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BIBER 12_23 Ansicht

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trotzdem nicht: „Die Jungs würden schlecht über<br />

mich reden und bestimmt Fotos von mir im Bikini<br />

rumschicken“, sagt die 15-Jährige. Auf der letzten<br />

Schullandwoche hat ein Klassenkollege Merves<br />

Kleidungsstil kommentiert. „Er hat gesagt, es wäre<br />

haram sich als Muslima so zu kleiden. Dabei hatte ich<br />

nur Jeans und ein etwas engeres T-Shirt an.“<br />

EIN MÄNNLICHES PROBLEM<br />

Meine Gespräche mit den Jugendlichen zeigen<br />

mir, dass es mehrheitlich die Burschen sind, die im<br />

Namen der Religion Verbote für andere erstellen und<br />

so das Leben ihres (weiblichen) Umfelds einschränken.<br />

Auch die Studie der Stadt Wien macht deutlich:<br />

Radikalisierung ist männlich. Doch diese männlichen<br />

Jugendlichen, vor denen sich zur Zeit alle fürchten,<br />

haben in Wirklichkeit keine Ahnung von dem, was<br />

sie sagen. Sie tun ja nicht einmal selber das, was sie<br />

predigen. Sie widersprechen sich in allem, was sie<br />

sagen – denn sie sagen es nur, um cool zu sein.<br />

Ich habe das Gefühl, dass sie in Wirklichkeit die<br />

Mädchen beneiden, die die besseren Noten haben,<br />

die blühenderen Zukunftsaussichten, die keinen auf<br />

„harten Kerl“ machen müssen. Die Mädchen, die<br />

sich so gut integrieren konnten und an ihnen vorbeiziehen.<br />

Wenn ich die SchülerInnen frage, was sie<br />

mal werden wollen, antworten die Mädchen „Ärztin“<br />

oder „Anwältin“, die Buben grinsend mit „AMS“ oder<br />

„Bombenleger“ – sie wissen, dass sie nicht mithalten<br />

können und kontern mit Provokation, veralteten Rollenbildern<br />

und gefährlichen Verhaltensvorschriften.<br />

ISLAM IST MACHT<br />

Sie, die Burschen, die Fünfer schreiben, durchfliegen,<br />

schief angeschaut werden, wollen sich zumindest<br />

in einem Punkt mächtig fühlen. Sie haben erkannt,<br />

dass die Leute Angst vor dem Islam haben. Sie<br />

stellen ihren Handyklingelton in „Allahu Akbar“ („Gott<br />

ist groß“) Rufe um und genießen die verängstigten<br />

Blicke der anderen in der U-Bahn, wenn ihr Handy<br />

klingelt. Sie posen auf jedem ihrer Profilfotos mit<br />

dem angehobenen Isis-Zeigefinger. Sie teilen die<br />

Anti-Islam-Posts der FPÖ und lesen stolz die Hass-<br />

Kommentare von Strache-Fans.<br />

Sie wissen, da draußen gibt es hunderttausende<br />

Erwachsene, die sie am liebsten abschieben würden,<br />

weil sie Angst vor ihnen – ein paar Teenagern<br />

– haben. Der Islam steht für sie für die Macht über die<br />

Ängste der anderen und sie wollen mächtig sein in<br />

einer Gesellschaft, in der sie sowieso schon als Verlierer<br />

gelten, die sie abgeschrieben hat, die ihnen eh<br />

nichts mehr zutraut, außer den Weg in den Dschihad.<br />

PROBLEM ANSPRECHEN<br />

So wie die Studie der Stadt Wien gibt auch dieser<br />

Bericht nur einen Überblick über einen kleinen Teil<br />

der muslimischen Jugendlichen in Wien. Aber er<br />

zeigt einen Trend auf, der sich schnell verstärken<br />

„Was wollt<br />

ihr mal<br />

werden?“<br />

„AMS oder<br />

Bombenleger“<br />

könnte, wenn nicht bald etwas geschieht. Wenn nicht<br />

deutlich mehr Geld für Sozialarbeiter in Schulen und<br />

Jugendprojekte gesteckt wird, aber auch, wenn es<br />

von Seiten der muslimischen Vertreter kein echtes<br />

Eingeständnis dafür gibt, dass es dieses Problem<br />

gibt und der Islam damit auch mitten in Österreich<br />

die Unterdrückung von Frauen und Verachtung von<br />

Andersdenkenden legitimiert.<br />

Ja richtig, es ist nur ein kleiner Teil der Jugendlichen,<br />

die so drauf sind. Aber diese Gruppe von<br />

pseudo-religiösen Jung-Machos wird größer, einflussreicher<br />

und damit gefährlicher. Und ja richtig, natürlich<br />

ist die Mehrheit der muslimischen Jugendlichen<br />

nicht so drauf. Aber es gibt solche Jugendliche und<br />

dieses wachsende Problem müssen wir als biber-<br />

JournalistInnen ansprechen, ansonsten missbrauchen<br />

rechte Parteien diesen Zustand für ihre politischen<br />

Zwecke, obwohl ja gerade sie mit ihrer anti-muslimischen<br />

Hetze solche Teenager noch mehr antreiben.<br />

Ob die Jugendlichen, die ich kennengelernt habe,<br />

Dschihadisten werden, bezweifle ich stark. Aber<br />

das ist ja auch kein Maßstab. So wie sie jetzt sind,<br />

müssen sie sich schon ändern. Und zwar schnell und<br />

deutlich. Denn pubertäre Großmäuler, die keinen<br />

Respekt vor Frauen und der österreichischen Gesellschaft<br />

haben, werden Erwachsene ohne Perspektive,<br />

die ihre Kinder genauso erziehen könnten. Und<br />

während der eine Teil der Gesellschaft diese Jugendlichen<br />

fürchtet, sie am liebsten abschieben würde,<br />

leugnet der andere Teil das Gefahrenpotential und die<br />

Jugendlichen bleiben wieder sich selbst überlassen<br />

und kreieren sich ihre eigene Welt – voll von Widersprüchen,<br />

Einschränkungen und ganz viel haram. ●<br />

*Namen von der Redaktion geändert<br />

Zur Autorin: Melisa Erkurt war Chefreporterin bei<br />

biber und leitet jetzt Die_Chefredaktion.<br />

WAS SAGT DIE AUTORIN HEUTE?<br />

Als ich 2016 die Reportage „Generation<br />

Haram“ veröffentlichte, traf ich einen Nerv.<br />

Journalist*innen, Politiker*innen, Lehrer*innen,<br />

Jugendliche – noch nie bekam ich so viele Reaktionen.<br />

Sieben Jahre später ist der Text leider noch<br />

immer aktuell. Es hat sich nicht viel geändert. Noch<br />

immer bleiben junge, muslimische Männer auf der<br />

Strecke, was sich im schlimmsten Fall in Sexismus<br />

oder Antisemitismus äußert. Meistens aber sind sie<br />

selber die Leidtragenden. Noch immer braucht es<br />

mehr positive Identifikationsfiguren, mehr Zugang<br />

zu ihren Emotionen, mehr Bewusstsein dafür, dass<br />

sie auch einen anderen Platz haben, als den, denen<br />

manche Teile unserer Gesellschaft für sie vorgesehen<br />

haben.<br />

Melisa Erkurt, Journalistin und Buchautorin<br />

42 / POLITIKA /

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