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Sammelband biodynamische landwirtschaft i ... - Demeter

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Biodynamische<br />

Landwirtschaft I<br />

Ausgewählte Vorträge aus Bildung und Weiterbildung 2008


Biodynamischer Landbau<br />

Biodynamische Landwirtschaft I<br />

Eine Auswahl von Vorträgen<br />

aus Bildung und Weiterbildung 2008<br />

Herausgeber:<br />

Lehr- und Forschungsgemeinschaft<br />

für <strong>biodynamische</strong> Lebensfelder<br />

Seite 1


Danksagung, Impressum<br />

Danksagung<br />

Die Lehr- und Forschungsgemeinschaft<br />

für <strong>biodynamische</strong> Lebensfelder bedankt sich bei<br />

den Referentinnen und Referenten für die Beiträge.<br />

Dank für die finanzielle Unterstützung zur<br />

Herausgabe dieses <strong>Sammelband</strong>es:<br />

Impressum:<br />

Herausgeber:<br />

Lehr- und Forschungsgemeinschaft<br />

für <strong>biodynamische</strong> Lebensfelder<br />

In der Auen 543<br />

8583 Edelschrott<br />

Tel: 03144 35 45<br />

Für den Inhalt verantwortlich:<br />

Die Autorinnen und Autoren.<br />

Die Vorträge wurden von<br />

Hörerinnen und Hörern bearbeitet<br />

und nach Rücksprache mit den<br />

Referentinnen und Referenten<br />

von diesen zur Veröffentlichung freigegeben.<br />

Redaktion: Waltraud Neuper mit<br />

technischer Unterstützung von<br />

Helga Pietsch<br />

Layout, Satz, Bildbearbeitung: Siegfried Reiter<br />

Gesamtherstellung: Druckerei IRIS, Judenburg<br />

Seite 3


Die biologisch-dynamische Landwirtschaft fußt auf<br />

den geisteswissenschaftlichen Forschungen von Rudolf<br />

Steiner. Damit setzt sie sich von anderen Strömungen<br />

innerhalb der Ökologischen Landwirtschaft ab. Ihr<br />

Blickwinkel ist nicht nur naturwissenschaftlich begründet,<br />

sondern auch geisteswissenschaftlich verortet<br />

und reflektiert. In Interpretationen aber auch Erkenntnisweisen<br />

oder Modellen liefert sie einen erweiterten,<br />

man könnte auch sagen grundlegend anderen Zugang<br />

zu den Naturwissenschaften, ohne dass deren herkömmliche<br />

Wissensbestände in Frage gestellt werden.<br />

Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften stehen<br />

in einem wechselseitigen Verhältnis. Dieser eigene<br />

Zugang wird auch in der Sprache erfahrbar. Begriffe wie<br />

„Gestaltbildung, Erdorganismus,<br />

Seite 4<br />

Vorwort<br />

Vorwort<br />

Pflanzenseele oder Kräftebewegung“ oder Formulierungen<br />

wie „die Geste des Wachstums“ erschließen<br />

neue Erkenntnisfelder für den Umgang mit der Natur.<br />

Die rege Teilnahme der Studierenden an diesem Freifach<br />

unterstreicht, dass diese an unterschiedlichsten<br />

Zugängen zur Landwirtschaft interessiert sind. Dieser<br />

Reader umfasst von den Studierenden erstellte Texte,<br />

basierend auf den Vorträgen der Fach-ReferentInnen.<br />

Die Texte stellen einen Versuch dar, ein Abtasten im<br />

Umgang mit der durchaus anspruchsvollen biologisch-dynamischen<br />

Landwirtschaft und deren Grundlegungen.<br />

Sie dienen einem internen LeserInnenkreis zur<br />

Orientierung. Sie bedürfen noch einer weiteren Diskussion<br />

und der Vertiefung.<br />

Univ.Prof. Dr. argr. biol. Bernhard Freyer


Danksagungen, Impressum 3<br />

Vorwort Bernd Freyer 4<br />

Einleitung Waltraud Neuper 6<br />

Biodynamik als ganzheitlicher Ansatz:<br />

Etwas zum Verständnis des<br />

anthroposophischen Weltbildes<br />

Johannes Zwiauer 9<br />

Geistige Grundlagen der <strong>biodynamische</strong>n<br />

Landwirtschaft<br />

Johannes Toegel 12<br />

Zur Bildekräfteforschung:<br />

Was ist die besondere Qualität von Produkten<br />

aus <strong>biodynamische</strong>m Anbau?<br />

Markus Buchmann 23<br />

Etwas über den Organismus<br />

Ursula Kothny 29<br />

Der <strong>landwirtschaft</strong>liche Organismus<br />

Rudolf Keiblinger-Bartsch 34<br />

Über den Prozess des Potenzierens<br />

Johannes Zwiauer 38<br />

Zwei Vorträge zum Themenkreis Boden:<br />

Der Boden als lebendiger Organismus<br />

Walter Sorms 39<br />

Grundelemente der Umwandlungsprozesse<br />

während der Kompostierung<br />

Florian Amlinger 44<br />

Zum Wesen der Pflanze:<br />

Einführung in das Wesen der Pflanze<br />

Bertold Heyden 52<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Einführung in die goetheanistische<br />

Erkenntnisweise anhand<br />

der Metamorphose der Pflanze<br />

Reinhild Frech-Emmelmann 59<br />

Annäherung an den Erdapfel<br />

Oskar Grollegger 67<br />

Zum Tier in der <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft:<br />

Zum Wesen des Haustieres<br />

Elisabeth Stöger 74<br />

Biodynamische Betrachtungen über das Tier(ische)<br />

in der Landwirtschaft und in uns -<br />

Überlegungen zur Haustierhaltung hinsichtlich der<br />

Auswirkung auf den <strong>landwirtschaft</strong>lichen Organismus<br />

Wilhelm Erian 80<br />

Praktische Maßnahmen zur Parasitenregulierung<br />

bei Schaf und Ziege<br />

Hannes Neuper 93<br />

Tierzucht im geschlossenen Organismus<br />

einer Landwirtschaft<br />

Leopold Selinger 96<br />

Neue Kooperationsformen in der Landwirtschaft<br />

Die Regionalwert-AG: eine Bürgeraktiengesellschaft<br />

Christian Hiß 104<br />

Kulturphilosophische Betrachtung:<br />

Biodynamischer Landbau als Antwort auf die<br />

Kultur- und Ökologiekrise in der Landwirtschaft<br />

Waltraud Neuper 108<br />

Autorenliste 118<br />

Seite 5


Einleitung:<br />

Biodynamischer Landbau wurde seiner Idee nach im<br />

Rahmen einer „Bildungsveranstaltung“ - dem Koberwitzer<br />

Kurs - grundgelegt. Bauern luden Rudolf Steiner<br />

ein, etwas zur Landwirtschaft zu sagen. Diese Bauern<br />

verspürten den Antrieb, sich in Fragen ihrer <strong>landwirtschaft</strong>lichen<br />

Arbeit Rat und Anregungen zu holen. Zwei<br />

Aspekte sind dabei bemerkenswert: Zum einen luden<br />

sie mit dem Anthroposophen Rudolf Steiner einen mit<br />

Landwirtschaft in keiner Weise befassten Referenten ein.<br />

Zum anderen trat das Phänomen auf, dass diese Bauern<br />

sich selbst weiterbilden wollten, um den zunehmenden<br />

Problemen in der Landwirtschaft begegnen zu können.<br />

Diese Tatsache kann gar nicht hoch genug bewertet<br />

werden: Ihre Initiative drückt das Bedürfnis und die Absicht<br />

aus, dass sie sich ein Bild machen wollten von den<br />

Zusammenhängen und Prozessen in einer durch neue<br />

Methoden sich verändernden Landwirtschaft. Hier haben<br />

sich Initiative und Impuls verbunden. Auf diesen<br />

beiden Eckpfeilern – Initiative und Impuls – entwickelte<br />

sich die <strong>biodynamische</strong> Landwirtschaft.<br />

Die gegenwärtig sich beschleunigenden Veränderungen<br />

in allen Bereichen der Landwirtschaft, die zunehmende<br />

Orientierung an technischer Machbarkeit bestimmen<br />

die neuen Wertegrundlagen und Zielvorgaben.<br />

Daran kann auch die <strong>biodynamische</strong> Landwirtschaft<br />

nicht vorbeischauen. Sie muss den Diskurs darüber führen,<br />

welche Bedeutung sie innerhalb dieses Geschehens<br />

erlangen will. Da treten naturgemäß zuallererst Fragen<br />

auf; solche nach der Anpassung in der technischen<br />

Seite 6<br />

Einleitung<br />

Aufrüstung, oder der Lockerung der strengen Richtlinienvorgaben,<br />

z.B. bezüglich der Tierhaltung. Solche<br />

Überlegungen rütteln am konzeptionellen Gefüge und<br />

somit am grundlegenden Selbstverständnis der <strong>biodynamische</strong>n<br />

Landwirtschaft.<br />

Daraus formuliert sich gewissermaßen eine existenzielle<br />

Entscheidungsfrage: Leiten allein die Richtlinien<br />

die <strong>biodynamische</strong> Arbeit oder intendiert die bewusstseinsmäßige<br />

Durchdringung der geistigen Grundlagen<br />

das Tun?<br />

Diese reflexive Fragestellung führte zur Erkenntnis,<br />

dass ein Raum für Bildung geschaffen werden muss.<br />

Es geht darum, uns ein Bewusstsein von den geistigen<br />

Grundlagen der <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft zu erarbeiten.<br />

Das ist von jedem Einzelnen und gleichzeitig<br />

von der Gemeinschaft zu leisten. Im Herbst 2008 wurde<br />

dieser „Bildungs-Raum“ mit dem Beginn der Weiterbildung<br />

für praktizierende Biodynamiker eröffnet. Zu den<br />

Grundthemen Boden, Pflanze, Tier und Organismus<br />

wurde jeweils ein Vortrag gehalten. Es ging vorerst einmal<br />

darum, sich ein Bild vom Naturverständnis in der<br />

<strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft zu erarbeiten. Das bedeutet,<br />

•die Viergliederung beziehungsweise die Dreigliederung<br />

kennen zu lernen,<br />

•das Wesen der Pflanze in Verbindung mit der Metamorphose<br />

und der Urpflanze zu erfassen,<br />

•das Tier in seiner Beziehung zum Menschen und<br />

in seiner Bedeutung für die <strong>biodynamische</strong> Landwirtschaft<br />

zu begreifen und<br />

•den Organismus als Ganzes zu verstehen, ohne<br />

seine Teile aus den Augen zu verlieren.


In diesem Sinne soll dieser <strong>Sammelband</strong> verstanden<br />

werden als ein Zusammentragen jener Bilder, welche in<br />

dieser Weiterbildungsreihe entstanden sind.<br />

Darüber hinaus sind einige Vorträge, welche im Rahmen<br />

der Ringvorlesung „Biologisch-dynamischer Landbau“<br />

gehalten wurden, von Studierenden für diese Sammlung<br />

bearbeitet in Schriftform übertragen worden.<br />

Weiters finden sich in diesem <strong>Sammelband</strong> Beiträge<br />

aus den Bauern-Arbeitsgruppen.<br />

Die Auswahl soll drei Aspekte dokumentieren: die<br />

Ebenen der geistigen Auseinandersetzung mit der Biodynamik<br />

sollen sichtbar, die Themenvielfalt dokumentiert<br />

werden und der Hinweis darauf, dass wir mit dieser Arbeit<br />

am Anfang stehen, soll nicht fehlen.<br />

Die Anordnung der Themen orientiert sich an den natürlichen<br />

Gegebenheiten in der Landwirtschaft: Boden,<br />

Pflanze, Tier, Mensch und Organismus.<br />

Der Vortrag von Walter Sorms nähert sich von seinen<br />

praktischen Erfahrungen ausgehend an den Boden an.<br />

Es gelingt ihm, den oft und durchaus auch missverständlich<br />

gebrauchten Begriff des Bodenlebens differenziert in<br />

einen, mit der Praxis sich verbindenden Zusammenhang<br />

zu bringen. Indem Walter Sorms immer wieder Bezug<br />

nimmt auf seine tägliche Arbeit, gewinnt der Vortrag eine<br />

plastische Dimension.<br />

Florian Amlinger bietet mit seiner Darstellung einen<br />

völlig anderen Zugang zum Thema Boden. Er versucht<br />

anhand vieler Diagramme, Bilder und Skizzen darzulegen,<br />

wie abgestorbene organische Substanzen durch die<br />

Einleitung<br />

Kompostierungsprozesse in neues Lebendiges über geführt<br />

werden können. Er dokumentiert dabei die hervorragende<br />

Bedeutung des Stallmistes für den Humusaufbau<br />

des Bodens. Ein geistig und sinnlich eindrucksvolles<br />

Erlebnis ist die Einführung in das Wesen der Pflanze<br />

durch Bertold Heyden. Mit feinfühligem Spürsinn führt<br />

er die Bauern und Bäuerinnen hin zur Metamorphose<br />

der Pflanze im Stile der goetheanistischen Naturbetrachtung.<br />

Seine derzeitige Züchtungsarbeit an Wildgräsern<br />

bildet den zweiten Schwerpunkt. Dasselbe Thema hat<br />

Reinhild Frech-Emmelmann für die Studierenden der<br />

Ringvorlesung „Biologisch-dynamischer Landbau“ entwickelt.<br />

Auch hier ruft diese Betrachtungsweise Staunen<br />

hervor. Beide Vorträge machen darauf aufmerksam,<br />

dass im Umgang mit der Pflanze übende Betrachtung<br />

von großer Bedeutung ist. Zum Themenkreis Pflanze ist<br />

in diesen <strong>Sammelband</strong> auch ein Beitrag aus der Arbeit<br />

der regionalen Bauern-Arbeitsgruppen aufgenommen<br />

worden. „Die Annäherung an den Erdapfel“ von Oskar<br />

Grollegger enthält einige Hinweise, wie die Saatgutqualität<br />

von Erdäpfeln verbessert werden kann.<br />

Damit verlassen wir das Naturreich der Pflanze und der<br />

Vortrag von Willi Erian führt uns in erzählend anschaulicher<br />

Form an das Tier(ische) in der Landwirtschaft und<br />

in uns heran. Elisabeth Stögers Ausführungen zum Wesen<br />

des Haustieres erweitern das Bild in Richtung Domestikation<br />

und eine Praxisanleitung von Hannes Neuper<br />

zur Parasitenregulierung bei Schafen und Ziegen zeigen<br />

einen relevanten Zusammenhang von Haltung, Fütterung<br />

und Krankheit auf.<br />

Seite 7


Die Beiträge, die im vierten Teil zusammengefasst<br />

sind, können als jene gesehen werden, welche die drei<br />

Grundthemen Boden - Pflanze - Tier zum Teil verbinden<br />

oder in der einen oder anderen Weise grundlegen. So<br />

werfen die beiden Kurzvorträge von Johannes Zwiauer<br />

über die Viergliederung der Natur und die Dreigliederung<br />

jedes Organismus ein Licht auf das anthroposophische<br />

Welt- und Naturverständnis. Ursula Kothny weist mit ihren<br />

Gedanken über den Organismus darauf hin, dass jedes<br />

Lebendige immer ein Ganzes ist – auch der Hoforganismus<br />

– und Johannes Toegel spricht über die geistigen<br />

Grundlagen der <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft.<br />

Markus Buchmann berichtet über die Bildekräfteforschung<br />

und macht damit auf die unterschiedlichen Arten<br />

von Wahrnehmung aufmerksam.<br />

Christian Hiß spricht über die Suche nach neuen Kooperationsformen<br />

in der Landwirtschaft und stellt in<br />

diesem Zusammenhang die „Regionalwert-AG – Bürgeraktiengesellschaft“<br />

als einen solchen Kooperationsversuch<br />

vor. Im Beitrag der Herausgeberin werden die<br />

Themenbereiche auf die Frage hin orientiert, ob und wie<br />

die <strong>biodynamische</strong> Landwirtschaft eine Antwort auf die<br />

ökologische und kulturelle Krise in der Landwirtschaft<br />

sein könnte.<br />

Dieser <strong>Sammelband</strong> ist kein Lehrbuch. Er stellt vielmehr<br />

das Wagnis dar, die Vorträge von ausgewiesenen<br />

Fachleuten nicht in Manuskript-Form zu übernehmen,<br />

sondern durch interessierte Hörer und Hörerinnen bearbeiten<br />

zu lassen. Diese Bearbeitungen erfolgten in Absprache<br />

mit den Referenten und Referentinnen.<br />

Seite 8<br />

Einleitung<br />

Ein Teil der Vorträge wurde im Rahmen der Weiterbildung<br />

für praktizierende Biodynamiker gehalten. Diese<br />

Weiterbildung wurde im Herbst 2008 begonnen. Die<br />

Besonderheit dieser Weiterbildungsreihe liegt in dem<br />

Umstand, dass ein und derselbe Vortrag des jeweiligen<br />

Referenten oder der jeweiligen Referentin an drei auf einander<br />

folgenden Tagen in Niederösterreich, in Kärnten<br />

und in Slowenien gehalten wurde. Das trug dazu bei,<br />

dass viele Bauern und Bäuerinnen an der Veranstaltung<br />

teilnehmen konnten.<br />

Im Herbst startete auch die Ringvorlesung „Biologisch-dynamischer<br />

Landbau“ am Ökologischen Institut<br />

der Universität für Bodenkultur in Wien. Aus dieser<br />

Reihe wurden sechs Vorträge für diese Sammlung ausgewählt.<br />

An dieser Stelle sei die großzügige Unterstützung<br />

durch Sponsoren dankbar erwähnt. Die Vorlesung<br />

konnte durchgeführt werden, weil die Firmen Weleda,<br />

Lackner&Lackner Wüstensalz, der Wurzerhof in St. Veit,<br />

Frau Doris Edler und Herr Willi Rosen den notwendigen<br />

Geldbetrag zur Verfügung gestellt haben.<br />

In Anbetracht der subjektiven Zugänge zu den Themen<br />

ist es erstaunlich, dass letztendlich das Biodynamische<br />

eine Klammer schaffen konnte, innerhalb welcher<br />

die unterschiedlichen Ansätze ohne Widersprüche<br />

in Erscheinung treten konnten. Und es ist ausschließlich<br />

die Sicht der <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft, welche in<br />

den Beiträgen zum Ausdruck kommt.<br />

Mauterndorf, 30.März 2009<br />

Waltraud Neuper


Etwas zum Verständnis des<br />

anthroposophischen Weltbildes<br />

Johannes Zwiauer<br />

Die Viergliederung der Natur<br />

Im anthroposophischen Weltbild basiert die Gliederung<br />

der Natur auf vier Daseinsweisen. Sie werden<br />

elementar unterschieden nach der Ebene des Mineralischen,<br />

des Pflanzlichen und des Tierischen.<br />

Der Mensch lebt im Zusammenhang mit der Natur und<br />

hat eine unauflösbare Beziehung zu den Naturreichen.<br />

Durch sein Ich-Bewusstsein, durch seine Fähigkeit zu<br />

geistigen Aktivitäten konstituiert er eine vierte Ebene.<br />

Er hat Anteil<br />

• am Mineralischen durch das Stoffliche in<br />

seinem Körper,<br />

• am Pflanzlichen durch die Lebensprozesse und<br />

• am Tierischen durch die Empfindung.<br />

Im Mineralreich finden wir jene Substanzen, welche<br />

aus dem Lebensprozess ausgeschieden wurden und damit<br />

als tot bezeichnet werden. Auch im menschlichen<br />

Organismus werden ständig Substanzen aus dem Lebensprozess<br />

ausgeschieden. Als Bild diene uns hier die<br />

Verhornung oder Verknöcherung solcher Substanzen in<br />

den Nägeln oder den Knochen.<br />

Im Pflanzenreich haben wir es mit den Lebensprozessen<br />

zu tun. Diese zeigen sich hier besonders stark; man<br />

denke daran, dass wir der Pflanze etwas wegschneiden<br />

können und sie treibt wieder aus. Diese Eigenschaft finden<br />

wir in diesem Ausmaß nur bei der Pflanze.<br />

Mit dem Tier verbindet den Menschen die Fähigkeit<br />

zur Empfindung. Das Tier ist geleitet durch Empfindungen,<br />

Instinkte, Triebe und Begierden. Diese bilden<br />

sein Seelenleben. Trägerin der Empfindung ist die Seele.<br />

Anthroposophisches Weltbild<br />

Das Tier ist ein fühlendes Wesen. Ausdruck des Fühlens<br />

ist die Bewegung. Das Tier wird durch seine Triebe, seine<br />

Begierden und Instinkte bewegt.<br />

Die Pflanze wird bewegt durch das Wachstum. Man<br />

denke an eine keimende Kartoffel. Der Keim sucht sich<br />

seinen Weg zur Lichtquelle. Er wächst der Lichtquelle<br />

entgegen. Die Pflanze selbst kann sich nicht bewegen.<br />

Mit dem Naturreich des Tieres verbindet den Menschen<br />

das Triebleben, welches er angehalten ist durch<br />

sein Selbstbewusstsein zu reflektieren und zu durchschauen.<br />

Dieser Zusammenhang beschäftigt die Philosophie<br />

schon seit sehr langer Zeit. Im letzten Jahrhundert<br />

wurden die damit zusammenhängenden Fragen Stoff der<br />

psychologischen Fragestellungen und Untersuchungen.<br />

Das Tier lebt ganz verbunden mit seiner Umwelt, ist<br />

ganz ausgeliefert an die Umwelt, ist ganz von ihr bestimmt.<br />

Der Mensch stellt sich der Welt gegenüber, objektiviert<br />

sie. Der Mensch trennt zwischen sich und der<br />

Umwelt, indem er Ich sagt. Hier bin ich und dort ist die<br />

Welt. Dadurch konnte er ein Selbstbewusstsein ausbilden.<br />

Wir sind geneigt anzunehmen, dass der Mensch fähig<br />

geworden ist, die Naturreiche des Mineralischen,<br />

Pflanzlichen und Tierischen in ihren Zusammenhängen<br />

zu erkennen und durch sein Bewusstsein eine geistige<br />

Dimension als vierte Ebene sichtbar zu machen. Zusammenfassend<br />

können wir sagen, dass der Mensch so in<br />

den Naturreichen darinnen steht:<br />

• durch das Sein ist er mit dem Mineralreich verbunden,<br />

• durch das Leben ist er mit der Pflanze verbunden,<br />

• durch die Empfindung ist er mit dem Tier verbunden,<br />

• durch den Geist transzendiert er die drei Naturreiche.<br />

Diese hinzukommende geistige Qualität durchzieht<br />

den ganzen Menschen, bildet seine Individualität bis hi-<br />

Seite 9


nein in den Fingerabdruck, in seine Gestik und in seine<br />

Gebärden. Alles an einem Menschen ist einzigartig, individuell,<br />

einmalig. Das unterscheidet ihn vom Tier. Das<br />

Tier lebt mehr im Gruppenhaften, im Instinktiven.<br />

Diese Viergliederung der Natur wird mit Blick auf den<br />

Menschen gerne begrifflich unterschieden nach dem<br />

physischen Leib (dichter-stofflicher Leib), Ätherleib (feinstofflicher<br />

Leib), Astralleib (Seelenleib) und Ich-Leib.<br />

Seite 10<br />

Die Dreigliederung<br />

des physischen Leibes<br />

Anthroposophisches Weltbild<br />

Auf der Ebene des physischen<br />

Körpers können<br />

wir eine Dreigliederung<br />

erkennen:<br />

(1) Nerven-Sinnessystem<br />

(2) Rhythmisches System<br />

(3) Stoffwechsel-Gliedmaßensystem<br />

Das Nerven-Sinnessystem und das Stoffwechsel-Gliedmaßensystem<br />

stehen sich polar gegenüber:<br />

Nerven-Sinnessystem<br />

Wachheit im Bewusstsein<br />

Denken<br />

Aufnahme von<br />

Sinneseindrücken<br />

Stoffwechsel-<br />

Gliedmaßensystem<br />

völliges Unbewusstsein<br />

Wollen<br />

Aufnahme von<br />

Stofflichem<br />

Dazwischen vermittelt das Rhythmische System.<br />

So stellt die Dreigliederung die Prozesse im physischen<br />

Leib dar.<br />

Es fällt auf, dass jedes der drei Wesensglieder eine eigene,<br />

spezifische Verbindung mit der Außenwelt unterhält:<br />

Das Nerven-Sinnessystem nimmt über die Sinnesorgane<br />

Eindrücke von außen auf und leitet sie durch das<br />

Nervensystem weiter in den Körper hinein.<br />

Das Rhythmische System ist durch die Atmung mit der<br />

Außenwelt in Kontakt.<br />

Das Stoffwechselsystem ist über den Nahrungsstrom<br />

mit der Außenwelt verbunden.<br />

Die Dreigliederung hat eine ungeheure Bedeutung in<br />

Bezug auf Gesundheit und Krankheit.


Anthroposophisches Weltbild<br />

Zusammenfassend können wir feststellen:<br />

Der Mensch ist mit den Naturreichen des Mineralischen, des Pflanzlichen und des Tierischen über den Stoff, die<br />

Lebensprozesse und die Empfindungsfähigkeit verbunden und fasst diese drei Reiche durch sein Selbstbewusstsein<br />

zur Einheit. Wir sprechen von Viergliederung.<br />

Auf der Ebene des Physischen gliedert sich die menschliche Organisation in drei Systeme: Das Nerven-Sinnessystem,<br />

das Rhythmische System und das Stoffwechsel-Gliedmaßensystem. Wir sprechen von Dreigliederung.<br />

NERVEN-SINNESSYSTEM<br />

Das Zentralnervensystem ist<br />

Träger unseres Selbstbewusstseins.<br />

In der Vorstellung, im Denken<br />

sind wir Nervensinnesmenschen.<br />

Wachbewusstsein<br />

im Denken<br />

RHYTHMISCHES SYSTEM<br />

Das Herz und die Lunge sind die Träger<br />

der rhythmischen Organisation.<br />

Der Rhythmus entsteht durch die Atembewegung:<br />

ein und aus und ein;<br />

und durch den Blutstrom vom Herzen<br />

in die Peripherie und wieder zurück.<br />

Traum- oder Halbbewusstsein<br />

im Fühlen<br />

STOFFWECHSEL-GLIEDMASSENSYSTEM<br />

Hier finden alle physiologischen Abbau- und<br />

Aufbauprozesse statt. Davon haben wir kein Bewusstsein,<br />

außer über den Schmerz.<br />

Das Nervensystem reagiert in diesem Bereich<br />

reflexiv. Es gibt keine Bewegung ohne Stoffwechsel<br />

und keinen Stoffwechsel ohne Bewegung.<br />

Schlafbewusstsein<br />

im Wollen<br />

Dr. Zwiauer hat diesen Vortrag am 23.Jänner 2009 im Rahmen der Ringvorlesung gehalten.<br />

Seite 11


Geistige Grundlagen der<br />

<strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft<br />

Johannes Toegel<br />

Welche Art der Wahrnehmung ermöglichte es Rudolf<br />

Steiner einen Vortrag über die Land wirtschaft zu halten,<br />

der bis heute von hoher Bedeutung für den biologischen<br />

Landbau ist, wo er selbst kein Bauer, Landwirt, oder<br />

Agrarwissen schafter war?<br />

Worauf beruhen die so genannten „geisteswissenschaftlichen<br />

Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft“?<br />

Gibt es eine Brücke zwischen der modernen Naturwissenschaft,<br />

auf deren Erkenntnissen das aktuelle Verständnis<br />

der Wirklichkeit aufbaut und der so genannten<br />

geistigen Wahrnehmung der Welt, welche die Grundlage<br />

für die <strong>biodynamische</strong> Landwirtschaft darstellt?<br />

Johannes Toegel erklärt diese Begriffe und Zusammenhänge<br />

anhand anschaulicher Beispiele und herausfordernder<br />

Übungen, die dazu auffordern, aus herkömmlichen<br />

Denk- und Handlungsmustern auszubrechen und<br />

die Dinge und Zusammenhänge aus einem anderen<br />

Blickwinkel heraus zu betrachten.<br />

Lebenszugang und geistige Wahrnehmung<br />

„Mein Lebenszugang zum Geistigen ist der Folgende:<br />

Ich hab’ mich vor längerer Zeit für drei Jahre in eine Einsiedelei<br />

im Himalaya zurück gezogen und bei der Gelegenheit<br />

wirklich gelernt, was geistig sein heißt, oder was<br />

Geist bedeutet. Und diesen Geist hab’ ich dann bei Rudolf<br />

Steiner wieder gefunden und deshalb steh‘ ich jetzt-<br />

Seite 12<br />

Geistige Grundlagen<br />

hier und sprech’ zu ihnen.“ 1<br />

Was unter dem Begriff Geist im Zusammenhang mit<br />

der <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft zu verstehen ist,<br />

kann vielleicht eine Geschichte aus dem Leben des Vortragenden<br />

deutlich machen. Sie handelt von sehr praktischen<br />

Dingen, wie Feuer machen und Tee kochen, und<br />

spielt in einer einsamen Klause im Hochland des Himalaya:<br />

„Heißer Dampf steigt über den Tassen auf. Wir trinken<br />

Buttertee. Direkt über die Schalen mit Tsampa gegossen<br />

– die Grundnahrungsmittel der tibetischen Einsiedler.<br />

Ich bin zu Gast bei meinem Lehrer, um mit ihm ein paar<br />

schwierige meta physische Fragen zu klären, aber er lässt<br />

mich nicht zu Wort kommen.<br />

‚Wie geht es dir mit dem Feuer in der Höhle?‘<br />

‚Mit dem Feuer? Nicht besonders. Man braucht trockenes<br />

Holz um ein gutes Feuer zu brennen und ich<br />

habe kein trockenes Holz.‘<br />

Mein Lehrer lächelt und wir schlürfen unseren Tee.<br />

Wie ich wieder zu meinen Fragen ansetzen will, kommt<br />

er mir zuvor.<br />

‚Wie geht es mit dem Tee?‘<br />

‚Auch nicht besonders. Was wir hier trinken ist ausgezeichnet,<br />

aber daheim hab’ ich keine frische Milch und<br />

man braucht frische Milch um Butter tee zu machen.‘<br />

Mein Lehrer lächelt wieder und ich gebe meine komplizierten<br />

Fragen auf. Dafür fange ich an mein Leben zu<br />

ändern. Ich lerne Holz sammeln und trocknen.<br />

1 Toegel


Ich freunde mich mit den Hirten am Berg an, um<br />

frische Milch zu bekommen. So lerne ich den Berg kennen,<br />

die Orte wo das Holz wächst und das Gras für die<br />

Schafe. Wo das Dorf steht und was in den Herzen der<br />

Menschen vor sich geht.<br />

Nach einer Weile sammle ich das Holz nicht mehr um<br />

Feuer zu machen, sondern um mit dem Berg in Berührung<br />

zu bleiben. Ich besuche die Menschen nicht mehr<br />

allein um Milch und Butter zu bekommen, sondern vor<br />

allem um mit ihnen in Beziehung zu kommen.<br />

An diesem Punkt beginnt der Berg sich mir zu öffnen<br />

und mit mir zu reden. Erst jetzt beginnt die Botschaft<br />

meines Lehrers ganz in mich ein zudringen und Früchte<br />

zu tragen. Meditation und Geist bedeuten mit der Erde<br />

und dem Leben in Berührung zu sein und von dort her<br />

eine neue Dimension zu erschließen.“<br />

Die geistige Ebene der Wirklichkeit<br />

Unter Geist versteht man demnach weder die uns innewohnende<br />

Vernunft, noch ein Gespenst, oder das, was<br />

an einer geisteswissenschaftlichen Fakultät gelehrt wird.<br />

In der Anthroposophie gibt es den Ansatz einer Dreigliederung<br />

der Wirklichkeit in Materie, Leben und Geist.<br />

Im Rahmen dieser Dreigliederung, ist der Geist die umfassendste,<br />

die komplexeste der drei Ebenen der Wirklichkeit.<br />

Dieser Geist ist etwas, das auch außerhalb unseres<br />

Kopfes, außerhalb unserer Vorstellung passiert. Geistige<br />

Wahrnehmung ist eine Art Annäherung an die Wirklichkeit,<br />

aus der heraus ein Blick entsteht, mit dem man Dinge<br />

sieht, die man vorher nicht gesehen hat.<br />

Geistige Grundlagen<br />

Man sieht Zusammenhänge. Man schaut etwas liebevoller<br />

auf die Wirklichkeit und sieht immer deutlicher<br />

worum es geht. Und das ist der Hintergrund der biologischen<br />

und der <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft.<br />

Man schaut genau hin, wie die Natur sich entwickelt<br />

und handelt der Natur entsprechend. Man schaut genau<br />

hin, wie der Mensch sich entwickelt und schafft Nahrung<br />

- dem Menschen entsprechend.<br />

Um sich nun dieser Art von Wahrnehmung anzunähern,<br />

hilft ein weiteres Beispiel.<br />

„Also wenn man auf unsere Erde von oben schaut,<br />

dann sieht man erst einmal hauptsächlich Materie und<br />

die Gestaltungen der Materie. Und wenn man weiterschaut,<br />

sieht man, es gibt Wasser, es gibt Flüsse. Und<br />

an den Flüssen und dort wo genug Wasser ist, entwickelt<br />

sich so etwas wie sichtbares Leben: Wälder, Felder,<br />

Äcker, und so weiter. Und wenn man weiter schaut, sieht<br />

man, dass sich über diesem Leben eine weitere Schicht<br />

aufbaut. Und das ist das, was wir die Schicht des Geistes<br />

nennen könnten.“ 2<br />

Materie – Leben – Geist<br />

Das genannte Beispiel verdeutlicht unterschiedliche<br />

Komplexitätsebenen. Um eine Wahrnehmung dafür zu<br />

entwickeln kann man sich beispielsweise durch die folgenden<br />

Übungen annähern.<br />

Man versucht verschiedene Objekte in ihrer Ganzheit<br />

wahrzunehmen, indem man die Objekte einfach nur betrachtet,<br />

ohne sich irgendwelche Gedanken über diese<br />

zu machen bzw. ohne irgendetwas in sie hinein zu inter-<br />

2 Toegel<br />

Seite 13


pretieren. Im Rahmen des Vortrags wurde mit einem<br />

Kristall, einer Pflanze, einem Tier und dem Menschen<br />

gearbeitet.<br />

Der Kristall steht in diesem Zusammenhang für die<br />

Materie, die Pflanze und das Tier für die Verbindung<br />

von Materie und Lebensebene und der Mensch steht für<br />

die Verbindung von materieller, lebendiger und geistiger<br />

Ebene.<br />

Jedem dieser Objekte wohnt eine gewisse Gefühlsqualität<br />

inne, die sich durch die Beobachtung gewissermaßen<br />

in einem selbst abbildet. Durch diese Betrachtungsweise<br />

kann das eigene Bewusstsein ein Stück weit die Gestalt<br />

des betrachteten Objekts nachbilden. Man nimmt die<br />

Komplexität und die Gesetze des Entstehungsprozesses<br />

der Objekte wahr und bildet diese sozusagen gefühlsmäßig<br />

nach.<br />

Es ist auch möglich - vielleicht nur diffus, aber doch<br />

spürbar - Unterschiede zwischen den verschiedenen<br />

Komplexitätsebenen wahrzunehmen. Der Mensch beispielsweise<br />

vereint mehrere Qualitäten des Lebendigen<br />

(des pflanzlichen und des tierischen Lebens) in sich. Er<br />

hat es aber sozusagen auf einer höheren Ebene gesammelt.<br />

Ein Raum voller Tiere, wäre im Vergleich zu einem<br />

Raum voller Menschen, ein ziemliches Durcheinander.<br />

Beim Menschen ist diese Art der Unruhe beruhigt.<br />

Durch diese Darstellung der Wirklichkeit wird erkennbar,<br />

dass sich das hier beschriebene Weltbild von dem<br />

uns bekannten naturwissenschaftlich geprägten Weltbild<br />

grundlegend unterscheidet.<br />

Diese Tatsache führt uns zu der eingangs gestellten<br />

Frage, ob es eine Brücke zwischen der modernen Naturwissenschaft<br />

und der geistigen Wahrnehmung der Welt<br />

gibt.<br />

Seite 14<br />

Geistige Grundlagen<br />

Die nun folgende Darstellung soll einen Überblick über<br />

die Gemeinsamkeiten der beiden Interpretationen der<br />

Wirklichkeit geben und eine Möglichkeit zeigen, wie die<br />

vorhandenen Unterschiede überbrückt werden können.<br />

Zwei verschiedene Denksysteme<br />

Abbildung 1 Modifizierte Tafelzeichnung<br />

Sowohl im naturwissenschaftlichen als auch im geisteswissenschaftlichen<br />

Denksystem kann zwischen den<br />

drei Ebenen Materie, Leben und Geist unterschieden<br />

werden. Der menschliche Organismus bewegt sich auf<br />

allen drei Ebenen.<br />

Für die moderne Naturwissenschaft besteht der Unterschied<br />

zwischen den Ebenen vor allem im Grad der<br />

Komplexität der einzelnen Erscheinungen. In der modernen<br />

Systemtheorie versucht man, auf dieser Grundlage<br />

zu einem Gesamtbild der Wirklichkeit zu gelangen.


Zur Erkenntnistheorie<br />

Grundsätzlich kann nur die höhere, komplexere Ebene<br />

die niedrigere, einfacher gestaltete Ebene erfassen.<br />

Das menschliche Ich stellt eine Unterstruktur des Organismus<br />

Mensch dar. Es kann sich die Ebenen der Materie<br />

und des Lebendigen durch Wahrnehmung begreifbar<br />

machen. Ebenso kann sich der Mensch durch (Selbst-)<br />

Reflexion, oder Spiegelung durch die Umgebung, bis zu<br />

einem gewissen Grade seines Ichs bewusst werden.<br />

Durch eine philosophische Dialektik 3 – der Methode von<br />

„ These, Antithese und Synthese“ – kann dieser Bereich<br />

etwas ausgeweitet werden.<br />

Der dialektische Erkenntnisweg bleibt aber auf die Ebene<br />

der Vernunft und des menschlichen „Ich“ beschränkt<br />

und blendet daher die höheren Ebenen des Geistes<br />

( beispielsweise das „Höhere Ich“, wie Steiner es nennt,<br />

oder das „Selbst“ wie C.G. Jung es bezeichnet) aus. Der<br />

Versuch Erkenntnis über diesen Bereich des Geistigen zu<br />

erlangen ist nur über eine Öffnung des Ich möglich.<br />

Rudolf Steiner hat sich Zeit seines Lebens mit der<br />

Öffnung des Ich und der Erkenntnis vom Höheren Ich<br />

beschäftigt. Wahrnehmungsübungen, wie sie im Vortrag<br />

ansatzweise probiert wurden, waren integraler Bestandteil<br />

seiner Arbeit: der Anthroposphie.<br />

Um zu verstehen was geistige Wahrnehmung ist, muss<br />

man sich über das Feld des Intellekts hinausbewegen,<br />

die zuerst zwischen den verschiedenen Seinsebenen gezogenen<br />

Grenzen wieder auflösen und die Wirklichkeit<br />

als ein rhythmisches Ganzes betrachten.<br />

Die Wahrnehmung der höheren Ebenen des Geistes<br />

3 Vom Philosophen Hegel begründete Lehre von der Erkenntnisgewinnung<br />

durch Gegenüberstellung von These und Antithese – eine<br />

Lösung zeichnet sich in der Synthese ab (vgl. Popper 1940).<br />

Geistige Grundlagen<br />

ist aber nicht zu verwechseln mit einer intuitiven, mythischen<br />

oder vor-rationalen Weltsicht!<br />

Durch Wahrnehmung zur Wirklichkeit<br />

„Wenn ein Musiker aus dem Takt kommt, ist es das<br />

Beste, wenn er sein Instrument kurz absetzt und einfach<br />

nur zuhört. Vorher hat ihn seine eigene Stimme taub gemacht.<br />

Jetzt kann er die Musik wieder aufnehmen. Sie<br />

ergreift sein Wesen, sein Herz und seinen Atem. Und<br />

dann, ganz natürlich, kommt sein Einsatz.“ 4<br />

So wie ein Musiker sich der Musik zuwendet, so kann<br />

sich jeder Mensch dem eigenen Leben zuwenden, die Lebensprozesse<br />

still wahrnehmen – ganz ohne Verstand.<br />

Da können wir den Rhyth mus des Atems wahrnehmen,<br />

den Herzschlag und viele weitere Rhythmen, bis wir uns<br />

ganz spüren, an dem Ort, an dem wir sind, wie wir sind.<br />

Wir leben aber auch in komplexeren Zyklen und Rhythmen,<br />

wie Wachen und Schlafen, Jahres phasen und im<br />

Lebenszyklus überhaupt bis hin zum Entstehen und Vergehen<br />

von Kulturen. Diese Rhythmen werden aus dem<br />

Geistigen getragen.<br />

Indem wir uns also unseren Rhythmen nach unten öffnen,<br />

werden wir sensibler für all die Rhythmen, die in uns<br />

sind und damit nähern wir uns den Wirklichkeiten von<br />

einer geistigen Wahr nehmung aus.<br />

Und aus dieser Wahrnehmung heraus hat nun Rudolf<br />

Steiner auf die Landwirtschaft geschaut.<br />

4 Toegel<br />

Seite 15


Er hat die Bedeutung der Beachtung dieser Rhythmen<br />

für:<br />

- die Wachstumsprozesse (Tag- Nachtrhythmus)<br />

- die Reproduktionsprozesse<br />

(Jahres-Mondrythmen)<br />

- die richtigen Saat-, Setz- und Erntezeitpunkte<br />

(planetarische Rhythmen) und<br />

- die Zuchtarbeit<br />

im <strong>landwirtschaft</strong>ichen Organismus erkannt. Aus diesen<br />

Hinweisen hat sich später die Konstellationsforschung<br />

für den <strong>landwirtschaft</strong>lichen Bereich entwickelt.<br />

Die Beschäftigung mit den irdischen und kosmischen<br />

Rhythmen erweitert auch das Bewusstsein für die Rhythmen<br />

und Zyklen im menschlichen Leben und kann uns<br />

dazu anleiten, das eigene Dasein stärker im Lichte dieser<br />

Rythmen von Schlafen und Wachen, Jahresläufen, von<br />

Geburt und Tod zu reflektieren.<br />

Der Mensch im <strong>landwirtschaft</strong>lichen Organismus<br />

Nun geht es darum zu versuchen, den Orga nismus<br />

einer <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft innerhalb der drei<br />

Wirklichkeitsebenen zu betrachten: Materie, Leben und<br />

Geist.<br />

Im Boden ist das meiste Materie, darüber wächst die<br />

Pflanze – sie bildet mit der Materie ein harmonisches<br />

Ganzes. Der Bereich der Tiere steht wiederum sowohl<br />

mit den Pflanzen – über das Futter – und mit dem Boden<br />

– über die Düngung – in Verbindung. Und zusammen<br />

bilden diese Bereiche eine Ganzheit, in der alle Ebenen<br />

miteinander zusammenhängen.<br />

Seite 16<br />

Geistige Grundlagen<br />

Abbildung 2 -Modifizierte Tafelzeichnung<br />

Wo steht der Mensch?<br />

Der Mensch stellt nun in diesem Zusammenhang die<br />

Verbindung dieses ganzen Organismus in Harmonie mit<br />

der Erde auf der einen Seite und darüber hinaus zum<br />

Kosmos her.


Er steht in dreifacher Weise darinnen:<br />

1. In seinem sozialen Verhältnis zu allem Lebendigem<br />

im Hof.<br />

Dieses Verhältnis findet seinen Widerhall im Atmosphärischen<br />

am Hof.<br />

2. In der Verbindung des Hofes zur Gemeinschaft.<br />

Hier hinein spielen die rechtlichen und wirtschaftlichen<br />

Bedingungen des Hofes. Ist der Hof nur eine Produktionsstätte<br />

oder ist er darüberhinaus ein Ort des Lernens<br />

(PraktiktanInnen, Lehrlinge...), ein Ort der Begegnung<br />

und der Kooperation? Rudolf Steiner hat schon zu Beginn<br />

des 20. Jahrhunderts auf die Notwendigkeit des assoziativen<br />

Wirtschaftens als Gegenpol zum industriellen<br />

Bewirtschaften hingewiesen.<br />

3. In der Beziehung des Hofes zur Welt und zum Kosmos<br />

überhaupt.<br />

Hier muss sich der Mensch die Frage stellen, wohin sein<br />

Tun führen soll. Dient der Hof nur zu wirtschaftlichen<br />

oder sozialen Zwecken, oder soll das Lebendige über die<br />

Zucht weiterentwickelt werden? Das geht soweit, dass<br />

wir uns fragen sollen, worin die Aufgabe des Menschen<br />

auf dieser Welt zu suchen ist.<br />

Zusammenfassend geht es bei der Beziehung zum<br />

Kosmos um die Frage, wie denn eigentlich die Aufgabe<br />

der Menschheit auf der Erde aussieht. Wie der Mensch<br />

sein Wirken, seinen Betrieb in die richtige Richtung lenkt,<br />

damit es für das Gesamte richtig ist.<br />

Um diese Richtung zu erkennen, braucht der Mensch<br />

eine Wahrnehmungsfähigkeit, die über die Vernunft hinausgeht.<br />

Mit der Vernunft kommt der Mensch nur bis zur<br />

gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Ebene.<br />

Um aber eine Ahnung davon zu bekommen, wohin die<br />

Lebensprozesse ziehen, wohin Boden, Pflanzen und Tiere<br />

wachsen wollen und wo sich letztlich die Menschheit<br />

Geistige Grundlagen<br />

hinentwickeln will, dafür braucht es eine andere Wahrnehmungsfähigkeit.<br />

Hat man ein Gespür dafür gefunden, wohin das alles<br />

gehen soll, hat man dieses Ziel erkannt, dann kann sich<br />

der Organismus richtig entwickeln und sich in die großen<br />

Gesetze und Kreis läufe einordnen.<br />

Exkurs: Die Entwicklung einer sozialen Ordnung<br />

von Waltraud Neuper<br />

Die Entwicklung hin zu einer sozialen Ordnung in der<br />

Landwirtschaft – und davon ausgehend auf alle Lebensbereiche,<br />

die ja von der Landwirtschaft abhängig sind<br />

– ist ein Prozess, der sich über Generationen erstreckt.<br />

Noch vor zwei Generationen war die Land wirtschaft<br />

getragen von Traditionen und hierarchisch geordneten<br />

Strukturen im Zusammenleben. Davor war sie geleitet<br />

von höheren geistigen Institutionen wie Klöstern, Grundherren<br />

und noch weiter zurück von den Mysterien und<br />

Pharaonenpriestern.<br />

Nun hat sich mit der Aufklärung das Bewusstsein verändert<br />

und die Menschen sind aus den alten Traditionen<br />

herausgetreten. Mit dem Beginn des 20. Jahrhundert begannen<br />

sich alte bäuerliche Lebensformen aufzulösen.<br />

Industrialisierung, Mechanisierung, Aufklärung und vor<br />

allem die zunehmende Individualisierung führen dazu,<br />

dass der Einzelne immer mehr selbst seine Entscheidungen<br />

treffen und damit die Verantwortung für die<br />

Konsequenzen auf sich nehmen muss. Das ist die große<br />

Herausforderung auf den Höfen. Dort, wo dieses Ringen<br />

um die Selbstbestimmung und die Eigenverantwortung<br />

nicht stattfindet, werden äußere Mächte das Ruder ergreifen<br />

(Regelmentierung, Vorschriften...).<br />

Seite 17


Die momentane Situation auf den Höfen ruft nach<br />

einer neuen Kultur, die alten Hierachien verlieren ihre<br />

Macht.<br />

Rudolf Steiners Werdegang<br />

Rudolf Steiner hat den Landwirtschaftlichen Kurs, in<br />

dem die <strong>biodynamische</strong> Landwirtschaft ihren geistigen<br />

Ursprung hat, gegen Ende seines abwechslungsreichen<br />

Lebens gehalten.<br />

Schon die Verschiedenartigkeit der Biographien über<br />

Steiner erwecken das Gefühl, dass er viele Anhänger hatte,<br />

aber auch viele Gegner.<br />

Steiner wurde 1861 wurde in Kraljevec geboren. Sein<br />

Vater war Beamter der Südbahn, so kam er im Laufe seiner<br />

Kindheit an verschiedene Orte.<br />

Steiner schreibt selbst, dass er schon früh geist ige Wesenheiten<br />

so wahrgenommen hat, wie er mit den Augen<br />

die gewöhnliche Welt gesehen hat.<br />

Daraus entspringt für ihn ein Bedürfnis diese beiden<br />

Welten miteinander in Einklang zu bringen und aufeinander<br />

zu beziehen. Das durchzieht sein ganzes Leben.<br />

Mit 18 Jahren beginnt er in Wien zu studieren. Er hat<br />

ein Stipendium, aber er muss sich als Haus lehrer durchschlagen.<br />

Eine seiner wichtigsten Tätigkeiten war es im<br />

Alter von 29 Jahren die Gesamtausgabe der naturwissenschaftlichen<br />

Schriften Goethes zu erarbeiten. Goethe hat<br />

sich sehr mit Prozessen beschäftigt, die beim natürlichen<br />

Wachstum von Pflanzen und Kristallen stattfinden. Er<br />

hat damit eine eigene Art der Wissenschaft begründet.<br />

Gleichzeitig hat er auch andere Werke heraus gegeben,<br />

Seite 18<br />

Geistige Grundlagen<br />

wie eine Gesamtausgabe von Schopenhauer und Werke<br />

von Jean Paul. Außerdem hat er sich zu diesem Zeitpunkt<br />

sehr mit Nietzsche beschäftigt – er war offenbar geistig<br />

sehr rege.<br />

Einige Jahre später, um 1900, ist er nach Berlin gekommen:<br />

Dort lebt er einige Jahre unter schwierigsten<br />

(finanziellen; Anm.) Umständen, ist in Künstler- und Intellektuellenkreisen<br />

tätig, arbeitet an einer Arbeiterschule<br />

und man merkt, er ringt. Er ringt darum, was jetzt sein<br />

soll und die Biografen setzen in diesen Zeiten auch eine<br />

große Wende in seinem Leben an.<br />

Jedenfalls wird Steiner, der stets geistigen Autoritäten<br />

gegenüber sehr kritisch war, auf einmal ein starker Befürworter<br />

einer höheren geistigen Leitung oder Wirklichkeit.<br />

Es wird angenommen, dass er in dieser Zeit eine Art<br />

Christuserlebnis hatte.<br />

Von der Theosophie zur Anthroposophie<br />

Durch Steiners Kenntnis der Werke Goethes und<br />

Nietzsches wurde er bald als Vortragsredner für den theosophischen<br />

Kreis interessant, da vor allem Nietzsche in<br />

jener Zeit sehr modern wurde. Diese Bewegung der Theosophie<br />

war im British Empire entstanden, aus dem Bestreben<br />

der Kolonialherren heraus, das alte Wissen der<br />

Inder mit der aufgeklärten Sicht der Engländer zu verbinden.<br />

Es war eine neugnostische Bewegung, die in höchsten<br />

Kreisen – auch in Deutschland – Anhänger fand.<br />

Und zu diesem Kreis ist nun Steiner eingeladen worden<br />

und hat dort offenbar sehr großen Anklang gefunden,<br />

denn auf einmal war es mit seinen Lebensschwierigkeiten<br />

zu Ende.


Als nun ein Teil der theosophischen Gesellschaft den<br />

Inder Krishna Murti weltweit als den neuen Heilsbringer<br />

(eine Art neuer Christus) verkünden wollte, kam es zum<br />

Bruch mit der Theosophischen Gesellschaft. Steiner<br />

setzte seine geistige Arbeit und Vortragstätigkeit unter<br />

eigenem Namen fort. Das war die Geburt der Anthroposophie.<br />

Der 1. Weltkrieg und Steiners Impulse<br />

Die Zeit des ersten Weltkrieges war eine gewaltige Katastrophe<br />

für das Geistesleben Europas, die vieles verändert<br />

hat.<br />

Steiner schlägt in dieser Situation die Dreigliederung<br />

des sozialen Organis mus in Wirtschaftsleben, Geistesleben<br />

und Rechtsleben vor. Das sind die drei Bereiche,<br />

die er im gesellschaftlichen Organismus harmonisch verbunden<br />

haben wollte.<br />

Steiner füllte mit seinen Vorträgen ganze Konzertsäle<br />

und kam auch in höchste Regierungs kreise – jedenfalls<br />

muss er ein mitreißender Redner gewesen sein. Dabei<br />

hat er seine Vorträge kaum schriftlich vorbereitet, sondern<br />

hat – was nicht ganz ungefährlich war – aus dem<br />

Geist gesprochen. Dort wo das möglich war, hat er das,<br />

was ihm durch seine unmittelbare Anschauung zugänglich<br />

war, Menschen mitgeteilt.<br />

In dieser Zeit entsteht unter Steiners Anregungen<br />

in Dornach in der Schweiz ein eigenes Zentrum, eine<br />

Künstlerkolonie, die sich um einen wunder schönen Bau<br />

ansiedelt – das Goetheanum. Dieses erste Goetheanum<br />

wurde – man nimmt an von rechtsradikalen Kreisen – in<br />

einer Neujahrsnacht niedergebrannt und wurde kurz vor<br />

seinem Tod wiedererrichtet.<br />

Geistige Grundlagen<br />

Dabei erhält Steiner immer einflussreichere Verbündete,<br />

wie den Architekten Le Corbusier, der ihn bei der<br />

Wiedererrichtung des Goetheanums unterstützte, oder<br />

den Großindus triellen Waldorf-Astoria, der mit ihm in<br />

Stuttgart die erste Waldorf schule begründet hat.<br />

Und gegen Ende seines Lebens – im Jahre 1924 – hat<br />

er dann den Landwirtschaftlichen Kurs gehalten – beim<br />

Grafen Keyserlingk in damaligen Schlesien – und er<br />

hat dort in einigen Tagen die Grundlagen der <strong>biodynamische</strong>n<br />

Landwirtschaft entwickelt. Das ist deswegen<br />

bemerkenswert, weil Steiner bis dort hin mit der Landwirtschaft<br />

überhaupt nichts zu tun hatte – denn er hatte<br />

sich sein Leben lang mit geistigen Inhalten beschäftigt.<br />

Seite 19


Zusammenfassung und kritische Würdigung<br />

Ausgehend vom Rand der Welt im Hochland des Himalaya-Gebirges<br />

führte Dr. Johannes Toegel die HörerInnenschaft<br />

bis an die Grenzen der persönlichen Vorstellungskraft<br />

und der eigenen Wahrnehmung. Es war eine<br />

Wanderung in großen Schritten, die es trotz der hohen<br />

Geschwindigkeit ermöglichte, für einen Augenblick in höhere<br />

Komplexitätsebenen einzudringen.<br />

Bilder, Geschichten aus dem Leben des Vortragenden<br />

und verschiedene Vorstellungsübungen boten die Möglichkeit,<br />

die Idee eines größeren Gesamtbildes entstehen<br />

zu lassen. Ähnlich einer Landkarte, mit deren Hilfe die<br />

Vorbereitung des weiteren Weges gemacht werden kann.<br />

Vielleicht eine Art mehrdimensionale Karte mit vielen<br />

weißen Flecken, deren zielführende Verwendung mit viel<br />

Übung verbunden ist.<br />

Die Verlockung, sich wiederum durch Bilder über die<br />

Unfähigkeit der Erkenntnis höherer Komplexitätsebenen<br />

hinwegzuhelfen, erscheint groß.<br />

Es stellt sich auch die Frage, ob „wahre Erkenntnis”<br />

durch im Geist konstruierte Bilder möglich sein kann.<br />

Besteht unsere gesamte Wirklichkeit, in der wir leben,<br />

nicht aus solchen, im Geist konstruierten Bildern?<br />

Gleichsam schafft dieser Ansatz eine Anknüpfung an<br />

die Erkenntnisse der modernen Quantenphysik, deren<br />

philosophische Erkenntnisse in das „Potsdamer Manifest“<br />

eingeflossen sind, in dem folgender Aufruf zu lesen<br />

ist: „Wir müssen lernen, auf neue Weise zu denken.“ 5<br />

5 Hans-Peter Dürr geht so weit, dass er die Atome, welche lange<br />

Zeit als begrenzte Teichen galten, als „Wirks“ bezeichnet, Energien<br />

die in einem Beziehungsgefüge bis in den Kosmos hinein<br />

wirken.<br />

Seite 20<br />

Geistige Grundlagen<br />

Diese Denkschrift, die weltweit von ca. 130 WissenschafterInnen<br />

und Persönlichkeiten unterzeichnet<br />

wurde, fordert eine Neuorientierung vom materialistisch-mechanistischen<br />

Weltbild hin zum geistig-lebendigen<br />

Kosmos (Dürr et al. 2005). Die Erkenntnisse<br />

der Quantenphysik führten in dieser Disziplin zu der<br />

Einsicht, dass die Wirklichkeit nicht mehr dadurch definiert<br />

werden kann, was ist, sondern durch das was<br />

passiert, was wirkt.<br />

Begriffe wie Wahrheit, Wirklichkeit, Realität, Natur<br />

und Kultur wurden, aufgrund des begrenzten Zeitrahmens,<br />

leider nur ansatzweise behandelt.<br />

Eine Unterscheidung zwischen Realität und Wirklichkeit<br />

findet sich beispielsweise im radikalen Konstruktivismus.<br />

“In dieser Hinsicht bietet die deutsche Sprache einen<br />

Vorteil im Vergleich zum Englischen. Sie stellt einem<br />

zwei Wörter zur Verfügung, dank derer man den<br />

unnahbaren ontologischen Bereich, den die abendländische<br />

Philosophie stets zu ‚erkennen’ hoffte, als<br />

Realität bezeichnet, während man von der Erlebenswelt,<br />

zu der allein man durch Wahrnehmen und Handeln<br />

tatsächlich Zugang hat, getrost als Wirklichkeit<br />

sprechen kann [...]. Damit hat man die Möglichkeit,<br />

allen herkömmlichen Realismus, sei er materialistisch<br />

oder metaphysisch, zu vermeiden.“ 6<br />

Theoretische Ausführungen und Erklärungen, sowie<br />

verschiedene Vorstellungsübungen sollen einen<br />

also dazu befähigen, eine Wahrnehmung zu entwikkeln,<br />

die als praktisches Werkzeug im täglichen Leben<br />

eingesetzt werden kann und soll.<br />

6 Glasersfeld 1997, p. 47


Die Frage, die sich vielleicht stellt, ist, welche Art des<br />

„Geistes“ ein Mensch aufweisen muss, um sich überhaupt<br />

auf diesen Weg begeben zu können. Dr. Toegel<br />

spricht von einer demütigen Haltung, von einer Gesinnung,<br />

die nicht dazu neigt die geistige Ebene „beherrschen“<br />

zu wollen. Was bedeutet dies aber im Klartext?<br />

Ein unreflektiertes Nachahmen der Übungen und Verhaltensweisen<br />

von anderen Menschen, die sich mehr<br />

oder weniger erfolgreich auf diesen „Weg der Erkenntnis“<br />

begeben haben, kann wohl kaum der Schlüssel zum<br />

Erfolg sein, wo doch dem Individuum selbst und der individuellen<br />

Entwicklung des „Geistes“ eine so hohe Bedeutung<br />

beigemessen wird.<br />

Richtlinien können auch in diesem Zusammenhang<br />

höchstens der Ausgangspunkt für weitere Entwicklungen<br />

sein.<br />

Im Gespräch mit Dr. Toegel: Früher konnte man davon<br />

ausgehen, dass ein Bauer, wenn er so arbeitet, wie es seine<br />

Vorfahren gemacht haben, den ihm überantworteten<br />

Betrieb gesund erhalten kann.<br />

Heutzutage kann man davon ausgehen, dass ein Bauer,<br />

wenn er weiterarbeitet wie seine Vorfahren es taten,<br />

den Betrieb nur schwer gesund erhalten kann.<br />

Dies soll keineswegs bedeuten, dass unsere Vorfahren<br />

alles falsch gemacht haben. Sie haben bestimmt in bester<br />

Gesinnung und, oder vielmehr aber ihrer Zeit entsprechend<br />

gehandelt.<br />

Ein Umdenken erscheint deshalb nötig, weil die Rahmenbedingungen,<br />

innerhalb derer sich ein Betrieb heutzutage<br />

bewegt, einem schnelleren Wandel unterzogen-<br />

Geistige Grundlagen<br />

sind, als das jemals der Fall gewesen sein dürfte.<br />

Dr. Toegel hielt diesen Vortrag am 24.Oktober 2008 an<br />

der Universität für Bodenkultur.<br />

Weiterführende Literatur<br />

von Dr. Johannes Toegel<br />

1. Steiner, Rudolf: „Wie erlangt man Erkenntnisse der<br />

höheren Welten?“, Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1992.<br />

2. Steiner, Rudolf: „Mein Lebensgang.<br />

Eine nicht vollendete Autobiographie.“,<br />

Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1982.<br />

3. Wehr, Gerhard: „C.G.Jung und Rudolf<br />

Steiner. Konfrontation und Synopse,“<br />

Klett-Cotta, Stuttgart 1998.<br />

4. Teilhard de Chardin, Pierre: „Der Mensch<br />

im Kosmos,“ C.H.Beck, München 1964.<br />

5. Laszlo, Ervin: „Die Neugestaltung der<br />

vernetzten Welt. Global denken – global handeln.“<br />

(pp 133-145), Vianova, Petersberg 2004.<br />

Zwei Biografien von Rudolf Steiner im Internet:<br />

http://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Steiner<br />

http://www.rudolf-steiner.com/rudolf_steiner/<br />

6. von Glasersfeld, Ernst : „Wege des Wissens.<br />

Konstruktivistische Erkundungen durch unser<br />

Denken,“ Carl Auer Systeme, Heidelberg 1997.<br />

Seite 21


7. Dürr; H.-P.; Dahm D.; zur Lippe, R.: „Potsdamer<br />

Denkschrift.“ Hrsg. von der Vereinigung<br />

Deutscher Wissenschaftler VDW e.V. - Federation<br />

of German Scientists. Berlin 2005.<br />

8. Popper, K.: “What is dialectic?” Aus: Mind, N. S., Bd.<br />

49. Wiederabgedruckt in Popper Karl R. Conjectures<br />

and refutations, London, Routledge and Kegan Paul,<br />

1963, S. 312-335. Basic Books, New York 1940.<br />

Der Vortrag wurde bearbeitet von Stephan Pabst<br />

und Wolfgang Eichinger; beide Studierende an der<br />

Universität für Bodenkultur in Wien, WS 2008.<br />

Seite 22<br />

Geistige Grundlagen


Markus Buchmann lebt in der Nähe von Zürich und<br />

arbeitet seit 14 Jahren im Pflanzenzüchtungsunternehmen<br />

von Peter Kunz mit. Er beschäftigt sich mit Fragen<br />

der Qualität im Bereich von Lebensmitteln. Er betreut<br />

eigene Forschungsprojekte im Gemüsebereich unter der<br />

speziellen Fragestellung:<br />

Was ist die besondere Qualität von<br />

Produkten aus <strong>biodynamische</strong>m Anbau?<br />

Markus Buchmann beginnt seinen Vortrag, indem er<br />

anknüpft an die Eurhythmie, welche dem Vortrag vorangegangen<br />

ist. Er verweist auf die Zusammenhänge zwischen<br />

den Anfängen der Sprache und Wahrnehmen von<br />

Qualität. .<br />

Wenn wir heute von Bioprodukten sprechen dann<br />

verbinden wir damit eine kausale Reihe in dem Sinne,<br />

dass wir sagen: Wenn wir einen gesunden Boden haben,<br />

dann erhalten wir gesunde Pflanzen und dann haben wir<br />

gesunde Tiere usf.<br />

Darauf reduzieren wir gern die Aussagen über Qualität.<br />

Das scheint seine innere Logik zu haben. Wenn wir das<br />

aber mit naturwissenschaftlichem Ansatz betrachten, so<br />

fragen wir sofort danach, ob dies so sein kann, ob dies<br />

objektiv nachgewiesen werden kann, weil wir die Qualitätsfrage<br />

verbinden mit dem ökonomischen Aspekt,<br />

dass Bioprodukten ein höherer Preis zusteht.<br />

Also muss eine solche Aussage belegt werden. Damit<br />

begann die <strong>biodynamische</strong> LW Methoden zu suchen, um<br />

diese Qualitäten nach zu weisen. In diesem Zusammenhang<br />

wurden die Kupferchloridkristallisations-, die Steigbildmethoden<br />

und die Rundbilderchromatogramme<br />

entwickelt. Das sind die so genannten bildschaffenden<br />

Methoden, weil sie versuchen, den Zustand einer Substanz<br />

auf bildhafte Weise darzustellen. Diese Bildsprache<br />

Qualität von Produkten<br />

benennt die Kräfte, die in der lebenden Substanz gewirkt<br />

haben. Seit 2000 wächst die Akzeptanz dieser Methoden<br />

zunehmend und es steigt die Sicherheit in der Unterscheidung<br />

zwischen Produkten aus konventionellem, aus<br />

organisch biologischem und <strong>biodynamische</strong>m Anbau.<br />

Die Methoden sind in einem EU Projekt evaluiert worden.<br />

Die Unterschiede sind nun nachzuweisen, aber die<br />

Interpretation ist noch schwierig. Der Übergang von einer<br />

solchen Darstellung zur Interpretation ist nicht mit<br />

Sicherheit zu bewerkstelligen. Das heißt, über die Bedeutung<br />

der Bilder können noch keine objektiven Aussagen<br />

gemacht werden.<br />

Da könnte man auch Studien machen. Buchmann verweist<br />

auf die „Klosterstudie“, in welcher sichtbar wurde,<br />

dass die Essensumstellung auf <strong>biodynamische</strong> Produkte<br />

positive Folgen hat. Dieser Nachweis ist zwar für die Wissenschaft<br />

noch immer viel zu subjektiv, aber Nahrung<br />

hat eben mit dem Menschen zu tun und die Auswirkung<br />

der Nahrung kann in letzter Konsequenz nur der Mensch<br />

in seiner subjektiven Erfahrung beurteilen. Die Bedeutung<br />

für die Gesundheit kann so einfach nicht nachgewiesen<br />

werden. Aber wir können an die Fragen anknüpfen:<br />

Wir machen alle unsere persönlichen Erfahrungen. Die<br />

Wissenschaften hinterfragen diese persönlichen Erfahrungen,<br />

aber meist so, dass das persönlich Menschliche,<br />

oder das individuell Menschliche ausgeschlossen wird,<br />

weil es korrumpierbar ist. Jeder Mensch hat ja seine Vorlieben.<br />

Und das hat Konsequenzen in der Kulturentwicklung,<br />

wenn man die Wissenschaft darauf aufbaut. Es gibt<br />

einen anderen Weg – und der ist der <strong>biodynamische</strong>n<br />

Methode inhärent und geht hervor aus der „Philosophie<br />

der Freiheit“; und dieser Weg zeigt auf, dass Wissenschaft<br />

auf Individualisierung gebaut werden sollte, aber<br />

konsequent. Der Mensch in seiner subjektiven Erfahrung<br />

wird nicht ausgeschlossen. Das könnte Bedeutung<br />

haben bis hinein in die Naturwissenschaft. Wie wir das<br />

Seite 23


tun in der Bildekräfteforschung, das möchte ich jetzt<br />

beschreiben. Jeder von uns hat schon Erfahrungen in<br />

dem Sinne gemacht, dass er/sie vor einer Pflanze, vor<br />

einem Acker, vor einem Feld steht und das Gefühl hat,<br />

dass es dieses Jahr besonders gut wächst, oder daß da<br />

etwas nicht stimmt, ohne dass Sie es an einem Phänomen<br />

festmachen könnten. Man isst ein Nahrungsmittel<br />

und merkt, das kräftigt mich jetzt richtig. Bittet man um<br />

eine nähere Beschreibung, dann geht die Antwort aber<br />

schnell wieder ins Ungefähre, ins Vage. Und trotzdem ist<br />

man sicher, dass man hier etwas erfahren hat.<br />

Diese Erfahrungen zu systematisieren wird zur Aufgabe<br />

in der Bildekräfteforschung.<br />

Es ist wesentlich, dem, was man erfahren hat, genau<br />

nachzugehen, es aber nicht auf der Gefühls bzw. Empfindungsebene<br />

zu belassen, sondern mit vollem Bewusstsein<br />

in diese Erfahrung hineinzugehen; das was<br />

man empfindet zu durchschauen. Es ist möglich diese<br />

Empfindungen mit vollem Bewusstsein zu durchblicken.<br />

Denn der heutige Mensch muss diese Erfahrungen mit<br />

Bewusstsein durchdringen, damit er als selbständiger,<br />

selbstbewusster Menschen das Leben ergreifen kann.<br />

Wie dies geschehen kann, soll nun schrittweise entwickelt<br />

werden. Wir beginnen damit, dass wir uns fragen,<br />

wo diese Empfindungen stattfinden. Wir neigen dazu,<br />

diese Empfindungen als Einbildungen abzutun. Das ist<br />

unser Denken. Auch spirituelle Richtungen verurteilen<br />

das Denken als Behinderung dafür, andere Dimensionen<br />

wahrzunehmen. 2 Übungen:<br />

1) „Stellen Sie sich bildhaft eine rote Rose vor.<br />

Intensiv vorstellen, bis Sie sich vor sich sehen.<br />

Nun frage ich Sie: Wo taucht die Rose auf?“ Zuhörer<br />

antworten: „In mir.“ - „Zwischen den Augen.“<br />

– „In meinem Gehirn.“ Herr Buchmann:<br />

„Sehen Sie, wir haben täglich tausende von Vorstellungsbildern<br />

und machen uns aber keine Ge-<br />

Seite 24<br />

Qualität von Produkten<br />

danken darüber, wo sie auftauchen. Sie erscheinen,<br />

wie schon der Begriff „vor“ - „stellen“ sagt,<br />

im unmittelbaren Raum vor unseren Augen.“<br />

2) „Stellen Sie sich die Rose noch einmal vor,<br />

aber nun in einer bestimmten Landschaft, ganz<br />

realistisch. Sie müssen sich konzentrieren. Und<br />

jetzt fahren Sie mit der Hand einmal durch Ihre<br />

Vorstellung räumlich hindurch. Beobachten Sie,<br />

was da passiert.“ Reaktionen: Wenn Menschen<br />

sich die Vorstellung bilden, sich konzentrieren<br />

und es wird etwas Lebendiges durch diesen Vorstellungsraum<br />

bewegt, dann kommt es zu Vorstellungsstörungen.<br />

Das ist objektiv belegbar.<br />

Wir legen kaum Rechenschaft ab über diese intimsten<br />

Vorgänge unserer Vorstellungs- und Denkwelt. Wenn wir<br />

das konsequent üben, kommen wir dahin, dass wir eine<br />

Empfindung dafür entwickeln, woher unsere Gedanken<br />

kommen, wie die Begriffe in unserem Bewusstsein erscheinen,<br />

wie Erinnerungsbilder auftreten, woher sie<br />

kommen. Wie geschieht es, dass diese Gedanken Formen<br />

und Farben annehmen können. Diese Fragen eröffnen<br />

ein riesiges Forschungsgebiet.<br />

Dieser Vorstellungsraum hat eine Art räumliche Dimension.<br />

Dieser Raum gehört zum Menschen, er kann<br />

hell werden etwa durch Ideen, er kann aber auch dunkel


sein, wenn wir etwa schläfrig sind oder dumpf. Durch<br />

diszipliniertes Üben können wir eine Souveränität über<br />

die Wahrnehmung dieser Vorgänge gewinnen.<br />

Man kann das an sich erforschen, indem man denkt,<br />

kann man beobachten wo Erinnerungen herkommen,<br />

wo Vorstellungen auftauchen. Bei starker Konzentration<br />

kann man sehen, wie der Vorstellungsraum sich verdichtet<br />

und kristallartige Strukturen entstehen. Man kann es<br />

aber schwer beschreiben, weil wir nur Begriffe aus der<br />

Sinneswelt zur Verfügung haben. Wir verfügen über die<br />

Möglichkeit und potentielle Fähigkeit, über die Beobachtung<br />

des Denkens zu einer neuen Wahrnehmungsfähigkeit<br />

zu kommen. Was es braucht, ist die Bereitschaft zur<br />

Konzentration und übenden Disziplin. Es braucht die Fähigkeit,<br />

fremde Gedanken weglassen zu können. Wenn<br />

wir uns zum Beispiel die Rose vorstellen wollen, so kommen<br />

immer bald andere Gedanken mit herein.<br />

Wir bemerken, dass wir Lieblingsgedanken haben. Man<br />

kommt gewissermaßen drauf, wie man tickt. Man muss<br />

radikal das Subjektive kennen lernen, damit man es auch<br />

beurteilen kann. So ist es nur eine Frage der Übung, bis<br />

wir bemerken, dass das Medium, wo sich alle Bewusstseinvorgänge<br />

abspielen, abhängig ist von unserer emotionalen<br />

Verfassung.<br />

Wir können dieses Medium verfolgen bis hinunter in<br />

die Füße. Wir erkennen, dass dieses Medium eine Art<br />

zweiter Leib ist. In der Anthroposophie nennt man ihn<br />

den Ätherleib. Dieser Ätherleib – oder auch Energieleib<br />

– hat im oberen Bereich Anteil an den Bewusstseinsprozessen<br />

und im unteren Körperbereich Anteil an den Lebensprozessen.<br />

Der Ätherleib ist etwas Geistiges oder Energetisches<br />

und ist nicht so abgeschlossen wie zum Beispiel der<br />

Schädel. Er ist nach außen offener.<br />

Den oberen Einflüssen gegenüber offen, aufnahmefä-<br />

Qualität von Produkten<br />

hig für alles, was von untern kommt, im Rumpfbereich<br />

ein ovaler Raum.<br />

Im Erlernen dieser Forschungsmethode, lernt man andere<br />

Menschen kennen, welche die gleichen Erfahrungen<br />

machen. Auch aus verschiedenen Heilmethoden gibt es<br />

solche Hinweise. Das ist der Schritt vom rein Subjektiven<br />

hin zu einer Art von Intersubjektivität. Man kommt dazu,<br />

dass man die eigenen Verfassungen viel feiner oder näher<br />

bestimmen kann. Wenn man sich bestimmten Einflüssen<br />

aussetzt, wird dieser Einfluss wahrnehmbar. Man<br />

steht auf Kalk oder Kiesel und kann dies unterscheiden<br />

und merken, worauf man steht. Oder wenn ich ein Nahrungsmittel<br />

zu mir nehme, dann müsste doch dieses<br />

Nahrungsmittel einen Einfluss auf meinen Energieleib<br />

- der mich am Leben erhält - haben, und ich müsste diesen<br />

Unterschied wahrnehmen können. Was geschieht in<br />

diesem Bereich, wie wird das gestaltet? In der äußeren<br />

Natur merken wir tatsächlich, wenn wir über Kalk gehen,<br />

wird alles ein wenig kalkhältig, ein wenig schwer in unserem<br />

Empfinden. Auf Granitboden lebt es sich ganz<br />

anders – Menschen mit Lungenkrankheiten gesunden in<br />

Seite 25


Gebieten mit Granit. Das wusste man früher und heute<br />

gibt es auch in der anthroposophischen Medizin Erfahrungswerte<br />

damit.<br />

Wenn man an einer Eiche vorbeigeht merkt ganz fein,<br />

dass man ein wenig knorrig wird. Beim Apfelbaum lieblich.<br />

Und so fort.<br />

Übung zum Erkennen von Lebenskräften<br />

Aufnahme von Ätherkräften von lebendigen Wesen.<br />

Die Eindrücke die entstehen werden systematisiert und<br />

eine Art Kräftewirken kann empfunden werden, wenn sie<br />

in den Vorstellungsraum kommt, eine bildhafte Qualität<br />

annimmt. Wir sprechen von Kräften, die in die Form hineinarbeiten.<br />

Zu dieser Kräftebewegung gehört eine seelische Stimung.<br />

Es geht weiter in das Lichthafte. Solche Kräftebewegung<br />

findet statt in einem Bereich, wo wir mit unserer<br />

normalen Sinneswahrnehmung nicht hinkommen.<br />

Diese Wahrnehmung hat Realität. Diese Realität hat<br />

mehr Intensität als das Sinnenerleben.<br />

Seite 26<br />

Qualität von Produkten<br />

Abbildung 5: Grundgeste Kraftwirbel – einmal in<br />

Diagrammform dargestellt(links) und einmal in Skizzenform<br />

(Mitte). Die einzelnen Kraft“pakete“ können<br />

dem ungeübten Beobachter zusammenhangslos im<br />

Raum schwirrend erscheinen (rechts).Erst eine bestimmte<br />

Beobachtungsdisziplin vermag die einzelnen<br />

Eindrücke zu einer Gesamtgestalt zu ordnen.<br />

Die Kräfte arbeiten in einen Mittelpunkt hinein. Wenn<br />

man nicht geübt ist, kann folgendes geschehen: In der<br />

sinnlichen Welt sind Farben und Formen verbunden. In<br />

der ätherischen Welt können Formen und Farben separat<br />

sein. Erst mit der Souveränität können wir das zusammenschauen.<br />

Am Beginn des Erlernens dieser Fähigkeit<br />

sind wir zunächst im Zustand eines Kleinkindes, welches<br />

auch nur langsam die einzelnen Gegenstände zusammenschauen,<br />

zuordnen und erinnern kann. Das braucht<br />

Erfahrung.<br />

So steht am Beginn dieser Einübung auch die Schwierigkeit<br />

der Zuordnung. Bis wir zu einer Sicherheit kommen,<br />

braucht es Jahre disziplinierter Übung.<br />

In den Übungen geht es um das Erkennen von Grundgesten.<br />

Wir verfolgen diese Bewegung: – das Aufblitzende,<br />

das man wahrnehmen kann da weiter als ein Kräfteströme,<br />

dass sich von unten einem Oben öffnet<br />

1. Stufe – das Aufblitzende, das man wahrnehmen<br />

kann, öffnet sich von unten einem Oben<br />

2. Stufe – das Licht (ein terminus technicus) erscheint<br />

als ein Kräfteströmen nach oben<br />

3. Stufe - das Licht wird gebündelt, gesammelt nach unten<br />

wieder entlassen


4. Stufe - das Licht steigt wieder auf<br />

Wo in der Natur könnte man das finden?<br />

Im Großen bei Laubbäumen. Konzentrierende Geste.<br />

Wärmeprozesse gestalten die Rinde. Der Ahornbaum<br />

zeigt dies in reinster Form.<br />

Interessant ist die Geste beim Stamm. Die Geste selber<br />

bündelt nicht, Kräfte wirken von außen ein, schaffen<br />

Raum nach innen, damit die Säfte steigen können und<br />

der Baum nach außen hart werden kann.<br />

Hier macht Herr Buchmann den Übergang zur Eurythmie<br />

und sagt, dass man einerseits dieses Kräftewirken<br />

nicht zeichnerisch darstellen kann und es eigentlich<br />

eurythmisch tanzen sollte und andererseits ist zu erkennen,<br />

dass sich die Sprache aus dieser Kräftebewegung<br />

herausentwickelt hat.<br />

Wir finden diese Geste ausgebreitet über das ganze<br />

Pflanzenreich. Bei der Möhre geht dieses Lichtsammeln<br />

im Wurzelreich vonstatten. Wenn wir eine Möhre essen,<br />

nehmen wir dieses Kräftegestalten auch in uns auf. Man<br />

muss sich diese Skizze vom Ätherleib allgemein vorstellen,<br />

die Strömung nach oben. Die Öffnung oben ist<br />

Qualität von Produkten<br />

so gestaltet, dass Licht von oben herein strömen kann.<br />

So wirkt die Möhre auch auf unseren Organismus. Die<br />

Lichtkräfte entfalten sich in alle Regionen hinein und<br />

durchlichten das Ganze; im Kopfbereich werden die<br />

Lichtkräfte abgegeben. Dann kann man verstehen, warum<br />

gesagt wird, dass die Möhre auf das Denken wirkt.<br />

wir haben in diesem Bereich Energie zur Verfügung zur<br />

denkerischen Tätigkeit.<br />

Die Konzentrationsgestaltung bekommen wir quasi<br />

gratis, wenn wir Sellerie zu uns nehmen.<br />

Wir können nach diesen Erfahrungen gezielt unsere Nahrungsmittel<br />

auswählen.<br />

Hier wirkt ein anderes Licht als bei der Möhre. Im<br />

Ätherischen kennen wir vielfältige Lichtqualitäten.<br />

Wenn man Obstbäume auf die gleiche Art beobachtet,<br />

dann kann man andere Strukturen finden. Kräftige<br />

Bewegung von unten aufsteigend und außen absteigend<br />

wieder in die Erde hinein. Das gibt dem Baum eine Hülle.<br />

In diese Hülle hinein strömt von oben ein bestimmtes<br />

Seite 27


Licht, welches sich unterscheidet vom Licht der Möhre.<br />

Dieses Bildewirken finden wir im Apfel wieder.<br />

Hier sehen wir eine Zugewandtheit nach oben, ein<br />

Strömen hinein in die Sinnesorgane und Verbundenheit<br />

nach unten.<br />

Wenn wir nun Weizen essen, wirken vor allem die<br />

starken Aufrichtekräfte.<br />

Jede Pflanze reagiert auf die gegebenen Wachstumsbedingungen,<br />

auf züchterische Massnahmen und last<br />

not least auf Grund ihrer genetischen Ausstattung. Mit<br />

der Bildekräfteforschung können wir nur Unterschiede<br />

im Bildhaften erkennen. Dies lässt noch keine Schlüsse<br />

zu.<br />

Es bleibt ein beobachtendes Herantasten.<br />

Markus Buchmann hielt den Vortrag am 15. März 2009 in Wien<br />

Seite 28<br />

Qualität von Produkten


Etwas über den Organismus<br />

Ursula Kothny<br />

Wir wollen uns heute mit dem Begriff Organismus beschäftigen,<br />

wollen den Erscheinungen und der Gesetzmäßigkeit,<br />

die in der Entfaltung des Organischen in der<br />

Natur walten, etwas näher kommen.<br />

Sie müssen den Organismus verstehen lernen, wenn<br />

Sie Ihren Betrieb als einen <strong>landwirtschaft</strong>lichen Organismus<br />

gestalten und bearbeiten wollen.<br />

Der Organismus ist immer ein Ganzes<br />

Wann sprechen wir von Organismus? Was zeichnet dieses<br />

als Organismus aus, und jenes als ein anorganisches Objekt?<br />

Sie alle kennen die Begriffe organische und anorganische<br />

Naturwissenschaften. Elemente, Steine, Kristalle,<br />

Metalle gehören der anorganischen Natur an. Warum?<br />

Weil sie in sich nicht belebt sind. Weil für sie die physikalisch-mechanischen<br />

Gesetze rein von außen gelten<br />

und sie selber nicht die Möglichkeit in sich tragen, auf<br />

diese Auswirkungen aus eigenem Antrieb zu reagieren,<br />

oder diesen etwas entgegen zu stellen. Pflanzen, Tiere,<br />

der Mensch, die Millionen Mikrolebewesen und Bakterien<br />

gehören der organischen Natur an. Wir sind darin<br />

geschult worden, die organische Natur mit den gleichen<br />

Augen und Denkmustern zu betrachten wie die anorganische<br />

Natur; nämlich nach physikalisch-mechanischen<br />

Gesetzmäßigkeiten.<br />

Mit dieser Betrachtungsweise kann man zwar den Aufbau<br />

und die Funktionen der organischen Natur begreifen,<br />

niemals aber die in ihr waltenden Gesetze. Noch weniger<br />

die Impulse, welche sich nach eigenen Rhythmen<br />

und Entwicklungsschritten entfalten und gleichzeitig den<br />

notwendigen Freiraum für die Anpassung an äußere<br />

Gegebenheiten beinhalten.<br />

Organismus<br />

Man nimmt so lediglich Auswirkungen von Bedingungen<br />

wahr, nicht aber die Ursachen, das Organische<br />

an sich. Will man Organismus begreifen, muss man<br />

Leben erfassen; muss man begreifen, wie sich das Lebendige<br />

im Organismus zur Geltung bringt. Ein Leichnam<br />

behält wohl eine Zeit lang Form und Größe, Farbe<br />

und Lage der einzelnen Teile zueinander, abhängig von<br />

Außentemperatur, Luftfeuchtigkeit, etc., aber das Wesentliche<br />

fehlt – das die Teile untereinander verbindende<br />

Lebensband, und das dadurch jeden einzelnen Teil Belebende.<br />

Das Organische kann nicht auf die gleiche Weise<br />

erforscht werden, wie das Anorganische.<br />

Wir möchten heute den Versuch starten, das Organische<br />

mit den Augen Goethes zu betrachten. Die<br />

geisteswissenschaftlichen Grundlagen für die <strong>biodynamische</strong><br />

Landwirtschaft hat Rudolf Steiner anhand der naturwissenschaftlichen<br />

Erkenntnisse Goethes entwickelt.<br />

Wollen Sie Goethes Denk- und Erkenntniswege gehen, so<br />

studieren Sie, wenn Sie das Poetische lieben, den Faust;<br />

wenn Sie mehr Zugang zum Prosaischen, Sachlichen<br />

verspüren, seine naturwissenschaftlichen Schriften. Zu<br />

Ersterem: „Wer das Lebendige will beschreiben, sucht<br />

erst den Geist heraus zu treiben. Dann hat er die Teile in<br />

seiner Hand, fehlt leider nur das geistige Band.“ 1<br />

Sehen Sie, damit haben wir gleich eines der Grundprinzipien<br />

des Organischen ins Auge gefasst, welches schon<br />

Platon und Aristoteles erkannt hatten: In der Organik<br />

herrscht stets das Prinzip der Ganzheit, das ganzheitlich<br />

gestaltende Organisationsprinzip. Es gibt keinen halben<br />

Organismus. Ein Organismus ist immer ein Ganzes, egal<br />

wie er uns erscheint und in welchem Entwicklungsstadium<br />

er steht. Wir können wohl Teile eines Organismus<br />

betrachten und untersuchen, das Organische dieser Teilbereiche<br />

nehmen wir aber nur wahr, wenn wir den<br />

1 Goethe, Johann Wolfgang: „Faust“, Aufbauverlag Berlin<br />

und Weimar, 1984<br />

Seite 29


Gesamtorganismus mit in unsere Betrachtung einbeziehen.<br />

Sehen Sie den Apfel an: Nachdem er vom Baum<br />

entfernt, bzw. gefallen ist, können nur noch die Abbauprozesse<br />

auf sein ehemals belebtes Fruchtfleisch wirken.<br />

Aber in sich trägt er gleichzeitig die Samen, und jeder<br />

einzelne trägt das Potential in sich, wiederum ein Apfelbaum<br />

zu werden. Den Samen verstehen wir nur dann,<br />

wenn wir sein Entwicklungspotential und die ihm innewohnende<br />

Gestalt vor unser geistiges Auge führen. Der<br />

Same selbst sagt nichts darüber aus, welcher Art, der<br />

sich daraus entwickelnde Baum sein wird.<br />

Mit Bestimmtheit können wir nur sagen, dass er eine<br />

Pflanze wird, ein Baum aus der Familie der Rosengewächse.<br />

Der Typus<br />

Goethe spricht in diesem Zusammenhang vom Typus.<br />

Der Typus ist keine reale, mit den Augen erfassbare Erscheinung<br />

der sinnlichen Welt. Den Typus der Pflanze<br />

hat Goethe an der Urpflanze entwickelt, indem er aufzeigte,<br />

nach welchen Prinzipien sich alles Pflanzliche<br />

ausgestaltet.<br />

Das Organische ist in seiner Gestaltung einer steten<br />

Verwandlung unterworfen und zeigt sich in der sinnlichen<br />

Welt in der Form. Diese Ausgestaltung erfolgt<br />

nach inneren Gesetzmäßigkeiten.<br />

Goethe kommt zu dem Schluss, dass die Idee eines<br />

Wesenhaften im Organismus wirkt, bei dem alle Einzelteile<br />

von dieser Idee durchdrungen und belebt werden.<br />

Nicht ein Glied bestimmt das andere, sondern das Ganze,<br />

die Idee bedingt jedes Einzelne aus sich selbst. Das<br />

nennt Goethe Entelechie.<br />

Seite 30<br />

Organismus<br />

Die Entelechie<br />

Die Entelechie ist eine sich aus sich selbst ins Dasein<br />

rufende Kraft. Was als Erscheinung ins Dasein tritt, ist<br />

durch jene entelechische Kraft bestimmt.<br />

Wenn man nun im goetheschen Sinne von Urorganismus<br />

spricht, so ist nicht eine Urzelle mit dem ihrer typologischen<br />

Veranlagung entsprechenden Entwicklungspotenzial<br />

ins Auge zu fassen, sondern jene Entelechie,<br />

in der die Urzelle bereits als Organismus vorweggenommen<br />

ist. Da dies ein allgemeines Prinzip ist, kommt es<br />

im einfachsten Organismus genau so vor wie im komplexesten.<br />

Insofern folgt der Organismus in seiner Entwicklung<br />

einem ideell-allgemeinen Prinzip. Seiner Ausgestaltung<br />

nach jedoch einem individuell-besonderen.<br />

Das Lebensprinzip existiert nirgends als ein bestimmtes<br />

Zentrum, sondern herrscht übergeordnet und<br />

ist zugleich jedem Organ innewohnend.<br />

Wie kommt es nun zu den vielfältigen Erscheinungen<br />

innerhalb der organischen Natur?<br />

Wir können zwei Wirkungsprinzipien erkennen:<br />

Das der Gliederung oder Differenzierung, welches sich<br />

in der Gestaltbildung bzw. Raumgestalt zeigt. Dieses<br />

Prinzip kann nur verstanden werden, wenn man auch die<br />

Zeitgestalt mit einbezieht. Denn die Erscheinung eines<br />

Organismus ist, aufgrund des in ihm wirkenden Lebensprinzips<br />

– der Entelechie – in ständiger Wandlung begriffen.<br />

Es gibt eine Phase des Aufbauens, des Wachsens,<br />

und es gibt eine Phase des Abbauens, des Alterns, und<br />

der Reifung. Es wirken Zusammenziehung und Ausdehnung.<br />

Diese ganze organische Entwicklung folgt einem<br />

Urbild, welches in sie wie eingeschrieben ist, was wir das<br />

Typologische nennen. Darin herrscht Ganzheitlichkeit,<br />

d.h. in jedem Teil des Organismus bildet der Typus das


Ideell-Allgemeine. Was sich verändert ist lediglich das Erscheinungsbild<br />

im Lauf des Entwicklungsprozesses.<br />

Mit dem befruchteten Ei ist stets schon die charakteristische<br />

Gestalt vorgegeben. Unter Gestaltbildung<br />

ist insofern nicht das Entstehen, sondern das Sichtbarwerden<br />

der Gestalt in einer individuellen Entwicklung zu<br />

verstehen. Sehen Sie das Prinzip der Ganzheit? Ein Organismus<br />

summiert sich nicht nach und nach zu einer<br />

Einheit, sondern ist von Beginn seiner Entwicklung an<br />

ein Ganzes.<br />

Entwicklung im Organischen ist niemals ein von Stadium<br />

zu Stadium akzidentielles (zufälliges) Hinzukommen<br />

im Sinne eines Fortschritts vom Einfachen zum Komplizierten,<br />

sondern jeweils die Differenzierung eines schon<br />

vorgegebenen einheitlichen Ganzen.<br />

Zur Veranschaulichung wollen wir eine solche<br />

organische Entwicklung einmal anhand einer Eizelle<br />

durchexplizieren:<br />

Die Eizelle ist die größte Zelle im Körper, gerade noch<br />

mit freiem Auge sichtbar; ihre Form ist die einer Kugel.<br />

Sie lebt in einem losen Zellverband, dem Eierstock. Die<br />

reife Eizelle schwebt frei und kann so ungehindert ihre<br />

Sphärengestalt verändern.<br />

Die Eizelle ist die älteste teilungsfähige Zelle des Körpers.<br />

Sie bildete sich im mütterlichen Organismus, als<br />

jener sich noch im embryonalen Zustand befand. Das<br />

bedeutet, diese Eizelle ist bereits im Leib der Großmutter<br />

entstanden.<br />

Wir blicken hier auf den Erbstrom der organischen<br />

Substanz, der sich im Dunkel der Generationen verliert.<br />

Die Eizelle als Ursubstanz des Lebens wird mit der Befruchtung<br />

zu einer inneren Dynamik aufgerufen, zu einer<br />

Auseinandersetzung zwischen einem inneren und einem<br />

äußeren Organismus.<br />

Organismus<br />

Nach dem Eindringen des Samens kommt es von innen<br />

her nach 30 Stunden zur ersten Zellteilung. Bald sind<br />

es zwei, vier, acht Zellen. Drei Tage nach der Befruchtung<br />

besteht der junge Keim aus einer 16 zelligen, kompakten<br />

Kugel, die von ihrem Aussehen her einer Maulbeere<br />

gleicht, deshalb Morula genannt.<br />

Obwohl die in der Morula befindlichen Zellen bis auf<br />

geringe Größenunterschiede völlig gleich aussehen und<br />

man annehmen muss, dass sie noch das gleiche Entwicklungspotenzial<br />

besitzen, also untereinander austauschbar<br />

wären, ist erwiesen, dass aus den zentral gelegenen<br />

Zellen der Embryo sich entwickelt, aus den peripheren<br />

Zellen das nährende Gewebe, die Plazenta. Den inneren<br />

Zellkomplex nennt man darum Embryoplast, den äußeren<br />

Trophoplast.<br />

In der Morula wächst nun spiralförmig ein Raum, der<br />

sich zu einer Höhlung weitet. Die Zellmasse wird dabei<br />

an die Peripherie gedrängt, sodass eine Hohlkugel entsteht.<br />

Allmählich löst sich die Zellhaut auf, welche den<br />

Seite 31


Keim bis jetzt umgeben hatte. Die Keimblase hat immer<br />

noch die Größe der Eizelle, wenngleich sich die Zellen in<br />

unglaublicher Schnelle vermehren, von 60 Zellen auf 100<br />

Zellen in nur einem halben Tag.<br />

Der Keim befindet sich noch immer auf seiner Wanderung<br />

durch den Eileiter. Am sechsten oder siebenten Tag<br />

erreicht er die Höhlung der Gebärmutter als völlig frei<br />

schwebende Kugel. Die mütterliche Schleimhaut nimmt<br />

den Keimling auf, wie die Erde den Samen. Die ganze<br />

folgende Entwicklung vollzieht sich im Schoße dieser eigens<br />

für die Keimesentwicklung wunderbar zubereiteten<br />

Schleimhaut im Inneren der Gebärmutter.<br />

Wir sehen: Die Eizelle ist ein Ganzes. Dieses Ganze<br />

differenziert sich schrittweise aus. Es werden Augen,<br />

Hände, Füße, der Blutkreislauf und aus diesem das Herz<br />

entstehen. Aber zu jedem Zeitpunkt ist das Geschöpf<br />

ein lebendiges Ganzes. Die Differenzierung geschieht<br />

dadurch, dass die Eizelle durch Teilung ihren Innenraum<br />

mit Zellen durchsetzt und dass die so entstehenden Zellen<br />

sich immer weiter teilen, an dem einen Ort mehr, an<br />

dem anderen weniger. Immer aber vollzieht sich die Vermehrung<br />

der Zellen im Inneren. Nie setzt sich Zelle auf<br />

Zelle, wie bei einem Baukasten. Man hat es mit einem<br />

ungeheuer komplizierten Unterteilen und Verschieben<br />

des lebendigen Protoplasmas zu tun – jedoch bleibt bei<br />

jedem Schritt das Ganze gewahrt.<br />

Umgangssprachlich sagt man: Der Körper sei aus<br />

Zellen aufgebaut. Das Gegenteil ist der Fall: Der Körper<br />

baut Zellen in seine Form hinein. Dieser Prozess vollzieht<br />

sich während des ganzen Lebens. In Zeitbegriffen ausgedrückt<br />

wissen wir, dass der Körper im Laufe von sieben<br />

Jahren sich zur Gänze erneuert.<br />

Der Körper eines Menschen ist zunächst eine Eizelle,<br />

seine Ursprungsgestalt ist eine Kugel. Im Verlaufe der<br />

Embryonalentwicklung verändert sich die menschliche<br />

Leibform. Sie nimmt verschiedenste Gestaltungen an.<br />

Seite 32<br />

Organismus<br />

Zunächst wird sie flach wie der Erdboden, aus dem sich<br />

aber bald gebirgsähnliche Formungen erheben, wächst<br />

dann pflanzenartig aus eigenem Erdreich empor, wird<br />

fischähnlich und tastet sich allmählich durch alle Gestaltungen<br />

der höheren Tierformen hindurch, bis endlich die<br />

Menschengestalt sichtbar wird. Von Anfang an ist aber<br />

der sich entwickelnde Körper der eines Menschen, eines<br />

ganz bestimmten Menschen, eines Individuums mit einer<br />

besonderen Persönlichkeit – er ist immer ein ganzer<br />

Organismus.<br />

Entwicklung im Organischen meint darum nicht die<br />

Differenzierung im Sinne eines Fortschreitens vom Einfachen<br />

zum Komplizierten, nicht das Hinzukommen von<br />

Teilen als Akzidenzien. Der ganze Entwicklungsvorgang<br />

ist Differenzierung eines schon vorgegebenen Ganzen,<br />

dessen Erscheinungsform sich im Laufe des Erdenlebens<br />

ändert.<br />

Unter diesem Aspekt ist auch der Hoforganismus<br />

zu sehen. Sie müssen Ihren Geist schulen für das<br />

Ideell-Allgemeine eines Organismus, um darin das<br />

Individuell-Besondere erkennen zu können.<br />

Das braucht Intuition. Intuition meint anschauendes<br />

Erkennen. Sie müssen die Fähigkeit zur Intuition schulen,<br />

um das Organische begreifen und das Entwicklungspotenzial<br />

Ihres Hoforganismus erschauen zu können.<br />

Meditation und künstlerisches Üben können dabei<br />

unterstützend wirken.


Zusammenfassend möchte ich noch einmal das Charakteristische<br />

einer organischen Entwicklung hervorheben:<br />

Organische Entwicklung und Wachstum erfolgen immer<br />

durch Zellteilung von innen nach außen. Es ist ein Spiel<br />

zwischen Anregung von außen und Reifung im Inneren.<br />

Der Organismus folgt in seiner Entwicklung einem Urprinzip,<br />

welches ihm innewohnt.<br />

Er lebt aus einer sich stets erneuernden Kraft, der Entelechie.<br />

Seine Entwicklung folgt einem ideell-allgemeinen<br />

Prinzip, dem Typus (der Urpflanze, des Urtieres). Dieser<br />

zeigt sich im Individuell-Besonderen in der sinnenfälligen<br />

Raumgestalt, die Gattung, Art, Familie und so fort<br />

genannt wird.<br />

Dieser lebendige Organismus ist einer ständigen<br />

Wandlung unterworfen. Darum nennt man seine aktuelle<br />

Gestalt immer die Zeitgestalt. Der Typus folgt dem<br />

Prinzip der Gliederung.<br />

Literaturliste:<br />

Steiner, Rudolf:<br />

„Goethes Naturwissenschaftliche Schriften“, Verlag<br />

Freies Geistesleben<br />

Steiner, Rudolf:<br />

„Geheimwissenschaft im Umriß“,<br />

Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 2005<br />

Goethe, Johann Wolfgang von:<br />

„Die Metamorphose der Pflanze“,<br />

Acta Humaniora, Weinheim, 1984<br />

Darwin, Charles: „Die Entstehung der Arten“, Reclam,<br />

Stuttgart, 1967<br />

Ursula Kothny hielt diesen Vortrag im Rahmen der<br />

Weiterbildung für praktizierende Biodynamiker<br />

am 4.Oktober 2008 im Waldviertel und am Wurzerhof.<br />

Organismus<br />

Seite 33


Der Landwirtschaftliche Organismus<br />

Rudolf Keiblinger-Bartsch<br />

„Nun, eine Landwirtschaft erfüllt eigentlich ihr Wesen<br />

im besten Sinne des Wortes, wenn sie aufgefasst werden<br />

kann als eine Art Individualität für sich, als eine wirklich<br />

in sich geschlossene Individualität. Und jede Landwirtschaft<br />

müsste eigentlich sich nähern – ganz kann das<br />

nicht erreicht werden, aber sie müsste sich nähern – diesem<br />

Zustand, eine in sich geschlossene Individualität zu<br />

sein.“1<br />

Dies sind wohl die wichtigsten Sätze im Landwirtschaftlichen<br />

Kurs, wenn es um Überlegungen und Erörterungen<br />

zum <strong>landwirtschaft</strong>lichen Organismus geht.<br />

Und sie sind deshalb in ihrer Wichtigkeit nicht zu überschätzen,<br />

weil nur eine Landwirtschaft, welche als Organismus<br />

verstanden und betrieben wird, in die Zukunft<br />

hinein gesund und damit lebensfähig bleiben kann.<br />

Es braucht ganz bestimmte Voraussetzungen, dass sich<br />

eine Landwirtschaft zu einem Organismus entwickeln<br />

kann:<br />

Es wird hier hilfreich sein, die Viergliederung alles Seienden<br />

zugrunde zu legen:<br />

Die physische Organisation des <strong>landwirtschaft</strong>lichen<br />

Hofes<br />

Die naturhaft angelegte physische Organisation des<br />

Hofes hängt wesentlich von den Standortbedingungen<br />

ab und ist nur begrenzt veränderbar, sei es durch Terrassierung,<br />

Be- und Entwässerung, Windschutzhecken.<br />

Etwas mehr Einflussmöglichkeiten bieten die Bodenbearbeitung<br />

und die Düngung.<br />

1 Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen…“, S 42<br />

Seite 34<br />

Landwirtschaftlicher Biodynamischer Landbau Organismus<br />

Hier gilt es, sich eingehend mit den vorhandenen physischen<br />

Gegebenheiten zu beschäftigen.<br />

Bodenbeschaffenheit (Kalk oder Kiesel)<br />

Klimatische Bedingungen<br />

(Obwohl diese sich zunehmend verändern!)<br />

Regionale Besonderheiten<br />

Das Ätherische oder die Lebensorganisation<br />

„In der richtigen Verteilung von Wald, Obstanlagen,<br />

Strauchwerk, Auen mit einer gewissen natürlichen Pilzkultur<br />

liegt so sehr das Wesen einer günstigen Landwirtschaft,<br />

dass man wirklich mehr erreicht für die Landwirtschaft,<br />

wenn man sogar die nutzbaren Flächen des<br />

<strong>landwirtschaft</strong>lichen Bodens etwas verringern müsste….<br />

Man kann eigentlich in einem Betrieb, der so stark ein<br />

Naturbetrieb ist wie der <strong>landwirtschaft</strong>liche, gar nicht darinnen<br />

stehen, ohne in dieser Weise Einsichten zu haben<br />

in den Zusammenhang des Naturbetriebs, in die Wechselwirkung<br />

des Naturbetriebs.“2<br />

Das Ätherische ist die Sphäre der Pflanzenwelt. Die<br />

Gestaltungsmöglichkeiten sind in dieser Sphäre ungleich<br />

größer, als in der physischen Organisation.<br />

Erarbeiten einer geeigneten Fruchtfolge<br />

Auswahl der richtigen Getreidearten und –sorten<br />

(Überlegungen zur Hofsorte)<br />

Wahl der passenden Baumarten<br />

Zusammensetzung der Pflanzengemeinschaften<br />

in den Wiesen (Dauerwiese, Wechselwiese)<br />

Anlegen von Hecken<br />

Auseinandersetzung mit Saatzuchtfragen<br />

2 ebenda S 190


Die Lebensorganisation ist umso gesünder, je mehr<br />

Pflanzenarten Raum gegeben wird, je vielfältiger sie gestaltet<br />

ist. Umgekehrt ist sie umso krankheitsanfälliger,<br />

je mehr sie zur Monokultur neigt. Dies bedingt Vielfalt in<br />

der Fruchtfolge, in der Verteilung der Kulturarten, in der<br />

Mannigfaltigkeit der Kräuter- und Gräserarten einer Wiese,<br />

in der Buntheit eines Gartens, in der Verschiedenheit<br />

der Gehölze der Hecken und Wälder.<br />

Die Aufgabe des Landwirtes, der Landwirtin in der<br />

Gestaltung ist es, diese Vielfalt zu ermöglichen und zu<br />

erhalten, sei es durch Beweidung, Mahd, Ackerfutterbau,<br />

Düngung, Gründüngung, Zwischenfrüchteanbau,<br />

Bodenbearbeitung und Neupflanzungen oder Neueinsaaten.<br />

So mag es gelingen, dass sich diese lebendige<br />

strömende Vielfalt zu Organen zusammenschließt: Zum<br />

Fruchtfolgeglied im Ackerbau, zum Bauerngarten mit all<br />

seiner Buntheit, zur Streuobstwiese, zum Feldrain, zur<br />

Wiese, zur Weide, zur Baumgruppe, zum Biotop, zum<br />

Ackerrain, zur Waldlichtung, zum Getreideacker, zum<br />

Krautgarten, zum Rübenfeld oder Erdäpfelacker. Der<br />

Gestaltungs- und Forschungsmöglichkeiten ist hier so<br />

schnell kein Ende gesetzt.<br />

„So wie der Nadelwald eine intime Beziehung zu den<br />

Vögeln hat, die Sträucher eine intime Beziehung zu den<br />

Säugetieren haben, so hat wiederum alles Pilzige eine<br />

intime Beziehung zu der niederen Tierwelt, zu Bakterien<br />

und ähnlichem Getier, zu den schädlichen Parasiten<br />

nämlich.“3<br />

An dieser Stelle spricht Steiner schon die Beziehungen<br />

der Pflanzenwelt zum Naturreich des Tierischen an.<br />

3 ebenda S 189<br />

Landwirtschaftlicher Biodynamischer Landbau Organismus<br />

Die Seelenorganisation<br />

Diese Lebensorganisation ist durchzogen von einem<br />

Seelischen, das sich am deutlichsten in der weisheitsvollen<br />

Tätigkeit der Tiere offenbart, aller Tiere, über und<br />

unter der Erde.<br />

Der Mensch ist aufgefordert, das Verhalten der Tiere,<br />

ihre Tätigkeit, ihre Stimmungen, die wir bei Begegnungen<br />

wahrnehmen können, als jene Seelenkräfte zu<br />

beobachten, die aus der Vielfalt des Lebendigen jene<br />

oben genannten Organe bzw. den Hof als Ganzes zum<br />

Organismus schaffen. Sei es nun beim Regenwurm, bei<br />

den Vögeln und Insekten, sei es bei der Rinderherde, die<br />

sich durch die Lebensorganisation des Hofes frisst, das<br />

Futter in Dünger verwandelt, der als Belebungsmittel<br />

das Verhältnis von Boden und Pflanze in Bezug auf das<br />

Ganze des Hofes ordnet und gestaltet.<br />

„Daher müsste innerhalb der Landwirtschaft auch ein<br />

Auge darauf geworfen werden, in der richtigen Art Insekten<br />

und Vögel herumflattern zu lassen. Der Landwirt<br />

selber müsste auch etwas von Insektenzucht und Vogelzucht<br />

zu gleicher Zeit verstehen. Denn in der Natur – ich<br />

muß das immer wieder betonen – hängt doch alles, alles<br />

zusammen….Darüber macht sich heute die Menschheit<br />

noch nicht richtige Begriffe, welchen Einfluß die Vertreibung<br />

gewisser Vogelarten aus gewissen Gegenden<br />

durch die modernen Lebensverhältnisse für alles <strong>landwirtschaft</strong>liche<br />

und forstmässige Leben eigentlich hat.“4<br />

Dabei ist es der Bauer,die Bäuerin, der/die das richtige<br />

Maß finden muss: Die richtige Anzahl an verschiedenen<br />

Tieren im Verhältnis zum Boden, zur Futtergrundlage.<br />

Das ergibt genau den richtigen Mist für dieses Stück<br />

Erde.<br />

4 ebenda S 179<br />

Seite 35


Seite 36<br />

Landwirtschaftlicher Biodynamischer Landbau Organismus<br />

Die Seelenorganisation offenbart sich nicht nur durch die Tierwelt. Sie strahlt um die Pflanzen herum, in Farbe<br />

und Duft der Pflanzen, im Bild der Pflanzengestalt, in der Abgeschlossenheit der Baumkrone und der Blüten,<br />

in den Hautbildungen eines Waldsaums oder einer Hecke, da wo Empfindungen von Schönheit aufglänzen.<br />

Die Ich-Organisation<br />

Dass sich diese physische Gegebenheit des Standortes des Hofes, die Möglichkeiten der Gestaltung der Pflanzenwelt<br />

und Seelenkräfte der Tierwelt , die astralische Wirksamkeit der Planeten und Sterne zu einer Art Wesensglieder<br />

eines <strong>landwirtschaft</strong>lichen Organismus und dieser zur Grundlage einer Art Individualität entwickeln können,<br />

bedarf es eines vierten Wesensgliedes: der Ich-Organisation. Sie bildet sich durch die ideengetragene Arbeit<br />

der den Hof gestaltenden Menschen, die alle Wesensglieder durchwirkt, formt und in lebendigem Fluss hält.<br />

Präparateanwendung<br />

Düngung<br />

Fruchtfolge<br />

Bodenbearbeitung<br />

Der handelnde Mensch<br />

Seelisches<br />

Tierwelt<br />

Lebensprozesse<br />

Pflanzenwelt<br />

Physische Welt<br />

Mineralisches<br />

Viehzucht<br />

Pflege<br />

Fütterung<br />

Viehhaltung


Der Organismus ist mehr als die Summe seiner Teile<br />

Nur weil in einer Landwirtschaft Viehhaltung und<br />

Pflanzenbau betrieben wird, es Hecken und Teiche gibt,<br />

heißt das noch nicht, dass eine solche Landwirtschaft<br />

schon ein Organismus ist. Man kann eine Landwirtschaft<br />

auch führen, indem man verschiedene Arbeits- oder Produktionsbereiche<br />

schafft. Es wird immer darum gehen,<br />

dass wir den Unterschied von Bereichs-Gliederung und<br />

Bereichs-Trennung verstehen. Natürlich ist der Anbau<br />

von Pflanzen ein eigenes Arbeitsgebiet, sowie auch die<br />

Viehhaltung. Aber wenn wir sie in Bereiche trennen, dann<br />

verlieren sie ihre innere Beziehung zueinander. Der Mist<br />

der Tiere wird dann nicht mehr mit dem Leben im Boden<br />

zusammengedacht, das Wohlbefinden der Tiere wird<br />

nicht mehr mit der Frohwüchsigkeit der Pflanzen in Verbindung<br />

gebracht, die richtige Konsistenz des Topfens<br />

wird nicht mehr in Beziehung gesetzt zum Seelenklima<br />

im Stall. Abweichungen von der gewünschten Norm werden<br />

nur mehr über Zahlen und Analysen erfasst.<br />

Der Organismus ist ein Ganzes von innen her<br />

Das zu begreifen fällt uns heutigen Menschen schwer.<br />

Wir sind es gewohnt zu analysieren; mit unserem Verstand<br />

die Dinge zu bewerten. Wenn wir aber einen Organismus<br />

verstehen wollen, muss noch eine Fähigkeit hinzukommen.<br />

Die Fähigkeit des Erspürens, des Fühlens;<br />

des intuitiven Erkennens.<br />

Der Organismus Landwirtschaft entsteht in seiner<br />

Ganzheit im Herzen des Bauern, der Bäuerin, welche/r<br />

diese lebendige Einheit spüren, fühlen kann.<br />

Dann werden die einzelnen Teile und Bereiche zu Organen<br />

sich entwickeln, die in gutem Wirkungs-Gleichgewicht<br />

zueinander bestehen. Es werden nicht mehr jene<br />

Teile bevorzugt, die das Geld bringen; es wird zu einem<br />

Landwirtschaftlicher Biodynamischer Landbau Organismus<br />

Ausgleich in den Wertigkeiten kommen. Die Schönheit<br />

einer Sommerwiese wird in der Wertigkeit nicht unter<br />

der guten Milchleistung einer Kuh zu stehen kommen;<br />

der feine Geschmack der Karotte wird gleichwertig sein<br />

einer energiesparenden Hackschnitzelheizung.<br />

Wir ahnen schon: Einen Hof als Organismus verstehen<br />

zu lernen ist eine Entwicklungsaufgabe.<br />

Geduldiges Üben im Wahrnehmen und Beobachten,<br />

Vertiefen der Urteilsfähigkeit, zunehmendes Vertrauen<br />

zu selbst bestimmtem Denken und Handeln und Arbeit<br />

an intuitiver Erkenntnis sind dabei die unerlässlichen<br />

Schritte.<br />

Auf diese Weise wird der Bauer, die Bäuerin selbst<br />

zu einem empfindenden Organ in diesem Organismus<br />

und kann dadurch heilend in die heute durchaus kranke<br />

Landwirtschaft hineinwirken.<br />

So können wir sagen:<br />

Der Organismus ist immer etwas in sich Geschlossenes<br />

mit folgenden Merkmalen:<br />

Der Organismus besitzt eine Haut, eine Grenze, somit<br />

ein Außen und ein Innen. Er hat eine Form, Gestalt. Es<br />

laufen Prozesse in ihm ab; es gibt Wechselwirkungen, er<br />

ist in ständiger Veränderung. Die Vorgänge reichen über<br />

das Kreislaufdenken hinaus.<br />

Die Aufgabe, mit dem Gestalten des <strong>landwirtschaft</strong>lichen<br />

Hoforganismus einen neuen sinnstiftenden Zusammenhang<br />

zu bilden, ist zugleich die Chance der<br />

<strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft als kulturschaffende<br />

Kraft. Denn die Fähigkeit, den Hof als einen Organismus<br />

denken zu können, führt zu einem auf den anderen ausgerichteten<br />

Verhalten und dieses wiederum zu neuen sozialen<br />

Lebensformen, welche von der Einsicht getragen<br />

sind, dass ein sozialer Organismus sich nur auf der Basis<br />

von Kooperation entwickeln kann.<br />

Mag. Rudolf Keiblinger hielt diesen Vortrag am 23.1.2009<br />

Seite 37


Etwas über den Prozess des Potenzierens<br />

Johannes Zwiauer<br />

Wenn wir uns dem Potenzieren annähern wollen, müssen<br />

wir uns zuallererst eine Vorstellung davon machen,<br />

was der Stoff ist. Womit haben wir es in der physischen<br />

Natur zu tun?<br />

Stoff hat Form, Farbe, eine gewisse Beständigkeit, er<br />

ist Ausdruck von Kräften. Durch die moderne Physik ist<br />

die Einsicht in uns wach geworden, dass es ein Verhältnis<br />

gibt zwischen Stoff und Kraft. Der Stoff kann erscheinen<br />

als Partikel oder Kraft. Ausgedrückt wird das enge Verhältnis<br />

von Stoff und Kraft durch die Formel: e=mc2.<br />

Eine ungeheure Energiemenge wird verdichtet zu Stoff,<br />

im Umkehrprozess wissen wir, welch ungeheure Mengen<br />

an Energie freigesetzt werden können durch Auflösung<br />

der dichten Verbindung mittels Kernspaltung.<br />

Diesen Zusammenhang hat Samuel Hahnemann erkannt<br />

und versucht für die Heilkunde fruchtbar zu machen.<br />

Das ließ ihn nach Vorgängen suchen, durch welche<br />

diese starke Verbindung zwischen dem Stoff und<br />

den Kräften gelöst werden kann. Er begann den Stoff<br />

zu zerkleinern, verdünnen, zerreiben, um diesen Stoff<br />

Kraftzusammenhang zu lockern und immer mehr zu<br />

zerdehnen. Dadurch bekam er Zugang zu den Kräften.<br />

Als Beispiel können wir uns Folgendes vor Augen führen:<br />

Da haben wir ein Stück Gold. Wenn nun ein Mensch<br />

dieses Stück Gold isst, passiert gar nichts, außer, dass<br />

er es wieder ausscheidet. Der Körper kommt an diese<br />

verdichtete Materie mit seinen Aufschließungskräften<br />

nicht heran, er kann sie nicht verwerten. Wird dieses<br />

Stück Gold fein zerrieben und, sagen wir in einem Verhältnis<br />

von 1:10 – das heißt, ein Teil Gold und zehn Teile<br />

Milchzucker – eine Stunde lang verrieben, dann haben<br />

wir eine D1 (Dezimalpotenz). Wir können dann immer<br />

weiter verdünnen. Wenn wir ein Teil von der Substanz<br />

Seite 38<br />

Potenzieren<br />

der D1 nehmen und wieder mit zehn Teilen Milchzucker<br />

verreiben, bekommen wir die D2 und so fort.<br />

Bei diesem Vorgehen wird der Stoff immer mehr auseinander<br />

gezogen, zerdehnt. So kommen wir an die Kräfte<br />

des Goldes heran.<br />

Wenn man das Gold stofflich verdünnt, zerdehnt, auseinander<br />

zieht, kommen jene Kräfte, die einst den Stoff<br />

verdichtend gebildet haben, frei und werden für unseren<br />

Körper verfügbar.<br />

Nach Rudolf Steiner war vor der Stoffwelt eine Kräftewelt,<br />

welche sich in den Stoff hinein verdichtet hat, welche<br />

sich gewissermaßen im Stoff erschöpft hat. Stoff ist<br />

in diesem Lichte hoch verdichtete Bildekraft.<br />

Zwiauer: „Man nehme den Quarz: Mit dem Quarz als<br />

Kristall kann der menschliche Organismus nichts anfangen;<br />

aber Quarz als D10 ist ein beliebtes Heilmittel. In<br />

diesem Arzneimittel wirken nicht mehr die Stoffteile sondern<br />

die Kräfte.“<br />

Es bestehen bei naturwissenschaftlich orientierten<br />

Menschen große Bedenken bezüglich der Tatsache, dass<br />

ab der 27. Potenz kein Stoffmolekül mehr in der Lösung<br />

vorhanden ist. Es stellt sich die Frage: Was wirkt da noch?<br />

Wenn wir die vorangegangenen Aussagen verstanden<br />

haben, können wir diesen Prozess durchschauen und<br />

erkennen, dass das Kräftewirken nicht an stoffliche Moleküle<br />

gebunden ist. So können wir durchaus auch aus<br />

giftigen Substanzen Heilmittel herstellen. Während der<br />

Körper das Gift in der verdichteten Form nicht überwinden<br />

kann, ist es ohne weiteres möglich, dass die gleiche<br />

Substanz in einem verdünnten Zustand heilend wirkt.<br />

Als Beispiel wird die Tollkirsche (Belladonna) angeführt.<br />

Dr. Zwiauer hat diesen Vortrag am 23.Jänner 2009 im<br />

Rahmen der Ringvorlesung gehalten.


Der Boden als lebendiger Organismus<br />

Walter Sorms<br />

Inhaltlich lässt sich der Vortrag von Walter Sorms in<br />

drei große Bereiche gliedern, welche einander bedingen:<br />

Der Boden als Lebewesen<br />

Eine gute Ernte ist die beste Vorfrucht<br />

Dammkultur als effiziente Bearbeitungsmethode<br />

Der Boden als lebendiger Organismus<br />

Wenn in <strong>biodynamische</strong>n Zusammenhängen vom Boden<br />

als einem Bodenlebewesen gesprochen wird, entsteht<br />

oft der Eindruck, dass mit diesem lebendigen Wesen<br />

oder Organismus die Summe aller im Boden lebenden<br />

Organismen gemeint ist. Walter Sorms tritt dieser Denk-<br />

Ungenauigkeit mit Entschiedenheit entgegen und beruft<br />

sich dabei auf Forschungsergebnisse aus der langjährigen<br />

akribischen Forschungsarbeit von Dr. Edwin Scheller.<br />

Dabei handelt es sich um eine außerordentliche Entdeckung:<br />

Dr. Scheller konnte die Existenz von spezifischem<br />

Erdeiweiß nachweisen. Die Tragweite dieser Entdeckung<br />

können wir noch gar nicht abschätzen. Wenn wir das für<br />

wahr nehmen, dann ist der Boden ein eigenes Lebewesen<br />

und das muss weitgehende Folgen für unseren Umgang<br />

mit dem Boden haben.<br />

Eiweiß ist der zentrale Stoff des Lebens. Überall wo Eiweiß<br />

ist, kann das Leben andocken. Die Erkenntnis, dass<br />

es ein eigenes Erdeiweiß gibt, bedeutet, dass der Boden<br />

lebt. Und überall wo etwas lebt, wirkt eine Kraft.<br />

Und so erklärt uns Walter Sorms in seinem Vortrag<br />

auf der Grundlage dieser Annahme sein Verständnis für<br />

den Umgang mit dem Boden und die dafür speziell entwickelten<br />

technischen Hilfsmittel zur Bearbeitung des<br />

Bodens.<br />

Boden als lebendiger Organismus<br />

Er stellt sich drei Kernfragen:<br />

• Wo liegt die Quelle des Ertrages, wenn die<br />

Theorie von der Pflanze als zehrendem<br />

Organismus aufgegeben wird?<br />

(Staubsaugerfunktion der Pflanze)<br />

• Wie ist der Satz „Der gute Ertrag ist die beste<br />

Vorfrucht“ zu verstehen?<br />

• Wie können wir – neben einer durchdachten<br />

Fruchtfolge – über die Bodenbearbeitung der<br />

Tatsache gerecht werden, dass der Boden ein<br />

lebendiger Organismus ist?<br />

In der Landwirtschaft begann sich mit dem Beginn<br />

des 20. Jahrhunderts die mechanistische Auffassung<br />

von Welt und Natur durchzusetzen. Demnach muss eine<br />

Pflanze für ihr Wachstum Stoffe aus dem Boden aufnehmen.<br />

Das bedeutet: Je besser sie wächst, desto mehr<br />

Stoffe entzieht sie dem Boden. Daher müssen dem Boden<br />

jene Stoffe, welche die Pflanze entzogen hat, in mineralischer<br />

Form wieder zurückgegeben werden. Diese<br />

Ansicht führte dazu, dass aus verschiedenen Gegenden<br />

der Welt mineralische Dünger - Grundstoffe - eingeführt<br />

wurden und noch immer werden. Die geisteswissenschaftlichen<br />

Grundlagen der <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft<br />

widersprechen dieser Annahme.<br />

Hier setzt Walter Sorms an, wenn er sagt: „Aus <strong>biodynamische</strong>r<br />

Sicht sind wir angehalten, dem Lebendigen<br />

gegenüber ein Vertrauen zu hegen, dass das Leben für<br />

sich selber sorgt. Wir haben als Bauern und Bäuerinnen<br />

die Aufgabe, die Gesetze zu erkennen, nach denen das<br />

Lebendige sich erhält. Auf Grundlage dieser Gesetze können<br />

wir dann die richtigen Bedingungen schaffen durch<br />

angepasste Bodenbearbeitung, sorgfältige Saatgutselektion<br />

und zeitgerecht durchgeführte Pflegemaßnahmen<br />

Seite 39


sowie Präparateanwendungen.<br />

Walter Sorms beginnt damit, dass er die Frage nach<br />

der Quelle des Ertrages stellt. Er legt seinen Überlegungen<br />

und Ausführungen die drei Grundgesetze des<br />

Lebens zu Grunde:<br />

• Jedes Lebewesen besteht aus Eiweiß.<br />

• Jedes Lebewesen betreibt Stoffwechsel.<br />

• Für den Stoffwechsel wird Energie gebraucht.<br />

Die Pflanze kann – und das hat sie dem Menschen gewissermaßen<br />

voraus – die Energie direkt von der Sonne<br />

aufnehmen. Sie wandelt diese Energie in einem Verdichtungsprozess<br />

um. Vermittelt über die Ernährung wird<br />

dann dem Tier und dem Menschen diese Energie für die<br />

je eigenen Lebensprozesse zur Verfügung gestellt.<br />

Seite 40<br />

Boden als lebendiger Organismus<br />

Diese Energie verdichtet sie zu Zucker, Stärke – zu Materie.<br />

In diesem Umbildungsprozess entstehen auch Substanzen,<br />

welche die Pflanze in den Boden hinein ausscheidet.<br />

Um die Wurzelspitzen herum verdichten sich solcherart<br />

die Lebensprozesse, da sich Kleinstlebewesen in<br />

hoher Zahl von diesen Pflanzen-Ausscheidungssubstanzen<br />

ernähren können. Diese Kleinstlebewesen erzeugen<br />

Ausscheidungsstoffe und diese wiederum sind beteiligt<br />

am Humusaufbau.<br />

Ein Boden ist dann fruchtbar, wenn Aufbau und Abbau<br />

im Gleichgewicht sind. Und wir können sehen, dass<br />

dieses Gleichgewicht keine Angelegenheit von Stoffmengen<br />

ist, sondern in erster Linie abhängt von den<br />

Lebensprozessen sowohl in der Pflanze als auch im sie<br />

umgebenden Erdreich. Das Gesagte gilt dann, wenn die<br />

Pflanze sich aus dem Lebendigen des Bodens ernähren<br />

muss und nicht künstlich ernährt wird.<br />

Neben der Einsicht, dass sorgfältig kompostierter<br />

Stallmist von verdauungsstarken Tieren den kontinuierlichen<br />

Humusaufbau ermöglicht, unterstreicht Walter<br />

Sorms die Tatsache, dass es aber auch ein vitales Pflanzenwachstum<br />

braucht, um den Boden fruchtbar zu halten.<br />

In diesem Sinne meint er:<br />

Eine gute Ernte ist die beste Vorfrucht<br />

Ist diese Aussage nicht ein Widerspruch zur Liebigschen<br />

Formel vom Stoffausgleich? Denn in diesem<br />

Sinn müsste der Mangel an, von der Pflanze aufgenommenen,<br />

Stoffen im Boden nach einer guten Ernte viel<br />

größer sein.<br />

Walter Sorms erläutert diese Problematik an einem<br />

Versuch:


Auf zwei Versuchsfeldern - ein Feld wird mit Kali gedüngt,<br />

eines bleibt ungedüngt - werden Rüben gebaut.<br />

Der Ertrag auf dem ungedüngten Feld war genauso hoch,<br />

wie auf dem gedüngten. Die Erwartung, dass man auf<br />

dem ungedüngten Feld einen Rückgang von Kali nachweisen<br />

könne, erwies sich als Fehleinschätzung. Es war<br />

sogar nachzuweisen, dass auf dem ungedüngten Feld<br />

der Kaligehalt gestiegen war. Walter Sorms führt diesen<br />

Versuch an, um zu zeigen, dass ein hoher Ertrag – insofern<br />

er nicht auf hohe Düngergaben zurückgeführt werden<br />

kann – ein Zeichen für vitale, „fleißige“ Pflanzen ist,<br />

welche neben dem hohen Ertrag auch noch Überschüsse<br />

in den Boden hinein produzieren. Er erklärt das damit,<br />

dass solche vitale Pflanzen einen hohen Energieumsatz<br />

haben. Je besser eine Pflanze wächst, desto mehr Substanzen<br />

bildet sie, welche sie in den Boden hinein ausscheiden<br />

kann und desto mehr Lebewesen können sich<br />

rund um die Wurzel herum entwickeln und desto mehr<br />

Prozesse werden in Gang gesetzt:<br />

Damit werden Lebensgrundlagen für eine Vielfalt von<br />

Pilzen, Bakterien und andere Mikroorganismen geschaffen.<br />

Und das wiederum unterstützt den Humusaufbau.<br />

Boden als lebendiger Organismus<br />

Von der Frohwüchsigkeit der Pflanze<br />

Der Bauer ist also angehalten, dafür Sorge zu tragen,<br />

dass die Pflanzen ihre optimalen Bedingungen für ein<br />

vitales Wachstum vorfinden.<br />

Walter Sorms hält nichts von jener Haltung, von der<br />

Natur nur zu nehmen, was sie uns von sich aus gibt. Dies<br />

gilt selbstredend für jene Kulturpflanzen, welche der Ernährung<br />

von Tier und Mensch dienen.<br />

Der Mensch als Bauer muss die Prozesse der Natur<br />

– und für diesen Themenkreis – die Prozesse im Boden<br />

genauestens beobachten und studieren. Aus einem solchen<br />

Verständnis kann er der Natur, ohne diese zu schädigen,<br />

höhere Erträge abringen. Das richtige Maß und<br />

das Vermeiden von Einseitigkeiten jedweder Art zugunsten<br />

von höheren Erträgen müssen in diesem Zusammenhang<br />

jedoch stets bewusst bleiben.<br />

Seite 41


Seite 42<br />

„Ein kümmerliches Pflanzenwachstum<br />

muss uns weh tun“<br />

sollte nach Ansicht von Walter Sorms zum Credo eines<br />

jeden Bauern werden. Voraussetzung dafür ist allerdings<br />

zum einen ein Verständnis vom Boden als Organismus<br />

und zum anderen, dass die Pflanze aus der Lebendigkeit<br />

des Bodens wachsen soll und nicht durch „Infusionen“.<br />

In unseren Breiten haben wir alle Nährstoffe für die<br />

Pflanzen in Hülle und Fülle in der unmittelbaren Umgebung<br />

der Pflanze. Wir müssen nicht Nährstoffe von weit<br />

herkarren. Aber wir können die vorhandenen Nährstoffe<br />

für die Pflanzen nur verfügbar machen, wenn wir uns darum<br />

bemühen die Bedingungen des Lebens zu verstehen.<br />

Wer das Lebendige verstehen will, muss sich fragen:<br />

Wie schaffe ich lebensfreundliche Bedingungen?<br />

Dies sollte das Motto sein für alle Überlegungen zur<br />

• Düngung und zur<br />

• Bodenbearbeitung.<br />

Lebensfreundliche Bedingungen sind immer die mittleren<br />

Zustände zwischen<br />

nass und trocken,<br />

heiß und kalt,<br />

stickig und Durchzug.<br />

Walter Sorms bringt den Vergleich mit einem Haus,<br />

welches auch gegen Nässe und Austrocknung isoliert<br />

ist, welches eine Dämmung hat gegen Hitze und Kälte.<br />

Und dieser Vergleich soll hinführen auf eine Bodenstruktur,<br />

die diese Eigenschaften erfüllt. Ein krümeliger<br />

Boden braucht sechs Kältegrade mehr, bis er gefriert.<br />

Ausgehend von dieser Krümelstruktur führt uns Walter<br />

Sorms hin zum vierten Vortrag im „Landwirtschaftlichen<br />

Kurs“:<br />

Boden als lebendiger Organismus<br />

„Wenn nämlich für irgendeinen Ort der Erde ein<br />

Niveau, das Obere der Erde, vom Inneren der Erde<br />

sich abgrenzt, so wird alles dasjenige, was sich über<br />

diesem Niveau einer bestimmten Gegend sich erhebt,<br />

eine besondere Neigung zeigen zum Lebendigen, eine<br />

besondere Neigung zeigen sich mit dem Ätherisch-<br />

Lebendigem zu durchdringen. Sie werden es daher<br />

leichter haben, gewöhnliche Erde, unorganische,<br />

mineralische Erde, fruchtbar zu durchdringen mit<br />

humusartiger Substanz oder überhaupt mit einer<br />

in Zersetzung begriffenen Abfallsubstanz, wenn Sie<br />

Erdhügel aufrichten und diese damit durchdringen.<br />

Dann wird das Erdige selber die Tendenz bekommen,<br />

innerlich lebendig, pflanzenverwandt zu werden.“1<br />

1 Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum<br />

Gedeihen der Landwirtschaft“, 7. Auflage, Rudolf Steiner Verlag,<br />

Dornach 1984; S 90


Dammkultur führt zur Verlebendigung des Bodens<br />

Unbefriedigende Erfahrungen mit der pfluglosen Bodenbearbeitung,<br />

dann später mit dem Pflügen und die<br />

über Jahre zusammengetragenen Erkenntnisse über das<br />

Lebendige, verbunden mit diesem Hinweis von Rudolf<br />

Steiner haben Walter Sorms zur Dammkultur geführt.<br />

Gut durchdachte, aber im Grunde einfache technische<br />

Vorrichtungen machen diese Bodenbearbeitung möglich<br />

Walter Sorms berichtet, dass das Gleichgewicht zwischen<br />

Humusaufbau und Humusabbau durch diese Bodenbearbeitungsmethode<br />

besser zu halten ist, dass die<br />

oben genannten Einseitigkeiten besser auszugleichen<br />

sind und daher die Lebendigkeit und auch die Gesundheit<br />

im Boden steigt.<br />

Anhand von einigen Tafelzeichnungen von technischen<br />

Vorrichtungen erklärt Walter Sorms seine Bodenbearbeitung<br />

und es gelingt ihm, jene Prozesse zu veranschaulichen,<br />

welche die Dammkultur als sinnvolle Methode<br />

auszeichnen:<br />

bessere Durchluftung, Durchlichtung und Durchwärmung<br />

Die anwesenden Bauern und Bäuerinnen waren von<br />

den Ausführungen so angetan, dass die Idee einer Exkursion<br />

nach Rengoldshausen in den Raum gestellt wurde,<br />

um diese Bodenbearbeitungsart an Ort und Stelle zu<br />

studieren. Daher werden weitere und genauere Ausführungen<br />

zu diesem Thema nach der Exkursion folgen.<br />

Zur Person:<br />

Familiengeschichtlich betrachtet stammt Walter Sorms<br />

nicht aus der Landwirtschaft. Nach dem Besuch einer<br />

Waldorfschule widmete er sich dem Schleifen von Turmalinen<br />

und brachte es dort zu großem Können. Trotzdem<br />

rief ihn die Landwirtschaft. Er legte die Meisterprüfung<br />

als Landwirt ab und ging für ein Jahr nach Brasilien.<br />

Grundelemente der Umwandlung<br />

Die dortigen Bodenverhältnisse, die klimatischen Bedingungen,<br />

vor allem aber die soziale Toleranz im Zusammenleben<br />

hinterließen einen bleibenden Eindruck.<br />

Zusammen mit E.v. Wistinghausen und zwei Gärtnerfamilien<br />

pachteten Walter Sorms und seine Frau ab 1985<br />

das Hofgut Rengoldshausen in Überlingen, welches ursprünglich<br />

von einer Industriellenfamilie aufgekauft und<br />

zur Pacht freigegeben wurde.<br />

Inmitten des Obstbaugebietes Bodensee, drei Kilometer<br />

östlich von Überlingen, liegt das Hofgut Rengoldshausen.<br />

Seit dem Jahr 1932 wird dort biodynamisch gewirtschaftet.<br />

Aus dem ursprünglich reinen Milchviehbetrieb<br />

ist mittlerweile ein vielfältiger Betriebsorganismus<br />

entstanden.<br />

Er gliedert sich in die Bereiche:<br />

• Landwirtschaft<br />

• Gärtnerei<br />

• Samenzucht<br />

• Das <strong>landwirtschaft</strong>liche Grundjahr als<br />

speziellen Ausbildungsbereich<br />

Derzeit leben und arbeiten mehrere Familien, Gehilfen,<br />

Auszubildende und bis zu zehn Schüler des <strong>landwirtschaft</strong>lichen<br />

Grundjahrs auf dem Hof. Zusammen<br />

mit einer zweiten Familie ist Walter Sorms und seine<br />

Familie für die Tierhaltung und den Ackerbau zuständig,<br />

zwei Familien leiten die Gärtnerei, eine Familie<br />

leitet die Ausbildung im Grundjahr und Frau Brigitte von<br />

Wistinghausen betreibt Saatgutzucht und -forschung.<br />

„Biodynamische Landwirtschaft bedeutet für uns<br />

nicht nur Verzicht auf Kunstdünger, chemisch-synthetische<br />

Pflanzenschutzmittel und gentechnische<br />

Manipulation, sondern auch die bewusste Pflege<br />

der gesamten Lebenszusammenhänge der Natur“.<br />

Seite 43


Grundelemente der Umwandlungsprozesse<br />

während der Kompostierung<br />

Florian Amlinger<br />

Einleitung<br />

Seite 44<br />

„.Und solang du das nicht hast,<br />

Dieses: Stirb und werde!<br />

Bist du nur ein trüber Gast<br />

Auf der dunklen Erde.” 1<br />

Was Goethe vor langer Zeit zum Ausdruck brachte, ist<br />

eine wichtige Erkenntnis für die Grundlage der <strong>biodynamische</strong>n<br />

Landwirtschaft und formuliert eine Grundeigenschaft<br />

des Lebendigen auf unserer Erde. Gemeint sind<br />

Transformationsprozesse und Entwicklungen, denen<br />

wir als Menschen, genauso wie der Boden, unterworfen<br />

sind. Wenn wir versuchen uns dem Boden anzunähern,<br />

erwerben wir ein Grundverständnis für die Prozesse von<br />

Aufbau und Abbau und damit auch für die Kompostierung.<br />

Dieser Aufbau und Abbau geschieht in der Natur<br />

laufend und in der Landwirtschaft versuchen wir Menschen<br />

diesen Prozess so zu steuern, dass wir ein ganz<br />

bestimmtes Endmaterial erhalten. Das ist eine der Tätigkeiten<br />

des Menschen, wo er daran teilnehmen kann,<br />

wie Neues geschaffen wird. Wenn wir nicht mit der Natur<br />

denken und arbeiten, sondern den Fehler machen gegen<br />

die Natur zu wirken, verhalten wir uns auf eine unnatürliche<br />

Weise und die kurzfristig auftretenden Vorteile davon<br />

verschwinden sehr schnell.<br />

1 Goethe, Johann Wolfgang: „Der west-östliche Divan“, Insel<br />

Verlag, Frankfurt am Main, 1974<br />

Grundelemente der Umwandlung<br />

Das können wir beispielsweise bemerken, wenn wir<br />

den „ökologischen Fußabdruck“ des Menschen näher<br />

betrachten. Bereits die Überkonsumtion und Überausbeutung<br />

durch einige wenige Länder ermöglichen es,<br />

die regenerativen Kräfte der Erde zu überschreiten und<br />

somit die gesamte Welt in eine nicht nachhaltige Situation<br />

zu bringen. Für viele Menschen ist unnachhaltiges<br />

Handeln und Leben normal geworden.<br />

Nachhaltigkeit, als notwendiges Prinzip des Lebendigen,<br />

können wir uns sehr gut vergegenwärtigen, wenn<br />

wir uns dem Boden annähern. Hier sehen wir, dass die<br />

lebenserhaltende Qualität der Böden in Gefahr ist, etwa<br />

durch Abschlämmung oder Bodenabtrag, durch Verdichtung<br />

und auch durch den Kohlenstoffverlust. Wir<br />

lernen, dass wir dem Boden mit der Düngung etwas<br />

zurückgeben müssen, damit die organische Substanz erhalten<br />

oder vielleicht sogar gesteigert werden kann.<br />

Humusbildung und Düngung stehen in einem engen<br />

Zusammenhang.<br />

„Man muss wissen, dass das Düngen in der Verlebendigung<br />

der Erde bestehen muss, damit die<br />

Pflanze nicht in die tote Erde kommt und es schwer<br />

hat, aus ihrer Lebendigkeit heraus das zu vollbringen,<br />

was bis zur Fruchtbildung notwendig ist.”2<br />

Da bei der Bodenbildung komplexe und empfindliche<br />

Prozesse ablaufen, kommt gerade der Kompostierung<br />

hohe Bedeutung zu. Während wir die Kompostierung<br />

begleiten, versuchen wir etwas aus dem Geistigen ins<br />

Verstehen zu bringen und nicht blind Rezepte anzuwenden.<br />

Da die Erde selbst als ein komplexer Organismus be-<br />

2 Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum<br />

Gedeihen der Landwirtschaft“, Landwirtschaftlicher Kurs;<br />

Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1985


griffen werden kann, braucht es den Eintrag aus allen<br />

Wirklichkeitsebenen: aus der materiellen, geistigen und<br />

seelischen Dimension.<br />

Der Boden ist eine enorme Ressource, ein Lebensraum<br />

für Tiere und Pflanzen. Er wirkt als Puffer gegen<br />

Verschmutzung und er filtriert und säubert das Grundwasser.<br />

Nicht nur die physikalischen Teile eines Bodens<br />

ermöglichen diese Prozesse, sondern auch die Lebewesen,<br />

die sich im Boden befinden. Diese Lebewesen - von<br />

den Mikroorganismen über alle möglichen Arten von<br />

Kleinsttieren bis hin zu den Regenwürmern - kommen<br />

hauptsächlich in den obersten Schichten des Bodens<br />

vor, wo sich auch der Humus befindet. Diese Tatsache<br />

muss man sich vor Augen führen, wenn man sich mit<br />

der Düngung beschäftigt. Diese Lebewesen werden als<br />

erste mit der Düngung konfrontiert. Bezieht man diese<br />

Anschauung in die Überlegungen zum Düngen mit ein,<br />

wird das auf die Art der Düngung Einfluss nehmen, denn<br />

die Stoffwechselprozesse all dieser Lebewesen tragen<br />

eminent zur Verlebendigung des Humus bei, sodass Rudolf<br />

Steiner im Landwirtschaftlichen Kurs den Humus<br />

„ein Belebungsmittel der Erde“ nennen konnte.<br />

Der Humus, äußerlich wahrnehmbar in der dunkleren<br />

Färbung des Bodens, hebt die Komplexität eines Bodens,<br />

verbessert die Struktur durch die Bildung von Aggregaten,<br />

sodass mehr Wasser und Luft zur Verfügung<br />

stehen und bildet zusätzlich eine größere Oberfläche,<br />

wo Bodentiere, Minerale und Nährstoffe miteinander<br />

in Kontakt kommen. Eine größere Oberfläche bedeutet<br />

immer auch mehr Lebensmöglichkeiten, das heißt dass<br />

mehr Stoffwechselprozesse stattfinden.<br />

Die Oberflächenbildung hängt ab von der Zusammensetzung<br />

des Bodens. So sind die Tonteilchen kleiner als<br />

die Teilchen des Schluffbodens oder die von Sand und<br />

bilden deshalb auch eine größere Oberfläche. Diese Eigenschaft<br />

beeinflusst die Aufnahme und Bindung von<br />

Wasser und Luft. Der Anteil von Humus macht einen<br />

Grundelemente der Umwandlung<br />

noch größeren Unterschied was die Oberflächenstruktur<br />

betrifft.<br />

Abbildung 1: Innere Oberfläche des Bodens Bundesgütegemeinschaft<br />

Kompost e.V., 2005<br />

So erreichen Böden auf einer Fläche von einem Hektar<br />

und einer Tiefe von 20 cm mit 20% Ton und 3% stabilem<br />

Humus eine Oberfläche von 210000 m2 (Blum, 2006).<br />

Es ist das Hauptziel der Kompostierung, stabile Humusformen<br />

aufzubauen. Dann kann der Boden im Feld auch<br />

leichter bearbeitet und von Pflanzen besser durchwurzelt<br />

werden.<br />

Seite 45


Wie kann die Beziehung zwischen Boden und Pflanze<br />

verstanden werden?<br />

„Es ist für viele Pflanzen gar keine scharfe Grenze<br />

zwischen dem Leben innerhalb der Pflanze und<br />

dem Leben im Umkreis, in dem die Pflanze lebt.”3<br />

Die Beziehung zwischen Pflanze und Boden als Lebensraum<br />

– und in unserem Zusammenhang ist vor<br />

allem der Humus gemeint – ist so, dass das Eine ohne<br />

das Andere nicht sein kann.<br />

Das ist besser einzusehen, wenn man bedenkt, dass<br />

Humus immer aus Sonnenenergie entsteht, welche von<br />

der Pflanze über die Photosynthese hereingeholt wird.<br />

Es sind die Pflanzen, welche von den Tieren gefressen<br />

und im Verdauungsprozess umgewandelt werden und<br />

in dieser umgewandelten Form für den Aufbau von Humus<br />

sorgen. Die Pflanze ist völlig umgewandelt, wenn<br />

keine Struktur des Ausgangsmaterials in dem Humus<br />

mehr vorhanden ist. Dieser strukturauflösende Prozess<br />

ist die Voraussetzung, damit wieder neue Strukturen aufgebaut<br />

werden können. Leben ist nur möglich in diesem<br />

Spannungsfeld zwischen Abbau und Aufbau. Und es ist<br />

ein großes Forschungsgebiet für die Wissenschaft und<br />

ein weites Übungsfeld für die Empfindungsfähigkeit des<br />

Bauern oder der Bäuerin, dieses Geheimnis von Abbau<br />

und Aufbau in der richtigen Weise zu erkennen, wie es<br />

im Goethezitat schon angesprochen ist.<br />

Die Stabilität von Humus entsteht durch eine Verbindung<br />

zwischen den Huminstoffen und dem Tonmineral.<br />

Die Tonminerale sind ein Teil des physikalischen Bodens.<br />

Diese Verbindung ist chemisch so zu verstehen, dass<br />

der Ton eine negative Ladung hat und der Humus reich<br />

3 Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum<br />

Gedeihen der Landwirtschaft“, Landwirtschaftlicher Kurs;<br />

Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1985<br />

Seite 46<br />

Grundelemente der Umwandlung<br />

an Kationen ist. Die endgültige humifizierte organische<br />

Substanz ist auch durch Wasserabstoßung stabilisiert,<br />

deswegen können größere Aggregate in huminreichen<br />

Böden vorkommen. Die Aggregate sorgen für vielfältige<br />

Lebensbedingungen für die Lebewesen des Bodens, so<br />

dass eine erhöhte Komplexität und eine Anhebung der<br />

Ebene des Bodens vom Physikalischen zum Lebendigen<br />

erfolgen kann. Diese Annäherung an das Lebendige ist<br />

gekennzeichnet durch das vermehrte Auftreten von tierischem<br />

und mikrobiellem (pilzlichem und baktriellem)<br />

Leben in diesem Milieu.<br />

Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie viele Bodentiere<br />

in einem Boden leben, ist hier ein Beispiel von Blum<br />

(2006) angeführt: in einem Hektar Boden mit 30 cm Tiefe<br />

können 25 Tonnen Biomasse als Edaphon enthalten<br />

sein.<br />

Es hat sich herausgestellt, dass durch Einbringen<br />

von Kompost in den Boden, die Zahl der Regenwürmer<br />

steigt, und die Biodiversität der Bodentiere generell erhöht<br />

wird. Für den Landwirt oder die Landwirtin ist es<br />

auch bedeutsam, dass durch höhere Enzymaktivität und<br />

einen größeren metabolischen Quotienten der Ertrag<br />

aus dem Pflanzenwachstum größer wird.


Grundelemente der Umwandlung<br />

Abbildung 2: Das Edaphon - Der Boden als Lebensraum (nach Voitl et al., 1980; Blum, 2006)<br />

Seite 47


Die Bedeutung des Kohlenstoffs in der Kompostfrage<br />

Kohlenstoff im Boden kann in verschiedenen Formen<br />

vorkommen, die auch die Stabilität beeinflussen. Humin<br />

ist die stabilste Form von Kohlenstoff, Huminsäure-C ist<br />

weniger und Fulvosäure-C noch weniger stabil. Die Tabelle<br />

von stabilen Kohlenstoffverbindungen in organischen<br />

Düngern zeigt den Fertigkompost mit dem größten Anteil<br />

an stabilen Fraktionen.<br />

Auch ein Langzeitversuch mit <strong>biodynamische</strong>r Mistdüngung,<br />

als eine von fünf organischen Düngevarianten<br />

(DOK Trial) zeigt, dass Humin-C den größten Anteil an<br />

stabilen Huminstoff-Fraktionen hat, besonders bei der<br />

<strong>biodynamische</strong>n Behandlung (Fliessbach et al 2000).<br />

Abbildung 3: Mistkompostierung in Kombination mit<br />

den <strong>biodynamische</strong>n Präparaten steigert den<br />

Huminstoffgehalt und die Krümelstabilität im Boden<br />

(Fliessbach et al., 2000)<br />

Seite 48<br />

Grundelemente der Umwandlung<br />

Auch der pH-Wert ist über die Zeit erhöht, aber nur<br />

für die <strong>biodynamische</strong> Mistkompostvariante. Ein anderer<br />

Versuch zeigt nach 12 Jahren einen größeren Anstieg<br />

des pH-Werts bei den Böden mit größerer Kompostgabe<br />

(Kluge et al., 2008).<br />

Zur Kompostierung<br />

Bevor wir mit der Kompostierung beginnen, können<br />

wir uns überlegen, was wir im Gesamtprozess steuern<br />

können:<br />

(1) die Zusammensetzung des Ausgangsmaterials<br />

und Strukturierung des Haufens<br />

(2) die Sauerstoffversorgung<br />

(3) den Wasserhaushalt<br />

(4) eventuell den Temperaturverlauf<br />

Zu (1): Es nimmt großen Einfluss auf den Kompostierungsverlauf,<br />

welche Ausgangsmaterialien ich wie auf-


schichte. Der Atmungsvorgang dieses sich bildenden<br />

Organismus „Komposthaufen“ muss stets im Bewusstsein<br />

sein. Dieser Atmungsvorgang wird über die Struktur<br />

ermöglicht. Holzanteile sollen fein aufgefasert werden,<br />

zu feuchte Substanzen müssen so aufgeschichtet<br />

werden, dass (2) genug Durchlüftung möglich ist. Das<br />

kann im Gartenkompost durch Holzanteile, im Stallmist<br />

durch hohen Strohanteil erreicht werden. (3) Die Regelung<br />

des Wasserhaushaltes spielt nach beiden Polen hin<br />

eine große Rolle:<br />

Wird der Komposthaufen zu trocken, kann er sehr heiß<br />

werden (über 65° C) oder im Stadium der Verpilzung<br />

stecken bleiben und damit nicht bis zum vollen Abbau<br />

gelangen.<br />

Ist der Haufen zu nass, bekommen wir es mit Fäulnisvorgängen<br />

zu tun, welche auch keine optimalen Umsetzungsprozesse<br />

sind und niemals zum Humusaufbau<br />

führen.<br />

Wenn nun die Abläufe bezüglich Luftzufuhr und Wasserhaushalt<br />

nicht zufrieden stellend sind, dann kann<br />

man sich behelfen, indem der Komposthaufen umgesetzt<br />

wird.<br />

Dieser Haufen entwickelt sich zu einem geschlossenen<br />

Bodenbildungsorgan. Durch den Abbau, der in<br />

dem Haufen stattfindet, gehen Kohlenstoff (als CO2<br />

und Methan) und Stickstoff (als Ammoniak) verloren.<br />

Das Ziel ist es, diesen Verlust sehr niedrig zu halten. Eine<br />

Effizienz von 40% wird erwartet, während der Rest veratmet<br />

wird. Wenn Stroh, Laub oder Erde auf den Haufen<br />

gelegt werden, kann durch Kondensation ein Abschluss<br />

nach oben geschaffen werden. Weiters ist eine möglichst<br />

homogene Verteilung von Kohlenstoff und Nitrat<br />

hilfreich. Das Verhältnis von Kohlenstoff zu Nitrat wird<br />

als C/N Verhältnis bezeichnet und das Optimum liegt im<br />

Verhältnis 20-35 C zu 1 N. Dann ist auch der Stickstoffverlust<br />

möglichst gering.<br />

Grundelemente der Umwandlung<br />

.<br />

Abbildung 4: Das C:N Verhältnis verschiedener Ausgangsmaterialien<br />

zur Kompostierung<br />

Abbildung 5: Beziehung des C/N-Verhältnisses und des<br />

gasförmigen Stickstoffverlustes während der Kompostierung<br />

(nach Grabbe und Suchardt, 1993)<br />

Zuerst geschieht eine Massenvermehrung von aeroben<br />

und fakultativ anaeroben Bakterien, die den leicht<br />

abbaubaren C-Gehalt umwandeln. Als zweites werden<br />

Hemizellulose und Zellulose von Bakterien und Pilzen<br />

abgebaut. Als letzter Schritt arbeiten hauptsächlich die<br />

Pilze an Lignin, was ein wesentlicher Bestandteil der Hu-<br />

Seite 49


musbildung ist. Die optimale Temperatur für die Pilzaktivität<br />

beträgt zwischen 40° und 50° C.<br />

Abbildung 6: Der Kompostierungsprozess (nach Grabbe<br />

und Suchardt, 1993)<br />

Präparate, die im <strong>biodynamische</strong>n Landbau benutzt<br />

werden, verfeinern die Kompostierungsprozesse und<br />

können die Schwankungen dämpfen und so den Umsetzungsverlauf<br />

im Gleichgewicht halten. Der Kompost<br />

wird durch den Einsatz der Präparate stabiler und auch<br />

die Pflanzen werden gegen Krankheit gestärkt.<br />

Aber Vorsicht: Die Präparate können nur in dieser Weise<br />

wirken, wenn die Grundvoraussetzungen für einen guten<br />

Verlauf, wie sie oben geschildert wurden, geschaffen<br />

worden sind.<br />

DI Amlinger weist in seinen Ausführungen auch eindringlich<br />

darauf hin, dass aller Humusaufbau immer<br />

einen vollständigen vorherigen Abbau braucht. Um den<br />

Boden fruchtbar und lebendig zu halten, sollen keine zu<br />

frischen, nicht fertig abgebauten Substanzen an ihn herangebracht<br />

werden.<br />

Kritische Würdigung und persönliche Deutung<br />

der Verfasserin:<br />

Seite 50<br />

Grundelemente der Umwandlung<br />

Ein wissenschaftlicher Hintergrund für die chemischen<br />

und biologischen Prozesse, welche im Boden ablaufen,<br />

hilft uns, wenn wir uns mit der Bodenbildung und Kompostierung<br />

näher auseinandersetzen wollen. Wir verstehen,<br />

warum wir manchmal Geduld brauchen und auch,<br />

wie wir den Boden bewerten sollen.<br />

Eine Wissenschaft ohne Philosophie ist nicht immer<br />

genügend. Die Philosophie der Biodynamik, dass wir<br />

Menschen Wissen aus dem Geistigen ins Verstehen<br />

bringen sollen, gerade, wenn wir die Prozesse im Boden<br />

begleiten, ist in gewissem Sinne eine große Herausforderung.<br />

Die geistig-seelische Welt und das Ich-Bewusstsein<br />

sind nicht so einfach zu verstehen, deshalb müssen wir<br />

uns ständig bemühen, unsere Welt bewusst wahrzunehmen.<br />

Wenn wir dies tun, machen wir nicht den Fehler<br />

zu denken, dass wir die Kompostierung als Wissenschaft<br />

schon völlig beobachtet und verstanden hätten.<br />

Beispielsweise kann uns das, was wir bis heute in Bezug<br />

auf die Bodenbiologie überprüft haben, wahrscheinlich<br />

noch immer zu wenig über den Boden als Organismus<br />

verraten. Es fällt uns immer noch schwer, den Boden als<br />

Lebewesen zu verstehen. Solch eine Ansicht über unser<br />

Wissen zu akzeptieren erfordert von uns eine Menge<br />

an Vertrauen. Das ist ein Vertrauen in etwas anderes<br />

als das, was wir sinnlich wahrnehmen können; es ist<br />

Vertrauen in die seelische und geistige Wirklichkeit, die<br />

wir aber nur bruchstückhaft erfassen können. Wenn wir<br />

Präparate anwenden, vertrauen wir einem Erlebnis anderer<br />

Menschen – Menschen, die etwas überliefert haben<br />

oder Menschen, die ein Wahrnehmungsorgan für diese<br />

Prozesse entwickelt haben. Das Wichtige ist: Sie haben<br />

etwas erfahren und wir sind selber willig weitere Erfahrungen<br />

zu machen.


In dieser Einführung haben wir starke empirische Hinweise<br />

präsentiert bekommen über die positive Wirkung<br />

der <strong>biodynamische</strong>n Präparate (wie zur pH-Wert Erhöhung<br />

des Ackers durch Kompostauftragung, zur Biodiversitätserhöhung,<br />

zur Aggregatstabilitätsverbesserung,<br />

usw.). Und diese Beweise kommen aus wissenschaftlichen<br />

Untersuchungen. Wir sehen nun, dass es wirkt,<br />

aber wir haben keine plausible Theorie, keine plausible<br />

Erklärungshypothese dazu, warum es so wirkt. Warum<br />

wirken die Präparate also? Wie wichtig ist diese Frage? Ist<br />

sie so wichtig, dass wir den Präparaten nicht vertrauen<br />

und diese deshalb nicht anwenden wollen?<br />

Ein zentraler Punkt zwischen dem Geistigen und dem<br />

Wissenschaftlichen wird also im Vertrauen gefunden. Wir<br />

wissen, dass die Wissenschaft noch lange nicht alles erforscht<br />

hat und dass manchmal etwas fehlt und da bleibt<br />

es an uns selber zu suchen. Eine Suche über unsere Welt,<br />

damit wir sie verstehen. Dieses Suchen ist durch die <strong>biodynamische</strong><br />

Landwirtschaft angedeutet, für Bauern und<br />

Bäuerinnen, die auf ihren Feldern und mit ihren Tieren<br />

mit diesen Phänomenen in der Praxis zu tun haben.<br />

Es ist das Anliegen der <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft<br />

die Erkenntnisse, Erfahrungen, Beobachtungen und<br />

Wahrnehmungen des Praktikers mit den Forschungsergebnissen<br />

der Wissenschaft in Übereinstimmung zu<br />

bringen. Das verlangt einen kooperativen Wahrnehmungs-<br />

und Austauschprozess und gegenseitige Akzeptanz.<br />

Es ist also eine soziale Frage. Und in unserer Zeit,<br />

wo die Landwirtschaft in ihren Grundlagen zunehmend<br />

erschüttert wird, eine existentielle. (Anm. N.W.)<br />

Alice Budai , Gaststudentin aus Norwegen hat diesen<br />

Vortrag für diesen <strong>Sammelband</strong> aufbereitet.<br />

Florian Amlinger hat diesen Vortrag am 21.November<br />

2008 im Rahmen der Ringvorlesung gehalten<br />

Grundelemente der Umwandlung<br />

Literaturangaben<br />

Binner, E., 2003. Kompostierung von biogenen Abfällen,<br />

Vorlesungsunterlage zur LV-Nr. 520.338. ABF, Boku,<br />

Wien<br />

Blum, W., 2006. Verwertung von Abfällen über den<br />

Boden – grundsätzliche Überlegungen aus der Sicht einer<br />

nachhaltigen Bodennutzung. Zur verfügung gestellte<br />

Vortragsunterlagen zu einer Präsentation am 1. März<br />

2006, Die Verwertung von Abfällen auf dem Boden. Österreichisches<br />

Normungsinstitut, Wien<br />

Bundesgütegemeinschaft Kompost e.V., 2005. Organische<br />

Düngung. Grundlagen der guten fachlichen Praxis.<br />

Schriftenreihe ‚Kompost für die Landwirtschaft’, Köln.<br />

Fliessbach, A., Mäder, P., Pfiffner, L., Dubois, D., Gunst,<br />

L., 2000. Bio fördert Bodenfruchtbarkeit und Artenvielfalt.<br />

Erkenntnisse aus 21 Jahren DOK-Versuch. Hrsg: Forschungsinstitut<br />

für biologischen Landbau. Fibbl Dossier,<br />

Nr.1, Frick.<br />

Grabbe, K., Suchardt, F., 1993. Grundlagen der Kompostierung.<br />

Kompostierung und <strong>landwirtschaft</strong>liche Kompostverwertung,<br />

KTBL-Arbeitspapier 191: 49 - 64<br />

Kluge, R., 2008: Kluge, R., Deller, B., Laig, H., Schulz, E.,<br />

Reinhold, J., Haber, N., (2008) Nachhaltige Kompostanwendung<br />

in der Landwirtschaft. Endbericht. Landwirtschaftliches<br />

Technologie zentrum Augustenberg, Karlsruhe,<br />

126 S. http://www.kompost.de/fileadmin/docs/shop/<br />

Anwendungsempfehlungen/ltz_Abschlussbericht---<br />

Nachhaltige-Kompostanwendung-in-der-Landwirtschaft_BGK.pdf<br />

[29/11/2008]<br />

Steiner, R., 1924: Geisteswissenschaftliche Grundlagen<br />

zum Gedeihen der Landwirtschaft“, Landwirtschaftlicher<br />

Kurs; Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1985<br />

Voitl, H., Guggenberger, E., Willi, J., 1980. Das große<br />

Buch vom biologischen Land- und Gartenbau. Orac-<br />

Pietsch, Wien.<br />

Seite 51


Einführung in das Wesen der<br />

Pflanze, ihre Lebensbedingungen und ihr<br />

Bezug zu den übrigen Organen<br />

des <strong>landwirtschaft</strong>lichen Organismus<br />

Bertold Heyden<br />

Ausgehend von einem Scheideweg, an dem heute die<br />

Pflanzenzüchtung – im Speziellen die Getreidezüchtung,<br />

steht, geht der Vortragende auf das Wesen der Pflanze<br />

im Allgemeinen und in weiterer Folge auf die Getreidearten<br />

ein.<br />

Hat die Gruppe der Monokotyledonen oder Einkeimblättrigen<br />

eine Sonderstellung im Pflanzenreich inne,<br />

so nehmen die einzelnen Getreidearten innerhalb der<br />

Gramineen oder Gräser noch einmal einen besonderen<br />

Standort ein.<br />

Durch die gegenseitige Bezogenheit – entfernt ähnlich<br />

jener von Mensch und Haustier – sollte an jede Art von<br />

Beeinflussung nur höchst sensibel herangegangen werden.<br />

Dieses Herangehen erfordert jedoch eine Reihe von<br />

Einsichten, die nur im Gefolge von geisteswissenschaftlichen<br />

Erkenntnissen sich erringen lassen.<br />

Die Komponenten „Vegetativ“ bzw. „Generativ“<br />

Ein wesentlicher Einstieg in das Wesen der Pflanze ist<br />

das Wahrnehmen irdischer und kosmischer Einflüsse.<br />

Ist der irdische Einfluss gekennzeichnet durch die vegetative<br />

Komponente, so ist das Kosmische durch den<br />

generativen Aspekt erkennbar.<br />

Dass die Trennlinie keine exakte ist, und dass die<br />

Punkte an den verschiedenen Pflanzenfamilien unterschiedlich<br />

sind, wird noch dargelegt werden. Grundsätzlich<br />

sind Pflanzen Teilorgane des Erdorganismus.<br />

Seite 52<br />

Das Wesen der Pflanze<br />

Als „Sinnes“-Organe können sie bezeichnet werden,<br />

indem sie sich im Blühen zum Kosmischen hinwenden.<br />

Gleichermaßen „Sinnes“-Organe sind sie, indem sie bereits<br />

vorher kosmische Impulse aufgenommen haben.<br />

Jedes vegetative Wachstum, ob Rosetten-Pflanze oder<br />

Baum, trägt zur Substanzbildung bei.<br />

Dieser Aufbauprozess wird durch das Generative des<br />

Blühvorganges begrenzt.<br />

Auf den lebendigen Erdorganismus bezogen, kann<br />

dessen Grenze bis an diese Blühregion verschoben werden.<br />

Das Seelische im Blühen<br />

Wenn hier auch nicht von einer Pflanzenseele gesprochen<br />

werden kann, so wirken doch in ihren Bildekräften<br />

seelische Impulse.<br />

Diese sind jedoch von außen bildende, nicht wie die<br />

Tier- oder Menschenseele innerlich empfindend.<br />

Das zur Tierseele hinströmende mancher Blütenpflanzen<br />

fehlt den Gräsern und damit dem Getreide vollkommen.<br />

Das Tier ist ausgeschaltet und die Bestäubung ein<br />

Vorgang, der sich allein zwischen Himmel und Erde vollzieht.


Das Wesen der Pflanze<br />

Seite 53


Wachstumsvorgänge<br />

Sichtbar hineingestellt in ein, das Leben unterstützendes<br />

Spannungsfeld von Erde und Kosmos erscheint<br />

die Pflanze in ihrer Gesamtheit von Wurzel, Spross und<br />

Blüte.<br />

Was in den Metamorphose-Ausführungen als „über“sinnlich<br />

ausgelöste Phänomene dargelegt wird, soll hier<br />

auf die sinnlich-erfahrbare Ebene gehoben oder heruntergebracht<br />

werden.<br />

Zum Verständnis der Pflanzengestalt ist es wichtig,<br />

streng zu unterscheiden zwischen dem Substanz schaffenden<br />

vegetativen Wachstum und dem Heraustreiben<br />

des Blütenstandes.<br />

Das erstere ist vom Zellwachstum her deutlich nach<br />

unten gerichtet, wobei im Verlaufe des sichtbaren Wachstums<br />

kontinuierlich Sprossachse und Blattanlagen gebildet<br />

werden.<br />

Eine ganz andere Art von Wachstum stellt sich dar,<br />

wenn ein Blütentrieb nach oben geschoben wird. Auf die<br />

Getreidearten bezogen heißt das, im Vegetationskegel<br />

unter der Erde „schlummert“ metaphysisch gesehen –<br />

bis zur Unkenntlichkeit verkleinert und kunstvoll zusammengefaltet<br />

– die Pflanze bis in die oberste Kornlage.<br />

Durch den Blühimpuls beginnt der Inhalt dieses Vegetationskegels<br />

sich auszudifferenzieren; die Anzahl der<br />

möglichen Blüten und Verzweigungen im Blütenstand<br />

ist schon vorgegeben.<br />

Damit ist die Gestaltbildung im Prinzip abgeschlossen,<br />

ohne dass ein Halm zu sehen ist.<br />

Die Geste des Wachsens zum Kosmos hin wird durch<br />

das Schossen noch unterstrichen.<br />

Der verbleibende Rest teilungsfähigen Gewebes scheidet<br />

nun an jedem Halmknoten Zellen nach oben ab. Jeder<br />

Halmabschnitt wird daher von unten gebildet. Das<br />

Seite 54<br />

Das Wesen der Pflanze<br />

oberste Internodium mit der schon vorhandenen Ährenlage<br />

wird zuletzt von diesem Prozess ergriffen.<br />

Zumindest im anthroposophischen Saatgutbereich ist<br />

dieser letzte Halmabschnitt ein wichtiges Kriterium für<br />

die innere Lebendigkeit der Getreidepflanze.<br />

Auch die Blattbildung erfolgt nach dem Prinzip des<br />

Geschoben-Werdens. Das hervor sprießende Blatt wird<br />

unmittelbar in seiner Gestalt festgehalten; durch die Zellteilung<br />

an der Basis wird es nur in die Länge geschoben,<br />

dadurch entsteht das parallel-nervige Gras- oder Getreideblatt.<br />

Das Phänomen der Grannen<br />

Botanisch sind Grannen einfach erklärt. Bei begrannten<br />

Weizensorten erscheinen sie deutlich abgesetzt als Verlängerung<br />

der Deckspelze; bei Gersten allmählich übergehend.<br />

Sie sind ursprünglich als Hilfe zur Verbreitung<br />

der Samen anzusehen, sind durch die spürbaren Widerhaken<br />

zumindest nicht abwegig, sagt aber über einen<br />

eventuellen Zusammenhang mit dem Thema Nahrungsqualität<br />

noch nichts aus.<br />

Bezeichnenderweise kommt dieser Begriff „Nahrungsqualität“<br />

in der beschreibenden Sortenliste des Bundessorten-Amtes<br />

gar nicht vor. Dazu ein Satz aus dem<br />

„Landwirtschaftlichen Kurs“: „Sie können ja irgendwelche<br />

Frucht ziehen, die glänzend aussieht, auf dem Felde<br />

oder im Obstgarten, aber sie ist vielleicht für den Menschen<br />

nur Magen füllend, nicht eigentlich sein inneres<br />

Dasein organisch befördernd“.1<br />

1 Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Ge-<br />

Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen<br />

der Landwirtschaft“, Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1985


Dazu zwei Darstellungen aus der Bildekräfteforschung<br />

von Dorian Schmidt.<br />

Unbegrannter Weizen Begrannter Weizen<br />

Das Bemühen der <strong>biodynamische</strong>n Getreide-Züchtung<br />

zielt zwar hin auf den Begriff Nahrungsqualität, dies<br />

kann derzeit jedoch nur ein Hintasten sein.<br />

Zum Einen kommt immer mehr zu Tage, dass die<br />

Analyse der Inhaltsstoffe nur bedingt über die Qualität<br />

eines Nahrungsmittels etwas aussagen kann; zum Anderen<br />

besteht die anthroposophische Sichtweise, dass<br />

diese Qualität abhängig ist von Kräften, die stark in der<br />

Gestaltbildung der Pflanze verankert sind. Um hier subjektive<br />

Kausalitäts-Fallen zu umgehen, bedarf es noch<br />

größter Anstrengungen im Hinblick auf die Erhellung der<br />

Zusammenhänge.<br />

Dazu ist es unabdingbar in den Bereich des Lebendigen<br />

vorzudringen, da nur dort die Kräfte zu finden<br />

sind, die uns über das Stoffliche hinaus ernähren.<br />

Das Wesen der Pflanze<br />

Zwei bisher angewandte Verfahren sind die<br />

• Bildschaffenden Methoden<br />

(Kupferchlorid-Kristallisation, Steigbild,<br />

Rundfilterchromatographie)<br />

und die von Dorian Schmidt entwickelt<br />

Methode der<br />

• Bildekräfte-Forschung<br />

Was vorläufig als Erkenntnis erarbeitet wurde ist, dass<br />

begrannte Sorten den unbegrannten an Reifung und Vitalität<br />

überlegen sind.<br />

Bei der zweiten Methode werden Körner verkostet; die<br />

Wahrnehmung der Bildekräfte wird beschrieben und in<br />

einer Skizze festgehalten. Diese Wahrnehmung zeigt bei<br />

den begrannten Sorten ein deutliches Ausgerichtet-Sein<br />

nach oben, und bei den unbegrannten zur Erdenschwere<br />

hin.<br />

Eine Korrelation von Grannenweizen und hoher Backqualität<br />

konnte jedoch bis jetzt noch nicht bewiesen werden.<br />

Weizensteinbrand und Schachtelhalm<br />

Der Weizensteinbrand oder Stinkbrand gefährdet zunehmend<br />

den hofeigenen Nachbau von Winterweizen.<br />

Nachdem im <strong>biodynamische</strong>n Landbau keine chemischen<br />

Beizmittel angewandt werden, war es notwendig,<br />

bei beginnendem Auftreten nach alternativen Maßnahmen<br />

zu suchen.<br />

Im „Landwirtschaftlichen Kurs“ wird Schachtelhalm<br />

als Heilmittel empfohlen. Am Keyserlingk-Institut wurden<br />

auch andere Mittel versucht, die zum Teil befriedigende<br />

Ergebnisse gebracht haben. Es waren dies unter<br />

anderem Kornrade-Mehl, Meerrettich-Saft, Kresse-Saft,<br />

Tonmehl. Die sicherste Methode ist noch immer das aufwändige<br />

Waschen mit kaltem Wasser und einem geringen<br />

Spülmittelzusatz (Wirkungsgrad cirka 85%).<br />

Seite 55


Zusätzliches Beizen mit Kornrademehl und Tonmehl hat<br />

den Wirkungsgrad auf 94% erhöht.<br />

Entscheidend für den Erfolg sind die Höhe des Befalls<br />

und auch der Saatzeitpunkt, der möglichst früh angesetzt<br />

werden sollte. Die Anwendung von Schachtelhalm<br />

als Tee oder Jauche hat bis jetzt noch zu keinen großflächigen<br />

Erfolgen geführt. Vielleicht kann der Gedanke von<br />

Rudolf Steiner weiterführen, „was das Equisetum arvense<br />

für einen merkwürdigen Einfluss auf den menschlichen<br />

Organismus hat, auf dem Unweg durch die Nierenfunktion…“2.<br />

Schwierigkeiten im Landsorten-Anbau<br />

Die Hauptschwierigkeit ist die Kleinräumigkeit des Anbaues<br />

der einzelnen Sorten. Zusätzlich beschränkt die<br />

Rechtslage den Anbau einer einzelnen Sorte auf 50 ha um<br />

nicht mit dem Zuchtregister oder gewerblichen Züchtern<br />

in Kollision zu geraten. Ein weiterer Schwachpunkt ist<br />

das im Laufe der Jahre zunehmende Höhenwachstum,<br />

in der Regel verbunden mit einer abnehmenden Standfestigkeit.<br />

Die zunehmende Steinbrandgefahr durch die<br />

Weiterverwendung des Saatgutes ist besonders in ungünstigen<br />

Lagen zu beachten. Bei der Ernte besteht die<br />

Gefahr der Vermischung mit dem im Mähdrescher verbliebenen<br />

Saatgut aus anderen Äckern.<br />

Eine weitere Schwierigkeit kann aus dem wechselnden<br />

Anbau in Höhen- bzw. Tallagen, auf Kalk- bzw. Kieselgrundgestein,<br />

zu winternahen bzw. sommernahen Saat-<br />

Zeitpunkten entstehen.<br />

Durch diese Maßnahmen wird eine Landsorte zwar<br />

beweglich und viellinig, bietet aber in der Regel kein unformes<br />

Erscheinungsbild.<br />

Diese negative Aufzählung ändert aber nichts an der<br />

2 weiterführend dazu der Aufsatz: „Zum Verständnis der Schachtelhalmwirkung“,<br />

Mitteilungen 1993<br />

Seite 56<br />

Das Wesen der Pflanze<br />

Kieselformen Kalkformen<br />

Tatsache, dass Hof- oder Regionalsorten ein großer<br />

Schritt aus der momentan bestehenden Abhängigkeit<br />

wären. Außerdem beginnt die Nahrungsmittel-Forschung<br />

wenigstens im anthroposophischen Bereich zu<br />

erkennen, was über die Stoffe hinaus für die menschliche<br />

Entwicklung essentiell ist.<br />

Eine andere Art von Reagieren auf die Misere ist die<br />

Forschung an Wildgräsern. Ausgehend von Zitaten aus<br />

dem „Landwirtschaftlichen Kurs“ die Degeneration der<br />

Nahrungspflanzen betreffend, gibt es seit damals Versuche,<br />

einige Wildgräser zu „domestizieren“. Domestizieren<br />

deshalb, weil vom Gras her Eigenschaften aufgegeben<br />

werden müssen, die durch menschliche Handhabungen<br />

ersetzt werden. Zum Beispiel der Schritt von der<br />

Brüchigkeit zu einer Zähigkeit der Ährenspindel vermindert<br />

gravierend die natürliche Verbreitungsfähigkeit der<br />

Samen. Unabdingbar ist auch die wenigstens teilweise<br />

Rücknahme der Formenvielfalt einer Population, obwohl<br />

diese im Grunde ein lebenswichtiger Faktor ist. Auch<br />

hier geht es um eine Art von Tausch, in dem der Mensch<br />

durch die Schaffung geeigneter Bedingungen das


Vorhandensein vieler Linien weniger notwendig macht.<br />

Eine zeitliche Eingrenzung ist auch notwendig, was den<br />

Zeitpunkt der Abreife betrifft, da eine maschinelle Ernte<br />

ansonsten übermäßig erschwert werden würde.<br />

Ehrenfried Pfeiffer und Hugo Erbe versuchten auf diese<br />

neue Art zu züchten. Die Dokumentation der Forschungsarbeiten<br />

von Hugo Erbe liegt bedauerlicherweise<br />

nur unvollständig auf.<br />

In neuerer Zeit sind es die Arbeiten am Keyserlingk-<br />

Institut, beginnend mit der Roggentrespe (Bromus secalinus)<br />

bzw. der Dicken Trespe (Bromus grossus).<br />

Im Jahre 1973 stieß Dr. Heyden im Verlaufe eines Besuches<br />

auf der Krim „zufällig“ auf einen Bestand von<br />

Dasypyrum villosum. Inzwischen kamen noch Formen<br />

aus Sardinien und Italien dazu. Alle sind „Wintergetreide“<br />

und benötigen daher das Phänomen der Vernalisation.<br />

Es ist dies das Einwirken einer genügenden Anzahl<br />

von Frosttagen, um das Schossen zu ermöglichen.<br />

Die vorhandenen Dasypyrum-Formen sind Fremdbefruchter,<br />

was sie von unseren Triticum-Arten unterscheidet.<br />

Seit 2006 wird am „Lichthof“ in Heiligenholz eine<br />

Form relativ großflächig angebaut und versucht, diese in<br />

die Fruchtfolge einzubauen. Ein weiteres Anliegen ist die<br />

Eingliederung in den Organismus Lichthof, indem die<br />

Tiere davon fressen und über den Dünger das „Wesen“<br />

Dasypyrum sich möglicherweise ausbreiten kann.<br />

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist der Stand der Fortschritte<br />

so, dass verschiedene Formen exakter selektiert<br />

werden und aus dem Erntegut auch schon Backversuche<br />

angestellt werden können.<br />

Grundsätzlich erhebt sich die Frage nach dem inneren<br />

Vorgang bei einer Umwandlung von Wild- zu Kulturgetreide.<br />

Ein Satz von Rudolf Steiner aus dem „Landwirtschaftlichen<br />

Kurs“ kann die Frage nicht beantworten,<br />

aber als Frage vertiefen: „Wie in alten Zeiten es notwendig<br />

war, dass man Kenntnisse hatte, die wirklich hinein<br />

Das Wesen der Pflanze<br />

gingen in das Gefüge der Natur, so brauchen auch wir<br />

heute wieder Kenntnisse, die wirklich hineingehen in das<br />

Gefüge der Natur.“3<br />

Vielleicht kann man dieser Frage entgegen kommen,<br />

indem man dieses „Hineingehen in das Gefüge der Natur“<br />

in einen Gesamtzusammenhang stellt, d.h. das Werden<br />

von Kulturgetreide war vor ca. 10000 Jahren „an der<br />

Zeit“. Und eingebettet in diese Art von Zeitqualität, hat<br />

sich Natur in das „Gefüge“ blicken lassen und gleichzeitig<br />

hatten gewisse Menschen das Auge für dieses Hineinblicken.<br />

Der für uns nachvollziehbare Kulturschritt erfolgte eher<br />

durch die daraus sich bildende Ackerbaukultur, verbunden<br />

mit Sesshaftigkeit, d.h. mit Stadtgründungen. Wesentlich<br />

war auch das Einsetzen einer Kultur des Brotes.<br />

Ob wir uns heute wiederum Wildgräsern zuwenden sollen,<br />

ist aus der Vergangenheit her nicht zu beantworten.<br />

Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings aus – wenn auch<br />

spärlichen – Aussagen von Rudolf Steiner gegeben.<br />

Auf die Frage von Ehrenfried Pfeiffer, wie es komme,<br />

„dass der Wille zur Tat, zur erfolgreichen Durchführung<br />

der geistigen Impulse so schwach ist“4, antwortet Steiner,<br />

es sei eine Frage der Ernährung. Die Nahrung gebe<br />

die Kräfte dafür nicht mehr her. In Anbetracht der Gedichtzeile<br />

von Hermann Hesse – „vollziehe und werde<br />

vollzogen“ – kann vermutet werden, dass der mit einem<br />

Wildgetreide befasste Personenkreis sich zumindest<br />

nicht mutwillig dieser Aufgabe entziehen darf. Ob die<br />

Mühe zu einem Ergebnis im Sinne der Steiner’schen Antwort<br />

führt, kann nur die Zukunft weisen.<br />

3 Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Ge-<br />

Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen<br />

der Landwirtschaft“, Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1985.<br />

4 Meyer, Thomas: „Ein Leben für den Geist- Ehrenfried Pfeiffer“,<br />

Basel,1999<br />

Seite 57


Arbeit am Dasypyrum villosum<br />

Weiterführende bzw. aktuelle Literatur:<br />

Seite 58<br />

Das Wesen der Pflanze<br />

„Mitteilungen aus der Arbeit“ des Keyserlingk-Institutes<br />

„Infobrief Saatgutfonds“ Zukunftsstiftung Landwirtschaft, Christstraße 9,<br />

D - 44789 Bochum.<br />

Grohmann, Gerbert: „Die Pflanze als dreigliedriges Wesen in ihrer Wechselbeziehung zu Erde und Mensch“<br />

Mos, Uwe: „Die Wildgrasveredlung“, Verlag Goetheanum.


Einführung in die goetheanistische<br />

Erkenntnisweise –<br />

anhand der Metamorphose der Pflanze als<br />

Grundlage neuer Züchtungsmethoden<br />

Reinhild Frech-Emmelmann<br />

Die Metamorphose der Pflanze<br />

Rudolf Steiner hat über die naturwissenschaftlichen<br />

Studien Goethes ein Werk verfasst, in welchem die Metamorphose<br />

der Pflanze als Grundlage der Pflanzenbetrachtung<br />

dient.1<br />

In der Botanik wird die Metamorphose definiert als Prozess<br />

der Umbildungen und Umwandlungen der Grundorgane<br />

(Wurzel, Sprossachse, Blatt) der Pflanzen.<br />

Der goetheanistische Ansatz einer Annäherung an die<br />

Pflanze:<br />

Um in das Bildungsgeheimnis der Pflanzen einzusteigen,<br />

ist es wichtig die Pflanze vorurteilsfrei zu betrachten.<br />

Man sollte alles botanische Vorwissen zunächst ablegen.<br />

Einfach die Erscheinung der Pflanze konkret beschreiben<br />

und daraus Schlüsse ziehen. Wesentlich ist also die<br />

Konzentration auf die Phänomene der Pflanze und das<br />

Sich-Üben in der Anschauung derselben.<br />

Definition: Metamorphose in der Botanik<br />

Metamorphose im räumlichen Sinn<br />

Die im Samenkorn veranlagte Pflanze zwängt sich aus<br />

ihrer konservierenden Hülle. Das Samenkorn schwillt an,<br />

die Hülle platzt auf. Auf der einen Seite strebt der Keimling<br />

dem Licht zu, auf der anderen Seite zwängt er sich<br />

mit den Wurzeln in die Tiefe.<br />

1 Steiner, Rudolf,: „Goethes Weltanschauung“, Rudolf Steiner<br />

Verlag, 1999<br />

Die Metamorphose der Pflanzen<br />

Ziel ist die Streckung nach oben und die Verbindung<br />

mit den Erdentiefen.<br />

Organ der Pflanze für den Trieb nach oben ist der Stängel.<br />

Es gibt den sich immer wiederholenden Trieb der<br />

Pflanzen, sich nach oben dem Lichte zuzuwenden, und<br />

sich gleichsam entgegengesetzt mit der Wurzel nach<br />

unten zu verankern. Dieser Aufrichtetrieb ist der vertikale<br />

Trieb, und wird auch als vertikale Tendenz bezeichnet.<br />

Darüber hinaus existiert bei den Pflanzen der horizontale<br />

Trieb oder die horizontale Tendenz. Das beginnt mit<br />

den Keimblättern und allen darauffolgenden Blättern am<br />

Stengel. Sie bieten der Erdoberfläche ihre Breitseite dar.<br />

Auch in der Sphäre darunter, im Wurzelbereich, gibt es<br />

horizontale Verästelungen.<br />

Über dem Erdorganismus bildet sich eine grüne Pflanzendecke,<br />

vergleichbar einer grünen Höhle, einer lebendigen<br />

Haut, während gleichzeitig aus dem Erdinneren<br />

sich ein Strahlenleib von immer wieder neuen Pflanzen<br />

generiert, die auskeimen, vertikal nach oben durchstoßen<br />

und zur Sonne drängen.<br />

Das Allgemeine<br />

Allen Pflanzen gemeinsam ist die Urpflanze.<br />

Es liegt eine Ureinheit vor, bestehend aus:<br />

Knoten – Stängelstück – Blatt.<br />

Jede Pflanze hat ihre eigene Entwicklungsfolge.<br />

Bei jedem Blatt gibt es einen Knoten, mit dem es am<br />

Stängel ansitzt.<br />

Zu jedem Knoten gehört ein entsprechendes Stängelstück<br />

und vice versa, zu jedem Stängelstück gehört ein<br />

entsprechendes Blatt.<br />

Der Stängel trägt die Blattorgane. Er verbindet die Wurzeln<br />

mit den Blättern.<br />

Seite 59


Generell wird die horizontale Tendenz immer wieder<br />

durch die vertikale Tendenz durchstoßen.<br />

Alle Pflanzen dieser Erde sind auf dieser Ureinheit aufgebaut.<br />

Das Individuelle<br />

Der Ablauf der Entwicklungsfolge ist sowohl in der vertikalen,<br />

als auch in der horizontalen Richtung individuell<br />

verschieden und variabel.<br />

Jede Pflanze hat auch einen eigenen Entwicklungsrhythmus.<br />

Die immanente Abfolge ist beeinflussbar von äußeren<br />

Faktoren, wie Temperatur, Feuchtigkeit, Licht, Bodenbeschaffenheit,<br />

etc.<br />

Mit dem Emporsteigen der Blätter geht die Formverwandlung<br />

einher.<br />

Entwicklungshistorisch ist die Blüte die höchste Ausformung<br />

der Pflanze.<br />

Zur Vertiefung des oben Gesagten nachfolgend einige<br />

Beispiele:<br />

Schildampfer<br />

Hat blaugrüne Blätter und unscheinbare Blüten.<br />

Die Blätter sind in ihrer Ausformung nicht gleich. Sie werden<br />

nach oben hin kleiner und spitzer.<br />

Die untersten Blätter haben beim Blattstängel Einbuchtungen<br />

und sehen eher herzförmig aus.<br />

Man kann das Fortschreiten der Veränderung nur verstehen,<br />

wenn man das jeweils nächste Blatt in Hinblick<br />

auf das vorangehende in kontinuierlicher Abfolge betrachtet.<br />

Man versteht z. B. nicht die Form des obersten Blattes<br />

im Vergleich mit dem untersten. Man würde denken, es<br />

Seite 60<br />

Die Metamorphose der Pflanzen<br />

sind Blätter von verschiedenen Pflanzen.<br />

Innerhalb der Pflanze gilt also das Prinzip der Polaritäten<br />

und der Steigerung.<br />

Skabiose<br />

Das unterste Blatt ist löffelartig, das oberste nur spitz.<br />

Die zweite Blattreihe ist löffelartig, jedoch mit Blatteinschnitt.<br />

In der dritten Reihe wird der Blatteinschnitt noch größer.<br />

In der vierten Reihe entsteht eine völlig neue Blattform.<br />

Es bilden sich Blattreihen zweiter und dritter Ordnung,<br />

gleichzeitig wird der Ausgestaltungshöhepunkt erreicht.<br />

Durch die verlaufende Betrachtung vom untersten zum<br />

obersten Blatt kann das Prinzip der Steigerung miterlebt<br />

werden.


Mauerlattich<br />

Das unterste Blatt ist gegliedert, das oberste nur noch<br />

eine kleine Blattspitze, das sogar den Stängel umhüllt. Sie<br />

sind also ganz verschieden und vordergründig ohne Zusammenhang.<br />

Hier wirken Polarität und Steigerung im Goetheschen<br />

Sinne sogar in sehr extremer Ausprägung.<br />

Dieses Prinzip der Polarität und Steigerung findet sich<br />

bei allen Blütenpflanzen in irgendeiner Modifikation wieder.<br />

Man kann den dynamischen Prozess der Formenumwandlung<br />

nur durch genaues Betrachten verstehen und<br />

so die Pflanze in ihrem Wesen begreifen.<br />

Gut wahrnehmbar ist dieser Prozess in den Wechselwirkungen<br />

zwischen den Blättern und den Blüten:<br />

Nach der Metamorphose der Blätter, die nach oben hin<br />

immer kleiner werden, bis sie letztlich ausgelöscht sind,<br />

folgt als Krönung die Blüte. Das Blütenprinzip wirkt in die<br />

Metamorphose in den Blättern hinein.<br />

Dabei werden unterschiedliche Entwicklungsausformungen<br />

beobachtet.<br />

Die Metamorphose der Pflanzen<br />

• Die Blätter wachsen am Stängel entlang.<br />

Es gibt verschiedene Anordnungsvariationen der Blätter<br />

entlang des Stängels.<br />

Immer jedoch nehmen sie nach oben hin ab, d. h. sie werden<br />

weniger hinsichtlich Dichte, Anzahl und Größe und<br />

lassen somit Platz, um an der Spitze die Ausformung einer<br />

Blüte zu ermöglichen.<br />

Das Blütenprinzip ist stark und bewirkt die Metamorphose<br />

der Blätter.<br />

z. B.: Skabiose<br />

• Die Blätter und die Blüten wachsen am Stängel<br />

entlang.<br />

Das Blütenprinzip ist schwach. Es gibt meist keine Metamorphose<br />

in den Blättern.<br />

Seite 61


Die Blüten wachsen abwechselnd mit den Blättern direkt<br />

am Stängel; z. B.: Hahnenfuß<br />

Hahnenfuß<br />

•Die Blätter und die Blüte sind in großer Distanz.<br />

Das Blütenprinzip wirkt auch hier schwach.<br />

Alle Blätter scheinen herabgesenkt zu einer Rosette.<br />

Seite 62<br />

Die Metamorphose der Pflanzen<br />

Der Blütenimpuls ist zu weit von den Blättern entfernt.<br />

Er erreicht die Blätter nicht mehr, daher findet auch keine<br />

Formverwandlung statt. z. B.: Spitzwegerich<br />

Spitzwegerich<br />

Ähnliches Prinzip findet man auch bei Fingerhut und<br />

Königskerze.<br />

• Nur Blätter – keine Blüten:<br />

Das Blütenprinzip fehlt. Der Blütenimpuls ist nicht vorhanden,<br />

es werden überhaupt keine Blüten ausgebildet.<br />

Diese Pflanzen haben sehr schön ausgeformte Blätter, es<br />

gibt jedoch keine Blattverwandlung.


z. B.: Farne<br />

Farne 1<br />

Metamorphose im zeitlichen Sinn<br />

Im Laufe der Evolution haben die Pflanzen Metamorphosen<br />

zu höheren Stufen der Ausformungen vollzogen.<br />

Die Urpflanzen der Vergangenheit waren sehr ähnlich den<br />

heutigen Farnen und den Schachtelhalmen. Mit diesen<br />

Arten ragen sie als Relikte einer alten Zeit in unsere Gegenwart<br />

herein.<br />

Fossile Funde dokumentieren, dass früher ganz andere<br />

Pflanzen existierten, die auf einem anderen Niveau gelebt<br />

haben.<br />

Die Metamorphose der Pflanzen<br />

Die Farne und Schachtelhalme der Jetztzeit sind also<br />

Boten aus der Vergangenheit.<br />

Farne 2<br />

Die Farne bestehen aus Wurzeln, Stängeln und sind<br />

reich gegliedertem Blattwerk. Die Blätter sind alle gleich.<br />

Man kann sich hier keine Blüte denken, da keine Metamorphose<br />

stattfindet, die das Blattwerk auslöscht.<br />

Samen werden in Gefäßen an der Blattunterseite ausgebildet.<br />

Man sieht kleine braune Kapseln. Der Sporenstaub<br />

fällt zur Erde. Es bildet sich ein unscheinbarer Vorspross<br />

aus, von dem sexuell differenzierte Fortpflanzungszellen<br />

gebildet werden. Somit hat die Fortpflanzung der Farne<br />

auch etwas Tierisches.<br />

Seite 63


Die Fortpflanzung der Farne erfolgt im Generationswechsel,<br />

d. h. geschlechtliche und ungeschlechtliche Generationen<br />

wechseln sich ab.<br />

Die Fortpflanzung findet also außerhalb der Pflanze<br />

statt und Bedarf eines Zwischenprozesses, des Vorsprosses.<br />

Farne haben keine Staubgefäße und keine Samenkapseln,<br />

sondern nur den Sporenstaub. Das ist Blütenstaub<br />

und Samenkorn in einem.<br />

Bei Blütenpflanzen verläuft die Fortpflanzung linear an<br />

der Pflanze, nämlich als Blatt-, Blüten- und Samenprozess.<br />

Die Befruchtung findet durch ein Insekt, oder durch<br />

den Wind statt.<br />

Abb. 8: Schachtelhalm<br />

Seite 64<br />

Die Metamorphose der Pflanzen<br />

Der Schachtelhalm ist ein weiteres rezentes Beispiel einer<br />

überlebenden Pflanze aus der Vergangenheit.<br />

Die Ausgestaltung ist reduziert auf das Stängelhafte.<br />

Die Fortpflanzung ist ähnlich wie bei den Farnen.<br />

Niedere Pflanzen haben Fortpflanzungsorgane und<br />

Fortpflanzungsprozesse getrennt. Zwei Stadien müssen<br />

kombiniert werden.<br />

Auf der höheren Entwicklungsstufe bedarf es nicht<br />

mehr dieses triebhaften Zwischenprozesses.<br />

Die Ausformung einer Blüte ist die Transformation in<br />

eine höhere Entwicklungsstufe.<br />

Die Befruchtung erfolgt innerhalb der Pflanze in der<br />

Sphäre des Lichtes.<br />

Denkt man sich die zwei Pflanzen - Farne und Schachtelhalme<br />

- zusammen, erkennt man zwei Formenprinzipien:<br />

das Stängelhafte<br />

die feingliedrige Blattausformung<br />

In dieser gemeinsamen Optik erscheinen uns die Doldengewächse.<br />

Doldengewächs<br />

(wilde Möhre)<br />

Dazu gehören z. B. Karotten,<br />

Kümmel, Dill, Fenchel, Petersilie,<br />

Pastinake, Koriander, Sellerie,<br />

und viele mehr.<br />

Ihnen allen liegt ein gewisses<br />

Urbild zugrunde. Sie vereinen<br />

Formprinzipien ähnlich den Farnen<br />

und den Schachtelhalmen.<br />

Sie sind aber entwickelt zu einer


völlig eigenständigen Art.<br />

Sie bilden bereits Blüten aus und dieser Blühimpuls wirkt<br />

auch hier umgestaltend.<br />

Die Blätter erfahren eine Ausdehnung und zur Blüte hin<br />

eine Zusammenziehung und Auslöschung.<br />

Gleichsam wie auf einer höheren Stufe entstehen ein „gegliedertes<br />

Farnblatt“ und die Blütendolde.<br />

Goethe spricht vom „Typus“ einer Pflanze.<br />

Der Typus ist sich auch in der Metamorphose treu geblieben.<br />

Zitat Goethe: „Jedes Lebendige ist kein Einzelnes, sondern<br />

eine Mehrheit. Selbst insofern es als Individuum<br />

erscheint, bleibt es doch eine Versammlung von lebenden,<br />

selbstständigen Wesen, die der Idee der Anlage nach<br />

gleich sind, in ihrer Erscheinung gleich oder ähnlich sind<br />

oder werden können. Diese Wesen sind teils ursprünglich<br />

schon verbunden, teils binden und vereinigen sie sich. Sie<br />

entzweien sich und suchen sich wieder und bewirken so<br />

eine unendliche Tradition nach allen Seiten.“<br />

Unsere Kulturpflanzen sind keine Metamorphose der<br />

Wildpflanzen.<br />

Kulturpflanzen sind Blütenpflanzen, die in einem gewissen<br />

Stadium der Blattmetamorphose angehalten wurden<br />

und dort jung geblieben sind, was sich in der Süße<br />

äußert.<br />

Sie haben auch den Blühimpuls, konnten aber im Laufe<br />

der Entwicklung eine größere Steigerung erfahren.<br />

Sie wurden durch menschliches Zutun in Form von Samenselektion<br />

und/oder durch Veränderung der äußeren<br />

Einflüsse auf den chronologischen Sprossungstrieb, verändert.<br />

Damit z. B. aus dem wilden Salat, dem Mauerlattich,<br />

ein Kultursalat geworden ist, hat man den Prozess der<br />

Die Metamorphose der Pflanzen<br />

ersten Stufe, in dem die Blätter breit und massig sind,<br />

ausgedehnt.<br />

Durch diese Ausdehnung wurden zusätzlich breite Blätter<br />

geschaffen.<br />

Die Ausformung einer Kulturpflanze kann durch langjährige<br />

Selektion der Samen erfolgen, die zur Auswahl<br />

führenden Beobachtungen werden an der ganzen Pflanze<br />

gemacht..<br />

Ein Beispiel: Martin Schmidt, ein Getreidezüchter aus<br />

dem Osten Deutschlands, begann 1947/48 beim Roggen<br />

mit Beobachtung und Auslese zu experimentieren. Er entwickelte<br />

die „Ährenbeetmethode“. Dabei werden die Körner<br />

in der Reihenfolge, wie sie in der Ähre stecken, in den<br />

Boden eingebracht. Er entdeckte, dass sich jeweils die<br />

Körner der sechsten Lage am besten entwickelten. Durch<br />

Selektion nach den Ergebnissen dieser Beobachtungen,<br />

durch Beachten kosmischer Rhythmen, sowie durch<br />

Wechsel von winternahen und winterfernen Aussaatterminen<br />

und anderen begleitenden Maßnahmen gelang es<br />

ihm binnen 16 Jahren die Roggenähre auf 32 Körnerlagen<br />

zu vergrößern.<br />

Diese Erkenntnisse können aber nicht für alle Getreidearten<br />

generalisiert werden. Es muss quasi in jedem<br />

Einzelfall eigenständig beobachtet werden, welche Lagen<br />

sich bei den gegebenen Bedingungen am besten entwickeln.<br />

Das Lebendige der Pflanze kann gefördert werden, z.<br />

B. durch die Verbesserung der Standortbedingungen, der<br />

Bodenqualität, etc.<br />

Seite 65


Zusammenfassung<br />

Unsere heutigen Kulturpflanzen sind Blütenpflanzen,<br />

bei denen menschliches Gestalten mit hineinwirkt.<br />

In ihrer Ausformung können Pflanzen, durch Samenauslese,<br />

Saatzeitpunkte in Bezug auf Gestirnkonstellationen<br />

vom Menschen beeinflusst werden, Diese Auswahlkriterien<br />

haben Bedeutung bis hinein in die Lebensmittelqualität,<br />

wobei es letzten Endes nicht die Stoffe sind, die<br />

Leben erhaltend wirken, sondern die aus dem Lebensprozess<br />

der Pflanze frei werdenden Kräfte.<br />

Aus dem Gesagten ergibt sich die Dringlichkeit einer<br />

beobachtenden Forschung bei Züchtung, Anbau und Erhaltung<br />

von Kulturpflanzen.<br />

Wir können die Metamorphose der Pflanzen hin zu Blütenpflanzen<br />

nur verstehen, wenn wir die Blütenpflanzen<br />

kennen. Man muss also stets die nächste höhere Entwicklungsstufe<br />

kennen, um die vorangegangene Entwicklung<br />

rezipieren zu können. Wollte man die derzeitigen Blütenpflanzen<br />

verstehen, müsste man deren kommende nächste<br />

höhere Ausformung kennen, also die Pflanzenform<br />

nach der Blütenpflanze.<br />

Methodisch kann man nur aus der Anschauung heraus<br />

versuchen Erkenntnisse abzuleiten, sowie aus der systematischen<br />

akribischen Beobachtung der Entwicklungsprozesse<br />

Schlussfolgerungen zu treffen über das Wesen<br />

und die Bedürfnisse der Pflanze. Durch langfristiges<br />

empirisches Vergleichen gelingt es uns annähernd die<br />

Intention der pflanzlichen Verwandlungen zu erahnen,<br />

ihre Veränderungen zu antizipieren. Mit rein kognitiver<br />

Analyse ist die Metamorphose und das Wesen der Pflanze<br />

nicht begreifbar.<br />

Reinhild Frech Emmelmann hielt diesen Vortrag am 12.<br />

12. 2008 in der Ringvorlesung „Biologisch dynamischer<br />

Landbau.“<br />

Frau Frech-Emmelmann ist Geschäftsführerin bei<br />

Seite 66<br />

Die Metamorphose der Pflanzen<br />

Fa. Reinsaat KG in St. Leonhard im Hornerwald und trägt<br />

dort die Verantwortung für die Pflanzenzüchtung.<br />

Das Ziel ist, auf Basis <strong>biodynamische</strong>r und organisch -<br />

biologischer Arbeitsweise die Vielfalt und Nachhaltigkeit<br />

von Gemüse-, Kräuter- und Blumenpflanzen zu sichern.<br />

Es geht um die Züchtung von samenfesten, schmackhaften<br />

Sorten, die regional gut angepasst sind, und um<br />

die Verbindung von Qualität und Ertragssicherheit.<br />

Die methodischen Grundlagen von Frau Frech-Emmelmann<br />

sind die anthroposophische Pflanzenbetrachtung<br />

und das Buch über die Metamorphose im Pflanzenreich<br />

von Dr. Gerbert Grohmann.2 Sie nimmt regelmäßig an<br />

Züchtungstagungen in der Schweiz, in Deutschland und<br />

in Italien teil.<br />

Quellenverzeichnis<br />

Grohmann, Dr. Gerbert: „Metamorphosen im<br />

Pflanzenreich, Verlag Freies Geistesleben, 3. Aufl. 1990,<br />

Goethe, J. W. „Die Metamorphose der Pflanzen“, 1790<br />

Steiner, Rudolf,: „Goethes Weltanschauung,<br />

Rudolf SteinerVerlag, 1999<br />

2 Grohmann, Gerbert: „Metamorphosen im Pflanzenreich“, Verlag<br />

Freies Geistesleben, 3. Aufl. 1990, (Erstauflage aus 1935.<br />

Er war ein Zeitgenosse von Rudolf Steiner)


Annäherung an den Erdapfel<br />

Oskar Grollegger<br />

Herkunft und Geschichte<br />

Die geografische Herkunft ist eindeutig zu klären;<br />

er stammt ursprünglich aus den Hochtälern Südamerikas.<br />

Ab der Mitte des 16. Jahrhunderts verbreitete<br />

sich von Spanien ausgehend dieses Nachtschattengewächs<br />

vorerst als Zierpflanze in verschiedenen Varianten<br />

in Europa. Verschiedene Varianten deswegen,<br />

weil der Erdapfel stark auf die Tageslänge reagiert.<br />

Die Formen um den Äquator und nördlich davon bilden<br />

nur bei einer Tageslänge von 12 Stunden Knollen<br />

aus. Im südlichen Teil von Südamerika – Chile, Peru<br />

– stimmen die Taglängen mit unseren besser überein,<br />

daher wurde Saatgut zunehmend aus diesem Gebiet<br />

bezogen.<br />

Botanik<br />

Die Gattung Solanum umfasst weltweit cirka 1500<br />

Arten, nach anderen Quellen sogar bis zu 3000, was<br />

einen der größten Verwandtschaftskreise im Pflanzenreich<br />

darstellt. Die Palette reicht vom Schwarzen<br />

Nachtschatten über den Erdapfel zu Paradeisern und<br />

Tabak. Von der Genetik her sind unsere inzwischen<br />

heimischen Formen tetraploid. Das heißt, es befinden<br />

sich 48 Chromosomen in einer Zelle. Die meisten<br />

Wildformen haben 24 Chromosomen, d.h. sie sind<br />

diploid. Man weiß nicht dezidiert, wie der Schritt zur<br />

Kulturpflanze vor sich gegangen ist. Es ist das glei-<br />

Annäherung an den Erdapfel<br />

che Problem wie bei Weizen, Dinkel und Paradeisern.<br />

Zur Verdeutlichung der Problematik soll ein Absatz<br />

aus einem Vortrag von Prof. Hermann Kuckuck, vom<br />

Institut für Angewandte Genetik in Burgwedel zitiert<br />

werden:<br />

Die Entstehung von nacktkörnigen hexaploiden<br />

Kulturformen wird auf die Wirkung eines Faktors Q<br />

zurückgeführt, der wahrscheinlich durch eine Duplikation<br />

im Chromosom 5A entstanden ist. Er hat eine<br />

pleiotrope Wirkung, indem er die typischen Spelta-<br />

Merkmale wie Spindelbrüchigkeit beim Drusch,<br />

fester Spelzenschluß, und geschulterte Hüllspelzen<br />

unterdrückt. Sie kann aber auch durch die Summierung<br />

kleiner Mutationsschritte entstanden sein, wie<br />

aus der Analyse einer größeren Sammlung aus dem<br />

Spelta-Anbaugebiet im Iran wahrscheinlich gemacht<br />

worden ist.<br />

Zu der auffallend größeren Formenmannigfaltigkeit<br />

der hexaploiden Weizen haben auch spontane<br />

Kreuzungen mit Roggen und Aegilopsarten beigetragen,<br />

und zwar durch Addition und Substitution<br />

von Fremdchromosomen, ferner durch Translokationen<br />

und Einlagerung fremder Chromatinstücke in<br />

Weizenchromosomen.“ 1 Diese genaue Zitierung erfolgt,<br />

um zu verdeutlichen, dass zumindest ein Teil<br />

der Nutzpflanzen in ihrer Hereinnahme durch den<br />

Menschen, nicht durchgehend genetisch dokumetierbar<br />

sind.<br />

1 Kuckuck, Hermann: Aus: „ Aktuelle Probleme der <strong>landwirtschaft</strong>lichen<br />

Forschung“; 9. Seminar – Abstammung der<br />

Kulturpflanzen und die Erhaltung des natürlichen Formenreichtums;<br />

Bundesversuchsanstalt Linz, 1982; S 14.<br />

Seite 67


Botanisch ist die Knolle eine Sprossverdickung, die Früchte<br />

sind Beeren mit einer hohen Anzahl von Samen.<br />

Diese Samen sind nur für die Zucht von Bedeutung.<br />

Der Erdapfel ist ein Selbstbefruchter. Pflanzenphysiologisch<br />

sind die oberirdischen Stängel und die unterirdischen<br />

Stolonen dasselbe. Die zwei bis zehn Stängel<br />

sind meist dreikantig, die Stolonen rund und hell. Wenn<br />

Letztere unter Lichteinfluss geraten, werden sie zu Stängeln<br />

mit verkümmerten Laubblättern. Der Sprosscharakter<br />

der Knollen zeigt sich durch das Vorhandensein<br />

der Augen; das sind genau genommen Knospen, welche<br />

eine bestimmte Anordnung aufweisen. Diese Anordnung<br />

geht aus vom Nabel – das ist der Anwachspunkt an der<br />

Stolone – und entwickelt sich spiralförmig ansteigend<br />

zur Krone.<br />

Seite 68<br />

Annäherung an den Erdapfel<br />

Ernährungsphysiologische Bedeutung<br />

Der Erdapfel ist in seinen verschiedenen Zubereitungen<br />

ein wichtiges Grundnahrungsmittel. Ursprünglich in<br />

Südamerika, später in Europa, Asien und den USA. Zum<br />

Vergleich zwei Anbauzahlen aus den 1990er Jahren:<br />

Erdapfel weltweit 18.000.000 ha<br />

Weizen 350.000.000 ha.<br />

Ernährungsphysiologisch ist der Eiweißgehalt bedeutsam<br />

durch den basischen Überhang, und außerdem die<br />

hohen Gehalte an Kohlehydraten und Kalium. In der anthroposophischen<br />

Ernährungslehre haben Erdäpfel keinen<br />

hohen Stellenwert. Nach ihr werden durch den reichlichen<br />

Genuss die Sinnestätigkeiten negativ beeinflusst.<br />

Die Kartoffelesser von Vincent van Gogh<br />

In der Tiermedizin gelten sie als Diätetikum bei Übersäuerung<br />

des Rindes. Gefährlich ist das Verfüttern von<br />

angekeimten Erdäpfeln, welche eine Alkaloidvergiftung<br />

hervorrufen können. Im Laufe des Keimungsvorganges<br />

und bei starker Lichteinstrahlung bildet sich massiv Solanin;<br />

die Symptome sind Lähmungserscheinungen im


Gehirn, Rückenmark und Herz.<br />

Das vorhandene Vitamin C kommt hauptsächlich im<br />

Inneren der Knolle vor, kann also beim Schälen nicht<br />

verloren gehen. Ernährungspolitische Bedeutung hat der<br />

Erdapfel 1845 und einige Folgejahre danach durch das<br />

massive Auftreten der Kraut- und Knollenfäule in Irland<br />

erlangt. Die dadurch entstandene Hungersnot forderte<br />

hunderttausende Todesopfer und zwang in den Folgejahre<br />

eine Million Iren zur Auswanderung nach Nordamerika.<br />

Anbau<br />

Der beste Boden für den Anbau von Erdäpfeln ist der<br />

berühmte sandig-lehmige, tiefgründige, lockere, humusreiche<br />

Boden. In der Bodenreaktion sind Erdäpfel tolerant;<br />

optimal ist der leicht saure Boden (um ph – Wert<br />

6). Das Umbauen soll im Herbst erfolgen, vor allem in<br />

trockenen Lagen, wo dadurch die kostbare Winterfeuchtigkeit<br />

erhalten bleibt. Die Düngungsempfehlungen reichen<br />

je nach Lehrbuch von 20.000–40.000 kg Mist pro<br />

ha. In der <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft achten wir<br />

besonders darauf, dass ein gut ausgereifter Kompost<br />

verwendet wird.<br />

Die Keimung kommt im Zuge der Erwärmung indirekt<br />

in Gang durch die Rückbildung von keimhemmenden<br />

Stoffen und gleichzeitig durch die verstärkte Bildung von<br />

Zucker- und Eiweißstoffen um die Augen herum.<br />

Das Kronenauge nimmt eine beherrschende Stellung<br />

ein und verhindert oft das Austreiben der übrigen Augen.<br />

Sollte dieser Prozess zu lange vor dem Anbauter-<br />

Annäherung an den Erdapfel<br />

min in Gang gekommen sein, wäre das Entfernen dieses<br />

Keimes ratsam.<br />

Für Betriebe mit einer starken Personaldecke oder<br />

auch für Kleingärtner gibt es ein paar den Ertrag steigernde<br />

Maßnahmen:<br />

• Die erste wäre das Durchschneiden des Erdapfels,<br />

sodass eine Kronen- und eine Nabelhälfte<br />

entsteht. Wenn man nicht am Saatgut<br />

sparen muss, sollte man nur die Kronenhälfte<br />

anbauen.<br />

• Gleichwertige Hälften bekommt man beim so<br />

genannten Brückenschnitt, cirka vier Wochen<br />

vor der Pflanzung. Dabei wird der Erdapfel der<br />

Länge nach bis auf einen 2 cm langen Steg am<br />

Nabelende durchgeschnitten.<br />

• Dann gibt es noch den Reizschnitt, bei dem<br />

in der Querrichtung der Erdapfel umrundend<br />

eingeschnitten wird. Dadurch keimen auch die<br />

nabelseitigen Augen leichter, weil der Kronenkeim<br />

nicht so stark ziehen kann.<br />

• Eine extreme Methode, Saatgut zu sparen, stellt<br />

das Herausschneiden von Augen mit einem Keil<br />

vom Fruchtfleisch von cirka 3 cm Länge dar.<br />

Die Mindesttemperatur für den Anbau wird für vorgekeimtes<br />

Saatgut mit 6°-10°C angegeben. Vorgekeimt deshalb,<br />

weil bei dieser Temperatur nur das Weiterwachsen<br />

der Keime möglich ist, aber nicht das Austreiben.<br />

Seite 69


Beim Früherdäpfel-Anbau empfiehlt sich generell ein<br />

Vorkeimen. Wird am Tageslicht vorgekeimt, ist auf das<br />

Auftreten von Blattläusen zu achten; Tabakrauch kann<br />

als Gegenmittel angewendet werden. 9°-13°C wäre für<br />

diesen Anbau der optimale Temperaturbereich. Bei höheren<br />

Temperaturen bilden sich zu verholzte Keime, die<br />

zu viele Nährstoffe verbrauchen. Nach der Weiterlagerung<br />

im Dunkeln ist es vorteilhaft, das Pflanzgut am<br />

Vortag der Auspflanzung ans Tageslicht zu bringen, weil<br />

dann die Keime nicht so leicht brechen und auch die<br />

Schockwirkung herabgemindert wird.<br />

Die technischen Daten für den Anbau sind vorgegeben<br />

durch die Spurweite der Geräte. 50-75 cm Reihenabstand<br />

und 28-42 cm Abstand in der Reihe sind das Spektrum.<br />

Sonderformen im Früherdäpfel-Anbau sind Verfahren<br />

unter Vliesbedeckung oder mit kleinen Folientunnels für<br />

jede einzelne Zeile. Die Pflanztiefe reicht von 10cm in<br />

leichten bis 5cm in schweren Böden.<br />

Nach Maria Thun ist der beste Zeitpunkt zum Auslegen<br />

für die Ernte als Saaterdäpfel, wenn Sonne und Mond<br />

gemeinsam im Widder stehen. 2<br />

Zwischen Anbau und Aufgang ist eine konsequente<br />

Unkrautbekämpfung die beste Basis für ein gelingendes<br />

weiteres Vorgehen. Hierbei ist zu erwähnen, dass das<br />

Ziehen von Dämmen bereits im Herbst durchgeführt<br />

werden kann, um den Unkrautdruck zu vermindern.<br />

2 Der genaue Saatzeitpunkt wird jährlich im Aussaatkalender von<br />

Maria Thun angeführt.<br />

Seite 70<br />

Annäherung an den Erdapfel<br />

Nach dem Legen wird blind gestriegelt; eventuell mit<br />

einer angehängten Kettenschleppe. Bis zum Schließen<br />

des Bestandes sollte mehrere Male gehackt und gehäufelt<br />

werden, wobei die Bodenbewegung auch die Nährstoffverfügbarkeit<br />

erhöht.<br />

Anwendung der Spritzpräparate<br />

Diese beginnt mit dem Einarbeiten des Fladenpräparates<br />

und dem Ausbringen des Mistkompostes im<br />

Herbst.<br />

Zur Bodenbearbeitung im Frühjahr wird Hornmist großtropfig<br />

ausgebracht; vorteilhaft am späten Nachmittag.<br />

Zeitgleich mit dem Hacken und Häufeln wird feinst<br />

verteilt am frühen Morgen Hornkiesel versprüht. Die<br />

Meinungen gehen auseinander, ob insgesamt vier Kieselspritzungen<br />

vertretbar sind. Verschiedene in der<br />

Zeitschrift „Lebendige Erde“ 3 angeführte Versuche mit<br />

Hornkiesel haben ergeben, dass bei einer späten Anwendung<br />

die Chlorophyllwerte höher waren als bei den<br />

unbehandelten Pflanzen. Für die Pflanze würde das eine<br />

längere Assimilationsdauer und damit ein längeres Knollenwachstum<br />

bedeuten. Gleichzeitig lässt sich vermuten,<br />

dass die Ausreifung der Knollen harmonischer vor sich<br />

gehen kann, als bei einem abrupten Laubverlust durch<br />

die Krautfäule. Ein weiterer Schluss daraus müsste sein,<br />

dass dadurch die Haltbarkeit eine bessere ist.<br />

3 Lebendige Erde, Mr. 4, 2007 „Zum Anwendungszeitpunkt von<br />

Hornkiesel“, Dr. Jürgen Fritz


Krankheiten und Schädlinge<br />

Beginnend mit dem großflächigen und industriellen<br />

Anbau sind weitere Krankheiten bekannt geworden, die<br />

sich auf Pilze, Bakterien oder Viren zurückführen lassen.<br />

Die gefährlichste Krankheit ist die Kraut- und Knollenfäule,<br />

welche durch den Pilz Phytophtora infestans hervorgerufen<br />

wird. Warme und feuchte Witterung ist die<br />

beste Voraussetzung, dass diese Krankheit großflächig<br />

und gleichzeitig auftreten kann. Die Züchtung absolut<br />

resistenter Sorten ist bis heute noch nicht gelungen, da<br />

der Pilz sich äußerst flexibel an neue Gegebenheiten anpassen<br />

kann.<br />

In der Steiermark gibt es einen Phytophtora–Warndienst<br />

mit Evidenzflächen in Hartberg und im Grazerfeld.<br />

Nachdem im <strong>Demeter</strong>bereich Kupfermittel nicht<br />

angewendet werden, leitet das über auf das von Maria<br />

Thun entwickelte Verfahren zur Verhinderung der Krautfäule.<br />

Frau Thun hat ein Verfahren entwickelt, das die Krautfäule<br />

verhindern soll: 4 Dabei wird an einem Blatttag, (sobald<br />

sich das zweite Blattpaar entfaltet hat) am Abend<br />

Brennnesseltee gespritzt. Sodann folgen im Neun-Tage-<br />

Abstand am Morgen von Wurzeltagen Teespritzungen<br />

von Schafgarbe, Kamille, Löwenzahn und Brennnessel in<br />

der angegebenen Reihenfolge.<br />

Von den tierischen Schädlingen sind der Kartoffelkäfer<br />

und der Drahtwurm die bekanntesten. Lebensweise des<br />

Erdäpfelkäfers: Erscheinen der ersten Käfer bei 10-15° C<br />

4 Thun, Maria: „Mein Jahr im Garten“, Kosmos Verlag, Stuttgart, 2004.<br />

Annäherung an den Erdapfel<br />

Bodentemperatur. Eistadium an der Unterseite der Blätter<br />

5-15 Tage. Ein Weibchen kann im Lauf einer Saison bis<br />

zu 800 Eier legen. Larvenstadium: 14-21 Tage<br />

Entwicklung als Käfer im Boden: ca eine Woche<br />

Was insgesamt einer Zeitspanne von fünf bis sechs<br />

Wochen für die Entwicklung einer neuen Käfergeneration<br />

entspricht. Winterschlaf zum Teil ab Ende des Sommers;<br />

in einer Tiefe von 50-70 cm.<br />

Nahrungsquellen: Der Großteil der Solanacaen<br />

(außer den Blättern des Erdapfels die Blätter von Paradeiser,<br />

Stechapfel, Bittersüß auch noch Kohl und Melde).<br />

Zur Abtötung der Larven der Erdäpfelkäfer gibt es Mittel<br />

auf der Basis des Bacillus Thuringiensis oder auf der<br />

Basis des Neembaumes. In der <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft<br />

gibt es auch noch die Möglichkeit der Veraschung.<br />

Zu angegebenen Konstellationen können Käfer<br />

oder Larven gesammelt und in einem Holzfeuer verbrannt<br />

werden. Die Asche wird verrieben und potenziert.<br />

Sie kann als Ursubstanz auf die Erde gestreut werden<br />

oder als Spritzung auf dem Feld ausgebracht werden.<br />

Zunehmenden Schadensdruck verursachen Nematoden.<br />

Die erste Gegenmaßnahme wäre eine Erhebung der<br />

Befallsdichte durch eine Bodenprobe. Walter Sorms regt<br />

an, den Nematoden durch einen vorherigen Anbau von<br />

Ackersenf entgegenzutreten.<br />

Es muss dies jedoch ein nematodenresistenter Senf<br />

sein, der für sein Wirksamwerden mindestens eine Vegetationszeit<br />

von sechs Wochen benötigt. Da im Frühjahr<br />

für diese Maßnahme eine wahrscheinlich nur zu kurze<br />

Zeitspanne zur Verfügung steht, wäre sie im Herbst vorzunehmen.<br />

Die grundsätzlichste Gegenmaßnahme ist<br />

Seite 71


noch immer das Einhalten längerer Anbauintervalle<br />

(sechs Jahre).<br />

Die Stellung in der Fruchtfolge<br />

Die gebräuchlichste und beste Vorfrucht sind Leguminosen<br />

oder Grünbrache.<br />

Die Erdäpfel selbst sind wieder die beste Vorfrucht für<br />

Wintergetreide.<br />

Zwei Verfahren zur Gesundung von Erdäpfelsaatgut<br />

Um den Abbauvorgang des eigenen Saatgutes zu verhindern<br />

oder zumindest zu verlangsamen, gibt es ein paar<br />

Möglichkeiten, die allerdings einen unterschiedlich hohen<br />

Zeitaufwand erfordern.<br />

• Die einfachere Methode wäre der Anbau der<br />

im folgenden Jahr benötigten Samenmenge in<br />

einer ausgewiesenen Erdäpfel-Gunstlage. Eine<br />

solche wird durch folgende Kriterien ausgewiesen:<br />

mineralreicher Unterboden, eine an die Obergrenze<br />

der Anbau-Möglichkeit heranreichende<br />

Seehöhe sowie eine hohe Intensität der Sonneneinstrahlung.<br />

Indem dieser Hof in unserem Fall<br />

ein <strong>Demeter</strong>betrieb sein sollte, der diese Menge<br />

an Erdäpfeln in seine Fruchtfolge einbauen muss,<br />

ist die Auswahl an Partnerbetrieben gering. Die<br />

Intervalle dieser Maßnahme können nur an den<br />

Ergebnissen der Beobachtung des Erntegutes<br />

angesetzt werden.<br />

• Eine andere Möglichkeit, die zwar innerhalb<br />

Seite 72<br />

Annäherung an den Erdapfel<br />

des eigenen Hofes sich vollziehen kann, aber<br />

insgesamt viel mehr Handarbeit erfordert, wäre<br />

der Saatgutanbau im Wald.<br />

Es könnte eine geeignete Schlagfläche sein,<br />

oder eine gerade sich ergebende Rodungsfläche.<br />

Von besonderem Wert wäre die zusätzliche<br />

Möglichkeit, das anfallende Astholz verbrennen<br />

zu können. Diese Art von Brandwirtschaft wird<br />

wahrscheinlich in manchem Zeitgenossen den<br />

Eindruck einer Sünde an der Umwelt erwecken.<br />

Zumindest das marginale Anwenden dieses Verfahrens<br />

möge zur Relativierung des Problems<br />

beitragen. Die großflächige Anwendung der<br />

bäuerlichen Brandwirtschaft war zwar schon<br />

dem Erzherzog Johann ein Dorn im Auge, es hat<br />

aber auch fundiert argumentierende Befürworter<br />

gegeben. Einer davon war DI Fritz Schneiter.<br />

Er war nahezu 70 Jahr lang Landes-Alminspektor<br />

und Tierzucht-Inspektor. 1879 geboren, hatte er<br />

genügend praktischen Einblick, auch in die Auswirkungen.<br />

Die Landwirtschaftlich-chemische<br />

Landesversuchsanstalt hat im Jahre 1933 Bodenproben<br />

von<br />

11 steirischen Brandwirtschafts-Betrieben vor<br />

bzw. nach dem Brennen entnommen.<br />

Die Mittelwerte ergaben folgende Ergebnisse:<br />

vorher nachher<br />

ph-Wert: 4,4 5,1<br />

Kalk in %: 0,262 0,402<br />

Kali in %: 0,142 0,192<br />

Stickstoff in %: 0,411 0,585


Die Zunahme an Nährstoffen wurde erst in zweiter Linie<br />

der verbliebenen Asche zugeschrieben. „Die veredelnde<br />

Brennwirkung im schweren Boden wird als Lockerung<br />

der kolloiden Struktur, Aufschließen von mineralischen<br />

Nährstoffen und Reinigung bezeichnet.“ 5<br />

• Die arbeitsaufwändigste und unwägbarste<br />

Möglichkeit der Erzielung einer Hofsorte ist<br />

das Aussäen der eigenen Samen (nicht der<br />

Knollen!). Dazu müssen die Beeren gesammelt<br />

und wie die Tomatensamen gewonnen<br />

werden. Im Bereich der Biodynamik lässt sich<br />

die Hoffnung geltend machen, dass eine, dem<br />

Hoforganismus entsprechende Spezies sich<br />

entwickelt.<br />

• Um eine wertvolle Sorte zu regenerieren,<br />

kann die oben angeführte Methode, kräftige<br />

Augen heraus zu schneiden, praktiziert werden.<br />

Die Augen mit nur wenig Fruchtfleisch aus zu<br />

pflanzen kann einen eventuellen Befallsdruck<br />

für etliche Jahre verhindern helfen.<br />

Dieser Vortrag wurde von Oskar Grollegger in der Arbeitsgruppe<br />

Kärnten-Steiermark am 1.März 2009 am<br />

Birkenhof gehalten.<br />

5 Schneiter, Fritz: „Agrargeschichte der Brandwirtschaft“,<br />

Historische Landeskommission für Steiermark, 25.Bd. 1970. S 17<br />

Annäherung an den Erdapfel<br />

Seite 73


Zum Wesen des Haustieres<br />

Elisabeth Stöger<br />

Historisches<br />

Der Beginn der Domestikation von Wildtieren markiert<br />

einen tiefen Einschnitt in der Entwicklung der Menschheit.<br />

Er bedeutet den Übergang von der Lebensweise der<br />

Jäger und Sammler zu einer gemeinsamen Lebensform<br />

von Tier und Mensch in all ihren Facetten. Das Tier wird<br />

aus seiner Wildheit hereingeholt in das „Haus“. Es gibt<br />

keine ausreichende naturwissenschaftliche Erklärung für<br />

dieses Geschehen. Dieser Vorgang lässt vermuten, dass<br />

zu einem bestimmten Zeitpunkt der Menschheitsentwicklung<br />

der Wolf dem Menschen in gewisser Weise entgegenkam<br />

– d.h., dass gleichzeitig die Bewusstheit des<br />

Menschen anfing die Instinkthaftigkeit des Tieres sich<br />

zunutze zu machen.<br />

Der Hund<br />

Das erste nachweisbare Haustier ist der Hund. Der<br />

Hund ist ein Rudeltier. In einem Rudel herrscht eine genaue<br />

Hierarchie. Diese Hierarchie ermöglichte es dem<br />

Menschen, den Hund an sich zu binden, indem er in<br />

die Rolle des Rudelführers treten konnte. Auffällig ist die<br />

hohe Formbarkeit des Hundes sowohl der Größe, der<br />

Form, der Farben, als auch der Verwendung nach. Man<br />

betrachte diese Vielfältigkeit vom Pekinesen bis zum<br />

Neufundländer.<br />

Das Schaf und die Ziege<br />

Ab dem 8. Jahrtausend v. Ch. beginnt der Mensch<br />

Wildschafe und Wildziegen zu domestizieren. Wir sind<br />

angehalten, die beiden Vorgänge – Domestikation und<br />

Seite 74<br />

Wesen des Haustieres<br />

Zähmung – deutlich zu unterscheiden. Unter Zähmung<br />

verstehen wir die Abrichtung eines Einzeltiers für unterschiedliche<br />

Zwecke. Von Zähmung sprechen wir, wenn<br />

wir zum Beispiel einen mutterlosen Jungfuchs ins Haus<br />

holen und „dressieren“. Von Domestikation hingegen<br />

kann erst gesprochen werden, wenn viele Vertreter einer<br />

Tierart in die Haustierform hereingeholt werden.<br />

So können wir bei Rind, Schaf und Ziege von Domestikation<br />

sprechen.<br />

Betrachtet man die Ursprungsgebiete der heutigen<br />

Schafe und Ziegen, so wird deutlich, dass die momentane<br />

Haltung die meisten Exemplare in Lebensräume<br />

zwingt, die ihnen nicht förderlich sind. Wenn Ziegen<br />

schon in Niederungen gehalten werden müssen, dann<br />

sollte wenigstens die Lichtkraft eine hohe sein. Am gravierendsten<br />

wirkt sich diese falsche Haltung im häufig<br />

auftretenden Parasitendruck aus.<br />

Vom sozialen Bereich her betrachtet brauchen die meisten<br />

Schafrassen viel mehr das Gefüge einer Herde als<br />

Ziegen. Es ist interessant zu beobachten, welche Tierarten<br />

als Einzeltiere domestiziert werden und welche als<br />

Herde.<br />

Auch das Schwein wurde in dieser Zeit in menschliche<br />

Obhut genommen.<br />

Im folgenden Jahrtausend beginnen Mensch und Rind<br />

sich anzunähern. Konzentriert man den Blick nicht nur<br />

auf die Domestikation von Tieren, so erkennt man, dass<br />

es auch der Zeitpunkt war, an dem bestimmte Gräser<br />

von einzelnen kundigen Menschen in die Richtung von<br />

Nahrungspflanzen verändert wurden.<br />

Alle bis hierher hereingenommenen Tierarten stellen<br />

keine Nahrungskonkurrenz zum Menschen dar, sondern<br />

fressen, was dieser nicht verwerten kann. Dazu kommt,<br />

dass die Tiere selbst zunehmend zur Quelle von Nahrungsmitteln<br />

werden.<br />

Vom Zeitlauf her ging die nächste Domestikation um<br />

4000 v. Ch. mit dem Wildpferd vonstatten.


Wesen des Haustieres<br />

Hund Wolf - Canis lupus mehrfach in verschiedenen Gebieten<br />

in Eurasien und Nordamerika,<br />

13 000 - 7 000 v. Chr.<br />

Katze Wildkatze - Felis silvestris Nordafrika und Vorderasien, in<br />

Ägypten im 2. Jt. v. Chr.<br />

Pferd Wildpferd - Equus ferus mehrfach in verschiedenen Gebieten<br />

Eurasiens, in Europa ab dem frühen<br />

4. Jt. v. Chr.<br />

Schwein Wildschwein - Sus scrofa mehrfach in verschiedenen Gebieten<br />

Asiens,<br />

in Vorderasien im 8. Jt. v. Chr.<br />

Ziege Bezoarziege - Capra aegagrus Vorderasien, etwa 8 000 v. Chr.<br />

Schaf Wildschaf - Ovis ammon Vorderasien, etwa 8 000 v. Chr.<br />

Rind Ur - Bos primigenius Vorderasien, 2. Hälfte 8. Jt. v. Chr.<br />

Taube Felsentaube - Columba livia Vorderasien, 5. Jt. v. Chr.<br />

Huhn Bankivahuhn - Gallus gallus Südostasien, Industal-Kultur, 3. Jt. v.<br />

Chr., ältere Belege aus China<br />

Gans Graugans - Anser anser mehrfach in verschiedenen<br />

Gebieten, in Ägypten in der 2. Hälfte<br />

des 3. Jt. v. Chr., in Europa in der<br />

Spätbronzezeit<br />

Honigbiene Honigbiene - Apis mellifera in verschiedenen Gebieten,<br />

Hausbienenhaltung seit dem<br />

Neolithikum, in Ägypten mindestens<br />

seit 3. Jt. v. Chr.<br />

Seite 75


Überragende Ergebnisse, was die Gewöhnung an den<br />

Menschen, verbunden mit höchsten Zuchtleistungen angeht,<br />

brachte der Umgang mit dem Pferd im arabischen<br />

Raum.<br />

Relativ spät erscheinen archäologische Funde der<br />

Katze. Im ägyptischen Raum, wo diese Funde gemacht<br />

wurden, erlangte sie einen hohen kultischen Status, der<br />

aus heutiger Sicht nur mehr sehr schwer nachvollzogen<br />

werden kann. Von der Lebensweise her ist die Katze kein<br />

Rudeltier. Daher ist auch die Stelle des Leittieres unbesetzt,<br />

was den Umgang mit Katzen mit deutlich mehr<br />

Unwägbarkeiten ausstattet als den Umgang mit einem<br />

Hund.<br />

Dass die einzelnen Domestikationszeiträume wirkliche<br />

Zeit-Fenster waren, lässt sich schon daraus ersehen,<br />

dass solche Vorgänge zu keiner späteren Zeit mehr<br />

aufgetreten sind.<br />

Wenn heute Haustiere verwildern, werden sie, vorausgesetzt<br />

sie überleben, wenigstens nicht in absehbarer<br />

Zeit wieder zu Wildtieren. Als der Dingo, welcher<br />

2500 v. Ch. als Haustier nach Australien kam, mit der<br />

Zeit verwilderte, wurde er doch nicht wieder zum Wolf.<br />

Veränderungen, welche beobachtet werden können, wenn<br />

Wildtiere in die Haustierform übergeführt werden:<br />

Das vordergründig Auffälligste sind die enormen Steigerungen<br />

in der Fleisch-, Milch- und Legeleistung. Auch<br />

die Anzahl der Jungen pro Geburt ist stark angestiegen.<br />

Seite 76<br />

Wesen des Haustieres<br />

So hat eine Wildschweinmutter pro Wurf vier bis sechs<br />

Frischlinge, während eine Hausschweinmutter pro Wurf<br />

etwa 12 bis 15 Ferkel bringt. Ein Wildhuhn hat pro Jahr<br />

20 bis 30 Eier potenziell angelegt, eine Legehenne bis<br />

zu 300. Dagegen degenerieren die Sinnesorgane; das<br />

Vorderhirn nimmt im Volumen bis zu 70% ab.<br />

Was sich offensichtlich den beschriebenen Steigerungen<br />

entgegenstellt, ist die Kleinheit des dargestellten<br />

keltischen Rindes im Vergleich mit dem Urrind.


Die Dreigliederung bei Mensch und Tier<br />

1<br />

2<br />

3<br />

1 2 3<br />

1. Nerven- Sinnes-System (Kopfpol)<br />

2. Ryhtmisches System (Herz, Lunge)<br />

3. Stoffwechselgliedmaßensystem<br />

(Stofwechsel und Reproduktion)<br />

Die Zuordnung ergibt sich aus der Betonung des jeweiligen<br />

Systems.<br />

Charakteristische Vertreter für die Region des Nerven-<br />

Sinnespols sind beispielsweise die Maus und der Adler,<br />

während für die Stoffwechselregion das Rind als Hauptrepräsentant<br />

bekannt ist. Das Rhythmische System wird<br />

vertreten durch Löwenartige.<br />

Da dieser Vortrag hauptsächlich für Biodynamikerinnen<br />

und Biodynamiker gehalten wird, konzentrieren<br />

wir uns in weiteren Fragen der Dreigliederung auf das<br />

Rind.<br />

Wir können beim Rind eine Art zeitliche Dreigliederung<br />

bemerken: es frisst acht Stunden, es käut acht Stunden<br />

wieder und es ruht acht Stunden. Interessant ist die<br />

Wesen des Haustieres<br />

Tatsache, dass die reine Schlafzeit nicht mehr als eine<br />

Stunde beträgt.<br />

Das Besondere im Verdauungsgeschehen des Rindes:<br />

Das Rind ist in der Lage Zellulose zu verdauen. Es geschieht<br />

dies in den drei Vormägen durch unterschiedliche<br />

Mikroorganismen. Wegen des Volumens des zu<br />

Verdauenden nehmen diese drei Mägen auch den halben<br />

Brustraum ein. Im vierten Magen ist die Verdauung<br />

ähnlich der menschlichen. Das Wiederkäuen dient nicht<br />

nur der Zerkleinerung des Futters, sondern auch der Vorbeugung<br />

der Übersäuerung. Erkennbar ist die Übersäuerung<br />

am Abweichen vom Optimum an Wiederkäuschlägen,<br />

welches zwischen 50 und 100 Schlägen liegt. Der<br />

Blättermagen ist kein Hohlraum, sondern ist ausgefüllt<br />

mit Blättern, welche das Heraussaugen des Wassers<br />

aus dem Nahrungsbrei bewerkstelligen. Der Pansen ist<br />

durch viele Einbuchtungen so ausgestattet, dass der Innenraum<br />

vergrößert wird. Sehen wir hin auf die Entwicklung<br />

der Mägen beim Einzeltier, so muss gesagt werden,<br />

dass beim Kalb nur durch die Aufnahme von Rohfaser<br />

die richtige Entwicklung des ersten Vormagens gewährleistet<br />

wird.<br />

Wovon lebt die Kuh?<br />

Die Zellulose kann es nicht sein; diese wird von Mikroorganismen<br />

verdaut, welche die Fähigkeit haben,<br />

sich sehr rasch zu vermehren und dadurch das eigentliche<br />

Futter für die Kuh abzugeben. Es ist nahezu handgreiflich<br />

zu spüren, welch sensible Höchstleistung hier<br />

stattfindet. Diese Höchstleistung findet schon unter<br />

„normalen“ Fütterungs- und Leistungsbedingungen<br />

statt. Nachdem aber die genetischen Grenzen – was<br />

die Leistung betrifft – enorm nach oben verschoben<br />

worden sind, eine wiederkäuergerechte Fütterung aber<br />

an Volumensgrenzen stößt, ist eine Art von Dauerstress<br />

Seite 77


das Ergebnis. Der optische Eindruck so einer Kuh lässt<br />

diese Diagnose schwer aufkommen; jedoch sprechen die<br />

Fakten Unfruchtbarkeit, Durchfall und Aggression eine<br />

deutliche Sprache.<br />

Die richtige Zuordnung der Fütterung:<br />

Pferd Rind Schwein<br />

Blüte/Sonne Blatt/Halbschatten Wurzel/Schatten<br />

Tiere mit betontem Nerven-Sinnessystem brauchen<br />

für ihre Nahrung energiereiches Futter (Körner für Vogelartige),<br />

Tiere mit Stoffwechselbetonung brauchen Rohfaser<br />

und solche mit einer Betonung des Rhythmischen Systems<br />

verlangen nach eiweißreicher Fütterung (Fleisch).<br />

Die Mineralstoffgabe aus der Sicht der Referentin:<br />

Im Akutfall müssen Mineralstoffgaben verabreicht werden,<br />

langfristig muss jedoch auf eine Änderung der<br />

Grundsituation hingearbeitet werden. Allerdings ist sogar<br />

dafür die Ausgangslage schwierig, da die einseitigen<br />

Züchtungstendenzen und deren Ergebnisse nur minimale<br />

Verbesserungsschritte zulassen. Am Beispiel der<br />

Putenzucht soll dieser Umstand sichtbar gemacht werden:<br />

Die Puten sind so auf Gewichtszunahme gezüchtet<br />

worden, dass eine putengerechte Fütterung diesem Potential<br />

der Gewichtszunahme einfach nicht mehr gerecht<br />

werden könnte.<br />

Umgelegt auf die Rinderhaltung im <strong>biodynamische</strong>n<br />

Landbau bedeutet dies, dass wir mit dem Laubheu der<br />

Mineralstoffversorgung nur dann genügen können, wenn<br />

die Tiere nicht einseitig überzüchtet sind.<br />

Eine zunehmende Polarisierung erfolgt im Zuge der Tierhaltung<br />

in die Bereiche Nutztiere und Hobbytiere.<br />

Nutztiere leiden unspezifisch unter einer Art von<br />

Seite 78<br />

Wesen des Haustieres<br />

Versachlichung, verbunden mit einer Abnahme an Zuwendung.<br />

Hobbytiere leiden an einer Art von Vereinnahmung, ausgelöst<br />

durch eine egoistisch ausgerichtete Zuwendung.<br />

Die Krankheitsbilder weisen im Großen ebenfalls in zwei<br />

Richtungen:<br />

Die Nutztiere leiden gewissermaßen symptomloser, zu<br />

bemerken ist auf jeden Fall eine Form auflösende Tendenz.<br />

Man denke an das Weichwerden der Klauen oder<br />

die symptomlose Sterilität.<br />

Hobbytiere nähern sich in ihren Krankheitsbildern dem<br />

Menschen an: Diabetes, Tumore, Übergewicht…<br />

Ausblick<br />

Wie nun ersichtlich ist, sind bereits in beiden Tierhaltungsformen<br />

Grenzen überschritten, ist die Tierhaltung<br />

in Bereiche gekommen, wo Sympathie-Mittel keine Hilfe<br />

mehr sein können. Verzicht ist zwar ein bedrohlicher Begriff<br />

geworden, aber ungeachtet dessen wird kein Weg<br />

ihn umgehen können.<br />

Aus der Sicht des <strong>biodynamische</strong>n Landbaues ist im<br />

Nutztierbereich das Verzichten auf gewisse genetisch<br />

ermöglichte Höchstleistungen der einzig gangbare Weg.<br />

Es kann nicht sein, dass der Begriff „ökonomisch“ so untrennbar<br />

mit „Leistungssteigerung“ verknüpft ist.<br />

Im Fall der Hobbytiere ist zwar das Drama der Preissituation<br />

kein Thema; sehr wohl ist aber der Begriff des<br />

Verzichtens die Klippe, die nicht zu umschiffen sein wird.<br />

Der vorhin thematisierte Egoismus ist zwar diffiziler als<br />

in der Nutztierhaltung, bietet aber genügend Auftreff-<br />

Fläche um Verzicht zu üben.


Literatur:<br />

Benecke, Norbert: „Der Mensch und seine Haustiere –<br />

Die Geschichte jahrtausendealten Beziehung“, Konrad<br />

Theiss Verlag, Stuttgart, 1994<br />

Spranger, Jörg (Hrsg.): „Lehrbuch der anthroposophischen<br />

Tiermedizin“; Sonntagverlag, Stuttgart, 2007<br />

Schad Wolfgang: „Säugetiere und Mensch“, Verlag<br />

Freies Geistesleben, Stuttgart, 1971<br />

Nickel, Richard; Schummer, August; Seiferle, Eugen:<br />

„Lehrbuch der Anatomie der Haustiere“, Bd.1, Bewegungsapparat,<br />

Parey-Verlag<br />

Frau Dr. Stöger hielt diesen Vortrag am 14. Februar am<br />

Wurzerhof und am 15. Februar in Maribor.<br />

Elisabeth Stöger arbeitet als Tierärztin in Kärnten.<br />

Wesen des Haustieres<br />

Seite 79


Biodynamische Betrachtungen über das<br />

Tier(ische) in der Landwirtschaft und in uns<br />

Überlegungen zur Haustierhaltung hinsichtlich der<br />

Auswirkung auf den lanwirtschaftlichen Organismus<br />

Wilhelm Erian<br />

Persönliches zur Einführung:<br />

1973 fragte ihn der Vater: „Wirst du den Stall übernehmen,<br />

wenn du die Schule abgeschlossen hast? Ich kann<br />

den Melker nicht mehr bezahlen.“ Er verneinte, der Vater<br />

verkaufte seine Fleckviehherde.<br />

Sein Großvater meinte damals: „Für die Zucht einer<br />

Fleckviehherde braucht man ein ganzes Leben!“<br />

Wilhelm Erian hat schließlich 1979 doch den elterlichen<br />

Hof in Pacht übernommen.<br />

Er verkaufte sein Auto, kaufte zwei Kühe und begann,<br />

gegen den Willen seines Vaters, biologisch zu wirtschaften.<br />

Bald hatte er sieben Kühe, jedoch keine wurde trächtig.<br />

Sein Vater, der im Zweitberuf Tierarzt war, und W. Erian<br />

hatten nichts unversucht gelassen. So wurde als letzte<br />

Option Dr. Selinger, ein nach der Methode der Homöopathie<br />

arbeitender Tierarzt, konsultiert.<br />

Sein Rat war: „Füttern Sie keine Mineralstoffmischung,<br />

kein junges Gras, junges Heu, Silage, etc. Stattdessen<br />

lassen sie die Tiere nur noch auf überständige Weiden<br />

gehen, füttern sie nur noch Stroh, altes Heu, Kleie, Laubheu.“<br />

Nach kurzer Zeit wurden fünf von sieben Kühen trächtig.<br />

Daraufhin wurde in Zusammenarbeit mit dem homöopathischen<br />

Tierarzt die Bewirtschaftung des<br />

Hofes analysiert.<br />

• Gibt es Hecken auf den Feldrainen?<br />

• Welche Fruchtfolgen werden gemacht?<br />

• Wie oft werden die Wiesen gemäht?<br />

Seite 80<br />

Biodynamische Betrachtungen<br />

• Welche Tiergemeinschaften gibt es am Hof?<br />

• Wird der Wald miteinbezogen in die<br />

Tierfütterung?<br />

• Werden den Kühen Rüben gefüttert?<br />

• Wie erfolgt der Weidegang der Tiere?<br />

All das und noch viele weitere Fragen führten zu einer<br />

kompletten Umstellung des Betriebes.<br />

Wieder einige Jahre später wurde das Thema Zucht in<br />

Angriff genommen. Es gibt dabei zwei Herangehensweisen:<br />

o Zucht aus materialistischer Sicht, orientiert<br />

ausschließlich an Leistungskriterien.<br />

o Zucht, um das Wesen des Tieres zu verstehen,<br />

das Wesen weiterzuentwickeln, es auf eine<br />

höhere Stufe zu bringen.<br />

Die Umgestaltung des Betriebes entwickelte sich zu<br />

einem Schulungsprozess für den Menschen selbst. Es<br />

handelt sich nicht um eine Landbaumethode, sondern<br />

um eine Lebenseinstellung.<br />

Warum halten wir am Hof Tiere?<br />

Wirtschaftliche Aspekte<br />

Hohe Wertschöpfung<br />

Innere Betriebsaufstockung, das heißt man kann mehr<br />

Tiere halten, das Einkommen steigern ohne die Fläche<br />

zu vermehren.<br />

Industrielles Denken, d.h. Spezialisierung und Rationalisierung,<br />

arbeitsteiliges Wirtschaften (nur Viehhaltung,<br />

nur Ackerbau).


Organische Aspekte<br />

Definition „Organismus“ in der Biologie: Ein Organismus<br />

ist das einzelne Lebewesen als die Gesamtheit<br />

der funktionell verbundenen und sich gegenseitig beeinflussenden<br />

Organe.1<br />

Er ist ein belebter Naturkörper, dessen<br />

Glieder zweckhaft aufeinander abgestimmt<br />

sind und die einander bedingen. Er ist immer<br />

mehr als die Summe seiner einzelnen Organe.<br />

Nun, was hat das mit der Landwirtschaft zu tun?<br />

Für Rudolf Steiner gleicht kein anderer Bereich des Lebens<br />

sosehr der menschlichen Individualität wie ein<br />

(freilich ideal gestalteter) Bauernhof.2<br />

Vom <strong>landwirtschaft</strong>lichen Organismus zur <strong>landwirtschaft</strong>lichen<br />

Individualität<br />

Organismen in der oben definierten Ausprägung<br />

waren vorhanden, bevor der Mensch in die Natur<br />

eingegriffen hat. Der Mensch hat seine eigenen Vorstellungen<br />

entwickelt, Kultur geschaffen, und in die<br />

Natur hinein getragen. Das ist so lang gut gegangen,<br />

solange er bereit war, sich an bestimmte Grenzen zu<br />

halten. (Literaturempfehlung „Erysichton-Mythos der<br />

Griechen)3<br />

Lange vor der ökonomischen Wissenschaft haben<br />

1 Lexikon<br />

2 Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum<br />

Gedeihen der Landwirtschaft“, Rudolf Steiner Verlag, 4. Auflage,<br />

Dornach, 2005<br />

3 Publius Ovidius Naso: „Metamorphoses“, Buch 8,<br />

Vers 738-878, 8 n.Chr.<br />

Biodynamische Betrachtungen<br />

diese Mythen die Beziehungen zwischen Wirtschaft und<br />

Ökologie mit erstaunlichem Durchblick behandelt.<br />

Das einzig wirklich Freie am Menschen ist sein Geist.<br />

Alle Handlungen aus diesem Geist heraus haben Auswirkungen<br />

auf das Umfeld.<br />

Geht man in die Natur, so erscheint sie uns als Freiraum-<br />

„die freie Natur“.<br />

Die Natur hat aber ihre Gesetzmäßigkeiten. Naturgesetze<br />

stellen eine ungemein strenge Ordnung dar. Der<br />

allergrößte Teil dessen, was sich nicht an die Naturgesetze<br />

hält, fällt aus dem Leben heraus, d.h. es stirbt<br />

gleich oder bleibt unfruchtbar.<br />

Immer dann, wenn der Mensch ein System fand, in<br />

dem die Naturreiche neben den menschlichen Bedürfnissen<br />

auch ihr Recht bekamen, entstanden Hochkulturen.<br />

Wir stehen heute an einem Punkt, wo wir uns nicht mehr<br />

zurückziehen und alles der Natur überlassen können,<br />

denn mit dem Auszug aus dem „Paradies“<br />

(= Selbstabnabelung vom Instinkt) hat der Mensch<br />

eigene Erkenntnismöglichkeiten entwickelt und damit<br />

Mitverantwortung für die Schöpfung übernommen.<br />

Wenn es der Mensch also versteht aus diesen einzelnen<br />

Gliedern, den Organen eines <strong>landwirtschaft</strong>lichen<br />

Betriebes, einen Organismus zu bilden, fließt natürlich<br />

seine eigene Weltanschauung, seine ganze Persönlichkeit<br />

mit ein in diesen belebten Naturkörper. Sofern es gut<br />

gelingt, wird der Bauernhof zu der von Rudolf Steiner oft<br />

erwähnten <strong>landwirtschaft</strong>lichen Individualität.<br />

Am Hof unterscheiden wir folgende Organe<br />

•Boden (Auch er ist für sich ein Lebewesen.<br />

Jedes Lebendige hat sein eigenes<br />

Eiweißmuster. Es konnte nachgewiesen<br />

Seite 81


Seite 82<br />

werden, dass es im Boden ein eigenständiges<br />

Eiweißmuster gibt, das zu keinem pflanzlichen<br />

oder tierischen Organismus gehört. Es wird von<br />

der Erde selbst gebildet. Es existiert also ein Bodenleben<br />

unabhängig von den Bodenorganismen.)<br />

•Pflanze<br />

•Tier<br />

•Mensch<br />

Alle vier Organe müssen immer in ihrer Gesamtheit<br />

betrachtet werden. Wenn sich ein Teil ändert, hat das<br />

Auswirkungen auf alle anderen.<br />

Es gibt im <strong>landwirtschaft</strong>lichen Zusammenhang<br />

Grundweisheiten, die dieses Zusammenwirken der Organe<br />

aufzeigen:<br />

Die Wiese ist die Mutter des Ackers<br />

Das, was der Bauer am Acker macht, ist genau das Gegenteil<br />

von dem, was die Natur will.<br />

Ackerbau ist eine einseitige Bepflanzung. Der Bauer will,<br />

dass nur eine Kulturpflanze in einem Jahr auf einem Feld<br />

wächst.<br />

„Der Bauer will Einfalt, die Natur will Vielfalt.“4<br />

Die Wiese, gemeint ist dabei das richtig bewirtschaftete<br />

Dauergrünland, ist ein Beispiel für natürliche Vielfalt mit<br />

stabilem Ökosystem.<br />

Mit dem Anbau von Kulturpflanzen macht der Mensch<br />

aber genau das Gegenteil dessen, was die Natur will. Diese<br />

will nämlich möglichst große Vielfalt an verschiedenen<br />

Pflanzen und Tieren.<br />

4 Originalzitat Erian<br />

Biodynamische Betrachtungen<br />

In einem Urwald wächst hoch Aufschießendes neben<br />

Kriechendem, üppig Grünendes neben zart Sprossendem,<br />

Mehrjähriges neben Kurzlebendem, Tiefwurzler<br />

neben Flachwurzler.<br />

Es gibt einen steten Auf- und Abbau von organischer<br />

Substanz; ein perfektes Kreislaufsystem. Ein aktives Bodenleben<br />

sorgt für „ewiges“ Leben.<br />

Dieses perfekte System der Viefalt finden wir in analoger<br />

Form auf unseren Höfen in richtig bewirtschafteten Dauerwiesen.<br />

Es ist völlig falsch Grünlandflächen alle paar Jahre umzubrechen<br />

und ein Wechselwiesensystem einzuführen.<br />

Nur in „alten“ Wiesen steckt die Kraft der Dauerwiese.<br />

Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hat der<br />

Botaniker Voisin immer wieder auf die segensreiche<br />

Wirkung der Dauerwiese hingewiesen.5 Sie ist auch das<br />

einzig heute bekannte „Heilmittel“, um die weltweit auftretende<br />

Unfruchtbarkeit bei Rindern zu beheben. Denn<br />

es ist doch die Kuh, die durch die modernen Landbau-,<br />

Zucht- und Haltungsmethoden zur Repräsentantin für<br />

die so genannte „symptomlose Sterilität“ wurde.<br />

Gibt man den Tieren Gras von der Wiese und bringt<br />

dann den Dünger auf dem Acker aus, gleicht man den<br />

Eingriff ins Ackerland aus, was eine wichtige zusätzliche<br />

Möglichkeit zum Fruchtfolgewechsel ist.<br />

Die Fruchtfolge ist nichts anderes als ein zeitliches<br />

Aufeinander von verschiedenen Pflanzen, statt des von<br />

der Natur angestrebten räumlichen Nebeneinanders von<br />

verschiedenen Gewächsen. Das Zulassen eines gewissen<br />

Unkrautbesatzes ist ein Schritt zur Förderung der<br />

Selbstheilungskräfte des Organismus Boden. Denn bei<br />

genauem Hinschauen finden jene Pflanzen die besten<br />

5 Voisin, Andrè: „Die Produktivität der Weide,“ BVL, 1958


Keim- und Wachstumsbedingungen auf einem<br />

bestimmten Standort, die der Boden dort am dringendsten<br />

braucht.<br />

Unkräuter scheinen etwas ins Gleichgewicht bringen<br />

zu wollen, das unharmonisch ist, wie etwa verstärktes<br />

Auftreten von Disteln das Vorhandensein eines Pflugsohlenverdichtungshorizontes<br />

anzeigen kann, Ampfer<br />

stauende Nässe im Untergrund, die Brennnessel kommt,<br />

wenn organische Substanz aufzuarbeiten ist und so fort.<br />

Wie jeder weiß, sinkt bei erhöhtem Unkrautbesatz der<br />

Ertrag. Damit ist man beim Kern des Problems angelangt<br />

und bei einem Grundprinzip des Lebens:<br />

„Langfristige Gesundheit und Fruchtbarkeit gibt es nur<br />

bei einem gewissen Verzicht auf materiellen Ertrag.“6<br />

Rudolf Steiner spricht davon, dass Pflanzen die Erde<br />

beleben, Tiere sie beseelen. 7<br />

Das Gras auf der Wiese wächst auf und kommt in die<br />

Blüte. Von der Form her gibt es Analogien bei den Staubgefäßen<br />

der Blüten zu den Geschlechtsorganen des<br />

weiblichen Rindes. Es besteht im übertragenen Sinne ein<br />

direkter Zusammenhang, der in der folgenden Redensart<br />

zum Ausdruck kommt: „So wie die Blume auf der Wiese<br />

blüht, so blüht die Kuh den Stier entgegen.“<br />

Die Blüten sind für die Stärkung der Reproduktionskraft<br />

der Kuh zuständig.<br />

Düngen heißt nicht die Pflanze ernähren, sondern den<br />

Boden beleben!<br />

Ein Boden ohne belebende Organismen, sowohl<br />

pflanzlicher als auch tierischer Natur, ist nicht vorstellbar.<br />

6 Originalzitat Erian<br />

7 Vgl. Steiner s.o.<br />

Biodynamische Betrachtungen<br />

Der Boden als solches ist wiederum ein in sich geschlossener<br />

Organismus, dessen einzelne Glieder sich gegenseitig<br />

bedingen und zweckhaft aufeinander abgestimmt<br />

sind.<br />

Was ist das Belebende beim Mist, was wirkt belebend<br />

für den Boden?<br />

Dr. Selinger sagte: „Der Regenwurm ist nichts anderes<br />

als eine frei gewordene Wurzel.“<br />

Betrachtet man den Schnitt durch die Spitze einer<br />

Wurzel und durch die des Regenwurmes, lassen sich<br />

ganz große Analogien feststellen. Beide haben eine<br />

Schleimschicht, die es erst ermöglicht, den Boden zu<br />

durchdringen.<br />

Es erfolgt also eine unglaublich große Schleimausscheidung<br />

der Wurzeln in den Boden hinein.<br />

Eine einzige Maispflanze scheidet in einer Vegetationsperiode<br />

bis zu 1,5 t Schleimstoffe in den Boden hinein<br />

ab.<br />

Leben entsteht immer im Bereich von Schleimhäuten:<br />

im Ei ebenso wie in der Gebärmutter. So ist speziell dieser<br />

schleimige Bereich um die ganz feinen Wurzeln herum<br />

der ideale Lebensraum für die Bodenlebewesen.<br />

Ein besonders wertvoller Dünger ist der Taubenmist.<br />

Die äußerlich weiße Schicht des Exkrementes ist Schleimhaut.<br />

Bei Hühnern erneuert sich die Darmschleimhaut<br />

alle zwei Tage.<br />

Diese durch den Mist ausgebrachte Schleimhaut hat die<br />

bodenbelebende Wirkung.<br />

Seite 83


Deshalb ist es auch das Ziel bei der Fütterung vom<br />

Rind, dass der ausgeschiedene Mist von richtiger Qualität<br />

ist. Richtig in der Konsistenz und glänzend von der<br />

Schleimhaut.<br />

Wie wird das erreicht?<br />

R. Steiner: „Man sollte sich bei der Fütterung an der<br />

ganzen Pflanze orientieren.“8<br />

Wurzel – Stängel – Blatt – Blüte – Frucht<br />

All das muss in der Fütterung enthalten sein, nur so ist<br />

die Fütterung richtig.<br />

Wurzel: Die weißfleischige Wasserrübe für den erwachsenen<br />

Wiederkäuer, die Karotte für Jungtiere. Jeweils nur<br />

in maßvollen Mengen (3–5 kg/Tier u. Tag an Rüben,<br />

1kg/Tier u. Tag an Karotten) W.Erian: „Die Futterrübe<br />

und Karotten erscheinen mir als Bauer in der Rinderfütterung,<br />

aber auch bei Schwein, Schaf, Pferd, Ziege und<br />

Huhn als unverzichtbar.“<br />

Stängel: Dieser ist nur dann als wiederkäuergerecht<br />

anzusehen, wenn er eine gewisse Reife erreicht. Ob der<br />

geforderte Reifegrad erreicht ist, lässt sich zuallererst<br />

8 Steiner, s.o.<br />

Seite 84<br />

Biodynamische Betrachtungen<br />

am Mistfladen ablesen, bei Hartkäseerzeugung nach<br />

mindestens sechsmonatiger Reifung am Käsegeschmack<br />

erkennen.<br />

Blatt u. Blüte: Ausgereiftes Gras. Bei Untersuchung<br />

einer wildlebenden Wisentherde in Mitteleuropa hat<br />

sich gezeigt, dass August und September die natürliche<br />

Hauptkonzeptionszeit ist.<br />

Will der Bauer, dass seine Kühe in der Zeit des Tierkreiszeichens<br />

Stier, also im Mai, brünstig werden, so muss er<br />

seine Fütterung so gestalten, dass er ihnen jene Blütenkräfte,<br />

die verstärkt brunstauslösend wirken, im Frühjahr<br />

zuführt. Ein alter Bauernspruch sagt. „Grumet nicht vor<br />

Lichtmess“, was heißt, dass feines blütenreiches Futter<br />

erst nach dem 2. Februar verfüttert werden soll.<br />

Frucht: Getreide, aber nur als Gewürz, als Lockmittel.<br />

Hier wird das Schmachtkorn, Bruchkorn, Kümmerkorn<br />

verwendet, eben nur jenes, das für den Menschen nicht<br />

geeignet ist.<br />

Jeder Betrieb braucht daher auch eine bestimmte Fläche<br />

zum Getreideanbau. Die Ernte wird durchgeputzt, zwei<br />

Drittel davon sollten für den Menschen bleiben, ein<br />

Drittel für die Tierfütterung.<br />

Diese Menge muss reichen für die Kühe, für die<br />

Schweine und für die Hühner.<br />

Danach richtet sich auch die Menge der Schweine und<br />

die Anzahl der Hühner, die auf einem Hof gehalten werden<br />

können. Denn für diese Tiere ist Getreide die Futterbasis,<br />

nicht für die Rinder.<br />

Schwein und Huhn sind in jener Anzahl am Hof sinnvoll,<br />

als für sie zu verwertende Nahrungsmittel, die für<br />

die menschliche Ernährung nicht geeignet sind, anfallen:<br />

Das „Saugrasl“, die „Saukartoffel“ (sehr kleine,<br />

verletzte, grünlich verfärbte), die Molke, die Heublumen,<br />

Küchenabfälle.


Beherzigen wir diese grundlegenden Dinge nicht, dann<br />

gilt auch weiterhin:<br />

„Das Vieh der Reichen frisst das Brot der Armen.“<br />

Die heute üblichen Feldfutter, aber auch Grünlandmischungen<br />

mit rasch wachsenden, massenbildenden Gräsern,<br />

bergen oft die Gefahr in sich – vor allem in Verbindung<br />

mit „triebiger“ Düngung – dass durch den dichten,<br />

raschen Bewuchs Blätter im unteren Teil der Pflanze gelb<br />

und faulig werden. Um dem vorzubeugen, mäht der Bauer<br />

früher - unreifes Futter bewirkt rascheres Wachstum<br />

der Jungtiere, reichlichere Milchbildung und transferiert<br />

so die Unreife vom Feld in den Stall. Stoffwechselprobleme<br />

beim Tier sind die Folge.<br />

Ist die Verdauung des Rindes gestört, hat das Tier Durchfall,<br />

beginnt ein Teufelskreislauf.<br />

Der schlechte Mist kommt aufs Feld, das Bodenleben<br />

wird schlecht gefördert. Der Boden bringt minderwertigere<br />

Pflanzen hervor, was wieder als schlechtes Futter<br />

für die Tiere dient, usw..<br />

Die Möglichkeiten einzugreifen bestehen nur über die<br />

Fütterung, indem das Gras erst gemäht wird, wenn es<br />

voll ausgereift ist, d. h. die Wiese schon in leicht bräunlichem<br />

Schleier erscheint.<br />

Ideal sind unterschiedliche Mähzeiten, denn einmal<br />

im Jahr soll jedes Wiesestück voll ausreifen können.<br />

Ist aus den oben genannten Gründen nur junges Futter<br />

anzubieten, so kann mit der Zufütterung von Stroh ein<br />

Ausgleich erreicht werden. Natürlich ist die Milchleistung<br />

bei dieser Fütterung nicht optimiert, aber langfristig gesehen<br />

wird nur so das Leben am Hof aufrecht erhalten,<br />

bleibt das System im Gleichgewicht.<br />

Für die <strong>landwirtschaft</strong>liche Individualität vollzieht sich<br />

die beste kosmische Analyse (also das Entstehen der be-<br />

Biodynamische Betrachtungen<br />

sten Lebensmittelqualität) von selber im Zusammenleben<br />

eines mit Pflanzen bewachsenen Gebietes mit dem,<br />

was an Tieren in diesem Gebiet lebt. Das bedeutet, dass<br />

die Tiere das richtige Maß dessen fressen, was die Erde<br />

hergeben kann an Pflanzen. Denn das Tier liefert aus<br />

seiner Organisation heraus, auf der Grundlage eines solchen<br />

Futters, den besonders geeigneten Mist für diesen<br />

Boden, wo die Pflanzen wachsen.<br />

Das führt hin zu einem anderen Grundsatz der <strong>biodynamische</strong>n<br />

Wirtschaftsweise:<br />

Die Systemgeschlossenheit<br />

„Alles, was von außen in einen <strong>landwirtschaft</strong>lichen<br />

Betrieb eingebracht wird an Hilfsstoffen, Futter- oder<br />

Düngemitteln ist anzusehen als ein Heilmittel für eine<br />

bereits erkrankte Landwirtschaft.“9<br />

Auch Wildtiere müssen miteinbezogen werden: Kriechtiere,<br />

Raubtiere, Amphibien, Vogel- und Insektenwelt.<br />

Nachdem die letztgenannten in der biologischen<br />

Schädlingsbekämpfung eine zentrale Stellung einnehmen,<br />

brauchen sie, sollen sie im Gesamtsystem wirksam<br />

werden, einen Lebensraum. Hier soll noch einmal auf die<br />

Bedeutung von Hecken und Wald, Gewässer- und Biotopflächen<br />

hingewiesen werden.<br />

Wie stellt man die Stickstoffversorgung im Boden sicher?<br />

Als Problemlöser bietet sich die Kleebrache innerhalb<br />

der Fruchtfolge an. Die beste Verwertung erfolgt über<br />

den Wiederkäuer (im mitteleuropäischen Raum in erster<br />

Linie das Rind), ist er doch in der Lage, aus Zellulose<br />

menschlich verwertbares Eiweiß zu erzeugen.<br />

9 Steiner, s.o.<br />

Seite 85


Was stärkt den Verdauungsapparat des Rindes?<br />

• Ausgereiftes Futter<br />

• Laubheu<br />

- gewonnen aus den Hecken der Feldraine. Jede<br />

Wiese und Ackerlandschaft braucht zur Nützlingsförderung<br />

und Laubheugewinnung Hecken.<br />

„Jede Weide eine Hecke.“ Bei der Pflege fällt das<br />

sogenannte Laubheu an, das für den Wiederkäuer<br />

einen unverzichtbaren Teil der Wochenration<br />

darstellt. Zusammen mit im Winter angebotenem<br />

Nadelbaumreisig stellt das Laubheu die Mineralstoffversorgung<br />

der Tiere sicher.10<br />

Martin Buber soll gesagt haben: „Wir müssen dem<br />

Nutzen des scheinbar Nutzlosen wieder mehr Raum<br />

geben.“11<br />

• Salzverabreichung<br />

Dr. Selinger erinnerte die Bauern immer wieder<br />

daran, dass jedes Organ, das nicht sinnvoll tätig<br />

sein kann, degeneriert.<br />

Wird das lebensnotwendige Salz, so wie heute<br />

üblich, dem Futter beigemengt, wird es an den<br />

Speicheldrüsen sozusagen vorbeigeschluckt, erzeugt<br />

es im Magen eine Übersäuerung. In der<br />

Folge werden die säureproduzierenden Drüsen<br />

träge, der gesamte Verdauungstrakt verliert<br />

an Verdauungskraft. Zufütterung von Mineralstoffen<br />

wird notwendig. Durch eine schlechtere<br />

Verdauung sinkt die Mistqualität, ein minderwertiger<br />

Mist erzeugt kein wertvolles Futter, und<br />

Futter minderer Qualität erfordert den Einsatz<br />

von Futterergänzungsmitteln, wie Mineralstoffe<br />

und Vitamine in konzentrierter Form.<br />

10 Machatschek, Michael: „Laubgeschichten: Gebrauchswissen<br />

einer alten Baumwirtschaft, Speise- und Futterlaubkultur“, Böhlau<br />

Verlag, Wien, 2002.<br />

11Buber, Martin<br />

Seite 86<br />

Biodynamische Betrachtungen<br />

Richtig ist Salzverabreichung nur in Form von<br />

Natursteinsalzblöcken, denn bei der schleckenden<br />

Salzaufnahme wird das Salz im Maul<br />

abgepuffert und kommt neutral im Magen an.<br />

Mineralstoffmischungen sollten auf keinen Fall<br />

zugefüttert werden. Wenn das Rind immer wieder<br />

Mineralstoffe erhält, wird der Verdauungstrakt<br />

geschwächt.<br />

Was schwächt aus der Sicht des <strong>biodynamische</strong>n<br />

Landbaues die Verdauungsorgane des Rindes?<br />

• Unreifes Futter<br />

• Mineralstoffmischungen<br />

Sie haben denselben Effekt wie der Handelsdünger<br />

für den Acker. Man erspart dem Verdauungstrakt<br />

die Extraktion der Stoffe aus dem Futter,<br />

und gibt diese in einer leicht löslichen Form.<br />

Langfristige Folge ist die Rückbildung der Verdauungskraft.<br />

Das Organ wird geschwächt.<br />

• Silage<br />

Silagefutter soll, wenn überhaupt, nur zeitlich<br />

und mengenmäßig begrenzt eingesetzt<br />

werden, ein verträgliches Maß erscheint 1/3<br />

der Gesamttagesration gerechnet nach der<br />

Trockensubstanz und max. 1/3 des Jahres.<br />

Der Pansen ist eine hochpräzise Gärkammer.<br />

Das Rind bekommt mit der Silage ständig etwas<br />

Vorverdautes. Der Verdauungsapparat verliert<br />

an Kraft.<br />

Die angesprochenen Verdauungskraftschwächungen<br />

sind nicht kurzfristig sichtbar, sondern wirken sich erst<br />

nach mehreren Generationen aus; man rechnet im


Allgemeinen mit 12, das wären beim Rind rund 60 Jahre.<br />

Aus all diesen aufgelisteten Tatsachen ergibt sich die<br />

Notwendigkeit einer vielseitigen Betriebsführung, die<br />

Notwendigkeit für eine große Diversität am Hof.<br />

Emotionale Aspekte<br />

Tiere vermitteln Ruhe und Herzenswärme, Rhythmus<br />

und Ordnung, Schönheit und Anmut.<br />

Woher kommt die Sehnsucht nach Tieren?<br />

• Das Tier gibt Körperwärme, gemütlich und<br />

angenehm wie ein Kachelofen- aber auch jene<br />

Wärme, die unser Herz erwärmt. Die Ruhe, die<br />

in einem Stall spürbar ist, wirkt auf Menschen<br />

beruhigend wie ein sanft wogendes Meer.<br />

• An der Kuh besonders faszinierend und heilsam<br />

erscheint ihr Rhythmus.<br />

Vor allem Rinder behalten ihren Rhythmus stets<br />

bei und lassen sich nur schwer aus diesem<br />

periodischen Wechsel von Fressen und Wiederkauen,<br />

Schlafen und Wachen usw. bringen.<br />

„Wenn du dich vor Stress nicht mehr kennst,<br />

dann setze dich vor eine Kuh und schau<br />

ihr beim Wiederkauen zu, wie sie langsam<br />

ihren Unterkiefer hin und her<br />

wiegt.“ War Großvaters Rat, wenn Herr<br />

Erian wieder einmal gestresst war.<br />

• Die Ordnung, die in einer Herde vorherrscht,<br />

lässt erkennen, dass hier eine ähnliche Rhythmisierung<br />

vorliegt, nach der im Einzeltier<br />

die einzelnen Körperfunktionen ablaufen: In<br />

einer Herde weiden die Tiere gemeinsam,<br />

rasten gemeinsam, gehen gemeinsam zur<br />

Tränke. Jedes Tier hat seinen festen Platz, der<br />

Biodynamische Betrachtungen<br />

äußere Kreis der Herdenmitglieder „wächst“<br />

allmählich in die Mitte hinein. Jedes Tier<br />

hat sein Recht und auch seine Pflicht.<br />

• Die Schönheit und Anmut. Damit ist die<br />

persönliche Beziehungsebene gemeint,die<br />

innere Vertrautheit.<br />

Was ist das Wesen, das Wesentliche am Tier?<br />

Wenn man sich zum Beispiel eine Kuh vorstellt, und<br />

alles was an dieser Kuh physisch sichtbar ist, sich wegdenkt,<br />

dann bleibt letztendlich das Wesen der Kuh übrig.<br />

Dieses Wesen besteht aus Trieben, vor allem Hunger,<br />

Durst, Sexualtrieb, Bedürfnisse nach sozialen Kontakten,<br />

usw..<br />

R. Steiner: „Das Tier ist die Verkörperung von Trieben.“12<br />

Mit domestizierten Tieren tritt man in eine Wechselbeziehung.<br />

Zähmung schafft Vertrautheit.<br />

Sie verändert das Wesen. Gewisse Triebe schwächen<br />

sich ab. Das Tier verliert die Wildheit und die Angst.<br />

Trotzdem aber bleibt es die Verkörperung von Trieben.<br />

Es geht immer um Interaktion mit einem triebhaften<br />

Wesen.<br />

Im Gegensatz dazu hat der Mensch gelernt seine Triebe<br />

zu beherrschen.<br />

Die Auseinandersetzung mit dem Tier ist zugleich die<br />

beste Schule für den Menschen.<br />

Das Haustier ist andererseits Spiegelbild des menschlichen<br />

Wesens.<br />

In jenem Maß, wie es gelingt das Tier zu beherrschen,<br />

mit ihm vertraut zu werden, in dem Ausmaß gelingt es<br />

auch, mit den eigenen Trieben vertraut zu werden und<br />

12 Steiner, s.o.<br />

Seite 87


sie zu beherrschen.<br />

Tierzucht ist also als ein Wechselspiel zu verstehen,<br />

bei dem das Tier und der Mensch die Chance auf eine<br />

Weiterentwicklung haben. Das ganz konkrete Verhalten<br />

meiner Tiere im Stall ist der Spiegel, indem ich meinen<br />

eigenen Weg des Mensch-Werdens verfolgen kann.<br />

Die schönste Beschreibung einer Zähmung findet man<br />

bei Saint-Exupéry in seiner Erzählung „Der kleine Prinz“.<br />

Zur Vorgeschichte: Der „Kleine Prinz“ (er stellt in Exupérys<br />

Vorstellung den Menschen dar) ist ein Außerirdischer,<br />

der für eine Zeit die Erde besucht und hier unter<br />

anderem auf einen Fuchs trifft…<br />

„Wer bist du?“ fragte der kleine Prinz. „Du bist sehr<br />

hübsch“. „Ich bin ein Fuchs“, sagte der Fuchs. „Komm<br />

und spiel mit mir“, schlug der kleine Prinz vor. „Ich kann<br />

nicht mit dir spielen“, sagte der Fuchs. „Ich bin noch<br />

nicht gezähmt!“ Nach einiger Überlegung sagte der kleine<br />

Prinz: „Was bedeutet das – zähmen?“ „Das ist eine<br />

in Vergessenheit geratene Sache“, sagte der Fuchs. „Es<br />

bedeutet: sich vertraut machen.“ „Vertraut machen?“<br />

wiederholte der kleine Prinz fragend. „Gewiss“, sagte<br />

der Fuchs. „Du bist für mich nichts als ein kleiner Knabe,<br />

der hunderttausend anderen Knaben völlig gleicht. Ich<br />

brauche dich nicht, und du brauchst mich ebenso wenig.<br />

Ich bin für dich nur ein Fuchs, der hunderttausend<br />

anderen Füchsen gleicht. Aber wenn du mich zähmst,<br />

werden wir einander brauchen. Du wirst für mich einzig<br />

sein auf der Welt… Wenn du mich zähmst, wird mein<br />

Leben wie durchsonnt sein. Ich werde den Klang deines<br />

Schrittes kennen, der sich von allen anderen unterscheidet.<br />

Die anderen Schritte jagen mich unter die Erde.<br />

Der deine wird mich wie Musik aus dem Bau locken.<br />

Und dann schau! Siehst du da drüben die Weizenfelder?<br />

Ich esse kein Brot, für mich ist der Weizen nutzlos. Die<br />

Weizenfelder erinnern mich an nichts. Du aber hast wei-<br />

Seite 88<br />

Biodynamische Betrachtungen<br />

zenblondes Haar. Oh, es wird wunderbar sein, wenn du<br />

mich einmal gezähmt hast! Das Gold der Weizenfelder<br />

wird mich an dich erinnern. Und ich werde das Rauschen<br />

des Windes im Getreide lieb gewinnen.“<br />

Der Fuchs verstummte und schaute den Prinzen lange<br />

an: „Bitte… zähme mich!“ sagte er dann. „Ich möchte<br />

wohl“, antwortete der kleine Prinz, „aber ich habe nicht<br />

viel Zeit. Ich muss Freunde finden und viele Dinge kennenlernen.“<br />

„Man kennt nur die Dinge die man zähmt“,<br />

sagte der Fuchs. „Die Menschen haben keine Zeit mehr,<br />

irgendetwas kennenzulernen. Sie kaufen sich alles fertig<br />

in den Geschäften. Aber da es keine Kaufläden für<br />

Freunde gibt, haben die Leute keine Freunde mehr. Wenn<br />

du aber einen Freund willst, so zähme mich!“ „Was muss<br />

ich da tun?“ fragte der kleine Prinz. „Du musst sehr geduldig<br />

sein“, antwortete der Fuchs. „Du setzt dich zuerst<br />

ein wenig abseits von mir ins Gras. Ich werde dich so<br />

verstohlen, so aus dem Augenwinkel ansehen, und du<br />

wirst nichts sagen. Die Sprache ist die Quelle aller Missverständnisse.<br />

Aber jeden Tag wirst du dich ein bisschen<br />

näher setzen können…“<br />

So machte denn der kleine Prinz den Fuchs mit sich<br />

vertraut. Und als die Stunde des Abschieds nahe war:<br />

„Ach!“ sagte der Fuchs, „ich werde weinen“. „Das ist deine<br />

Schuld“, sagte der kleine Prinz, „ich wünschte nichts<br />

Übles, aber du hast es gewollt, dass ich dich zähme…“<br />

„Gewiss“, sagte der Fuchs. „Aber nun wirst du weinen!“<br />

sagte der kleine Prinz. „Bestimmt“, sagte der Fuchs.<br />

„So hast du also nichts gewonnen!“ „Doch“, sagte der<br />

Fuchs, „ich habe die Farbe des Weizen gewonnen.“ Zum<br />

Abschied hatte der Fuchs dem kleinen Prinzen noch zwei<br />

Geheimnisse versprochen: „Adieu“, sagte der kleine<br />

Prinz. „Adieu“, sagte der Fuchs.<br />

„Hier ist mein Geheimnis. Es ist ganz einfach:<br />

Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche


ist für die Augen unsichtbar.“13<br />

Die Zähmung eines Tieres vererbt sich nicht, sie bleibt<br />

nicht erhalten. Die Zähmung muss in jeder Generation<br />

neu errungen werden. Dieser Erziehungsvorgang ist<br />

beim Tier ganz ähnlich wie beim Menschen.<br />

Will man ein Rind zähmen, muss man beim Kalb beginnen.<br />

Man sollte bei der Geburt anwesend sein. Das<br />

Wesen, das unmittelbar nach der Geburt gesehen und<br />

gehört wird, wird als Muttertier anerkannt. (Siehe Verhaltensforschung<br />

v. Konrad Lorenz.)<br />

Bezogen auf die Kuh heißt das, sich möglichst früh in<br />

die Beziehung Kuh und Kalb hineinzudrängen. Das mag<br />

zunächst einen rohen Eindruck erwecken, aber es bringt<br />

für beide Seiten positive Errungenschaften.<br />

Man muss mit unendlicher Geduld (wie sie auch die<br />

Kuhmutter besitzt) durch Hand- und Körperkontakt und<br />

durch oftmaliges Anreden des Tieres eine Beziehung herstellen.<br />

Für das Kalb wird man Mutterersatz und später<br />

Herdenmitglied, für die Kuh wird man zum Kalbersatz.<br />

So entsteht der wünschenswerte Zustand, dass die Kuh<br />

die Milch uns schenkt. Denn Milch wird von einem Säugetier<br />

nur dann abgegeben, wenn das Jungtier auf seine<br />

Ernährung angewiesen ist. Weder vorher, noch nachher<br />

wird Milch produziert. Milch wird also nur in der Phase<br />

abgegeben, wo das Muttertier stärken und beglücken<br />

will. Im übertragenen Sinn kann gesagt werden: Milch<br />

ist flüssiggewordene Liebe.<br />

Unter diesen Umständen gibt uns die Kuh ihre Milch<br />

freiwillig.<br />

In jedem Gegenstand, der uns umgibt, steckt etwas<br />

von dem Menschen, der ihn gefertigt hat. Seine Idee, seine<br />

investierte Kraft, etc.. Je individueller etwas hergestellt<br />

13 De Saint-Exupery, Antoine: „ Le petit prince“, Ins<br />

Deutsche übersetzt von Leitgeb Grete und Josef, Rauch,<br />

58.Auflage,Gallimard, Paris, 1946<br />

Biodynamische Betrachtungen<br />

wurde, desto mehr transportiert es etwas vom Wesen<br />

seines Schöpfers oder seiner Schöpferin. Je industrieller<br />

das Ding entstanden ist, desto weniger hat es etwas von<br />

der Persönlichkeit mitbekommen.<br />

Übertragen auf die Milch bedeutet dies, dass in der<br />

Milch auch immer etwas vom Wesen der Kuh enthalten<br />

ist, sowie auch von ihrem menschlichen Betreuer oder<br />

der Betreuerin. Das heißt entweder Geduld, Liebe, Hinwendung,<br />

Verständnis, Ruhe, oder auf der anderen Seite<br />

Aggression, Gewalt, Missmut, Stress, Angst.<br />

All das wird ebenfalls mit der Milch konsumiert und im<br />

Zuge der Verdauung absorbiert.<br />

R. Steiner: „Es gibt keine Tierzucht ohne Selbstzucht.“14<br />

Der Mensch muss sehr selbstbeherrscht sein, damit er<br />

überhaupt ein Tier züchten und zähmen kann.<br />

Die zur Tierzucht notwendige seelische Grundhaltung<br />

wird also von Selbstzucht, Demut, Opferbereitschaft geprägt.<br />

All das kann aber nicht verordnet werden, sondern<br />

nur aus dem freien Entschluss des Menschen hervorgehen.<br />

Das Grundlegende, auf das es bei der Tierhaltung<br />

wirklich ankommt, kann nicht per Gesetz geregelt werden.<br />

Es kursiert noch eine andere Meinung: „Der Mensch<br />

ist der Parasit des Haustieres.“<br />

Das wirft die Frage auf: Woher nimmt der Mensch das<br />

Recht ein Mitgeschöpf, ein Tier überhaupt zu nutzen?<br />

Sein Fleisch zu verzehren, seine Milch zu nehmen, es in<br />

einem beschränkten Raum zu halten?<br />

Mit der Zähmung eröffnet der Mensch dem Tier eine<br />

14 Steiner, Rudolf: Register zur R. Steiner Gesamtausgabe,<br />

4.Bände, Rudolf Steiner Verlag, Dornach,1998<br />

Seite 89


Welt, die sich außerhalb seines instinkthaften und triebhaften<br />

Lebens befindet. Nur durch die Ermöglichung einer<br />

anderen Ebene, einer Höherstufung des tierischen<br />

Wesens scheint der Mensch die Berechtigung zu haben,<br />

das Tier zu nutzen.<br />

Zitat von Saint Exupery aus dem kleinen Prinzen: „ Du<br />

bist zeitlebens verantwortlich für das, was du dir vertraut<br />

gemacht hast.“15<br />

Das Folgende wird Zarathustra zugeschrieben: „ Wenn<br />

in dir gute Eigenschaften keimen, dann kannst du ein<br />

Tier zähmen. Dann kannst du ihm einweben deine guten<br />

Eigenschaften. Denn wenn der Mensch die Natur so<br />

lässt, wie sie ist, treibt alles in Wildheit hinein.“<br />

Lässt man Kuh und Kalb natürlich, gut versorgt, aber<br />

alleine aufwachsen, werden sie scheu, wild und unzugänglich.<br />

Sie müssen dann mit Gewalt gefangen oder<br />

geschossen werden. Somit würde sich auch der Mensch<br />

wieder zurückentwickeln zum Sammler und Jäger.<br />

Rudolf Steiner: „Das Tier kann sich von selbst nicht höher<br />

entwickeln, es braucht den Menschen dazu.“16 Konkret<br />

bedeutet das Gesagte: Fellpflege von Hand, tägliche<br />

körperliche Kontaktaufnahme (vor allem mit den Jungtieren),<br />

oftmaliges Ansprechen, Anlernen der Tiere zum<br />

Führen am Halfter und wenn möglich zur Zugarbeit, eigene<br />

Vatertierhaltung (Als erstes entsteht das Kalb im<br />

Kopf des Züchters oder der Züchterin, daher braucht er<br />

oder sie eine ganz konkrete Vorstellung dieses Kalbes.<br />

Zum Aussuchen eines Vatertiers genügt daher nicht der<br />

Besamungskatalog.)<br />

15 Exupery,s.o.<br />

16 Steiner, Rudolf, geisteswissenschaftliche Grundlagen...<br />

Seite 90<br />

Biodynamische Betrachtungen<br />

Für die Herdengröße ist der betreuende Mensch das<br />

Maß und nicht der Umsatz, die Wirtschaftlichkeit oder<br />

die Fläche.<br />

Die einzelnen Herdenmitglieder müssen ihm so nahe<br />

sein, dass er alle mit Namen ansprechen kann und auch<br />

die Nachzucht kennt. Nachdem diese Fähigkeit unterschiedlich<br />

ausgeprägt ist, kann man keine absolute Zahlenobergrenze<br />

angeben. Es sollte sich aber nach all dem<br />

bisher Gesagten jede/r überlegen, ob Tierzucht in Herden,<br />

in denen die Identifizierung nur mehr anhand von<br />

Nummern erfolgt, tier- und menschengerecht ist?<br />

Ist ein Tier richtig gezähmt worden und mit seiner<br />

Bezugsperson eng vertraut, dann können sich die Umgebungsbedingungen<br />

verändern und das Tier wird trotzdem<br />

nicht sehr gestresst sein, solange dieser Mensch bei<br />

ihm ist.<br />

In letzter Konsequenz verhält sich das auch so, wenn<br />

das Tier zur Schlachtung geführt wird. Es soll bis zur<br />

Betäubung von der vertrauten Bezugsperson begleitet<br />

werden.<br />

Dr. Selinger wurde nicht müde die Bauern und Bäuerinnen<br />

daran zu erinnern, dass der Mensch am Tier<br />

nichts tun oder auch lassen kann, was nicht früher oder<br />

später an ihnen selbst sichtbar und wirksam wird.<br />

Anforderungen an den Stall<br />

Betrachtet man eine Rinderherde auf der Weide, so erkennt<br />

man, dass jede Kuh ihren ganz individuell großen<br />

„Sicherheitsraum“ beansprucht um sich wohlzufühlen.<br />

Ein Anbinden in einem Stallgebäude eines ähnlich großen<br />

Raumes mit den von der Kuh auf der Weide gewählten<br />

Ausweichdistanzen, ist aus finanziellen und vielerorts


äumlichen Gründen nicht möglich.<br />

Die Anbindehaltung ermöglicht dem Einzeltier einen<br />

geschützten Bereich, wo es Futter, Wasser, und einen<br />

Ruheplatz vorfindet. Deshalb bekennt sich die <strong>Demeter</strong>bewegung<br />

auch nach wie vor zur, von einfühlsamen<br />

Bauern/Bäuerinnen gehandhabten Praxis der Anbindehaltung,<br />

unter der Bedingung ausreichend breiter und<br />

langer, strohgepolsterter Stand- und Liegeplätze, mit<br />

einer Anbindung, die alle üblichen Bewegungsabläufe<br />

ohne Behinderung zulässt, weiters wöchentlich mehrmals<br />

Auslauf auf Wiesenflächen im Winter und im Sommer<br />

Tages- und Nachtweide.<br />

„Ich wehre mich ganz entschieden gegen das Hinterwäldler-Image,<br />

das man Bauern zukommen lässt, die<br />

nicht von Neuerungen, wie z.B. dem Laufstall begeistert<br />

sind. Denken Sie an eine Seilmannschaft, die in eine<br />

Wand einsteigt und wegen einer falsch gewählten Route<br />

umkehren muss: Da ist dann plötzlich der Letzte am<br />

Seil der Erste der Mannschaft. Ich hoffe, Sie haben aus<br />

dem Gesagten und zwischen den Zeilen stehenden Ungesagten<br />

herausgespürt, dass artgerechte Tierhaltung<br />

für den <strong>Demeter</strong>bauern und die <strong>Demeter</strong>bäuerin etwas<br />

anderes bedeutet als das Einhalten von Tierhaltungsmindeststandards.<br />

Das, was aus dem freien Fühlen, Denken<br />

und Wollen der Menschen hervorgeht, sollte einfließen<br />

in eine dem Menschen gerecht werdende Haltung dem<br />

Tier gegenüber. Für uns <strong>Demeter</strong>bauern und -bäuerinnen<br />

ist die Art und Weise des Umgangs mit dem Tier<br />

eine Bewusstseinsentwicklung, die man nicht mit Richtlinien<br />

steuern kann. Alle Änderungen in der bäuerlichen<br />

Kultur fanden aus einem neu gewonnenen Erkennen<br />

heraus statt und nicht aufgrund von Vorschriften. Denn<br />

alles Erzwungene wird über kurz oder lang unfruchtbar.<br />

Letztendlich geht es in unserem bäuerlichen Bemühen ja<br />

darum, aus dieser menschlichen Haltung dem Tier und<br />

der Erde gegenüber, Qualitäten in den Lebensmitteln zu<br />

Biodynamische Betrachtungen<br />

erzeugen, die den Menschen so ernähren, dass er in seinem<br />

Mensch-Sein gefördert wird.“17<br />

Organismus Bauernhof<br />

Zu diesem Themenkreis gehören in der <strong>biodynamische</strong>n<br />

Landwirtschaft natürlich auch die Kompostierung der<br />

tierischen Exkremente und die Umsetzungsförderung<br />

durch die <strong>biodynamische</strong>n Kompost- und Spritzpräparate,<br />

Umfang, Vielfalt und Zucht der Haustierhaltung,<br />

die Bedeutung der Kuh als zentrales Tier mitteleuropäischer<br />

Landwirtschaft, die Notwendigkeit der<br />

Bienenhaltung und Fragen der Pflanzenzucht und der<br />

Bodenbearbeitung besprochen. Aber auch die Vermittlung<br />

der Erkenntnis, dass der Bauernhof nicht an<br />

den äußeren Grundgrenzen endet, sondern vor allem<br />

nach unten und oben im wahrsten Sinne des Wortes<br />

kosmische Dimensionen besitzt und welche Auswirkungen<br />

das auf Erde, Pflanze, Tier und Mensch mit<br />

sich bringt.<br />

Die <strong>biodynamische</strong> Landbaumethode wurde aus der<br />

Anthroposophie heraus entwickelt. Anthroposophie<br />

bedeutet wörtlich „übersetzt“ Wissen (Lehre) vom oder<br />

über den Menschen.<br />

Sie geht davon aus, dass das Wesentliche am Menschen<br />

seine geistig-seelische Dimension ist: Sie nimmt<br />

einen innersten Geistes- und Seelenkern an, das den äußeren<br />

Wahrnehmungsorganen verborgene Wesen des<br />

Menschen.<br />

Ein entscheidender Faktor im ganzen <strong>landwirtschaft</strong>lichen<br />

System kommt, soll aus dem <strong>landwirtschaft</strong>lichen<br />

Organismus eine <strong>landwirtschaft</strong>liche Individualität<br />

werden, aber dem Menschen zu.<br />

17 Erian im Vortrag<br />

Seite 91


Grundsätzlich sollte man sich die Frage stellen, welche<br />

Art von Beruf der des Bauern, der Bäuerin ist?<br />

Produzierend oder dienstleistend ?<br />

Die Tätigkeit des Bauern/der Bäuerin ist vor allem die<br />

Hege und Pflege des Lebens am Feld, auf der Wiese, im<br />

Wald, im Stall, im Haus, und ist damit eine vorwiegend<br />

soziale Tätigkeit.<br />

Immer wenn in einem sozialen Beruf das wirtschaftliche<br />

Element (die politische Forderung der letzten Jahre<br />

geht in die Richtung: „Der Bauer muss endlich Unternehmer<br />

werden.“) die Oberhand gewinnt, zieht sich ganz<br />

einfach das Leben zurück. Die ewig schöpferische Kraft,<br />

die immer wieder neues Leben schafft, ist daher nicht<br />

mit dem materiellen Ertragsdenken vereinbar. Natürlich<br />

lebt der Bauer finanziell vom Verkaufserlös dessen, was<br />

sein Betrieb an Erträgen hervorbringt. Die Schwierigkeit<br />

liegt im Maßhalten.<br />

Walter Haim, ein <strong>Demeter</strong>bauer aus dem Allgäu hat es<br />

so ausgedrückt: „Je mehr der Bauer erzeugt, desto geringer<br />

werden seine Erzeugnisse bewertet.“<br />

Dieser mehr oder weniger soziale, demütige oder herrschende,<br />

dem Leben ehrfurchtsvoll oder fordernd gegenüber<br />

stehende Mensch ist also das wesentliche Element,<br />

das darüber entscheidet, ob sich ein <strong>landwirtschaft</strong>licher<br />

Betrieb höher und weiter entwickelt.<br />

Persönlicher Eindruck und Würdigung<br />

Die Begeisterung, mit der Wilhelm Erian das Thema<br />

in seinem Vortrag vermittelt hat, steckt an und reißt<br />

mit. Die aus dem Stegreif immer wieder eingeflossenen<br />

Erfahrungshinweise und praktischen Tipps und der lockere,<br />

dynamische Vortrag suggerieren das Gefühl, als<br />

wäre es ein Beruf von müheloser Leichtigkeit. Wissend<br />

um die Realität bleibt doch der Eindruck von Freude und<br />

Zufriedenheit.<br />

Seite 92<br />

Biodynamische Betrachtungen<br />

Wilhelm Erian hielt den Vortrag am 18. Dezember 2008<br />

im Rahmen der Ringvorlesung<br />

Der Vortrag, wurde bearbeitet von Regina Enzenhofer.


Praktische Maßnahmen zur<br />

Parasitenregulierung<br />

Eine Methode empfohlen vom Tierarzt und<br />

Biodynamiker Dr. Leopold Selinger<br />

Hannes Neuper<br />

Die Ziege und das Schaf – beide etwa 8000 v. Chr. in<br />

Vorderasien domestiziert – gehören neben dem Hund<br />

(13000-7000 v. Chr. in Eurasien und Nordamerika) zu<br />

den ältesten Weggefährten des Menschen. Durch die<br />

Domestizierung dieser Tiere hat der Mensch die Verantwortung<br />

für ihre Lebensbedingungen übernommen. Sollen<br />

die Tiere gesund und fruchtbar bleiben, dann müssen<br />

diese Bedingungen auch mit den Bedürfnissen dieser<br />

Tiere übereinstimmen. Und dazu müssen wir die geforderten<br />

Bedingungen aus dem Wesen der betreffenden<br />

Tierart gewissermaßen herauslesen.<br />

So sprechen wir in der <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft<br />

nicht von einer artgerechten, sondern von einer<br />

wesensgerechten Tierhaltung. Das Wesen eines Tieres<br />

lässt sich beschreiben als ein Zusammenspiel von Anatomie,<br />

Stoffwechsel, Erbgut und Embryologie, Verhalten<br />

und Seelenleben. Letzteres wird, weil nur schwer zu erfassen,<br />

oft außer Acht gelassen. Eine Annäherung an<br />

dieses Wesen führt uns zu seiner Wildform. Hier finden<br />

wir erste Hinweise auf seinen Lebensraum und dessen<br />

Eigenheiten.<br />

Schafe und Ziegen wurden in Vorderasien domestiziert.<br />

Sie wurden vorwiegend im Kargen gehalten, die<br />

Herden waren klein, Schafwolle war ein begehrtes und<br />

notwendiges Produkt.<br />

Erkunden wir die Schafhaltung in Europa in den letzten<br />

Jahrhunderten, so finden wir die Schafe und Ziegen<br />

immer in kargen Landstrichen oder in Haltesituationen,<br />

wo die Tiere sich das Futter in unwegsamen, zum Teil<br />

Biodynamischer Parasitenregulierung Landbau<br />

steinigen, auf jeden Fall aber kärglichen Weidebedingungen<br />

suchen mussten.<br />

Gegenwärtige Situation<br />

Auf der Suche nach Alternativen in der Landwirtschaft<br />

vor ca. 25-30 Jahren, kam nun bei uns die Schaf- und Ziegenhaltung<br />

auf Koppeln in Mode. Die Milch von Ziege<br />

und Schaf wird durch die ständig steigende Kuhmilchunverträglichkeit<br />

zunehmend begehrter.<br />

Die größte Herausforderung für den Stoffwechsel bei<br />

Ziege und Schaf ist die Beweidung von Fettwiesen. Die<br />

Ziege ist ein Feinschmecker – Kräuter, Blätter, Knospen<br />

und Rinden werden bevorzugt. Die wesensgemäße Ziegennahrung<br />

entspricht mit ihren Wärmesubstanzen, wie<br />

ätherischen Ölen und Harzen sowie in ihrer großen Vielfalt<br />

blühender Pflanzen, der Sinneswelt dieser Tiere. Die<br />

Ziege ist überdies der ausgeprägteste Luftweider unter<br />

den Haustieren. Zwingt man sie, ausschließlich Gras<br />

vom Boden zum fressen, erweist sie sich als hochgradig<br />

anfällig für Parasiten.<br />

Nach Dr. Selinger soll sich die Wiederkäuerfütterung am<br />

Bild der Pflanze orientieren.<br />

Eine Pflanze besteht aus: Wurzel, Stängel, Blatt und Blüte<br />

Bereits 1923 weist Rudolf Steiner auf die Heilwirkung der<br />

Roten Rübe im Zusammenhang mit Darmwürmern hin.<br />

Über den Zusammenhang von Wurm, Dunkelheit und<br />

Dumpfheit<br />

Schafe und Ziegen, die auf Fettwiesen gehalten werden<br />

und da vorwiegend junges Gras fressen, nehmen zuviel<br />

unreifes Eiweiß auf. Ihre Verdauungsorgane können das<br />

nicht in der richtigen Weise verarbeiten. Dadurch werden<br />

Seite 93


die kleinen Wiederkäuer mit ihrem sehr langen Darmsystem,<br />

welches ungefähr der 25 fachen Körperlänge entspricht,<br />

anfällig für Parasiten.<br />

Durch die Aufnahme des zu unreifen Grases kommt<br />

es zu einer „dumpfen“ Atmosphäre im Verdauungsbereich.<br />

Damit wird die Bedingung geschaffen, in welcher<br />

der Wurm sich wohl fühlt.<br />

Denn für den Wurm ist eine dunkle, dumpfe Umgebung<br />

die natürliche, ideale Lebensbedingung. Es ist hilfreich,<br />

sich vorzustellen wo die Heimat des Wurmes ist,<br />

welches Milieu er bevorzugt und welche Bedingungen<br />

ihn vertreiben.<br />

Dazu brauchen wir nur beobachtend in unserer Umwelt<br />

leben. Was passiert mit einem Wurm, der sich zu<br />

lange im Sonnenlicht aufhält?<br />

Über solche Fragestellungen kommen wir bald zu<br />

praktikablen Lösungen. Es wird dann einsehbar, dass<br />

eine Heilung und Besserung dadurch erreicht werden<br />

kann, dass wir Licht in diesen dunklen Bereich hineinbringen.<br />

Dies können wir durch eine spezielle Ernährung<br />

der Tiere erreichen.<br />

Dazu müssen wir uns aber zuerst fragen, wie wir über<br />

die Pflanzen Licht in die Verdauung bringen können.<br />

Im <strong>biodynamische</strong>n Landbau werden in dieser Situation<br />

folgende Maßnahmen empfohlen:<br />

Seite 94<br />

• den Tieren blütenreiches Futter anbieten,<br />

• die Weiden mit Hornmist- und Hornkieselspritzungen<br />

behandeln und<br />

• den Tieren täglich kleine Mengen von<br />

Wurzelfrüchten zufüttern.<br />

Biodynamischer Parasitenregulierung Landbau<br />

Den Tieren blütenreiches Futter anbieten:<br />

Es ist darauf zu achten, dass die Weiden reich sind an<br />

Blühendem. Dazu zählen auch blühende Gräser. Weiters<br />

sollen die Weiden von Hecken umgeben sein, damit<br />

die Schafe und Ziegen auch Blätter von Sträuchern und<br />

eventuell Sprossholz bekommen.<br />

Die Weiden mit Hornmist- und Hornkieselspritzungen<br />

behandeln<br />

Durch die Anwendung der beiden Spritzpräparate werden<br />

die Lebensprozesse im Boden und die Lichtprozesse<br />

in der Pflanze angeregt. Dr. Selinger sprach immer wieder<br />

davon, dass wir unsere Weiden zu „Almen“ machen<br />

müssen. Wir wissen, dass die heilende Qualität der Almen<br />

für unsere Tiere in der Lichtstärke ihrer Pflanzen<br />

liegt. Dieses Wissen sollte uns dazu führen, die „Lichtverhältnisse“<br />

auf unseren Weiden zu überdenken.<br />

Als letzte Möglichkeit, Licht in den Verdauungsraum


parasitenbefallener Schafe und Ziegen zu bringen, bietet<br />

sich darin an, wenn den Tieren täglich kleine Mengen<br />

von Wurzelfrüchten zugefüttert werden.<br />

Um diese Maßnahme verstehen zu können, müssen<br />

wir uns ein wenig an das Bildekräftewirken der Natur annähern.<br />

Wir unterscheiden die Pflanzen nach ihrer Organbetonung.<br />

Die Karotten, Rüben und Rohnen sind Wurzelfrüchte,<br />

weil ihr betontes Organ die Wurzel ist. Aus der<br />

Bildekräfteforschung wissen wir, dass die Karotte die<br />

Fähigkeit hat, das Sonnenlicht in ihre Wurzel hineinzuverdichten.<br />

Und wieder ist es die unbefangene Beobachtung,<br />

welche uns das gleiche sagt: Da ist einerseits die<br />

Farbe und andererseits die Strahlenstruktur, welche sich<br />

zeigt, wenn wir eine Karotte quer durchschneiden. Ähnliche<br />

Verhältnisse finden wir in der weißfleischigen Rübe<br />

und in der Roten Rübe.1<br />

Wenn wir nun diese Früchte an die Schafe und Ziegen<br />

verfüttern, werden in der Verdauung Lichtkräfte freigesetzt<br />

und es kommt zu einer Aufhellung der Atmosphäre<br />

im Verdauungsraum. Auf diese Weise können wir mit<br />

Geduld und Konsequenz durch eine richtige Fütterung<br />

dem Wurm die Lebensgrundlagen im Darmbereich der<br />

betroffenen Tiere entziehen.<br />

Es reicht die Gabe einer Karotte oder einer Roten Rübe<br />

pro Tier und Tag. Hat man diese Möglichkeit nicht, dann<br />

kann man im Winter eine Kur durchführen. Die Tiere bekommen<br />

28 Tage lang Rote Rüben gefüttert. Frau Maria<br />

Thun, die nun schon über Jahrzehnte Konstellationsforschung<br />

betreibt, wies in diesem Zusammenhang darauf<br />

hin, dass man für diese spezielle Anwendung der Roten<br />

Rübe, diese jeweils zwei Tage vor Vollmond säen, hacken<br />

und ernten sollte.2 Die Bearbeitung der Wurzel zur Voll-<br />

1 Wertvolle Hinweise zum Wirken der Roten Rübe finden Sie bei:<br />

Pelikan, Wilhelm: „Heilpflanzenkunde“, Band 1, Philosophischanthroposophischer<br />

Verlag, Dornach, 1988<br />

2 Frau Maria Thun gibt alljährlich „Die Aussaattage“ heraus. Diese<br />

Biodynamischer Parasitenregulierung Landbau<br />

mondzeit schwächt die den Mondenrhythmen unterworfenen<br />

Reproduktionskräfte der Parasiten.<br />

Verbindet man nun diese wesengerechte Fütterung<br />

mit einem guten Weidemanagement und eventuell sogar<br />

mit einer Alpung der Tiere, so kann weitgehend auf<br />

Medikamente zur Entwurmung verzichtet werden.<br />

Hannes Neuper hat diesen Vortrag bei den<br />

BIO AUSTRIA Bauerntagen 2009 gehalten.<br />

Schriften beruhen auf ihrer Konstellationsforschung und geben<br />

wertvolle Hinweise auf günstige Sä-, Pflanz- und Hackzeitpunkte.<br />

Seite 95


Tierzucht im geschlossenen Organismus<br />

einer Landwirtschaft<br />

Leopold Selinger<br />

Ein wesentlich anderer Blick<br />

In diesem Vortrag weist Dr. Selinger auf geisteswissenschaftliche<br />

Zusammenhänge hin zwischen Mensch und<br />

Tier, welche sich bis hinein in die Physiologie und Anatomie<br />

zeigen. Praktische Aspekte der Tierhaltung – im<br />

Sinne von Haltungsanleitungen – werden in diesem Vortrag<br />

nicht behandelt.<br />

Es sind Bilder und Fakten, welche den bäuerlichen Menschen<br />

zum Nach-Denken bringen können.<br />

Es bleibt uns nicht erspart, diese Bilder selbst geistig zu<br />

einem Ganzen zusammenzufügen.<br />

Tierhaltung<br />

Tierzucht, Tierfütterung, Tierhaltung gehen als Tätigkeiten<br />

vom Menschen aus. In der Praxis enthält daher<br />

immer jeweils die eine Tätigkeit auch die beiden anderen.<br />

Sie stehen zueinander in einem ähnlichen Verhältnis<br />

dreigegliedert, wie die menschliche Erscheinung selber<br />

dreigliedrig organisiert erscheint in den Tätigkeiten, die<br />

sich über die Kopforganisation, die Brustorganisation,<br />

die Gliedmaßenorganisation vollziehen.<br />

Diese Tätigkeiten gehen vom Bewusstsein aus.<br />

Und dieses ist in Bezug auf die Landwirtschaft ein<br />

differenziertes.<br />

Im Bewusstsein des Menschen, vor allem des Landwirtes,<br />

der Landwirtin entwickelte sich die Vorstellung:<br />

Landwirtschaft ist ein Gewerbe, welches zum Zwecke<br />

hat, durch Produktion von vegetabilischen und tierischen<br />

Substanzen Gewinn zu erzeugen oder Geld zu<br />

erwerben. 1<br />

1 Vgl. Thaer, Albrecht Daniel: „Grundsätze der rationellen LW“<br />

Seite 96<br />

Biodynamischer TierzuchtLandbau<br />

Verständlicherweise erstrebt heute ein fortschrittliche/r<br />

Landwirt/in den finanziell notwendig erscheinenden Gewinn<br />

durch Leistungssteigerung. Er/sie läuft Gefahr, das<br />

Maß zu verlieren.<br />

Der/die traditionelle Landwirt/in wiederum hält fest an<br />

Methoden, die sich in der Vergangenheit bewährt haben;<br />

er/sie läuft Gefahr, neue Ideen, wie sie die Entwickelung<br />

fordert, nicht oder nicht rechtzeitig zu ergreifen.<br />

Der/die so genannte alternative Landwirt/in erkennt<br />

wohl die Gefahren beider Richtungen; rein naturwissenschaftliche<br />

Erkenntnismöglichkeit vermag ihm/ihr aber<br />

nicht die nötige innere Sicherheit zu geben für ihr/sein<br />

Bemühen. Er/sie läuft Gefahr, idealistischen Vorstellungen<br />

zu sehr Raum zu geben. Naturgemäß bot sich<br />

dem/der fortschrittlichen Landwirt/in die Hühnerhaltung<br />

an. Die Vogelnatur des Huhnes ist weitgehend bodenunabhängig<br />

und schien deshalb geeignet für nahezu<br />

vollkommen klimatisierte, automatisierte Käfighaltung<br />

und komplettiertes Alleinfutter als Fertigfutterkonserve.<br />

Wirtschaftlich verlockend schien es dann, auch in der<br />

Kuhhaltung ebenso zu verfahren. Die Kuh aber ist weitgehend<br />

bodenabhängig. Sie wurde bald zum Paradebeispiel<br />

für symptomlose Sterilität, unspezifische Katarrhe<br />

und ihre Virusbegleitung, Spurenelementemangel und<br />

Wurmbefall. Eine Neuorientierung wurde notwendig, so<br />

genanntes biologisches Denken.<br />

Notgedrungen lernen wir heute die Erde nicht mehr<br />

ansehen als ein Staubkorn im Weltall, sondern als eine<br />

Art lebendigen Organismus und den Menschen als ein<br />

geistiges Wesen, welches das Antlitz der Erde verändert.<br />

Es lässt seine Menschlichkeit einfließen in das Leben<br />

dieser Erde – freilich auch alles, was am Menschen des<br />

Menschen unwürdig erscheint.<br />

Anthroposophisch orientierte, das heißt vom Menschen<br />

ausgehende geisteswissenschaftliche Erkenntnis, sagt:<br />

Wenn der Mensch geboren wird, wird er durch den Tier-


kreis in den tierischen Kreis von Adler, Löwe und Kuh hinein<br />

geboren. Erblickt er so das Licht der Welt, vernimmt<br />

er den Lockruf des Dreigetiers, lernt ihr Wesen kennen.<br />

Durch die Zuneigung oder Abneigung, die er während<br />

seines Aufenthaltes in der Tierkreissphäre entwickelt,<br />

erfährt er seelisch-geistige Verwandtschaften. Im Innersten<br />

seiner Seele aber trägt er das Menschenbild mit<br />

sich, als sein Idealbild. Das will er im Dasein zwischen<br />

Geburt und Tod verlebendigen.<br />

Je nachdem er im physischen Leben den Ruf der Tiere<br />

beantworten lernt, trägt er sein Menschenbild intensiviert<br />

mit sich im Tode in die geistige Welt zurück. Er<br />

muss lernen, sich dem Tierischen zu entreißen, aus dem<br />

Tierischen herauszuwachsen, mit solchem Bestreben<br />

sein ganzes Wollen allmählich zu durchdringen, so dass<br />

es sein Wille wird.<br />

Tierzucht, Tierfütterung, Tierhaltung sind die Möglichkeit,<br />

tierisches Blut so zu beeinflussen, dass Adel am<br />

Tier erscheinen, innerhalb der Arten sich verbreiten und<br />

durch Generationen höher entwickeln kann.<br />

Es lautet der Lockruf der Tiere – es sind nach christlicher<br />

Überlieferung die evangelischen Tiere – denen in<br />

der geistigen Welt gegenübersteht der Mensch als Engelwesen:<br />

„Die Adlerwesenheit selber ist es, die hörbar wird für<br />

das Unterbewusstsein des Menschen. Das ist der verlockende<br />

Ruf:<br />

Lerne mein Wesen erkennen!<br />

Ich gebe dir die Kraft,<br />

im eignen Haupte<br />

ein Weltenall zu schaffen.<br />

So spricht der Adler.<br />

Biodynamischer TierzuchtLandbau<br />

Das ist der Ruf von oben, der heute die Menschen vereinseitigen<br />

will.“2<br />

„Und es gibt einen zweiten Lockruf. Das ist derjenige,<br />

der aus der mittleren Region kommt, da, wo die Kräfte<br />

des Kosmos die Löwennatur formen, da, wo die Kräfte<br />

des Kosmos aus dem Zusammenflusse von Sonne und<br />

Luft jenes Gleichmaß der Rhythmen, der Atmung und<br />

der Blutzirkulation bewirken, wie es die Löwennatur konstituiert.<br />

Lerne mein Wesen erkennen!<br />

Ich gebe dir die Kraft,<br />

im Schein des Luftkreises<br />

das Weltenall zu verkörpern.<br />

So spricht der Löwe.“3 Er repräsentiert die Mitte.<br />

Lerne mein Wesen erkennen!<br />

Ich gebe dir die Kraft<br />

Waage, Meßlatte und Zahl<br />

dem Weltenall zu entreißen.<br />

So spricht die Kuh.“4<br />

Auf der Erde muss der Mensch lernen zu antworten:<br />

Ich muß lernen:<br />

O Kuh,<br />

deine Kraft aus der Sprache,<br />

die die Sterne mir offenbaren.<br />

2 Steiner, Rudolf: „Der Mensch als Zusammenklang des schaffen-<br />

Steiner, Rudolf: „Der Mensch als Zusammenklang des schaffenden,<br />

bildenden und gestaltenden Weltenwortes“; Rudolf Steiner<br />

Verlag, Dornach 1993, S 33<br />

3 ebenda S 34<br />

4 ebenda S 35<br />

Seite 97


Das Zweite, wovon der Mensch sich sagen muß:<br />

Seite 98<br />

Ich muß lernen:<br />

O Löwe,<br />

deine Kraft aus der Sprache,<br />

die in Jahr und Tag<br />

der Umkreis in mir wirket.<br />

Und das Dritte, was der Mensch lernen muß, ist:<br />

O Adler,<br />

deine Kraft aus der Sprache,<br />

die das Erd-Entsprossene in mir erschafft.“5<br />

So muss der Mensch seinen Dreispruch entgegensetzen<br />

den einseitigen Lockrufen, jenen Dreispruch, dessen<br />

Sinn die Einseitigkeiten zum harmonischen Ausgleich<br />

bringen kann. Er muss lernen zur Kuh zu schauen, aber<br />

von der Kuh, nachdem er sie gründlich empfunden hat,<br />

aufzuschauen zu dem, was die Sprache der Sterne offenbart.<br />

Er muss lernen aufzurichten den Blick zum Adler,<br />

und nachdem er die Natur des Adlers gründlich in sich<br />

empfunden hat, mit dem Blick, mit dem, was ihm die<br />

Natur des Adlers gegeben hat, hinunterzuschauen auf<br />

das, was in der Erde sprießt und sprosst und auch im<br />

Menschen in seiner Organisation wirkt von unten herauf.<br />

Und er muss lernen den Löwen so anzuschauen, dass<br />

ihm vom Löwen geoffenbart wird, was Wind und Wetter<br />

im Jahreslaufe in dem ganzen Erdenleben, in das der<br />

Mensch eingespannt ist, bewirken.6<br />

Damit ist ausgesprochen, dass der Mensch lernen<br />

muss der Verführung (dem Lockruf) dem bloß intellektuellen,<br />

verstandesmäßigen Beurteilen zu widerstehen,<br />

5 ebenda S. 42.<br />

6 ebenda S. 43.<br />

Biodynamischer TierzuchtLandbau<br />

dass er lernen muss den alles bestimmenden Materialismus<br />

zu überwinden, um das Maß und den Rhythmus zu<br />

finden, die ihn eigentlich erst befähigen, am Lebendigen<br />

zu arbeiten.<br />

Will man wirklich die Erde im Sinne der Menschheitsentwickelung<br />

beleben, beseelen, durchgeistigen, wird<br />

es notwendig sein, gerade die Tierhaltung in der Landwirtschaft<br />

zu orientieren am Bild der vier Wesensglieder,<br />

welche der Mensch ausgebildet hat:<br />

Seinen physischen Leib,<br />

seinen Ätherleib,<br />

seinen Astralleib und<br />

sein Ich.<br />

Der Empfindungsleib, die Empfindungsfähigkeit oder<br />

der Seelenleib des Menschen und der Seelenleib des<br />

Tieres, genauer gesagt der Tierarten, stehen in realem,<br />

das heißt geistigem Zusammenhang, besonders durch<br />

die Vorstellungen, Gefühle und Willensimpulse, die wir<br />

in den Schlaf hinein nehmen oder nach dem Tode in die<br />

geistige Welt einbringen.<br />

Was sich vollzieht in unseren Einschlaf- und Aufwachträumen,<br />

ist etwas, das sich vollzieht auf jener Bewusstseinsstufe,<br />

die das Tier im Leben verkörpert.<br />

Wir müssen nur lernen ein Tier bildhaft anzuschauen<br />

und dieses Bild bis in die anatomischen Tatsachen hinein<br />

zu verfolgen, die es sichtbar machen.<br />

Ein Huhn zum Beispiel, bildet kein Zwerchfell aus, das<br />

die Körperhöhle in Brust- und Bauchraum scheidet. Ein<br />

Zwerchfell ist nur in Resten angedeutet am Rippenbogen.<br />

Der ganze Vogelkörper ist gleichsam ein Kopf, der<br />

Brust– und Bauchorgane in sich trägt.<br />

Eine Kuh ist gleichsam ein Bauch, der seine Weisheit,<br />

seine ganze tierische Weisheit in der Dickdarmspirale


gipfeln lässt, das Wiederkäuen nahezu minutiös rhythmisiert,<br />

an seinen Pulsschlägen ordnet.<br />

Wir können in der Praxis erleben, wenn wir eine Herde<br />

betreuen – 30, 40 Jahre hindurch vielleicht – dass letzten<br />

Endes eine Kuhhaltung nicht gedeihen kann ohne entsprechende<br />

Hühnerhaltung und umgekehrt.<br />

Es handelt sich ja darum, eine <strong>landwirtschaft</strong>liche Individualität<br />

einzurichten im Hinblick auf die kosmischqualitative<br />

Analyse, die sich vollzieht im Zusammenleben<br />

eines gewissen mit Pflanzen bewachsenen Gebietes mit<br />

dem, was an Tieren in diesen Gebieten lebt. Dem richtigen<br />

Maß an Kühen Pferden und anderen Tieren… Eine<br />

<strong>landwirtschaft</strong>liche Individualität wird ja zum lebendigen<br />

Spiegel für die Entwicklung einer menschlichen Individualität<br />

zur selbständigen Persönlichkeit.<br />

Die Bildung warmen roten Blutes und einer knöchernen<br />

Wirbelsäule bietet die Möglichkeit äußere Kälte aktiv<br />

zu überwinden. Der Mensch ist nur wirklich gesund,<br />

wenn er eine mittlere Körpertemperatur von 36-37° C<br />

entwickeln und aufrecht erhalten kann. Ein Pferd ist gesund<br />

zwischen 37,5-38,5°, der Hund bei 37,5-39°, die Kuh<br />

bei 37,5-39,5°, die Katze bei 38-40°, das Schwein und das<br />

Schaf bei 38,5-40°, die Ziege bei 38,5-40,5°, das Huhn bei<br />

40-43° und die Taube bei 41-44,1°C.<br />

Die ganze Palette der engeren Haustiere ist für den<br />

Menschen ein richtiges Wärmeorgan, mit dem er hineinwirkt<br />

in das Naturwachstum.<br />

Müsste er selber diese Temperaturen entwickeln, würde<br />

er nicht mehr klar denken können, würde zuletzt innerlich<br />

wie verbrennen, im Fieber phantasieren.<br />

Alles was der Mensch an fester Nahrung zu sich<br />

nimmt, muss in der Verdauung verflüssigt werden, sodann<br />

gasförmig werden, flüchtig werden und zuletzt in<br />

körpereigene Wärme verwandelt werden. Diese ist verwandt<br />

mit der geistigen Wärmeentwicklung; aus ihr heraus<br />

findet erst ein Neuaufbau statt.<br />

Biodynamischer TierzuchtLandbau<br />

Tierfütterung<br />

Etwa um 1820 wurde die Fruchtfolge der Dreifelderwirtschaft:<br />

Winterung-Sommerung-Brache erweitert und<br />

intensiviert durch die bewusste Eingliederung von Kleeanbau.<br />

1868 verfügte der Staat die verbilligte Abgabe von Salz<br />

an die Landwirtschaft. In den letzten zweihundert Jahren<br />

wurde das Körpergewicht der Kuh ungefähr verdoppelt,<br />

die Milchmenge vervierfacht, die Lebenserwartung aber<br />

verringerte sich um ein Drittel.<br />

Die Zuchtreife, das heißt Zuchtgebrauch, wurde immer<br />

näher an die Geschlechtsreife herangerückt.<br />

Auch das Hühnereigewicht wurde auf das Doppelte<br />

gesteigert, die Legeleistung verdreifacht.<br />

Die gesamte Haustierfütterung wurde – wie naturnotwendig<br />

– immer mehr belastet durch Mineralstoffgaben,<br />

Vitamingaben, Hormongaben, vor allem aber durch<br />

notwendig erscheinende Antiparasitika. Spurenelementemangel<br />

wurde das Problem unserer Zeit.<br />

Das Tier ist geistig anzusehen als ein Dunkelraum,<br />

erfüllt mit lebendiger, aber dumpfer Wärme, bedürftig<br />

des Lichtes. Licht kommt an das Tier heran durch Sonne,<br />

Mond und Sterne. Ebenso durch die Zuneigung, die<br />

der Mensch den Tieren angedeihen lässt; vor allem aber<br />

durch die Pflanzen, die der Mensch an seine Haustiere<br />

verfüttert.<br />

Salz macht Durst, Salz macht wasserschwer, salzfeuchte<br />

Luft macht Hunger.<br />

Wässrig gestautes organisches Gewebe ist schwieriger<br />

zu durchlichten, zu durchluften, zu durchwärmen, zu<br />

rhythmisieren. Rhythmisch geordneter Wechsel von<br />

Aufquellen und Entquellen, von Ödemisierung und<br />

Entwässerung organischen Gewebes ist die Grundlage<br />

aller Verdauungsprozesse, die Grundlage der Brunsterscheinungen,<br />

der Einleitung der Geburtsvorgänge, dem<br />

Seite 99


Einsetzen der Laktation und ihrer Beendigung. Ist das<br />

harmonische Ineinandergreifen dieser Vorgänge im Organismus<br />

gestört, entsteht in einzelnen Organen so etwas<br />

wie ein Eigensinn und ein Eigenwille gegenüber dem<br />

Gesamtorganismus.<br />

Aber auch gegenüber einzelnen Organen können<br />

sich dieser Eigenwille und dieser Eigensinn bis zur Unverträglichkeit<br />

steigern und ausarten in verschiedenste<br />

Allegien.<br />

Die tierischen Verdauungskräfte entzünden sich an<br />

den verschiedenen Futterqualitäten für den grobstofflichen<br />

Abbau und Aufbau. Ein feinster, ganz intimer<br />

Stoffwechsel vollzieht sich über die Aufnahme und das<br />

Verarbeiten der Sinneswahrnehmungen, der Sinneseindrücke.<br />

Feinster und gröbster Stoffwechsel bekommt<br />

seine elementare Ordnung über den Rhythmus von Ein-<br />

und Ausatmen – bis hinein in den Kreislauf.<br />

Tierische Brunst können wir ansehen als physiologische<br />

Entzündung, die sich staut und im Befruchtungsvorgang<br />

ihre Lösung findet und in der Fortpflanzung zur<br />

Fruchtbildung führt.<br />

Etwas abstrakt ausgedrückt: Die charakterisierenden<br />

Elemente der Entzündung sind:<br />

Seite 100<br />

• calor – Erwärmen bis Erhitzen<br />

• rubor – Röten bis Blasenbilden<br />

• dolor – empfindsam Werden bis<br />

zur Schmerzhaftigkeit<br />

• tumor – Schwellung mit der Neigung<br />

entweder zur Verhärtung oder zur Nekrose.<br />

Aus der Beobachtung zweier Wisentherden – insgesamt<br />

575 weibliche Tiere – welche in Wildparks gehalten<br />

wurden ohne weitere Beeinflussung des Menschen, ergab<br />

sich aus den während eines Jahreslaufes anfallenden<br />

Geburten die entsprechende Kurve für das Eintreten der<br />

Biodynamischer TierzuchtLandbau<br />

Konzept Geburt<br />

Konzeptionsbereitschaft der Tiere:<br />

Die Grafik zeigt deutlich auf, dass zwei Aspekte in ihr<br />

enthalten sind: Die auffällige Spitze der Konzeptionsbereitschaft<br />

zeigt massiv eine Fortführung des Blühprozesses<br />

hinein in die Fruchtbarkeit.<br />

Gleichzeitig ist dadurch der höchste Anteil der Geburten<br />

zu einem Zeitpunkt des Jahreslaufes angelegt,<br />

der ein gesichertes Überwintern der Jungtiere gewährleistet.<br />

Den Sprung von Natur zu Kultur dokumentiert die<br />

heutige Gepflogenheit, die Kühe zum größten Teil im<br />

April, Mai einer Konzeption zuzuführen. Nach einem<br />

Blick auf die Skizze ist dies jedoch exakt der Zeitpunkt,<br />

wo in der Natur signifikant die wenigsten Befruchtungen<br />

stattfinden. Die Frage muss erlaubt sein, ob durch die<br />

Hereinnahme als Haustier auch die Biologie solche<br />

Sprünge – ohne Schaden zu erleiden – vollziehen kann.<br />

Diese Grafik macht deutlich, dass Fütterung mit Blühendem<br />

Einfluss ausübt auf die Reproduktionsvorgänge.<br />

Man kann gut verstehen, dass der Lebensprozess der


Pflanze – es ist ihr Wachstumsprozess auf der Erde –<br />

zum Urheilprozess für das Tier wird.<br />

Es sind die metamorphosierten, potenzierten, dynamisierten<br />

Empfindungskräfte, die sich ausdrücken in<br />

Hunger, Durst und Geschlechtlichkeit und zur Triebhaftigkeit<br />

werden, zur Leidenschaft sich steigern und einmünden<br />

in Begierden. Was sich zwischen Epiphyse und<br />

Hypophyse staut und entladen kann, den Instinkt der<br />

Art stärken oder schwächen kann bis in Überempfindlichkeit,<br />

Nervosität hinein, aber auch bis in Abartigkeit<br />

oder gar Verlust.<br />

Die Sicherheit des Instinktes, der das Tier traumhaft<br />

sicher leitet, findet ihr physisches Korrelat in der Gehirnsandbildung,<br />

derer die Gruppenseele des Tieres in ähnlicher<br />

Weise bedarf wie die Individualseele des einzelnen<br />

Menschen.<br />

Für den Landwirt/ die Landwirtin ist es wichtig zu<br />

wissen, dass die Kuh nur das wissen kann, was sie verdaut;<br />

dass sie eine Veranlagung in sich trägt, die ähnlich<br />

wirkt wie beim Menschen die Erinnerungskräfte. Die Kuh<br />

macht es freilich äußerlich, sie käut wieder, damit es ihr<br />

richtig in Fleisch und Blut übergehen kann. Sie braucht<br />

die Anregung zum Wiederkäuen, dann produziert sie<br />

Speichel, durch den sie in besonderer Weise die Erdenstoffe<br />

alkalisieren kann – Speichel: ph-Wert 8.<br />

Für die Erde ist dieser Alkalisierungsprozess wichtig,<br />

und auch für den Züchter/ die Züchterin, denn der Weg<br />

zum reinen Blut beginnt zwischen Alkalität und Säuerung.<br />

Er macht möglich, dass Eisen richtig in das Eiweiß<br />

des Blutes aufgenommen werden kann.<br />

Wenn wir versuchen den geschlossenen Organismus<br />

zu überschauen und zu durchschauen, können wir uns<br />

folgende Bilder machen:<br />

Den Erdboden und die Pflanze, welche von diesem aus<br />

ins Licht der Sonne wächst, um der Festigkeit willen Wurzeln<br />

bildet, sich als Blatt über die Erdoberfläche hin aus-<br />

Biodynamischer TierzuchtLandbau<br />

breitet, an der Sonne zum Blühen kommt und ihr Wachstum<br />

beendet, Frucht und Samen bildet.<br />

Die Kuh auf der Weide, in der Kuh das Verdauungssystem<br />

mit seinen Schleifen und der Dickdarmspirale und<br />

deren Umkehrpunkt.<br />

Die aus der Verdauungskraft geformte, strukturierte<br />

Darmabsonderung, die zum Dünger wird und an die<br />

Wurzelregion der Pflanze herankommt, abermalig dem<br />

Wachstum Triebkraft vermittelnd.<br />

Ein solches Bild vermag viele offenbare Geheimnisse<br />

an uns heranzutragen. Geisteswissenschaftliche Forschung<br />

vermittelt uns, dass wir heute in einer Kulturperiode<br />

leben, die eine Art Wiederholung der altägyptischen<br />

Kultur darstellt, diese wieder eine Art Wiederholung jener<br />

Zeit, in der Mensch- und Tierwesen sich aneinander zu<br />

entwickeln begonnen haben. Mysterienweisheit sprach<br />

davon, dass der gute Hirte über seine Herde wacht in<br />

allen Phasen des Lebens; sie nie sich selbst überlässt,<br />

immer seine Hand am Tier hält.<br />

Seite 101


Heute, nahezu 2000 Jahre nach dem Mysterium von<br />

Golgotha können wir in neuer Weise lernen die Metamorphose<br />

zu erfassen, die sich vollzieht über den<br />

Menschwerdeprozess bis hinein in die physische Ausgestaltung<br />

tierischen und pflanzlichen Lebens, in welcher<br />

alle Organbildekräfte sich veranlagen im Bild der Knospe.<br />

In der Dickdarmspirale erfährt pflanzliches Wachstum<br />

seinen Umkehrpunkt in sich selber.<br />

Tierzucht<br />

Ein bäuerlicher Wahrspruch lautet:<br />

Seite 102<br />

Dürste, auf dass du wissest, was Wasser ist:<br />

hungere, auf dass du wissest, was Brot ist;<br />

opfere, auf dass du wissest was Blut ist;<br />

züchte, auf dass du wissest was Ordnung ist.<br />

Aus einem solchen Bewusstsein heraus kann man verstehen<br />

lernen, dass dann, wenn der Mensch eine reine<br />

Vorstellung von seinem Zusammenhang mit dem Geistigen<br />

hat, er auch eine gesundende Ich-Vorstellung entwickelt.<br />

Macht sich der Mensch eine falsche Vorstellung<br />

von dem Geistigen, so wird das von Geschlecht zu Geschlecht<br />

weitergetragen und beginnt sich als Krankheit,<br />

als Siechtum zu äußern. Richtige Gedanken bewirken<br />

Gesundheit, falsche Gedanken bewirken Krankheit: „…<br />

das Physische wird gedeihen, wenn man an die richtige<br />

Vorstellung vom Geistigen anknüpft…“7.<br />

Dem geübten Züchter muss ein Ideal vorschweben,<br />

und dieses bildet das geistige Modell für seine<br />

wirkliche Zukunftsherde. Durch Training der Tiere in<br />

der Jugend wird erreicht Vollblütigkeit, Nervigkeit und<br />

7 Steiner, Rudolf: Krankheitsformen und Krankheitsursachen,<br />

Vortrag, Berlin 10.-16.11.1908<br />

Biodynamischer TierzuchtLandbau


insbesondere die Ausbildung des Herzens als Quelle der<br />

Lebensenergie. Herzfehler, die in der Jugend entstehen,<br />

können das ganze Leben nicht mehr geheilt werden. 8<br />

Die Eigenschaften gerade der höheren Tiere zeigen in<br />

vielen Fällen keinen vollkommenen klaren Mendelismus,<br />

sondern unvollkommene Dominanz und unvollkommene<br />

Aufspaltung. Die Ursachen sind zu suchen in den<br />

zunehmend beschleunigten, d.h. in der embryonalen<br />

Entwicklung vorverlegten Differenzierungsvorgänge der<br />

Gewebs- und Organbildungen.<br />

Mit den Hochleistungsrassen unserer Haustiere haben<br />

wir es heute zu tun mit einem Erbe aus der Vorstellungs-<br />

und Willenswelt unserer unmittelbaren Vorfahren.<br />

Durch die Hinweise im Landwirtschaftlichen Kurs ist<br />

es heute möglich, aus sich änderndem Bewusstsein konkret<br />

das Haustierwesen zu beeinflussen. Wir müssen es<br />

freilich aus Einsicht wollen. Dazu wird es notwendig sein<br />

zu beachten,<br />

dass Masttendenzen nicht Zuchtziele werden dürfen; sondern<br />

Mast findet ihre Berechtigung an den Tieren, die von<br />

der eigentlichen höheren Entwicklung naturgemäß ausgeschieden<br />

werden;<br />

dass Zuchtreife im Grunde verknüpft ist mit der Reife in<br />

der Zahnbildung; erst das vollkommen gehärtete Gebiss ermöglicht<br />

den notwendigen Homöopathisierungsprozess für<br />

Potenzierung und Dynamisierung der tierischen Verdauung;<br />

der einzelne Zahn ist das Bild einer Knospe, das fertige Gebiss<br />

das Bild einer Blüte aus Marmor;<br />

dass nicht der Boden die Pflanze hervorbringt, sondern<br />

die Pflanzen den Boden<br />

(Entstehung der anorganischen Stoffe, v. Herzeele 1876,<br />

Preuss 1899, Dr. Hauschka 1946)<br />

8 Pettera, Güterinspektor, Mähren, 1911<br />

Biodynamischer TierzuchtLandbau<br />

dass der Mensch zum Maß der Dinge wird, indem er sich<br />

bewusst durchchristet;<br />

dass der Mensch das Maß in diesem Sinne an Pflanze und<br />

Tier heranbringt, sich mit dem Sonnenwesen durchdringt,<br />

welches alles auf der Erde in drei großen Rhythmen ordnet<br />

durch Lebenslauf, durch Jahreslauf, durch Tageslauf.<br />

Was berechtigterweise in Zukunft auch in Zahlen berechnet<br />

werden kann, muss jetzt erweitert und vertieft<br />

werden, d.h. belebt werden durch ein „Bildhaft-Schauen-<br />

Lernen“. Denn eine „Art“ ist ihrem Wesen nach geistiger<br />

Natur, ist und bleibt naturgemäß äußerer, sinnlicher Beobachtung<br />

verborgen, kann aber bildhaft immer klarer<br />

erfasst werden.<br />

Wir sind heute natürlich noch weit vom Ziel entfernt,<br />

die Kuh, unser hauptsächliches Milch- und Düngertier<br />

edel gezüchtet zu haben, ähnlich wie zum Beispiel das<br />

Pferd durch den Araber. Aber es ist notwendig ein Ziel zu<br />

haben, denn Tierzucht, Erziehung, Zähmung des Tieres<br />

ist dasselbe, nur auf einer niederen Stufe, wie es auf einer<br />

höheren Stufe für den Menschen Erziehung, Selbsterziehung,<br />

Selbstzucht ist. Und gerade die Kuh hat mit dem<br />

Menschen gemeinsam, dass sich ihre Keimesentwicklung<br />

neun Sonnenmonate oder zehn Mondenumläufe<br />

im Inneren der eigenen Körperwärme vollzieht.<br />

Diesen Vortrag hat Dr. Selinger 1994 in Idriat gehalten.<br />

(Frau Selinger hat die Verwendung dieses Vortrages für<br />

diesen <strong>Sammelband</strong> erlaubt.)<br />

Seite 103


Die Regionalwert AG - Bürgeraktiengesellschaft<br />

Christian Hiß<br />

Christian Hiß führt mit einer historischen Betrachtung<br />

der umwälzenden ökonomischen und gesellschaftspolitischen<br />

Entwicklungen der letzten Jahrzehnte hin zum<br />

Thema von Kooperationen in der Landwirtschaft. Er beschreibt<br />

die Entwicklungen mit Bezug auf seinen Hof.<br />

Geografisches und Geologisches<br />

Eichstetten bei Freiburg im Breisgau liegt an der Burgundischen<br />

Pforte. Die Durchschnittstemperatur beträgt<br />

9,6° C. Bis zu 30 m starke Lößschichten liegen auf vulkanischer<br />

Unterlage. Das warme Klima begünstigt die vom<br />

Boden her gegebene Fruchtbarkeit. Das bildete auch die<br />

Voraussetzung, dass die <strong>landwirtschaft</strong>lichen Strukturen<br />

sich so kleinflächig entwickeln konnten und gleichzeitig<br />

lebensfähig waren.<br />

1963 gab es in Eichstetten bei einer Gesamtgemarkungsgröße<br />

von 1000 ha und bei 2000 Einwohner und<br />

Einwohnerinnen 300 Vollerwerbs<strong>landwirtschaft</strong>en. Jeder<br />

Hof hatte einen Stall, Wein-, Gemüse- und Getreidebau.<br />

Nach nur 40 Jahren existiert keiner dieser Ställe mehr.<br />

Der Weinbau wurde hoch gepuscht, der Ackerbau in die<br />

Ebene verlagert.<br />

Eichstetten am Kaiserstuhl ist die Wiege des ökologischen<br />

Landbaues in Deutschland<br />

Die Entwicklung des ökologischen Landbaues in<br />

Deutschland ging von Eichstetten aus.<br />

Eckdaten:<br />

1953 stellt der Vater von Christian Hiß seinen Hof auf<br />

die <strong>biodynamische</strong> Bewirtschaftungsweise um. Er ist<br />

mit der Idee während seiner Gefangenschaft in England<br />

Seite 104<br />

Biodynamischer Die Regionalwert Landbau AG<br />

bekannt geworden.<br />

1960 gibt es im Ort bereits sieben <strong>Demeter</strong>betriebe.<br />

1972 wird Bioland1 gegründet. Dr. Müller2 versucht den<br />

Betrieb Hiß für die organisch-biologische Landwirtschaft<br />

zu gewinnen. Der Hof Hiß bleibt der <strong>biodynamische</strong>n<br />

Idee verbunden. Es kommt zur Spaltung im Dorf.<br />

Die Hälfte der <strong>Demeter</strong>höfe wechselt zur organisch- biologischen<br />

Wirtschaftsform.<br />

2005: 22% der Gemarkung werden ökologisch bewirtschaftet.<br />

Im Vergleich: Bundesweit werden 4% ökologisch<br />

bewirtschaftet.<br />

Christian Hiß lernt konventionellen Gartenbau und<br />

baut anschließend eine eigene Gärtnerei auf; er und seine<br />

Frau betreiben die Gärtnerei auf <strong>biodynamische</strong>r Basis.<br />

Sie arbeiten mit dem elterlichen Hof zusammen.<br />

Viele Themen, einerseits ökonomischer, andererseits<br />

sozialer Art drängen sich zunehmend ins Bewusstsein.<br />

• Die Saatgutfrage – Mitarbeit am Aufbau der Saatgutinitiative<br />

Bingenheim.<br />

• Die Frage der Beschäftigungsformen in der Landwirtschaft<br />

– Ablehnung der Saisonarbeitskräfte, Versuch<br />

mit Fachkräften, Lehrlingen, Praktikanten und Praktikantinnen<br />

in einem geordneten Beschäftigungsverhältnis zu<br />

arbeiten.<br />

• Pädagogik und Landwirtschaft – Gründung einer gemeinnützigen<br />

Schulprojekte GmbH.<br />

• Arbeitstherapien auf dem Hof – viele schwächere<br />

Menschen suchen sinnvolle und Orientierung gebende<br />

Arbeit auf Höfen.<br />

• Verwertungsgedanke – Verwertung jener Produkte,<br />

die am Markt nicht verkauft werden konnten: Gründung<br />

einer Verwertungsküche.<br />

• Energieproduktion – welche Möglichkeiten bieten<br />

sich an, am Hof Energie zu erzeugen.<br />

1 Größter Bioverband in Deutschland<br />

2 Begründer der organisch biologischen Landwirtschaft


Alle diese Aktivitäten sind enorm wichtig für die Landwirtschaft.<br />

Sie können aber kaum von einem Familienbetrieb<br />

getragen werden.<br />

Als Hauptprobleme stellen sich die Kapitallast und Unterschiedlichkeit<br />

der Bereiche dar.<br />

Unterschiedlichkeit der Bereiche<br />

Damit die einzelnen Fachbereiche gut geführt werden<br />

können, braucht es eine gewisse Professionalität.<br />

Man kann nicht verlangen, dass ein guter Käser auch ein<br />

guter Pflanzenzüchter ist oder eine gute Gärtnerin eine<br />

perfekte Bäckerin. Diese Professionalität ruft nach einer<br />

guten Ausstattung des jeweiligen Bereiches. Durch diese<br />

gegenseitige Bedingung wird eine entsprechende finanzielle<br />

Ausstattung nötig.<br />

Das wirft die Frage nach der Bewältigung der Kapitallast<br />

auf.<br />

Die oben angesprochenen vielseitigen Aufgaben der<br />

Landwirtschaft führen in die Gefahr der Verzettelung in<br />

vielen Bereichen. Der Kernbereich leidet darunter. Um<br />

wiederum die einzelnen Bereiche ordentlich auszustatten,<br />

braucht es Geld.<br />

Diese grundsätzlichen Überlegungen, die Erkenntnis,<br />

dass ein Familienbetrieb dies nicht alles leisten kann,<br />

die Situation auf den Höfen und die Idee, den eigenen<br />

Kindern die Wahl offen zu halten, führten bei Christian<br />

Hiß zum Nachdenken und zur Suche nach geeigneten<br />

Rechtsformen.<br />

Verschiedene Modelle wurden in Betracht gezogen:<br />

• ein gemeinnütziger Verein,<br />

• eine Genossenschaft,<br />

• eine Stiftung,<br />

• eine gemeinnützige Aktiengesellschaft.<br />

Christian Hiß untersuchte diese Formen, die es<br />

möglich machen, einen Familienbetrieb in eine andere<br />

Biodynamischer Die Regionalwert Landbau AG<br />

Rechtsform überzuführen und eventuell mit anderen Höfen<br />

zusammenzuschließen. Keine der genannten Formen<br />

stimmte mit seinen Zielvorgaben vollends überein.<br />

Diese Zielvorgaben waren:<br />

o Die Wertschöpfungskette sollte zur Gänze in der Region<br />

bleiben – Saatgut, Energie, Pädagogik, Handel, Vermarktung,<br />

Verarbeitung – nach dem Motto: „Vom Acker<br />

bis auf den Teller“.<br />

o Die Möglichkeit sollte geboten werden, dass sich die<br />

einzelnen Bereiche spezialisieren können.<br />

o Es sollte eine Form sein, welche es dem Unternehmen<br />

erlaubt, Betriebe in der Region zu kaufen und dann<br />

zu verpachten.<br />

o Viele Bürger und Bürgerinnen in der Region sollten<br />

mit Hilfe dieser neuen Rechtsform in die Landwirtschaft<br />

eingebunden werden; die Beziehung sollte nicht nur<br />

mehr über Markt und Verbrauch gegeben sein.<br />

o Den einzelnen Hofstellen sollte damit die Möglichkeit<br />

geboten werden, zu einem Ganzen zusammenzuwachsen.<br />

Motto: „Jeder weiß von jedem.“<br />

o Die Verantwortung für die Landwirtschaft sollte verteilt<br />

werden. Auch die Bürger und Bürgerinnen der Region<br />

sollten diese mittragen.<br />

Frühere Versuche, Kooperationen zu bilden, zum Beispiel<br />

über eine enge Zusammenarbeit mit den Verbrauchern<br />

oder Verbraucherinnen, führten zwar oftmals zu<br />

tiefen Freundschaften, sicherten aber nicht das Überleben<br />

des Hofes. Es wurde klar: Wenn die Zielvorgaben<br />

erreicht werden sollen, muss beim Kapital angesetzt<br />

werden.<br />

Außerdem brauchen zielgerichtete Änderungsvorhaben<br />

reale Ansprechpartner, damit nicht zu viel beim frommen<br />

Wunsch: „Die Gesellschaft sollte…“ hängen bleibt.<br />

Seite 105


Und so endete die Suche nach einer Rechtsform 2005 in<br />

der Bildung der<br />

Regionalwert AG – Bürgeraktiengesellschaft.<br />

Daten und Fakten:<br />

• Grundkapital 1.400.000.-<br />

• 320 Aktionäre und Aktionärinnen<br />

(Mindestaktieneintrag: 500.-)<br />

• Die AG sammelt Kapital, kauft neue Betriebe<br />

an und verpachtet sie an qualifizierte Pächter<br />

und Pächterinnen. Die Pachtkriterien werden<br />

zusammen mit den Aktionären und Aktionärinnen<br />

erstellt.<br />

• Christian Hiß führt die Geschäfte und bildet mit<br />

einem zweiten Vorstandsmitglied den Vorstand.<br />

Der Vorstand beruft die Hauptversammlung ein<br />

und erstellt den Geschäftsbericht.<br />

• Der Aufsichtsrat wurde vom Vorstand bestellt.<br />

(Späterhin soll er gewählt werden.)<br />

• Es gibt Aktionärstage. Das sind Informationstage,<br />

an denen Aktionäre und Aktionärinnen die<br />

Höfe besichtigen und Fragen stellen können.<br />

• Ankauf von Höfen muss vom Aufsichtsrat<br />

genehmigt werden.<br />

• Die Rendite wird durch zwei unterschiedliche<br />

Berichte errechnet:<br />

Einmal muss der betriebswirtschaftliche Bericht ausgearbeitet<br />

werden, in welchem alle Geldflüsse dokumentiert<br />

sind. Gibt es einen monetären Gewinn, so wird er in<br />

diesem Bericht ausgewiesen.<br />

Aber die Rendite wird auch noch durch einen volkswirtschaftlichen<br />

Bericht bestimmt: Anhand von 64 Indkatoren<br />

wird die sozial-ökologische Wertschöpfung erhoben,<br />

welche über ein erfolgreiches Arbeiten entscheiden.<br />

Diese 64 Indikatoren reichen von der Frage, ob samen-<br />

Seite 106<br />

Biodynamischer Die Regionalwert Landbau AG<br />

festes Saatgut verwendet wird, über die Energiebilanz,<br />

den Verzicht auf Saisonarbeitskräfte zugunsten fixer Anstellung,<br />

über Fragen nach belegten Ausbildungsplätzen<br />

bis hin zur Bodenfruchtbarkeit. Die Indikatoren geben<br />

Auskunft über die Ergebnisse in Bezug auf qualitative<br />

Werte, die Nachhaltigkeit, die Ressourcenschonung und<br />

so fort. Das führt zu einer intensiven Auseinandersetzung<br />

zwischen den Aktionären und Aktionärinnen und<br />

den Bauern und Bäuerinnen. Christian Hiß meint, dass<br />

die jetzige Finanzkrise dem ganzen Unternehmen sehr<br />

förderlich ist, weil dadurch attraktiv wird, in soziale und<br />

regionale Werte zu investieren.<br />

Er bringt ein anschauliches Beispiel aus dem Alltag,<br />

welches zeigt, wie sehr noch um gegenseitiges Verständnis<br />

gerungen werden muss:<br />

Es wurde beschlossen, dass ein Stall gebaut werden<br />

soll. Nun musste aber unmittelbar neben dem Stall<br />

auch ein Wohnhaus gebaut werden, damit die Pächter<br />

und Pächterinnen dort leben können. Das warf viele Fragen<br />

für die Aktionäre und Aktionärinnen auf: Braucht es<br />

unbedingt eine Wohnstatt in unmittelbarer Umgebung<br />

zum Stall? Damit wurde eine ernste Problematik in der<br />

Tierhaltung angesprochen – die Beziehung Tier Mensch<br />

in der <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft. Nach guter Diskussion<br />

wurde das Haus bewilligt. Aber es kamen Fragen<br />

nach den Standards auf. Wie muss ein Haus für eine<br />

Bauernfamilie ausgestattet sein? Welchen Luxus braucht<br />

eine Bauernfamilie? Könnte man da nicht einiges einsparen?<br />

Und plötzlich sind alle Beteiligten mit sozialen Fragen<br />

konfrontiert.<br />

Auch bei der Festlegung der Pacht muss um gegenseitiges<br />

Verständnis gerungen werden. Wie hoch soll die<br />

Pacht sein? Soll sie der ortsüblichen Pacht angepasst<br />

werden oder soll sie nach anderen Kriterien festgelegt<br />

werden? Die Pachthöhe ist letztendlich mitbestimmend,<br />

ob es eine Rendite gibt. Eine Aktiengesellschaft


ist kein ruhiger Hafen. Die Verständnisarbeit zwischen<br />

Aktionären und Aktionärinnen und Pächtern und Pächterinnen<br />

ist hier unerlässlich. Es wird dann funktionieren,<br />

wenn das Ziel, sinnvolle Landwirtschaft in der Region zu<br />

betreiben, immer im Blickpunkt bleibt und wenn die Indikatoren<br />

zeigen, dass Landwirtschaft neben den rein monetären<br />

Werten noch andere Werte hervorbringen kann.<br />

In diesem Zusammenhang tauchen dann tief greifende<br />

Fragen auf. Was macht die Landwirtschaft wirklich? Sind<br />

Bodenfruchtbarkeit und Tierfruchtbarkeit die wirklichen<br />

Ziele? Samenfestigkeit beim Saatgut?<br />

Plötzlich werden diese Fragen nun auch von Menschen<br />

diskutiert, die mit der Landwirtschaft nichts zu<br />

tun hatten.<br />

Was eine Sozialgemeinschaft entscheidet, hat durch<br />

die Auseinandersetzung mehr Substanz, wird eher<br />

durchgetragen. Auch der Weltagrarbericht aus 2006, an<br />

welchem 400 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen<br />

gearbeitet haben, spricht für solche Modelle.<br />

Es ist hilfreich, sich ins Bewusstsein zu rufen, dass der<br />

Anteil jener Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten,<br />

rapid geschrumpft ist und wohl auch deswegen politisch<br />

nicht mehr wirklich relevant ist.<br />

In Deutschland waren 1800 noch 75% der Bevölkerung<br />

in der Landwirtschaft tätig, 1900 waren es 45% und<br />

2009 sind es 2,5%.<br />

Relevant aber ist die Ernährungssicherheit. In diesem<br />

Zusammenhang wird schon von einer Landwirtschaft<br />

gesprochen, welche über Satelliten gesteuert wird, damit<br />

sichergestellt werden kann, dass jeder Quadratmeter<br />

<strong>landwirtschaft</strong>licher Fläche effektiv genutzt wird.<br />

Regionale Zusammenschlüsse erscheinen hier als wirklichkeitsnahe<br />

und sinnvolle Alternativen am Horizont.<br />

Christian Hiß, Gärtnermeister, <strong>Demeter</strong>bauer,<br />

Vorstand der Regionalwert AG<br />

Christian Hiß hat diesen Vortrag am 22.März 2009 am<br />

Wegwartehof in Merkenbrechts gehalten.<br />

Biodynamischer Die Regionalwert Landbau AG<br />

Seite 107


Biodynamischer Landbau als Antwort auf die<br />

Kultur- und Ökologiekrise in der Landwirtschaft<br />

Waltraud Neuper<br />

1996 gab Günter Rohrmoser, Sozialphilosoph an<br />

der Universität Stuttgart-Hohenheim, ein Buch heraus<br />

mit dem Titel: „Landwirtschaft in der Ökologie- und<br />

Kulturkrise“ 1 . Da Landwirtschaft und Philosophie untrennbar<br />

mit meinem Leben verbunden sind, hat diese<br />

Verknüpfung sofort viele Fragen ausgelöst:<br />

• - Was ist überhaupt eine Krise?<br />

• - Wie kommt jemand zu einer<br />

• solchen Aussage?<br />

• - Befindet sich die Landwirtschaft wirklich<br />

• in einer Krise?<br />

• - Wer oder was ist zu verstehen unter<br />

• „die Landwirtschaft“ und<br />

• - was haben wir zu verstehen unter einer<br />

• Kulturkrise oder Ökologiekrise in Bezug<br />

• auf die Landwirtschaft?<br />

•<br />

Der bewährte Blick in den Duden hilft bei der Klärung:<br />

Der Begriff Krise kann den Höhepunkt einer gefährlichen<br />

Entwicklung andeuten, oder Ausdruck sein für eine Entscheidungssituation<br />

beziehungsweise eine gefährliche<br />

Situation. 2<br />

Die „Landwirtschaft“ an sich gibt es nicht. Wir müssen<br />

uns entscheiden, ob wir mit Landwirtschaft jenes<br />

Arbeitsfeld meinen, auf welchem Menschen die Natur<br />

zur Produktion bestimmter Güter bearbeiten oder ob wir<br />

1 Rohrmoser, Günter: „Landwirtschaft in der Ökologie- und<br />

Kulturkrise“, Gesellschaft für Kulturwissenschaft e.V.,<br />

Bietigheim/Baden, 1996.<br />

2 Hrsg: Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion, „Duden“,<br />

Bd.5.Dudenverlag, Mannheim/Wien/Zürich, 1974.<br />

Seite 108<br />

Biodynamischer Landbau<br />

jene Flächen meinen, welche mit Kulturpflanzen bebaut<br />

werden.<br />

Für unseren Belang meinen wir die Gesamtheit der<br />

handwerklichen, technischen und sozialen Tätigkeiten,<br />

welche sich auf den Höfen zeigt zusammen mit ihren<br />

Auswirkungen auf die Natur, auf die betroffenen Menschen<br />

und in weiterer Folge auf jene Menschen, welche<br />

die Produkte aus der Landwirtschaft als Nahrungsmittel<br />

konsumieren.<br />

Was lässt die unermüdlichen Mahner nun an eine Krise<br />

denken? Ist gemeint, dass<br />

- der bäuerliche Bevölkerungsanteil<br />

rapid schrumpft (in Ö 3,2%)<br />

- immer weniger Menschen ihre<br />

Zukunft in der Landwirtschaft sehen?<br />

- man so wenig in der Landwirtschaft verdient?<br />

- die Arbeit in der Landwirtschaft gesellschaftlich<br />

keine hohe Wertschätzung findet?<br />

- damit einhergehend der soziale Status der<br />

bäuerlichen Gesellschaftsschicht<br />

niedrig und daher nicht erstrebenswert ist?<br />

- Werttragende Sozial- und<br />

Lebensformen verfallen?<br />

- die Lebensmittelqualität zu wünschen<br />

übrig lässt?<br />

- die Fruchtbarkeit im Boden, bei den<br />

Tieren und in den Pflanzen zurückgeht?<br />

- der Klimawandel bedrohliche<br />

Konsequenzen in Aussicht stellt?<br />

- viel zu viele Menschen nicht<br />

genug zu essen haben?<br />

- das Lebendige an sich durch einseitige technische<br />

Entwicklungen bedroht ist?<br />

- es auf dem Saatgutsektor zur<br />

Monopolisierung kommen könnte?


- der Einsatz von gentechnisch<br />

verändertem Saatgut, verbunden<br />

mit Vergaben von Patentrechten<br />

auf lebendige Organismen wie ein Damoklesschwert<br />

über der Landwirtschaft hängt?<br />

- bürokratische Reglementierungen Bauern<br />

bewegen könnten, die Landwirtschaft<br />

aufzugeben?<br />

- die Industrialisierung in der Landwirtschaft<br />

der Tendenz zu großflächigen Einheiten<br />

zum Durchbruch verhilft?<br />

- Anbau in unseren Lagen unrentabel wird,<br />

da in klimatischen und geologischen<br />

Gunstlagen und in Ländern mit weniger<br />

entwickelten Sozialstrukturen<br />

ökonomisch vorteilhafter produziert<br />

werden kann?<br />

- die Nahrungsmittelbranche zunehmen<br />

zum Objekt für Spekulationen auf<br />

dem undurchsichtigen Finanzmarkt wird?<br />

- von dort ausgehend mit den Preisen<br />

jongliert wird?<br />

- die ansteigende Produktion von Biosprit<br />

für Spekulationen auf dem Getreidesektor<br />

interessant wird?<br />

Manche dieser Fragen und Vermutungen könnten wir<br />

in die apokalyptischen Prophezeiungen vom Untergang<br />

der Landwirtschaft einreihen. Rohrmoser führt Friedrich<br />

Engels und Friedrich Nietzsche an, welche die Marginalisierung<br />

und Atomisierung der Landwirtschaft schon im<br />

19. Jahrhundert vorausgesagt haben. 3<br />

Die meisten der oben angeführten Vermutungen stärken<br />

die Pessimisten, wonach es mit der Landwirtschaft<br />

3 Vgl. Rohrmoser. Kapitel: „Ethische Verantwortung im Umgang<br />

mit der Natur“<br />

Biodynamischer Landbau<br />

auf jeden Fall bergab geht oder verschleiert ausgedrückt,<br />

dass sie sich im Transformationsstadium befindet. Sie<br />

nehmen den Qualitätsverlust ernst, unterhalten sich<br />

über den Klimawandel, schauen nachdenklich auf die<br />

Patentierung von Leben oder die Monopolisierung des<br />

Saatgutes. Aber im Großen und Ganzen meinen diese<br />

Pessimisten, dass dies eben die Entwicklung sei, gegen<br />

die man nichts unternehmen kann.<br />

Von diesen Aussichten doch leicht beunruhigt schlagen<br />

manche dann die Seiten im Internet auf, welche Informationen<br />

über die Landwirtschaft in der EU bereithalten<br />

und lesen über die Lage der Bauern nach. Da ändert<br />

sich das Bild relativ schnell. Von „gut versorgten“ Bauern<br />

ist da die Rede, dass Klimaschutz und Ressourcenmanagement<br />

in den besten Händen sind, dass Gentechnik<br />

den Hunger in der Welt eindämmen und dass die Landwirtschaft<br />

politisch thematisiert wird und deshalb nichts<br />

zu fürchten habe. Gut abgesicherte Verträge regeln die<br />

Aktionen und Transaktionen in der Landwirtschaft.<br />

Ob die Landwirtschaft sich in der Krise befindet ist<br />

demnach eine Frage des Standortes oder danach, ob man<br />

ein Apokalyptiker, ein Pessimist oder ein gut informierter<br />

Bürger ist.<br />

Es ist klar: Auf diese Weise kommen wir zu keinem Urteil.<br />

Aber welches Kriterium könnten wir finden, damit<br />

eine sinnvolle Anschauung der Situation möglich wird?<br />

Ich werde versuchen, solche Beurteilungskriterien an<br />

den zwei großen, weit in die Zukunft weisenden geistigen<br />

Impulsen, welche Rudolf Steiner 1924 gegeben hat,<br />

zu entwickeln.<br />

1. Impuls:<br />

Rudolf Steiner führte die Teile der Landwirtschaft über<br />

in ein Ganzes<br />

Um die wahre Dimension dieses Bewusstseinsschrittes<br />

verständlich machen zu können, muss ich ein wenig<br />

Seite 109


ausholen.<br />

Rudolf Steiner hat seinen Kurs genannt:<br />

„Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen<br />

der Landwirtschaft“<br />

und Johannes Toegel hat es in der Ringvorlesung unternommen,<br />

über die drei Ebenen der Wirklichkeit einen<br />

Weg dorthin aufzuzeigen. Ich knüpfe an seine Ausführungen<br />

an, mit dem Hinweis auf unseren Begriff von<br />

Kultur.<br />

Dieser leitet sich her vom lateinischen Begriff colere,<br />

colui, cultum, und beschreibt Kulturschaffende menschliche<br />

Fähigkeiten: Bauen, Pflegen, Wahren, Ausbilden,<br />

Sorge tragen, Veredeln, Achten und Ehren. Diese Fähigkeiten<br />

haben mit der Landwirtschaft in zweifacher Weise<br />

zu tun:<br />

Sie sind vom Menschen in seiner Auseinandersetzung<br />

mit der Natur und mit dem<br />

Geistigen entwickelt worden.<br />

Im Grunde sind sie alle Ausprägungen eines<br />

sozialen Handelns. Jegliches verantwortungsvolle<br />

Handeln in der Landwirtschaft ruht in<br />

der einen oder anderen Form auf diesen<br />

Fähigkeiten auf.<br />

Seit der Mensch – in der Sprache der Genesis 4 - durch<br />

seine Verführbarkeit das Paradies verlassen musste, verlor<br />

er auch die bis dahin aufrechte Einheit mit der Natur. 5<br />

Durch mühsames Sammeln und Jagen musste er sein<br />

Überleben sichern. Es ist soziologisch noch nicht ausgehandelt,<br />

ob das Teilen der Beute mit der Gruppe der<br />

erste Schritt zum Verpflegen war, oder die Pflege und<br />

4 Genesis 3,23<br />

5 Heute klingt diese Einheit noch an in einer dunklen Sehnsucht,<br />

wenn Menschen vom Leben im „Einklang mit der Natur“<br />

schwärmen; deshalb ist dieser Begriff auch so werbewirksam.<br />

Seite 110<br />

Biodynamischer Landbau<br />

Ernährung der Kinder durch die Frauen. 6<br />

Ohne die Entwicklung des Sorge tragens füreinander<br />

innerhalb der Gruppen, hätte die Menschheit nicht überleben<br />

können.<br />

Zu gleicher Zeit treten jene Rituale und Opferhandlungen<br />

auf, welche über die Natur hinaus weisen. Wir finden<br />

diese Ansätze in allen Religionen wieder, als Fähigkeiten<br />

nennen wir sie Achten und Ehren.<br />

Mit der Sesshaftwerdung – der großen <strong>landwirtschaft</strong>lichen<br />

Revolution – beginnt der Mensch – wieder im<br />

Worte der christlichen Bibel – sich die Erde untertan zu<br />

machen. Auf der ökonomischen Ebene beginnt der Handel,<br />

Märkte werden geschaffen, Herrschaftsstrukturen<br />

entstehen. Diese Phase ist wohl als Verdichtungsgeschehen<br />

zu bezeichnen. Auf der materiellen Ebene erlernt<br />

der Mensch die Fähigkeit des Bauens und Bebauens;<br />

und des Veredelns. Es gelingt, aus Wildgräsern Getreide<br />

zu züchten. Bestimmte wilde Tiere werden ins Haus<br />

genommen.<br />

In seinem geistigen Ausdruck war der Mensch hier<br />

noch ganz bestimmt von der Empfindungsseele. Er handelte<br />

vornehmlich aus der Empfindung. Am Übergang<br />

zu der Zeit, die wir historisch schon einigermaßen gut<br />

überblicken – also die goetheschen 3000 Jahre – lockerte<br />

sich das enge Verhältnis Mensch-Natur weiter.<br />

Die Natur wird zwar noch mythisch interpretiert und<br />

als organisch empfunden; aber dieses Verständnis beginnt<br />

sich allmählich zu verändern. Die Grundherrschaft<br />

kommt auf. Darauf kann gar nicht genug Augenmerk<br />

gelegt werden: Grund und Boden werden langsam ins<br />

Eigentum genommen – unter die Herrschaft eines Einzelnen<br />

oder Institution genommen.<br />

Die Fähigkeit des Wahrens und Bewahrens entwickelt<br />

6 Sorgo Gabriele: „Abendmahl in Teufels Küche“, Styria Verlag,<br />

2006.


sich über die Ebene des ursprünglichen Aufbewahrens<br />

hinaus.<br />

Mit dem Übergang zur Neuzeit fängt der Mensch zunehmend<br />

an aus der Verstandesseele zu handeln. Das<br />

Naturverständnis verändert sich dahingehend,<br />

dass der Mensch sich emanzipiert von der Vorstellung,<br />

dass die Natur die Schöpfung Gottes sei.<br />

Das mechanistische Weltbild von Descartes (1596-<br />

1650) und Bacon (1561-1626) leitet die Ära des wissenschaftlichen<br />

Strebens nach Beherrschung der Natur ein.<br />

Der Bereich des Ökonomischen gewinnt durch die stetig<br />

wachsende Bedeutung des Geldes an Aufmerksamkeit<br />

und Macht. In der Landwirtschaft kommt es zur Kapitalisierung<br />

und Intensivierung. Mit der industriellen Revolution<br />

wird der letzte Schritt der Objektivierung von<br />

Natur vollzogen:<br />

Natur wird nun aufgefasst als zusammengesetzt aus<br />

Teilen, als Materie. In dieser Materie sind die einzelnen<br />

Teile durch kausale Funktionen miteinander verbunden.<br />

Die Vorstellung von der Natur als ein lebendiges Ganzes<br />

verblasst.<br />

Wenn man diesen Gedanken weiterspinnt, kann man<br />

sagen: Im Verständnis des naturwissenschaftlichen Menschen<br />

ist zu dieser Zeit die Natur zu einer stofflichen<br />

Ressource geworden. In der Forschung wird sie in immer<br />

kleinere Teile zerlegt. Über die Landwirtschaft werden die<br />

Gesetze der Industrie gestülpt, die Vorgänge werden automatisiert,<br />

Technisierung und Intensivierung führen zur<br />

Atomisierung; Monokulturen entstehen. Arbeit wird zur<br />

Ware. Grund und Boden wird zu Spekulationsgut. Die Industrielle<br />

Revolution und der erstarkende Kapitalismus<br />

vollenden gewissermaßen diesen Prozess des Auseinanderdriftens<br />

von Natur und Kultur. „Für Wissenschaft<br />

und Technik ist die Natur eine wertneutrale, vergegenständlichte<br />

Faktenwelt geworden“ 7 , sagte Hans Jonas.<br />

7 Jonas, Hans: „Das Prinzip Verantwortung“, Frankfurt, 1979<br />

Biodynamischer Landbau<br />

Dieser Vorgang wird auch in der Landwirtschaft sichtbar.<br />

Die Hofeinheiten werden aufgeteilt in Wirtschaftszweige,<br />

die Vielfalt fällt einer mechanischen Rationalisierung zum<br />

Opfer, das Hofganze zerfällt also in wirtschaftsrelevante<br />

Segmente.<br />

Der Boden wird zum Standort der Pflanzen, Tierhaltung<br />

wird zur Tierproduktion und Fruchtbarkeit zur Reproduktionsmöglichkeit.<br />

Diese Struktur der Landwirtschaft<br />

hat sich seit damals nicht mehr verändert; nur<br />

der Technisierungs- und Automatisierungsgrad hat zugenommen.<br />

Und die Dimensionen verlieren sich im rein<br />

materialistischen Wertmassstäben.<br />

Das große Verdienst Rudolf Steiners<br />

Rudolf Steiner hat in dieses Chaos der in ihre Teile<br />

zerbrechenden Landwirtschaft, in dieses atomistische<br />

Durch- und Nebeneinander einen geistigen Ordnungsimpuls<br />

gesetzt. Es ist seiner geisteswissenschaftlichen<br />

Forschung zu danken, dass es ihm gelungen ist, die<br />

Teile in einem funktionalen Kreislauf zusammen zu denken<br />

und damit Kosmos, Erde, Boden, Pflanze, Tier und<br />

Mensch bewusst zu verbinden.<br />

Steiner gibt der Natur über seine goetheanistische Naturbetrachtung,<br />

jenes Leben zurück, welches die Aufklärung<br />

ihr abgesprochen hat.<br />

Damit setzt er einen Impuls, der die Voraussetzung<br />

schafft, die Landwirtschaft als organisches Ganzes erfassen<br />

zu können.<br />

In dieser Weise legte er den Grundstein für die <strong>biodynamische</strong><br />

Landwirtschaft.<br />

2. Impuls:<br />

Er hat mit großer geistiger Wahrnehmungsfähigkeit<br />

auf die zerstörerische Kraft einer rein materialistischen<br />

Weltauffassung hingewiesen.<br />

Seite 111


„Und so kann sich heute auch schon der materialistische<br />

Landwirt, wenn er überhaupt nicht ganz dumpf<br />

dahinlebt, sondern etwas nachdenkt über die Dinge, die<br />

sich ja täglich oder wenigstens jährlich ergeben, ungefähr<br />

ausrechnen, in wie viel Jahrzehnten die Produkte so<br />

degeneriert sein werden, dass sie noch im Laufe dieses<br />

Jahrhunderts nicht mehr zur Nahrung der Menschen dienen<br />

können.<br />

Also es handelt sich dabei durchaus um eine<br />

Frage, die im allereminentesten Sinne, ich möchte sagen,<br />

kosmisch- irdische Frage ist. Gerade bei der Landwirtschaft<br />

zeigt es sich, dass aus dem Geiste heraus, Kräfte<br />

geholt werden müssen, die heute ganz unbekannt sind,<br />

und die nicht nur die Bedeutung haben, dass etwa die<br />

Landwirtschaft ein bisschen verbessert wird, sondern die<br />

Bedeutung haben, dass überhaupt das Leben der Menschen<br />

– der Mensch muss ja von dem leben, was die<br />

Erde trägt – , eben weitergehen könne auf Erden, auch<br />

im physischen Sinne.“ 8<br />

Steiner sieht die fatalen Konsequenzen eines rein<br />

materialistischen Handelns schon voraus. Er weist auf<br />

die Notwendigkeit hin, ein Bewusstsein zu entwickeln,<br />

sowohl von den Zusammenhängen zwischen Mensch<br />

und Natur, als auch zwischen Individuum und Gemeinschaft.<br />

8 Steiner, Rudolf: „Landwirtschaftlicher Kurs“, S 12<br />

Seite 112<br />

Biodynamischer Landbau<br />

Bis hinein ins zwanzigste Jahrhundert lebten die<br />

Menschen eingebunden in größere Zusammenhänge.<br />

Gemeinschaften, welche von einer<br />

höheren Instanz geleitet wurden.<br />

Das bedeutet, dass die Regeln, nach denen<br />

die Menschen handelten, von einer<br />

übergeordneten Instanz vorgegeben<br />

wurden. Solche Instanzen finden wir bei<br />

allen Völkern und in allen Kulturen:<br />

die Mysterien, die Klöster, die Pharaonenpriester<br />

und so fort.<br />

Das Ideal der Freiheit des Individuums<br />

Durch die Individualisierung tritt der<br />

einzelne Mensch heraus aus diesen<br />

Gemeinschaften und Traditionen und<br />

beginnt sein Handeln zunehmend<br />

selbst zu bestimmen.<br />

Das bedeutet, dass er sich ein Bewusstsein<br />

von seinem Tun erringen muss.<br />

Er ist aufgefordert, seine eigenen<br />

ethischen Maßstäbe zu finden.<br />

Mit diesem Schritt in die eigene Freiheit kann er aber<br />

auch die Verantwortung für sein Handeln nicht mehr delegieren.<br />

Jeder muss sein Handeln selbst prüfen, muss<br />

sich darüber Rechenschaft ablegen, ob es dem sozialen<br />

Miteinander auf diesem Planeten zuträglich ist. Darin<br />

sind alle Fragen nach Nachhaltigkeit, Umgang mit Ressourcen,<br />

Verbindlichkeit im sozialen Miteinander, Solidarität<br />

im Ökonomischen eingeschlossen.<br />

Wir können einen Weg heraus aus der Krise nur finden,<br />

wenn wir bedenken, dass alle Kultur bestimmt ist


durch unser Verhältnis zur Natur. Es geht darum ein<br />

neues Denken, ein neues Bewusstsein zu finden über<br />

dieses Verhältnis.<br />

Verbunden mit den Anregungen und den Hinweisen<br />

im Landwirtschaftlichen Kurs können die angesprochenen<br />

Kulturfähigkeiten helfen eine neue <strong>landwirtschaft</strong>liche<br />

Kultur zu schaffen.<br />

Verpflegen<br />

Verpflegen ist wohl die tiefste Dimension der <strong>biodynamische</strong>n<br />

Landwirtschaft.<br />

Hier geht es ganz essentiell um die Einstellung zum<br />

anderen Menschen. Die große Frage lautet: Welche Lebensmittel<br />

bringe ich aus meiner Landwirtschaft hervor?<br />

Denke ich die Lebensmittel nur stofflich, beurteile ich<br />

sie ausschließlich nach Ergebnissen verschiedener Analysen?<br />

Oder ist es mir ein Anliegen, Lebensmittel hervorzubringen,<br />

welche den Menschen auch Nahrung sind für<br />

Seele und Geist?<br />

Insofern ein Bauer/ eine Bäurin menschengerechte<br />

Lebensmittel herstellen will, muss er/sie sich mit „dem<br />

Menschen“ beschäftigen. Das bringt ihn/sie zum Nachdenken<br />

über die Dreigliederung des menschlichen Organismus,<br />

über die Zusammenhänge von Krankheit<br />

und Gesundheit, über das Seelische und das Geistige,<br />

das Ätherische und das Ich-Bewusstsein hin zu den Tätigkeiten<br />

des Denkens, des Fühlens und des Wollens.<br />

Dieses Nachdenken verbunden mit dem Wunsch<br />

lebenfördernde Nahrungsmittel herzustellen, führt zu<br />

einem behutsameren Umgang mit dem Lebendigen, mit<br />

der Natur. Ihre Wachstumsprozesse, ihre Rhythmen und<br />

Zyklen bis hin zur Reife rücken stärker ins Bewusstsein.<br />

Biodynamischer Landbau<br />

Bebauen<br />

In der Entscheidung, wie der Boden gepflügt oder<br />

auch nicht gepflügt wird, drückt sich das Verständnis<br />

des Bauern für den Boden aus. Es wird sichtbar, ob er<br />

imstande ist, diesen Boden als lebendigen Organismus<br />

aufzufassen. Die Frage nach einem bodengerechten Bebauen<br />

führt über das Umschichten der Erde hinaus direkt<br />

zur Kompostbereitung unter Hinzunahme der Kompostpräparate,<br />

zur Anwendung der Präparate Hornmist und<br />

Hornkiesel, zur Fruchtfolge und zu heilenden Maßnahmen<br />

mit speziellen Heilkräuter-Tee-Anwendungen. Auch<br />

die Konstellationsforschung wird ins Bewusstsein hereingenommen.<br />

Ein fragender, beobachtender Umgang mit<br />

dem Boden zwingt den Bauern/ die Bäurin zu überlegen,<br />

wie schwer die Maschinen sein dürfen, mit welchen er/<br />

sie das Feld bearbeitet, bei welchem Feuchtigkeitsgrad<br />

er/sie ins Feld hinein fährt. Er/sie beginnt eine Empfindung<br />

dafür auszubilden und langsam entwickelt er/sie in<br />

sich eine Bodenkultur.<br />

Bewahren<br />

Das Rätsel des Lebens und seiner Entstehung liegt<br />

trotz großer wissenschaftlicher Anstrengungen noch immer<br />

im Dunkeln. Wir können nur die Bedingungen schaffen,<br />

dass dieses Leben weiterleben kann. Dass auf den<br />

Feldern Pflanzen wachsen, Tiere sich vermehren.<br />

Wir wissen aus vielen Berichten, wie ganze Landstriche<br />

unfruchtbar gemacht werden (Abholzungen in den<br />

Regenwäldern und anschließender Raubbau, Verwüstung,<br />

Erosionsschäden,…) und dass die Unfruchtbarkeit<br />

bei den Tieren zunimmt.<br />

Das Bewahren der Möglichkeit des Lebendigen wird<br />

damit zur großen Aufgabe. Die Menschen in der <strong>biodynamische</strong>n<br />

Landwirtschaft sind herausgefordert, jene<br />

Seite 113


Zusammenhänge in den Naturreichen zu erfassen, die<br />

Leben ermöglichen. Bei den Pflanzen ist es die umfassende<br />

Frage der Züchtung, die Erhaltung und Pflege von<br />

samenfesten Sorten. Es bedarf der bewussten Hinwendung,<br />

der aufwändigen Auseinandersetzung und des<br />

Verzichts auf ein einseitiges, quantifizierendes Denken<br />

und Wollen. In diesem Fall schafft gerade dieser Verzicht<br />

Kultur. Die Opferung einer reinen Leistungsorientierung<br />

ist auch im Stall zu bringen. Die entsprechende Fütterung,<br />

die ernsteste Zuchtauswahl muss hier das Tun leiten.<br />

So auch die geistige Beschäftigung mit den Themen<br />

des Organismus und der Lebensprozesse. Die Übung,<br />

den Blick immer wieder aufs Ganze zu richten, wird zur<br />

täglichen Notwendigkeit.<br />

Veredeln<br />

Diese Fähigkeit ist in besonderer Weise mit der Biodynamik<br />

verbunden. Das Bestreben, das Lebendige bis<br />

Seite 114<br />

Biodynamischer Landbau<br />

in die Lebensmittel hinein zu bergen und zu bewahren,<br />

zeichnet die Bemühungen in der <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft<br />

aus. Die Einsicht, dass EDEL MACHEN nicht<br />

auf Kosten des Lebendigen betrieben werden darf, ist<br />

hier schon weit entwickelt.<br />

Veredeln bedeutet tendenziell das Verbessern bereits<br />

vorhandener Qualitäten. Damit ist auch die Zuchtarbeit<br />

angesprochen. Diesmal nicht im Sinne der Erhaltung<br />

der Lebensmöglichkeiten, sondern in der bewussten<br />

Auswahl bestimmter Zuchtmerkmale. In diesem Zusammenhang<br />

ist die geistige Beschäftigung mit den Vorstellungen<br />

über Zucht von größter Bedeutung, damit die<br />

Auswahl nicht zur Manipulation wird.<br />

In der Beschäftigung mit der Zucht sind höchste ethische<br />

Wertmaßstäbe zu suchen. Die Frage nach dem<br />

Maßhalten – bei den Griechen eine der vier Kardinaltugenden<br />

– spielt dabei eine große Rolle.<br />

Veredeln enthält als Wortstamm „edel“ und dies<br />

verweist uns auf die ästhetische Dimension alles Seienden.<br />

Darum darf bei der Zucht die ästhetische Dimension,<br />

sowohl der Form als auch der Farbe und Größenverhältnisse<br />

nach, niemals außer Acht gelassen werden. Im<br />

Bedenken und geistigen Bewegen dieser Einzelfaktoren<br />

und gesamtbildlichen Elemente bei Zuchtüberlegungen<br />

schulen wir als Menschen auch unsere eigene ästhetische<br />

Urteilskraft. Wir lernen dabei, unsere intuitive<br />

Wahrnehmung zu erfassen.<br />

Die Welt des Seienden ist nicht nur zu beurteilen nach<br />

Masse und Gewicht, sondern auch nach Schönheit und<br />

Proportion.<br />

Achten<br />

Von Kultur können wir nur sprechen, wenn menschliches<br />

Tun Ausdruck einer physischen, seelischen und


geistigen Tätigkeit wird. Damit ist gemeint, dass wir<br />

als Menschen das rein instinktive Handeln übersteigen<br />

müssen, indem wir unsere seelischen und geistigen Dimensionen<br />

aufrufen.<br />

Vom Wortstamm her finden wir den Begriff achten<br />

noch in anderen Wörtern beachten, betrachten und beobachten.<br />

Diese haben alle mit dem Schauen, dem Hinschauen,<br />

dem inneren und äußeren Anschauen zu tun.<br />

Es ist im Vortrag von Wilhelm Erian sehr schön<br />

beschrieben, wie im beobachtenden, betrachtenden<br />

und beachtenden Hinschauen auf ein lebendiges Wesen<br />

Beziehung entsteht. Durch ein rein materielles Taxieren<br />

bleibt dieser Zugang verwehrt. Denn nur in dem Augenblick,<br />

wo ich das Lebendige in diesem anderen Wesen<br />

erfasse, erkenne ich es als ein Mitgeschöpf und wird es<br />

eine Sehnsucht in mir auslösen, es näher kennen zu lernen.<br />

In diesem Kennenlernen zeigen sich die wesensgemäßen<br />

Merkmale wie von selbst, durch die Hinwendung<br />

sehe ich als Mensch, was dieses andere Wesen – sei es<br />

Tier oder Pflanze oder Boden – braucht. Dies lässt in<br />

der Seele des Menschen eine Fähigkeit wachsen, welche<br />

wir mit Achten bezeichnen. Dieses Achten ist aber kein<br />

Soll-Gebot, wie wir es in den Religionen als Verhaltensanleitung<br />

finden. Dieses Achten entwickelt sich im be-<br />

Biodynamischer Landbau<br />

achtenden und betrachtenden Beziehungsgeschehen im<br />

Seelischen des Menschen zu einem integralen Bestandteil<br />

seiner Persönlichkeit. Es beinhaltet die Möglichkeit<br />

sich auf alles Lebendige auszuweiten. Das schafft auch<br />

ein Bewusstsein von der Ganzheit der Schöpfung.<br />

Mit dieser Kulturfähigkeit verbunden ist die spirituelle<br />

Ausformung dieses Geschehens – das Ehren. Es zeigt<br />

von tiefem Verständnis, wenn ein Mensch für das je Vorgefundene<br />

ein Gefühl der Dankbarkeit und des Ehrens<br />

entwickeln kann.<br />

Rudolf Steiner zeigt in seinem Buch „Wie erlangt man<br />

Erkenntnisse der höheren Welten“ den Schulungsweg<br />

auf, welcher zu dieser Kulturfähigkeit führen kann. 9<br />

Mit diesen Ausführungen möchte ich einen Weg<br />

aufzeigen, wie wir als bewusst handelnde<br />

Individuen durch die Verwirklichung unserer Kulturfähigkeiten<br />

und der Beachtung der Hinweise<br />

zur <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft eine neue<br />

Kultur auf den Höfen entwickeln können.<br />

Diesen Vortrag hielt Waltraud Neuper am 23.1.2009 im<br />

Rahmen der Ringvorlesung an der Universität für Bodenkultur<br />

in Wien.<br />

9 Steiner, Rudolf: „Wie erlangt man Erkenntnisse der<br />

höheren Welten?“, Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1982<br />

Seite 115


Seite 116<br />

Biodynamischer Landbau


Biodynamischer Landbau<br />

Entwicklung von Naturverständnis, Kulturfähigkeiten und Aspekte von Wirtschaftlichkeit - (Tafelbild übertragen)<br />

Epochale Paradies Vertreibung Seßhaftwerdung Mittelalter Neuzeit Industrielle Revolution<br />

Enttwicklung Mensch ist Mensch bleiebt Mensch beginnt sich Verständnis von Natur Zunehmende Emanzi- Natur wird rein stofflich<br />

ineins mit der verbunden mit der die Erde untertan zu teilweise noch my- pation des Menschen begriffen; Natur ist nicht<br />

Natur und dem Natur - stellt sich machen. thisch, aber schon von der Natur als mehr beseelt;<br />

Göttlichen, ihr aber objektiv Ganzheitliches, Übergang zur Auffas- Schöpfung. Entwick- Natur wird nicht mehr als<br />

Geistigen. gegenüber. mystisches Natur- sung der Natur als lung des mechanisti- lebendiges Ganzes ver-<br />

(Gen3,23) verständnis ein Organismus schen Weltbildes. standen; Natur wird ge-<br />

Beherrschung der Na- dacht als Materie und<br />

tur als Ziel der Naturwissenschaften.<br />

Teilchen.<br />

Aspekte der Überleben sichern, Tauschhandel, Landwirtrschaft wird Technische Beherr- Gesetze der Industriali-<br />

Entwicklung Stillen der biologi- Märkte, zunehmend Medium schung der Natur sierung werden auf die<br />

der Wirtschaft schen Bedürfnisse. Herrschaftsstrukturen der Politik. wird Thema. Landwirtschaft übertragen:<br />

Hierarchien Grundherrschaft; Landwirtschaftl. Technisierung<br />

Entwicklung Entwicklung Landwirtrschaftliche Produkte werden in Intensivierung<br />

der der Kulturfähig- Produkte werden Geld verwandelt. Automatisierung folgen.<br />

Kultur- keiten aus dem Verpflegen der Handelsgut. Akkumulation. Künstliche Verknappung<br />

fähigkeiten Sozialen Gruppe, der Bauen, Bebauen Beginn der Kapitali- zur Preis- und Marktge-<br />

Gemeinschaft Veredeln Bewahren sierung der Land- staltung. Die Landwirt-<br />

Sorge Tragen Ausbilden wirtschaft, Intensi- schaft wird zur großen<br />

vierung durch Technik Industrieanlage.<br />

Achten und Ehren des Göttlichen in Ritualen<br />

und Düngung. Arbeit wird zur Ware.<br />

Entwicklung der<br />

Seelenanteile<br />

E M P F I N D U N G S S E E L E<br />

Noch ganz<br />

V E R S T A N D E S S E E L E<br />

unbewusst E N T W I C K L U N G D E S D E N K E N S A U S D E M T U N<br />

Seite 117


Autorenliste:<br />

Florian Amlinger ist Diplom-Agraringenieur,<br />

Gründungs- und Vorstandsmitglied<br />

Europäisches Kompost Netzwerk (ECN/ORBIT<br />

e.V.) Vorsitzender des Fachnormenkomitees:<br />

„Biologische Abfallbehandlung und -verwertung“<br />

des Österreichischen Normungs-instituts.<br />

Markus Buchmann, Dr. lebt in Winterthur<br />

und arbeitet seit 14 Jahren als freier Mitarbeiter<br />

in der Getreide-züchtung Peter Kunz, einem<br />

Züchtungsunternehmen, das Weizen- und<br />

Dinkelsorten für biologischen und biologischdynamischen<br />

Anbau züchtet. Außerdem amtiert<br />

er als Vorstand im Verein für Bildekräfteforschung.<br />

Er bearbeitet Forschungsprojekte im<br />

Bereich Lebensmittelqualität unter der speziellen<br />

Fragestellung: Was ist die besondere Qualität<br />

an Produkten aus <strong>biodynamische</strong>m Anbau?<br />

Wilhelm Erian Ing., ist <strong>Demeter</strong>bauer in Kraindorf<br />

in Kärnten.<br />

Reinhild Frech-Emmelmann ist Geschäftsführerin<br />

und Pflanzenzüchterin bei Fa. ReinSaat KG.<br />

Oskar Grollegger: Seit 1977 Erhaltung von Getreide-<br />

Landsorten, Beobachtung von Phaseolus Populationen.<br />

Bertold Heyden Dr.: Studium der Biochemie.<br />

Promotion: Grundlagenforschung in der Molekularbiologie,<br />

Max-Planck-Institut für Virus-forschung,<br />

Tübingen. 1974: drei Jahre Mitarbeit am C.G. Carus<br />

Institut, Niefern-Öschelbronn (Krebstherapie; Heilmittel<br />

aus der Mistel), Arbeitsgebiet: Goetheanistische<br />

Seite 118<br />

Biodynamischer Autorenliste Landbau<br />

Botanik. 1977: zehn Jahre Lehrer für Biologie und Chemie<br />

an der Freien Waldorfschule am Bodensee, Überlingen-<br />

Rengoldshausen.1987: Gründung „Verein zur Förderung<br />

der Saatgutforschung im biologisch-dynamischen<br />

Landbau e.V.“ und des Keyserlingk-Institut (1988).<br />

Seitdem in Zusammenarbeit mit biologischdynamischen<br />

Bauern am Bodensee: Saatgutforschung<br />

und Getreidezüchtung (Weizen und Roggen)<br />

durch Auslese aus Hofsorten. Ab Herbst 2003:<br />

Anbau der neu selektierten Regionalsorten in<br />

Kooperation mit vier Bäckereien am Bodensee.<br />

Laufende Forschungsprojekte: (1)<br />

Bedeutung der Grannenbildung und (2) Züchtung<br />

und erste Anbauversuche mit einem Wildgetreide<br />

(Dasypyrum villosum).<br />

Christian Hiß aus Freiburg im Breisgau ist<br />

Gärtnermeister, Gründer und Vorstandsmitglied der<br />

Regionalwert –AG.<br />

Rudolf Keiblinger-Bartsch, Mag. leitet als<br />

Geschäftsführer die sozialtherapeutische Einrichtung<br />

„Lebensgemeinschaft Wurzerhof“.<br />

Ursula Kothny: Geboren 1953 in Nürnberg; Besuch<br />

der dortigen Waldorfschule; Studium der Soziologie.<br />

Seit 1978 <strong>biodynamische</strong> Bäuerin in der Oststeiermark;<br />

Ausbildungen in Organisationsentwicklung, Biografiearbeit,<br />

Gerontologie.<br />

Als Bäuerin setzt sie sich vor allem mit Fragen der fossilen<br />

Energienutzung auseinander. Wie wirkt der tägliche<br />

stundenlange Umgang mit Verbrennungsmotoren auf<br />

die Persönlichkeit und die individuelle Entwicklung?<br />

Welche sozialen, ökonomischen und organisatorischen<br />

Bedingungen sind notwendig, damit <strong>landwirtschaft</strong>liche<br />

Betriebe zu Oasen für geistige Entwicklung werden<br />

können und somit Lebens- und Arbeitsstätten für<br />

spirituelle Entfaltung?


Hannes Neuper: Von 1983 bis 2006 <strong>Demeter</strong>landwirt<br />

in der Steiermark.<br />

Vorstand der <strong>Demeter</strong> Produkte GmbH.<br />

Waltraud Neuper, Mag. war Lehrerin,<br />

<strong>Demeter</strong>bäuerin, arbeitet mit am Aufbau einer<br />

Weiterbildung für <strong>biodynamische</strong> Lebensfelder.<br />

Leopold Selinger, Dr. war Tierarzt in Kärnten<br />

und zählt zu jenem Menschenkreis, welcher den<br />

Österreichischen <strong>Demeter</strong>bund in Österreich<br />

aufbauen half. Er begleitete die Arbeitsgruppe Kärnten/<br />

Steiermark mit seinem Fachwissen als Tierarzt<br />

und mit seinem Verständnis von Anthroposophie.<br />

Walter Sorms: Landwirtschaftsmeister, seit 1985 bewirtschaftet<br />

er mit seiner Frau das Hofgut Rengoldshausen<br />

am Bodensee.<br />

Elisabeth Stöger, Dr., arbeitet als Tierärztin in<br />

Kärnten.Frau Dr. Stöger wurde 1965 in St. Pölten,<br />

NÖ. geboren. Studium der Veterinärmedizin in Wien,<br />

Promotion 1996. Seit 1996 tierärztlich tätig in Kärnten<br />

mit Schwerpunkt Wiederkäuer in verschiedenen<br />

Tierarztpraxen. Seit 1990 Beschäftigung mit<br />

Homöopathie und Phytotherapie, seit 1994 Mitglied<br />

der Internationalen Gesellschaft für Anthroposophische<br />

Tiermedizin (IGAT).<br />

2005-2008 Durchführung des Projektes<br />

„Wiederkäuer-gesundheit im Biolandbau“ mit<br />

Bestandsberatungen und -sanierungen und<br />

Fortbildung für Landwirte österreichweit<br />

Johannes Toegel, Dr. Mag., Musiker, Theologe und<br />

Philosoph, lebt abwechselnd auf einem Kärntner Bergbauernhof<br />

und in einer Einsiedelei im Himalaja. Arbeitet<br />

zusammen mit einem tibetischen Meister seit<br />

mehr als 25 Jahren an der Verbindung von östlicher und<br />

westlicher Kultur und Spiritualität, Seminarleiter und<br />

Biodynamischer Autorenliste Landbau<br />

Meditationslehrer, Begründer und Leiter des Wisdom<br />

Science Project.<br />

Johannes Zwiauer, Dr. Jahrgang 1922, war fast<br />

fünf Jahrzehnte Produktionsleiter und zuletzt pharmazeutischer<br />

Geschäftsführer der Firma WELEDA<br />

Wien und in der Anthroposophischen medizinischpharmazeutischen<br />

Bewegung durch Vorträge, Seminare<br />

und schriftliche Arbeiten bis heute tätig.<br />

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