR WAREN <strong>BIBER</strong><br />
Wie ein Klassentreffen nach Jahren:<br />
Amra Durić, Alexandra Stanić,<br />
Naz Küçüktekin und Marina Delcheva<br />
(v.l.n.r.)<br />
22 / POLITIKA /
Das Ende von biber ist auch das Ende der biber-Akademie. Sie war<br />
Kaderschmiede für unzählige Journalist:innen mit Migrationshintergrund<br />
und das erste journalistische Zuhause für jene, die weder Deutsch noch<br />
Qualtinger mit der Muttermilch aufgesogen haben.<br />
Von Marina Delcheva, Fotos: Zoe Opratko<br />
Ich will eigentlich nur schreiben. Ich weiß,<br />
es gibt nicht so viele von meiner Sorte“,<br />
sagte sie und zeigte auf ihr Kopftuch, „aber<br />
ich glaube, ich kann das!“ Urheberin dieser<br />
Aussage ist Menerva Hammad und sie sagte<br />
das beim Vorstellungsgespräch für die biber-<br />
Akademie 2014. Heute schreibt sie immer noch<br />
und das sehr erfolgreich, sie ist Buchautorin.<br />
Jahrzehntelang bekamen heimische Chefredakteure<br />
– es waren jahrzehntelang fast nur Männer<br />
– Sätze wie diese so gut wie nie zu hören. In<br />
den bunten Räumen der biber-Redaktion und<br />
bei den unzähligen Vorstellungsgesprächen für<br />
die biber-Akademie fielen Sätze wie diese aber<br />
ganz oft.<br />
„Am liebsten habe ich die Geschichte über<br />
den bosnischen Müllbaron geschrieben. Er<br />
hat sich in der bosnischen Stadt Prijedor ein<br />
Müllimperium geschaffen und zusammen mit<br />
korrupten Beamten ein lukratives Business<br />
aufgebaut“, erzählt Alexandra Stanić. Und es<br />
kam noch sehr viel mehr: Missbrauchsvorwürfe<br />
an der Grazer Oper, die heimlichen Symbole der<br />
serbischen Nationalisten, eine transfeindliche<br />
Montessori-Schule. Stanić ist heute erfolgreiche<br />
Autorin, Fotografin und Influencerin. Begonnen<br />
hat aber alles in der biber-Akademie vor über<br />
zehn Jahren. Seit 2011 hat die Akademie gut<br />
150 jungen Menschen – fast immer<br />
mit und selten ohne Migrationshintergrund<br />
– journalistisch ausgebildet,<br />
ihnen den Raum und die Zeit<br />
gegeben, ihre eigenen Geschichten<br />
zu erzählen und ihnen Praktika in<br />
den großen Medienhäusern des<br />
Landes vermittelt. Die Mission:<br />
Mehr Menschen mit Migrationshintergrund<br />
in die österreichische<br />
„<br />
Ich kenne fast keine<br />
Journalist:innen<br />
mit Migrationshintergrund<br />
in Österreich,<br />
die nicht bei<br />
biber waren.<br />
“<br />
Biber war für die vier Journalistinnen das<br />
Sprungbrett in die Medienbranche.<br />
Medienlandschaft zu bringen. Doch es ging auch<br />
über die Landesgrenzen hinaus: Seit 2021 hatte<br />
biber eine Kooperation mit jetzt.de, dem Onlinemagazin<br />
der Süddeutschen Zeitung in München<br />
– wo einige talentierte biber-Stipendiat*innen ihr<br />
Folgepraktikum absolviert haben. Und das mit<br />
Erfolg.<br />
„Ich kenne fast keine Journalist:innen mit<br />
Migrationshintergrund in Österreich, die nicht<br />
bei biber waren“, sagt Amra Durić. Bis vor<br />
kurzem war sie stellvertretende Online-Chefredakteurin<br />
von „Heute“ – immerhin eine der<br />
größten Tageszeitungen Österreichs. Jetzt ist<br />
sie stellvertretende Leiterin des Newsrooms der<br />
/ POLITIKA / <strong>23</strong>
Parlamentsdirektion. So richtig begonnen hat<br />
aber alles hier, mit einer Geschichte, die so noch<br />
niemand erzählt hatte: „Geld gegen Trauschein<br />
und den wertvollen österreichischen Pass.“<br />
Die biber-Akademie wurde über die Jahre<br />
die erste Anlaufstelle für viele junge Menschen<br />
mit Wurzeln auf der ganzen Welt. Die Chance<br />
für Kinder mit Migrationshintergrund, in Österreich<br />
irgendwann Journalist:innen zu werden,<br />
stand mehr als schlecht. Dieses Magazin hat<br />
die Statistik ganz maßgeblich verbessert. Denn<br />
ohne biber wären viele wohl nie im Journalismus<br />
gelandet, auch wir nicht. „Ich habe lange<br />
überlegt, ob ich Journalistin werden will, ob ich<br />
mir das zutraue, ob ich das Zeug dazu habe.<br />
Dank biber weiß ich: Ich kann das.“, sagt Naz<br />
Kücüktekin. Sie hat 2020 die biber-Akademie<br />
absolviert. Danach war sie beim „Kurier“ für das<br />
Projekt „Mehr Platz“ zuständig, wo sie weiterhin<br />
aus den migrantischen Communitys berichtete.<br />
Heute ist sie freie Journalistin und schreibt für<br />
zahlreiche österreichische Medien. Biber war<br />
das Zuhause der coolen Außenseiter und die<br />
biber-Akademie war eine Drehtür in verschiedene<br />
Welten – für die alteingesessenen<br />
Österreicher:innen in<br />
unsere, und für uns in ihre. Wir<br />
haben die Nächte bei geheimen<br />
Gürtel-Rennen verbracht,<br />
uns in Islam-Kindergärten<br />
geschlichen, waren undercover<br />
betteln und haben radikalen<br />
IS-Kämpfern nachgespürt. Wir<br />
„<br />
Ich habe lange überlegt,<br />
ob ich Journalistin werden<br />
will, ob ich mir das zutraue.<br />
Dank biber weiß ich: Ich<br />
kann das.<br />
“<br />
„Biber ist wie die erste große Beziehung“,<br />
so Alexandra Stanić.<br />
haben vom Super-Gau mit der Balkanfrau erzählt<br />
und von den absurden Sexmythen super-strenger<br />
muslimischer Eltern.<br />
Melisa Erkurt (die Chefredaktion), Ali Cem<br />
Deniz (FM4), Delna Antia-Tatić (Süddeutsche<br />
Zeitung), Jelena Pantić-Panić (Gründerin von<br />
medien.geil), Vanessa Spanbauer (Historikerin<br />
und Journalistin), Aleksandra Tulej (letzte Chefredakteurin<br />
von biber), Nada Chekh (Autorin)<br />
– all diese Journalist:innen haben ihre Reise in<br />
der biber-Akademie begonnen. Und auch ein<br />
paar waschechte Österreicher:innen wie Marian<br />
Smetana (Salzburger Nachrichten) und Clemens<br />
Neuhold (profil), der ebenfalls Leiter der biber-<br />
Akademie war, sind im Laufe der Jahre durch<br />
die bunte biber-Schule gegangen. Früher oder<br />
später sind alle weitergezogen. „Biber ist wie<br />
die erste große Beziehung“, sagt Alexandra<br />
Stanić, die neun Jahre bei biber war und später<br />
ebenfalls die biber-Akademie leitete. „Irgendwann<br />
geht die Beziehung zu Ende und du musst<br />
weiterziehen und erwachsen werden.“ Dass<br />
die nächste Generation junger migrantischer<br />
Journalist:innen ohne biber erwachsen werden<br />
muss, ist ein großer Verlust für alle Medien. ●<br />
Blättern in den alten Ausgaben: Nostalgie pur.<br />
Zur Autorin: Marina Delcheva war<br />
Akademie-Leiterin bei biber und leitet<br />
jetzt das Wirtschaftsressort bei profil.<br />
24 / POLITIKA /
der AUSSENWIRTSCHAFT-Podcast<br />
mit Eva Weissenberger<br />
STAFFEL 1 - ASIEN<br />
„Indien kann reich<br />
werden, bevor es<br />
alt wird...“<br />
überall, wo es<br />
Podcasts gibt
DIESER TEXT IST AM 19.10<br />
AUF FM4 ERSCHIENEN.<br />
FM4<br />
WIE DAS KLEINE <strong>BIBER</strong> MAGAZIN DIE<br />
ÖSTERREICHISCHEN MEDIEN GEPRÄGT HAT.<br />
Das Magazin hat nicht nur migrantischen Jugendlichen interessante Geschichten<br />
geboten, sondern auch Journalist:innen mit Migrationshintergrund den Schritt in<br />
die Medien ermöglicht. Ich lernte beim biber wie man schreibt und wie man Ikea-<br />
Küchen aufbaut.<br />
Von Ali Cem Deniz<br />
Das pinke Magazin, das in Wien an vielen Ecken zu<br />
finden war, war vielleicht eines der ersten Dinge,<br />
die mir aufgefallen sind, als ich 2008 zum Studieren<br />
nach Wien kam. Das schreibe ich jetzt nicht<br />
nur, weil mich die Meldung über das „biber“-Aus<br />
sentimental gemacht hat.<br />
In Punkto „Vielfalt und Medien“ kannte ich<br />
bis dahin nichts außer „Heimat, fremde Heimat“.<br />
Ich kann mich gut daran erinnern, wie meine<br />
Eltern und ich uns einfach freuten, wenn am Ende<br />
eines Fernsehbeitrags ein türkischer Name stand.<br />
Momente und Emotionen, die wahrscheinlich<br />
schwer nachvollziehbar sind für Menschen, die nie<br />
migriert sind oder nicht Teil einer „Minderheit“ sind.<br />
Ich erkannte im Namen „biber“ instinktiv nicht<br />
das Nagetier, sondern das türkische bzw. bosnisch/kroatisch/serbische<br />
Wort für Paprika. Als<br />
ich reinblätterte fiel mir auf, dass so gut wie alle<br />
Autor:innen „ausländische“ Namen hatten. Namen,<br />
die man eben sonst medial kaum finden konnte.<br />
JOURNALISMUS-AUSBILDUNG IN DER<br />
WÄSCHEREI<br />
In den drauffolgenden Jahren habe ich immer<br />
wieder biber gelesen. Zum Beispiel gerne die<br />
Kolumnen eines gewissen Todors, der später auch<br />
bei FM4 mein Kollege wurde und nur einer von den<br />
vielen talentierten Autor:innen ist, die für dieses<br />
Magazin gearbeitet haben. Irgendwann 2011 stieß<br />
ich dabei auf eine Anzeige: die biber-Akademie,<br />
eine zweimonatige Journalismus-Ausbildung für<br />
junge Menschen mit Migrationshintergrund. Eine<br />
Studienkollegin ermutigte mich, mich zu bewerben.<br />
Ich weiß nicht mehr was ich damals in mein<br />
Bewerbungsschreiben geschrieben habe, aber<br />
schon bald war ich in einer ehemaligen Wäscherei<br />
im 15. Bezirk und baute in einem spartanisch<br />
ausgestatteten Büro eine Ikea-Küche auf. Die<br />
biber-Akademiker:innen bauten ihr Büro selbst auf.<br />
Auch FM4 berichtete damals über die Eröffnung<br />
der Akademie.<br />
© Christoph Liebentritt<br />
26 / MIT SCHARF /
ZWISCHEN CAMPUS UND LUGNER-CITY<br />
Die biber-Akademie war so wie auch das Magazin<br />
eine Mischung aus wirklich gutem und direktem<br />
Journalismus und ganz vielen Do-It-Yourself<br />
Elementen. In den Sitzungen gab es grundsätzlich<br />
keine Tabus. Noch am ehesten vor zu „seriösen“<br />
oder „akademischen“ Texten. Man suchte einen<br />
lockeren und ungezwungenen Zugang zu Migration<br />
im weitesten Sinne. Ein Thema, das in den meisten<br />
Medien noch heute vorrangig als Problem behandelt<br />
wird.<br />
biber sollte gleichermaßen für Studis am<br />
Campus und für Jugendliche in der Lugner-City<br />
interessant sein.<br />
Und so lernten wir biber-Akademiker:innen<br />
das Schreiben. Die akademischen, verschachtelten<br />
Sätze, die viele biber-Akademiker:innen mit<br />
sich brachten, wurden abgelegt. Thomas Schmidt,<br />
der davor für die „Zeit im Bild“ gearbeitet hatte,<br />
und mitterlweile Journalismus an der University<br />
of California, San Diego, unterrichtet, brachte uns<br />
die Grundlagen bei. Kurzmeldungen, Interviews,<br />
Recherche und Reportagen. Schon bald schrieb<br />
ich über türkische Serien, die schärfste Wurst von<br />
Wien und interviewte einen damals up-and-coming<br />
Rapper namens „RAF 3.0.“, den man heutzutage<br />
als Raf Camora kennt.<br />
„<strong>BIBER</strong>“ WIRD FEHLEN<br />
Ein Versprechen der biber-Akademie war es, den<br />
Absolvent:innen ein Praktikum in größeren Medien<br />
zu vermitteln. So kam ich auch zu diesem Radiosender,<br />
wo ich Anfang 20<strong>12</strong> meine erste Geschichte<br />
schrieb. Über die Jahre habe ich dann immer<br />
mehr für FM4 gemacht und immer weniger für<br />
biber. Das letzte Mal schrieb ich 2019 für biber –<br />
über mein Leben als austro-türkischer Papa, der<br />
täglich mit Babytrage durch Meidling spazierte.<br />
Mir ist kein Medium bekannt, das solche<br />
Geschichten anbietet, wie es biber in den letzten<br />
16 Jahren getan hat. Egal ob es um Balkan-Musik,<br />
türkische Serien oder Impostor Snydrom bei jungen<br />
Migrant:innen geht. Das Aus von biber wird eine<br />
Lücke in der Medienlandschaft hinterlassen.<br />
Zum Glück hat aber biber eben dazu beigetragen,<br />
dass einige Journalist:innen mit Migrationshintergrund<br />
den Einzug in die österreichische<br />
Medienlandschaft geschafft haben. Viele, die<br />
ihre Karriere beim biber begonnen haben, hätten<br />
vermutlich weniger Chancen gehabt, wenn sie sich<br />
direkt bei den großen Medien beworben hätten.<br />
Zum Autor: Ex-biber-Akademiker Ali Cem Deniz<br />
ist heute bei FM4 tätig.<br />
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LIFESTYLE MIT<br />
HINTERGRUND<br />
„Hijabi Style“ – Geht<br />
das? Darf das? Biber<br />
darf! – sagten wir<br />
schon 20<strong>12</strong>.<br />
Ob Hijabi-Style, koschere Perücken oder ein<br />
Laufsteg in Favoriten zur EU-Wahl. Ein Rückblick<br />
von Delna Antia-Tatić auf Lifestyle bei Biber und<br />
wie Bilder für Empowerment sorgen.<br />
Von Delna Antia-Tatić<br />
© Marko Mestrović<br />
28 / RAMBAZAMBA /
© Julie Brass<br />
Manchmal gibt es eine<br />
Geschichte abseits der<br />
Hauptgeschichte. Bei biber<br />
kam das öfter vor. Meine<br />
liebste Nebengeschichte handelt von<br />
Klopapier. Ich will sie erzählen, jetzt,<br />
wo biber das letzte Mal Geschichten<br />
schreibt. Es war das Jahr 2014, eine<br />
EU-Wahl stand an und biber hatte sich<br />
in den Kopf gesetzt, junge Menschen zur<br />
Wahl zu mobilisieren. Und weil wir uns<br />
Brüssel damals so „männlich, sakkograu<br />
und über 50“ vorstellten, dachten wir<br />
uns eine Fashionshow aus: „Get dressed<br />
for Europe!“ Wir ließen acht junge Modedesigner<br />
aus ganz Europa einfliegen, von<br />
Helsinki bis Ljubljana. Wir baten sie eine<br />
extra Europa-Kollektion zu entwerfen und<br />
buchten Models, die die Kreationen auf<br />
einem Laufsteg in Favoriten präsentierten.<br />
Wir luden ganz Wien zur After-Party<br />
in die kultige Ankerbrotfabrik und der<br />
ORF berichtete in der ZiB-Nacht. Es war<br />
ein toller Erfolg. Auf der Bühne – und<br />
ja: Behind the Scenes. Denn eine Party<br />
brilliert oder scheitert an einem Ort, so<br />
hatte uns der Technikmeister damals<br />
eingebläut: dem Klo. Schön herausgeputzt<br />
vorne, bestens abgeputzt hinten<br />
– so das Eventgeheimnis. Engagierte<br />
Migrant:innen wie wir sind, wollten wir<br />
als Gastgeber natürlich keinesfalls einen<br />
schlechten Eindruck hinterlassen und<br />
tischten üppig auf. So hat Mama uns<br />
das schließlich beigebracht, wenn Gäste<br />
kommen – noch dazu aus der ganzen<br />
Welt. Biber bestellte Klopapier und<br />
Papierhandtücher und zwar in solchen<br />
Mengen, dass selbst ein akuter Noro-<br />
Virus uns nicht in Bedrängnis gebracht<br />
hätte. Wir alle erinnern uns zu gern an<br />
die Paletten-Türme voller Papierrollen,<br />
die sich in der Halle stapelten. Und wie<br />
wir am Morgen danach mit drei vollbepackten<br />
PKWs, beladen mit Klopapierrollen<br />
von Kofferraum bis unters Dach,<br />
in die Redaktion fuhren. Dort zehrten wir<br />
noch lange davon, Jahre um genau zu<br />
sein. Auf dem Klo und in der Erinnerung.<br />
Es waren tolle Jahre bei biber, wir<br />
haben die Welt bewegt. Damals war<br />
ich stv. Chefredakteurin und für das<br />
Lifestyle-Ressort verantwortlich. Ich habe<br />
Unter dem Motto „Get dressed for Europe“ veranstaltete biber eine ganze<br />
Fashion Show mit Afterparty in Wien-Favoriten.<br />
dieses Ressort von der ersten Minute<br />
an geliebt. Als Philosophiestudentin und<br />
Quereinsteigerin aus der Organisationsberatung<br />
kommend, lag das Thema zwar<br />
nicht in meinem offiziellen Kompetenzbereich.<br />
Aber biber ist wohl der letzte<br />
Ort, wo ein Zeugnis verlangt wird, nur<br />
um irgendetwas leiten zu dürfen. Wenn<br />
ich in diesen Tagen durch die Lifestyle-<br />
Zeiten blättere, fallen mir solche Projekte<br />
wie die EU-Fashionshow ein. Denn auch<br />
Lifestyle besaß bei biber, oft einen „Hintergrund“.<br />
„FÜR ANDERE MAGAZINE<br />
WÄREN DIE BILDER ZU<br />
EGDY“<br />
Prominentes Beispiel war die September<br />
Ausgabe 20<strong>12</strong>: „Hijabi Style: High<br />
Heels, Slim-Jeans & Kopftuch“ hieß<br />
jene Fashionstrecke, die ein Tabu brach.<br />
Kopftuch und Fashion – geht das? Und<br />
vor allem, darf das? Dazu muss man<br />
sagen, dass diese Strecke vor jener Zeit<br />
erschien, als große Modehäuser wie Dolce<br />
& Gabbana begannen, eigene Hijab-<br />
Kollektionen für den arabischen Markt zu<br />
/ RAMBAZAMBA / 29
uns die Strecke damals erschien, heute,<br />
10 Jahre später, könnten wir sie so nicht<br />
mehr fotografieren. Da sind Marko und<br />
ich uns einig. Denn das Model war nicht<br />
muslimisch. Die Stylistin allerdings war<br />
es: Melek Birkent, eine muslimische<br />
Fashion-Bloggerin und Lehrerin aus<br />
Wien. Im biber-Interview erzählte sie:<br />
Das Kopftuch kann „Mode“ sein. Heute<br />
würde dieses Statement aus der Zeit<br />
gefallen wirken.<br />
Marko und ich hängen am Handy wie<br />
in alten Zeiten und schwelgen in Retrospektiven.<br />
Und ich frage den langjährigen<br />
Fotochef, welche Bilder für ihn in<br />
seinen sieben Jahren wichtig waren. Das<br />
„Burkini“-Cover (s. Seite 44) habe ihn<br />
2014 in der österreichischen Fotografen-<br />
Branche auf den Radar gesetzt. Und das<br />
„Danke Putin“-Cover schließlich internationalen<br />
Ruhm beschert. Jenes Cover,<br />
das drei ukrainische Kriegsverletzte mit<br />
Beinprothesen in Österreich zu Zeiten der<br />
ersten Krim-Krise zeigt (s. Seite 64). Dieses<br />
Bild machte ihn 2015 zum Superstar<br />
auf Instagram. „Damals war Insta noch<br />
ganz frisch und die Community klein. Es<br />
gab diesen #weekly-Hashtag, mein Foto<br />
wurde markiert und über Nacht gewann<br />
ich 35.000 Follower auf einmal dazu.“<br />
Seine heutige Social-Media-Reichweite<br />
habe er diesem Cover zu verdanken,<br />
sagt Marko mir am Telefon, der mittlerweile<br />
in der Fotografen-Champions-<br />
League mitspielt, eine Agentur in Berlin<br />
hat und für internationale Kampagnen<br />
gebucht wird. Daran sieht man, dass<br />
biber nicht nur für Schreiberlinge ein<br />
Sprungbrett sein konnte. Die Freiheit,<br />
sich ausprobieren zu können, bot das<br />
Magazin stets auch auf Bildebene. „Biber<br />
hat eine völlig andere Herangehensweise<br />
an Cover und war offen für Provokatives“,<br />
erzählt Marko. „Bei anderen<br />
Magazinen hätte ich manche Bilder gar<br />
nicht erst geschossen, weil ich wusste,<br />
es wäre ihnen zu edgy.“<br />
Fremde Haare und Tabubruch: 2013 portraitierten wir Jüdinnen mit ihren Perücken –<br />
großartig fotografiert vom damaligen Fotochef Marko Mestrović.<br />
entwerfen. Inzwischen sind muslimische<br />
Models, die Kopftuch tragen und etwa<br />
für Sport-Kampagnen wie Nike modeln,<br />
sichtbar(er). Damals, 20<strong>12</strong>, war das neu<br />
und provozierte – innerhalb und außerhalb<br />
der Community. Fotografiert hat die<br />
Strecke Marko Mestrović. Es war sein<br />
erstes Cover für biber. Heute erinnert<br />
sich Marko: „Biber war das erste Magazin<br />
in Österreich, das eine Frau mit Kopftuch<br />
auf sein Fashion-Cover setze. Das<br />
gab es vorher so nicht.“ Vor allem nicht<br />
selbstbestimmt. Doch so bahnbrechend<br />
HIJABI-STYLE UND<br />
SEXYNESS MIT<br />
AUGENZWINKERN<br />
Das biber „edgy“ sein will, macht die<br />
erste Ausgabe am Cover klar. Der Community-Journalismus<br />
„mit scharf“ findet<br />
in Bild und Wort statt. Ivana Cucujkić<br />
hat das federführend geprägt. Gerade<br />
in der ersten Zeit, wo das Magazin vor<br />
allem die Balkan-Community anspricht,<br />
verstand sie es, „Sexyness mit Augenzwinkern“<br />
so zu verbinden, dass das<br />
Klischee der Jugo-Migrantin von innen<br />
heraus sowohl konterkariert wurde, als<br />
auch eine Selbstbehauptung erfuhr. Die<br />
Fotoebene wird in vielen Medien stiefmütterlich<br />
behandelt, bei biber besitzt<br />
sie stets Priorität. Die Gleichwertigkeit<br />
von Text und Foto spiegelt sich auch in<br />
einer meiner liebsten Lifestyle-Reportagen<br />
wider. „Meine fremden Haare“ war<br />
eine Geschichte über streng-orthodoxe<br />
© Marko Mestrović<br />
30 / RAMBAZAMBA /
Alle Infos zu den LUKOIL Lubricants Produkten „Made in Austria“<br />
gibt es online unter www.lukoil-lubricants.eu
Ungesunder Lifestyle? Dass der auch „grün“ sein kann, zeigte die Geschichte<br />
„Grüner Druck – Shaming und Blaming im Land der Guten“ schon vor zwei<br />
Jahren - Biber wie immer seiner Zeit voraus. Und Fotochefin Zoe Opratko<br />
hat sich bei ihrer Illustrationskunst mehr als übertroffen!<br />
Jüdinnen und ihre Perücken. Ich hatte<br />
im Frühsommer 2013 eine der beiden<br />
Protagonistinnen in der Umkleide eines<br />
Fitnessstudios kennengelernt. Die junge<br />
Frau erzählte mir damals beim Föhnen,<br />
warum Jüdinnen ihre sogenannten<br />
„Scheitel“ tragen und welche Arten es<br />
gibt. So entstand die Geschichte. Marko<br />
fotografierte eine der Frauen dafür im<br />
Studio. Die Cover-Strecke sorgte für viel<br />
Aufsehen: „Kosher-Style: Meine fremden<br />
Haare.“ Noch heute denke ich mit Stolz<br />
an diese Gemeinschaftsarbeit zurück.<br />
Auf der Bildebene vermag kaum<br />
ein österreichisches Magazin biber das<br />
Wasser zu reichen. Das sehe ich damals<br />
wie heute so. Was nicht bedeutet, dass<br />
die Bilder nicht kontrovers waren. „Mit<br />
scharf“ war Voraussetzung – aber was<br />
genau heißt das? Darüber war sich auch<br />
die Redaktion längst nicht immer einig.<br />
Im Gegenteil. Es gab Generationsbrüche.<br />
Vieles würden wir sicher heute so nicht<br />
mehr shooten. Mit Zoe Opratko kam ein<br />
neuer Stil ins Heft. Die Bildchefin setzt<br />
seit vier Jahren verstärkt auf Illustrationen<br />
und Collagen. „Damit wollte ich<br />
mehr Diversität in die Bildsprache bringen“,<br />
erzählt sie mir. „Und mich freut es,<br />
dass es aufgegangen ist. Denn anfangs<br />
war die Redaktion durchaus skeptisch:<br />
Kann eine Illustration genauso „scharf“<br />
sein wie ein Foto?“ Sie kann. Das wissen<br />
wir inzwischen. Zoe erzählt auch, wie<br />
wichtig ihr die Selbstbestimmung der<br />
Autorinnen und Protagonistinnen in<br />
ihrer Fotoarbeit ist. „Gerade bei der<br />
Empowerment-Reihe! Ich habe oft 20<br />
Minuten mit den Autorinnen telefoniert.<br />
Immerhin ging es um ihre persönliche<br />
Geschichte und da war es mir wichtig,<br />
zuzuhören und zu verstehen, wie sie sich<br />
die Bebilderung ihrer Story vorstellen.“<br />
Im Empowerment-Special erzählen junge<br />
Frauen seit drei Jahren regelmäßig,<br />
wie sie in ihrem Leben für Selbstbestimmung<br />
gekämpft haben. „Manche<br />
haben mir dann gesagt: Jetzt fühle ich<br />
mich doppelt selbstbestimmt.“ Wenn<br />
Migrant:innen ihr Bild in der Gesellschaft<br />
selbst bestimmen, gerade die Frauen,<br />
gehen Text und Bild Hand in Hand.<br />
So divers und kontrovers die Lifestyle-Seiten<br />
der biber-Jahre waren, eins<br />
war bei jeder Fotostrecke konstant – und<br />
zwar egal für welches Ressort. Der volle<br />
Körpereinsatz der gesamten Redaktion.<br />
Weil biber nie Geld hatte, um Models zu<br />
buchen, gehörte es zur ersten biber-<br />
Journalist*innen-Pflicht stets und überall<br />
als Model herzuhalten. Ob mit Gesicht<br />
und Haaren, ob nur Bauch oder Hände,<br />
ob von hinten oder von oben, ganz<br />
oder halb, es gab immer Bedarf. Und<br />
ich bedanke mich an dieser Stelle bei<br />
allen Schwestern, Müttern, Vätern und<br />
anderen Verwandten, als auch bei allen<br />
Freunden, Ex-Freundinnen und Entfernt-<br />
Bekannten für ihren Körpereinsatz.<br />
Und eine kurze Nebengeschichte zum<br />
Schluss: Bei einem der letzten Shootings<br />
von Zoe stellten zwei Models fest: „Hey,<br />
sind wir nicht verwandt?“ So ist biber.<br />
Und so schön war es. ●<br />
Zur Autorin: Delna Antia-Tatić war<br />
Chefredakteurin bei biber und schreibt<br />
jetzt für die Süddeutsche Zeitung.<br />
© Zoe Opratko<br />
32 / RAMBAZAMBA /
© Niko Havranek<br />
EMPOWERMENT ZUM HÖREN:<br />
„Darfst du ein Tampon benützen?“ – „Sex vor der Ehe<br />
haben?“ – „Einen katholischen Österreicher heiraten?“,<br />
„vor der Ehe von Daheim ausziehen?“<br />
Delna Antia-Tatić hat im biber Empowerment –<br />
Podcast „Du bestimmst. Punkt.“ regelmäßig mit<br />
jungen Frauen aus den migrantischen Communitys<br />
über Selbstbestimmung gesprochen. Als Rolemodels<br />
in der Mission Empowerment schilderten die Frauen<br />
ungewohnt intim, wie sie ihre „Revolution“ gewagt<br />
haben und welche Kämpfe sie für die Freiheit als Frau<br />
durchstehen mussten. Der Podcast wurde in Kooperation<br />
mit dem Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF)<br />
realisiert und von OH WOW produziert.<br />
Der Podcast stürmte sofort die österreichischen<br />
Podcast-Charts, schaffte es unter die Top 30 und<br />
sorgte für breite Medienresonanz. Für den Podcast<br />
bekam Delna Antia-Tatić 2022 den Leopold-Ungar-<br />
Anerkennungspreis und eine Nominierung für die<br />
Silberne Medienlöwin: So einen Podcast gab es nur<br />
einmal in Österreich.<br />
© PicMyPlace<br />
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WOHNEN OHNE KOMPROMISSE<br />
Das BUWOG-Projekt DECK ZEHN kann neben seiner urbanen<br />
Lage auch mit vielfältigen Angeboten für Entspannung, Ruhe und<br />
Ausgleich zum städtischen Treiben überzeugen.<br />
In unmittelbarer Nähe zum Wiener Hauptbahnhof<br />
stellt die BUWOG im November 20<strong>23</strong><br />
ein einzigartiges Projekt fertig, das modernes<br />
und komfortables Wohnen in den Mittelpunkt<br />
stellt. In dem von BKK-3-Architekten geplanten<br />
Wohnhaus in der Laxenburger Straße gibt<br />
es vom kleinen 1-Zimmer-Apartment bis zur<br />
großen Maisonette-Wohnung unterschiedliche<br />
Wohnungstypen für vielfältige Bedürfnisse.<br />
Zusätzlich offeriert das Projekt viel<br />
Platz für Gemeinschaft: Neben einem für alle<br />
Bewohner:innen zugänglichen Workspace,<br />
steht am Dach ein Gemeinschaftsraum mit<br />
einem charmant begrünten und abwechslungsreich<br />
nutzbaren Dachgarten zur Verfügung.<br />
Zusätzlich gibt es ein Sonnendeck,<br />
Bewegungsflächen auf dem Dach und eine<br />
hauseigene Sauna.<br />
Der Vertrieb für die 229 Eigentumswohnungen<br />
ist bereits in vollem Gange – Interessierte<br />
finden weitere Informationen unter<br />
deckzehn.buwog.at
34 / RAMBAZAMBA /
DER TEXT IST IN DER DEZEMBER-<br />
AUSGABE 2010 ERSCHIENEN.<br />
Fun Fact: Dieser<br />
Artikel ist bis heute der<br />
meistgeklickte Beitrag<br />
auf dasbiber.at.<br />
Dem Koran nach hat Sexualität einen<br />
großen Stellenwert im Islam. Ran darf<br />
man aber erst, wenn man verheiratet<br />
ist. Junge Muslime erzählen über ihre<br />
Gratwanderung zwischen frommer<br />
Tradition und dem Bedürfnis nach Lust.<br />
Von Anna Thalhammer und Linda Say, Collage: Zoe Opratko<br />
Sex und Islam – diese zwei Wörter in einem Satz zu<br />
verwenden ist schon hochexplosives Material und<br />
die Recherche zu diesem Artikel spiegelt das Dilemma<br />
wider, in dem sich junge Muslime befinden. „Das<br />
könnt ihr nicht drucken, ihr werdet alle Leser verlieren, denn<br />
darüber spricht man nicht“, wurde uns gesagt. Jemanden zum<br />
Reden zu bringen war nicht so einfach, denn die Angst erkannt<br />
zu werden, war groß. Dennoch dauerte jedes einzelne Interview<br />
mehr als eine Stunde und von vielen hörten wir „Ich bin<br />
so froh endlich einmal darüber reden zu können.“ Die Namen<br />
der Protagonisten wurden von der Redaktion geändert.<br />
MEHR ALS NUR SEX<br />
„Über Sex in dem Sinn habe ich mit meinen Eltern nie gesprochen.<br />
Nur, dass das Jungfernhäutchen bis zur Hochzeit nicht<br />
kaputt werden darf, das wurde mir eingebläut.“ Dunja ist 26<br />
Jahre alt, kommt aus dem Iran und ist in einer traditionellen<br />
muslimischen Familie groß geworden. Ihre Mutter, eine von vielen,<br />
„die es auch so erlebt hatten“, hat ihre Tochter nach eben<br />
diesen traditionellen Wertvorstellungen erzogen, die aber nicht<br />
unbedingt in Dunjas Welt passen.<br />
So lebt sie wie viele ihrer muslimischen Freunde in einer<br />
Doppelwelt zwischen überholten Moralvorstellungen und Löffelchenstellung.<br />
„Es geht nicht nur darum, dass ich keinen Sex<br />
haben darf. Den hatte ich schon mit 16. Das Problem ist viel<br />
tiefgreifender und dringt in etliche Bereiche des Lebens ein:<br />
ich durfte nie reiten, o.b. hab’ ich immer heimlich verwendet<br />
und die unbenutzten Binden in den Mistkübel geworfen. Reisen<br />
konnte ich nie. Jetzt lebe ich mit meinem Freund zusammen<br />
und hab ein Alibi-Zimmer in einem Mädchenstudentenheim. Ich<br />
habe mich nicht an ein sexloses Leben vor der Ehe gehalten<br />
und mir ist das bisschen Haut wurscht. Die Ehre einer Frau liegt<br />
nicht zwischen ihren Beinen. Aber vielen meiner Freundinnen<br />
ist das ganz wichtig. Sie haben dann eben Analsex, damit<br />
nichts passiert. Ich und viele andere führen ein ständiges Doppelleben,<br />
das aus einem Konstrukt von Lügen besteht.“<br />
Gerne würde Dunja mit ihren Eltern ihre Gefühle teilen und<br />
ihnen auch ihren Freund vorstellen, der das Versteckspiel seit<br />
Jahren mitspielt.<br />
„Aber für sie würde eine Welt einstürzen. Ich möchte das<br />
gute Verhältnis nicht gefährden“, sagt die schöne Perserin und<br />
zuckt ratlos mit den Schultern<br />
KEINE REINE FRAUENSACHE<br />
Wir treffen ein junges muslimisches Pärchen im Caféhaus, das<br />
während des Gesprächs nicht die Finger voneinander lassen<br />
/ RAMBAZAMBA / 35
„ICH UND VIELE ANDERE<br />
FÜHREN EIN STÄNDIGES<br />
DOPPELLEBEN, DAS AUS<br />
EINEM KONSTRUKT VON<br />
LÜGEN BESTEHT.“<br />
kann. Zu frisch ist die junge Liebe. „Mein erstes Mal hatte ich<br />
mit 19“, erzählt der 28-jährige Salih, ein türkischer Österreicher,<br />
der sich selbst als einen jener Moslems bezeichnet „der<br />
halt kein Schweinefleisch isst, aber sonst von der Religion<br />
wenig Ahnung hat“. Auch jungen muslimischen Männern ist<br />
vorehelicher Sex verboten. Salih findet das nicht zeitgemäß,<br />
aber auch er hätte sich niemals getraut mit seinen Eltern darüber<br />
zu sprechen.<br />
„Für sie wäre wahrscheinlich das größte Problem gewesen,<br />
was die Nachbarn denken. Wenn man muslimischen Background<br />
hat, dann gibt es keine Zweisamkeit. Man bekommt<br />
erstens sowieso die Familie mit und dann sogar noch die<br />
Nachbarn und möglicherweise die moralische Keule der ganzen<br />
Community.“ Seine beiden älteren Brüder wurden mit zwei<br />
Frauen aus der Türkei verheiratet. „Für mich geht das gar nicht.<br />
Ich frage mich immer: Wo bleibt bei diesem ganzen Gerede<br />
von Ehe, Sex oder Enthaltsamkeit die Liebe? Meine Mutter hat<br />
immer gesagt, das kommt mit der Zeit in der Ehe, aber für mich<br />
ist das absurd.“<br />
Salih ist nicht verheiratet, hat aber eine Freundin und ist<br />
schwer verknallt: Sarah heißt seine Flamme, sie ist <strong>23</strong> und<br />
Halbsyrerin, ihr Vater lebt noch immer dort.<br />
„Das Thema Sex ist bei meinem Vater einfach keines“, sagt<br />
sie. „Ich glaube, er weiß, dass ich hier in Österreich anders<br />
lebe als er sich das wünscht, aber darüber geredet wird nicht.<br />
Aber als meine kleine siebenjährige Schwester einmal bei mir<br />
in Österreich war, bekam sie mit, dass ich einen französischen<br />
Film schaute, wo in einer Soft-Sex-Szene ein bisschen nackte<br />
hüpfende Brust zu sehen war. Sie hat das meinem Vater<br />
erzählt, der vollkommen ausgerastet ist und behauptet hat, ich<br />
habe meiner Schwester die Unschuld geraubt. Bei meiner syrischen<br />
Familie läuft den ganzen Tag Al Jazeera im Fernsehen,<br />
wo man Menschen mit abgehackten Köpfen, Krieg und Blut<br />
sieht. Gewalt und Brutalität ist weniger schlimm als Sex? Die<br />
Verhältnismäßigkeiten stimmen einfach nicht, das ist absurd.“<br />
GOTT ODER BETT?<br />
Empfindet der Islam demnach Sex als etwas Schlechtes? „Ganz<br />
und gar nicht“, sagt der Wiener Imam Tarafa Baghajati. „Prinzipiell<br />
hat der Islam eine äußerst positive Einstellung zur Sexualität<br />
zwischen Mann und Frau. Dies ist in unzähligen Stellen<br />
aus dem Koran, Hadithe des Propheten und der islamischen<br />
Tradition und Literatur belegt. Sex gehört aber eindeutig in die<br />
Ehe.“ Vor Allah gilt es sogar als gute Tat, wenn sich die Ehepartner<br />
gegenseitig befriedigen. Schlechter Sex ist sogar ein<br />
Scheidungsgrund – auch für Frauen. Zudem wird der zeitlich<br />
befristete sexuelle Höhepunkt als Vorgeschmack aufs Paradies<br />
gesehen, wo diese Freuden dann dauerhaft erlebt werden<br />
können.<br />
Ein Doppelleben zwischen Glaube und Versuchung.<br />
Zu schön, um wahr zu sein? „Zwischen Theorie und Praxis<br />
gibt es große Unterschiede“, sagt Baghajati. Ein offener<br />
Umgang mit dem Thema Sex ist meist nicht möglich, obwohl<br />
das für junge Muslime wichtig wäre. Das weiß Baghajati auch<br />
aus seiner Arbeit als Gefängnisseelsorger, wo er mit jungen<br />
Häftlingen unter anderem über Sex und Selbstbefriedigung<br />
spricht. „Wenn es um Wissen geht, kannte auch der Prophet<br />
keine Tabus. So stellten ihm Frauen mit heute verblüffendem<br />
Selbstbewusstsein alle möglichen Fragen, sogar zur Sexualität.“<br />
Warum fällt es heute also trotzdem so schwer, darüber zu<br />
sprechen? „In vielen Traditionen herrscht der Irrglaube, dass zu<br />
viel Wissen zu Fehlverhalten führt.“ Man würde also eher auf<br />
den Geschmack kommen, wenn man weiß wie’s geht.<br />
„WENN MAN MUSLIMISCHEN<br />
BACKGROUND HAT, DANN GIBT<br />
ES KEINE ZWEISAMKEIT. MAN<br />
BEKOMMT ERSTENS SOWIESO<br />
DIE FAMILIE MIT UND DANN<br />
SOGAR NOCH DIE NACHBARN<br />
UND MÖGLICHERWEISE DIE<br />
MORALISCHE KEULE DER<br />
GANZEN COMMUNITY.“<br />
© Lucia Bartl<br />
36 / RAMBAZAMBA /
SCHULD ODER SÜHNE?<br />
Viele Muslime, die hier groß geworden sind stehen zwischen<br />
zwei Welten: Einerseits gehen sie hier zur Schule und bekommen<br />
dort westliche, meist freizügigere Werte vermittelt,<br />
andererseits sind sie tief in ihren Familien und deren Traditionen<br />
verwurzelt. Beidem zu entsprechen ist schwierig, also wie<br />
schaffen es junge Muslime, mit diesem Thema umzugehen?<br />
„Die Bandbreite zwischen häufigem Sex mit ständig<br />
wechselnden Partnern und Enthaltsamkeit bis zur Ehe ist groß.<br />
Jeder muss nach seinen eigenen Wertvorstellungen einen Weg<br />
finden“, sagt der <strong>23</strong>-jährige Gökhan, der sich selbst als sehr<br />
gläubig bezeichnet. Auch er hatte schon Sex, mit einer Frau,<br />
die er sehr geliebt hat. Einen One-Night-Stand würde er aber<br />
niemals haben. „Jede Sünde ist beim jüngsten Gericht vor<br />
Allah höchstpersönlich zu rechtfertigen, für so was zahlt sich<br />
das nicht aus. Aber für eine Frau, die ich liebe, stehe ich gerne<br />
grade, denn im Islam zählt nur die gute Absicht.“ Sich vor Gott<br />
zu rechtfertigen, damit hat er kein Problem, bei seiner Familie<br />
aber umso mehr. Seine Pubertät gestaltete sich schwierig.<br />
„Erklär’ einmal einer Frau, dass du sie zwar attraktiv findest<br />
und auch nicht homosexuell bist, aber trotzdem nicht mit ihr<br />
schlafen willst.“ Seine zukünftige Frau sollte schon eine Muslimin<br />
sein. Nicht unbedingt der Religion wegen, sondern weil<br />
er sich wünscht, dass sie seine Werte teilt. Ähnlich sehen das<br />
auch Mohammed, Erkan und Melih, Göknur und Dunja. Sie alle<br />
haben ihre Religion für sich neu interpretiert.<br />
„WENN ES UM WISSEN<br />
GEHT, KANNTE AUCH DER<br />
PROPHET KEINE TABUS. SO<br />
STELLTEN IHM FRAUEN MIT<br />
HEUTE VERBLÜFFENDEM<br />
SELBSTBEWUSSTSEIN ALLE<br />
MÖGLICHEN FRAGEN, SOGAR<br />
ZUR SEXUALITÄT“<br />
ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT<br />
Wo also ansetzen? „Die Gesellschaft muss sich besser kennenlernen,<br />
auch der Umgang zwischen den jungen Menschen<br />
kommt mir sehr verkrampft vor. Nicht jedes Lächeln ist gleich<br />
als Anmache zu verstehen“, sagt der Imam. Die Auseinanderhaltung<br />
der Geschlechter beginnt schon in der Moschee, die<br />
eigentlich der Ort der Zusammenkunft aller Gläubigen ist. „Das<br />
entspricht nicht der Moschee des Propheten. Zwischen Mann<br />
und Frau war höchstens eine Schnur gespannt. Die Frauen<br />
saßen zwar hinten, aber nur da die Gebetshaltung vor den<br />
Männern für sie unangenehm gewesen wäre.“ ●<br />
Zur Autorin: Anna Thalhammer war Chefin vom Dienst bei<br />
biber und ist heute Chefredakteurin von profil.
GENERATION<br />
HARAM<br />
38 / POLITIKA /
Was Sünde ist, entscheiden sie:<br />
Muslimische Teenager haben ein<br />
neues Jugendwort: „Haram!“ heißt<br />
es auf YouTube, Instagram und<br />
im Klassenzimmer. Was als Spaß<br />
begann, entwickelt sich zu einem<br />
gefährlichen Trend. Melisa Erkurt über<br />
pubertierende Großmäuler, radikale<br />
Tendenzen und eine neue Verbotskultur<br />
mitten in Wien.<br />
Melisa Erkurts Artikel „Generation<br />
Haram“ wurde 2016 zur „Story<br />
des Jahres“ gekürt und wurde<br />
Vorlage für ihren 2020<br />
erschienenen Bestseller.<br />
DER TEXT IST IN DER DEZEMBER-<br />
AUSGABE 2015 ERSCHIENEN.<br />
Von Melisa Erkurt, Illustration: Thomas Süß<br />
Das ist haram!“, ruft die halbe Klasse im Chor als<br />
Antwort auf meine Frage, weshalb sich ein Junge<br />
über den V-Ausschnitt seiner Klassenkollegin<br />
aufregt. Was genau daran haram ist, möchte ich<br />
wissen. Mensur*, der 14-Jährige, der seine Klassenkollegin<br />
Merve * aufgefordert hatte, ihren Ausschnitt zu bedecken,<br />
erklärt es mir ganz selbstverständlich: „Es ist ihre Sache,<br />
wie sie sich anzieht, aber wenn ich da hinschaue und ihren<br />
Busenschlitz sehe, ist das haram. Dann sündige ich wegen<br />
ihr.“ Mensurs Sitznachbar lacht: „Ja, haram, Bruder!“<br />
Natürlich wusste ich schon vor Mensurs Antwort, was die<br />
Klasse mit haram meint. Als Muslima kenne ich den Begriff.<br />
Haram ist ein arabisches Adjektiv und beschreibt all das, was<br />
laut der Scharia verboten ist. Wer etwas tut, was als haram<br />
definiert ist, der begeht eine Sünde. Das Gegenteil von<br />
haram ist halal, also „erlaubt“. Aber dass haram abseits von<br />
Glaubensschriften mittlerweile seinen Weg in die Jugendsprache<br />
gefunden hat, war mir noch vor ein paar Monaten<br />
nicht bewusst.<br />
In den letzten Wochen war ich an verschiedenen Wiener<br />
Schulen und habe mit dem biber-Schulprojekt „Newcomer“<br />
jeweils in einer Woche versucht einer Klasse einen Einblick in<br />
die mediale Welt zu gewähren, Rollenbilder zu hinterfragen<br />
und Trends zu diskutieren. Dieses Semester habe ich mit<br />
circa <strong>12</strong>0 Jugendlichen zwischen 14 und 19 Jahren zusammengearbeitet.<br />
Die Schulen, an denen ich war – von NMS bis<br />
AHS und BHS – gelten größtenteils als „Brennpunktschulen“.<br />
Der Anteil von SchülerInnen mit Migrationshintergrund ist<br />
hoch, die meisten kommen aus bildungsfernen Elternhäusern<br />
– diesmal waren besonders viele Jugendliche aus muslimischen<br />
Familien dabei. SchülerInnen mit diesem Background<br />
sind nicht neu für mich. Seit zwei Jahren bin ich nun schon<br />
mit dem „Newcomer-Projekt“ in Wiener Schulklassen unterwegs.<br />
Ich habe über engagierte LehrerInnen und talentierte<br />
SchülerInnen geschrieben. Aber auch über Frauenfeindlichkeit<br />
und über Chancenlosigkeit aus diesen Klassenzimmern<br />
berichtet. Ich dachte, mich könnte eigentlich nichts mehr<br />
verwundern, aber da habe ich die Rechnung ohne „Generation<br />
haram“ gemacht.<br />
Ich möchte von Mensur und den anderen SchülerInnen,<br />
die scheinbar so genau darüber informiert sind, was im Islam<br />
verboten ist, wissen, wofür der Islam eigentlich steht. Ich<br />
bekomme keine Antwort. Diese Situation wiederholt sich<br />
in fast jeder Klasse. Auf die Frage, wer gläubig ist, zeigen<br />
meistens alle muslimischen Schüler auf. Will ich von ihnen<br />
wissen, was den Islam ausmacht, was er vermitteln soll,<br />
herrscht Stille. Frage ich die Jugendlichen aber, was haram<br />
oder halal bedeutet, antworten sie brav.<br />
AUSWENDIG LERNEN<br />
Alles, was sie über den Islam wissen, haben sie auswendig<br />
gelernt. Kein Wunder, funktioniert so in manchen österreichischen<br />
Schulen der islamische Religionsunterricht: Suren<br />
auswendig lernen. In ein paar Fällen sogar nur auf Arabisch.<br />
SchülerInnen, die kein Arabisch sprechen, verstehen also gar<br />
nicht, was sie da nachsagen. Aber auch wenn sie die Suren<br />
in einer Sprache, die sie können, lernen, so hinterfragen sie<br />
die Bedeutung nicht immer – die SchülerInnen geben oft nur<br />
wieder, was sie gelernt haben, ohne zu reflektieren. Und weil<br />
sie im Islamunterricht oft nur Suren lernen, suchen sie die<br />
restlichen Informationen zum Islam eben wahllos aus dem<br />
Internet zusammen oder informieren sich im Freundeskreis.<br />
Nach Schulschluss setze ich mich in eine Shisha-Bar. Eine<br />
Frau alleine Wasserpfeife rauchend in einer Bar, haram würden<br />
meine Schüler sagen, die mir zuvor erklärt hatten, dass<br />
Shisha rauchen für Frauen haram ist, es schaut zu lasziv aus,<br />
wenn sie die Wasserpfeife zum Mund führen und den Rauch<br />
ausblasen. Tatsächlich sind an dem Tag nur Männer zwischen<br />
16 und 25 in der Shisha-Bar. Alle stylisch gekleidet mit<br />
Frisuren und getrimmten Bärten, als kämen sie frisch vom<br />
Barbier. Dem Äußeren nach zu urteilen moderne Burschen.<br />
Ich frage eine Gruppe von vier jungen Männern, ob sie den<br />
Begriff haram kennen und verwenden. Sie lachen. Einer<br />
von ihnen, Mert*, zückt sein Handy und zeigt mir die letzte<br />
/ POLITIKA / 39
Sie rappen über „Fotzen“ und „ficken“ und werden von den Jugendlichen als Muslime gefeiert.<br />
Konversation in einer seiner WhatsApp-Gruppen:<br />
„Haraaaam“ steht da unter einem Foto von einer Frau<br />
im Bikini. Mert nimmt einen Zug von seiner Shisha,<br />
im Hintergrund läuft das Lied „Shisha Bar“ von zwei<br />
deutsch-türkischen YouTubern. „Schau dir mal das<br />
Musikvideo von denen auf YouTube an“, sagt Mert.<br />
Unter dem Video, in dem Frauen leicht bekleidet tanzen,<br />
stehen unzählige „haram“–Kommentare in Bezug<br />
auf das freizügige Erscheinungsbild der Frauen.<br />
Mert und zwei andere aus der Gruppe sind Muslime.<br />
Ob sie gläubig sind, frage ich sie, alle drei nicken.<br />
Einer von ihnen, Halil*, fügt hinzu: „Leider bin ich<br />
nicht strenggläubig, so wie es sein sollte. Dafür ist die<br />
Verlockung hier in Österreich einfach zu groß. Aber<br />
eines Tages werde ich es sein“, sagt der 19-Jährige.<br />
Mit Verlockung meint er Alkohol, Partys und Frauen.<br />
Sein Freund Goran * lacht. Der gebürtige Kroate ist<br />
fast nur mit Muslimen befreundet. Er beobachtet<br />
in den letzten Jahren einen Anstieg der Religiosität<br />
innerhalb seines Freundeskreises: „Ein paar meiner<br />
Freunde, für die Religion nie ein Thema war, sagen<br />
auf einmal, sie widmen ihr Leben jetzt Allah.“ Ich<br />
möchte von ihm wissen, ob er eine Vermutung hat,<br />
woher der plötzliche Wandel kommt. „Auf jeden Fall<br />
durch das Internet. Vines, Memes, YouTube-Videos<br />
– Islam ist überall ein Thema. Früher haben viele<br />
meiner Freunde nicht einmal erwähnt, dass sie Muslime<br />
sind, heute leben sie ihren Glauben offen, weil es<br />
durch das Internet und Deutsch-Rap cool geworden<br />
ist, Moslem zu sein.“<br />
DEUTSCHRAP & SOCIAL MEDIA<br />
Halil stimmt ihm zu. Er und seine Freunde hören am<br />
liebsten Deutschrap von Kollegah, Bushido und Alpa-<br />
Gun. Bushido und Alpa-Gun sind von ihrer Herkunft<br />
her Muslime, Kollegah ist mit 15 zum Islam konvertiert.<br />
In seinen Songtexten und Interviews spricht er<br />
Durch das<br />
Internet<br />
und<br />
Deutsch-<br />
Rap ist<br />
es cool<br />
geworden,<br />
Moslem zu<br />
sein.<br />
über den Islam – offen, verständlich und lässig – das<br />
kommt bei den Jugendlichen an. Der 32-jährige<br />
Kollegah rappt aber auch über „Fotzen“ und „ficken“<br />
und die Jugendlichen feiern ihn, weil er Moslem ist.<br />
Dass seine Songtexte gar nicht zu einer religiösen<br />
Haltung passen, spielt keine Rolle.<br />
„Kollegah ist harmlos. Aber es gibt radikale Prediger<br />
wie Pierre Vogel, von dem lassen sich Jugendliche<br />
beeinflussen. Wenn die mit <strong>12</strong> Jahren schon<br />
Zugang zum Internet haben, ist das ein Problem. In<br />
dem Alter wissen die nicht, was richtig oder falsch<br />
ist“, erklärt mir Halil. Ob Kollegahs Songtexte harmlos<br />
sind, darüber lässt sich streiten – dass der deutsche<br />
salafistische Hassprediger Pierre Vogel, der unter<br />
anderem von Muslimen verlangt für den Islam zu<br />
sterben, gefährlich ist, steht jedoch fest. Auf YouTube,<br />
eine der beliebtesten Sozialen Plattformen der<br />
Jugendlichen, kann sich jeder seine Predigten anhören<br />
– vom 14-jährigen Teenie, der in einer Identitätskrise<br />
steckt, bis hin zum 16-jährigen Schulabbrecher<br />
ohne Perspektive.<br />
RADIKALISIERUNG<br />
Soziale Netzwerke wie YouTube sind zur wichtigsten<br />
Informationsquelle für Jugendliche geworden. Dass<br />
man in dem Alter besonders schwer zwischen normal<br />
islamischen und radikal islamistischen Inhalten differenzieren<br />
kann, könnte beim Thema Religion gefährlich<br />
werden.<br />
Wie gefährlich zeigt eine im Oktober veröffentliche<br />
Studie der Stadt Wien, die die Bereitschaft zur<br />
islamistischen Radikalisierung von Jugendlichen in<br />
Wiener Jugendzentren untersucht hat – mit erschreckenden<br />
Ergebnissen. Konkret sollen 27 Prozent der<br />
muslimischen Jugendlichen zwischen 14 und 17<br />
Jahren, die von Jugendarbeitern betreut werden,<br />
gefährdet sein, sich zu radikalisieren, so die Studien-<br />
40 / POLITIKA /
autoren Kenan Güngör und Caroline Nik Nafs. 57 von 214<br />
befragten muslimischen Jugendlichen vertreten unter anderem<br />
Meinungen wie: „Religiöse Gesetze sind wichtiger als die<br />
österreichischen Gesetze ... Die islamische Welt soll sich mit<br />
Gewalt gegen den Westen verteidigen … Es soll im Namen<br />
der Religion getötet werden dürfen“.<br />
Wieso gerade Jugendliche anfällig für Radikalisierung<br />
sind, liegt auf der Hand: Identitätskrise während der Pubertät,<br />
Rebellion, aber auch ein verstärktes Dazugehören-Wollen<br />
prägen die Teenager-Zeit.<br />
Dazugehören wollte auch Florian * , ein Freund von Halil,<br />
der mit 18 zum Islam konvertiert ist, weil alle seine Freunde<br />
Muslime sind. Dass er nach wie vor Alkohol trinkt und den<br />
anderen „Versuchungen“, wie Halil sie nennt, nicht widerstehen<br />
kann, ist nicht weiter schlimm für die Freunde, Hauptsache<br />
er ist jetzt auch einer von ihnen. „Inshallah, werden<br />
wir eines Tages nach dem Koran leben“, sagt Mert tröstend<br />
und nimmt einen Schluck von seinem Bier. Nachher ist er mit<br />
seinen Freunden im Wettbüro verabredet.<br />
„HARAMSTUFE ROT“<br />
Zurück in der Schule schauen sich die Jugendlichen in der<br />
Pause einen Sketch auf Facebook an, in dem ein junger<br />
Mann eine junge Frau in den Kofferraum sperrt, weil sie<br />
fälschlicherweise behauptet hatte, Jungfrau zu sein. Die<br />
Burschen lachen über das Video, die obligatorischen „Oha –<br />
haram!“ Rufe gehen durch die Reihen, als rauskommt, dass<br />
die junge Frau aus dem Video keine Jungfrau mehr ist. Die<br />
Mädchen lächeln verlegen. Ich frage die Mädchen, die sich<br />
bisher wenig zu dem Thema haram geäußert haben, ob<br />
und in welchem Zusammenhang sie den Begriff verwenden.<br />
„Wenn meine Freundin einen kurzen Rock oder bauchfrei<br />
trägt, sage ich im Spaß haram zu ihr“, erzählt die 16-jährige<br />
Dilan * .<br />
Sie und ihre Freundinnen haben einige haram-Wortspiele<br />
auf Lager: „Machst du kein haram, ist alles tamam (in<br />
Ordnung)“ oder „haramstufe rot“ sind Sätze, die unter den<br />
Freundinnen häufig fallen – aber nur im Spaß, versichern sie<br />
mir. Ob sie das Gefühl haben, dass ihre männlichen Klassenkollegen<br />
die haram-Äußerungen auch nur lustig meinen?<br />
„Nein! Sie wissen immer, was für uns Mädchen haram ist:<br />
Shisha rauchen, Ausschnitt zeigen – neulich hat einer in Biologie<br />
haram gerufen, als unsere Lehrerin über die Menstruation<br />
gesprochen hat“, sagt Dilan.<br />
Ich frage eine Lehrerin, wie sich solche vermeintlichen<br />
Tabus auf den Schulalltag auswirken. Sie erzählt mir, dass in<br />
den letzten Jahren die Zahl der Nichtschwimmerinnen unter<br />
ihren Schülerinnen enorm gestiegen ist. Sie kann mit den<br />
Klassen keinen Ausflug ins Schwimmbad machen, weil die<br />
Mädchen nicht schwimmen können oder nicht dürfen – sich<br />
im Bikini vor Männern zu zeigen ist nämlich haram.<br />
Mädchen wie Merve, die aus einem modernen muslimischen<br />
Elternhaus stammen und von ihren Eltern aus auf<br />
jeden Fall mit ins Schwimmbad gehen dürften, trauen sich<br />
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trotzdem nicht: „Die Jungs würden schlecht über<br />
mich reden und bestimmt Fotos von mir im Bikini<br />
rumschicken“, sagt die 15-Jährige. Auf der letzten<br />
Schullandwoche hat ein Klassenkollege Merves<br />
Kleidungsstil kommentiert. „Er hat gesagt, es wäre<br />
haram sich als Muslima so zu kleiden. Dabei hatte ich<br />
nur Jeans und ein etwas engeres T-Shirt an.“<br />
EIN MÄNNLICHES PROBLEM<br />
Meine Gespräche mit den Jugendlichen zeigen<br />
mir, dass es mehrheitlich die Burschen sind, die im<br />
Namen der Religion Verbote für andere erstellen und<br />
so das Leben ihres (weiblichen) Umfelds einschränken.<br />
Auch die Studie der Stadt Wien macht deutlich:<br />
Radikalisierung ist männlich. Doch diese männlichen<br />
Jugendlichen, vor denen sich zur Zeit alle fürchten,<br />
haben in Wirklichkeit keine Ahnung von dem, was<br />
sie sagen. Sie tun ja nicht einmal selber das, was sie<br />
predigen. Sie widersprechen sich in allem, was sie<br />
sagen – denn sie sagen es nur, um cool zu sein.<br />
Ich habe das Gefühl, dass sie in Wirklichkeit die<br />
Mädchen beneiden, die die besseren Noten haben,<br />
die blühenderen Zukunftsaussichten, die keinen auf<br />
„harten Kerl“ machen müssen. Die Mädchen, die<br />
sich so gut integrieren konnten und an ihnen vorbeiziehen.<br />
Wenn ich die SchülerInnen frage, was sie<br />
mal werden wollen, antworten die Mädchen „Ärztin“<br />
oder „Anwältin“, die Buben grinsend mit „AMS“ oder<br />
„Bombenleger“ – sie wissen, dass sie nicht mithalten<br />
können und kontern mit Provokation, veralteten Rollenbildern<br />
und gefährlichen Verhaltensvorschriften.<br />
ISLAM IST MACHT<br />
Sie, die Burschen, die Fünfer schreiben, durchfliegen,<br />
schief angeschaut werden, wollen sich zumindest<br />
in einem Punkt mächtig fühlen. Sie haben erkannt,<br />
dass die Leute Angst vor dem Islam haben. Sie<br />
stellen ihren Handyklingelton in „Allahu Akbar“ („Gott<br />
ist groß“) Rufe um und genießen die verängstigten<br />
Blicke der anderen in der U-Bahn, wenn ihr Handy<br />
klingelt. Sie posen auf jedem ihrer Profilfotos mit<br />
dem angehobenen Isis-Zeigefinger. Sie teilen die<br />
Anti-Islam-Posts der FPÖ und lesen stolz die Hass-<br />
Kommentare von Strache-Fans.<br />
Sie wissen, da draußen gibt es hunderttausende<br />
Erwachsene, die sie am liebsten abschieben würden,<br />
weil sie Angst vor ihnen – ein paar Teenagern<br />
– haben. Der Islam steht für sie für die Macht über die<br />
Ängste der anderen und sie wollen mächtig sein in<br />
einer Gesellschaft, in der sie sowieso schon als Verlierer<br />
gelten, die sie abgeschrieben hat, die ihnen eh<br />
nichts mehr zutraut, außer den Weg in den Dschihad.<br />
PROBLEM ANSPRECHEN<br />
So wie die Studie der Stadt Wien gibt auch dieser<br />
Bericht nur einen Überblick über einen kleinen Teil<br />
der muslimischen Jugendlichen in Wien. Aber er<br />
zeigt einen Trend auf, der sich schnell verstärken<br />
„Was wollt<br />
ihr mal<br />
werden?“<br />
„AMS oder<br />
Bombenleger“<br />
könnte, wenn nicht bald etwas geschieht. Wenn nicht<br />
deutlich mehr Geld für Sozialarbeiter in Schulen und<br />
Jugendprojekte gesteckt wird, aber auch, wenn es<br />
von Seiten der muslimischen Vertreter kein echtes<br />
Eingeständnis dafür gibt, dass es dieses Problem<br />
gibt und der Islam damit auch mitten in Österreich<br />
die Unterdrückung von Frauen und Verachtung von<br />
Andersdenkenden legitimiert.<br />
Ja richtig, es ist nur ein kleiner Teil der Jugendlichen,<br />
die so drauf sind. Aber diese Gruppe von<br />
pseudo-religiösen Jung-Machos wird größer, einflussreicher<br />
und damit gefährlicher. Und ja richtig, natürlich<br />
ist die Mehrheit der muslimischen Jugendlichen<br />
nicht so drauf. Aber es gibt solche Jugendliche und<br />
dieses wachsende Problem müssen wir als biber-<br />
JournalistInnen ansprechen, ansonsten missbrauchen<br />
rechte Parteien diesen Zustand für ihre politischen<br />
Zwecke, obwohl ja gerade sie mit ihrer anti-muslimischen<br />
Hetze solche Teenager noch mehr antreiben.<br />
Ob die Jugendlichen, die ich kennengelernt habe,<br />
Dschihadisten werden, bezweifle ich stark. Aber<br />
das ist ja auch kein Maßstab. So wie sie jetzt sind,<br />
müssen sie sich schon ändern. Und zwar schnell und<br />
deutlich. Denn pubertäre Großmäuler, die keinen<br />
Respekt vor Frauen und der österreichischen Gesellschaft<br />
haben, werden Erwachsene ohne Perspektive,<br />
die ihre Kinder genauso erziehen könnten. Und<br />
während der eine Teil der Gesellschaft diese Jugendlichen<br />
fürchtet, sie am liebsten abschieben würde,<br />
leugnet der andere Teil das Gefahrenpotential und die<br />
Jugendlichen bleiben wieder sich selbst überlassen<br />
und kreieren sich ihre eigene Welt – voll von Widersprüchen,<br />
Einschränkungen und ganz viel haram. ●<br />
*Namen von der Redaktion geändert<br />
Zur Autorin: Melisa Erkurt war Chefreporterin bei<br />
biber und leitet jetzt Die_Chefredaktion.<br />
WAS SAGT DIE AUTORIN HEUTE?<br />
Als ich 2016 die Reportage „Generation<br />
Haram“ veröffentlichte, traf ich einen Nerv.<br />
Journalist*innen, Politiker*innen, Lehrer*innen,<br />
Jugendliche – noch nie bekam ich so viele Reaktionen.<br />
Sieben Jahre später ist der Text leider noch<br />
immer aktuell. Es hat sich nicht viel geändert. Noch<br />
immer bleiben junge, muslimische Männer auf der<br />
Strecke, was sich im schlimmsten Fall in Sexismus<br />
oder Antisemitismus äußert. Meistens aber sind sie<br />
selber die Leidtragenden. Noch immer braucht es<br />
mehr positive Identifikationsfiguren, mehr Zugang<br />
zu ihren Emotionen, mehr Bewusstsein dafür, dass<br />
sie auch einen anderen Platz haben, als den, denen<br />
manche Teile unserer Gesellschaft für sie vorgesehen<br />
haben.<br />
Melisa Erkurt, Journalistin und Buchautorin<br />
42 / POLITIKA /
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LUKOIL LUBRICANTS:<br />
KLIMANEUTRAL UND NACHHALTIG IN DER LOBAU<br />
© LUKOIL<br />
Schritt für Schritt hat LUKOIL seinen Wiener<br />
Produktionsstandort für Schmiermittelproduktion<br />
in der Lobau zum zukunftsweisenden<br />
Beispiel für energieeffiziente<br />
Industrieproduktion ausgebaut: Mit großflächiger<br />
Photovoltaik, einem High-Tech Energiemanagementsystem<br />
und neuerdings einer<br />
eigenen, umweltfreundlichen Hackschnitzelanlage<br />
zur Beheizung des Bürogebäudes<br />
leistet das Unternehmen einen Beitrag auf<br />
dem Weg in eine klimafreundliche Zukunft.<br />
Strom aus erneuerbarer Produktion<br />
Bereits in den vergangenen Jahren hat LUKOIL im<br />
Rahmen des „Green Project“ substanziell in die<br />
Nachhaltigkeit der Produktionsstätte in der Lobau<br />
investiert: Eine 1.000 kW-Photovoltaikanlage, höchste<br />
Energieeffizienz in allen Produktionsprozessen,<br />
Umstieg auf Strom aus Wasserkraft, LED-Beleuchtung,<br />
nachhaltiges Abfallmanagement und eine Minimierung<br />
von Plastik bei der Verpackung ermöglichen nachhaltiges<br />
Wirtschaften.<br />
Starke Impulse für Biodiversität<br />
Aus der Nähe zum Nationalpark Donauauen, mitten im Naherholungsgebiet<br />
der Lobau, ergab sich die starke Motivation, auch die<br />
Verbesserung der Biodiversität zum Teil des „Green Project“ zu<br />
machen: So sorgen regionale Obstbäume, Vogelhäuser, Bienenstöcke<br />
und eine Naturwiese auf dem Betriebsareal für ein ökologisch<br />
wertvolles Umfeld. Selbst das Rasenmähen ist „bio“ – dafür<br />
sorgen fünf friedlich grasende Schafe.<br />
Energiemanagement und Biomasse<br />
Aber LUKOIL geht noch weiter: Nach Inbetriebnahme der PV-Anlage<br />
setzt LUKOIL jetzt den nächsten logischen Schritt im Bereich<br />
Energieeffizienz – mit der Inbetriebnahme einer 400 kW power-toheat<br />
Anlage. Dabei produziert eine elektrische 400 kW-Heizanlage<br />
aus Strom Wärme, die für die Schmierstoffproduktion und die<br />
Beheizung der Lagertanks eingesetzt wird.<br />
Heizen mit Biomasse<br />
Für die Beheizung des Bürogebäudes sorgt seit kurzem eine<br />
eigene Hackschnitzelanlage – gleichsam als Signal, dass LUKOIL<br />
als eines der größten privaten Energieunternehmen der Welt<br />
die gesamte Bandbreite der Energiequellen im Portfolio hat. Die<br />
Hackschnitzelanlage spart mehr als 100 Tonnen CO2 pro Jahr und<br />
versorgt das Büro mit wohliger nachhaltiger Wärme.
„SIND SIE DIE <strong>BIBER</strong>-<br />
BURKINIFRAU?“<br />
DER TEXT IST IN DER SOMMER-<br />
AUSGABE 2014 ERSCHIENEN.<br />
Menerva Hammad mit dem<br />
Cover, das damals für Furore<br />
sorgte.<br />
44 / RAMBAZAMBA /
© Zoe Opratko<br />
Was passiert, wenn Redakteurin<br />
Menerva Hammad in ihrem neuen<br />
Burkini im Kongressbad schwimmen<br />
geht? Alle glotzen, ein Badegast will<br />
sie in die Türkei schicken, doch der<br />
Bademeister eilt zu Hilfe.<br />
Von Menerva Hammad<br />
Diese Frau muss hier raus! Ich kann das nicht<br />
länger ansehen! Wie können Sie zulassen, dass<br />
hier jemand in einem Burkini schwimmt?!“ Mit<br />
dieser Aussage, einem Zeigefinger in meine<br />
Richtung ausgestreckt und einer wütenden Miene kam eine<br />
mir unbekannte Frau im Freibad auf mich zu. Sie hatte zwei<br />
Bademeister an ihrer Seite und mit der Beschwerde gerufen,<br />
eine Dame – in dem Fall war das ich – sei vollständig bekleidet<br />
im Wasser.<br />
POSTLEITZAHL AUF POBACKE<br />
Alle Leute im Wasser schauten mich fragend an, die Bademeister<br />
waren verwirrt und ich ging aus dem Wasser. Die<br />
Dame konnte nicht aufhören mit ihrem drohenden Zeigefinger<br />
vor meiner Nase zu fuchteln und schimpfte mit mir: „Ich<br />
habe Sie gesehen, Sie kamen mit diesem Gewand schon<br />
hier herein! Das ist unhygienisch!“ Ich versuchte mich zu<br />
verteidigen: „Schauen Sie, das ist ein Burkini, und der Stoff<br />
aus dem der gemacht wurde, ist wie der von einem stinknormalen<br />
Badeanzug, es ist nur mehr Stoff dran.“ Sie sah mich<br />
unglaubwürdig an und fasste meinen Burkini ohne mich zu<br />
fragen an. Als sie bemerkte, dass ich Recht hatte, kam die<br />
nonplusultra Aussage von ihrer Seite : „Trotzdem, wir sind<br />
hier nicht in der Türkei! Sie müssen SOFORT gehen!“<br />
Das regte mich so sehr auf, zumal meine Eltern aus<br />
Ägypten sind, dass mir nur diese Antwort einfiel: „Ich verstehe,<br />
ich muss mich also ausziehen, um Österreicherin zu sein?<br />
Schön! Was wollen Sie denn von mir sehen? Meine Brüste,<br />
davon könnte ich Ihnen zwei anbieten, eine Pobacke, davon<br />
hätt ich eine ganze Postleitzahl, so groß ist mein Hintern!<br />
Oder vielleicht lieber ein bisserl Wampe? Ich habe viel Wampe,<br />
man sieht das nur nicht. Ich kann Ihnen aber leider nichts<br />
zeigen, was Sie nicht ohnehin schon kennen und wenn Sie<br />
sich hier umsehen, dann werden Sie viel Brust und vor allem<br />
Wampe sehen, ist es denn so schlimm, wenn das dann eine<br />
Person nicht von sich zeigt?“ Sie ignorierte meine zu direkte<br />
Antwort, lief rot an und drehte sich zum Bademeister: „Ich<br />
möchte, dass diese junge Dame geht!“ Der Bademeister sah<br />
sie an und meinte ganz gelassen: „Diese junge Dame hat<br />
Eintritt gezahlt, keinem was getan UND ich sehe ihre Badekleidung<br />
nicht als unpassend. Sie dagegen haben für Aufruhr<br />
gesorgt, unsere Schwimmgäste belästigt und jemanden<br />
beleidigt. Ich bitte nun Sie zu gehen.“<br />
Menerva Hammads Burkini-Cover<br />
sorgte 2014 für viele Diskussionen<br />
über bedeckte Schwimmkleidung<br />
in Österreichs Bädern.<br />
MEIN HELD, DER BADEMEISTER<br />
Die Frau und ich waren sehr verwundert, sie, dass sie gehen<br />
musste und ich, dass ich bleiben durfte. Ich bedankte mich<br />
sehr bei ihm und sah sie nicht einmal mehr an. Als ich später<br />
in der Umkleidekabine das Geschehen gedanklich vor Augen<br />
hatte, musste ich kurz überlegen. Im Prinzip ist es egal was<br />
ich tue, was meine Eltern durchgemacht haben, um in dieses<br />
Land zu kommen, wie viele Jobs mein Vater hatte, damit er<br />
sich meine Ausbildung leisten konnte, was ich studiert habe,<br />
was ich arbeite, wie sehr ich mich anstrenge, oder was ich<br />
für dieses Land tue, ich bleibe immer die Ausländerin. Und<br />
wenn mich mein äußeres Erscheinungsbild nicht verrät, dann<br />
tut das mein Name. Ich frage mich, ob es jemals besser sein<br />
wird, denn einfach ist es nicht, nein, einfach ist es nicht.<br />
Aber solange es Menschen wie meinen Bademeister gibt,<br />
die sich für den Menschen im Menschen einsetzen, sich von<br />
keinerlei Äußerlichkeiten täuschen lassen und keine Angst<br />
haben gegen den Strom zu schwimmen, stirbt meine Hoffnung<br />
nicht. Als ich mich auf den Heimweg machte, bat ich<br />
ihn noch um ein Selfie mit mir, denn auch wenn ich nicht auf<br />
den Mund gefallen bin und immer meine Frau stehe, so war<br />
ich heute ein hilfloses Mädchen und habe durch ihn gelernt,<br />
dass Helden nicht immer maskiert sind. ●<br />
Zur Autorin: Menerva Hammad war freie Redakteurin bei<br />
biber und ist heute Sexualpädagogin und Buchautorin.<br />
WAS SAGT DIE AUTORIN HEUTE?<br />
Diese Geschichte bedeutet mir nicht nur viel, weil sie<br />
meine erste und einzige Cover-Story für Biber ist, sondern<br />
weil ich durch sie herausgefunden habe, welche<br />
Emotion meine innere Schreibfeder bewegt: Wut.<br />
Ich habe damals im Freiband mit einer Rassistin<br />
(nennen wir das Kind einfach beim Namen, oder?) zu tun<br />
gehabt, der mein Burkini nicht gefallen hat, der Bademeister<br />
hat mich in Schutz genommen, die Situation<br />
ist eskaliert und mir ging es danach richtig beschissen.<br />
Fragen wie „Warum sind Menschen in diesem Land so<br />
einseitig im Kopf?“ beschäftigten mich danach sehr<br />
und ich habe einfach den Frust in die Tasten gehauen.<br />
Stunden später zeigte die Story Online über 100.000<br />
Klicks, Tage später wurde ich von TV- und Radiosendern<br />
kontaktiert, erste Jobangebote trudelten ein, und so<br />
kam ich eigentlich zum nächsten Praktikum bei einem<br />
großen TV-Sender. Ich werde heute – 9,5 Jahre später<br />
– immer noch auf der Straße von Menschen erkannt, die<br />
auf mich zeigen und mich fragen : „Sind Sie die biber-<br />
Burkinifrau?“<br />
Menerva Hammad, Sexualpädagogin und Buchautorin<br />
/ RAMBAZAMBA / 45
TIME TO SAY<br />
„GUDBAJ“!<br />
Zum Abschied gibt<br />
es kein Trompetenrambazamba.<br />
Einfach ein leises:<br />
Ajde ćao, brate!<br />
Von Ivana Cucujkić-Panić<br />
IVANAS WELT ENDET NICHT MIT <strong>BIBER</strong>:<br />
Ivana nennt biber ihr „erstes Baby“, das sie als redaktionelle Leihmutter<br />
2006 als Gründungsmitglied zur Welt brachte. Mittlerweile hat sie ihre eigenen<br />
zwei Sprösslinge. Als Mutter von zwei Buben findet ihr Leben zwischen<br />
Legosteinen, Selfcare und ziemlich dunklen Augenringen statt. In ihrem<br />
Podcast „Mutti ist Kaputti“ lässt die selbst ernannte Bobo-Balkanmutter<br />
Dampf mit anderen müden Eltern ab. Jetzt überall, wo es Podcasts gibt!<br />
Ivanas Welt findet außerdem auf Instagram weiter statt: Folgt Ivana unter<br />
@ivanaswelt
© Zoe Opratko<br />
Die erste Liebe vergisst man nicht. Die erste<br />
Redaktionssitzung mit scharf auch nicht. Es war<br />
biber auf den ersten Blick. Ein zusammengewürfelter<br />
Haufen Kids of Dijaspora, die auf der<br />
Suche nach dem (beruflichen) Sinn des Lebens waren, im<br />
Inserat nicht genau gelesen haben, dass das nicht bezahlt<br />
wird, oder einfach eine neue Flirtzone abchecken wollten.<br />
Wir saßen zu fünfzehnt, in einem unbeheizten Keller(?)<br />
raum und versuchten, das erste deutschsprachige Diversitymagazin<br />
zu machen. Pioniervibes lagen in der Luft. Und wir<br />
hatten ziemliche Narrenfreiheit.<br />
<strong>BIBER</strong> PIONIRI<br />
Wir durften Vieles ausprobieren, fast alles war erlaubt. Manches<br />
davon peinlich, einiges scharf an der Grenze des guten<br />
Geschmacks und würden wir heute wohl so nicht mehr<br />
schreiben. Es war ein Open Space der Identitätsfindung junger<br />
Menschen, die zum ersten Mal „irgendwas mit Medien“<br />
machten und sich handwerklich ausprobierten. Und da saßen<br />
sie dann, die erste Redaktion des biber im Gassenlokal eines<br />
Bobo-Bezirks, in dem fast niemand von ihnen nicht ansässig<br />
war. Manche mit Kriegserfahrung, manche geflüchtet oder<br />
hier geboren. Erste, zweite, dritte Generation. Alle mit einem<br />
Rucksack Identität, Verlust, kulturellem Dilemma, Stolz, Wut,<br />
Neugier, Humor und dieser unglaublichen Überzeugung, hier<br />
passiert grad etwas Einzigartiges und wir sind dabei. Ja, es<br />
war einzigartig.<br />
PIZZA GAB ES ALS DANKESCHÖN<br />
Manchmal verhedderten wir uns in den Redaktionssitzungen<br />
in ethnische Konflikte, trugen die Konflikte der alten Heimat<br />
in Wien Neubau aus, waren beleidigt, haben geflucht.<br />
Und weil wir trotzdem alle am Ende des Tages Wiener<br />
Tschuxln waren, machten wir in der Redaktion den Griller<br />
an und drehten ein paar Čevapi, während die letzten Texte<br />
fertiggetippt wurden für die nächste Ausgabe. Die wir dann<br />
gemeinsam verpackt und mit Postpickerl beklebt haben.<br />
Zigtausende. Bis in die Nacht hinein. Gratis. Nein. Pizza gabs<br />
als Dankeschön. Naja. Aber der Pioniergeist war zu sehr<br />
angefixt und wir Jugos und Türken zu tief im Muster unserer<br />
Gastarbeiter-Eltern, für den Arbeitgeber Leib und (Privat)<br />
Leben zu geben.<br />
Genau diese toxische Kombination aus naivem jugendlichen<br />
Idealismus und Überzeugung, bei etwas echt Geilem<br />
dabei zu sein, und tiefsitzender, generationsübergreifender<br />
Dankbarkeitspflicht trieb so viele Leute an, ihre Spuren im<br />
biber-Magazin zu hinterlassen.<br />
ICH WAR JUNG UND<br />
BRAUCHTE DAS GELD<br />
Mich trieb es jedenfalls über Nacht von Belgrad in den Bus<br />
zurück nach Wien. Es waren Sommerferien. Runterfahren<br />
natürlich. Der Plan war, die nächsten zwei Monate mit einem<br />
gehobenen Maß an Ernsthaftigkeit ins Belgrader Nachtleben<br />
einzutauchen und vor dem 30. August nicht nüchtern und<br />
ohne Wimperntusche wieder aufzutauchen. Der Anruf des<br />
Chefredakteurs aus Wien warf diese life goals in die Donau,<br />
die auch durch Serbien fließt: „Das Shooting für die erste<br />
Ausgabe findet in drei Tagen statt. Du kannst eh kommen<br />
gell?“ Jaja, klar, genau das war immer mein Plan gewesen.<br />
Tja, long story short – die Busreise dauerte 15 Stunden.<br />
50 km vor der ungarischen Grenze kam mein Vater mich in<br />
Hegyeshalom abholen, weil die Buskolonne einfach nicht<br />
kürzer wurde und der Rauch in meinem „Zoran Reisen“-Bus<br />
(jap, damals durfte mal noch im Busmikrokosmos rauchen)<br />
irgendwann arg an die Lungen gingen, nicht so arg wie der<br />
Turbofolk, der aus den Boxen dröhnte. Aber hey, ein Shooting<br />
in einem echten Fotostudio, von einem echten Fotografen<br />
und das nicht für die Seite drei. Ich bin jung und ...bekam<br />
dafür eh kein Geld. Aber meine Jugofamily reichte die Ausgabe<br />
bis ins vlahische Dorf in Ostserbien weiter.<br />
DAMIT DIE ELTERN STOLZ SIND<br />
Es war der Stolz der Eltern, die Früchte ihrer Schufterei in<br />
diesem Land, die Kompensation für die Wertschätzung, die<br />
sie nie bekamen, das respekterweisende Nicken der Verwandtschaft<br />
– „Ehhh, dein Junge ist jetzt Žurnalist, ahh?“.<br />
Solche Motive trieben viele Redakteur:innen an, mitzubibern.<br />
All die Ivanas, Amars, Esers, Delnas, Monikas, Dinos,<br />
Aleksandras, Bülents, Alis, Dakis, Ljubos, Damirs, Zwetelinas,<br />
Cems, Todors, Güness, Bojans, Antonios, Radas, Darkos,<br />
Semras und viele, viele mehr. Zu schreiben, Anzeigen zu<br />
verkaufen, die Bürosessel selber zusammenzuschrauben,<br />
bei Bedarf das Klopapier beizusteuern oder selber zu modeln<br />
für die Fotostrecken und Cover, weil das Budget knapp war,<br />
knapp blieb, oder einfach fehlte. Dann haben wir einfach<br />
das gemacht, was sonst mit uns gemacht wurde: Wir haben<br />
unsere Familien emotional erpresst („Du kommst aufs Cover,<br />
ich schwöre!“) und sie unbezahlt vor die Fotolinse, in – Hand<br />
aufs Herz – unmögliche, teilweise genreübergreifende Outfits<br />
und Setups gesetzt.<br />
OHNE SCHARF<br />
Am Ende ist die Rechnung für das biber doch nicht aufgegangen.<br />
So schnell wieder vorbei. Wie ein heftiger Sommerflirt.<br />
Die Erinnerung an eine heftige Ferienliebe. Ein<br />
bittersüßes Techtelmechtel, das einen über Jahre nicht<br />
losließ und prägte.<br />
Was ist das Vermächtnis von biber? So eine Ferienliebe<br />
hinterlässt eine Kerbe im Herzen. Diese hier vermachte<br />
mir eine Handvoll Menschen, die ich heute Freunde nenne.<br />
Mit denen ich Frühstücksdates verabrede, Urlaube plane,<br />
Kinderfotos tausche und wenn es die Zeit und die körperliche<br />
Verfassung zulassen, hin und wieder mit einem gewissen<br />
Maß an Ernsthaftigkeit in den Partyvibe vom Sommer 2006<br />
abtauche. Und dafür, liebes biber-Magazin, bekommst du<br />
von mir ein aufrichtiges Hvala, danke & Živeli! Mach’s gut. ●<br />
Zur Autorin: Ivana Cucujkić-Panić schrieb bei biber 16 Jahre<br />
lang ihre Kolumne „Ivanas Welt.“, davor war sie stv.<br />
Chefredakteurin und Chefin vom Dienst. Heute hat sie<br />
ihren eigenen Podcast „Mutti ist Kaputti“. (Mehr Info links)
DIE GESCHICHTE IST IM“PROFIL“<br />
NR. 20 / 2021 ERSCHIENEN.<br />
Bilal Albeirouti war Teilnehmer<br />
eines 2017/18 organisierten<br />
Medientrainings für Flüchtlinge bei<br />
biber. Der gebürtige Syrer arbeitete<br />
in seiner Heimat als Journalist.<br />
48 / RAMBAZAMBA /
DER SYRER,<br />
DER NACH<br />
ÖSTERREICH<br />
KAM UND<br />
TRAMFAHRER<br />
WURDE<br />
Von Clemens Neuhold, Fotos: Zoe Opratko<br />
Bilal Albeirouti flüchtete als Journalist nach Österreich.<br />
Nun ist er Straßenbahnfahrer in Wien. Eine<br />
Geschichte über das Scheitern, die Hartnäckigkeit,<br />
den Erfolg – und die verschlungenen Wege<br />
der Integration.<br />
„Foa“, sagt der Fahrlehrer. „Vor? Wohin vor?“, denkt sich<br />
der 39-jährige Fahrschüler Bilal Albeirouti. "Foa!",wiederholt<br />
der Fahrlehrer sein Kommando. "Vor?" Bilal versteht noch<br />
immer nur Bahnhof und erstarrt am Fahrersitz. "Fahren!",wird<br />
der Fahrlehrer langsam unrund. Jetzt versteht der Syrer und<br />
drückt den schwarzen Hebel mit der linken Hand nach vorn.<br />
Die Tramway setzt sich in Bewegung.<br />
Das war vor zwei Monaten. Seit zwei Wochen lenkt Bilal<br />
die Straßenbahnen der Wiener Linien allein durch die Stadt<br />
– mit bis zu 200 Fahrgästen im Rücken. Mit dem 2er oder<br />
D-Wagen umkreist er das Zentrum Wiens, den 38er oder<br />
43er führt er vom Schottentor weit hinauf in die Weinberge<br />
und wieder zurück. Insgesamt zehn Linien umfasst das Streckennetz,<br />
das er von seinem Bahnhof Hernals aus betreut.<br />
Der Syrer ist einer der ersten neuen Flüchtlinge in diesem<br />
Job.<br />
Als er Anfang 2016 am Hauptbahnhof in Wien ankommt,<br />
springen ihm diese „Maschinen“ sofort ins Auge. Straßenbahnen<br />
kennt er aus den Erzählungen seiner Mutter und<br />
von Bildern des historischen Damaskus. In der syrischen<br />
Hauptstadt wurden die Tramways 1967 eingestellt und durch<br />
Busse abgelöst. Dass er eine dieser Maschinen eines Tages<br />
selbst lenken würde, kommt Bilal damals nicht in den Sinn. Er<br />
hat ganz andere Pläne.<br />
Ex-biber-Textchef Clemens Neuhold<br />
gewann für diesen im „profil“ erschienenen<br />
Artikel einen Anerkennungspreis des<br />
Österreichischen Integrationsfonds.<br />
VOM JOURNALISTEN<br />
ZUM TRAMFAHRER<br />
Bilal Albeirouti arbeitet als Sport- und Chronikjournalist,<br />
bis er vor dem Syrienkrieg in den Libanon und dann weiter<br />
nach Österreich flüchtet. In Damaskus hat er einen Bachelor<br />
in Kommunikation abgeschlossen. Das Studium wird in<br />
Österreich anerkannt. Hier versucht er, im alten Beruf Fuß<br />
zu fassen. Er scheitert. Und steckt sich neue Ziele. Seine<br />
Geschichte zeigt, was gelingende Integration auch bedeutet:<br />
sich nicht an Träume vom leichten Leben im Westen zu<br />
klammern, an Bilder, die nicht selten die Schlepper zeichnen.<br />
Sondern: sich realistische Ziele zu setzen und diese hartnäckig<br />
zu verfolgen.<br />
Bilal lerne ich 2017 in der „biber“-Akademie kennen. Das<br />
Migrantenmagazin hat eine eigene Klasse für Flüchtlinge<br />
eingerichtet, ich leite einen Kurs. Bilal fällt mir auf, weil er zu<br />
allem etwas zu sagen hat und auch nicht vor heiklen Themen<br />
zurückschreckt. Nach der Akademie wird er freier Mitarbeiter<br />
bei „biber“. Er schreibt über ältere Österreicherinnen („Sugar<br />
Mamas“), die sich junge Flüchtlinge als Liebhaber nehmen<br />
und sie gegen Sex finanziell aushalten; über kleine Kinder,<br />
die Kopftuch tragen; Syrer, die „Millionen“ in ihre alte Heimat<br />
transferieren; Flüchtlinge, die ihre Selfies mit Sebastian Kurz<br />
löschen, weil sie mittlerweile Angst vor dem harten Kanzler<br />
haben. Wichtige Geschichten, die von anderen Medien<br />
aufgegriffen werden – und Bilal doch nicht zum Durchbruch<br />
als Journalist verhelfen. Denn er schreibt die Storys nicht<br />
allein. Sein Deutsch ist nicht gut genug dafür. Und er muss<br />
schmerzhaft erfahren, dass Journalismus im neuen Land keine<br />
sichere Bank ist, sondern eine Branche, in der es selbst<br />
für Österreicher immer schwerer wird. Bilal will einen stabilen<br />
Job, um seine Familie zu ernähren.<br />
ELF KILO ALS LETZTE HÜRDE<br />
Ich erinnere mich, wie er vor vier Jahren mit seiner Frau,<br />
seinem achtjährigen Sohn Mohamed und seiner eineinhalbjährigen<br />
Tochter Mira am Wiener Brunnenmarkt auftaucht.<br />
Wir arbeiten mit der biber-Akademie an einer Story über den<br />
türkisch geprägten Markt, auf dem sich syrische Händler<br />
immer stärker ausbreiten. Bilal zeigt uns stolz seine Tochter.<br />
Die Familie ist am Vortag aus dem Libanon angekommen. Er<br />
hat das Land verlassen, als seine Frau schwanger war. Erst<br />
am Wiener Flughafen konnte er Tochter Mira zum ersten Mal<br />
im Arm wiegen. Noch drei Monate lang nennt die Kleine ihn<br />
"Onkel".<br />
Bilal arbeitet als Rezeptionist in einem Hotel, lernt aus<br />
den Gesprächen mit älteren Gästen. Doch der Kampf mit der<br />
Sprache geht weiter. Er wechselt in die Security-Branche.<br />
Steht den ganzen Tag „wie eine Säule“ vor Banken. Stumm.<br />
Sein Deutsch schwindet wieder. Im Herbst 2020 wird er<br />
gekündigt. Einfach so. Zuvor schon hat er einen Lehrgang<br />
zum Einzelhandelskaufmann absolviert und Hunderte Bewerbungen<br />
verschickt. Kaum Rückmeldungen. Wenn doch:<br />
Lager. Bei den Wiener Linien klappt es erst im dritten Anlauf.<br />
Die letzte Hürde sind elf Kilo, die er zu viel auf die Waage<br />
bringt. Er speckt innerhalb von drei Monaten ab und startet<br />
im Jänner 2021 mit elf weiteren Personen. Drei Monate dauert<br />
die bezahlte Ausbildung in Theorie und Praxis. Verdienst:<br />
1800 Euro brutto.<br />
/ RAMBAZAMBA / 49
„Weiche. Schiene. Disponent. Am Anfang habe ich kein<br />
Wort verstanden“, erinnert sich Bilal. Drei Mal ist er kurz<br />
davor, aufzugeben. Seine Frau macht ihm Mut. Seine Ausbildner<br />
schenken ihm nichts. Der Job ist mit großer Verantwortung<br />
verbunden. Nur wer bei seiner ersten Solofahrt so<br />
sicher ist, dass er seine gesamte Familie mitnehmen würde,<br />
kommt durch den Kurs, lautet das Credo des Ausbildners.<br />
Bilal bezahlt einen ägyptischen Bekannten, der ihm die<br />
Skripten in einfache Worte übersetzt. Er lernt sie auswendig,<br />
auch am Wochenende. Bei der Prüfung beantwortet er alle<br />
<strong>23</strong> Fragen korrekt. Er besteht als einer von vier Kursteilnehmern.<br />
Andere Migranten, die hier geboren sind und länger<br />
Zeit hatten, Deutsch zu lernen, fallen durch. Bilal hat diesen<br />
Extraantrieb, der von seinen Vorgesetzten registriert und<br />
honoriert wird. Auf seiner Jungfernfahrt besteht Wiens neuer<br />
Bimfahrer aus Syrien darauf, dass seine gesamte Familie mit<br />
an Bord ist.<br />
Der Alltag eines Journalisten kann auf vielerlei Pfade<br />
führen, beim Straßenbahnfahren ist der Weg durch Schienen<br />
klar vorgegeben. Im Journalismus gibt es für gute Geschichten<br />
Likes im Internet und Schulterklopfer in der Redaktion.<br />
Beim Straßenbahnfahren ist es Pflicht, nicht Kür, die Intervalle<br />
einzuhalten, Kollegen rechtzeitig abzulösen, zwischen vier<br />
und fünf Uhr aufzustehen und Dienst am Wochenende zu<br />
schieben (freie Wochenenden sind ein Privileg von Dienstälteren).<br />
ZU 100 PROZENT ANGEKOMMEN<br />
Wie geht es meinem Kollegen Bilal mit diesem beruflichen<br />
Spurwechsel? Zunächst einmal ist er stolz. Auf die Tätigkeit,<br />
auf die Uniform. „Die Österreicher haben mich dorthin<br />
geführt, wo ich jetzt bin. Jetzt führe ich sie durch die Stadt.<br />
In die Arbeit, zu Freunden, durchs Wochenende.“ In der Fahrerkabine<br />
fühlt er sich als Herr der Straße, begegnet anderen<br />
Kollegen auf Augenhöhe. Selbst Polizisten grüßen ihn mit<br />
seiner Uniform wertschätzend. Wie sich das anfühlt, könne<br />
nur jemand nachvollziehen, der aus einem Land wie Syrien<br />
kommt, wo man Polizisten mit Angst begegnet, sagt Bilal.<br />
Als Journalist konnte mein Ex-Kollege sicher freier und<br />
kreativer arbeiten. Doch ohne Anstellung war er existenziell<br />
unfrei. Nun bekommt er 2100 Euro brutto, 14 Mal im Jahr,<br />
mit Zulagen für Nachtdienste und Wochenenden. Die Freiheit<br />
eines Bimfahrers ist anders gelagert. „Ich hole mir in der<br />
Früh am Bahnhof den Wagenpass und Fahrplan ab, dann<br />
nehme ich mir einen Zug. Nach der letzten Fahrt gehe ich<br />
nach Hause. Dazwischen habe die volle Verantwortung, was<br />
auf der Fahrt passiert und bin mein eigener Chef.“<br />
Im Pausenraum sitzt Bilal einer Kollegin gegenüber, die<br />
vor 21 Jahren begonnen hat – als eine der ersten Frauen. Sie<br />
macht ihren Job noch immer gerne. „Junge Kollegen geben<br />
heute schneller auf“, ist ein langgedienter Kollege überzeugt.<br />
Manche schaffen den Umstieg im Unternehmen und werden<br />
Disponenten (so heißen jene Taktgeber, die über die Einhaltung<br />
des Fahrplans wachen).<br />
Vorerst passt es für Bilal. Er fühlt sich zu „100 Prozent“<br />
angekommen. Was rät er Landsleuten, die noch unterwegs<br />
sind, die Mindestsicherung beziehen, Kurse belegen, Jobs<br />
wieder verloren haben – oder gar nicht versuchen, ins<br />
System Österreich hineinzukommen? Die weniger Antrieb<br />
oder Bildung haben als Bilal? Er kennt Familienväter, die in<br />
der Mindestsicherung nicht sehr viel weniger bekommen als<br />
er bei den Wiener Linien. 48 Prozent der Syrer in Österreich<br />
sind arbeitslos, Tendenz zuletzt wieder steigend.<br />
Bilal rät: „Gebt nicht auf. Ihr müsst nicht perfekt Deutsch<br />
sprechen. Probiert es einmal, zehn Mal, 100 Mal. Österreich<br />
wartet auf euch.“ Und noch eines motiviert ihn, um vier Uhr<br />
aufzustehen: die Staatsbürgerschaft. Die gibt es nur mit Job.<br />
Bilal will schon nächstes Jahr Österreicher werden. Danach<br />
fehlt eigentlich nur noch: eine Runde im Wiener Dialekt. Na<br />
oisdonn! ●<br />
Zum Autor: Clemens Neuhold war Textchef bei biber und<br />
ist jetzt Innenpolitik-Redakteur bei profil.<br />
HINTER DER GESCHICHTE<br />
Clemens Neuhold schreibt seit 2015 für das Nachrichtenmagazin<br />
profil und ist ein biber-Urgestein. Neben seiner<br />
Tätigkeit als Kurier-Redakteur steuerte er 2006 Texte für<br />
die ersten biber-Ausgaben bei. Danach wurde er biber-<br />
Textchef und Mitbegründer der Journalismus-Akademie,<br />
in der er immer wieder unterrichtete. 2017 lernte er in der<br />
biber-Flüchtlingsklasse den Syrer Bilal Albeirouti kennen.<br />
Er verfolgte dessen beruflichen Werdegang mit allen<br />
Höhen und Tiefen über Jahre – bis zu dessen Einfahrt in<br />
die Tram-Remise der Wiener Linien. Bei einer Testfahrt mit<br />
exzellenter Kurvenlage trafen sie sich für diese Geschichte,<br />
die 2021 im profil erschien, wieder. Die Story über<br />
Bilal wurde mit dem Winfra-Preis der Wiener Lienien und<br />
dem Anerkennungspreis des Österreichischen Integrationsfonds<br />
(ÖIF) ausgezeichnet. Albeirouti ist weiterhin als<br />
Tramfahrer in Wien unterwegs.<br />
50 / RAMBAZAMBA /
DIESER TEXT IST IM JÄNNER<br />
2022 ERSCHIENEN.<br />
MEINUNG<br />
„LIEBE GENERATION Z, WIR MÜSSEN ÜBER<br />
EURE ARBEITSMORAL SPRECHEN“<br />
Job-Bewerbungen per Instagram-DM, Sprachnachrichten statt E-Mails, persönliche<br />
Befindlichkeiten vor Arbeitsmoral. Revolutioniert die Generation Z gerade mutig und<br />
selbstbewusst die Arbeitswelt oder würde ein wenig alte, strenge Schule nicht schaden?<br />
Von Aleksandra Tulej<br />
Die Generation Z ist anders als wir Millenials. In vielerlei<br />
Hinsicht: Sie legen quasi „von klein auf“ Wert auf Diversität,<br />
Political Correctness, machen sich Gedanken um die<br />
Klimakrise und um ihre mentale Gesundheit. Alles Themen,<br />
die bei unserein in dem Alter zwar schon in den Startlöchern<br />
standen, aber bei Weitem keine Prioritäten waren.<br />
Vor allem aber ist die Gen Z mutiger, als wir es gewesen<br />
sind.<br />
Ich bin 29 Jahre alt und gehöre noch zu der Generation,<br />
in der Autoritäten, Hierarchien und Unterordnung<br />
eine riesige Rolle gespielt haben. Mit dieser „Ja-Sager“-<br />
Mentalität bin ich aufgewachsen. Sei es durch meine eher<br />
strenge Erziehung, durch meine konservative Schullaufbahn<br />
oder allgemein durch das damalige vorherrschende<br />
„Du hast auf Ältere und Erfahrenere zu hören“-Credo. War<br />
alles daran gut und richtig? Auf keinen Fall.<br />
Was aber die Arbeitswelt betrifft, konkret die Medienwelt,<br />
scheint sich hier ein Konflikt anzubahnen.<br />
Vielleicht spricht auch der Neid aus mir, da die jüngere<br />
Generation dieses scheinbar internalisierte Selbstbewusstsein<br />
und den Mut hat, Dinge zu tun, die für uns undenkbar<br />
gewesen wären. Seinem Chef am ersten Praktikumstag zu<br />
widersprechen, sich zu weigern, Aufgaben auszuführen<br />
oder nicht einmal daran zu denken, Ausreden zu erfinden,<br />
warum man eine Deadline verschlafen hat, scheint ganz<br />
unbedenklich zu sein.<br />
In unserer Redaktion herrschen seit jeher flache Hierarchien<br />
– mir fällt aber immer mehr auf, dass die immer jüngeren<br />
Nachwuchstalente diese noch mehr ebben wollen.<br />
Mit einer kompletten Selbstverständlichkeit, versteht sich.<br />
Aber in einem Umfeld, in dem es sowieso schon keine<br />
„von oben herab“-Mentalität gibt, finde ich das einfach<br />
respektlos. Sie meckern darüber, dass ein Termin „zu früh“<br />
ist, weil sie eigentlich ausschlafen wollen. Sie haben eine<br />
„bessere Idee“, wie man ein Thema journalistisch aufgreift<br />
– nur ist diese Idee mangels Erfahrung einfach nicht gut.<br />
Kritik vertragen sie aber nicht. Wozu auch, heutzutage<br />
kann sich jeder Journalist nennen, der Karussellposts zu<br />
gesellschaftskritischen Themen auf Instagram bastelt.<br />
Zurück zum Tagesgeschäft:<br />
Wir kriegen Praktikum-Bewerbungen per Instagram-<br />
DM, versehen mit Feen-Emojis und Herzchen. Ernst nehmen<br />
kann ich so etwas nicht. So habe ich zur Zeit meiner<br />
Praktika solche E-Mails verfasst: „Sehr geehrter Herr XY,<br />
ich verspäte mich heute 15 Minuten, die U-Bahn hatte<br />
eine Störung. Das kommt nie wieder vor, Entschuldigung.<br />
Hochachtungsvoll, Aleksandra Tulej.“<br />
„DUU, ALSO MIR GEHT’S HEUT NICHT SO GUT,<br />
ICH BIN NICHT SO GUT DRAUF. ICH KOMME DANN<br />
SPÄTER.“<br />
Jahre später, mittlerweile selbst in einer Führungsposition,<br />
bekomme ich von PraktikantInnen Sprachnachrichten mit<br />
dem Inhalt: „Duu, also mir geht’s heut nicht so gut, ich bin<br />
nicht so gut drauf. Ich komme dann später.“ Meine erste<br />
Reaktion: Geht’s noch? Mein zweiter Gedanke: Was, wenn<br />
ich eine verbitterte alte Frau bin, die in einem verrosteten<br />
Konstrukt festhängt, in dem mentale Gesundheit nicht<br />
einmal angesprochen wird? Um das zu unterstreichen,<br />
drücke ich mich so aus, wie es nur jemand (und dieser<br />
© Zoe Opratko<br />
52 / MIT SCHARF /
jemand kann kein Gen Z’er sein) tut, der gerade alle Folgen<br />
der neuen Sex-And-The-City-Fortsetzung in einem durch<br />
geschaut hat: Ich kam nicht umhin, mich zu fragen: Sind<br />
Millennials die neuen Boomer?<br />
„NEIN, ICH MUSS MEINEN HUND HOLEN.“<br />
Die Arbeitswelt wandelt sich – und das nicht erst seit<br />
gestern. Aber irgendwo habe ich diesen Sprung verpasst.<br />
Ich bin in einem Zwiespalt zwischen „Respekt, wie ihr das<br />
handhabt“ und „Wo bleibt der Respekt uns gegenüber?“.<br />
Diese Selbstverständlichkeit, mit der diese neue Generation<br />
in die Arbeitswelt einsteigt, sich ihre Rechte einfordert<br />
und Missstände aufzeigt ist mir neu. Davon können wir<br />
uns sicherlich etwas abschauen. Aber wenn jüngere KollegInnen<br />
nicht zu einem Zoom-Call erscheinen und „Nein, da<br />
bin ich gerade Essen.“ oder „Nein, ich muss meinen Hund<br />
holen.“ als komplett selbstverständliche Gründe während<br />
der Arbeitszeit ansehen, bin ich ehrlich gesagt baff.<br />
Melisa Erkurt schreibt in ihrer taz-Kolumne „Revolution<br />
in der Arbeitswelt: 9 to 5 ist so Boomer“ genau darüber.<br />
Ich muss beim Lesen durchgehend nicken, schmunzeln<br />
und auch den Kopf schütteln. Alles gleichzeitig.<br />
Die Pandemie hat auch ihr Ding getan: Nine to five gab<br />
es im Journalismus eh nie so wirklich, jetzt noch weniger.<br />
Die Frage ist nun: Was machen wir daraus? Irgendwann<br />
werden sie eh nach ihren eigenen Regeln spielen.<br />
Bis aber die Gen Z die komplette Arbeitswelt übernommen<br />
hat, wird sie einige Jahre noch mit uns Millennials und –<br />
oh Schreck – sogar mit verbleibenden Boomern kooperieren<br />
müssen. Und wir mit ihnen.<br />
Wie kriegen wir das also hin? Sollen wir nach der Pfeife<br />
der Gen Z tanzen und uns was von ihrer Arbeitsmoral<br />
abschauen? Sollen wir ihnen stärker klarmachen, dass sie<br />
sich bitte ein bisschen zurücknehmen sollen und dass sie<br />
nicht die wichtigsten Schneeflocken auf diesem Planeten<br />
sind? Wahrscheinlich nichts davon und beides gleichzeitig.<br />
Ich mache einmal den ersten Schritt und frage: Liebe Gen<br />
Z-LeserInnen, habt ihr eine Idee?<br />
In meiner gesamten biber-Laufbahn bekam ich auf keinen<br />
Text so viel Resonanz, wie auf diesen hier. Keine noch so<br />
aufwändige Recherche, keine Auslandsreportage, keine<br />
heikle-Community-Story: Nichts, das ich je produziert habe,<br />
hat derartige Reaktionen ausgelöst, wie dieser zynische Kommentar,<br />
den ich übrigens – jetzt kann ich’s ja zugeben – eines<br />
WAS SAGT DIE AUTORIN HEUTE?<br />
Nachmittags innerhalb von 20 Minuten heruntergetippt habe.<br />
Was folgte, war ein (teils eh berechtigter) Shitstorm seitens<br />
Gen Z-Fraktion und (oh, Wunder) Applaus Seitens Boomer-<br />
Etage: Ich frage mich bis heute, warum gerade dieser<br />
Kommentar für so viel Diskussionsstoff sorgt – die Medienanfragen<br />
zu dem Thema rieseln bis heute ununterbrochen ein.<br />
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Ende August 2024 vergibt die Stadt Wien wieder Lehrstellen<br />
für 15 verschiedene Lehrberufe. Darunter beispielsweise<br />
Tischler*in für alle handwerklich Begabten,<br />
Kraftfahrzeugtechnik für alle Autoliebhaber*innen und Verwaltungsassistenz<br />
für alle Organisationstalente. Die Stadt<br />
Wien setzt als eine der größten Arbeitgeberinnen Österreichs<br />
auf qualifizierte Lehrausbildung nach modernsten<br />
Standards. Mit der Lehre bei der Stadt Wien trägst du nicht<br />
nur dazu bei, die lebenswerteste Stadt mitzugestalten, sondern<br />
förderst auch dein individuelles Talent für die Zukunft.<br />
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und Anliegen und das alles fast gleichzeitig. Die Aufgaben<br />
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Das war die Vorstellung von nur einem der über<br />
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Na, möchtest du noch<br />
mehr erfahren? Alle Infos<br />
zu den verfügbaren Lehrstellen<br />
findest du hier:
Der leider mittlerweile verstorbene biber-Kolumnist Jad Turjman hat Ausgabe für Ausgabe seine scharfsinnigen Gedanken geteilt. Wir möchten<br />
ihm an dieser Stelle noch einmal die letzte Ehre erweisen. Jad, die gesamte biber-Redaktion verneigt sich vor dir.<br />
ICH BIN JETZT ÖSTERREICHER. ABER<br />
MIT SCHLECHTEM GEWISSEN.<br />
Liebe Leser:innen, nun ist es offiziell:<br />
Ich habe die österreichische Staatsbürgerschaft<br />
erhalten. Ihr könnt Österreich<br />
dazu gratulieren, dass ich sie angenommen<br />
habe. Als Österreicher möchte<br />
ich jetzt meine Meinung dazu äußern,<br />
dass wir zu viele Ausländer in unserem<br />
schönen Land haben. Man darf ja seine<br />
Meinung dazu haben. Also sage ich frei<br />
Von Jad Turjman,<br />
im Juni 2021<br />
an dem Leben hier teilhaben. Aber<br />
seit ich sie habe, verspüre ich einen<br />
bitteren Beigeschmack. Erstens weiß<br />
ich nicht, wie ich mich angesichts<br />
dessen fühlen soll. Ich bin immer noch<br />
derselbe Mensch wie vor einer Woche.<br />
Zweitens habe ich Schuldgefühle vor<br />
anderen, die die Staatsbürgerschaft<br />
viel notwendiger brauchen aber nicht<br />
heraus: Ausländer raus!<br />
Spaß beiseite, seit ich die Staatsbürgerschaft<br />
habe, spüre ich einen großen Drang nach Bier<br />
und danach, sexistische und rassistische Witze<br />
zu machen. Ich will jetzt nicht den Eindruck<br />
erwecken, dass alle Österreicher Alkoholiker<br />
sind. Ich will es nur behaupten. Nein, wirklich<br />
Spaß beiseite. Ich bin glücklich und sehr dankbar<br />
dafür, dass ich die österreichische Staatsbürgerschaft<br />
bekommen habe. Ich fühle mich jetzt<br />
davor sicher, dass irgendeine rechtsgesonnene<br />
Regierung mir mein Asyl entziehen könnte. Ich<br />
freue mich auch sehr darüber, dass ich in irgendein<br />
Nachbarland Syriens reisen kann und meine<br />
Familie dort endlich wieder in die Arme schließen<br />
kann. Und ganz wichtig, ich darf jetzt wählen und<br />
bekommen. Meine Bekannte Hayat lebt seit<br />
zwanzig Jahren in Österreich. Ihre drei Kinder sind<br />
hier geboren und aufgewachsen und nie in Syrien<br />
gewesen. Denn sie dürfen sowieso mit ihrem Konventionsreisepass<br />
nicht dorthin. Hayat ist wie die<br />
meisten Alleinerziehenden eine Heldin und Kämpferin<br />
bei der Bewältigung ihres Alltags. Als Kurdin<br />
war sie schon in Syrien staatenlos. Ihr Antrag auf<br />
österreichische Staatsbürgerschaft wurde nach<br />
zwei Jahren Verfahrensdauer mit der Begründung,<br />
sie verdiene zu wenig, abgelehnt, obwohl sie<br />
mehreren Arbeiten gleichzeitig nachgeht und in<br />
Summe mehr als ich verdient. Aber da sie für vier<br />
Personen aufkommen muss, entspricht ihr Gehalt<br />
nicht dem geforderten Limit. So bleiben sie und<br />
ihre Kinder immer noch staatenlos.<br />
IN MEMORIAM<br />
Am 29. Juli 2022 ist Autor, Kolumnist und<br />
Schriftsteller Jad Turjman bei einem Unfall in<br />
den Bergen tödlich verunglückt. Jad war ein<br />
Ausnahmeschriftsteller, der auch die schwersten<br />
Etappen seines Lebens mit viel Humor und<br />
Weitblick beschreiben konnte – und das in<br />
einer Sprache, die er erst nach seiner Flucht<br />
erlernte. Mit seinen Romanen, Kolumnen und<br />
Stand-Up-Programmen hat er nicht nur Menschen<br />
im gesamten deutschsprachigen Raum<br />
in ihrem tiefsten Inneren berührt, sondern<br />
auch gezeigt, was mit einer vorrausschauenden<br />
Lebenseinstellung wie seiner alles<br />
möglich sein kann.<br />
Er hat bei biber über sein Leben in Österreich<br />
geschrieben, und hatte die unglaubliche Gabe,<br />
ernste Themen stets humorvoll aufzugreifen,<br />
ohne sie dabei ins Lächerliche zu ziehen. Jad<br />
wurde nur 32 Jahre alt.<br />
Was bleibt, sind seine wundervollen Bücher<br />
und Kolumnen, die für die Ewigkeit zeigen,<br />
was für ein außergewöhnlicher Mensch und<br />
ein Vorbild er gewesen ist.<br />
Ruhe in Frieden, Jad.<br />
Robert Herbe<br />
54 / MIT SCHARF /
MEIN BRUDER HAT NICHT<br />
DIESELBE WERTIGKEIT AM<br />
FLUGHAFEN<br />
Ich habe auch meinem jüngeren Bruder<br />
gegenüber Gewissensbisse. Er hat vor<br />
Kurzem in Damaskus sein Rechtswissenschaftsstudium<br />
abgeschlossen und<br />
muss nun zum Militär einrücken. Aber<br />
er möchte verständlicherweise nicht Teil<br />
der Gewaltspirale werden. Also muss er<br />
das Land verlassen. Mit seinem syrischen<br />
Reisepass hat er kaum Möglichkeiten. In<br />
der gleichen Situation stand ich vor sieben<br />
Jahren. Ich weiß, von welcher Verzweiflung<br />
und Zerrissenheit man an dieser Stelle<br />
geplagt wird. Er schickt mir ständig Fotos<br />
und Videos von seinen spielenden kleinen<br />
Töchtern und fragt: „Wie kann ich die<br />
zwei verlassen?“ Wir sind Brüder, aber wir<br />
haben jetzt nicht mehr dieselbe Wertigkeit<br />
am Flughafen. Und das schmerzt. Ich<br />
liebe Österreich. Ich finde, es ist ein geiles<br />
Land. Ich habe mittlerweile einen emotionalen<br />
Zugang zu den Menschen, zu ihrem<br />
Dialekt und vor allem zur Natur. Aber der<br />
Weg, Österreicher zu werden, hat mir die<br />
behördliche Abwertung jener Menschen,<br />
die Österreicher werden wollen, klar verdeutlicht.<br />
Für die Staatsbürgerschaftsprüfung<br />
brauchen wir eine eigene Kolumne.<br />
Zweitausendzweihundert Euro hat mich<br />
das alles insgesamt gekostet. In anderen<br />
Ländern kostet es gar nichts oder nur<br />
einen symbolischen Betrag. In Kanada gibt<br />
es sogar ein Einbürgerungsgeschenk und<br />
einen kleinen Festakt. Ich habe meine Verleihungsurkunde<br />
per Post bekommen, und<br />
der Brief vom Landeshauptmann war nicht<br />
einmal personalisiert: „Liebe neue Österreicher...“<br />
Ich denke, dass es höchste Zeit ist,<br />
dass Österreich eine Reform zur Erlangung<br />
der Staatsbürgerschaft vornehmen sollte.<br />
Und zum neuesten Kommentar des Herrn<br />
Bundeskanzlers, der die Erleichterung des<br />
Zuganges zur Staatsbürgerschaft als Entwertung<br />
sieht, frage ich mich, was ist mehr<br />
entwertend für Österreich? Hayats Kindern<br />
die Staatsbürgerschaft zu geben oder das<br />
rassistische Gedankengut solcher Politiker?
OLDIE<br />
2016<br />
ALLER ANFANG<br />
„Was ist dran am Schwabo-Mann?“ haben wir uns<br />
2009 gefragt und Dating-Klischees bei Migras vs.<br />
Österreichern analysiert. Basierend auf persönlichen<br />
Anekdoten und Zuspitzungen natürlich.<br />
Alles an diesem Cover schreit 2009: Das Wording<br />
(würden wir heute nicht mehr so machen), das<br />
Foto (würden wir heute nicht mehr aufs Cover<br />
packen), die Geschichte – nunja, 2009 war sie ein<br />
absoluter Renner, sagen die früheren biber-Leute.<br />
© Moritz Schell<br />
56 / MIT SCHARF /
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BUREK VON MAMA GANZ OHNE FLEISCH?<br />
Ja du hast richtig<br />
gelesen! Ich habe das<br />
Experiment gewagt,<br />
das Burek-Rezept von<br />
meiner Mama ganz<br />
ohne Fleisch auszuprobieren.<br />
War meine<br />
Mama skeptisch? Ja!<br />
Hat es trotzdem funktioniert?<br />
Und wie! Und<br />
weil der fleischlose<br />
Burek so ein Hit war,<br />
gibt’s jetzt das Rezept<br />
zum nachkochen! Viel<br />
Spaß dabei & prijatno!<br />
Alles was ihr braucht<br />
für vier Portionen:<br />
Für den Teig<br />
● 1kg Weizenmehl universal<br />
● 5 TL Salz<br />
● 550ml lauwarmes Wasser<br />
● 150ml Sonnenblumenöl<br />
● 1kg Weizenmehl universal<br />
Für die Füllung<br />
● 2 Packungen Veganes<br />
Faschiertes von Spar Veggie<br />
● zwei Zwiebeln<br />
● zwei Knoblauchzehen<br />
● 2 EL Vegeta<br />
● 2 TL Paprikapulver<br />
● eine Prise Pfeffer<br />
● 1 EL Sonnenblumenöl<br />
Zuerst machen wir den Teig:<br />
Mischt 1kg Mehl mit 5TL Salz,<br />
550ml lauwarmen Wasser & 150 ml<br />
Sonnenblumenöl zusammen und<br />
knetet es zu einer Kugel zusammen.<br />
Danach den Teig zum Schlafen<br />
legen & mit einem feuchten<br />
Tuch überdecken.<br />
Wichtig: Das Wasser muss lauwarm<br />
sein, sonst kann der Teig nicht so<br />
gut aufgehen.<br />
Während der Teig ruht, machen<br />
wir unsere Füllung. Mische jetzt das<br />
vegane Faschierte mit der Zwiebel,<br />
zwei Knoblauchzehen, 1EL Rapsöl<br />
sowie 2EL Vegeta, 2TL Paprikapulver<br />
& 1TL Pfeffer zusammen.<br />
Zusätzlich noch einen Schuss Sojasauce<br />
hinzufügen.<br />
Das Prinzip beim Würzen ist: mehr<br />
ist mehr.<br />
Während dem Warten etwas<br />
Butter, eine Prise Vegeta sowie<br />
zwei Knoblauchzehen in einem Top<br />
erhitzen.<br />
Danach die Füllung am Rand verteilen<br />
& etwas von der erhitzen Butter<br />
draufgeben<br />
Zum Schluss einrollen und auf ein<br />
eingeöltes Blech in Schneckenform<br />
eindrehen<br />
Das Ganze dann für rund 30-40min.<br />
(je nachdem wie stark euer Backrohr<br />
ist) bei 220 Grad backen bis es<br />
goldbraun ist.<br />
Nachdem der Teig ca. 20 Minuten<br />
ruhen durfte, wird er mit einem<br />
langen Nudelholz auf BKS oklagija<br />
genannt ausgerollt. Danach etwas<br />
Sonnenblumenöl darauf tropfen und<br />
für 10 Minuten ruhen lassen.<br />
Et voilà fertig ist euer fleischloser<br />
Burek! Empfohlene Einnahme mit<br />
Ajran, Krautsalat & Ajvar.<br />
Kleiner Tipp: Wenn ihr Kartoffeln<br />
in die Füllung untermischt, wird’s<br />
noch besser!
REPORTAGE<br />
2022<br />
Österreichische Post AG; PZ 18Z041372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1070 Wien<br />
www.dasbiber.at<br />
MIT SCHARF<br />
SEPTEMBER<br />
2022<br />
+<br />
HEINZ FISCHER SPIELT<br />
FUSSBALL<br />
+<br />
MARCO POGO<br />
IN ZAHLEN<br />
+<br />
HAUPTBERUF<br />
VERSUCHSKANINCHEN<br />
+<br />
WIR KINDER<br />
VOM STADTPARK<br />
HEROIN, PROSTITUTION UND OBDACHLOSIGKEIT:<br />
WIENS VERGESSENE JUGEND WIR KINDER VOM STADTPARK<br />
Speed, Heroin, Crystal Meth, Prostitution und<br />
Obdachlosigkeit gehören zu ihrem Alltag, sie sind<br />
+ + + WAHL-SPEZIAL: DIE BP-KANDIDATEN durch alle IM sozialen CHECK Netze + gefallen: + + Wir trafen<br />
Wiens vergessene Kinder, die von der Gesellschaft<br />
längst aufgegeben wurden und selbst<br />
keine Zukunft mehr sehen. Die Reportage schlug<br />
hohe Wellen, danach zog es auch Medien wie<br />
den Falter in den Stadtpark. Das Cover wurde für<br />
die Geschichte übrigens, wie so oft in biber‘scher<br />
Tradition – nachgestellt.<br />
© Zoe Opratko<br />
58 / MIT SCHARF /
gemeinsam besser leben<br />
9 bis 5?<br />
Sicher nicht<br />
mit mir!<br />
Sag uns, wie DU arbeiten<br />
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Tanja Köb,<br />
Kundenberaterin,<br />
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DIE PARTNER:INNEN<br />
DES <strong>BIBER</strong><br />
„Guter Journalismus schafft Verständnis:<br />
Indem er Einblicke in das Leben anderer<br />
vermittelt, berührt, verbindet, Probleme<br />
und Lösungen aufzeigt. Biber hat<br />
Geschichten geschrieben, die in der<br />
österreichischen Medienlandschaft fehlen<br />
werden. Deshalb war biber immer ein<br />
wichtiger Partner des ORF.“<br />
Martin Biedermann<br />
Leiter Marketing und Kommunikation ORF<br />
„Die Einstellung des Magazins biber ist<br />
ein herber Verlust für die österreichische<br />
Medienlandschaft. Die innovativen Artikel<br />
mit einer gesalzenen Prise Pul Biber zeugten<br />
von „würzig-scharfem“ Journalismus. Wir<br />
wünschen allen biber-Mitarbeiter*innen alles<br />
Liebe und Gute für die Zukunft und möchten<br />
uns für die Arbeit und das Herzblut aufrichtig<br />
bedanken.“<br />
Herbert Schweiger<br />
Geschäftsführer der Wiener Volkshochschulen<br />
„In der Wiener Städtischen sind mehr als 40<br />
Nationalitäten vertreten. Wir schätzen diese<br />
Vielfalt, denn unterschiedliche Nationalitäten<br />
bringen unterschiedliche Ideen, Perspektiven<br />
und Lösungsansätze ein. Faktoren, die auch<br />
im Journalismus unverzichtbar sind. Aus<br />
diesem Grund war die Wiener Städtische ein<br />
verlässlicher Partner der biber Akademie!“<br />
Sabine Toifl<br />
Leitung Werbung und Sponsoring, Wiener Städtische Versicherung<br />
„Als internationaler Konzern war es der<br />
OMV besonders wichtig engagierte<br />
Jungjournalist:innen mit internationalen<br />
Wurzeln in der biber Akademie zu<br />
unterstützen, um Weltoffenheit und<br />
unterschiedliche Betrachtungsweisen<br />
zu fördern. Die bunte Vielfalt von biber<br />
mit Scharf wird in der österreichischen<br />
Medienlandschaft fehlen. Wir bedanken uns<br />
für die jahrelange gute Zusammenarbeit<br />
mit dem gesamten Redaktionsteam!“<br />
OMV Presse-Team<br />
„Das biber hat Würze und Schärfe<br />
in die Medienlandschaft gebracht,<br />
das wird sehr fehlen. Denn für mich<br />
hat das Biber den Vielen und ihren<br />
Lebensrealitäten eine Stimme gegeben –<br />
so wie die Arbeiterkammer das tut. Das<br />
tun leider nicht viele Medien im Land,<br />
umso schmerzlicher ist das Ende. Allen<br />
Mitarbeiter:innen wünsche ich eine gute<br />
Zukunft!“<br />
Renate Anderl<br />
Arbeiterkammer Präsidentin<br />
60 / MIT SCHARF /
„Das biber war über Jahre eine Bereicherung<br />
der Medienvielfalt in Österreich. Hier wurden<br />
zahlreiche journalistische Karrieren begründet<br />
und geprägt. Das biber war eine Institution, an dem<br />
Menschen an sich und eine offenere und inklusivere<br />
Gesellschaft geglaubt haben. Österreichs<br />
Medienlandschaft verliert durch die Einstellung<br />
des Magazins an Farbe – und Schärfe.“<br />
Das Presseteam der Erste Bank<br />
„Wien steht für Vielfalt. Spar steht für<br />
Vielfalt. Das biber steht für Vielfalt. Neben<br />
der journalistischen Qualität und dem<br />
redaktionellen Mut war das ein Hauptgrund<br />
für die jahrelange Zusammenarbeit<br />
zwischen SPAR und ,biber mit scharf‘.“<br />
Hannes Glavanovits<br />
Leiter Werbung und Information SPAR-Zentrale St. Pölten<br />
„biber steht für Vielfalt und<br />
Verständigung zwischen Menschen.<br />
Diese Werte sind für die Europäische<br />
Union elementar. Auch deshalb haben<br />
wir biber gerne unterstützt. Mit der<br />
Einstellung von biber verliert die<br />
Medienlandschaft gehörig an Würze.<br />
Wir wünschen den engagierten<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern<br />
alles Gute und hoffen auf ein baldiges<br />
Wiederlesen.“<br />
Martin Selmayr<br />
EU-Botschafter<br />
Hey du!<br />
Kein Plan was du mit<br />
deiner beruflichen<br />
Zukunft anstellen<br />
willst?<br />
Unser Tipp:<br />
Die IT ist und bleibt<br />
die Branche der<br />
Zukunft!<br />
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Von Supermarktkassen bis zu smarten<br />
Rasenrobotern – die IT ist überall,<br />
vernetzt Menschen, treibt die Wirtschaft<br />
voran und spart Ressourcen.<br />
In der Welt der IT gibt es unendlich viele<br />
Möglichkeiten. Die IT ist ein riesiges Netzwerk<br />
von Expert:innen, die gemeinsam die Zukunft<br />
gestalten.<br />
Was es alles gibt!<br />
Einen österreichweiten Überblick über die<br />
vielfältigen Bereiche und Berufe in der IT,<br />
zeigt die IT-Ausbildungsdatenbank, initiiert<br />
von der Fachgruppe UBIT Wien. Von der<br />
Softwareentwicklung über Netzwerksicherheit<br />
bis hin zu künstlicher Intelligenz – es gibt eine<br />
breite Palette von Ausbildungsmöglichkeiten<br />
für Ein- und Umsteiger:innen in die IT.<br />
IT-Expert:innen sind gefragter denn je.<br />
Wer eignet sich für die IT? Man muss kein<br />
Mathe-Genie sein, aber kreativ und<br />
lösungsorientiert und offen für einen Job,<br />
der sich ständig weiterentwickelt.<br />
Einen Job, in dem Flexibilität, Kompetenz und<br />
Wissen zählen und nicht Geschlecht, Alter<br />
oder Herkunft.<br />
Tipp für UBIT Unternehmer:innen.<br />
Noch bis Ende des Jahres läuft die<br />
Einreichfrist für den Bildungsbonus der<br />
Fachgruppe UBIT. Gefördert werden<br />
Kurskosten für Aus- und/oder Weiterbildung.
RAMBAZAMBA<br />
2022<br />
Österreichische Post AG; PZ 18Z041372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1070 Wien<br />
www.dasbiber.at<br />
MIT SCHARF<br />
OKTOBER<br />
2022<br />
+<br />
IRANISCHE<br />
REVOLUTION IN WIEN<br />
+<br />
HÄUPL IN ZAHLEN<br />
+<br />
LIEBE ZU DRITT<br />
+<br />
WIR FAHREN NICHT<br />
MEHR RUNTER<br />
NIEMAND FÄHRT MEHR RUNTER.<br />
Die Sommer in der Heimat sind nicht mehr so, wie<br />
WENN DAS HEIMATDORF DER ELTERN wir sie aus unserer AUSSTIRBT<br />
Kindheit kennen: Man trifft auf<br />
Stille statt großen Familienfesten und Grabkerzen<br />
statt Pralinen. Sind wir die letzte Generation, die<br />
noch „runterfährt?“ Wir haben darüber geschrieben,<br />
warum immer mehr Migra-Kids nicht mehr<br />
die Heimat ihrer Eltern besuchen wollen: Maria<br />
Lovrić-Anušić hat mit dieser Geschichte einen<br />
Nerv getroffen, die Resonanz aus der Ex-Yu-Community<br />
war riesig.<br />
© Zoe Opratko<br />
62 / MIT SCHARF /
COVER<br />
2016<br />
HELDEN OHNE BEINE<br />
Ukrainische Soldaten, die der Krieg in der Ostukraine<br />
zu Invaliden gemacht hat, lernten in einem<br />
Rehabilitationszentrum in Österreich wieder das<br />
Gehen. Und wir haben sie interviewt und abgelichtet.<br />
Dieses Cover hat 2015 gleichermaßen<br />
für Bewunderung und Kritik gesorgt: die russische<br />
Botschaft zeigte sich not amused, Fotochef<br />
Marko Mestrović, der das Cover fotografiert hatte,<br />
gewann über Nacht 35.000 Follower auf Instagram<br />
dazu.<br />
© Marko Mestrović<br />
64 / MIT SCHARF /
BENOÎT PIÉRON<br />
Monstera deliciosa<br />
26.1O.2O<strong>23</strong>—7.1.2O24<br />
MuseumsQuartier<br />
Museumsplatz 1, A-1070 Wien<br />
www.mumok.at<br />
Benoît Piéron, Moniqa, 20<strong>23</strong>, polymer paste, customized snow<br />
globe, figure made by Marie Dumas / L’ Atelier Lyonnais,<br />
Courtesy Galerie Sultana, Paris, Photo: Deinhardstein © mumok
UNDERCOVER<br />
2016<br />
VERHÜLLTE MISSION<br />
Als Reaktion auf die umstrittene „Islam-Kindergarten-Studie“<br />
von Ednan Aslan hat biber sich 2016<br />
selbst ein Bild gemacht: Nour Khelifi besuchte<br />
undercover 14 der sogenannten „Islam-Kindergärten“<br />
– unter dem Vorwand, ihren ausgedachten<br />
Sohn dort anmelden zu wollen. Das Fazit: Die<br />
Einrichtungen waren von höchst unterschiedlicher<br />
Qualität, aber in keinem einzigen der Kindergärten<br />
konnte die Journalistin radikale Tendenzen<br />
aufspüren – für die großartige journalistische<br />
Leistung rieselte es wohlverdiente Preise.<br />
© Marko Mestrović<br />
66 / MIT SCHARF /
Ich hab‘ ein Händchen<br />
fürs Sparen.<br />
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holen &<br />
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KONTROVERSE<br />
2017<br />
Österreichische Post AG; MZ 09Z038106 M; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1070 Wien<br />
www.dasbiber.at<br />
MIT SCHARF<br />
NEWCOMER<br />
SCHOOL<br />
EDITION<br />
WINTER 2017/18<br />
DIE LETZTEN<br />
ÖSTERREICHER<br />
AFGHANINNEN<br />
ÜBER TABUS<br />
ZU DICK FÜR<br />
DIE LIEBE<br />
+<br />
RAF<br />
CAMORA<br />
GEWINNE<br />
T<br />
I C K E T S<br />
BETEN &<br />
SAUFEN<br />
ZWISCHEN GLAUBE UND HEIMLICH VERSUCHUNG<br />
HARAM<br />
Hijab und Bierflasche: Dürfen wir das? Dieses<br />
Cover sorgte gleichermaßen für Staunen,<br />
Bewunderung aber auch Entsetzen. Ein klarer Fall<br />
von „Würden wir heute nicht mehr so machen.“<br />
2017 haben wir‘s aber gemacht, um die Reportage<br />
„Heimlich Haram“ zu bebildern. Aleksandra<br />
Tulej sprach damals mit jungen Muslimen in<br />
Wien, die ein Doppelleben zwischen Glaube und<br />
Versuchung führten. Es war auch das erste Cover<br />
unserer späteren Fotochefin Zoe Opratko.<br />
<strong>BIBER</strong> 11_17 ME _AS.indd 1 28.11.17 02:32<br />
© Zoe Opratko<br />
68 / MIT SCHARF /
ANWALT<br />
Hannes<br />
Havranek von<br />
der Kanzlei FSM<br />
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hat biber seit<br />
der Gründung<br />
rechtlich beraten<br />
© Natascha Unkart<br />
Lieber Hannes,<br />
in 16 Jahren hat der Verlag kein einziges<br />
Gerichtsverfahren führen müssen. Das<br />
haben wir auch deiner sehr umsichtigen<br />
Beratung zu verdanken. Du hast uns bei<br />
heiklen Storys, investigativen Geschichten<br />
und anderen rechtlichen Themen stets<br />
bestens begleitet. Der biber-Verlag dankt<br />
dir für diese tolle Zusammenarbeit!
ILLUSTRATION<br />
20<strong>23</strong><br />
Österreichische Post AG; PZ 18Z041372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1070 Wien<br />
www.dasbiber.at<br />
MIT SCHARF<br />
APRIL<br />
20<strong>23</strong><br />
+<br />
ARZT ODER<br />
ENTTÄUSCHUNG<br />
+<br />
SCHULDIG<br />
GESHOPPT<br />
+<br />
2 MONATE NACH<br />
DEM ERDBEBEN<br />
+<br />
„ABENDLAND IN<br />
MIGRANTENHAND?“<br />
DEN NAGEL AUF DEN KOPF<br />
Bei Cover-Entscheidungen waren wir uns selten<br />
WIE AUSLÄNDERHASS WIEDER gleich SALONFÄHIG alle einig, oft haben WIRDwir viel herumdiskutiert<br />
und gegrübelt. Außer da: Als Aliaa Abou<br />
Khaddour im April 20<strong>23</strong> diese kreative und smarte<br />
Illu für uns entwarf, gab es aus der Redaktion<br />
ein einstimmiges „Habemus Cover!“. Die Illustration<br />
für die Coverstory über den Rechtsruck<br />
und Ausländerhass in Österreich erfreute sich auf<br />
Instagram großer Beliebtheit. Nur zurecht, wie wir<br />
finden.<br />
© Aliaa Abou Khaddour<br />
70 / MIT SCHARF /
© 20<strong>23</strong> McDonald's. In allen teilnehmenden Restaurants in Österreich. Produkt mit Schmelzkäsezubereitung.<br />
Alle panierten Hühnerprodukte aus Hühnerfleischstücken geformt und zusammengefügt.<br />
Ausgenommen Fremdmarken.
WIEN GÜNSTIG ERLEBEN<br />
MIT DEM VORTEILSCLUB DER STADT WIEN<br />
Sparen leicht gemacht. Mit den neuen Angeboten<br />
des Vorteilsclubs der Stadt Wien kannst du noch<br />
günstiger in den Club, ins Theater, ins Fitnesscenter<br />
oder in den Prater. Wie? Das zeigen wir dir hier!<br />
Egal ob Punschtrinken, Essen gehen, ins Kino<br />
oder in den Prater – die ständig wachsende<br />
Auswahl an Angeboten des Vorteilsclubs der<br />
Stadt Wien erstreckt sich jetzt über Alltag,<br />
Restaurants, Events, Museen – und und und.<br />
Außerdem kannst du auch bei über 200<br />
Gewinnspielen Tickets für Kino-Premieren,<br />
Musicals, Konzerte und Sportevents ergattern.<br />
Als Mitglied im Vorteilsclub kannst du<br />
von Rabatten zwischen 20 und 50 Prozent<br />
profitieren – klingt nicht schlecht angesichts<br />
der aktuellen Teuerung, oder? Zudem<br />
erwarten dich spezielle Angebote wie der<br />
Prater-Montag und der Volkstheater-Sonntag.<br />
Die einzige Bedingung? Du musst älter als<br />
16 Jahre alt sein.<br />
© Julius Silver
BEZAHLTE ANZEIGE<br />
© Stefan Diesner<br />
Am besten bleibst du natürlich mit der Stadt<br />
Wien-App up-to-date. Vom Überblick über die<br />
Gewinnspiele und Partner-Unternehmen des Vorteilsclubs<br />
über Informationen via Push-Nachrichten<br />
bis hin zur Teilnahme an Gewinnspielen oder<br />
das Einlösen von Ermäßigungen – all das geht am<br />
einfachsten über die Stadt Wien-App. Zusätzlich<br />
kannst du die Stadt Wien-App auch als Vorteilsclub-Karte<br />
nutzen – einfach die App runterladen<br />
und deine Mitgliedsnummer im Profil eingeben:<br />
wien.gv.at/app<br />
WIEN-WIN-SITUATION<br />
Der Vorteilsclub der Stadt Wien bietet dir vielseitige<br />
Freizeitangebote rund um die lebenswerteste<br />
Stadt der Welt. Egal ob Freizeittipps, zahlreiche<br />
Gewinnspiele oder Ermäßigungen – hier ist für<br />
jede*n was dabei. Das freut nicht nur die über<br />
135.000 Wiener*innen, die bereits Clubmitglied<br />
sind, sondern auch die Wiener Wirtschaft. Also<br />
eine Wien-Win-Situation sozusagen.<br />
WIE MELDE ICH MICH AN?<br />
Scanne den QR Code<br />
damit du direkt eine<br />
Übersicht aller Vorteile<br />
bekommst:<br />
vorteilsclub.wien.at<br />
Nach der kostenlosen Registrierung<br />
kannst du direkt alle Rabatte nutzen.<br />
ibreakstock./Canva<br />
VORTEILSCLUB DER<br />
STADT WIEN<br />
Kostenlos<br />
Einzigartig<br />
Unvergessliche<br />
Events<br />
Einmalige<br />
Gewinnspiele<br />
Mindestens<br />
20 Prozent<br />
Ermäßigung<br />
Exklusive Einblicke<br />
in die Stadt Wien
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GÜNSTIGER IN DEN CLUB ODER INS KINO<br />
Seit Anfang 2022 hat der Vorteilsclub der Stadt Wien sein Portfolio an Angeboten auf über 600 erweitert.<br />
Auch wenn alles gerade teurer wird, kannst du so deine Freizeit in Wien nach wie vor vielfältig und günstig<br />
gestalten. Über 550 Wiener Unternehmen bieten Rabatte von bis zu 50% an. Was das genau heißt?<br />
Du kommst an bestimmten Tagen<br />
günstiger in Clubs rein, wie z.B. ins<br />
Weberknecht oder ins Werk – inklusive<br />
Fast Lane.<br />
Wenn du es gemütlicher magst und<br />
auf klassische Wiener Kaffehauskultur<br />
stehst: Mit dem Vorteilsclub<br />
kriegst du z.B. im Café Landtmann<br />
20 Prozent Rabatt auf deine Rechnung<br />
gegen Vorreservierung.<br />
Dir ist mehr nach einem Burger?<br />
Auch kein Problem: Für die Burger<br />
Boutique im 17. Bezirk gilt dasselbe.<br />
Und wenn du dich nach dem ganzen<br />
Sitzen mal bewegen willst, kannst du<br />
bei Garage Gym für -20% auf deinen<br />
Mitgliedsbeitrag eine Runde Pumpen<br />
gehen.<br />
WIE KANNST DU<br />
PARTNER WERDEN?<br />
Nicht nur die Wiener*innen profitieren<br />
vom Vorteilsclub der Stadt Wien, sondern<br />
auch die Wiener Wirtschaft. Bist du selbst<br />
Unternehmer*in? Dann kannst auch du<br />
Teil des Vorteilsclubs werden. Du kannst<br />
ganz einfach deine Angebote über den<br />
Vorteilsclub präsentieren und generierst<br />
somit noch mehr Bekanntheit für dich<br />
und deine Firma. Dein Unternehmen wird<br />
dann über die Stadtzeitung MEIN WIEN,<br />
via Social Media, Newsletter, die Stadt<br />
Wien-App, die Website oder bei Events<br />
präsentiert. Alle Infos dazu findest du<br />
unter vorteilsclub.wien.at/b2b-kontakt<br />
Wenn du dann immer noch zu viel<br />
Energie hast: Am Prater-Montag<br />
bekommst du bei vielen Fahrgeschäften<br />
1+1 gratis Tickets und beim<br />
Wintermarkt am Riesenradplatz auch<br />
noch Ermäßigungen auf ausgewählte<br />
Speisen und Getränke bei gekennzeichneten<br />
Hütten.<br />
Natürlich kommt das Kulturangebot<br />
auch nicht zu kurz: Ob Mozarthaus<br />
Vienna, Burgtheater, Beethoven<br />
Museum oder CasaNova Vienna:<br />
Auch hier gibt’s Rabatte und 1+1<br />
gratis Tickets.<br />
Wie du siehst, gibt es mehr als genug Auswahl.<br />
Wir empfehlen: Einfach mal Durchklicken!<br />
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EMPOWERMENT<br />
2020<br />
Österreichische Post AG; PZ 18Z041372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1070 Wien<br />
www.dasbiber.at<br />
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BOTSCHAFTER<br />
IN ZAHLEN<br />
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FLÜCHTLING<br />
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ŠVABO-LEHRER<br />
+<br />
MIT SCHARF<br />
NEWCOMER<br />
SCHOOL<br />
EDITION<br />
JUNI 2022<br />
„SEI EIN MANN!“<br />
DER KAMPF EINER JUNGEN SERBIN UM IHRE IDENTITÄT<br />
© Zoe Opratko<br />
WIR BESTIMMEN. PUNKT.<br />
In unserer beliebten Empowerment-Reihe haben<br />
Frauen aus den unterschiedlichen Migra-Communities<br />
in Wien immer wieder ihre persönlichen<br />
Selbstbestimmungs-Geschichten erzählt und<br />
somit Tabus und veraltete Rollenbilder durchbrochen.<br />
Ob Jungfrauenmythos, Sexualität, konservative<br />
Familienverhältnisse: Unzählige Leser:innen<br />
haben sich in diesen Geschichten wiedergefunden.<br />
Die Reihe wurde durch den ÖIF finanziert.<br />
/ MIT SCHARF / 75
KARRIERE & KOHLE<br />
Para gut, alles gut<br />
Von Šemsa Salioski<br />
FOMO („FEAR OF MISSING OUT“) WAR GESTERN!<br />
New year new me! Lasst uns ehrlich sein, jede*r von uns hat diesen<br />
Satz schon mal gesagt. Für viele Menschen ist das neue Jahr wie ein<br />
Neustart. Lästige Angewohnheiten werden im alten Jahr gelassen und<br />
im neuen Jahr wird voll durchgestartet. Fair enough! Aber wer hat das<br />
wirklich langfristig durchgezogen? Oft braucht es eine Stütze, jemanden,<br />
der uns beisteht und mit uns unseren inneren Schweinehund bekämpft.<br />
Die VHS ist unser Fels in der Brandung. Mit Kreativkursen, Kochkursen,<br />
Bewegungskursen, Kursen zur Persönlichkeitsentwicklung und vielen mehr<br />
bietet sie nicht nur eine riesige Auswahl an guten neuen Gewohnheiten,<br />
sondern hilft uns auch noch diese langfristig beizubehalten. First Step um<br />
den inneren Schweinehund loszuwerden -> vorbeischauen auf www.vhs.at<br />
MEINUNG<br />
Wenn sich eine Tür schließt,<br />
öffnet sich eine andere<br />
Meine letzten Wochen waren zugegebenermaßen<br />
sehr tränenreich.<br />
Ich musste mich nämlich gleich von<br />
zwei Jobs verabschieden: Einmal via<br />
Kündigung von einer Vollzeitstelle als<br />
Redakteurin, die mir zwar meine lang<br />
ersehnte finanzielle Sicherheit geboten<br />
hatte, aber vom toxischsten Chefredakteur,<br />
der mir je über den Weg gelaufen<br />
war, geführt wurde. Und zum Zweiten<br />
musste ich Tschüss zu Biber sagen,<br />
meiner ersten journalistischen Liebe,<br />
die ich seit der Schulzeit kannte und für<br />
die ich seit 2016 gearbeitet habe. Einer<br />
der beiden Abschiede ist mir klarerweise<br />
schwerer gefallen als der andere.<br />
Biber, der Spirit und das vielfältige<br />
Team dahinter, vor allem unter der<br />
Leitung unserer unfassbar talentierten<br />
Chefredakteurin Aleksandra, werden<br />
niemals ersetzt werden können. Das<br />
Magazin bleibt wohl als eines der<br />
wertvollsten Medienprodukte dieses<br />
Landes in Erinnerung. Wir wissen alle,<br />
dass Leute mit Namen wie dem meinen<br />
sich in Österreich ohne Biber oft nur<br />
in ihren Träumen hätten Journalist:in<br />
nennen können. Passend dazu wird mir<br />
natürlich auch meine Kolumne schrecklich<br />
fehlen, die es mir erlaubt hat, zwei<br />
Jahre lang als Migra-Arbeiter:innenkind<br />
Struggles und Tipps rund um Uni oder<br />
Arbeit mit anderen zu teilen. Ob gute<br />
oder schlechte Erfahrungen – Abschied<br />
bedeutet immer Unsicherheit. Ich<br />
habe den Satz, den ich für meine<br />
letzte Kolumne als Titel gewählt habe,<br />
selbst immer gehasst. Ja, ich bin<br />
ein Gewohnheitstier, aber manchmal<br />
muss man darauf vertrauen, dass sich<br />
nach einem bitteren Ende die nächste<br />
Tür öffnet. Dass es bei mir so schnell<br />
ging, hat mich selbst überrascht. Die<br />
Zusage für meinen neuen Job, um<br />
den ich mich ohne Kündigung niemals<br />
beworben hätte, kam nur zehn Tage<br />
danach. Und wisst ihr was? Ich habe<br />
vor rund zwei Jahren in einem Podcast<br />
erwähnt, dass ich, neben meiner<br />
Arbeit als Journalistin, „irgendwann“ im<br />
Bereich Entwicklungszusammenarbeit<br />
tätig sein will. „Irgendwann“ scheint<br />
jetzt zu sein – und das gleich als<br />
Referentin für Öffentlichkeitsarbeit mit<br />
eigenem „Biro“ – das lässt die Herzen<br />
von Balkan-Arbeiter:inneneltern gleich<br />
höher schlagen! Nein, im Ernst. Ich bin<br />
überglücklich und werde Biber ewig<br />
dafür dankbar sein, dass es Leuten<br />
wie mir den Weg zu unseren Träumen<br />
erleichtert hat.<br />
salioski@dasbiber.at<br />
CONTENT<br />
CREATOR:INNEN,<br />
DENEN IHR<br />
FOLGEN SOLLTET<br />
Die Idee, andere bei Geld- oder<br />
Karrierefragen zu unterstützen, hatte<br />
natürlich nicht nur ich. Folgt, wenn ihr<br />
nach Inspiration oder Problemlösungen<br />
sucht, gerne den folgenden drei<br />
Instagram-Profilen:<br />
parween.mander: Hier erwarten<br />
euch Themen wie besseres<br />
Geldmanagement, „Money Trauma“<br />
in Migrant:innenfamilien und<br />
zahlreiche persönliche Geschichten<br />
der Business Insider-Autorin<br />
workhap: Hier erwarten euch Tipps<br />
rund um Bewerbungsgespräche,<br />
Anschreiben, Gehaltserhöhungen,<br />
sowie lustige Memes und rants einer<br />
„LinkedIn Top Voice“<br />
loewhaley: Hier erwarten euch<br />
nachgestellte Alltagszenen, bei<br />
denen Vorgesetzte oder Kolleg:innen<br />
Grenzen überschreiten. Die<br />
Creatorin zeigt dabei, wie man auf<br />
professionelle Art Weise mit solchen<br />
Situationen umgehen kann.<br />
© Zoe Opratko<br />
76 / KARRIERE /
NEMA PROBLEMA<br />
TELENOVELA<br />
Nachdem Mama Senada die Überstunden aufgeschrieben &<br />
ausbezahlt bekam, hat sie allen Kolleginnen ebenfalls den<br />
gleichen Tipp gegeben. Dadurch sind sie auf die AK und ihren<br />
Aufgaben im Allgemeinen zu sprechen gekommen. Die große<br />
Frage, die jedoch niemand beantworten konnte war, wer<br />
eigentlich in charge ist & wie es dazu kommt. Zuhause lässt die<br />
Frage Mama Senada gar nicht los. Sohn Nenad klärt sie auf!<br />
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NEUES AUS DEM LEBEN<br />
DER FAMILIE PRAVDOVIĆ<br />
Warum ziehst<br />
du so eine Miene<br />
Mama? Die Sache mit den<br />
Überstunden war doch<br />
voll der Erfolg!<br />
Über was?<br />
Ahhh du meinst<br />
wer in charge ist?<br />
Schau ich zeig dir ein paar<br />
Videos von TikTok.<br />
Ja stimmt…<br />
Ich denk eh<br />
nur nach.<br />
Weißt du<br />
meine Kolleginnen<br />
und ich haben uns<br />
heute nur gefragt, wer<br />
oder was diese AK<br />
eigentlich ist…<br />
Wer<br />
ist das?<br />
Oh und<br />
wie wird man dort<br />
Präsidentin?<br />
Alle Infos<br />
rund um<br />
die AK<br />
Wahl gibt’s<br />
hier<br />
Das ist<br />
die Präsidentin<br />
Renate Anderl. Sie sorgt<br />
für Gerechtigkeit!<br />
Ganz einfach,<br />
sie wird von uns, den<br />
Arbeitnehmer:innen gewählt!<br />
Fotos: Zoe Opratko<br />
Die Arbeiterkammer kümmert sich um die Anliegen aller Arbeiter:innen<br />
und Konsu ment:innen. Dafür muss sie aber wissen: Welche Probleme,<br />
welche Wünsche, liegen den Arbeitnehmer:innen besonders am Herzen?<br />
Um welche Themen soll sich die Arbeiterkammer kümmern? Wohin soll<br />
sich die Arbeitswelt entwickeln? Egal ob österreichische oder andere<br />
Staatsbürgerschaft – #deineStimme macht uns alle stärker! Du hast als<br />
Arbeitnehmer:in und AK Mitglied ein Wahlrecht, egal welchen Pass du hast.<br />
Deswegen ist es wichtig, dass auch du bei der AK-Wahl vom 10.–<strong>23</strong>.4.2024 teilnimmst!
Selbermacher<br />
Die Brüder Mehmet und<br />
Orhan Gün haben vor rund<br />
einem Jahr das Burger-Restaurant<br />
„Flip n Dip Burger“<br />
in der Lange Gasse eröffnet.<br />
Ihr Spezialgebiet: Premium<br />
plant-based Burger, die auch<br />
den leidenschaftlichsten<br />
Fleischessern schmecken<br />
werden.<br />
Von Nada Chekh, Fotos: Zoe Opratko<br />
Mehmet Gün führt gemeinsam mit<br />
seinem Bruder Orhan ein Premium-<br />
Burgerlokal in der Langen Gasse 74.<br />
Selbstverständlich<br />
vegan<br />
Beim Betreten des Lokals merkt<br />
man sofort: Es steckt viel Liebe<br />
zum Detail drin. Vom Neonschild<br />
bis hin zu den knalligen Menükarten wurde<br />
nichts dem Zufall überlassen. Es kommt<br />
ein bisschen „American Diner“-Feeling<br />
auf, aber mit modernem Ambiente. Doch<br />
was unterscheidet „Flip n Dip Burger“ von<br />
anderen veganen Restaurants? „Bei uns ist<br />
‚Premium Burger‘ keine Floskel, sondern<br />
wirklich unser Hauptanliegen und die Lücke,<br />
die wir in der Wiener Gastro-Landschaft<br />
schließen wollen“, erzählt Mehmet, den wir<br />
krankheitsbedingt ohne seinen Bruder im<br />
Lokal antreffen.<br />
Geboren wurden Mehmet und Orhan<br />
in der irakischen Hauptstadt Baghdad. Ihre<br />
Mutter ist turkmenischer Herkunft und der<br />
Vater war ein Türke, der im Irak für die UNO<br />
arbeitete. Als in den früher 80er-Jahren<br />
der Krieg im Irak ausbrach, zogen die Eltern<br />
über Istanbul nach Wien, als die Brüder<br />
noch Kinder waren. „Wir haben unseren<br />
Geschmackssinn von unserer Mama geerbt<br />
und und haben früh erkannt, dass alles, was<br />
sie auf den Tisch zauberte auch unseren<br />
Freunden sehr gut schmeckte“, erzählt<br />
Mehmet.<br />
BEKÖMMLICHE BURGER<br />
Von den Burgern bis zu den Milkshakes ist<br />
die Auswahl bei Flip n Dip komplett vegan.<br />
Doch das Wort vegan vermisst man im<br />
Lokal gänzlich – und das ist gute Absicht.<br />
Zu viele potenzielle Kund:innen, vor allem<br />
der älteren Generationen, würde das sonst<br />
erfahrungsgemäß abschrecken. „Ich kann<br />
diese ablehnende Reaktion gut verstehen<br />
– wenn man irgendwo schon einmal einen<br />
trockenen veganen Burger gegessen hat,<br />
78 / KARRIERE /
ist die Enttäuschung vorprogrammiert. Aber<br />
mittlerweile kann man mit Beyond Meat<br />
richtig gute Pattys machen, wo man keinen<br />
Unterschied zu echtem Fleisch schmeckt.“<br />
Die Speisekarte versteht sich von Haus aus<br />
als „plant-based“, auch bei den Shakes wie<br />
dem Strawberry Swirl ist vom fruchtigen<br />
Sirup bis zum veganen Sahnehäubchen kein<br />
einziges tierisches Produkt enthalten.<br />
Der gute Geschmack geht in allem<br />
vor – von den eigens für das Lokal entwickelten<br />
fluffigen Brioche Buns, bis zu den<br />
kräftigen Saucen und natürlich den Burger<br />
Pattys von Beyond Meat oder dem hausgemachten<br />
Crispy Chik’n aus Erbsenprotein.<br />
Mehmet betont: „Diese Burger liegen nach<br />
dem Essen nicht wie ein Ziegel im Magen,<br />
sondern sind außergewöhnlich leicht und<br />
bekömmlich.“ Absolutes Unikat ist der<br />
Flip n Dip Burger, dessen Brioche in Lauge<br />
getunkt wird, am besten mit knusprigen<br />
Fries dazu.<br />
Bis zu „Flip n Dip“ durchlief Mehmet<br />
viele Stationen im Laufe seiner Karriere:<br />
Durch seine Vorgeschichte in der Wiener<br />
Clubszene, wo er als DJ Met D’Phunk einigen<br />
Leuten ein Begriff sein könnte, kennt<br />
er sich bestens damit aus, wie man ein<br />
gutes Projekt auf die Beine stellt. Sein drei<br />
Jahre jüngerer Bruder Orhan kommt aus<br />
einer ganz anderen Ecke – nämlich aus der<br />
Sozialarbeitsszene und bringt ein Händchen<br />
für gute Burger mit. Gemeinsam mit dem<br />
Küchenchef Réné Salfenauer entwickelten<br />
sie das Menü – an die tollen Rezepte kommt<br />
niemand heran. „Das ist ein Betriebsgeheimnis“,<br />
so Mehmet.<br />
Flip n Dip Burger<br />
Lange Gasse 74, 1080 Wien<br />
Ein „Strawberry Swirl“ passt ganz<br />
wunderbar zum plant-based Burger-Menü<br />
bei Flip n Dip.<br />
WKO-WIEN HILFT<br />
Im Gründerservice der<br />
WKO-Wien kann man bei<br />
einem Beratungsgespräch<br />
alle Fragen stellen, die die<br />
Gründung eines Unternehmens<br />
betreffen. Im Vorhinein<br />
kann man sich auch<br />
schon eigenständig online<br />
informieren. Ob generelle<br />
Tipps zur Selbstständigkeit,<br />
rechtliche Voraussetzungen,<br />
Amtswege oder<br />
Finanzierungs- und Förderungsmöglichkeiten:<br />
Auf<br />
der Website kommt man<br />
mit wenigen Klicks zu allen<br />
wichtigen Informationen.<br />
wko.at/wien<br />
www.gruenderservice.at<br />
Die Selbermacher-Serie ist<br />
eine redaktionelle Kooperation<br />
von das biber mit der<br />
Wirtschaftskammer Wien.<br />
VON DER IDEE<br />
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GRÜNDUNG<br />
© Halfpoint/stock.adobe.com<br />
Der schnellste<br />
Weg zu unseren<br />
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Basis-Informationen und Tools zur Gründung<br />
finden Sie auf unserer Webseite.<br />
www.gruenderservice.at
WELCOME TO MY WORKPLACE<br />
FH CAMPUS WIEN<br />
Vor einem Jahr hat uns Standort-Studiengangsleiterin Bettina Madleitner<br />
die Lehrsäle der Gesundheits- und Krankenpflegestudierenden gezeigt.<br />
Heute führt sie uns durch das neue Gebäude der FH Campus Wien, das<br />
noch mehr Platz für noch mehr Studierende bietet.<br />
„Personen in ihren Krisen zu begleiten,<br />
Sicherheit zu geben, Kontrolle zurück zu<br />
geben – das ist für mich Caring im Sinne<br />
einer professionellen Gesundheits- und<br />
Krankenpflege“, so die Studiengangsleitern.<br />
Über 17 Jahre stand Bettina Madleitner<br />
als Gesundheits- und Krankenpflegerin<br />
im direkten Praxisfeld.<br />
Bettina Madleitner ist selbst Gesundheits-<br />
und Krankenpflegerin und<br />
absolvierte ein Studium der Pflegewissenschaften.<br />
Seit nahezu 10 Jahren lehrt<br />
sie hauptberuflich an der FH Campus<br />
Wien, ist Fachbuchautorin und wirkt im<br />
Kompetenzzentrum für Angewandte<br />
Pflegeforschung der FH Campus Wien<br />
mit. Im Gespräch mit ihr wird schnell<br />
klar, wie sehr sie ihre Berufung zum<br />
Beruf gemacht hat. Persönlich ist für sie<br />
die gelebte Fürsorge ein entscheidender<br />
Punkt für ihren Karriereweg gewesen,<br />
der letztlich auch in die Lehre führte.<br />
Als erstes führt uns Bettina Madleitner<br />
an ihren Lieblingsplatz im neuen Gebäude.<br />
Während wir die Treppen runtergehen<br />
bleibt sie stehen und sagt: „Hier<br />
fühle ich mich total wohl, selbst dieses<br />
Stiegenhaus ist für mich einer meiner<br />
Lieblingsplätze, der direkt zum zweiten<br />
führt.“ Nach ein paar Schritten erreichen<br />
wir das Audimax, in dem beinahe<br />
300 Studierende Platz finden. „Ich mag<br />
das Audimax so gern, weil es so schön<br />
nach Holz riecht und so hell ist. Aber<br />
am meisten liebe ich es, wenn ich mit<br />
meinem Headset vorne stehe, und mir<br />
ein ganzes Auditorium zuhört, während<br />
ich über die Gesundheits- und Krankenpflege<br />
spreche.“<br />
Neben dem Audimax bietet das neue<br />
Gebäude am Verteilerkreis unterschiedlich<br />
große Seminarräume sowie <strong>12</strong><br />
Funktionsräume, wo die Studierenden<br />
praxisorientiert lernen. Dort führt uns<br />
Madleitner als nächstes hin. Auf dem<br />
Weg zu einem der Funktionsräume<br />
stoßen auch ein paar Erst-Semestrige<br />
zu uns und erzählen, welche Einheiten<br />
sie im Studium am meisten mögen: Die<br />
Fertigkeitentrainings, denn hier üben<br />
sie alles, was sie in der Praxis dann
BEZAHLTE ANZEIGE<br />
brauchen. „Methoden- und Fachkompetenzen<br />
werden genauso gefördert, wie<br />
die soziale und kommunikative Kompetenz<br />
der Studierenden für die spätere<br />
Begleitung der Patient*innen“, so die<br />
Studiengangsleiterin. Hierzu können<br />
auch mal Schauspielerpatient*innen<br />
eingesetzt werden, die realitätsnah den<br />
Arbeitsalltag in Gesundheitseinrichtungen<br />
vermitteln sollen. Auch auf sich<br />
selbst achten, ist im Pflege-Berufsalltag<br />
wichtig. Den eigenen Körper nicht<br />
überfordern und die Patient*innen<br />
mobilisieren, lernen die Studierenden im<br />
Fertigkeitentraining Kinaesthetics. „Dabei<br />
gibt es immer eine Situation, die ganz<br />
besonders auffällt. Beim ersten Versuch<br />
das theoretisch Gelernte in die Praxis<br />
umzusetzen, wird offensichtlich, dass es<br />
sich um komplexe Interventionen handelt.“<br />
Diese sind ebenso zu erlernen wie<br />
der theoretische Inhalt. Das Fertigkeitentraining<br />
zielt auf genau diese Fähigkeiten<br />
ab. „Hands on“: Lernen durch direktes<br />
Tun und Wiederholung führt dazu, dass<br />
es zu keiner Barriere des Theorie-Praxis-<br />
Transfers kommt.<br />
Bei unserer Führung wird schnell klar,<br />
wie vielfältig Gesundheits- und Krankenpflege<br />
und entsprechend auch das<br />
Studium ist: Von der Langzeitpflege,<br />
familienorientierter und gemeindenaher<br />
Pflege bis hin zur Dialyse, Anästhesieund<br />
Intensivpflege ist alles dabei. An der<br />
FH Campus Wien wartet man mit der<br />
neuesten Ausstattung mit sämtlichen<br />
technischen Geräten, etwa zur Blutgasanalyse,<br />
Beatmung und Reanimation auf.<br />
Auch sind ein Intensiv-Überwachungsbereich,<br />
verschiedene Funktions- und<br />
Simulationsräume, etwa für die Trainings<br />
in Bezug auf Kinder- und Jugendlichenkrankenpflege,<br />
und ein originalgetreuer<br />
OP-Saal im Gesamtpaket des Studiums<br />
dabei.<br />
Die FH Campus Wien, der Fonds Soziales Wien und der Wiener Gesundheits verbund<br />
sind als Ausbildungsoffensive Teil des Prozesses „Pflege Zukunft Wien“<br />
Pflege findet nicht im Vakuum statt, es<br />
bedarf einer gelingenden Kommunikation<br />
innerhalb der Berufsgruppe ebenso<br />
wie der Zusammenarbeit mit anderen<br />
Professionen.“<br />
Für alle Interessent*innen werden<br />
regelmäßig Informationsnachmittage,<br />
Sprechstunden mit den Standort-<br />
Studiengangsleiter*innen und das Open<br />
House am 15. März an der FH Campus<br />
Wien angeboten. „Mythen rund um den<br />
Beruf Gesundheits- und Krankenpflege<br />
lassen sich am besten vor Ort aufklären“,<br />
weiß Bettina Madleitner.<br />
→ Studienstart: 2x pro<br />
Jahr – im Februar und im<br />
September<br />
→ Nächster Studienstart:<br />
September 2024<br />
→ Bewerbungsfrist:<br />
8.1.–21.7.2024<br />
→ Abschluss: Bachelor of<br />
Science in Health Studies<br />
inkl. Berufsberechtigung<br />
→ Mindeststudienzeit: 6<br />
Semester (Vollzeit)<br />
© FH Campus Wien / Sched<br />
Der Rohbau für das nächste Haus am<br />
Gelände der FH Campus Wien feiert<br />
soeben Dachgleiche, auch in diesem<br />
Haus sind Räumlichkeiten ganz aufs<br />
Studium im Health & Care Bereich<br />
ausgerichtet. Ein ganzes Stockwerk ist<br />
Simulationstrainings gewidmet, hier steht<br />
vor allem auch interdisziplinäres Training<br />
auf dem Programm. „Professionelle<br />
Begleite Bettina Madleitner bei ihrem<br />
Rundgang. Alle weiteren Facts zu<br />
Infotermine, Bewerbung, Wiener Pflegeausbildungsprämie<br />
und andere waff-<br />
Förderprogramme findest du auf<br />
www.fh-campuswien.ac.at\pflege-b
VOM TABUBRUCH<br />
ZUM BUCH<br />
Frauen als „kostbare Perlen“, die<br />
beschützt werden müssen: Dieses<br />
verbreitete Bild in muslimischen<br />
Communitys prangerte Nada Chekh an.<br />
© Marko Mestrović<br />
82 / RAMBAZAMBA /
Nicht über die Communitys<br />
zu sprechen, sondern mit<br />
ihnen – das war immer das<br />
Credo von biber. Was es<br />
bedeutet, wenn die Storys<br />
über das Persönliche hinausgehen<br />
und warum das<br />
fehlen wird.<br />
Von Nada Chekh, Fotos: Marko Mestrović und Zoe Opratko<br />
Es gibt heutzutage herzlich wenig Menschen, die<br />
voller Stolz von sich behaupten können, dass<br />
sie sich mit ihrer Arbeit identifizieren. Bei biber<br />
kamen Menschen aus den unterschiedlichsten<br />
Communitys zusammen, die alle dieses unglaubliche Privileg<br />
teilen, Journalismus zu machen, der sie selbst betrifft<br />
und sie antreibt. Es galt die unausgesprochene Devise:<br />
Wir sind biber und biber ist Wir. Wir arbeiten nicht nur<br />
für das Magazin, sondern leben es – schließlich sind wir<br />
gleichzeitig die Zielgruppe. Und so, wie wir das Magazin<br />
lebten, ernährten wir es auch mit den Geschichten aus<br />
unseren Elternhäusern und unserer Kindheit. Womöglich<br />
gab es für jeden einzelnen biber-Journalisten diese eine<br />
Story, die einen inneren Fluch brach – oder endlich ein<br />
Problem sezierte, das innerlich lange und schwer herumgetragen<br />
worden war. Für mich ist diese eine Geschichte<br />
„Meine Tochter, meine Perle“, in der es um muslimische<br />
Mütter als Vorarbeiterinnen des Patriarchats ging, und<br />
wie ein toxisches Klima der Überwachung vor allem zum<br />
Leidwesen der Töchter in der arabisch-muslimischen<br />
Community herrscht. Die Geschichte entstand angetrieben<br />
durch meine persönliche Erfahrung und Erziehung in<br />
der Community und wurde letztlich ausgelöst durch ein<br />
türkisches Cousinenpaar, das mir nach einem Workshop<br />
in einer Mittelschule in Wien-Meidling nicht mehr aus dem<br />
Kopf ging. Die Art und Weise, wie eine der Cousinen die<br />
andere auf Schritt und Tritt begleitete und kontroverse<br />
Dinge sagte, wie „Frauen müssen ein Kopftuch tragen,<br />
weil sie wie kostbare Perlen sind, die man vor den Blicken<br />
der Männer schützen muss“, erinnerten mich stark an die<br />
jungen Mädchen, mit denen ich aufgewachsen war und<br />
vor denen kein Geheimnis sicher gewesen war.<br />
Je nach Sprache und Kulturkreis variiert dieses Bild der<br />
Frau als Perle – mal sind sie Blumen, mal sind sie Edelsteine<br />
oder Schmuck. Aber niemals sind sie (erwachsene)<br />
Menschen, die auf sich selbst aufpassen können. Die<br />
Vorstellung einer „Familienehre“, die auf den Schultern der<br />
Töchter lastet, prägt viele junge Frauen aus konservativen<br />
Communitys – seien sie muslimisch oder nicht. Ich veröffentlichte<br />
diese Story im Juni 2019 – und gewann dafür<br />
den JournalistInnenpreis Integration in der Kategorie Print<br />
des Österreichischen Integrationsfonds.<br />
THEMEN AUS DER MITTE DES<br />
GESELLSCHAFT – NICHT VOM RAND<br />
Tabus zu brechen erfordert dabei viel innere Kraft und<br />
sprachliches Geschick – vor allem bei jenen Storys, die<br />
weit über das Persönliche gehen und einen verletzbar für<br />
die eigene Community machen. Denn fehlende (Selbst-)<br />
Kritik ist erst der Grund, weshalb sich so viele althergebrachten,<br />
sexistischen Bilder in migrantischen Communitys<br />
so hartnäckig halten. All die rigiden Wertvorstellungen und<br />
Mythen über Geschlechterrollen, der Kult um Jungfräulichkeit<br />
bis zur Ehe oder die Mechanismen zur (sexuellen)<br />
Überwachung von Frauen, oder ein kritischer Zugang zu<br />
extremeren Verschleierungsformen wie Burka und Niqab,<br />
lassen sich in der arabisch-muslimischen Community kaum<br />
ohne Gegenwind kritisch aufarbeiten. Doch wer sollte diese<br />
Tabus sonst endlich brechen, wenn nicht Menschen aus<br />
der Community selbst? Biber war nicht nur ein Medium,<br />
sondern auch eine Plattform, bei der man Zuflucht und<br />
„Eine Blume<br />
ohne Wurzeln.<br />
Wie ich<br />
Selbstbestimmung<br />
zwischen<br />
Doppelleben<br />
und Doppelmoral<br />
fand.“<br />
erschien Ende<br />
Oktober 20<strong>23</strong><br />
beim Haymon<br />
Verlag.<br />
/ RAMBAZAMBA / 83
offen gestanden – denn nur biber gab mir die einzigartige<br />
Möglichkeit, diese Themen, die ich, wie viele andere<br />
junge Menschen mit Migrationsgeschichte sozusagen<br />
„von Zuhause“ kennen, journalistisch zu erforschen. Ganz<br />
wesentlich war dabei auch das Gefühl, das eigene Narrativ<br />
unter Kontrolle zu haben. Oft wurde intern bis kurz vor<br />
Redaktionsschluss über gewisse Formulierungen debattiert,<br />
oder last-minute eine Geschichte (oder Teile davon)<br />
anonymisiert, um die Protagonisten zu schützen – denn<br />
wir hatten nicht nur journalistisches Know-How, sondern<br />
auch die nötige Sensibilität, um besondere Umstände<br />
und Bedürfnisse bei Community-Themen zu berücksichtigen.<br />
Meine Kollegin Aleksandra Tulej beschrieb in ihrem<br />
Text auf Seite 16 schon den besonderen Zugang und das<br />
Vertrauen in die biber-Redaktion, das uns die Leserschaft<br />
entgegenbrachte. In migrantischen Communitys ist das<br />
Vertrauen in den Journalismus oftmals ohnehin ein wenig<br />
geknickt: Sei es nun dadurch, dass es in vielen Heimatländern<br />
keine besonders ausgeprägte Presse- und Meinungsfreiheit<br />
gibt, oder durch die einseitige und kulturell<br />
unsensible Berichterstattung hierzulande.<br />
„Meine Tochter, meine Perle“ wurde mit dem<br />
JournalistInnenpreis Integration 2019 ausgezeichnet.<br />
Verständnis für die eigene Situation finden konnte: Das,<br />
was die „neuen“ Österreicher:innen bewegt, sind jedoch<br />
keine Themen vom „Rand der Gesellschaft“, wie manche<br />
Menschen wohl über unsere Zielgruppe denken würden<br />
– im Gegenteil: Es sind die Themen, die eigentlich direkt<br />
aus der Mitte unserer Gesellschaft kommen, aber sonst<br />
kein Gehör und allem voran keine sensible Aufarbeitung<br />
in den Medien finden würden. Noch immer ist die Vielfalt<br />
der österreichischen Gesellschaft längst nicht in der<br />
Medienbranche repräsentiert. Biber hatte einen sozialen<br />
Auftrag, den Journalismus in Österreich von innen heraus<br />
zu unterwandern, um gegen diese lähmende Homogenität<br />
in den Redaktionen anzukämpfen.<br />
GESCHICHTEN „VON ZUHAUSE“<br />
In meinem Fall waren Storys wie „Meine Tochter, meine<br />
Perle“ ein wahrer Katalysator für die Karriere. Die Themen,<br />
die mich in meiner über sechsjährigen Laufbahn bei<br />
biber immer wieder beschäftigten – Islam, Feminismus,<br />
weibliche Selbstbestimmung und das Recht auf eine<br />
Privatsphäre – landeten kürzlich sogar in meinem ersten<br />
Buch mit dem Titel „Eine Blume ohne Wurzeln“. Ohne<br />
biber wäre weder dieses Projekt jemals zustande gekommen,<br />
noch dieser wichtige Raum für Debatten überhaupt<br />
AUSGERÜSTET FÜR DIE<br />
MEDIENBRANCHE<br />
Das Ende von biber bedeutet für mich: Das Ende eines<br />
Lebensabschnittes. Ich habe praktisch meine gesamten<br />
20er in dieser Redaktion im Herzen von Wien verbracht<br />
und viele nervenaufreibende, schöne, fordernde und<br />
versöhnliche Momente mit meiner lieben Kollegschaft<br />
durchlebt. Noch dazu habe ich meine Berufung zum Beruf<br />
gemacht und alles an nötigem Handwerk niederschwellig<br />
und direkt am Job gelernt. Und das Wichtigste war, dass<br />
auch einmal eine Story nicht aufgehen konnte, und aus<br />
den Fehlern wurde etwas für das Leben gelernt. Für mich<br />
ist es nun an der Zeit, das biber-Nest zu verlassen und<br />
auf die Suche nach neuen Herausforderungen zu gehen,<br />
in einem der umkämpftesten und dynamischsten Berufsfeldern<br />
überhaupt. Doch ich bin guter Dinge, denn biber<br />
gab mir das notwendige Wissen und Selbstbewusstsein<br />
für diesen wichtigen, nächsten Schritt. Und ich sehe dies<br />
als unglaubliches Privileg, das leider den kommenden<br />
Generationen nicht mehr zuteil wird. Ich frage mich, wie<br />
viele potenzielle Herzensgeschichten nun im Sand der Zeit<br />
verfließen werden, ohne jemals eine Leserschaft zu erreichen,<br />
um Flüche zu brechen. Diese Flüche existieren nicht<br />
nur in Form von Tabus in den verschiedenen Communitys,<br />
sondern vor allem in uns selbst. Sie ernähren sich von der<br />
Angst und Verunsicherung, und vom Unbehagen. Im Laufe<br />
meiner Zeit bei biber habe ich schon vielen Menschen<br />
geholfen, ihre persönlichen Flüche zu brechen: Durch<br />
sorgfältiges Redigieren von Texten, etwa der Gastautorinnen<br />
aus unserer Empowerment-Reihe, oder in Form von<br />
Interviews mit Betroffenen unterschiedlichsten Problemen.<br />
So sprach ich mit einer kurdischen Bauchtänzerin über das<br />
Tabu Tanzen in der Community und die Ächtung, die sie<br />
traf, oder interviewte die Afghanin Nadia Ghulam, die sich<br />
zehn Jahre lang als ihren verstorbenen Bruder ausgab und<br />
© Zoe Opratko<br />
84 / RAMBAZAMBA /
so nicht nur unter, sondern mit den Taliban<br />
lebte. Für ein Fotoshooting nachts am Gürtel<br />
mit migrantischen Sexworkern, oder eine<br />
40km lange Fahrradtour kreuz und quer durch<br />
Wien, oder die Häme von meiner Familie<br />
dafür, dass ich einst mit einem Kondom auf<br />
dem biber-Cover abgelichtet war, war ich mir<br />
niemals zu schade. Ich werde definitiv diese<br />
abenteuerlichen Arbeitstage vermissen und<br />
das Magazin und meine Kollegschaft in Ehren<br />
halten.<br />
Danke für alles! ●<br />
Zur Autorin: Nada Chekh begann 2017 als<br />
Nada El-Azar in der biber-Akademie. Zuletzt<br />
war sie Kultur-Ressortleiterin und Akademieleiterin<br />
bei biber.<br />
© Eugénie Sophie<br />
Für manche Geschichten wurde es auch sportlich:<br />
40 km quer durch Wien radeln? kein Problem!<br />
Verlass‘ dich nicht<br />
auf andere.<br />
Sorg‘ selber vor.<br />
Weil Finanzplanung<br />
Lebensplanung ist.<br />
Seit 25 Jahren begleiten wir<br />
Menschen auf ihrem finanziellen<br />
Lebensweg.<br />
Unsere Mission besteht darin,<br />
Menschen zu unterstützen, klug<br />
vorzusorgen und ihre Träume<br />
verwirklichen zu können.<br />
www.finum.at
DIESER TEXT IST IM<br />
NOVEMBER 2022<br />
ERSCHIENEN.<br />
DER QUOTEN-ALMANCI<br />
WARUM MEINE FAMILIE TOXISCH UND<br />
GLEICHZEITIG EIN SAFE SPACE IST<br />
„Du hast schon wieder so viel abgenommen, du musst mehr essen, Kind!“, sagt meine Tante<br />
erschrocken als ich im Haus meiner Großeltern im Dorf eintreffe. Eine Aussage, die ich Zuhause in<br />
Wien im Keim ersticken würde. Aber hier im türkischen Yayladağı an der syrischen Grenze, wo mein<br />
Vater aufgewachsen ist, gehören ungefragte Kommentare zu meinem Aussehen zur Norm.<br />
Von Özben Önal<br />
WIR SIND UNTERSCHIEDLICH<br />
SOZIALISIERT<br />
Meine Tante meint es gut. Sie macht sich Sorgen darüber,<br />
ob ich nicht genug esse oder schief angeschaut werden<br />
könnte und mich dann unwohl fühle. Später beim Essen<br />
besteht sie drauf, dass ich Nachschlag nehme. Ein Nein<br />
wird nicht akzeptiert. Meine Tanten sind die letzten, die<br />
sich an den Tisch setzen, um zu essen. Warten soll ich<br />
nicht, das Essen würde doch kalt werden. Ihre Brüder sind<br />
vor Jahrzehnten nach Deutschland ausgewandert, um Geld<br />
zu verdienen und damit die gesamte Familie zu unterstützen.<br />
Deshalb sollen sie und ihre Kinder keinen<br />
Finger rühren, wenn sie zu Besuch sind. Meine<br />
Tanten lieben ihre Brüder. Sie sind einander so<br />
nah, wie man sich nur nah sein kann. Jahrelang<br />
schliefen alle sechs Geschwister im gleichen<br />
Zimmer. Damals hatte die Familie finanzielle<br />
Probleme, doch sie sprachen nie darüber. Sie<br />
lernten, Dinge runterzuschlucken, um niemanden<br />
zu belasten. Diese Verhaltensweisen sind<br />
uns, als Kinder dieser Geschwister, von klein auf<br />
mitgegeben worden. Der Unterschied: Sie hatten weder<br />
Psychotherapeut*innen zur Aufarbeitung ihrer Traumata,<br />
noch hatten sie ein sensibilisiertes Umfeld in dem Tabus<br />
gebrochen und über mentale Gesundheit gesprochen<br />
wurde.<br />
EIN SICHERER HAFEN IN<br />
SCHWEREN ZEITEN<br />
Als ich vor kurzem die Nachricht erhielt, dass mein Cousin<br />
verstorben war, brach ich zusammen. Unsere gesamte<br />
Kindheit zog plötzlich an mir vorbei. Die Distanz zu ihnen<br />
ist in solchen Momenten noch unerträglicher – sich nicht<br />
umarmen und küssen zu können, am Telefon herumzustammeln,<br />
weil ich mir unsicher bin, wie ich Beileidsbekundungen<br />
auf Türkisch richtig formuliere – das fühlt sich<br />
Kolumnistin Özben<br />
Önal ist euer „Quoten-<br />
Almanci“ – ein bisschen<br />
deutsch, ein bisschen<br />
türkisch, mit ein bisschen<br />
Liebe zu Wien. In ihrer<br />
Kolumne berichtet sie<br />
über Schönes, Schwieriges<br />
und Alltägliches.<br />
ziemlich beschissen an. Also flog ich hin. Trotz dem Leid,<br />
dem ich begegnete und der Bedrückung, spürte ich eine<br />
unglaubliche Erleichterung bei meiner Ankunft. Denn ich<br />
wusste, nur hier fühle ich mich jetzt sicher. Es wurde wenig<br />
geredet, aber so viel gesagt. Ich ließ die Hand meiner Tante<br />
nicht los. Ich hielt stundenlang schweigend den Bruder<br />
meines verstorbenen Cousins im Arm. Ich küsste meine<br />
Oma jeden Abend vor dem Schlafengehen. Ich fuhr am<br />
letzten Tag mit meinen Cousinen und Cousins auf den Bauernhof,<br />
um Erdbeeren zu sammeln, so wie wir es als Kinder<br />
taten. An Hakans Grab beteten und weinten wir danach<br />
zusammen. Heute weiß ich, wie heilend das war.<br />
ES IST NICHT IMMER NUR<br />
SCHWARZ UND WEISS<br />
In den letzten Jahren sind mir die problematischen<br />
Muster innerhalb der Familie immer<br />
bewusster geworden und ich fing an zu hinterfragen,<br />
ob sie gesund sind. Gleichzeitig blicke ich<br />
nostalgisch auf die Tage im Dorf bei der Familie<br />
zurück. Wir verstehen einander auf eine Weise,<br />
auf die es Menschen außerhalb dieser Familie nie könnten<br />
– das verbindet uns. Wir führen alle individuelle Leben, wir<br />
haben verschiedene Weltansichten und doch wir brauchen<br />
einander, um uns vollkommen zu fühlen. Wir kennen<br />
unsere vulnerabelste Seite – abseits von unserem anderen<br />
Leben und unserem anderen Ich. Doch wir haben verstanden,<br />
dass es in Ordnung ist in zwei verschiedenen Welten<br />
zu leben. Dass der Spalt zwischen uns – so anstrengend<br />
und zerreißend er manchmal sein mag – notwendig ist.<br />
Gleichzeitig sind wir als neue Generation fähig dazu, die<br />
ewige Kette des Schweigens und Verdrängens zu durchbrechen.<br />
Zur Autorin: Özben Önal war biber-Kolumnistin und<br />
schrieb für uns aus Deutschland und der Türkei.<br />
© Zoe Opratko<br />
86 / MIT SCHARF /
„Ich setze<br />
mich dafür<br />
ein, Horizonte<br />
zu erweitern.“<br />
Rudi, Kameramann<br />
Ein Mitarbeiter des ORF, der wie all seine Kolleginnen und Kollegen den Auftrag hat, mit einem<br />
ausgewogenen Programm zu einer funktionierenden Gemeinschaft in Österreich beizutragen.
#glaubandich