möchten nicht mehr in die Heimat fahren, nur um alleine aufder Terrasse zu sitzen und von Stille umgeben zu sein. Wirkönnen nicht mehr von Haus zu Haus gehen, unseren Liebstenein Kilo Kaffee und Pralinen bringen und uns stundenlangunterhalten. Nun gehen wir von Friedhof zu Friedhof, bringenihnen Grabkerzen und Blumen, sprechen ein kurzes Gebetund verabschieden uns.© privatAutorin Maria Lovrić-Anušić als Kind im Hausihrer Großelternnehmen. Doch es fühlt sich nicht mehr an wie früher. DasAuto ist nicht mehr vollgeladen und Musik läuft auch nurnoch selten während der Fahrt. Wenn wir an unserem Hausankommen, fühlt es sich an, als wären alle Farben verblichen.Alles ist grau.„WIR MÜSSEN RUNTERFAHREN“„Wir müssen runterfahren“ - ein Satz, der mir als Kind meineAugen aufleuchten ließ. Heute löst er in mir Angst aus. Erbedeutet Tod. Jemand muss gestorben sein, darum fahrenwir runter. Seit drei Jahren ist dies nämlich der einzigeGrund, um die Reise in die Heimat anzutreten. In diesen Jahrensind viele Menschen verstorben und bei jedem Besuchfehlt immer eine Person mehr. Das Dorf leert sich und unsereGründe runterzufahren verringern sich von Jahr zu Jahr.„Alle meine Großeltern sind verstorben. Welchen Sinn hättedas Runterfahren noch?“, erzählt mirKatarina seufzend, als ich mit ihr über dasThema spreche. Sie kommt aus Vukovar inKroatien und vermisst die alten Zeiten. DasSchöne an diesen Urlauben war es doch,unsere Familie und Verwandten zu sehen.Mit ihnen gemeinsam die Geburtstage undFeiertage zu verbringen. Früher schafftenwir gemeinsam neue Erinnerungen, heuteschwelgen wir nur mehr in den alten. Wir„Wir haben für allunsere VerwandteGeschenke mitgebracht.Schokoladen, Klamottenund vieles mehr.“26 / RAMBAZAMBA /NICHT MEHR WILLKOMMENDie Nachbarskinder, mit denen ich früher am Spielplatz oderim Garten gespielt habe, haben sich über die Jahre verändert.Irgendwann war es nicht mehr cool, mit uns Diasporakindernabzuhängen. Wir waren für sie zu abgehoben, weilwir mit neuen Nike und Ralph Laurent T-Shirts runterfuhren.Dass unsere Eltern monatelang sparen mussten, um sichden Urlaub überhaupt leisten zu können, war ihnen nichtbewusst. Sie gingen davon aus, dass wir uns für was Bessereshielten, obwohl wir das nie taten.Patricia, die aus Prijedor in Bosnien kommt, hat durchdiese Vorurteile viele ihrer Freunde unten verloren. „MeineFreunde begannen, über mich zu lästern. Ich wolle mich alsreiche Österreicherin doch nur profilieren und zeigen, wietoll es mir ginge und wie privilegiert ich doch sei“, erzähltsie traurig. Sie haben sie für Geld und teure Mitbringsel ausÖsterreich ausgenutzt. Beim Ausgehen wurde von ihr erwartet,zu zahlen, und eigentlich tat sie es auch gerne. „MeineIntention war es nie, anzugeben. Ich wollte nur meine Zeitmit ihnen genießen.“ Seitdem sie weiß, dass hinter ihremRücken über sie nur gelästert wird, hat sie keinen Kontaktmehr zu ihren alten Freundinnen. Vielen von uns geht esähnlich und wir möchten nicht an einen Ort fahren, an demwir nur verurteilt werden. Und von den Nachbarskindern, dieimmer an unserer Seite waren und nie abwertend über unsgeredet haben, hören wir jetzt auch nichts mehr. Sie sindverheiratet und haben Kinder. Seitdem Kroatien in der EUist, sind viele der Einwohner Bosniens, die einen kroatischenPass haben nach Österreich oder Deutschland gezogen, umGeld zu verdienen. Sie alle träumen von einem besserenLeben im Ausland, während sich die Diaspora nach der altenHeimat sehnt. Zumindest hat sie das in der Vergangenheitgetan. Die jungen Einheimischen jedoch verlassen das Landfluchtartig, zurück bleibt nur die ältere Generation. Dochirgendwann gibt es auch diese nicht mehr.„SEID IHR NUR MIT ZWEIKOFFERN GEKOMMEN?“Nicht nur in der Balkan-Community werden die Heimatbesucheimmer seltener. Selin, die ursprünglichaus der Türkei kommt, verliert nach undnach das Bedürfnis runterzufahren. Alssie jünger war, waren die Wochen in derTürkei immer aufregend. „Wir haben für allunsere Verwandte Geschenke mitgebracht.Schokoladen, Klamotten und vieles mehr“,erzählt sie. Sie wurden immer voller Liebeaufgenommen und es wurde groß aufgetischtfür den Besuch aus Österreich. Als
Mitbringsel für das ganze Dorf durftenbei keinem Heimaturlaub fehlen/ RAMBAZAMBA / 27