YALLA KLIMASCHUTZ30 / SPECIAL /
RATIONAL STATT RADIKALKlimaschutz und Nachhaltigkeit sind Dinge, die uns alle etwasangehen sollten – das versteht sich von selbst. Warum einschlechtes Gewissen dabei keinen Platz haben sollte.Von Nada El-Azar-Chekh, Collage: Zoe OpratkoAktivistInnen auf Social Media helfen vielen – vorallem jungen – Menschen, sich mehr Gedanken umdie Umwelt zu machen. Doch wie in allen Debattenfindet man gewisse Extreme. Die Wiener Tiktokerin Raffaela,auch bekannt als „die militante Veganerin“, konfrontiertin ihren Videos regelmäßig PassantInnen mit „lebe veganstatt brutal“ und scheut nicht davor zurück, selbst Kindernzu erklären, dass ihre Eltern ihnen Leichen auf dem Tellerservieren. Laut Global2000 liegt Österreich in der EU aufPlatz 3 beim Fleischkonsum. Durchschnittlich konsumiertjede:r Österreicher:in also 5,9 Tonnen Fleisch im Leben,was auf satte 1.287 Tiere pro Kopf kommt. Aufklärungsbedarfherrscht angesichts dieser Zahlen alle Mal. Funktionierteine „Schocktherapie“ jedoch besser als ein vernünftigesGespräch über Nachhaltigkeit?„WER GEHT MIT MIR DÖNERESSEN?“Selma interessiert sich für Aktivismus und hat in ihrer Freizeitschon viele Workshops über Klimaschutz und Nachhaltigkeitbesucht. Sie leistet ihren Beitrag, wo sie nur kann: Siehat keinen Führerschein und nutzt Fahrrad und Öffis, um inder Stadt von A nach B zu kommen. Neue Kleidung kauftsie nur zu besonderen Anlässen oder Second-Hand. Auchin ihrem Freundeskreis versucht sie über Nachhaltigkeit zusprechen. Selma hat sich in der Wiener Innenstadt von einerTierschutzorganisation ansprechen lassen, die verstörendeVideos aus Massentierhaltungen für die Öffentlichkeit gezeigthat. „Die Aufnahmen aus den Schlachthöfen konnte ich mirnicht ansehen, dazu bin ich zu empfindlich. Aber an dereinen oder anderen Aktion habe ich dann auch teilgenommen,da ich die Mission und die Message interessant fand“,erinnert sie sich. „Eine Freundin von mir ist Veganerin undsie meinte, dass das Umfeld teilweise schon sehr radikal seinkann. Sie ist 34 und lebt schon lange vegan, jedoch machtsie ab und zu eine Ausnahme und nascht etwa Gummibärchenmit Gelatine. Ihre Kindheitsfreundin, die ebenfallsvegan lebt, würde ihr die Freundschaft kündigen, wenn siedas erfahren würde“, erzählt Selma*. Für die Studentin führtein radikaler Ansatz, wie er bei der „militanten Veganerin“zu beobachten ist, aber nur zu mehr Spaltung. „Ich würdeniemals jemanden verurteilen, der mal bei einer Grillfeier einKotelett isst, oder bei einer Fast-Fashion-Kette einkauft.“ EinTrotzeffekt ist kontraproduktiv und lässt viele Menschen dieTiktokerin die Kommentarspalten mit Sticheleien wie „Wergeht mit mir Döner essen?“ fluten.GUTE BALANCE STATT SCHLECHTESGEWISSENNoch in ihrer Schulzeit stieg Selma auf eine vegetarischeErnährung um – es war ein erster Schritt in die richtigeRichtung, wie sie findet. Anfangs bekam sie Unterstützung inihrem syrischen Elternhaus, indem ihre Mutter vegetarischeGerichte für die Familie zubereitete. „In Damaskus gibt esviele Gerichte, die von Haus aus fleischlos sind – Tabouleh,Salate, gefülltes Gemüse und Aufstriche, nur drei bis vierMal im Monat gab es bei uns Fleisch. So lebten wir ohnehinum einiges fleischärmer, als es in vielen anderen migrantischenHaushalten üblich ist.“ Doch Selmas erste Schritte alsVegetarierin währten nicht lange. „Ich hatte schon immerProbleme mit Eisen und hab nach einem halben Jahr meinevegetarische Ernährung wieder aufgeben müssen. Ich hatteweder das Geld noch die Zeit, mich wirklich mit all denpflanzlichen Alternativen auseinanderzusetzen und sie fürmich selber zu kochen, um meinen Eisenhaushalt zu retten“,so die gebürtige Damaszenerin.Nachdem sich Selmas Gesundheitszustand durch ihreErnährung zu verschlechtern schien, war es also auch gleichwieder vorbei mit der fleischlosen Ernährung. „Meine Mutterhat aus Sorge plötzlich begonnen, meine Leibgerichte mitFleisch zu kochen, um mir zu helfen.“ Dass sie nicht komplettauf Fleisch verzichten konnte, bereitete ihr ein schlechtesGewissen. Doch sie kam zum Entschluss, dass diese Erfahrungihr doch etwas Wertvolles lehrte: „Eine serbischstämmigeFreundin von mir hat ihren Fleischkonsum stark reduziert,als ich Vegetarierin wurde. Bei ihr zuhause war es sonst starkfleischlastig. Am Ende war ich doch zufrieden, denn mir istdas Gleichgewicht am allerwichtigsten und vor allem warauch mein Konsumzwang reduziert. Ich habe mein Ziel alsoerfüllt“, sagt sie heute stolz./ SPECIAL / 31