Ein Stück Mediengeschichte: so sah der erste biber-Prototyp 2006 aus. © Moritz Schell <strong>12</strong> / MIT SCHARF /
WIE ALLES BEGANN Kein Geld, keine Redaktion, aber eine scharfe Idee. Von Fake- Gucci bis hin zur Balkan-Meile: Gründer Simon Kravagna über den Launch der ersten biber-Ausgabe 2006. Von Simon Kravagna Ich war damals 35, Innenpolitik-Redakteur beim Kurier und ehrlicherweise etwas gelangweilt von den typischen Storys rund um Jörg Haider und Co. Da erreichte mich unter dem Betreff „Bewerbung für die Neue Wiener Multi-Kulti-Zeitung“ folgendes Mail: „Sehr geehrtes Team dieser neuen wunderbaren Zeitung. Ich war gerade auf der Uni und sah, dass Journalisten für eine Stadtzeitung gesucht werden. Ich bin gebürtige bosnische Kroatin und kenne mich in der Balkanszene bestens aus.“ Die Bewerberin schrieb weiter: „Life-Style und Mode in unserer Stadt sind mir bekannt. Von aufgeklebten Fälschungen, etwa das „G“ zu „ucci“, bis hin zu Pumaschuhen vom Südbahnhof- Flohmarkt kann ich Bände schreiben. Musik, Konzerte, Events fangen in der Ottakringerstraße an, gehen über die türkischen Diskos bis hin zum Nachtwerk im <strong>23</strong>. Bezirk, wo wir immer wieder Balkansternchen bewundern können. Wien, Vienna, Beć oder Viyana – viele Namen, eine Stadt!!!“ Es war keine klassische Bewerbung für einen Job im Journalismus, aber es war die richtige Bewerbung für mein Projekt. Ein paar Tage zuvor hatte ich Zettel an den Schwarzen Brettern in den Unis aufgehängt. Das war damals so üblich, Instagram noch nicht erfunden und selbst Facebook gerade erst am Start. Ich wollte ein neues Medium gründen „ Es brauchte Zeit, bis die Redaktion wichtiger als die Herkunftsländer wurde. “ und suchte nach dem, was mir in den etablierten Redaktionen fehlte: junge Journalist:innen mit Migrationsbackground, die Medien mehr Kompetenz geben würden. Durch ihre Sprachkenntnisse, ihre Netzwerke und Geschichten aus ihrer Lebenswelt. Ich suchte damals, das wusste ich nach diesem Mail, Menschen wie Ivana Martinović. Die Studentin und spätere Online-Chefin von biber schrieb mir aus Ottakring und kannte jeden Balkan-Club dort. Und es gab nicht nur eine Ivana, die sich meldete. Auch Ivana Cucujkić, später meine erste stellvertretende Chefredakteurin von biber, schickte eine Bewerbung. Im Sommer 2006 gab es dann ein Team von rund zehn jungen Talenten, verstärkt um ein paar journalistische Profis und Fotografen, die das Projekt unterstützten. Jetzt gab es nur ein Problem. Diese neue Stadtzeitung gab es zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht. Es gab nicht einmal den Namen „biber“. Es gab in Wahrheit gar nichts: keine Redaktion, kein Geld, kein Produkt. Es gab nur eine Idee. Die Idee für ein Medium, das von Journalist:innen gestaltet wird, die Wiens viele Sprachen sprechen – und verstehen. Wie konnte im September 2006 dann überhaupt die erste biber-Ausgabe produziert werden? Durch unbezahlte Arbeit und Selbstausbeutung, wie es heute heißen würde. Konkret: Wir druckten erst, als wir genug Inserate hatten, um die Mediaprint zu bezahlen. Sonst bekam niemand Geld. Das verdienten wir damals alle in anderen Jobs. Vor dem Druck brauchte unser Magazin noch einen Namen. So richtig wollte zuerst keiner passen. Der Balkanfraktion gefielen die türkischen Vorschläge nicht. Die Wiener:innen mit türkisch-kurdischen Wurzeln wiederum konnten nichts mit den balkanischen Begriffen anfangen. Und einen österreichischen Namen wollte sowieso niemand. Es brauchte viele Runden, meist abends in Lokalen, um den Durchbruch zu schaffen. „biber“ – das gefiel allen. Der jungen türkischkurdischen Gruppe, weil es für Paprika/ Pfefferoni steht, den Ex-YU-Leuten, weil es Pfeffer bedeutete und den „echten“ Österreicher:innen weil biber doch ein / MIT SCHARF / 13