Sammelband biodynamische landwirtschaft i ... - Demeter
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Biodynamische<br />
Landwirtschaft I<br />
Ausgewählte Vorträge aus Bildung und Weiterbildung 2008
Biodynamischer Landbau<br />
Biodynamische Landwirtschaft I<br />
Eine Auswahl von Vorträgen<br />
aus Bildung und Weiterbildung 2008<br />
Herausgeber:<br />
Lehr- und Forschungsgemeinschaft<br />
für <strong>biodynamische</strong> Lebensfelder<br />
Seite 1
Danksagung, Impressum<br />
Danksagung<br />
Die Lehr- und Forschungsgemeinschaft<br />
für <strong>biodynamische</strong> Lebensfelder bedankt sich bei<br />
den Referentinnen und Referenten für die Beiträge.<br />
Dank für die finanzielle Unterstützung zur<br />
Herausgabe dieses <strong>Sammelband</strong>es:<br />
Impressum:<br />
Herausgeber:<br />
Lehr- und Forschungsgemeinschaft<br />
für <strong>biodynamische</strong> Lebensfelder<br />
In der Auen 543<br />
8583 Edelschrott<br />
Tel: 03144 35 45<br />
Für den Inhalt verantwortlich:<br />
Die Autorinnen und Autoren.<br />
Die Vorträge wurden von<br />
Hörerinnen und Hörern bearbeitet<br />
und nach Rücksprache mit den<br />
Referentinnen und Referenten<br />
von diesen zur Veröffentlichung freigegeben.<br />
Redaktion: Waltraud Neuper mit<br />
technischer Unterstützung von<br />
Helga Pietsch<br />
Layout, Satz, Bildbearbeitung: Siegfried Reiter<br />
Gesamtherstellung: Druckerei IRIS, Judenburg<br />
Seite 3
Die biologisch-dynamische Landwirtschaft fußt auf<br />
den geisteswissenschaftlichen Forschungen von Rudolf<br />
Steiner. Damit setzt sie sich von anderen Strömungen<br />
innerhalb der Ökologischen Landwirtschaft ab. Ihr<br />
Blickwinkel ist nicht nur naturwissenschaftlich begründet,<br />
sondern auch geisteswissenschaftlich verortet<br />
und reflektiert. In Interpretationen aber auch Erkenntnisweisen<br />
oder Modellen liefert sie einen erweiterten,<br />
man könnte auch sagen grundlegend anderen Zugang<br />
zu den Naturwissenschaften, ohne dass deren herkömmliche<br />
Wissensbestände in Frage gestellt werden.<br />
Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften stehen<br />
in einem wechselseitigen Verhältnis. Dieser eigene<br />
Zugang wird auch in der Sprache erfahrbar. Begriffe wie<br />
„Gestaltbildung, Erdorganismus,<br />
Seite 4<br />
Vorwort<br />
Vorwort<br />
Pflanzenseele oder Kräftebewegung“ oder Formulierungen<br />
wie „die Geste des Wachstums“ erschließen<br />
neue Erkenntnisfelder für den Umgang mit der Natur.<br />
Die rege Teilnahme der Studierenden an diesem Freifach<br />
unterstreicht, dass diese an unterschiedlichsten<br />
Zugängen zur Landwirtschaft interessiert sind. Dieser<br />
Reader umfasst von den Studierenden erstellte Texte,<br />
basierend auf den Vorträgen der Fach-ReferentInnen.<br />
Die Texte stellen einen Versuch dar, ein Abtasten im<br />
Umgang mit der durchaus anspruchsvollen biologisch-dynamischen<br />
Landwirtschaft und deren Grundlegungen.<br />
Sie dienen einem internen LeserInnenkreis zur<br />
Orientierung. Sie bedürfen noch einer weiteren Diskussion<br />
und der Vertiefung.<br />
Univ.Prof. Dr. argr. biol. Bernhard Freyer
Danksagungen, Impressum 3<br />
Vorwort Bernd Freyer 4<br />
Einleitung Waltraud Neuper 6<br />
Biodynamik als ganzheitlicher Ansatz:<br />
Etwas zum Verständnis des<br />
anthroposophischen Weltbildes<br />
Johannes Zwiauer 9<br />
Geistige Grundlagen der <strong>biodynamische</strong>n<br />
Landwirtschaft<br />
Johannes Toegel 12<br />
Zur Bildekräfteforschung:<br />
Was ist die besondere Qualität von Produkten<br />
aus <strong>biodynamische</strong>m Anbau?<br />
Markus Buchmann 23<br />
Etwas über den Organismus<br />
Ursula Kothny 29<br />
Der <strong>landwirtschaft</strong>liche Organismus<br />
Rudolf Keiblinger-Bartsch 34<br />
Über den Prozess des Potenzierens<br />
Johannes Zwiauer 38<br />
Zwei Vorträge zum Themenkreis Boden:<br />
Der Boden als lebendiger Organismus<br />
Walter Sorms 39<br />
Grundelemente der Umwandlungsprozesse<br />
während der Kompostierung<br />
Florian Amlinger 44<br />
Zum Wesen der Pflanze:<br />
Einführung in das Wesen der Pflanze<br />
Bertold Heyden 52<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Einführung in die goetheanistische<br />
Erkenntnisweise anhand<br />
der Metamorphose der Pflanze<br />
Reinhild Frech-Emmelmann 59<br />
Annäherung an den Erdapfel<br />
Oskar Grollegger 67<br />
Zum Tier in der <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft:<br />
Zum Wesen des Haustieres<br />
Elisabeth Stöger 74<br />
Biodynamische Betrachtungen über das Tier(ische)<br />
in der Landwirtschaft und in uns -<br />
Überlegungen zur Haustierhaltung hinsichtlich der<br />
Auswirkung auf den <strong>landwirtschaft</strong>lichen Organismus<br />
Wilhelm Erian 80<br />
Praktische Maßnahmen zur Parasitenregulierung<br />
bei Schaf und Ziege<br />
Hannes Neuper 93<br />
Tierzucht im geschlossenen Organismus<br />
einer Landwirtschaft<br />
Leopold Selinger 96<br />
Neue Kooperationsformen in der Landwirtschaft<br />
Die Regionalwert-AG: eine Bürgeraktiengesellschaft<br />
Christian Hiß 104<br />
Kulturphilosophische Betrachtung:<br />
Biodynamischer Landbau als Antwort auf die<br />
Kultur- und Ökologiekrise in der Landwirtschaft<br />
Waltraud Neuper 108<br />
Autorenliste 118<br />
Seite 5
Einleitung:<br />
Biodynamischer Landbau wurde seiner Idee nach im<br />
Rahmen einer „Bildungsveranstaltung“ - dem Koberwitzer<br />
Kurs - grundgelegt. Bauern luden Rudolf Steiner<br />
ein, etwas zur Landwirtschaft zu sagen. Diese Bauern<br />
verspürten den Antrieb, sich in Fragen ihrer <strong>landwirtschaft</strong>lichen<br />
Arbeit Rat und Anregungen zu holen. Zwei<br />
Aspekte sind dabei bemerkenswert: Zum einen luden<br />
sie mit dem Anthroposophen Rudolf Steiner einen mit<br />
Landwirtschaft in keiner Weise befassten Referenten ein.<br />
Zum anderen trat das Phänomen auf, dass diese Bauern<br />
sich selbst weiterbilden wollten, um den zunehmenden<br />
Problemen in der Landwirtschaft begegnen zu können.<br />
Diese Tatsache kann gar nicht hoch genug bewertet<br />
werden: Ihre Initiative drückt das Bedürfnis und die Absicht<br />
aus, dass sie sich ein Bild machen wollten von den<br />
Zusammenhängen und Prozessen in einer durch neue<br />
Methoden sich verändernden Landwirtschaft. Hier haben<br />
sich Initiative und Impuls verbunden. Auf diesen<br />
beiden Eckpfeilern – Initiative und Impuls – entwickelte<br />
sich die <strong>biodynamische</strong> Landwirtschaft.<br />
Die gegenwärtig sich beschleunigenden Veränderungen<br />
in allen Bereichen der Landwirtschaft, die zunehmende<br />
Orientierung an technischer Machbarkeit bestimmen<br />
die neuen Wertegrundlagen und Zielvorgaben.<br />
Daran kann auch die <strong>biodynamische</strong> Landwirtschaft<br />
nicht vorbeischauen. Sie muss den Diskurs darüber führen,<br />
welche Bedeutung sie innerhalb dieses Geschehens<br />
erlangen will. Da treten naturgemäß zuallererst Fragen<br />
auf; solche nach der Anpassung in der technischen<br />
Seite 6<br />
Einleitung<br />
Aufrüstung, oder der Lockerung der strengen Richtlinienvorgaben,<br />
z.B. bezüglich der Tierhaltung. Solche<br />
Überlegungen rütteln am konzeptionellen Gefüge und<br />
somit am grundlegenden Selbstverständnis der <strong>biodynamische</strong>n<br />
Landwirtschaft.<br />
Daraus formuliert sich gewissermaßen eine existenzielle<br />
Entscheidungsfrage: Leiten allein die Richtlinien<br />
die <strong>biodynamische</strong> Arbeit oder intendiert die bewusstseinsmäßige<br />
Durchdringung der geistigen Grundlagen<br />
das Tun?<br />
Diese reflexive Fragestellung führte zur Erkenntnis,<br />
dass ein Raum für Bildung geschaffen werden muss.<br />
Es geht darum, uns ein Bewusstsein von den geistigen<br />
Grundlagen der <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft zu erarbeiten.<br />
Das ist von jedem Einzelnen und gleichzeitig<br />
von der Gemeinschaft zu leisten. Im Herbst 2008 wurde<br />
dieser „Bildungs-Raum“ mit dem Beginn der Weiterbildung<br />
für praktizierende Biodynamiker eröffnet. Zu den<br />
Grundthemen Boden, Pflanze, Tier und Organismus<br />
wurde jeweils ein Vortrag gehalten. Es ging vorerst einmal<br />
darum, sich ein Bild vom Naturverständnis in der<br />
<strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft zu erarbeiten. Das bedeutet,<br />
•die Viergliederung beziehungsweise die Dreigliederung<br />
kennen zu lernen,<br />
•das Wesen der Pflanze in Verbindung mit der Metamorphose<br />
und der Urpflanze zu erfassen,<br />
•das Tier in seiner Beziehung zum Menschen und<br />
in seiner Bedeutung für die <strong>biodynamische</strong> Landwirtschaft<br />
zu begreifen und<br />
•den Organismus als Ganzes zu verstehen, ohne<br />
seine Teile aus den Augen zu verlieren.
In diesem Sinne soll dieser <strong>Sammelband</strong> verstanden<br />
werden als ein Zusammentragen jener Bilder, welche in<br />
dieser Weiterbildungsreihe entstanden sind.<br />
Darüber hinaus sind einige Vorträge, welche im Rahmen<br />
der Ringvorlesung „Biologisch-dynamischer Landbau“<br />
gehalten wurden, von Studierenden für diese Sammlung<br />
bearbeitet in Schriftform übertragen worden.<br />
Weiters finden sich in diesem <strong>Sammelband</strong> Beiträge<br />
aus den Bauern-Arbeitsgruppen.<br />
Die Auswahl soll drei Aspekte dokumentieren: die<br />
Ebenen der geistigen Auseinandersetzung mit der Biodynamik<br />
sollen sichtbar, die Themenvielfalt dokumentiert<br />
werden und der Hinweis darauf, dass wir mit dieser Arbeit<br />
am Anfang stehen, soll nicht fehlen.<br />
Die Anordnung der Themen orientiert sich an den natürlichen<br />
Gegebenheiten in der Landwirtschaft: Boden,<br />
Pflanze, Tier, Mensch und Organismus.<br />
Der Vortrag von Walter Sorms nähert sich von seinen<br />
praktischen Erfahrungen ausgehend an den Boden an.<br />
Es gelingt ihm, den oft und durchaus auch missverständlich<br />
gebrauchten Begriff des Bodenlebens differenziert in<br />
einen, mit der Praxis sich verbindenden Zusammenhang<br />
zu bringen. Indem Walter Sorms immer wieder Bezug<br />
nimmt auf seine tägliche Arbeit, gewinnt der Vortrag eine<br />
plastische Dimension.<br />
Florian Amlinger bietet mit seiner Darstellung einen<br />
völlig anderen Zugang zum Thema Boden. Er versucht<br />
anhand vieler Diagramme, Bilder und Skizzen darzulegen,<br />
wie abgestorbene organische Substanzen durch die<br />
Einleitung<br />
Kompostierungsprozesse in neues Lebendiges über geführt<br />
werden können. Er dokumentiert dabei die hervorragende<br />
Bedeutung des Stallmistes für den Humusaufbau<br />
des Bodens. Ein geistig und sinnlich eindrucksvolles<br />
Erlebnis ist die Einführung in das Wesen der Pflanze<br />
durch Bertold Heyden. Mit feinfühligem Spürsinn führt<br />
er die Bauern und Bäuerinnen hin zur Metamorphose<br />
der Pflanze im Stile der goetheanistischen Naturbetrachtung.<br />
Seine derzeitige Züchtungsarbeit an Wildgräsern<br />
bildet den zweiten Schwerpunkt. Dasselbe Thema hat<br />
Reinhild Frech-Emmelmann für die Studierenden der<br />
Ringvorlesung „Biologisch-dynamischer Landbau“ entwickelt.<br />
Auch hier ruft diese Betrachtungsweise Staunen<br />
hervor. Beide Vorträge machen darauf aufmerksam,<br />
dass im Umgang mit der Pflanze übende Betrachtung<br />
von großer Bedeutung ist. Zum Themenkreis Pflanze ist<br />
in diesen <strong>Sammelband</strong> auch ein Beitrag aus der Arbeit<br />
der regionalen Bauern-Arbeitsgruppen aufgenommen<br />
worden. „Die Annäherung an den Erdapfel“ von Oskar<br />
Grollegger enthält einige Hinweise, wie die Saatgutqualität<br />
von Erdäpfeln verbessert werden kann.<br />
Damit verlassen wir das Naturreich der Pflanze und der<br />
Vortrag von Willi Erian führt uns in erzählend anschaulicher<br />
Form an das Tier(ische) in der Landwirtschaft und<br />
in uns heran. Elisabeth Stögers Ausführungen zum Wesen<br />
des Haustieres erweitern das Bild in Richtung Domestikation<br />
und eine Praxisanleitung von Hannes Neuper<br />
zur Parasitenregulierung bei Schafen und Ziegen zeigen<br />
einen relevanten Zusammenhang von Haltung, Fütterung<br />
und Krankheit auf.<br />
Seite 7
Die Beiträge, die im vierten Teil zusammengefasst<br />
sind, können als jene gesehen werden, welche die drei<br />
Grundthemen Boden - Pflanze - Tier zum Teil verbinden<br />
oder in der einen oder anderen Weise grundlegen. So<br />
werfen die beiden Kurzvorträge von Johannes Zwiauer<br />
über die Viergliederung der Natur und die Dreigliederung<br />
jedes Organismus ein Licht auf das anthroposophische<br />
Welt- und Naturverständnis. Ursula Kothny weist mit ihren<br />
Gedanken über den Organismus darauf hin, dass jedes<br />
Lebendige immer ein Ganzes ist – auch der Hoforganismus<br />
– und Johannes Toegel spricht über die geistigen<br />
Grundlagen der <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft.<br />
Markus Buchmann berichtet über die Bildekräfteforschung<br />
und macht damit auf die unterschiedlichen Arten<br />
von Wahrnehmung aufmerksam.<br />
Christian Hiß spricht über die Suche nach neuen Kooperationsformen<br />
in der Landwirtschaft und stellt in<br />
diesem Zusammenhang die „Regionalwert-AG – Bürgeraktiengesellschaft“<br />
als einen solchen Kooperationsversuch<br />
vor. Im Beitrag der Herausgeberin werden die<br />
Themenbereiche auf die Frage hin orientiert, ob und wie<br />
die <strong>biodynamische</strong> Landwirtschaft eine Antwort auf die<br />
ökologische und kulturelle Krise in der Landwirtschaft<br />
sein könnte.<br />
Dieser <strong>Sammelband</strong> ist kein Lehrbuch. Er stellt vielmehr<br />
das Wagnis dar, die Vorträge von ausgewiesenen<br />
Fachleuten nicht in Manuskript-Form zu übernehmen,<br />
sondern durch interessierte Hörer und Hörerinnen bearbeiten<br />
zu lassen. Diese Bearbeitungen erfolgten in Absprache<br />
mit den Referenten und Referentinnen.<br />
Seite 8<br />
Einleitung<br />
Ein Teil der Vorträge wurde im Rahmen der Weiterbildung<br />
für praktizierende Biodynamiker gehalten. Diese<br />
Weiterbildung wurde im Herbst 2008 begonnen. Die<br />
Besonderheit dieser Weiterbildungsreihe liegt in dem<br />
Umstand, dass ein und derselbe Vortrag des jeweiligen<br />
Referenten oder der jeweiligen Referentin an drei auf einander<br />
folgenden Tagen in Niederösterreich, in Kärnten<br />
und in Slowenien gehalten wurde. Das trug dazu bei,<br />
dass viele Bauern und Bäuerinnen an der Veranstaltung<br />
teilnehmen konnten.<br />
Im Herbst startete auch die Ringvorlesung „Biologisch-dynamischer<br />
Landbau“ am Ökologischen Institut<br />
der Universität für Bodenkultur in Wien. Aus dieser<br />
Reihe wurden sechs Vorträge für diese Sammlung ausgewählt.<br />
An dieser Stelle sei die großzügige Unterstützung<br />
durch Sponsoren dankbar erwähnt. Die Vorlesung<br />
konnte durchgeführt werden, weil die Firmen Weleda,<br />
Lackner&Lackner Wüstensalz, der Wurzerhof in St. Veit,<br />
Frau Doris Edler und Herr Willi Rosen den notwendigen<br />
Geldbetrag zur Verfügung gestellt haben.<br />
In Anbetracht der subjektiven Zugänge zu den Themen<br />
ist es erstaunlich, dass letztendlich das Biodynamische<br />
eine Klammer schaffen konnte, innerhalb welcher<br />
die unterschiedlichen Ansätze ohne Widersprüche<br />
in Erscheinung treten konnten. Und es ist ausschließlich<br />
die Sicht der <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft, welche in<br />
den Beiträgen zum Ausdruck kommt.<br />
Mauterndorf, 30.März 2009<br />
Waltraud Neuper
Etwas zum Verständnis des<br />
anthroposophischen Weltbildes<br />
Johannes Zwiauer<br />
Die Viergliederung der Natur<br />
Im anthroposophischen Weltbild basiert die Gliederung<br />
der Natur auf vier Daseinsweisen. Sie werden<br />
elementar unterschieden nach der Ebene des Mineralischen,<br />
des Pflanzlichen und des Tierischen.<br />
Der Mensch lebt im Zusammenhang mit der Natur und<br />
hat eine unauflösbare Beziehung zu den Naturreichen.<br />
Durch sein Ich-Bewusstsein, durch seine Fähigkeit zu<br />
geistigen Aktivitäten konstituiert er eine vierte Ebene.<br />
Er hat Anteil<br />
• am Mineralischen durch das Stoffliche in<br />
seinem Körper,<br />
• am Pflanzlichen durch die Lebensprozesse und<br />
• am Tierischen durch die Empfindung.<br />
Im Mineralreich finden wir jene Substanzen, welche<br />
aus dem Lebensprozess ausgeschieden wurden und damit<br />
als tot bezeichnet werden. Auch im menschlichen<br />
Organismus werden ständig Substanzen aus dem Lebensprozess<br />
ausgeschieden. Als Bild diene uns hier die<br />
Verhornung oder Verknöcherung solcher Substanzen in<br />
den Nägeln oder den Knochen.<br />
Im Pflanzenreich haben wir es mit den Lebensprozessen<br />
zu tun. Diese zeigen sich hier besonders stark; man<br />
denke daran, dass wir der Pflanze etwas wegschneiden<br />
können und sie treibt wieder aus. Diese Eigenschaft finden<br />
wir in diesem Ausmaß nur bei der Pflanze.<br />
Mit dem Tier verbindet den Menschen die Fähigkeit<br />
zur Empfindung. Das Tier ist geleitet durch Empfindungen,<br />
Instinkte, Triebe und Begierden. Diese bilden<br />
sein Seelenleben. Trägerin der Empfindung ist die Seele.<br />
Anthroposophisches Weltbild<br />
Das Tier ist ein fühlendes Wesen. Ausdruck des Fühlens<br />
ist die Bewegung. Das Tier wird durch seine Triebe, seine<br />
Begierden und Instinkte bewegt.<br />
Die Pflanze wird bewegt durch das Wachstum. Man<br />
denke an eine keimende Kartoffel. Der Keim sucht sich<br />
seinen Weg zur Lichtquelle. Er wächst der Lichtquelle<br />
entgegen. Die Pflanze selbst kann sich nicht bewegen.<br />
Mit dem Naturreich des Tieres verbindet den Menschen<br />
das Triebleben, welches er angehalten ist durch<br />
sein Selbstbewusstsein zu reflektieren und zu durchschauen.<br />
Dieser Zusammenhang beschäftigt die Philosophie<br />
schon seit sehr langer Zeit. Im letzten Jahrhundert<br />
wurden die damit zusammenhängenden Fragen Stoff der<br />
psychologischen Fragestellungen und Untersuchungen.<br />
Das Tier lebt ganz verbunden mit seiner Umwelt, ist<br />
ganz ausgeliefert an die Umwelt, ist ganz von ihr bestimmt.<br />
Der Mensch stellt sich der Welt gegenüber, objektiviert<br />
sie. Der Mensch trennt zwischen sich und der<br />
Umwelt, indem er Ich sagt. Hier bin ich und dort ist die<br />
Welt. Dadurch konnte er ein Selbstbewusstsein ausbilden.<br />
Wir sind geneigt anzunehmen, dass der Mensch fähig<br />
geworden ist, die Naturreiche des Mineralischen,<br />
Pflanzlichen und Tierischen in ihren Zusammenhängen<br />
zu erkennen und durch sein Bewusstsein eine geistige<br />
Dimension als vierte Ebene sichtbar zu machen. Zusammenfassend<br />
können wir sagen, dass der Mensch so in<br />
den Naturreichen darinnen steht:<br />
• durch das Sein ist er mit dem Mineralreich verbunden,<br />
• durch das Leben ist er mit der Pflanze verbunden,<br />
• durch die Empfindung ist er mit dem Tier verbunden,<br />
• durch den Geist transzendiert er die drei Naturreiche.<br />
Diese hinzukommende geistige Qualität durchzieht<br />
den ganzen Menschen, bildet seine Individualität bis hi-<br />
Seite 9
nein in den Fingerabdruck, in seine Gestik und in seine<br />
Gebärden. Alles an einem Menschen ist einzigartig, individuell,<br />
einmalig. Das unterscheidet ihn vom Tier. Das<br />
Tier lebt mehr im Gruppenhaften, im Instinktiven.<br />
Diese Viergliederung der Natur wird mit Blick auf den<br />
Menschen gerne begrifflich unterschieden nach dem<br />
physischen Leib (dichter-stofflicher Leib), Ätherleib (feinstofflicher<br />
Leib), Astralleib (Seelenleib) und Ich-Leib.<br />
Seite 10<br />
Die Dreigliederung<br />
des physischen Leibes<br />
Anthroposophisches Weltbild<br />
Auf der Ebene des physischen<br />
Körpers können<br />
wir eine Dreigliederung<br />
erkennen:<br />
(1) Nerven-Sinnessystem<br />
(2) Rhythmisches System<br />
(3) Stoffwechsel-Gliedmaßensystem<br />
Das Nerven-Sinnessystem und das Stoffwechsel-Gliedmaßensystem<br />
stehen sich polar gegenüber:<br />
Nerven-Sinnessystem<br />
Wachheit im Bewusstsein<br />
Denken<br />
Aufnahme von<br />
Sinneseindrücken<br />
Stoffwechsel-<br />
Gliedmaßensystem<br />
völliges Unbewusstsein<br />
Wollen<br />
Aufnahme von<br />
Stofflichem<br />
Dazwischen vermittelt das Rhythmische System.<br />
So stellt die Dreigliederung die Prozesse im physischen<br />
Leib dar.<br />
Es fällt auf, dass jedes der drei Wesensglieder eine eigene,<br />
spezifische Verbindung mit der Außenwelt unterhält:<br />
Das Nerven-Sinnessystem nimmt über die Sinnesorgane<br />
Eindrücke von außen auf und leitet sie durch das<br />
Nervensystem weiter in den Körper hinein.<br />
Das Rhythmische System ist durch die Atmung mit der<br />
Außenwelt in Kontakt.<br />
Das Stoffwechselsystem ist über den Nahrungsstrom<br />
mit der Außenwelt verbunden.<br />
Die Dreigliederung hat eine ungeheure Bedeutung in<br />
Bezug auf Gesundheit und Krankheit.
Anthroposophisches Weltbild<br />
Zusammenfassend können wir feststellen:<br />
Der Mensch ist mit den Naturreichen des Mineralischen, des Pflanzlichen und des Tierischen über den Stoff, die<br />
Lebensprozesse und die Empfindungsfähigkeit verbunden und fasst diese drei Reiche durch sein Selbstbewusstsein<br />
zur Einheit. Wir sprechen von Viergliederung.<br />
Auf der Ebene des Physischen gliedert sich die menschliche Organisation in drei Systeme: Das Nerven-Sinnessystem,<br />
das Rhythmische System und das Stoffwechsel-Gliedmaßensystem. Wir sprechen von Dreigliederung.<br />
NERVEN-SINNESSYSTEM<br />
Das Zentralnervensystem ist<br />
Träger unseres Selbstbewusstseins.<br />
In der Vorstellung, im Denken<br />
sind wir Nervensinnesmenschen.<br />
Wachbewusstsein<br />
im Denken<br />
RHYTHMISCHES SYSTEM<br />
Das Herz und die Lunge sind die Träger<br />
der rhythmischen Organisation.<br />
Der Rhythmus entsteht durch die Atembewegung:<br />
ein und aus und ein;<br />
und durch den Blutstrom vom Herzen<br />
in die Peripherie und wieder zurück.<br />
Traum- oder Halbbewusstsein<br />
im Fühlen<br />
STOFFWECHSEL-GLIEDMASSENSYSTEM<br />
Hier finden alle physiologischen Abbau- und<br />
Aufbauprozesse statt. Davon haben wir kein Bewusstsein,<br />
außer über den Schmerz.<br />
Das Nervensystem reagiert in diesem Bereich<br />
reflexiv. Es gibt keine Bewegung ohne Stoffwechsel<br />
und keinen Stoffwechsel ohne Bewegung.<br />
Schlafbewusstsein<br />
im Wollen<br />
Dr. Zwiauer hat diesen Vortrag am 23.Jänner 2009 im Rahmen der Ringvorlesung gehalten.<br />
Seite 11
Geistige Grundlagen der<br />
<strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft<br />
Johannes Toegel<br />
Welche Art der Wahrnehmung ermöglichte es Rudolf<br />
Steiner einen Vortrag über die Land wirtschaft zu halten,<br />
der bis heute von hoher Bedeutung für den biologischen<br />
Landbau ist, wo er selbst kein Bauer, Landwirt, oder<br />
Agrarwissen schafter war?<br />
Worauf beruhen die so genannten „geisteswissenschaftlichen<br />
Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft“?<br />
Gibt es eine Brücke zwischen der modernen Naturwissenschaft,<br />
auf deren Erkenntnissen das aktuelle Verständnis<br />
der Wirklichkeit aufbaut und der so genannten<br />
geistigen Wahrnehmung der Welt, welche die Grundlage<br />
für die <strong>biodynamische</strong> Landwirtschaft darstellt?<br />
Johannes Toegel erklärt diese Begriffe und Zusammenhänge<br />
anhand anschaulicher Beispiele und herausfordernder<br />
Übungen, die dazu auffordern, aus herkömmlichen<br />
Denk- und Handlungsmustern auszubrechen und<br />
die Dinge und Zusammenhänge aus einem anderen<br />
Blickwinkel heraus zu betrachten.<br />
Lebenszugang und geistige Wahrnehmung<br />
„Mein Lebenszugang zum Geistigen ist der Folgende:<br />
Ich hab’ mich vor längerer Zeit für drei Jahre in eine Einsiedelei<br />
im Himalaya zurück gezogen und bei der Gelegenheit<br />
wirklich gelernt, was geistig sein heißt, oder was<br />
Geist bedeutet. Und diesen Geist hab’ ich dann bei Rudolf<br />
Steiner wieder gefunden und deshalb steh‘ ich jetzt-<br />
Seite 12<br />
Geistige Grundlagen<br />
hier und sprech’ zu ihnen.“ 1<br />
Was unter dem Begriff Geist im Zusammenhang mit<br />
der <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft zu verstehen ist,<br />
kann vielleicht eine Geschichte aus dem Leben des Vortragenden<br />
deutlich machen. Sie handelt von sehr praktischen<br />
Dingen, wie Feuer machen und Tee kochen, und<br />
spielt in einer einsamen Klause im Hochland des Himalaya:<br />
„Heißer Dampf steigt über den Tassen auf. Wir trinken<br />
Buttertee. Direkt über die Schalen mit Tsampa gegossen<br />
– die Grundnahrungsmittel der tibetischen Einsiedler.<br />
Ich bin zu Gast bei meinem Lehrer, um mit ihm ein paar<br />
schwierige meta physische Fragen zu klären, aber er lässt<br />
mich nicht zu Wort kommen.<br />
‚Wie geht es dir mit dem Feuer in der Höhle?‘<br />
‚Mit dem Feuer? Nicht besonders. Man braucht trockenes<br />
Holz um ein gutes Feuer zu brennen und ich<br />
habe kein trockenes Holz.‘<br />
Mein Lehrer lächelt und wir schlürfen unseren Tee.<br />
Wie ich wieder zu meinen Fragen ansetzen will, kommt<br />
er mir zuvor.<br />
‚Wie geht es mit dem Tee?‘<br />
‚Auch nicht besonders. Was wir hier trinken ist ausgezeichnet,<br />
aber daheim hab’ ich keine frische Milch und<br />
man braucht frische Milch um Butter tee zu machen.‘<br />
Mein Lehrer lächelt wieder und ich gebe meine komplizierten<br />
Fragen auf. Dafür fange ich an mein Leben zu<br />
ändern. Ich lerne Holz sammeln und trocknen.<br />
1 Toegel
Ich freunde mich mit den Hirten am Berg an, um<br />
frische Milch zu bekommen. So lerne ich den Berg kennen,<br />
die Orte wo das Holz wächst und das Gras für die<br />
Schafe. Wo das Dorf steht und was in den Herzen der<br />
Menschen vor sich geht.<br />
Nach einer Weile sammle ich das Holz nicht mehr um<br />
Feuer zu machen, sondern um mit dem Berg in Berührung<br />
zu bleiben. Ich besuche die Menschen nicht mehr<br />
allein um Milch und Butter zu bekommen, sondern vor<br />
allem um mit ihnen in Beziehung zu kommen.<br />
An diesem Punkt beginnt der Berg sich mir zu öffnen<br />
und mit mir zu reden. Erst jetzt beginnt die Botschaft<br />
meines Lehrers ganz in mich ein zudringen und Früchte<br />
zu tragen. Meditation und Geist bedeuten mit der Erde<br />
und dem Leben in Berührung zu sein und von dort her<br />
eine neue Dimension zu erschließen.“<br />
Die geistige Ebene der Wirklichkeit<br />
Unter Geist versteht man demnach weder die uns innewohnende<br />
Vernunft, noch ein Gespenst, oder das, was<br />
an einer geisteswissenschaftlichen Fakultät gelehrt wird.<br />
In der Anthroposophie gibt es den Ansatz einer Dreigliederung<br />
der Wirklichkeit in Materie, Leben und Geist.<br />
Im Rahmen dieser Dreigliederung, ist der Geist die umfassendste,<br />
die komplexeste der drei Ebenen der Wirklichkeit.<br />
Dieser Geist ist etwas, das auch außerhalb unseres<br />
Kopfes, außerhalb unserer Vorstellung passiert. Geistige<br />
Wahrnehmung ist eine Art Annäherung an die Wirklichkeit,<br />
aus der heraus ein Blick entsteht, mit dem man Dinge<br />
sieht, die man vorher nicht gesehen hat.<br />
Geistige Grundlagen<br />
Man sieht Zusammenhänge. Man schaut etwas liebevoller<br />
auf die Wirklichkeit und sieht immer deutlicher<br />
worum es geht. Und das ist der Hintergrund der biologischen<br />
und der <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft.<br />
Man schaut genau hin, wie die Natur sich entwickelt<br />
und handelt der Natur entsprechend. Man schaut genau<br />
hin, wie der Mensch sich entwickelt und schafft Nahrung<br />
- dem Menschen entsprechend.<br />
Um sich nun dieser Art von Wahrnehmung anzunähern,<br />
hilft ein weiteres Beispiel.<br />
„Also wenn man auf unsere Erde von oben schaut,<br />
dann sieht man erst einmal hauptsächlich Materie und<br />
die Gestaltungen der Materie. Und wenn man weiterschaut,<br />
sieht man, es gibt Wasser, es gibt Flüsse. Und<br />
an den Flüssen und dort wo genug Wasser ist, entwickelt<br />
sich so etwas wie sichtbares Leben: Wälder, Felder,<br />
Äcker, und so weiter. Und wenn man weiter schaut, sieht<br />
man, dass sich über diesem Leben eine weitere Schicht<br />
aufbaut. Und das ist das, was wir die Schicht des Geistes<br />
nennen könnten.“ 2<br />
Materie – Leben – Geist<br />
Das genannte Beispiel verdeutlicht unterschiedliche<br />
Komplexitätsebenen. Um eine Wahrnehmung dafür zu<br />
entwickeln kann man sich beispielsweise durch die folgenden<br />
Übungen annähern.<br />
Man versucht verschiedene Objekte in ihrer Ganzheit<br />
wahrzunehmen, indem man die Objekte einfach nur betrachtet,<br />
ohne sich irgendwelche Gedanken über diese<br />
zu machen bzw. ohne irgendetwas in sie hinein zu inter-<br />
2 Toegel<br />
Seite 13
pretieren. Im Rahmen des Vortrags wurde mit einem<br />
Kristall, einer Pflanze, einem Tier und dem Menschen<br />
gearbeitet.<br />
Der Kristall steht in diesem Zusammenhang für die<br />
Materie, die Pflanze und das Tier für die Verbindung<br />
von Materie und Lebensebene und der Mensch steht für<br />
die Verbindung von materieller, lebendiger und geistiger<br />
Ebene.<br />
Jedem dieser Objekte wohnt eine gewisse Gefühlsqualität<br />
inne, die sich durch die Beobachtung gewissermaßen<br />
in einem selbst abbildet. Durch diese Betrachtungsweise<br />
kann das eigene Bewusstsein ein Stück weit die Gestalt<br />
des betrachteten Objekts nachbilden. Man nimmt die<br />
Komplexität und die Gesetze des Entstehungsprozesses<br />
der Objekte wahr und bildet diese sozusagen gefühlsmäßig<br />
nach.<br />
Es ist auch möglich - vielleicht nur diffus, aber doch<br />
spürbar - Unterschiede zwischen den verschiedenen<br />
Komplexitätsebenen wahrzunehmen. Der Mensch beispielsweise<br />
vereint mehrere Qualitäten des Lebendigen<br />
(des pflanzlichen und des tierischen Lebens) in sich. Er<br />
hat es aber sozusagen auf einer höheren Ebene gesammelt.<br />
Ein Raum voller Tiere, wäre im Vergleich zu einem<br />
Raum voller Menschen, ein ziemliches Durcheinander.<br />
Beim Menschen ist diese Art der Unruhe beruhigt.<br />
Durch diese Darstellung der Wirklichkeit wird erkennbar,<br />
dass sich das hier beschriebene Weltbild von dem<br />
uns bekannten naturwissenschaftlich geprägten Weltbild<br />
grundlegend unterscheidet.<br />
Diese Tatsache führt uns zu der eingangs gestellten<br />
Frage, ob es eine Brücke zwischen der modernen Naturwissenschaft<br />
und der geistigen Wahrnehmung der Welt<br />
gibt.<br />
Seite 14<br />
Geistige Grundlagen<br />
Die nun folgende Darstellung soll einen Überblick über<br />
die Gemeinsamkeiten der beiden Interpretationen der<br />
Wirklichkeit geben und eine Möglichkeit zeigen, wie die<br />
vorhandenen Unterschiede überbrückt werden können.<br />
Zwei verschiedene Denksysteme<br />
Abbildung 1 Modifizierte Tafelzeichnung<br />
Sowohl im naturwissenschaftlichen als auch im geisteswissenschaftlichen<br />
Denksystem kann zwischen den<br />
drei Ebenen Materie, Leben und Geist unterschieden<br />
werden. Der menschliche Organismus bewegt sich auf<br />
allen drei Ebenen.<br />
Für die moderne Naturwissenschaft besteht der Unterschied<br />
zwischen den Ebenen vor allem im Grad der<br />
Komplexität der einzelnen Erscheinungen. In der modernen<br />
Systemtheorie versucht man, auf dieser Grundlage<br />
zu einem Gesamtbild der Wirklichkeit zu gelangen.
Zur Erkenntnistheorie<br />
Grundsätzlich kann nur die höhere, komplexere Ebene<br />
die niedrigere, einfacher gestaltete Ebene erfassen.<br />
Das menschliche Ich stellt eine Unterstruktur des Organismus<br />
Mensch dar. Es kann sich die Ebenen der Materie<br />
und des Lebendigen durch Wahrnehmung begreifbar<br />
machen. Ebenso kann sich der Mensch durch (Selbst-)<br />
Reflexion, oder Spiegelung durch die Umgebung, bis zu<br />
einem gewissen Grade seines Ichs bewusst werden.<br />
Durch eine philosophische Dialektik 3 – der Methode von<br />
„ These, Antithese und Synthese“ – kann dieser Bereich<br />
etwas ausgeweitet werden.<br />
Der dialektische Erkenntnisweg bleibt aber auf die Ebene<br />
der Vernunft und des menschlichen „Ich“ beschränkt<br />
und blendet daher die höheren Ebenen des Geistes<br />
( beispielsweise das „Höhere Ich“, wie Steiner es nennt,<br />
oder das „Selbst“ wie C.G. Jung es bezeichnet) aus. Der<br />
Versuch Erkenntnis über diesen Bereich des Geistigen zu<br />
erlangen ist nur über eine Öffnung des Ich möglich.<br />
Rudolf Steiner hat sich Zeit seines Lebens mit der<br />
Öffnung des Ich und der Erkenntnis vom Höheren Ich<br />
beschäftigt. Wahrnehmungsübungen, wie sie im Vortrag<br />
ansatzweise probiert wurden, waren integraler Bestandteil<br />
seiner Arbeit: der Anthroposphie.<br />
Um zu verstehen was geistige Wahrnehmung ist, muss<br />
man sich über das Feld des Intellekts hinausbewegen,<br />
die zuerst zwischen den verschiedenen Seinsebenen gezogenen<br />
Grenzen wieder auflösen und die Wirklichkeit<br />
als ein rhythmisches Ganzes betrachten.<br />
Die Wahrnehmung der höheren Ebenen des Geistes<br />
3 Vom Philosophen Hegel begründete Lehre von der Erkenntnisgewinnung<br />
durch Gegenüberstellung von These und Antithese – eine<br />
Lösung zeichnet sich in der Synthese ab (vgl. Popper 1940).<br />
Geistige Grundlagen<br />
ist aber nicht zu verwechseln mit einer intuitiven, mythischen<br />
oder vor-rationalen Weltsicht!<br />
Durch Wahrnehmung zur Wirklichkeit<br />
„Wenn ein Musiker aus dem Takt kommt, ist es das<br />
Beste, wenn er sein Instrument kurz absetzt und einfach<br />
nur zuhört. Vorher hat ihn seine eigene Stimme taub gemacht.<br />
Jetzt kann er die Musik wieder aufnehmen. Sie<br />
ergreift sein Wesen, sein Herz und seinen Atem. Und<br />
dann, ganz natürlich, kommt sein Einsatz.“ 4<br />
So wie ein Musiker sich der Musik zuwendet, so kann<br />
sich jeder Mensch dem eigenen Leben zuwenden, die Lebensprozesse<br />
still wahrnehmen – ganz ohne Verstand.<br />
Da können wir den Rhyth mus des Atems wahrnehmen,<br />
den Herzschlag und viele weitere Rhythmen, bis wir uns<br />
ganz spüren, an dem Ort, an dem wir sind, wie wir sind.<br />
Wir leben aber auch in komplexeren Zyklen und Rhythmen,<br />
wie Wachen und Schlafen, Jahres phasen und im<br />
Lebenszyklus überhaupt bis hin zum Entstehen und Vergehen<br />
von Kulturen. Diese Rhythmen werden aus dem<br />
Geistigen getragen.<br />
Indem wir uns also unseren Rhythmen nach unten öffnen,<br />
werden wir sensibler für all die Rhythmen, die in uns<br />
sind und damit nähern wir uns den Wirklichkeiten von<br />
einer geistigen Wahr nehmung aus.<br />
Und aus dieser Wahrnehmung heraus hat nun Rudolf<br />
Steiner auf die Landwirtschaft geschaut.<br />
4 Toegel<br />
Seite 15
Er hat die Bedeutung der Beachtung dieser Rhythmen<br />
für:<br />
- die Wachstumsprozesse (Tag- Nachtrhythmus)<br />
- die Reproduktionsprozesse<br />
(Jahres-Mondrythmen)<br />
- die richtigen Saat-, Setz- und Erntezeitpunkte<br />
(planetarische Rhythmen) und<br />
- die Zuchtarbeit<br />
im <strong>landwirtschaft</strong>ichen Organismus erkannt. Aus diesen<br />
Hinweisen hat sich später die Konstellationsforschung<br />
für den <strong>landwirtschaft</strong>lichen Bereich entwickelt.<br />
Die Beschäftigung mit den irdischen und kosmischen<br />
Rhythmen erweitert auch das Bewusstsein für die Rhythmen<br />
und Zyklen im menschlichen Leben und kann uns<br />
dazu anleiten, das eigene Dasein stärker im Lichte dieser<br />
Rythmen von Schlafen und Wachen, Jahresläufen, von<br />
Geburt und Tod zu reflektieren.<br />
Der Mensch im <strong>landwirtschaft</strong>lichen Organismus<br />
Nun geht es darum zu versuchen, den Orga nismus<br />
einer <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft innerhalb der drei<br />
Wirklichkeitsebenen zu betrachten: Materie, Leben und<br />
Geist.<br />
Im Boden ist das meiste Materie, darüber wächst die<br />
Pflanze – sie bildet mit der Materie ein harmonisches<br />
Ganzes. Der Bereich der Tiere steht wiederum sowohl<br />
mit den Pflanzen – über das Futter – und mit dem Boden<br />
– über die Düngung – in Verbindung. Und zusammen<br />
bilden diese Bereiche eine Ganzheit, in der alle Ebenen<br />
miteinander zusammenhängen.<br />
Seite 16<br />
Geistige Grundlagen<br />
Abbildung 2 -Modifizierte Tafelzeichnung<br />
Wo steht der Mensch?<br />
Der Mensch stellt nun in diesem Zusammenhang die<br />
Verbindung dieses ganzen Organismus in Harmonie mit<br />
der Erde auf der einen Seite und darüber hinaus zum<br />
Kosmos her.
Er steht in dreifacher Weise darinnen:<br />
1. In seinem sozialen Verhältnis zu allem Lebendigem<br />
im Hof.<br />
Dieses Verhältnis findet seinen Widerhall im Atmosphärischen<br />
am Hof.<br />
2. In der Verbindung des Hofes zur Gemeinschaft.<br />
Hier hinein spielen die rechtlichen und wirtschaftlichen<br />
Bedingungen des Hofes. Ist der Hof nur eine Produktionsstätte<br />
oder ist er darüberhinaus ein Ort des Lernens<br />
(PraktiktanInnen, Lehrlinge...), ein Ort der Begegnung<br />
und der Kooperation? Rudolf Steiner hat schon zu Beginn<br />
des 20. Jahrhunderts auf die Notwendigkeit des assoziativen<br />
Wirtschaftens als Gegenpol zum industriellen<br />
Bewirtschaften hingewiesen.<br />
3. In der Beziehung des Hofes zur Welt und zum Kosmos<br />
überhaupt.<br />
Hier muss sich der Mensch die Frage stellen, wohin sein<br />
Tun führen soll. Dient der Hof nur zu wirtschaftlichen<br />
oder sozialen Zwecken, oder soll das Lebendige über die<br />
Zucht weiterentwickelt werden? Das geht soweit, dass<br />
wir uns fragen sollen, worin die Aufgabe des Menschen<br />
auf dieser Welt zu suchen ist.<br />
Zusammenfassend geht es bei der Beziehung zum<br />
Kosmos um die Frage, wie denn eigentlich die Aufgabe<br />
der Menschheit auf der Erde aussieht. Wie der Mensch<br />
sein Wirken, seinen Betrieb in die richtige Richtung lenkt,<br />
damit es für das Gesamte richtig ist.<br />
Um diese Richtung zu erkennen, braucht der Mensch<br />
eine Wahrnehmungsfähigkeit, die über die Vernunft hinausgeht.<br />
Mit der Vernunft kommt der Mensch nur bis zur<br />
gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Ebene.<br />
Um aber eine Ahnung davon zu bekommen, wohin die<br />
Lebensprozesse ziehen, wohin Boden, Pflanzen und Tiere<br />
wachsen wollen und wo sich letztlich die Menschheit<br />
Geistige Grundlagen<br />
hinentwickeln will, dafür braucht es eine andere Wahrnehmungsfähigkeit.<br />
Hat man ein Gespür dafür gefunden, wohin das alles<br />
gehen soll, hat man dieses Ziel erkannt, dann kann sich<br />
der Organismus richtig entwickeln und sich in die großen<br />
Gesetze und Kreis läufe einordnen.<br />
Exkurs: Die Entwicklung einer sozialen Ordnung<br />
von Waltraud Neuper<br />
Die Entwicklung hin zu einer sozialen Ordnung in der<br />
Landwirtschaft – und davon ausgehend auf alle Lebensbereiche,<br />
die ja von der Landwirtschaft abhängig sind<br />
– ist ein Prozess, der sich über Generationen erstreckt.<br />
Noch vor zwei Generationen war die Land wirtschaft<br />
getragen von Traditionen und hierarchisch geordneten<br />
Strukturen im Zusammenleben. Davor war sie geleitet<br />
von höheren geistigen Institutionen wie Klöstern, Grundherren<br />
und noch weiter zurück von den Mysterien und<br />
Pharaonenpriestern.<br />
Nun hat sich mit der Aufklärung das Bewusstsein verändert<br />
und die Menschen sind aus den alten Traditionen<br />
herausgetreten. Mit dem Beginn des 20. Jahrhundert begannen<br />
sich alte bäuerliche Lebensformen aufzulösen.<br />
Industrialisierung, Mechanisierung, Aufklärung und vor<br />
allem die zunehmende Individualisierung führen dazu,<br />
dass der Einzelne immer mehr selbst seine Entscheidungen<br />
treffen und damit die Verantwortung für die<br />
Konsequenzen auf sich nehmen muss. Das ist die große<br />
Herausforderung auf den Höfen. Dort, wo dieses Ringen<br />
um die Selbstbestimmung und die Eigenverantwortung<br />
nicht stattfindet, werden äußere Mächte das Ruder ergreifen<br />
(Regelmentierung, Vorschriften...).<br />
Seite 17
Die momentane Situation auf den Höfen ruft nach<br />
einer neuen Kultur, die alten Hierachien verlieren ihre<br />
Macht.<br />
Rudolf Steiners Werdegang<br />
Rudolf Steiner hat den Landwirtschaftlichen Kurs, in<br />
dem die <strong>biodynamische</strong> Landwirtschaft ihren geistigen<br />
Ursprung hat, gegen Ende seines abwechslungsreichen<br />
Lebens gehalten.<br />
Schon die Verschiedenartigkeit der Biographien über<br />
Steiner erwecken das Gefühl, dass er viele Anhänger hatte,<br />
aber auch viele Gegner.<br />
Steiner wurde 1861 wurde in Kraljevec geboren. Sein<br />
Vater war Beamter der Südbahn, so kam er im Laufe seiner<br />
Kindheit an verschiedene Orte.<br />
Steiner schreibt selbst, dass er schon früh geist ige Wesenheiten<br />
so wahrgenommen hat, wie er mit den Augen<br />
die gewöhnliche Welt gesehen hat.<br />
Daraus entspringt für ihn ein Bedürfnis diese beiden<br />
Welten miteinander in Einklang zu bringen und aufeinander<br />
zu beziehen. Das durchzieht sein ganzes Leben.<br />
Mit 18 Jahren beginnt er in Wien zu studieren. Er hat<br />
ein Stipendium, aber er muss sich als Haus lehrer durchschlagen.<br />
Eine seiner wichtigsten Tätigkeiten war es im<br />
Alter von 29 Jahren die Gesamtausgabe der naturwissenschaftlichen<br />
Schriften Goethes zu erarbeiten. Goethe hat<br />
sich sehr mit Prozessen beschäftigt, die beim natürlichen<br />
Wachstum von Pflanzen und Kristallen stattfinden. Er<br />
hat damit eine eigene Art der Wissenschaft begründet.<br />
Gleichzeitig hat er auch andere Werke heraus gegeben,<br />
Seite 18<br />
Geistige Grundlagen<br />
wie eine Gesamtausgabe von Schopenhauer und Werke<br />
von Jean Paul. Außerdem hat er sich zu diesem Zeitpunkt<br />
sehr mit Nietzsche beschäftigt – er war offenbar geistig<br />
sehr rege.<br />
Einige Jahre später, um 1900, ist er nach Berlin gekommen:<br />
Dort lebt er einige Jahre unter schwierigsten<br />
(finanziellen; Anm.) Umständen, ist in Künstler- und Intellektuellenkreisen<br />
tätig, arbeitet an einer Arbeiterschule<br />
und man merkt, er ringt. Er ringt darum, was jetzt sein<br />
soll und die Biografen setzen in diesen Zeiten auch eine<br />
große Wende in seinem Leben an.<br />
Jedenfalls wird Steiner, der stets geistigen Autoritäten<br />
gegenüber sehr kritisch war, auf einmal ein starker Befürworter<br />
einer höheren geistigen Leitung oder Wirklichkeit.<br />
Es wird angenommen, dass er in dieser Zeit eine Art<br />
Christuserlebnis hatte.<br />
Von der Theosophie zur Anthroposophie<br />
Durch Steiners Kenntnis der Werke Goethes und<br />
Nietzsches wurde er bald als Vortragsredner für den theosophischen<br />
Kreis interessant, da vor allem Nietzsche in<br />
jener Zeit sehr modern wurde. Diese Bewegung der Theosophie<br />
war im British Empire entstanden, aus dem Bestreben<br />
der Kolonialherren heraus, das alte Wissen der<br />
Inder mit der aufgeklärten Sicht der Engländer zu verbinden.<br />
Es war eine neugnostische Bewegung, die in höchsten<br />
Kreisen – auch in Deutschland – Anhänger fand.<br />
Und zu diesem Kreis ist nun Steiner eingeladen worden<br />
und hat dort offenbar sehr großen Anklang gefunden,<br />
denn auf einmal war es mit seinen Lebensschwierigkeiten<br />
zu Ende.
Als nun ein Teil der theosophischen Gesellschaft den<br />
Inder Krishna Murti weltweit als den neuen Heilsbringer<br />
(eine Art neuer Christus) verkünden wollte, kam es zum<br />
Bruch mit der Theosophischen Gesellschaft. Steiner<br />
setzte seine geistige Arbeit und Vortragstätigkeit unter<br />
eigenem Namen fort. Das war die Geburt der Anthroposophie.<br />
Der 1. Weltkrieg und Steiners Impulse<br />
Die Zeit des ersten Weltkrieges war eine gewaltige Katastrophe<br />
für das Geistesleben Europas, die vieles verändert<br />
hat.<br />
Steiner schlägt in dieser Situation die Dreigliederung<br />
des sozialen Organis mus in Wirtschaftsleben, Geistesleben<br />
und Rechtsleben vor. Das sind die drei Bereiche,<br />
die er im gesellschaftlichen Organismus harmonisch verbunden<br />
haben wollte.<br />
Steiner füllte mit seinen Vorträgen ganze Konzertsäle<br />
und kam auch in höchste Regierungs kreise – jedenfalls<br />
muss er ein mitreißender Redner gewesen sein. Dabei<br />
hat er seine Vorträge kaum schriftlich vorbereitet, sondern<br />
hat – was nicht ganz ungefährlich war – aus dem<br />
Geist gesprochen. Dort wo das möglich war, hat er das,<br />
was ihm durch seine unmittelbare Anschauung zugänglich<br />
war, Menschen mitgeteilt.<br />
In dieser Zeit entsteht unter Steiners Anregungen<br />
in Dornach in der Schweiz ein eigenes Zentrum, eine<br />
Künstlerkolonie, die sich um einen wunder schönen Bau<br />
ansiedelt – das Goetheanum. Dieses erste Goetheanum<br />
wurde – man nimmt an von rechtsradikalen Kreisen – in<br />
einer Neujahrsnacht niedergebrannt und wurde kurz vor<br />
seinem Tod wiedererrichtet.<br />
Geistige Grundlagen<br />
Dabei erhält Steiner immer einflussreichere Verbündete,<br />
wie den Architekten Le Corbusier, der ihn bei der<br />
Wiedererrichtung des Goetheanums unterstützte, oder<br />
den Großindus triellen Waldorf-Astoria, der mit ihm in<br />
Stuttgart die erste Waldorf schule begründet hat.<br />
Und gegen Ende seines Lebens – im Jahre 1924 – hat<br />
er dann den Landwirtschaftlichen Kurs gehalten – beim<br />
Grafen Keyserlingk in damaligen Schlesien – und er<br />
hat dort in einigen Tagen die Grundlagen der <strong>biodynamische</strong>n<br />
Landwirtschaft entwickelt. Das ist deswegen<br />
bemerkenswert, weil Steiner bis dort hin mit der Landwirtschaft<br />
überhaupt nichts zu tun hatte – denn er hatte<br />
sich sein Leben lang mit geistigen Inhalten beschäftigt.<br />
Seite 19
Zusammenfassung und kritische Würdigung<br />
Ausgehend vom Rand der Welt im Hochland des Himalaya-Gebirges<br />
führte Dr. Johannes Toegel die HörerInnenschaft<br />
bis an die Grenzen der persönlichen Vorstellungskraft<br />
und der eigenen Wahrnehmung. Es war eine<br />
Wanderung in großen Schritten, die es trotz der hohen<br />
Geschwindigkeit ermöglichte, für einen Augenblick in höhere<br />
Komplexitätsebenen einzudringen.<br />
Bilder, Geschichten aus dem Leben des Vortragenden<br />
und verschiedene Vorstellungsübungen boten die Möglichkeit,<br />
die Idee eines größeren Gesamtbildes entstehen<br />
zu lassen. Ähnlich einer Landkarte, mit deren Hilfe die<br />
Vorbereitung des weiteren Weges gemacht werden kann.<br />
Vielleicht eine Art mehrdimensionale Karte mit vielen<br />
weißen Flecken, deren zielführende Verwendung mit viel<br />
Übung verbunden ist.<br />
Die Verlockung, sich wiederum durch Bilder über die<br />
Unfähigkeit der Erkenntnis höherer Komplexitätsebenen<br />
hinwegzuhelfen, erscheint groß.<br />
Es stellt sich auch die Frage, ob „wahre Erkenntnis”<br />
durch im Geist konstruierte Bilder möglich sein kann.<br />
Besteht unsere gesamte Wirklichkeit, in der wir leben,<br />
nicht aus solchen, im Geist konstruierten Bildern?<br />
Gleichsam schafft dieser Ansatz eine Anknüpfung an<br />
die Erkenntnisse der modernen Quantenphysik, deren<br />
philosophische Erkenntnisse in das „Potsdamer Manifest“<br />
eingeflossen sind, in dem folgender Aufruf zu lesen<br />
ist: „Wir müssen lernen, auf neue Weise zu denken.“ 5<br />
5 Hans-Peter Dürr geht so weit, dass er die Atome, welche lange<br />
Zeit als begrenzte Teichen galten, als „Wirks“ bezeichnet, Energien<br />
die in einem Beziehungsgefüge bis in den Kosmos hinein<br />
wirken.<br />
Seite 20<br />
Geistige Grundlagen<br />
Diese Denkschrift, die weltweit von ca. 130 WissenschafterInnen<br />
und Persönlichkeiten unterzeichnet<br />
wurde, fordert eine Neuorientierung vom materialistisch-mechanistischen<br />
Weltbild hin zum geistig-lebendigen<br />
Kosmos (Dürr et al. 2005). Die Erkenntnisse<br />
der Quantenphysik führten in dieser Disziplin zu der<br />
Einsicht, dass die Wirklichkeit nicht mehr dadurch definiert<br />
werden kann, was ist, sondern durch das was<br />
passiert, was wirkt.<br />
Begriffe wie Wahrheit, Wirklichkeit, Realität, Natur<br />
und Kultur wurden, aufgrund des begrenzten Zeitrahmens,<br />
leider nur ansatzweise behandelt.<br />
Eine Unterscheidung zwischen Realität und Wirklichkeit<br />
findet sich beispielsweise im radikalen Konstruktivismus.<br />
“In dieser Hinsicht bietet die deutsche Sprache einen<br />
Vorteil im Vergleich zum Englischen. Sie stellt einem<br />
zwei Wörter zur Verfügung, dank derer man den<br />
unnahbaren ontologischen Bereich, den die abendländische<br />
Philosophie stets zu ‚erkennen’ hoffte, als<br />
Realität bezeichnet, während man von der Erlebenswelt,<br />
zu der allein man durch Wahrnehmen und Handeln<br />
tatsächlich Zugang hat, getrost als Wirklichkeit<br />
sprechen kann [...]. Damit hat man die Möglichkeit,<br />
allen herkömmlichen Realismus, sei er materialistisch<br />
oder metaphysisch, zu vermeiden.“ 6<br />
Theoretische Ausführungen und Erklärungen, sowie<br />
verschiedene Vorstellungsübungen sollen einen<br />
also dazu befähigen, eine Wahrnehmung zu entwikkeln,<br />
die als praktisches Werkzeug im täglichen Leben<br />
eingesetzt werden kann und soll.<br />
6 Glasersfeld 1997, p. 47
Die Frage, die sich vielleicht stellt, ist, welche Art des<br />
„Geistes“ ein Mensch aufweisen muss, um sich überhaupt<br />
auf diesen Weg begeben zu können. Dr. Toegel<br />
spricht von einer demütigen Haltung, von einer Gesinnung,<br />
die nicht dazu neigt die geistige Ebene „beherrschen“<br />
zu wollen. Was bedeutet dies aber im Klartext?<br />
Ein unreflektiertes Nachahmen der Übungen und Verhaltensweisen<br />
von anderen Menschen, die sich mehr<br />
oder weniger erfolgreich auf diesen „Weg der Erkenntnis“<br />
begeben haben, kann wohl kaum der Schlüssel zum<br />
Erfolg sein, wo doch dem Individuum selbst und der individuellen<br />
Entwicklung des „Geistes“ eine so hohe Bedeutung<br />
beigemessen wird.<br />
Richtlinien können auch in diesem Zusammenhang<br />
höchstens der Ausgangspunkt für weitere Entwicklungen<br />
sein.<br />
Im Gespräch mit Dr. Toegel: Früher konnte man davon<br />
ausgehen, dass ein Bauer, wenn er so arbeitet, wie es seine<br />
Vorfahren gemacht haben, den ihm überantworteten<br />
Betrieb gesund erhalten kann.<br />
Heutzutage kann man davon ausgehen, dass ein Bauer,<br />
wenn er weiterarbeitet wie seine Vorfahren es taten,<br />
den Betrieb nur schwer gesund erhalten kann.<br />
Dies soll keineswegs bedeuten, dass unsere Vorfahren<br />
alles falsch gemacht haben. Sie haben bestimmt in bester<br />
Gesinnung und, oder vielmehr aber ihrer Zeit entsprechend<br />
gehandelt.<br />
Ein Umdenken erscheint deshalb nötig, weil die Rahmenbedingungen,<br />
innerhalb derer sich ein Betrieb heutzutage<br />
bewegt, einem schnelleren Wandel unterzogen-<br />
Geistige Grundlagen<br />
sind, als das jemals der Fall gewesen sein dürfte.<br />
Dr. Toegel hielt diesen Vortrag am 24.Oktober 2008 an<br />
der Universität für Bodenkultur.<br />
Weiterführende Literatur<br />
von Dr. Johannes Toegel<br />
1. Steiner, Rudolf: „Wie erlangt man Erkenntnisse der<br />
höheren Welten?“, Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1992.<br />
2. Steiner, Rudolf: „Mein Lebensgang.<br />
Eine nicht vollendete Autobiographie.“,<br />
Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1982.<br />
3. Wehr, Gerhard: „C.G.Jung und Rudolf<br />
Steiner. Konfrontation und Synopse,“<br />
Klett-Cotta, Stuttgart 1998.<br />
4. Teilhard de Chardin, Pierre: „Der Mensch<br />
im Kosmos,“ C.H.Beck, München 1964.<br />
5. Laszlo, Ervin: „Die Neugestaltung der<br />
vernetzten Welt. Global denken – global handeln.“<br />
(pp 133-145), Vianova, Petersberg 2004.<br />
Zwei Biografien von Rudolf Steiner im Internet:<br />
http://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Steiner<br />
http://www.rudolf-steiner.com/rudolf_steiner/<br />
6. von Glasersfeld, Ernst : „Wege des Wissens.<br />
Konstruktivistische Erkundungen durch unser<br />
Denken,“ Carl Auer Systeme, Heidelberg 1997.<br />
Seite 21
7. Dürr; H.-P.; Dahm D.; zur Lippe, R.: „Potsdamer<br />
Denkschrift.“ Hrsg. von der Vereinigung<br />
Deutscher Wissenschaftler VDW e.V. - Federation<br />
of German Scientists. Berlin 2005.<br />
8. Popper, K.: “What is dialectic?” Aus: Mind, N. S., Bd.<br />
49. Wiederabgedruckt in Popper Karl R. Conjectures<br />
and refutations, London, Routledge and Kegan Paul,<br />
1963, S. 312-335. Basic Books, New York 1940.<br />
Der Vortrag wurde bearbeitet von Stephan Pabst<br />
und Wolfgang Eichinger; beide Studierende an der<br />
Universität für Bodenkultur in Wien, WS 2008.<br />
Seite 22<br />
Geistige Grundlagen
Markus Buchmann lebt in der Nähe von Zürich und<br />
arbeitet seit 14 Jahren im Pflanzenzüchtungsunternehmen<br />
von Peter Kunz mit. Er beschäftigt sich mit Fragen<br />
der Qualität im Bereich von Lebensmitteln. Er betreut<br />
eigene Forschungsprojekte im Gemüsebereich unter der<br />
speziellen Fragestellung:<br />
Was ist die besondere Qualität von<br />
Produkten aus <strong>biodynamische</strong>m Anbau?<br />
Markus Buchmann beginnt seinen Vortrag, indem er<br />
anknüpft an die Eurhythmie, welche dem Vortrag vorangegangen<br />
ist. Er verweist auf die Zusammenhänge zwischen<br />
den Anfängen der Sprache und Wahrnehmen von<br />
Qualität. .<br />
Wenn wir heute von Bioprodukten sprechen dann<br />
verbinden wir damit eine kausale Reihe in dem Sinne,<br />
dass wir sagen: Wenn wir einen gesunden Boden haben,<br />
dann erhalten wir gesunde Pflanzen und dann haben wir<br />
gesunde Tiere usf.<br />
Darauf reduzieren wir gern die Aussagen über Qualität.<br />
Das scheint seine innere Logik zu haben. Wenn wir das<br />
aber mit naturwissenschaftlichem Ansatz betrachten, so<br />
fragen wir sofort danach, ob dies so sein kann, ob dies<br />
objektiv nachgewiesen werden kann, weil wir die Qualitätsfrage<br />
verbinden mit dem ökonomischen Aspekt,<br />
dass Bioprodukten ein höherer Preis zusteht.<br />
Also muss eine solche Aussage belegt werden. Damit<br />
begann die <strong>biodynamische</strong> LW Methoden zu suchen, um<br />
diese Qualitäten nach zu weisen. In diesem Zusammenhang<br />
wurden die Kupferchloridkristallisations-, die Steigbildmethoden<br />
und die Rundbilderchromatogramme<br />
entwickelt. Das sind die so genannten bildschaffenden<br />
Methoden, weil sie versuchen, den Zustand einer Substanz<br />
auf bildhafte Weise darzustellen. Diese Bildsprache<br />
Qualität von Produkten<br />
benennt die Kräfte, die in der lebenden Substanz gewirkt<br />
haben. Seit 2000 wächst die Akzeptanz dieser Methoden<br />
zunehmend und es steigt die Sicherheit in der Unterscheidung<br />
zwischen Produkten aus konventionellem, aus<br />
organisch biologischem und <strong>biodynamische</strong>m Anbau.<br />
Die Methoden sind in einem EU Projekt evaluiert worden.<br />
Die Unterschiede sind nun nachzuweisen, aber die<br />
Interpretation ist noch schwierig. Der Übergang von einer<br />
solchen Darstellung zur Interpretation ist nicht mit<br />
Sicherheit zu bewerkstelligen. Das heißt, über die Bedeutung<br />
der Bilder können noch keine objektiven Aussagen<br />
gemacht werden.<br />
Da könnte man auch Studien machen. Buchmann verweist<br />
auf die „Klosterstudie“, in welcher sichtbar wurde,<br />
dass die Essensumstellung auf <strong>biodynamische</strong> Produkte<br />
positive Folgen hat. Dieser Nachweis ist zwar für die Wissenschaft<br />
noch immer viel zu subjektiv, aber Nahrung<br />
hat eben mit dem Menschen zu tun und die Auswirkung<br />
der Nahrung kann in letzter Konsequenz nur der Mensch<br />
in seiner subjektiven Erfahrung beurteilen. Die Bedeutung<br />
für die Gesundheit kann so einfach nicht nachgewiesen<br />
werden. Aber wir können an die Fragen anknüpfen:<br />
Wir machen alle unsere persönlichen Erfahrungen. Die<br />
Wissenschaften hinterfragen diese persönlichen Erfahrungen,<br />
aber meist so, dass das persönlich Menschliche,<br />
oder das individuell Menschliche ausgeschlossen wird,<br />
weil es korrumpierbar ist. Jeder Mensch hat ja seine Vorlieben.<br />
Und das hat Konsequenzen in der Kulturentwicklung,<br />
wenn man die Wissenschaft darauf aufbaut. Es gibt<br />
einen anderen Weg – und der ist der <strong>biodynamische</strong>n<br />
Methode inhärent und geht hervor aus der „Philosophie<br />
der Freiheit“; und dieser Weg zeigt auf, dass Wissenschaft<br />
auf Individualisierung gebaut werden sollte, aber<br />
konsequent. Der Mensch in seiner subjektiven Erfahrung<br />
wird nicht ausgeschlossen. Das könnte Bedeutung<br />
haben bis hinein in die Naturwissenschaft. Wie wir das<br />
Seite 23
tun in der Bildekräfteforschung, das möchte ich jetzt<br />
beschreiben. Jeder von uns hat schon Erfahrungen in<br />
dem Sinne gemacht, dass er/sie vor einer Pflanze, vor<br />
einem Acker, vor einem Feld steht und das Gefühl hat,<br />
dass es dieses Jahr besonders gut wächst, oder daß da<br />
etwas nicht stimmt, ohne dass Sie es an einem Phänomen<br />
festmachen könnten. Man isst ein Nahrungsmittel<br />
und merkt, das kräftigt mich jetzt richtig. Bittet man um<br />
eine nähere Beschreibung, dann geht die Antwort aber<br />
schnell wieder ins Ungefähre, ins Vage. Und trotzdem ist<br />
man sicher, dass man hier etwas erfahren hat.<br />
Diese Erfahrungen zu systematisieren wird zur Aufgabe<br />
in der Bildekräfteforschung.<br />
Es ist wesentlich, dem, was man erfahren hat, genau<br />
nachzugehen, es aber nicht auf der Gefühls bzw. Empfindungsebene<br />
zu belassen, sondern mit vollem Bewusstsein<br />
in diese Erfahrung hineinzugehen; das was<br />
man empfindet zu durchschauen. Es ist möglich diese<br />
Empfindungen mit vollem Bewusstsein zu durchblicken.<br />
Denn der heutige Mensch muss diese Erfahrungen mit<br />
Bewusstsein durchdringen, damit er als selbständiger,<br />
selbstbewusster Menschen das Leben ergreifen kann.<br />
Wie dies geschehen kann, soll nun schrittweise entwickelt<br />
werden. Wir beginnen damit, dass wir uns fragen,<br />
wo diese Empfindungen stattfinden. Wir neigen dazu,<br />
diese Empfindungen als Einbildungen abzutun. Das ist<br />
unser Denken. Auch spirituelle Richtungen verurteilen<br />
das Denken als Behinderung dafür, andere Dimensionen<br />
wahrzunehmen. 2 Übungen:<br />
1) „Stellen Sie sich bildhaft eine rote Rose vor.<br />
Intensiv vorstellen, bis Sie sich vor sich sehen.<br />
Nun frage ich Sie: Wo taucht die Rose auf?“ Zuhörer<br />
antworten: „In mir.“ - „Zwischen den Augen.“<br />
– „In meinem Gehirn.“ Herr Buchmann:<br />
„Sehen Sie, wir haben täglich tausende von Vorstellungsbildern<br />
und machen uns aber keine Ge-<br />
Seite 24<br />
Qualität von Produkten<br />
danken darüber, wo sie auftauchen. Sie erscheinen,<br />
wie schon der Begriff „vor“ - „stellen“ sagt,<br />
im unmittelbaren Raum vor unseren Augen.“<br />
2) „Stellen Sie sich die Rose noch einmal vor,<br />
aber nun in einer bestimmten Landschaft, ganz<br />
realistisch. Sie müssen sich konzentrieren. Und<br />
jetzt fahren Sie mit der Hand einmal durch Ihre<br />
Vorstellung räumlich hindurch. Beobachten Sie,<br />
was da passiert.“ Reaktionen: Wenn Menschen<br />
sich die Vorstellung bilden, sich konzentrieren<br />
und es wird etwas Lebendiges durch diesen Vorstellungsraum<br />
bewegt, dann kommt es zu Vorstellungsstörungen.<br />
Das ist objektiv belegbar.<br />
Wir legen kaum Rechenschaft ab über diese intimsten<br />
Vorgänge unserer Vorstellungs- und Denkwelt. Wenn wir<br />
das konsequent üben, kommen wir dahin, dass wir eine<br />
Empfindung dafür entwickeln, woher unsere Gedanken<br />
kommen, wie die Begriffe in unserem Bewusstsein erscheinen,<br />
wie Erinnerungsbilder auftreten, woher sie<br />
kommen. Wie geschieht es, dass diese Gedanken Formen<br />
und Farben annehmen können. Diese Fragen eröffnen<br />
ein riesiges Forschungsgebiet.<br />
Dieser Vorstellungsraum hat eine Art räumliche Dimension.<br />
Dieser Raum gehört zum Menschen, er kann<br />
hell werden etwa durch Ideen, er kann aber auch dunkel
sein, wenn wir etwa schläfrig sind oder dumpf. Durch<br />
diszipliniertes Üben können wir eine Souveränität über<br />
die Wahrnehmung dieser Vorgänge gewinnen.<br />
Man kann das an sich erforschen, indem man denkt,<br />
kann man beobachten wo Erinnerungen herkommen,<br />
wo Vorstellungen auftauchen. Bei starker Konzentration<br />
kann man sehen, wie der Vorstellungsraum sich verdichtet<br />
und kristallartige Strukturen entstehen. Man kann es<br />
aber schwer beschreiben, weil wir nur Begriffe aus der<br />
Sinneswelt zur Verfügung haben. Wir verfügen über die<br />
Möglichkeit und potentielle Fähigkeit, über die Beobachtung<br />
des Denkens zu einer neuen Wahrnehmungsfähigkeit<br />
zu kommen. Was es braucht, ist die Bereitschaft zur<br />
Konzentration und übenden Disziplin. Es braucht die Fähigkeit,<br />
fremde Gedanken weglassen zu können. Wenn<br />
wir uns zum Beispiel die Rose vorstellen wollen, so kommen<br />
immer bald andere Gedanken mit herein.<br />
Wir bemerken, dass wir Lieblingsgedanken haben. Man<br />
kommt gewissermaßen drauf, wie man tickt. Man muss<br />
radikal das Subjektive kennen lernen, damit man es auch<br />
beurteilen kann. So ist es nur eine Frage der Übung, bis<br />
wir bemerken, dass das Medium, wo sich alle Bewusstseinvorgänge<br />
abspielen, abhängig ist von unserer emotionalen<br />
Verfassung.<br />
Wir können dieses Medium verfolgen bis hinunter in<br />
die Füße. Wir erkennen, dass dieses Medium eine Art<br />
zweiter Leib ist. In der Anthroposophie nennt man ihn<br />
den Ätherleib. Dieser Ätherleib – oder auch Energieleib<br />
– hat im oberen Bereich Anteil an den Bewusstseinsprozessen<br />
und im unteren Körperbereich Anteil an den Lebensprozessen.<br />
Der Ätherleib ist etwas Geistiges oder Energetisches<br />
und ist nicht so abgeschlossen wie zum Beispiel der<br />
Schädel. Er ist nach außen offener.<br />
Den oberen Einflüssen gegenüber offen, aufnahmefä-<br />
Qualität von Produkten<br />
hig für alles, was von untern kommt, im Rumpfbereich<br />
ein ovaler Raum.<br />
Im Erlernen dieser Forschungsmethode, lernt man andere<br />
Menschen kennen, welche die gleichen Erfahrungen<br />
machen. Auch aus verschiedenen Heilmethoden gibt es<br />
solche Hinweise. Das ist der Schritt vom rein Subjektiven<br />
hin zu einer Art von Intersubjektivität. Man kommt dazu,<br />
dass man die eigenen Verfassungen viel feiner oder näher<br />
bestimmen kann. Wenn man sich bestimmten Einflüssen<br />
aussetzt, wird dieser Einfluss wahrnehmbar. Man<br />
steht auf Kalk oder Kiesel und kann dies unterscheiden<br />
und merken, worauf man steht. Oder wenn ich ein Nahrungsmittel<br />
zu mir nehme, dann müsste doch dieses<br />
Nahrungsmittel einen Einfluss auf meinen Energieleib<br />
- der mich am Leben erhält - haben, und ich müsste diesen<br />
Unterschied wahrnehmen können. Was geschieht in<br />
diesem Bereich, wie wird das gestaltet? In der äußeren<br />
Natur merken wir tatsächlich, wenn wir über Kalk gehen,<br />
wird alles ein wenig kalkhältig, ein wenig schwer in unserem<br />
Empfinden. Auf Granitboden lebt es sich ganz<br />
anders – Menschen mit Lungenkrankheiten gesunden in<br />
Seite 25
Gebieten mit Granit. Das wusste man früher und heute<br />
gibt es auch in der anthroposophischen Medizin Erfahrungswerte<br />
damit.<br />
Wenn man an einer Eiche vorbeigeht merkt ganz fein,<br />
dass man ein wenig knorrig wird. Beim Apfelbaum lieblich.<br />
Und so fort.<br />
Übung zum Erkennen von Lebenskräften<br />
Aufnahme von Ätherkräften von lebendigen Wesen.<br />
Die Eindrücke die entstehen werden systematisiert und<br />
eine Art Kräftewirken kann empfunden werden, wenn sie<br />
in den Vorstellungsraum kommt, eine bildhafte Qualität<br />
annimmt. Wir sprechen von Kräften, die in die Form hineinarbeiten.<br />
Zu dieser Kräftebewegung gehört eine seelische Stimung.<br />
Es geht weiter in das Lichthafte. Solche Kräftebewegung<br />
findet statt in einem Bereich, wo wir mit unserer<br />
normalen Sinneswahrnehmung nicht hinkommen.<br />
Diese Wahrnehmung hat Realität. Diese Realität hat<br />
mehr Intensität als das Sinnenerleben.<br />
Seite 26<br />
Qualität von Produkten<br />
Abbildung 5: Grundgeste Kraftwirbel – einmal in<br />
Diagrammform dargestellt(links) und einmal in Skizzenform<br />
(Mitte). Die einzelnen Kraft“pakete“ können<br />
dem ungeübten Beobachter zusammenhangslos im<br />
Raum schwirrend erscheinen (rechts).Erst eine bestimmte<br />
Beobachtungsdisziplin vermag die einzelnen<br />
Eindrücke zu einer Gesamtgestalt zu ordnen.<br />
Die Kräfte arbeiten in einen Mittelpunkt hinein. Wenn<br />
man nicht geübt ist, kann folgendes geschehen: In der<br />
sinnlichen Welt sind Farben und Formen verbunden. In<br />
der ätherischen Welt können Formen und Farben separat<br />
sein. Erst mit der Souveränität können wir das zusammenschauen.<br />
Am Beginn des Erlernens dieser Fähigkeit<br />
sind wir zunächst im Zustand eines Kleinkindes, welches<br />
auch nur langsam die einzelnen Gegenstände zusammenschauen,<br />
zuordnen und erinnern kann. Das braucht<br />
Erfahrung.<br />
So steht am Beginn dieser Einübung auch die Schwierigkeit<br />
der Zuordnung. Bis wir zu einer Sicherheit kommen,<br />
braucht es Jahre disziplinierter Übung.<br />
In den Übungen geht es um das Erkennen von Grundgesten.<br />
Wir verfolgen diese Bewegung: – das Aufblitzende,<br />
das man wahrnehmen kann da weiter als ein Kräfteströme,<br />
dass sich von unten einem Oben öffnet<br />
1. Stufe – das Aufblitzende, das man wahrnehmen<br />
kann, öffnet sich von unten einem Oben<br />
2. Stufe – das Licht (ein terminus technicus) erscheint<br />
als ein Kräfteströmen nach oben<br />
3. Stufe - das Licht wird gebündelt, gesammelt nach unten<br />
wieder entlassen
4. Stufe - das Licht steigt wieder auf<br />
Wo in der Natur könnte man das finden?<br />
Im Großen bei Laubbäumen. Konzentrierende Geste.<br />
Wärmeprozesse gestalten die Rinde. Der Ahornbaum<br />
zeigt dies in reinster Form.<br />
Interessant ist die Geste beim Stamm. Die Geste selber<br />
bündelt nicht, Kräfte wirken von außen ein, schaffen<br />
Raum nach innen, damit die Säfte steigen können und<br />
der Baum nach außen hart werden kann.<br />
Hier macht Herr Buchmann den Übergang zur Eurythmie<br />
und sagt, dass man einerseits dieses Kräftewirken<br />
nicht zeichnerisch darstellen kann und es eigentlich<br />
eurythmisch tanzen sollte und andererseits ist zu erkennen,<br />
dass sich die Sprache aus dieser Kräftebewegung<br />
herausentwickelt hat.<br />
Wir finden diese Geste ausgebreitet über das ganze<br />
Pflanzenreich. Bei der Möhre geht dieses Lichtsammeln<br />
im Wurzelreich vonstatten. Wenn wir eine Möhre essen,<br />
nehmen wir dieses Kräftegestalten auch in uns auf. Man<br />
muss sich diese Skizze vom Ätherleib allgemein vorstellen,<br />
die Strömung nach oben. Die Öffnung oben ist<br />
Qualität von Produkten<br />
so gestaltet, dass Licht von oben herein strömen kann.<br />
So wirkt die Möhre auch auf unseren Organismus. Die<br />
Lichtkräfte entfalten sich in alle Regionen hinein und<br />
durchlichten das Ganze; im Kopfbereich werden die<br />
Lichtkräfte abgegeben. Dann kann man verstehen, warum<br />
gesagt wird, dass die Möhre auf das Denken wirkt.<br />
wir haben in diesem Bereich Energie zur Verfügung zur<br />
denkerischen Tätigkeit.<br />
Die Konzentrationsgestaltung bekommen wir quasi<br />
gratis, wenn wir Sellerie zu uns nehmen.<br />
Wir können nach diesen Erfahrungen gezielt unsere Nahrungsmittel<br />
auswählen.<br />
Hier wirkt ein anderes Licht als bei der Möhre. Im<br />
Ätherischen kennen wir vielfältige Lichtqualitäten.<br />
Wenn man Obstbäume auf die gleiche Art beobachtet,<br />
dann kann man andere Strukturen finden. Kräftige<br />
Bewegung von unten aufsteigend und außen absteigend<br />
wieder in die Erde hinein. Das gibt dem Baum eine Hülle.<br />
In diese Hülle hinein strömt von oben ein bestimmtes<br />
Seite 27
Licht, welches sich unterscheidet vom Licht der Möhre.<br />
Dieses Bildewirken finden wir im Apfel wieder.<br />
Hier sehen wir eine Zugewandtheit nach oben, ein<br />
Strömen hinein in die Sinnesorgane und Verbundenheit<br />
nach unten.<br />
Wenn wir nun Weizen essen, wirken vor allem die<br />
starken Aufrichtekräfte.<br />
Jede Pflanze reagiert auf die gegebenen Wachstumsbedingungen,<br />
auf züchterische Massnahmen und last<br />
not least auf Grund ihrer genetischen Ausstattung. Mit<br />
der Bildekräfteforschung können wir nur Unterschiede<br />
im Bildhaften erkennen. Dies lässt noch keine Schlüsse<br />
zu.<br />
Es bleibt ein beobachtendes Herantasten.<br />
Markus Buchmann hielt den Vortrag am 15. März 2009 in Wien<br />
Seite 28<br />
Qualität von Produkten
Etwas über den Organismus<br />
Ursula Kothny<br />
Wir wollen uns heute mit dem Begriff Organismus beschäftigen,<br />
wollen den Erscheinungen und der Gesetzmäßigkeit,<br />
die in der Entfaltung des Organischen in der<br />
Natur walten, etwas näher kommen.<br />
Sie müssen den Organismus verstehen lernen, wenn<br />
Sie Ihren Betrieb als einen <strong>landwirtschaft</strong>lichen Organismus<br />
gestalten und bearbeiten wollen.<br />
Der Organismus ist immer ein Ganzes<br />
Wann sprechen wir von Organismus? Was zeichnet dieses<br />
als Organismus aus, und jenes als ein anorganisches Objekt?<br />
Sie alle kennen die Begriffe organische und anorganische<br />
Naturwissenschaften. Elemente, Steine, Kristalle,<br />
Metalle gehören der anorganischen Natur an. Warum?<br />
Weil sie in sich nicht belebt sind. Weil für sie die physikalisch-mechanischen<br />
Gesetze rein von außen gelten<br />
und sie selber nicht die Möglichkeit in sich tragen, auf<br />
diese Auswirkungen aus eigenem Antrieb zu reagieren,<br />
oder diesen etwas entgegen zu stellen. Pflanzen, Tiere,<br />
der Mensch, die Millionen Mikrolebewesen und Bakterien<br />
gehören der organischen Natur an. Wir sind darin<br />
geschult worden, die organische Natur mit den gleichen<br />
Augen und Denkmustern zu betrachten wie die anorganische<br />
Natur; nämlich nach physikalisch-mechanischen<br />
Gesetzmäßigkeiten.<br />
Mit dieser Betrachtungsweise kann man zwar den Aufbau<br />
und die Funktionen der organischen Natur begreifen,<br />
niemals aber die in ihr waltenden Gesetze. Noch weniger<br />
die Impulse, welche sich nach eigenen Rhythmen<br />
und Entwicklungsschritten entfalten und gleichzeitig den<br />
notwendigen Freiraum für die Anpassung an äußere<br />
Gegebenheiten beinhalten.<br />
Organismus<br />
Man nimmt so lediglich Auswirkungen von Bedingungen<br />
wahr, nicht aber die Ursachen, das Organische<br />
an sich. Will man Organismus begreifen, muss man<br />
Leben erfassen; muss man begreifen, wie sich das Lebendige<br />
im Organismus zur Geltung bringt. Ein Leichnam<br />
behält wohl eine Zeit lang Form und Größe, Farbe<br />
und Lage der einzelnen Teile zueinander, abhängig von<br />
Außentemperatur, Luftfeuchtigkeit, etc., aber das Wesentliche<br />
fehlt – das die Teile untereinander verbindende<br />
Lebensband, und das dadurch jeden einzelnen Teil Belebende.<br />
Das Organische kann nicht auf die gleiche Weise<br />
erforscht werden, wie das Anorganische.<br />
Wir möchten heute den Versuch starten, das Organische<br />
mit den Augen Goethes zu betrachten. Die<br />
geisteswissenschaftlichen Grundlagen für die <strong>biodynamische</strong><br />
Landwirtschaft hat Rudolf Steiner anhand der naturwissenschaftlichen<br />
Erkenntnisse Goethes entwickelt.<br />
Wollen Sie Goethes Denk- und Erkenntniswege gehen, so<br />
studieren Sie, wenn Sie das Poetische lieben, den Faust;<br />
wenn Sie mehr Zugang zum Prosaischen, Sachlichen<br />
verspüren, seine naturwissenschaftlichen Schriften. Zu<br />
Ersterem: „Wer das Lebendige will beschreiben, sucht<br />
erst den Geist heraus zu treiben. Dann hat er die Teile in<br />
seiner Hand, fehlt leider nur das geistige Band.“ 1<br />
Sehen Sie, damit haben wir gleich eines der Grundprinzipien<br />
des Organischen ins Auge gefasst, welches schon<br />
Platon und Aristoteles erkannt hatten: In der Organik<br />
herrscht stets das Prinzip der Ganzheit, das ganzheitlich<br />
gestaltende Organisationsprinzip. Es gibt keinen halben<br />
Organismus. Ein Organismus ist immer ein Ganzes, egal<br />
wie er uns erscheint und in welchem Entwicklungsstadium<br />
er steht. Wir können wohl Teile eines Organismus<br />
betrachten und untersuchen, das Organische dieser Teilbereiche<br />
nehmen wir aber nur wahr, wenn wir den<br />
1 Goethe, Johann Wolfgang: „Faust“, Aufbauverlag Berlin<br />
und Weimar, 1984<br />
Seite 29
Gesamtorganismus mit in unsere Betrachtung einbeziehen.<br />
Sehen Sie den Apfel an: Nachdem er vom Baum<br />
entfernt, bzw. gefallen ist, können nur noch die Abbauprozesse<br />
auf sein ehemals belebtes Fruchtfleisch wirken.<br />
Aber in sich trägt er gleichzeitig die Samen, und jeder<br />
einzelne trägt das Potential in sich, wiederum ein Apfelbaum<br />
zu werden. Den Samen verstehen wir nur dann,<br />
wenn wir sein Entwicklungspotential und die ihm innewohnende<br />
Gestalt vor unser geistiges Auge führen. Der<br />
Same selbst sagt nichts darüber aus, welcher Art, der<br />
sich daraus entwickelnde Baum sein wird.<br />
Mit Bestimmtheit können wir nur sagen, dass er eine<br />
Pflanze wird, ein Baum aus der Familie der Rosengewächse.<br />
Der Typus<br />
Goethe spricht in diesem Zusammenhang vom Typus.<br />
Der Typus ist keine reale, mit den Augen erfassbare Erscheinung<br />
der sinnlichen Welt. Den Typus der Pflanze<br />
hat Goethe an der Urpflanze entwickelt, indem er aufzeigte,<br />
nach welchen Prinzipien sich alles Pflanzliche<br />
ausgestaltet.<br />
Das Organische ist in seiner Gestaltung einer steten<br />
Verwandlung unterworfen und zeigt sich in der sinnlichen<br />
Welt in der Form. Diese Ausgestaltung erfolgt<br />
nach inneren Gesetzmäßigkeiten.<br />
Goethe kommt zu dem Schluss, dass die Idee eines<br />
Wesenhaften im Organismus wirkt, bei dem alle Einzelteile<br />
von dieser Idee durchdrungen und belebt werden.<br />
Nicht ein Glied bestimmt das andere, sondern das Ganze,<br />
die Idee bedingt jedes Einzelne aus sich selbst. Das<br />
nennt Goethe Entelechie.<br />
Seite 30<br />
Organismus<br />
Die Entelechie<br />
Die Entelechie ist eine sich aus sich selbst ins Dasein<br />
rufende Kraft. Was als Erscheinung ins Dasein tritt, ist<br />
durch jene entelechische Kraft bestimmt.<br />
Wenn man nun im goetheschen Sinne von Urorganismus<br />
spricht, so ist nicht eine Urzelle mit dem ihrer typologischen<br />
Veranlagung entsprechenden Entwicklungspotenzial<br />
ins Auge zu fassen, sondern jene Entelechie,<br />
in der die Urzelle bereits als Organismus vorweggenommen<br />
ist. Da dies ein allgemeines Prinzip ist, kommt es<br />
im einfachsten Organismus genau so vor wie im komplexesten.<br />
Insofern folgt der Organismus in seiner Entwicklung<br />
einem ideell-allgemeinen Prinzip. Seiner Ausgestaltung<br />
nach jedoch einem individuell-besonderen.<br />
Das Lebensprinzip existiert nirgends als ein bestimmtes<br />
Zentrum, sondern herrscht übergeordnet und<br />
ist zugleich jedem Organ innewohnend.<br />
Wie kommt es nun zu den vielfältigen Erscheinungen<br />
innerhalb der organischen Natur?<br />
Wir können zwei Wirkungsprinzipien erkennen:<br />
Das der Gliederung oder Differenzierung, welches sich<br />
in der Gestaltbildung bzw. Raumgestalt zeigt. Dieses<br />
Prinzip kann nur verstanden werden, wenn man auch die<br />
Zeitgestalt mit einbezieht. Denn die Erscheinung eines<br />
Organismus ist, aufgrund des in ihm wirkenden Lebensprinzips<br />
– der Entelechie – in ständiger Wandlung begriffen.<br />
Es gibt eine Phase des Aufbauens, des Wachsens,<br />
und es gibt eine Phase des Abbauens, des Alterns, und<br />
der Reifung. Es wirken Zusammenziehung und Ausdehnung.<br />
Diese ganze organische Entwicklung folgt einem<br />
Urbild, welches in sie wie eingeschrieben ist, was wir das<br />
Typologische nennen. Darin herrscht Ganzheitlichkeit,<br />
d.h. in jedem Teil des Organismus bildet der Typus das
Ideell-Allgemeine. Was sich verändert ist lediglich das Erscheinungsbild<br />
im Lauf des Entwicklungsprozesses.<br />
Mit dem befruchteten Ei ist stets schon die charakteristische<br />
Gestalt vorgegeben. Unter Gestaltbildung<br />
ist insofern nicht das Entstehen, sondern das Sichtbarwerden<br />
der Gestalt in einer individuellen Entwicklung zu<br />
verstehen. Sehen Sie das Prinzip der Ganzheit? Ein Organismus<br />
summiert sich nicht nach und nach zu einer<br />
Einheit, sondern ist von Beginn seiner Entwicklung an<br />
ein Ganzes.<br />
Entwicklung im Organischen ist niemals ein von Stadium<br />
zu Stadium akzidentielles (zufälliges) Hinzukommen<br />
im Sinne eines Fortschritts vom Einfachen zum Komplizierten,<br />
sondern jeweils die Differenzierung eines schon<br />
vorgegebenen einheitlichen Ganzen.<br />
Zur Veranschaulichung wollen wir eine solche<br />
organische Entwicklung einmal anhand einer Eizelle<br />
durchexplizieren:<br />
Die Eizelle ist die größte Zelle im Körper, gerade noch<br />
mit freiem Auge sichtbar; ihre Form ist die einer Kugel.<br />
Sie lebt in einem losen Zellverband, dem Eierstock. Die<br />
reife Eizelle schwebt frei und kann so ungehindert ihre<br />
Sphärengestalt verändern.<br />
Die Eizelle ist die älteste teilungsfähige Zelle des Körpers.<br />
Sie bildete sich im mütterlichen Organismus, als<br />
jener sich noch im embryonalen Zustand befand. Das<br />
bedeutet, diese Eizelle ist bereits im Leib der Großmutter<br />
entstanden.<br />
Wir blicken hier auf den Erbstrom der organischen<br />
Substanz, der sich im Dunkel der Generationen verliert.<br />
Die Eizelle als Ursubstanz des Lebens wird mit der Befruchtung<br />
zu einer inneren Dynamik aufgerufen, zu einer<br />
Auseinandersetzung zwischen einem inneren und einem<br />
äußeren Organismus.<br />
Organismus<br />
Nach dem Eindringen des Samens kommt es von innen<br />
her nach 30 Stunden zur ersten Zellteilung. Bald sind<br />
es zwei, vier, acht Zellen. Drei Tage nach der Befruchtung<br />
besteht der junge Keim aus einer 16 zelligen, kompakten<br />
Kugel, die von ihrem Aussehen her einer Maulbeere<br />
gleicht, deshalb Morula genannt.<br />
Obwohl die in der Morula befindlichen Zellen bis auf<br />
geringe Größenunterschiede völlig gleich aussehen und<br />
man annehmen muss, dass sie noch das gleiche Entwicklungspotenzial<br />
besitzen, also untereinander austauschbar<br />
wären, ist erwiesen, dass aus den zentral gelegenen<br />
Zellen der Embryo sich entwickelt, aus den peripheren<br />
Zellen das nährende Gewebe, die Plazenta. Den inneren<br />
Zellkomplex nennt man darum Embryoplast, den äußeren<br />
Trophoplast.<br />
In der Morula wächst nun spiralförmig ein Raum, der<br />
sich zu einer Höhlung weitet. Die Zellmasse wird dabei<br />
an die Peripherie gedrängt, sodass eine Hohlkugel entsteht.<br />
Allmählich löst sich die Zellhaut auf, welche den<br />
Seite 31
Keim bis jetzt umgeben hatte. Die Keimblase hat immer<br />
noch die Größe der Eizelle, wenngleich sich die Zellen in<br />
unglaublicher Schnelle vermehren, von 60 Zellen auf 100<br />
Zellen in nur einem halben Tag.<br />
Der Keim befindet sich noch immer auf seiner Wanderung<br />
durch den Eileiter. Am sechsten oder siebenten Tag<br />
erreicht er die Höhlung der Gebärmutter als völlig frei<br />
schwebende Kugel. Die mütterliche Schleimhaut nimmt<br />
den Keimling auf, wie die Erde den Samen. Die ganze<br />
folgende Entwicklung vollzieht sich im Schoße dieser eigens<br />
für die Keimesentwicklung wunderbar zubereiteten<br />
Schleimhaut im Inneren der Gebärmutter.<br />
Wir sehen: Die Eizelle ist ein Ganzes. Dieses Ganze<br />
differenziert sich schrittweise aus. Es werden Augen,<br />
Hände, Füße, der Blutkreislauf und aus diesem das Herz<br />
entstehen. Aber zu jedem Zeitpunkt ist das Geschöpf<br />
ein lebendiges Ganzes. Die Differenzierung geschieht<br />
dadurch, dass die Eizelle durch Teilung ihren Innenraum<br />
mit Zellen durchsetzt und dass die so entstehenden Zellen<br />
sich immer weiter teilen, an dem einen Ort mehr, an<br />
dem anderen weniger. Immer aber vollzieht sich die Vermehrung<br />
der Zellen im Inneren. Nie setzt sich Zelle auf<br />
Zelle, wie bei einem Baukasten. Man hat es mit einem<br />
ungeheuer komplizierten Unterteilen und Verschieben<br />
des lebendigen Protoplasmas zu tun – jedoch bleibt bei<br />
jedem Schritt das Ganze gewahrt.<br />
Umgangssprachlich sagt man: Der Körper sei aus<br />
Zellen aufgebaut. Das Gegenteil ist der Fall: Der Körper<br />
baut Zellen in seine Form hinein. Dieser Prozess vollzieht<br />
sich während des ganzen Lebens. In Zeitbegriffen ausgedrückt<br />
wissen wir, dass der Körper im Laufe von sieben<br />
Jahren sich zur Gänze erneuert.<br />
Der Körper eines Menschen ist zunächst eine Eizelle,<br />
seine Ursprungsgestalt ist eine Kugel. Im Verlaufe der<br />
Embryonalentwicklung verändert sich die menschliche<br />
Leibform. Sie nimmt verschiedenste Gestaltungen an.<br />
Seite 32<br />
Organismus<br />
Zunächst wird sie flach wie der Erdboden, aus dem sich<br />
aber bald gebirgsähnliche Formungen erheben, wächst<br />
dann pflanzenartig aus eigenem Erdreich empor, wird<br />
fischähnlich und tastet sich allmählich durch alle Gestaltungen<br />
der höheren Tierformen hindurch, bis endlich die<br />
Menschengestalt sichtbar wird. Von Anfang an ist aber<br />
der sich entwickelnde Körper der eines Menschen, eines<br />
ganz bestimmten Menschen, eines Individuums mit einer<br />
besonderen Persönlichkeit – er ist immer ein ganzer<br />
Organismus.<br />
Entwicklung im Organischen meint darum nicht die<br />
Differenzierung im Sinne eines Fortschreitens vom Einfachen<br />
zum Komplizierten, nicht das Hinzukommen von<br />
Teilen als Akzidenzien. Der ganze Entwicklungsvorgang<br />
ist Differenzierung eines schon vorgegebenen Ganzen,<br />
dessen Erscheinungsform sich im Laufe des Erdenlebens<br />
ändert.<br />
Unter diesem Aspekt ist auch der Hoforganismus<br />
zu sehen. Sie müssen Ihren Geist schulen für das<br />
Ideell-Allgemeine eines Organismus, um darin das<br />
Individuell-Besondere erkennen zu können.<br />
Das braucht Intuition. Intuition meint anschauendes<br />
Erkennen. Sie müssen die Fähigkeit zur Intuition schulen,<br />
um das Organische begreifen und das Entwicklungspotenzial<br />
Ihres Hoforganismus erschauen zu können.<br />
Meditation und künstlerisches Üben können dabei<br />
unterstützend wirken.
Zusammenfassend möchte ich noch einmal das Charakteristische<br />
einer organischen Entwicklung hervorheben:<br />
Organische Entwicklung und Wachstum erfolgen immer<br />
durch Zellteilung von innen nach außen. Es ist ein Spiel<br />
zwischen Anregung von außen und Reifung im Inneren.<br />
Der Organismus folgt in seiner Entwicklung einem Urprinzip,<br />
welches ihm innewohnt.<br />
Er lebt aus einer sich stets erneuernden Kraft, der Entelechie.<br />
Seine Entwicklung folgt einem ideell-allgemeinen<br />
Prinzip, dem Typus (der Urpflanze, des Urtieres). Dieser<br />
zeigt sich im Individuell-Besonderen in der sinnenfälligen<br />
Raumgestalt, die Gattung, Art, Familie und so fort<br />
genannt wird.<br />
Dieser lebendige Organismus ist einer ständigen<br />
Wandlung unterworfen. Darum nennt man seine aktuelle<br />
Gestalt immer die Zeitgestalt. Der Typus folgt dem<br />
Prinzip der Gliederung.<br />
Literaturliste:<br />
Steiner, Rudolf:<br />
„Goethes Naturwissenschaftliche Schriften“, Verlag<br />
Freies Geistesleben<br />
Steiner, Rudolf:<br />
„Geheimwissenschaft im Umriß“,<br />
Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 2005<br />
Goethe, Johann Wolfgang von:<br />
„Die Metamorphose der Pflanze“,<br />
Acta Humaniora, Weinheim, 1984<br />
Darwin, Charles: „Die Entstehung der Arten“, Reclam,<br />
Stuttgart, 1967<br />
Ursula Kothny hielt diesen Vortrag im Rahmen der<br />
Weiterbildung für praktizierende Biodynamiker<br />
am 4.Oktober 2008 im Waldviertel und am Wurzerhof.<br />
Organismus<br />
Seite 33
Der Landwirtschaftliche Organismus<br />
Rudolf Keiblinger-Bartsch<br />
„Nun, eine Landwirtschaft erfüllt eigentlich ihr Wesen<br />
im besten Sinne des Wortes, wenn sie aufgefasst werden<br />
kann als eine Art Individualität für sich, als eine wirklich<br />
in sich geschlossene Individualität. Und jede Landwirtschaft<br />
müsste eigentlich sich nähern – ganz kann das<br />
nicht erreicht werden, aber sie müsste sich nähern – diesem<br />
Zustand, eine in sich geschlossene Individualität zu<br />
sein.“1<br />
Dies sind wohl die wichtigsten Sätze im Landwirtschaftlichen<br />
Kurs, wenn es um Überlegungen und Erörterungen<br />
zum <strong>landwirtschaft</strong>lichen Organismus geht.<br />
Und sie sind deshalb in ihrer Wichtigkeit nicht zu überschätzen,<br />
weil nur eine Landwirtschaft, welche als Organismus<br />
verstanden und betrieben wird, in die Zukunft<br />
hinein gesund und damit lebensfähig bleiben kann.<br />
Es braucht ganz bestimmte Voraussetzungen, dass sich<br />
eine Landwirtschaft zu einem Organismus entwickeln<br />
kann:<br />
Es wird hier hilfreich sein, die Viergliederung alles Seienden<br />
zugrunde zu legen:<br />
Die physische Organisation des <strong>landwirtschaft</strong>lichen<br />
Hofes<br />
Die naturhaft angelegte physische Organisation des<br />
Hofes hängt wesentlich von den Standortbedingungen<br />
ab und ist nur begrenzt veränderbar, sei es durch Terrassierung,<br />
Be- und Entwässerung, Windschutzhecken.<br />
Etwas mehr Einflussmöglichkeiten bieten die Bodenbearbeitung<br />
und die Düngung.<br />
1 Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen…“, S 42<br />
Seite 34<br />
Landwirtschaftlicher Biodynamischer Landbau Organismus<br />
Hier gilt es, sich eingehend mit den vorhandenen physischen<br />
Gegebenheiten zu beschäftigen.<br />
Bodenbeschaffenheit (Kalk oder Kiesel)<br />
Klimatische Bedingungen<br />
(Obwohl diese sich zunehmend verändern!)<br />
Regionale Besonderheiten<br />
Das Ätherische oder die Lebensorganisation<br />
„In der richtigen Verteilung von Wald, Obstanlagen,<br />
Strauchwerk, Auen mit einer gewissen natürlichen Pilzkultur<br />
liegt so sehr das Wesen einer günstigen Landwirtschaft,<br />
dass man wirklich mehr erreicht für die Landwirtschaft,<br />
wenn man sogar die nutzbaren Flächen des<br />
<strong>landwirtschaft</strong>lichen Bodens etwas verringern müsste….<br />
Man kann eigentlich in einem Betrieb, der so stark ein<br />
Naturbetrieb ist wie der <strong>landwirtschaft</strong>liche, gar nicht darinnen<br />
stehen, ohne in dieser Weise Einsichten zu haben<br />
in den Zusammenhang des Naturbetriebs, in die Wechselwirkung<br />
des Naturbetriebs.“2<br />
Das Ätherische ist die Sphäre der Pflanzenwelt. Die<br />
Gestaltungsmöglichkeiten sind in dieser Sphäre ungleich<br />
größer, als in der physischen Organisation.<br />
Erarbeiten einer geeigneten Fruchtfolge<br />
Auswahl der richtigen Getreidearten und –sorten<br />
(Überlegungen zur Hofsorte)<br />
Wahl der passenden Baumarten<br />
Zusammensetzung der Pflanzengemeinschaften<br />
in den Wiesen (Dauerwiese, Wechselwiese)<br />
Anlegen von Hecken<br />
Auseinandersetzung mit Saatzuchtfragen<br />
2 ebenda S 190
Die Lebensorganisation ist umso gesünder, je mehr<br />
Pflanzenarten Raum gegeben wird, je vielfältiger sie gestaltet<br />
ist. Umgekehrt ist sie umso krankheitsanfälliger,<br />
je mehr sie zur Monokultur neigt. Dies bedingt Vielfalt in<br />
der Fruchtfolge, in der Verteilung der Kulturarten, in der<br />
Mannigfaltigkeit der Kräuter- und Gräserarten einer Wiese,<br />
in der Buntheit eines Gartens, in der Verschiedenheit<br />
der Gehölze der Hecken und Wälder.<br />
Die Aufgabe des Landwirtes, der Landwirtin in der<br />
Gestaltung ist es, diese Vielfalt zu ermöglichen und zu<br />
erhalten, sei es durch Beweidung, Mahd, Ackerfutterbau,<br />
Düngung, Gründüngung, Zwischenfrüchteanbau,<br />
Bodenbearbeitung und Neupflanzungen oder Neueinsaaten.<br />
So mag es gelingen, dass sich diese lebendige<br />
strömende Vielfalt zu Organen zusammenschließt: Zum<br />
Fruchtfolgeglied im Ackerbau, zum Bauerngarten mit all<br />
seiner Buntheit, zur Streuobstwiese, zum Feldrain, zur<br />
Wiese, zur Weide, zur Baumgruppe, zum Biotop, zum<br />
Ackerrain, zur Waldlichtung, zum Getreideacker, zum<br />
Krautgarten, zum Rübenfeld oder Erdäpfelacker. Der<br />
Gestaltungs- und Forschungsmöglichkeiten ist hier so<br />
schnell kein Ende gesetzt.<br />
„So wie der Nadelwald eine intime Beziehung zu den<br />
Vögeln hat, die Sträucher eine intime Beziehung zu den<br />
Säugetieren haben, so hat wiederum alles Pilzige eine<br />
intime Beziehung zu der niederen Tierwelt, zu Bakterien<br />
und ähnlichem Getier, zu den schädlichen Parasiten<br />
nämlich.“3<br />
An dieser Stelle spricht Steiner schon die Beziehungen<br />
der Pflanzenwelt zum Naturreich des Tierischen an.<br />
3 ebenda S 189<br />
Landwirtschaftlicher Biodynamischer Landbau Organismus<br />
Die Seelenorganisation<br />
Diese Lebensorganisation ist durchzogen von einem<br />
Seelischen, das sich am deutlichsten in der weisheitsvollen<br />
Tätigkeit der Tiere offenbart, aller Tiere, über und<br />
unter der Erde.<br />
Der Mensch ist aufgefordert, das Verhalten der Tiere,<br />
ihre Tätigkeit, ihre Stimmungen, die wir bei Begegnungen<br />
wahrnehmen können, als jene Seelenkräfte zu<br />
beobachten, die aus der Vielfalt des Lebendigen jene<br />
oben genannten Organe bzw. den Hof als Ganzes zum<br />
Organismus schaffen. Sei es nun beim Regenwurm, bei<br />
den Vögeln und Insekten, sei es bei der Rinderherde, die<br />
sich durch die Lebensorganisation des Hofes frisst, das<br />
Futter in Dünger verwandelt, der als Belebungsmittel<br />
das Verhältnis von Boden und Pflanze in Bezug auf das<br />
Ganze des Hofes ordnet und gestaltet.<br />
„Daher müsste innerhalb der Landwirtschaft auch ein<br />
Auge darauf geworfen werden, in der richtigen Art Insekten<br />
und Vögel herumflattern zu lassen. Der Landwirt<br />
selber müsste auch etwas von Insektenzucht und Vogelzucht<br />
zu gleicher Zeit verstehen. Denn in der Natur – ich<br />
muß das immer wieder betonen – hängt doch alles, alles<br />
zusammen….Darüber macht sich heute die Menschheit<br />
noch nicht richtige Begriffe, welchen Einfluß die Vertreibung<br />
gewisser Vogelarten aus gewissen Gegenden<br />
durch die modernen Lebensverhältnisse für alles <strong>landwirtschaft</strong>liche<br />
und forstmässige Leben eigentlich hat.“4<br />
Dabei ist es der Bauer,die Bäuerin, der/die das richtige<br />
Maß finden muss: Die richtige Anzahl an verschiedenen<br />
Tieren im Verhältnis zum Boden, zur Futtergrundlage.<br />
Das ergibt genau den richtigen Mist für dieses Stück<br />
Erde.<br />
4 ebenda S 179<br />
Seite 35
Seite 36<br />
Landwirtschaftlicher Biodynamischer Landbau Organismus<br />
Die Seelenorganisation offenbart sich nicht nur durch die Tierwelt. Sie strahlt um die Pflanzen herum, in Farbe<br />
und Duft der Pflanzen, im Bild der Pflanzengestalt, in der Abgeschlossenheit der Baumkrone und der Blüten,<br />
in den Hautbildungen eines Waldsaums oder einer Hecke, da wo Empfindungen von Schönheit aufglänzen.<br />
Die Ich-Organisation<br />
Dass sich diese physische Gegebenheit des Standortes des Hofes, die Möglichkeiten der Gestaltung der Pflanzenwelt<br />
und Seelenkräfte der Tierwelt , die astralische Wirksamkeit der Planeten und Sterne zu einer Art Wesensglieder<br />
eines <strong>landwirtschaft</strong>lichen Organismus und dieser zur Grundlage einer Art Individualität entwickeln können,<br />
bedarf es eines vierten Wesensgliedes: der Ich-Organisation. Sie bildet sich durch die ideengetragene Arbeit<br />
der den Hof gestaltenden Menschen, die alle Wesensglieder durchwirkt, formt und in lebendigem Fluss hält.<br />
Präparateanwendung<br />
Düngung<br />
Fruchtfolge<br />
Bodenbearbeitung<br />
Der handelnde Mensch<br />
Seelisches<br />
Tierwelt<br />
Lebensprozesse<br />
Pflanzenwelt<br />
Physische Welt<br />
Mineralisches<br />
Viehzucht<br />
Pflege<br />
Fütterung<br />
Viehhaltung
Der Organismus ist mehr als die Summe seiner Teile<br />
Nur weil in einer Landwirtschaft Viehhaltung und<br />
Pflanzenbau betrieben wird, es Hecken und Teiche gibt,<br />
heißt das noch nicht, dass eine solche Landwirtschaft<br />
schon ein Organismus ist. Man kann eine Landwirtschaft<br />
auch führen, indem man verschiedene Arbeits- oder Produktionsbereiche<br />
schafft. Es wird immer darum gehen,<br />
dass wir den Unterschied von Bereichs-Gliederung und<br />
Bereichs-Trennung verstehen. Natürlich ist der Anbau<br />
von Pflanzen ein eigenes Arbeitsgebiet, sowie auch die<br />
Viehhaltung. Aber wenn wir sie in Bereiche trennen, dann<br />
verlieren sie ihre innere Beziehung zueinander. Der Mist<br />
der Tiere wird dann nicht mehr mit dem Leben im Boden<br />
zusammengedacht, das Wohlbefinden der Tiere wird<br />
nicht mehr mit der Frohwüchsigkeit der Pflanzen in Verbindung<br />
gebracht, die richtige Konsistenz des Topfens<br />
wird nicht mehr in Beziehung gesetzt zum Seelenklima<br />
im Stall. Abweichungen von der gewünschten Norm werden<br />
nur mehr über Zahlen und Analysen erfasst.<br />
Der Organismus ist ein Ganzes von innen her<br />
Das zu begreifen fällt uns heutigen Menschen schwer.<br />
Wir sind es gewohnt zu analysieren; mit unserem Verstand<br />
die Dinge zu bewerten. Wenn wir aber einen Organismus<br />
verstehen wollen, muss noch eine Fähigkeit hinzukommen.<br />
Die Fähigkeit des Erspürens, des Fühlens;<br />
des intuitiven Erkennens.<br />
Der Organismus Landwirtschaft entsteht in seiner<br />
Ganzheit im Herzen des Bauern, der Bäuerin, welche/r<br />
diese lebendige Einheit spüren, fühlen kann.<br />
Dann werden die einzelnen Teile und Bereiche zu Organen<br />
sich entwickeln, die in gutem Wirkungs-Gleichgewicht<br />
zueinander bestehen. Es werden nicht mehr jene<br />
Teile bevorzugt, die das Geld bringen; es wird zu einem<br />
Landwirtschaftlicher Biodynamischer Landbau Organismus<br />
Ausgleich in den Wertigkeiten kommen. Die Schönheit<br />
einer Sommerwiese wird in der Wertigkeit nicht unter<br />
der guten Milchleistung einer Kuh zu stehen kommen;<br />
der feine Geschmack der Karotte wird gleichwertig sein<br />
einer energiesparenden Hackschnitzelheizung.<br />
Wir ahnen schon: Einen Hof als Organismus verstehen<br />
zu lernen ist eine Entwicklungsaufgabe.<br />
Geduldiges Üben im Wahrnehmen und Beobachten,<br />
Vertiefen der Urteilsfähigkeit, zunehmendes Vertrauen<br />
zu selbst bestimmtem Denken und Handeln und Arbeit<br />
an intuitiver Erkenntnis sind dabei die unerlässlichen<br />
Schritte.<br />
Auf diese Weise wird der Bauer, die Bäuerin selbst<br />
zu einem empfindenden Organ in diesem Organismus<br />
und kann dadurch heilend in die heute durchaus kranke<br />
Landwirtschaft hineinwirken.<br />
So können wir sagen:<br />
Der Organismus ist immer etwas in sich Geschlossenes<br />
mit folgenden Merkmalen:<br />
Der Organismus besitzt eine Haut, eine Grenze, somit<br />
ein Außen und ein Innen. Er hat eine Form, Gestalt. Es<br />
laufen Prozesse in ihm ab; es gibt Wechselwirkungen, er<br />
ist in ständiger Veränderung. Die Vorgänge reichen über<br />
das Kreislaufdenken hinaus.<br />
Die Aufgabe, mit dem Gestalten des <strong>landwirtschaft</strong>lichen<br />
Hoforganismus einen neuen sinnstiftenden Zusammenhang<br />
zu bilden, ist zugleich die Chance der<br />
<strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft als kulturschaffende<br />
Kraft. Denn die Fähigkeit, den Hof als einen Organismus<br />
denken zu können, führt zu einem auf den anderen ausgerichteten<br />
Verhalten und dieses wiederum zu neuen sozialen<br />
Lebensformen, welche von der Einsicht getragen<br />
sind, dass ein sozialer Organismus sich nur auf der Basis<br />
von Kooperation entwickeln kann.<br />
Mag. Rudolf Keiblinger hielt diesen Vortrag am 23.1.2009<br />
Seite 37
Etwas über den Prozess des Potenzierens<br />
Johannes Zwiauer<br />
Wenn wir uns dem Potenzieren annähern wollen, müssen<br />
wir uns zuallererst eine Vorstellung davon machen,<br />
was der Stoff ist. Womit haben wir es in der physischen<br />
Natur zu tun?<br />
Stoff hat Form, Farbe, eine gewisse Beständigkeit, er<br />
ist Ausdruck von Kräften. Durch die moderne Physik ist<br />
die Einsicht in uns wach geworden, dass es ein Verhältnis<br />
gibt zwischen Stoff und Kraft. Der Stoff kann erscheinen<br />
als Partikel oder Kraft. Ausgedrückt wird das enge Verhältnis<br />
von Stoff und Kraft durch die Formel: e=mc2.<br />
Eine ungeheure Energiemenge wird verdichtet zu Stoff,<br />
im Umkehrprozess wissen wir, welch ungeheure Mengen<br />
an Energie freigesetzt werden können durch Auflösung<br />
der dichten Verbindung mittels Kernspaltung.<br />
Diesen Zusammenhang hat Samuel Hahnemann erkannt<br />
und versucht für die Heilkunde fruchtbar zu machen.<br />
Das ließ ihn nach Vorgängen suchen, durch welche<br />
diese starke Verbindung zwischen dem Stoff und<br />
den Kräften gelöst werden kann. Er begann den Stoff<br />
zu zerkleinern, verdünnen, zerreiben, um diesen Stoff<br />
Kraftzusammenhang zu lockern und immer mehr zu<br />
zerdehnen. Dadurch bekam er Zugang zu den Kräften.<br />
Als Beispiel können wir uns Folgendes vor Augen führen:<br />
Da haben wir ein Stück Gold. Wenn nun ein Mensch<br />
dieses Stück Gold isst, passiert gar nichts, außer, dass<br />
er es wieder ausscheidet. Der Körper kommt an diese<br />
verdichtete Materie mit seinen Aufschließungskräften<br />
nicht heran, er kann sie nicht verwerten. Wird dieses<br />
Stück Gold fein zerrieben und, sagen wir in einem Verhältnis<br />
von 1:10 – das heißt, ein Teil Gold und zehn Teile<br />
Milchzucker – eine Stunde lang verrieben, dann haben<br />
wir eine D1 (Dezimalpotenz). Wir können dann immer<br />
weiter verdünnen. Wenn wir ein Teil von der Substanz<br />
Seite 38<br />
Potenzieren<br />
der D1 nehmen und wieder mit zehn Teilen Milchzucker<br />
verreiben, bekommen wir die D2 und so fort.<br />
Bei diesem Vorgehen wird der Stoff immer mehr auseinander<br />
gezogen, zerdehnt. So kommen wir an die Kräfte<br />
des Goldes heran.<br />
Wenn man das Gold stofflich verdünnt, zerdehnt, auseinander<br />
zieht, kommen jene Kräfte, die einst den Stoff<br />
verdichtend gebildet haben, frei und werden für unseren<br />
Körper verfügbar.<br />
Nach Rudolf Steiner war vor der Stoffwelt eine Kräftewelt,<br />
welche sich in den Stoff hinein verdichtet hat, welche<br />
sich gewissermaßen im Stoff erschöpft hat. Stoff ist<br />
in diesem Lichte hoch verdichtete Bildekraft.<br />
Zwiauer: „Man nehme den Quarz: Mit dem Quarz als<br />
Kristall kann der menschliche Organismus nichts anfangen;<br />
aber Quarz als D10 ist ein beliebtes Heilmittel. In<br />
diesem Arzneimittel wirken nicht mehr die Stoffteile sondern<br />
die Kräfte.“<br />
Es bestehen bei naturwissenschaftlich orientierten<br />
Menschen große Bedenken bezüglich der Tatsache, dass<br />
ab der 27. Potenz kein Stoffmolekül mehr in der Lösung<br />
vorhanden ist. Es stellt sich die Frage: Was wirkt da noch?<br />
Wenn wir die vorangegangenen Aussagen verstanden<br />
haben, können wir diesen Prozess durchschauen und<br />
erkennen, dass das Kräftewirken nicht an stoffliche Moleküle<br />
gebunden ist. So können wir durchaus auch aus<br />
giftigen Substanzen Heilmittel herstellen. Während der<br />
Körper das Gift in der verdichteten Form nicht überwinden<br />
kann, ist es ohne weiteres möglich, dass die gleiche<br />
Substanz in einem verdünnten Zustand heilend wirkt.<br />
Als Beispiel wird die Tollkirsche (Belladonna) angeführt.<br />
Dr. Zwiauer hat diesen Vortrag am 23.Jänner 2009 im<br />
Rahmen der Ringvorlesung gehalten.
Der Boden als lebendiger Organismus<br />
Walter Sorms<br />
Inhaltlich lässt sich der Vortrag von Walter Sorms in<br />
drei große Bereiche gliedern, welche einander bedingen:<br />
Der Boden als Lebewesen<br />
Eine gute Ernte ist die beste Vorfrucht<br />
Dammkultur als effiziente Bearbeitungsmethode<br />
Der Boden als lebendiger Organismus<br />
Wenn in <strong>biodynamische</strong>n Zusammenhängen vom Boden<br />
als einem Bodenlebewesen gesprochen wird, entsteht<br />
oft der Eindruck, dass mit diesem lebendigen Wesen<br />
oder Organismus die Summe aller im Boden lebenden<br />
Organismen gemeint ist. Walter Sorms tritt dieser Denk-<br />
Ungenauigkeit mit Entschiedenheit entgegen und beruft<br />
sich dabei auf Forschungsergebnisse aus der langjährigen<br />
akribischen Forschungsarbeit von Dr. Edwin Scheller.<br />
Dabei handelt es sich um eine außerordentliche Entdeckung:<br />
Dr. Scheller konnte die Existenz von spezifischem<br />
Erdeiweiß nachweisen. Die Tragweite dieser Entdeckung<br />
können wir noch gar nicht abschätzen. Wenn wir das für<br />
wahr nehmen, dann ist der Boden ein eigenes Lebewesen<br />
und das muss weitgehende Folgen für unseren Umgang<br />
mit dem Boden haben.<br />
Eiweiß ist der zentrale Stoff des Lebens. Überall wo Eiweiß<br />
ist, kann das Leben andocken. Die Erkenntnis, dass<br />
es ein eigenes Erdeiweiß gibt, bedeutet, dass der Boden<br />
lebt. Und überall wo etwas lebt, wirkt eine Kraft.<br />
Und so erklärt uns Walter Sorms in seinem Vortrag<br />
auf der Grundlage dieser Annahme sein Verständnis für<br />
den Umgang mit dem Boden und die dafür speziell entwickelten<br />
technischen Hilfsmittel zur Bearbeitung des<br />
Bodens.<br />
Boden als lebendiger Organismus<br />
Er stellt sich drei Kernfragen:<br />
• Wo liegt die Quelle des Ertrages, wenn die<br />
Theorie von der Pflanze als zehrendem<br />
Organismus aufgegeben wird?<br />
(Staubsaugerfunktion der Pflanze)<br />
• Wie ist der Satz „Der gute Ertrag ist die beste<br />
Vorfrucht“ zu verstehen?<br />
• Wie können wir – neben einer durchdachten<br />
Fruchtfolge – über die Bodenbearbeitung der<br />
Tatsache gerecht werden, dass der Boden ein<br />
lebendiger Organismus ist?<br />
In der Landwirtschaft begann sich mit dem Beginn<br />
des 20. Jahrhunderts die mechanistische Auffassung<br />
von Welt und Natur durchzusetzen. Demnach muss eine<br />
Pflanze für ihr Wachstum Stoffe aus dem Boden aufnehmen.<br />
Das bedeutet: Je besser sie wächst, desto mehr<br />
Stoffe entzieht sie dem Boden. Daher müssen dem Boden<br />
jene Stoffe, welche die Pflanze entzogen hat, in mineralischer<br />
Form wieder zurückgegeben werden. Diese<br />
Ansicht führte dazu, dass aus verschiedenen Gegenden<br />
der Welt mineralische Dünger - Grundstoffe - eingeführt<br />
wurden und noch immer werden. Die geisteswissenschaftlichen<br />
Grundlagen der <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft<br />
widersprechen dieser Annahme.<br />
Hier setzt Walter Sorms an, wenn er sagt: „Aus <strong>biodynamische</strong>r<br />
Sicht sind wir angehalten, dem Lebendigen<br />
gegenüber ein Vertrauen zu hegen, dass das Leben für<br />
sich selber sorgt. Wir haben als Bauern und Bäuerinnen<br />
die Aufgabe, die Gesetze zu erkennen, nach denen das<br />
Lebendige sich erhält. Auf Grundlage dieser Gesetze können<br />
wir dann die richtigen Bedingungen schaffen durch<br />
angepasste Bodenbearbeitung, sorgfältige Saatgutselektion<br />
und zeitgerecht durchgeführte Pflegemaßnahmen<br />
Seite 39
sowie Präparateanwendungen.<br />
Walter Sorms beginnt damit, dass er die Frage nach<br />
der Quelle des Ertrages stellt. Er legt seinen Überlegungen<br />
und Ausführungen die drei Grundgesetze des<br />
Lebens zu Grunde:<br />
• Jedes Lebewesen besteht aus Eiweiß.<br />
• Jedes Lebewesen betreibt Stoffwechsel.<br />
• Für den Stoffwechsel wird Energie gebraucht.<br />
Die Pflanze kann – und das hat sie dem Menschen gewissermaßen<br />
voraus – die Energie direkt von der Sonne<br />
aufnehmen. Sie wandelt diese Energie in einem Verdichtungsprozess<br />
um. Vermittelt über die Ernährung wird<br />
dann dem Tier und dem Menschen diese Energie für die<br />
je eigenen Lebensprozesse zur Verfügung gestellt.<br />
Seite 40<br />
Boden als lebendiger Organismus<br />
Diese Energie verdichtet sie zu Zucker, Stärke – zu Materie.<br />
In diesem Umbildungsprozess entstehen auch Substanzen,<br />
welche die Pflanze in den Boden hinein ausscheidet.<br />
Um die Wurzelspitzen herum verdichten sich solcherart<br />
die Lebensprozesse, da sich Kleinstlebewesen in<br />
hoher Zahl von diesen Pflanzen-Ausscheidungssubstanzen<br />
ernähren können. Diese Kleinstlebewesen erzeugen<br />
Ausscheidungsstoffe und diese wiederum sind beteiligt<br />
am Humusaufbau.<br />
Ein Boden ist dann fruchtbar, wenn Aufbau und Abbau<br />
im Gleichgewicht sind. Und wir können sehen, dass<br />
dieses Gleichgewicht keine Angelegenheit von Stoffmengen<br />
ist, sondern in erster Linie abhängt von den<br />
Lebensprozessen sowohl in der Pflanze als auch im sie<br />
umgebenden Erdreich. Das Gesagte gilt dann, wenn die<br />
Pflanze sich aus dem Lebendigen des Bodens ernähren<br />
muss und nicht künstlich ernährt wird.<br />
Neben der Einsicht, dass sorgfältig kompostierter<br />
Stallmist von verdauungsstarken Tieren den kontinuierlichen<br />
Humusaufbau ermöglicht, unterstreicht Walter<br />
Sorms die Tatsache, dass es aber auch ein vitales Pflanzenwachstum<br />
braucht, um den Boden fruchtbar zu halten.<br />
In diesem Sinne meint er:<br />
Eine gute Ernte ist die beste Vorfrucht<br />
Ist diese Aussage nicht ein Widerspruch zur Liebigschen<br />
Formel vom Stoffausgleich? Denn in diesem<br />
Sinn müsste der Mangel an, von der Pflanze aufgenommenen,<br />
Stoffen im Boden nach einer guten Ernte viel<br />
größer sein.<br />
Walter Sorms erläutert diese Problematik an einem<br />
Versuch:
Auf zwei Versuchsfeldern - ein Feld wird mit Kali gedüngt,<br />
eines bleibt ungedüngt - werden Rüben gebaut.<br />
Der Ertrag auf dem ungedüngten Feld war genauso hoch,<br />
wie auf dem gedüngten. Die Erwartung, dass man auf<br />
dem ungedüngten Feld einen Rückgang von Kali nachweisen<br />
könne, erwies sich als Fehleinschätzung. Es war<br />
sogar nachzuweisen, dass auf dem ungedüngten Feld<br />
der Kaligehalt gestiegen war. Walter Sorms führt diesen<br />
Versuch an, um zu zeigen, dass ein hoher Ertrag – insofern<br />
er nicht auf hohe Düngergaben zurückgeführt werden<br />
kann – ein Zeichen für vitale, „fleißige“ Pflanzen ist,<br />
welche neben dem hohen Ertrag auch noch Überschüsse<br />
in den Boden hinein produzieren. Er erklärt das damit,<br />
dass solche vitale Pflanzen einen hohen Energieumsatz<br />
haben. Je besser eine Pflanze wächst, desto mehr Substanzen<br />
bildet sie, welche sie in den Boden hinein ausscheiden<br />
kann und desto mehr Lebewesen können sich<br />
rund um die Wurzel herum entwickeln und desto mehr<br />
Prozesse werden in Gang gesetzt:<br />
Damit werden Lebensgrundlagen für eine Vielfalt von<br />
Pilzen, Bakterien und andere Mikroorganismen geschaffen.<br />
Und das wiederum unterstützt den Humusaufbau.<br />
Boden als lebendiger Organismus<br />
Von der Frohwüchsigkeit der Pflanze<br />
Der Bauer ist also angehalten, dafür Sorge zu tragen,<br />
dass die Pflanzen ihre optimalen Bedingungen für ein<br />
vitales Wachstum vorfinden.<br />
Walter Sorms hält nichts von jener Haltung, von der<br />
Natur nur zu nehmen, was sie uns von sich aus gibt. Dies<br />
gilt selbstredend für jene Kulturpflanzen, welche der Ernährung<br />
von Tier und Mensch dienen.<br />
Der Mensch als Bauer muss die Prozesse der Natur<br />
– und für diesen Themenkreis – die Prozesse im Boden<br />
genauestens beobachten und studieren. Aus einem solchen<br />
Verständnis kann er der Natur, ohne diese zu schädigen,<br />
höhere Erträge abringen. Das richtige Maß und<br />
das Vermeiden von Einseitigkeiten jedweder Art zugunsten<br />
von höheren Erträgen müssen in diesem Zusammenhang<br />
jedoch stets bewusst bleiben.<br />
Seite 41
Seite 42<br />
„Ein kümmerliches Pflanzenwachstum<br />
muss uns weh tun“<br />
sollte nach Ansicht von Walter Sorms zum Credo eines<br />
jeden Bauern werden. Voraussetzung dafür ist allerdings<br />
zum einen ein Verständnis vom Boden als Organismus<br />
und zum anderen, dass die Pflanze aus der Lebendigkeit<br />
des Bodens wachsen soll und nicht durch „Infusionen“.<br />
In unseren Breiten haben wir alle Nährstoffe für die<br />
Pflanzen in Hülle und Fülle in der unmittelbaren Umgebung<br />
der Pflanze. Wir müssen nicht Nährstoffe von weit<br />
herkarren. Aber wir können die vorhandenen Nährstoffe<br />
für die Pflanzen nur verfügbar machen, wenn wir uns darum<br />
bemühen die Bedingungen des Lebens zu verstehen.<br />
Wer das Lebendige verstehen will, muss sich fragen:<br />
Wie schaffe ich lebensfreundliche Bedingungen?<br />
Dies sollte das Motto sein für alle Überlegungen zur<br />
• Düngung und zur<br />
• Bodenbearbeitung.<br />
Lebensfreundliche Bedingungen sind immer die mittleren<br />
Zustände zwischen<br />
nass und trocken,<br />
heiß und kalt,<br />
stickig und Durchzug.<br />
Walter Sorms bringt den Vergleich mit einem Haus,<br />
welches auch gegen Nässe und Austrocknung isoliert<br />
ist, welches eine Dämmung hat gegen Hitze und Kälte.<br />
Und dieser Vergleich soll hinführen auf eine Bodenstruktur,<br />
die diese Eigenschaften erfüllt. Ein krümeliger<br />
Boden braucht sechs Kältegrade mehr, bis er gefriert.<br />
Ausgehend von dieser Krümelstruktur führt uns Walter<br />
Sorms hin zum vierten Vortrag im „Landwirtschaftlichen<br />
Kurs“:<br />
Boden als lebendiger Organismus<br />
„Wenn nämlich für irgendeinen Ort der Erde ein<br />
Niveau, das Obere der Erde, vom Inneren der Erde<br />
sich abgrenzt, so wird alles dasjenige, was sich über<br />
diesem Niveau einer bestimmten Gegend sich erhebt,<br />
eine besondere Neigung zeigen zum Lebendigen, eine<br />
besondere Neigung zeigen sich mit dem Ätherisch-<br />
Lebendigem zu durchdringen. Sie werden es daher<br />
leichter haben, gewöhnliche Erde, unorganische,<br />
mineralische Erde, fruchtbar zu durchdringen mit<br />
humusartiger Substanz oder überhaupt mit einer<br />
in Zersetzung begriffenen Abfallsubstanz, wenn Sie<br />
Erdhügel aufrichten und diese damit durchdringen.<br />
Dann wird das Erdige selber die Tendenz bekommen,<br />
innerlich lebendig, pflanzenverwandt zu werden.“1<br />
1 Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum<br />
Gedeihen der Landwirtschaft“, 7. Auflage, Rudolf Steiner Verlag,<br />
Dornach 1984; S 90
Dammkultur führt zur Verlebendigung des Bodens<br />
Unbefriedigende Erfahrungen mit der pfluglosen Bodenbearbeitung,<br />
dann später mit dem Pflügen und die<br />
über Jahre zusammengetragenen Erkenntnisse über das<br />
Lebendige, verbunden mit diesem Hinweis von Rudolf<br />
Steiner haben Walter Sorms zur Dammkultur geführt.<br />
Gut durchdachte, aber im Grunde einfache technische<br />
Vorrichtungen machen diese Bodenbearbeitung möglich<br />
Walter Sorms berichtet, dass das Gleichgewicht zwischen<br />
Humusaufbau und Humusabbau durch diese Bodenbearbeitungsmethode<br />
besser zu halten ist, dass die<br />
oben genannten Einseitigkeiten besser auszugleichen<br />
sind und daher die Lebendigkeit und auch die Gesundheit<br />
im Boden steigt.<br />
Anhand von einigen Tafelzeichnungen von technischen<br />
Vorrichtungen erklärt Walter Sorms seine Bodenbearbeitung<br />
und es gelingt ihm, jene Prozesse zu veranschaulichen,<br />
welche die Dammkultur als sinnvolle Methode<br />
auszeichnen:<br />
bessere Durchluftung, Durchlichtung und Durchwärmung<br />
Die anwesenden Bauern und Bäuerinnen waren von<br />
den Ausführungen so angetan, dass die Idee einer Exkursion<br />
nach Rengoldshausen in den Raum gestellt wurde,<br />
um diese Bodenbearbeitungsart an Ort und Stelle zu<br />
studieren. Daher werden weitere und genauere Ausführungen<br />
zu diesem Thema nach der Exkursion folgen.<br />
Zur Person:<br />
Familiengeschichtlich betrachtet stammt Walter Sorms<br />
nicht aus der Landwirtschaft. Nach dem Besuch einer<br />
Waldorfschule widmete er sich dem Schleifen von Turmalinen<br />
und brachte es dort zu großem Können. Trotzdem<br />
rief ihn die Landwirtschaft. Er legte die Meisterprüfung<br />
als Landwirt ab und ging für ein Jahr nach Brasilien.<br />
Grundelemente der Umwandlung<br />
Die dortigen Bodenverhältnisse, die klimatischen Bedingungen,<br />
vor allem aber die soziale Toleranz im Zusammenleben<br />
hinterließen einen bleibenden Eindruck.<br />
Zusammen mit E.v. Wistinghausen und zwei Gärtnerfamilien<br />
pachteten Walter Sorms und seine Frau ab 1985<br />
das Hofgut Rengoldshausen in Überlingen, welches ursprünglich<br />
von einer Industriellenfamilie aufgekauft und<br />
zur Pacht freigegeben wurde.<br />
Inmitten des Obstbaugebietes Bodensee, drei Kilometer<br />
östlich von Überlingen, liegt das Hofgut Rengoldshausen.<br />
Seit dem Jahr 1932 wird dort biodynamisch gewirtschaftet.<br />
Aus dem ursprünglich reinen Milchviehbetrieb<br />
ist mittlerweile ein vielfältiger Betriebsorganismus<br />
entstanden.<br />
Er gliedert sich in die Bereiche:<br />
• Landwirtschaft<br />
• Gärtnerei<br />
• Samenzucht<br />
• Das <strong>landwirtschaft</strong>liche Grundjahr als<br />
speziellen Ausbildungsbereich<br />
Derzeit leben und arbeiten mehrere Familien, Gehilfen,<br />
Auszubildende und bis zu zehn Schüler des <strong>landwirtschaft</strong>lichen<br />
Grundjahrs auf dem Hof. Zusammen<br />
mit einer zweiten Familie ist Walter Sorms und seine<br />
Familie für die Tierhaltung und den Ackerbau zuständig,<br />
zwei Familien leiten die Gärtnerei, eine Familie<br />
leitet die Ausbildung im Grundjahr und Frau Brigitte von<br />
Wistinghausen betreibt Saatgutzucht und -forschung.<br />
„Biodynamische Landwirtschaft bedeutet für uns<br />
nicht nur Verzicht auf Kunstdünger, chemisch-synthetische<br />
Pflanzenschutzmittel und gentechnische<br />
Manipulation, sondern auch die bewusste Pflege<br />
der gesamten Lebenszusammenhänge der Natur“.<br />
Seite 43
Grundelemente der Umwandlungsprozesse<br />
während der Kompostierung<br />
Florian Amlinger<br />
Einleitung<br />
Seite 44<br />
„.Und solang du das nicht hast,<br />
Dieses: Stirb und werde!<br />
Bist du nur ein trüber Gast<br />
Auf der dunklen Erde.” 1<br />
Was Goethe vor langer Zeit zum Ausdruck brachte, ist<br />
eine wichtige Erkenntnis für die Grundlage der <strong>biodynamische</strong>n<br />
Landwirtschaft und formuliert eine Grundeigenschaft<br />
des Lebendigen auf unserer Erde. Gemeint sind<br />
Transformationsprozesse und Entwicklungen, denen<br />
wir als Menschen, genauso wie der Boden, unterworfen<br />
sind. Wenn wir versuchen uns dem Boden anzunähern,<br />
erwerben wir ein Grundverständnis für die Prozesse von<br />
Aufbau und Abbau und damit auch für die Kompostierung.<br />
Dieser Aufbau und Abbau geschieht in der Natur<br />
laufend und in der Landwirtschaft versuchen wir Menschen<br />
diesen Prozess so zu steuern, dass wir ein ganz<br />
bestimmtes Endmaterial erhalten. Das ist eine der Tätigkeiten<br />
des Menschen, wo er daran teilnehmen kann,<br />
wie Neues geschaffen wird. Wenn wir nicht mit der Natur<br />
denken und arbeiten, sondern den Fehler machen gegen<br />
die Natur zu wirken, verhalten wir uns auf eine unnatürliche<br />
Weise und die kurzfristig auftretenden Vorteile davon<br />
verschwinden sehr schnell.<br />
1 Goethe, Johann Wolfgang: „Der west-östliche Divan“, Insel<br />
Verlag, Frankfurt am Main, 1974<br />
Grundelemente der Umwandlung<br />
Das können wir beispielsweise bemerken, wenn wir<br />
den „ökologischen Fußabdruck“ des Menschen näher<br />
betrachten. Bereits die Überkonsumtion und Überausbeutung<br />
durch einige wenige Länder ermöglichen es,<br />
die regenerativen Kräfte der Erde zu überschreiten und<br />
somit die gesamte Welt in eine nicht nachhaltige Situation<br />
zu bringen. Für viele Menschen ist unnachhaltiges<br />
Handeln und Leben normal geworden.<br />
Nachhaltigkeit, als notwendiges Prinzip des Lebendigen,<br />
können wir uns sehr gut vergegenwärtigen, wenn<br />
wir uns dem Boden annähern. Hier sehen wir, dass die<br />
lebenserhaltende Qualität der Böden in Gefahr ist, etwa<br />
durch Abschlämmung oder Bodenabtrag, durch Verdichtung<br />
und auch durch den Kohlenstoffverlust. Wir<br />
lernen, dass wir dem Boden mit der Düngung etwas<br />
zurückgeben müssen, damit die organische Substanz erhalten<br />
oder vielleicht sogar gesteigert werden kann.<br />
Humusbildung und Düngung stehen in einem engen<br />
Zusammenhang.<br />
„Man muss wissen, dass das Düngen in der Verlebendigung<br />
der Erde bestehen muss, damit die<br />
Pflanze nicht in die tote Erde kommt und es schwer<br />
hat, aus ihrer Lebendigkeit heraus das zu vollbringen,<br />
was bis zur Fruchtbildung notwendig ist.”2<br />
Da bei der Bodenbildung komplexe und empfindliche<br />
Prozesse ablaufen, kommt gerade der Kompostierung<br />
hohe Bedeutung zu. Während wir die Kompostierung<br />
begleiten, versuchen wir etwas aus dem Geistigen ins<br />
Verstehen zu bringen und nicht blind Rezepte anzuwenden.<br />
Da die Erde selbst als ein komplexer Organismus be-<br />
2 Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum<br />
Gedeihen der Landwirtschaft“, Landwirtschaftlicher Kurs;<br />
Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1985
griffen werden kann, braucht es den Eintrag aus allen<br />
Wirklichkeitsebenen: aus der materiellen, geistigen und<br />
seelischen Dimension.<br />
Der Boden ist eine enorme Ressource, ein Lebensraum<br />
für Tiere und Pflanzen. Er wirkt als Puffer gegen<br />
Verschmutzung und er filtriert und säubert das Grundwasser.<br />
Nicht nur die physikalischen Teile eines Bodens<br />
ermöglichen diese Prozesse, sondern auch die Lebewesen,<br />
die sich im Boden befinden. Diese Lebewesen - von<br />
den Mikroorganismen über alle möglichen Arten von<br />
Kleinsttieren bis hin zu den Regenwürmern - kommen<br />
hauptsächlich in den obersten Schichten des Bodens<br />
vor, wo sich auch der Humus befindet. Diese Tatsache<br />
muss man sich vor Augen führen, wenn man sich mit<br />
der Düngung beschäftigt. Diese Lebewesen werden als<br />
erste mit der Düngung konfrontiert. Bezieht man diese<br />
Anschauung in die Überlegungen zum Düngen mit ein,<br />
wird das auf die Art der Düngung Einfluss nehmen, denn<br />
die Stoffwechselprozesse all dieser Lebewesen tragen<br />
eminent zur Verlebendigung des Humus bei, sodass Rudolf<br />
Steiner im Landwirtschaftlichen Kurs den Humus<br />
„ein Belebungsmittel der Erde“ nennen konnte.<br />
Der Humus, äußerlich wahrnehmbar in der dunkleren<br />
Färbung des Bodens, hebt die Komplexität eines Bodens,<br />
verbessert die Struktur durch die Bildung von Aggregaten,<br />
sodass mehr Wasser und Luft zur Verfügung<br />
stehen und bildet zusätzlich eine größere Oberfläche,<br />
wo Bodentiere, Minerale und Nährstoffe miteinander<br />
in Kontakt kommen. Eine größere Oberfläche bedeutet<br />
immer auch mehr Lebensmöglichkeiten, das heißt dass<br />
mehr Stoffwechselprozesse stattfinden.<br />
Die Oberflächenbildung hängt ab von der Zusammensetzung<br />
des Bodens. So sind die Tonteilchen kleiner als<br />
die Teilchen des Schluffbodens oder die von Sand und<br />
bilden deshalb auch eine größere Oberfläche. Diese Eigenschaft<br />
beeinflusst die Aufnahme und Bindung von<br />
Wasser und Luft. Der Anteil von Humus macht einen<br />
Grundelemente der Umwandlung<br />
noch größeren Unterschied was die Oberflächenstruktur<br />
betrifft.<br />
Abbildung 1: Innere Oberfläche des Bodens Bundesgütegemeinschaft<br />
Kompost e.V., 2005<br />
So erreichen Böden auf einer Fläche von einem Hektar<br />
und einer Tiefe von 20 cm mit 20% Ton und 3% stabilem<br />
Humus eine Oberfläche von 210000 m2 (Blum, 2006).<br />
Es ist das Hauptziel der Kompostierung, stabile Humusformen<br />
aufzubauen. Dann kann der Boden im Feld auch<br />
leichter bearbeitet und von Pflanzen besser durchwurzelt<br />
werden.<br />
Seite 45
Wie kann die Beziehung zwischen Boden und Pflanze<br />
verstanden werden?<br />
„Es ist für viele Pflanzen gar keine scharfe Grenze<br />
zwischen dem Leben innerhalb der Pflanze und<br />
dem Leben im Umkreis, in dem die Pflanze lebt.”3<br />
Die Beziehung zwischen Pflanze und Boden als Lebensraum<br />
– und in unserem Zusammenhang ist vor<br />
allem der Humus gemeint – ist so, dass das Eine ohne<br />
das Andere nicht sein kann.<br />
Das ist besser einzusehen, wenn man bedenkt, dass<br />
Humus immer aus Sonnenenergie entsteht, welche von<br />
der Pflanze über die Photosynthese hereingeholt wird.<br />
Es sind die Pflanzen, welche von den Tieren gefressen<br />
und im Verdauungsprozess umgewandelt werden und<br />
in dieser umgewandelten Form für den Aufbau von Humus<br />
sorgen. Die Pflanze ist völlig umgewandelt, wenn<br />
keine Struktur des Ausgangsmaterials in dem Humus<br />
mehr vorhanden ist. Dieser strukturauflösende Prozess<br />
ist die Voraussetzung, damit wieder neue Strukturen aufgebaut<br />
werden können. Leben ist nur möglich in diesem<br />
Spannungsfeld zwischen Abbau und Aufbau. Und es ist<br />
ein großes Forschungsgebiet für die Wissenschaft und<br />
ein weites Übungsfeld für die Empfindungsfähigkeit des<br />
Bauern oder der Bäuerin, dieses Geheimnis von Abbau<br />
und Aufbau in der richtigen Weise zu erkennen, wie es<br />
im Goethezitat schon angesprochen ist.<br />
Die Stabilität von Humus entsteht durch eine Verbindung<br />
zwischen den Huminstoffen und dem Tonmineral.<br />
Die Tonminerale sind ein Teil des physikalischen Bodens.<br />
Diese Verbindung ist chemisch so zu verstehen, dass<br />
der Ton eine negative Ladung hat und der Humus reich<br />
3 Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum<br />
Gedeihen der Landwirtschaft“, Landwirtschaftlicher Kurs;<br />
Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1985<br />
Seite 46<br />
Grundelemente der Umwandlung<br />
an Kationen ist. Die endgültige humifizierte organische<br />
Substanz ist auch durch Wasserabstoßung stabilisiert,<br />
deswegen können größere Aggregate in huminreichen<br />
Böden vorkommen. Die Aggregate sorgen für vielfältige<br />
Lebensbedingungen für die Lebewesen des Bodens, so<br />
dass eine erhöhte Komplexität und eine Anhebung der<br />
Ebene des Bodens vom Physikalischen zum Lebendigen<br />
erfolgen kann. Diese Annäherung an das Lebendige ist<br />
gekennzeichnet durch das vermehrte Auftreten von tierischem<br />
und mikrobiellem (pilzlichem und baktriellem)<br />
Leben in diesem Milieu.<br />
Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie viele Bodentiere<br />
in einem Boden leben, ist hier ein Beispiel von Blum<br />
(2006) angeführt: in einem Hektar Boden mit 30 cm Tiefe<br />
können 25 Tonnen Biomasse als Edaphon enthalten<br />
sein.<br />
Es hat sich herausgestellt, dass durch Einbringen<br />
von Kompost in den Boden, die Zahl der Regenwürmer<br />
steigt, und die Biodiversität der Bodentiere generell erhöht<br />
wird. Für den Landwirt oder die Landwirtin ist es<br />
auch bedeutsam, dass durch höhere Enzymaktivität und<br />
einen größeren metabolischen Quotienten der Ertrag<br />
aus dem Pflanzenwachstum größer wird.
Grundelemente der Umwandlung<br />
Abbildung 2: Das Edaphon - Der Boden als Lebensraum (nach Voitl et al., 1980; Blum, 2006)<br />
Seite 47
Die Bedeutung des Kohlenstoffs in der Kompostfrage<br />
Kohlenstoff im Boden kann in verschiedenen Formen<br />
vorkommen, die auch die Stabilität beeinflussen. Humin<br />
ist die stabilste Form von Kohlenstoff, Huminsäure-C ist<br />
weniger und Fulvosäure-C noch weniger stabil. Die Tabelle<br />
von stabilen Kohlenstoffverbindungen in organischen<br />
Düngern zeigt den Fertigkompost mit dem größten Anteil<br />
an stabilen Fraktionen.<br />
Auch ein Langzeitversuch mit <strong>biodynamische</strong>r Mistdüngung,<br />
als eine von fünf organischen Düngevarianten<br />
(DOK Trial) zeigt, dass Humin-C den größten Anteil an<br />
stabilen Huminstoff-Fraktionen hat, besonders bei der<br />
<strong>biodynamische</strong>n Behandlung (Fliessbach et al 2000).<br />
Abbildung 3: Mistkompostierung in Kombination mit<br />
den <strong>biodynamische</strong>n Präparaten steigert den<br />
Huminstoffgehalt und die Krümelstabilität im Boden<br />
(Fliessbach et al., 2000)<br />
Seite 48<br />
Grundelemente der Umwandlung<br />
Auch der pH-Wert ist über die Zeit erhöht, aber nur<br />
für die <strong>biodynamische</strong> Mistkompostvariante. Ein anderer<br />
Versuch zeigt nach 12 Jahren einen größeren Anstieg<br />
des pH-Werts bei den Böden mit größerer Kompostgabe<br />
(Kluge et al., 2008).<br />
Zur Kompostierung<br />
Bevor wir mit der Kompostierung beginnen, können<br />
wir uns überlegen, was wir im Gesamtprozess steuern<br />
können:<br />
(1) die Zusammensetzung des Ausgangsmaterials<br />
und Strukturierung des Haufens<br />
(2) die Sauerstoffversorgung<br />
(3) den Wasserhaushalt<br />
(4) eventuell den Temperaturverlauf<br />
Zu (1): Es nimmt großen Einfluss auf den Kompostierungsverlauf,<br />
welche Ausgangsmaterialien ich wie auf-
schichte. Der Atmungsvorgang dieses sich bildenden<br />
Organismus „Komposthaufen“ muss stets im Bewusstsein<br />
sein. Dieser Atmungsvorgang wird über die Struktur<br />
ermöglicht. Holzanteile sollen fein aufgefasert werden,<br />
zu feuchte Substanzen müssen so aufgeschichtet<br />
werden, dass (2) genug Durchlüftung möglich ist. Das<br />
kann im Gartenkompost durch Holzanteile, im Stallmist<br />
durch hohen Strohanteil erreicht werden. (3) Die Regelung<br />
des Wasserhaushaltes spielt nach beiden Polen hin<br />
eine große Rolle:<br />
Wird der Komposthaufen zu trocken, kann er sehr heiß<br />
werden (über 65° C) oder im Stadium der Verpilzung<br />
stecken bleiben und damit nicht bis zum vollen Abbau<br />
gelangen.<br />
Ist der Haufen zu nass, bekommen wir es mit Fäulnisvorgängen<br />
zu tun, welche auch keine optimalen Umsetzungsprozesse<br />
sind und niemals zum Humusaufbau<br />
führen.<br />
Wenn nun die Abläufe bezüglich Luftzufuhr und Wasserhaushalt<br />
nicht zufrieden stellend sind, dann kann<br />
man sich behelfen, indem der Komposthaufen umgesetzt<br />
wird.<br />
Dieser Haufen entwickelt sich zu einem geschlossenen<br />
Bodenbildungsorgan. Durch den Abbau, der in<br />
dem Haufen stattfindet, gehen Kohlenstoff (als CO2<br />
und Methan) und Stickstoff (als Ammoniak) verloren.<br />
Das Ziel ist es, diesen Verlust sehr niedrig zu halten. Eine<br />
Effizienz von 40% wird erwartet, während der Rest veratmet<br />
wird. Wenn Stroh, Laub oder Erde auf den Haufen<br />
gelegt werden, kann durch Kondensation ein Abschluss<br />
nach oben geschaffen werden. Weiters ist eine möglichst<br />
homogene Verteilung von Kohlenstoff und Nitrat<br />
hilfreich. Das Verhältnis von Kohlenstoff zu Nitrat wird<br />
als C/N Verhältnis bezeichnet und das Optimum liegt im<br />
Verhältnis 20-35 C zu 1 N. Dann ist auch der Stickstoffverlust<br />
möglichst gering.<br />
Grundelemente der Umwandlung<br />
.<br />
Abbildung 4: Das C:N Verhältnis verschiedener Ausgangsmaterialien<br />
zur Kompostierung<br />
Abbildung 5: Beziehung des C/N-Verhältnisses und des<br />
gasförmigen Stickstoffverlustes während der Kompostierung<br />
(nach Grabbe und Suchardt, 1993)<br />
Zuerst geschieht eine Massenvermehrung von aeroben<br />
und fakultativ anaeroben Bakterien, die den leicht<br />
abbaubaren C-Gehalt umwandeln. Als zweites werden<br />
Hemizellulose und Zellulose von Bakterien und Pilzen<br />
abgebaut. Als letzter Schritt arbeiten hauptsächlich die<br />
Pilze an Lignin, was ein wesentlicher Bestandteil der Hu-<br />
Seite 49
musbildung ist. Die optimale Temperatur für die Pilzaktivität<br />
beträgt zwischen 40° und 50° C.<br />
Abbildung 6: Der Kompostierungsprozess (nach Grabbe<br />
und Suchardt, 1993)<br />
Präparate, die im <strong>biodynamische</strong>n Landbau benutzt<br />
werden, verfeinern die Kompostierungsprozesse und<br />
können die Schwankungen dämpfen und so den Umsetzungsverlauf<br />
im Gleichgewicht halten. Der Kompost<br />
wird durch den Einsatz der Präparate stabiler und auch<br />
die Pflanzen werden gegen Krankheit gestärkt.<br />
Aber Vorsicht: Die Präparate können nur in dieser Weise<br />
wirken, wenn die Grundvoraussetzungen für einen guten<br />
Verlauf, wie sie oben geschildert wurden, geschaffen<br />
worden sind.<br />
DI Amlinger weist in seinen Ausführungen auch eindringlich<br />
darauf hin, dass aller Humusaufbau immer<br />
einen vollständigen vorherigen Abbau braucht. Um den<br />
Boden fruchtbar und lebendig zu halten, sollen keine zu<br />
frischen, nicht fertig abgebauten Substanzen an ihn herangebracht<br />
werden.<br />
Kritische Würdigung und persönliche Deutung<br />
der Verfasserin:<br />
Seite 50<br />
Grundelemente der Umwandlung<br />
Ein wissenschaftlicher Hintergrund für die chemischen<br />
und biologischen Prozesse, welche im Boden ablaufen,<br />
hilft uns, wenn wir uns mit der Bodenbildung und Kompostierung<br />
näher auseinandersetzen wollen. Wir verstehen,<br />
warum wir manchmal Geduld brauchen und auch,<br />
wie wir den Boden bewerten sollen.<br />
Eine Wissenschaft ohne Philosophie ist nicht immer<br />
genügend. Die Philosophie der Biodynamik, dass wir<br />
Menschen Wissen aus dem Geistigen ins Verstehen<br />
bringen sollen, gerade, wenn wir die Prozesse im Boden<br />
begleiten, ist in gewissem Sinne eine große Herausforderung.<br />
Die geistig-seelische Welt und das Ich-Bewusstsein<br />
sind nicht so einfach zu verstehen, deshalb müssen wir<br />
uns ständig bemühen, unsere Welt bewusst wahrzunehmen.<br />
Wenn wir dies tun, machen wir nicht den Fehler<br />
zu denken, dass wir die Kompostierung als Wissenschaft<br />
schon völlig beobachtet und verstanden hätten.<br />
Beispielsweise kann uns das, was wir bis heute in Bezug<br />
auf die Bodenbiologie überprüft haben, wahrscheinlich<br />
noch immer zu wenig über den Boden als Organismus<br />
verraten. Es fällt uns immer noch schwer, den Boden als<br />
Lebewesen zu verstehen. Solch eine Ansicht über unser<br />
Wissen zu akzeptieren erfordert von uns eine Menge<br />
an Vertrauen. Das ist ein Vertrauen in etwas anderes<br />
als das, was wir sinnlich wahrnehmen können; es ist<br />
Vertrauen in die seelische und geistige Wirklichkeit, die<br />
wir aber nur bruchstückhaft erfassen können. Wenn wir<br />
Präparate anwenden, vertrauen wir einem Erlebnis anderer<br />
Menschen – Menschen, die etwas überliefert haben<br />
oder Menschen, die ein Wahrnehmungsorgan für diese<br />
Prozesse entwickelt haben. Das Wichtige ist: Sie haben<br />
etwas erfahren und wir sind selber willig weitere Erfahrungen<br />
zu machen.
In dieser Einführung haben wir starke empirische Hinweise<br />
präsentiert bekommen über die positive Wirkung<br />
der <strong>biodynamische</strong>n Präparate (wie zur pH-Wert Erhöhung<br />
des Ackers durch Kompostauftragung, zur Biodiversitätserhöhung,<br />
zur Aggregatstabilitätsverbesserung,<br />
usw.). Und diese Beweise kommen aus wissenschaftlichen<br />
Untersuchungen. Wir sehen nun, dass es wirkt,<br />
aber wir haben keine plausible Theorie, keine plausible<br />
Erklärungshypothese dazu, warum es so wirkt. Warum<br />
wirken die Präparate also? Wie wichtig ist diese Frage? Ist<br />
sie so wichtig, dass wir den Präparaten nicht vertrauen<br />
und diese deshalb nicht anwenden wollen?<br />
Ein zentraler Punkt zwischen dem Geistigen und dem<br />
Wissenschaftlichen wird also im Vertrauen gefunden. Wir<br />
wissen, dass die Wissenschaft noch lange nicht alles erforscht<br />
hat und dass manchmal etwas fehlt und da bleibt<br />
es an uns selber zu suchen. Eine Suche über unsere Welt,<br />
damit wir sie verstehen. Dieses Suchen ist durch die <strong>biodynamische</strong><br />
Landwirtschaft angedeutet, für Bauern und<br />
Bäuerinnen, die auf ihren Feldern und mit ihren Tieren<br />
mit diesen Phänomenen in der Praxis zu tun haben.<br />
Es ist das Anliegen der <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft<br />
die Erkenntnisse, Erfahrungen, Beobachtungen und<br />
Wahrnehmungen des Praktikers mit den Forschungsergebnissen<br />
der Wissenschaft in Übereinstimmung zu<br />
bringen. Das verlangt einen kooperativen Wahrnehmungs-<br />
und Austauschprozess und gegenseitige Akzeptanz.<br />
Es ist also eine soziale Frage. Und in unserer Zeit,<br />
wo die Landwirtschaft in ihren Grundlagen zunehmend<br />
erschüttert wird, eine existentielle. (Anm. N.W.)<br />
Alice Budai , Gaststudentin aus Norwegen hat diesen<br />
Vortrag für diesen <strong>Sammelband</strong> aufbereitet.<br />
Florian Amlinger hat diesen Vortrag am 21.November<br />
2008 im Rahmen der Ringvorlesung gehalten<br />
Grundelemente der Umwandlung<br />
Literaturangaben<br />
Binner, E., 2003. Kompostierung von biogenen Abfällen,<br />
Vorlesungsunterlage zur LV-Nr. 520.338. ABF, Boku,<br />
Wien<br />
Blum, W., 2006. Verwertung von Abfällen über den<br />
Boden – grundsätzliche Überlegungen aus der Sicht einer<br />
nachhaltigen Bodennutzung. Zur verfügung gestellte<br />
Vortragsunterlagen zu einer Präsentation am 1. März<br />
2006, Die Verwertung von Abfällen auf dem Boden. Österreichisches<br />
Normungsinstitut, Wien<br />
Bundesgütegemeinschaft Kompost e.V., 2005. Organische<br />
Düngung. Grundlagen der guten fachlichen Praxis.<br />
Schriftenreihe ‚Kompost für die Landwirtschaft’, Köln.<br />
Fliessbach, A., Mäder, P., Pfiffner, L., Dubois, D., Gunst,<br />
L., 2000. Bio fördert Bodenfruchtbarkeit und Artenvielfalt.<br />
Erkenntnisse aus 21 Jahren DOK-Versuch. Hrsg: Forschungsinstitut<br />
für biologischen Landbau. Fibbl Dossier,<br />
Nr.1, Frick.<br />
Grabbe, K., Suchardt, F., 1993. Grundlagen der Kompostierung.<br />
Kompostierung und <strong>landwirtschaft</strong>liche Kompostverwertung,<br />
KTBL-Arbeitspapier 191: 49 - 64<br />
Kluge, R., 2008: Kluge, R., Deller, B., Laig, H., Schulz, E.,<br />
Reinhold, J., Haber, N., (2008) Nachhaltige Kompostanwendung<br />
in der Landwirtschaft. Endbericht. Landwirtschaftliches<br />
Technologie zentrum Augustenberg, Karlsruhe,<br />
126 S. http://www.kompost.de/fileadmin/docs/shop/<br />
Anwendungsempfehlungen/ltz_Abschlussbericht---<br />
Nachhaltige-Kompostanwendung-in-der-Landwirtschaft_BGK.pdf<br />
[29/11/2008]<br />
Steiner, R., 1924: Geisteswissenschaftliche Grundlagen<br />
zum Gedeihen der Landwirtschaft“, Landwirtschaftlicher<br />
Kurs; Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1985<br />
Voitl, H., Guggenberger, E., Willi, J., 1980. Das große<br />
Buch vom biologischen Land- und Gartenbau. Orac-<br />
Pietsch, Wien.<br />
Seite 51
Einführung in das Wesen der<br />
Pflanze, ihre Lebensbedingungen und ihr<br />
Bezug zu den übrigen Organen<br />
des <strong>landwirtschaft</strong>lichen Organismus<br />
Bertold Heyden<br />
Ausgehend von einem Scheideweg, an dem heute die<br />
Pflanzenzüchtung – im Speziellen die Getreidezüchtung,<br />
steht, geht der Vortragende auf das Wesen der Pflanze<br />
im Allgemeinen und in weiterer Folge auf die Getreidearten<br />
ein.<br />
Hat die Gruppe der Monokotyledonen oder Einkeimblättrigen<br />
eine Sonderstellung im Pflanzenreich inne,<br />
so nehmen die einzelnen Getreidearten innerhalb der<br />
Gramineen oder Gräser noch einmal einen besonderen<br />
Standort ein.<br />
Durch die gegenseitige Bezogenheit – entfernt ähnlich<br />
jener von Mensch und Haustier – sollte an jede Art von<br />
Beeinflussung nur höchst sensibel herangegangen werden.<br />
Dieses Herangehen erfordert jedoch eine Reihe von<br />
Einsichten, die nur im Gefolge von geisteswissenschaftlichen<br />
Erkenntnissen sich erringen lassen.<br />
Die Komponenten „Vegetativ“ bzw. „Generativ“<br />
Ein wesentlicher Einstieg in das Wesen der Pflanze ist<br />
das Wahrnehmen irdischer und kosmischer Einflüsse.<br />
Ist der irdische Einfluss gekennzeichnet durch die vegetative<br />
Komponente, so ist das Kosmische durch den<br />
generativen Aspekt erkennbar.<br />
Dass die Trennlinie keine exakte ist, und dass die<br />
Punkte an den verschiedenen Pflanzenfamilien unterschiedlich<br />
sind, wird noch dargelegt werden. Grundsätzlich<br />
sind Pflanzen Teilorgane des Erdorganismus.<br />
Seite 52<br />
Das Wesen der Pflanze<br />
Als „Sinnes“-Organe können sie bezeichnet werden,<br />
indem sie sich im Blühen zum Kosmischen hinwenden.<br />
Gleichermaßen „Sinnes“-Organe sind sie, indem sie bereits<br />
vorher kosmische Impulse aufgenommen haben.<br />
Jedes vegetative Wachstum, ob Rosetten-Pflanze oder<br />
Baum, trägt zur Substanzbildung bei.<br />
Dieser Aufbauprozess wird durch das Generative des<br />
Blühvorganges begrenzt.<br />
Auf den lebendigen Erdorganismus bezogen, kann<br />
dessen Grenze bis an diese Blühregion verschoben werden.<br />
Das Seelische im Blühen<br />
Wenn hier auch nicht von einer Pflanzenseele gesprochen<br />
werden kann, so wirken doch in ihren Bildekräften<br />
seelische Impulse.<br />
Diese sind jedoch von außen bildende, nicht wie die<br />
Tier- oder Menschenseele innerlich empfindend.<br />
Das zur Tierseele hinströmende mancher Blütenpflanzen<br />
fehlt den Gräsern und damit dem Getreide vollkommen.<br />
Das Tier ist ausgeschaltet und die Bestäubung ein<br />
Vorgang, der sich allein zwischen Himmel und Erde vollzieht.
Das Wesen der Pflanze<br />
Seite 53
Wachstumsvorgänge<br />
Sichtbar hineingestellt in ein, das Leben unterstützendes<br />
Spannungsfeld von Erde und Kosmos erscheint<br />
die Pflanze in ihrer Gesamtheit von Wurzel, Spross und<br />
Blüte.<br />
Was in den Metamorphose-Ausführungen als „über“sinnlich<br />
ausgelöste Phänomene dargelegt wird, soll hier<br />
auf die sinnlich-erfahrbare Ebene gehoben oder heruntergebracht<br />
werden.<br />
Zum Verständnis der Pflanzengestalt ist es wichtig,<br />
streng zu unterscheiden zwischen dem Substanz schaffenden<br />
vegetativen Wachstum und dem Heraustreiben<br />
des Blütenstandes.<br />
Das erstere ist vom Zellwachstum her deutlich nach<br />
unten gerichtet, wobei im Verlaufe des sichtbaren Wachstums<br />
kontinuierlich Sprossachse und Blattanlagen gebildet<br />
werden.<br />
Eine ganz andere Art von Wachstum stellt sich dar,<br />
wenn ein Blütentrieb nach oben geschoben wird. Auf die<br />
Getreidearten bezogen heißt das, im Vegetationskegel<br />
unter der Erde „schlummert“ metaphysisch gesehen –<br />
bis zur Unkenntlichkeit verkleinert und kunstvoll zusammengefaltet<br />
– die Pflanze bis in die oberste Kornlage.<br />
Durch den Blühimpuls beginnt der Inhalt dieses Vegetationskegels<br />
sich auszudifferenzieren; die Anzahl der<br />
möglichen Blüten und Verzweigungen im Blütenstand<br />
ist schon vorgegeben.<br />
Damit ist die Gestaltbildung im Prinzip abgeschlossen,<br />
ohne dass ein Halm zu sehen ist.<br />
Die Geste des Wachsens zum Kosmos hin wird durch<br />
das Schossen noch unterstrichen.<br />
Der verbleibende Rest teilungsfähigen Gewebes scheidet<br />
nun an jedem Halmknoten Zellen nach oben ab. Jeder<br />
Halmabschnitt wird daher von unten gebildet. Das<br />
Seite 54<br />
Das Wesen der Pflanze<br />
oberste Internodium mit der schon vorhandenen Ährenlage<br />
wird zuletzt von diesem Prozess ergriffen.<br />
Zumindest im anthroposophischen Saatgutbereich ist<br />
dieser letzte Halmabschnitt ein wichtiges Kriterium für<br />
die innere Lebendigkeit der Getreidepflanze.<br />
Auch die Blattbildung erfolgt nach dem Prinzip des<br />
Geschoben-Werdens. Das hervor sprießende Blatt wird<br />
unmittelbar in seiner Gestalt festgehalten; durch die Zellteilung<br />
an der Basis wird es nur in die Länge geschoben,<br />
dadurch entsteht das parallel-nervige Gras- oder Getreideblatt.<br />
Das Phänomen der Grannen<br />
Botanisch sind Grannen einfach erklärt. Bei begrannten<br />
Weizensorten erscheinen sie deutlich abgesetzt als Verlängerung<br />
der Deckspelze; bei Gersten allmählich übergehend.<br />
Sie sind ursprünglich als Hilfe zur Verbreitung<br />
der Samen anzusehen, sind durch die spürbaren Widerhaken<br />
zumindest nicht abwegig, sagt aber über einen<br />
eventuellen Zusammenhang mit dem Thema Nahrungsqualität<br />
noch nichts aus.<br />
Bezeichnenderweise kommt dieser Begriff „Nahrungsqualität“<br />
in der beschreibenden Sortenliste des Bundessorten-Amtes<br />
gar nicht vor. Dazu ein Satz aus dem<br />
„Landwirtschaftlichen Kurs“: „Sie können ja irgendwelche<br />
Frucht ziehen, die glänzend aussieht, auf dem Felde<br />
oder im Obstgarten, aber sie ist vielleicht für den Menschen<br />
nur Magen füllend, nicht eigentlich sein inneres<br />
Dasein organisch befördernd“.1<br />
1 Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Ge-<br />
Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen<br />
der Landwirtschaft“, Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1985
Dazu zwei Darstellungen aus der Bildekräfteforschung<br />
von Dorian Schmidt.<br />
Unbegrannter Weizen Begrannter Weizen<br />
Das Bemühen der <strong>biodynamische</strong>n Getreide-Züchtung<br />
zielt zwar hin auf den Begriff Nahrungsqualität, dies<br />
kann derzeit jedoch nur ein Hintasten sein.<br />
Zum Einen kommt immer mehr zu Tage, dass die<br />
Analyse der Inhaltsstoffe nur bedingt über die Qualität<br />
eines Nahrungsmittels etwas aussagen kann; zum Anderen<br />
besteht die anthroposophische Sichtweise, dass<br />
diese Qualität abhängig ist von Kräften, die stark in der<br />
Gestaltbildung der Pflanze verankert sind. Um hier subjektive<br />
Kausalitäts-Fallen zu umgehen, bedarf es noch<br />
größter Anstrengungen im Hinblick auf die Erhellung der<br />
Zusammenhänge.<br />
Dazu ist es unabdingbar in den Bereich des Lebendigen<br />
vorzudringen, da nur dort die Kräfte zu finden<br />
sind, die uns über das Stoffliche hinaus ernähren.<br />
Das Wesen der Pflanze<br />
Zwei bisher angewandte Verfahren sind die<br />
• Bildschaffenden Methoden<br />
(Kupferchlorid-Kristallisation, Steigbild,<br />
Rundfilterchromatographie)<br />
und die von Dorian Schmidt entwickelt<br />
Methode der<br />
• Bildekräfte-Forschung<br />
Was vorläufig als Erkenntnis erarbeitet wurde ist, dass<br />
begrannte Sorten den unbegrannten an Reifung und Vitalität<br />
überlegen sind.<br />
Bei der zweiten Methode werden Körner verkostet; die<br />
Wahrnehmung der Bildekräfte wird beschrieben und in<br />
einer Skizze festgehalten. Diese Wahrnehmung zeigt bei<br />
den begrannten Sorten ein deutliches Ausgerichtet-Sein<br />
nach oben, und bei den unbegrannten zur Erdenschwere<br />
hin.<br />
Eine Korrelation von Grannenweizen und hoher Backqualität<br />
konnte jedoch bis jetzt noch nicht bewiesen werden.<br />
Weizensteinbrand und Schachtelhalm<br />
Der Weizensteinbrand oder Stinkbrand gefährdet zunehmend<br />
den hofeigenen Nachbau von Winterweizen.<br />
Nachdem im <strong>biodynamische</strong>n Landbau keine chemischen<br />
Beizmittel angewandt werden, war es notwendig,<br />
bei beginnendem Auftreten nach alternativen Maßnahmen<br />
zu suchen.<br />
Im „Landwirtschaftlichen Kurs“ wird Schachtelhalm<br />
als Heilmittel empfohlen. Am Keyserlingk-Institut wurden<br />
auch andere Mittel versucht, die zum Teil befriedigende<br />
Ergebnisse gebracht haben. Es waren dies unter<br />
anderem Kornrade-Mehl, Meerrettich-Saft, Kresse-Saft,<br />
Tonmehl. Die sicherste Methode ist noch immer das aufwändige<br />
Waschen mit kaltem Wasser und einem geringen<br />
Spülmittelzusatz (Wirkungsgrad cirka 85%).<br />
Seite 55
Zusätzliches Beizen mit Kornrademehl und Tonmehl hat<br />
den Wirkungsgrad auf 94% erhöht.<br />
Entscheidend für den Erfolg sind die Höhe des Befalls<br />
und auch der Saatzeitpunkt, der möglichst früh angesetzt<br />
werden sollte. Die Anwendung von Schachtelhalm<br />
als Tee oder Jauche hat bis jetzt noch zu keinen großflächigen<br />
Erfolgen geführt. Vielleicht kann der Gedanke von<br />
Rudolf Steiner weiterführen, „was das Equisetum arvense<br />
für einen merkwürdigen Einfluss auf den menschlichen<br />
Organismus hat, auf dem Unweg durch die Nierenfunktion…“2.<br />
Schwierigkeiten im Landsorten-Anbau<br />
Die Hauptschwierigkeit ist die Kleinräumigkeit des Anbaues<br />
der einzelnen Sorten. Zusätzlich beschränkt die<br />
Rechtslage den Anbau einer einzelnen Sorte auf 50 ha um<br />
nicht mit dem Zuchtregister oder gewerblichen Züchtern<br />
in Kollision zu geraten. Ein weiterer Schwachpunkt ist<br />
das im Laufe der Jahre zunehmende Höhenwachstum,<br />
in der Regel verbunden mit einer abnehmenden Standfestigkeit.<br />
Die zunehmende Steinbrandgefahr durch die<br />
Weiterverwendung des Saatgutes ist besonders in ungünstigen<br />
Lagen zu beachten. Bei der Ernte besteht die<br />
Gefahr der Vermischung mit dem im Mähdrescher verbliebenen<br />
Saatgut aus anderen Äckern.<br />
Eine weitere Schwierigkeit kann aus dem wechselnden<br />
Anbau in Höhen- bzw. Tallagen, auf Kalk- bzw. Kieselgrundgestein,<br />
zu winternahen bzw. sommernahen Saat-<br />
Zeitpunkten entstehen.<br />
Durch diese Maßnahmen wird eine Landsorte zwar<br />
beweglich und viellinig, bietet aber in der Regel kein unformes<br />
Erscheinungsbild.<br />
Diese negative Aufzählung ändert aber nichts an der<br />
2 weiterführend dazu der Aufsatz: „Zum Verständnis der Schachtelhalmwirkung“,<br />
Mitteilungen 1993<br />
Seite 56<br />
Das Wesen der Pflanze<br />
Kieselformen Kalkformen<br />
Tatsache, dass Hof- oder Regionalsorten ein großer<br />
Schritt aus der momentan bestehenden Abhängigkeit<br />
wären. Außerdem beginnt die Nahrungsmittel-Forschung<br />
wenigstens im anthroposophischen Bereich zu<br />
erkennen, was über die Stoffe hinaus für die menschliche<br />
Entwicklung essentiell ist.<br />
Eine andere Art von Reagieren auf die Misere ist die<br />
Forschung an Wildgräsern. Ausgehend von Zitaten aus<br />
dem „Landwirtschaftlichen Kurs“ die Degeneration der<br />
Nahrungspflanzen betreffend, gibt es seit damals Versuche,<br />
einige Wildgräser zu „domestizieren“. Domestizieren<br />
deshalb, weil vom Gras her Eigenschaften aufgegeben<br />
werden müssen, die durch menschliche Handhabungen<br />
ersetzt werden. Zum Beispiel der Schritt von der<br />
Brüchigkeit zu einer Zähigkeit der Ährenspindel vermindert<br />
gravierend die natürliche Verbreitungsfähigkeit der<br />
Samen. Unabdingbar ist auch die wenigstens teilweise<br />
Rücknahme der Formenvielfalt einer Population, obwohl<br />
diese im Grunde ein lebenswichtiger Faktor ist. Auch<br />
hier geht es um eine Art von Tausch, in dem der Mensch<br />
durch die Schaffung geeigneter Bedingungen das
Vorhandensein vieler Linien weniger notwendig macht.<br />
Eine zeitliche Eingrenzung ist auch notwendig, was den<br />
Zeitpunkt der Abreife betrifft, da eine maschinelle Ernte<br />
ansonsten übermäßig erschwert werden würde.<br />
Ehrenfried Pfeiffer und Hugo Erbe versuchten auf diese<br />
neue Art zu züchten. Die Dokumentation der Forschungsarbeiten<br />
von Hugo Erbe liegt bedauerlicherweise<br />
nur unvollständig auf.<br />
In neuerer Zeit sind es die Arbeiten am Keyserlingk-<br />
Institut, beginnend mit der Roggentrespe (Bromus secalinus)<br />
bzw. der Dicken Trespe (Bromus grossus).<br />
Im Jahre 1973 stieß Dr. Heyden im Verlaufe eines Besuches<br />
auf der Krim „zufällig“ auf einen Bestand von<br />
Dasypyrum villosum. Inzwischen kamen noch Formen<br />
aus Sardinien und Italien dazu. Alle sind „Wintergetreide“<br />
und benötigen daher das Phänomen der Vernalisation.<br />
Es ist dies das Einwirken einer genügenden Anzahl<br />
von Frosttagen, um das Schossen zu ermöglichen.<br />
Die vorhandenen Dasypyrum-Formen sind Fremdbefruchter,<br />
was sie von unseren Triticum-Arten unterscheidet.<br />
Seit 2006 wird am „Lichthof“ in Heiligenholz eine<br />
Form relativ großflächig angebaut und versucht, diese in<br />
die Fruchtfolge einzubauen. Ein weiteres Anliegen ist die<br />
Eingliederung in den Organismus Lichthof, indem die<br />
Tiere davon fressen und über den Dünger das „Wesen“<br />
Dasypyrum sich möglicherweise ausbreiten kann.<br />
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist der Stand der Fortschritte<br />
so, dass verschiedene Formen exakter selektiert<br />
werden und aus dem Erntegut auch schon Backversuche<br />
angestellt werden können.<br />
Grundsätzlich erhebt sich die Frage nach dem inneren<br />
Vorgang bei einer Umwandlung von Wild- zu Kulturgetreide.<br />
Ein Satz von Rudolf Steiner aus dem „Landwirtschaftlichen<br />
Kurs“ kann die Frage nicht beantworten,<br />
aber als Frage vertiefen: „Wie in alten Zeiten es notwendig<br />
war, dass man Kenntnisse hatte, die wirklich hinein<br />
Das Wesen der Pflanze<br />
gingen in das Gefüge der Natur, so brauchen auch wir<br />
heute wieder Kenntnisse, die wirklich hineingehen in das<br />
Gefüge der Natur.“3<br />
Vielleicht kann man dieser Frage entgegen kommen,<br />
indem man dieses „Hineingehen in das Gefüge der Natur“<br />
in einen Gesamtzusammenhang stellt, d.h. das Werden<br />
von Kulturgetreide war vor ca. 10000 Jahren „an der<br />
Zeit“. Und eingebettet in diese Art von Zeitqualität, hat<br />
sich Natur in das „Gefüge“ blicken lassen und gleichzeitig<br />
hatten gewisse Menschen das Auge für dieses Hineinblicken.<br />
Der für uns nachvollziehbare Kulturschritt erfolgte eher<br />
durch die daraus sich bildende Ackerbaukultur, verbunden<br />
mit Sesshaftigkeit, d.h. mit Stadtgründungen. Wesentlich<br />
war auch das Einsetzen einer Kultur des Brotes.<br />
Ob wir uns heute wiederum Wildgräsern zuwenden sollen,<br />
ist aus der Vergangenheit her nicht zu beantworten.<br />
Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings aus – wenn auch<br />
spärlichen – Aussagen von Rudolf Steiner gegeben.<br />
Auf die Frage von Ehrenfried Pfeiffer, wie es komme,<br />
„dass der Wille zur Tat, zur erfolgreichen Durchführung<br />
der geistigen Impulse so schwach ist“4, antwortet Steiner,<br />
es sei eine Frage der Ernährung. Die Nahrung gebe<br />
die Kräfte dafür nicht mehr her. In Anbetracht der Gedichtzeile<br />
von Hermann Hesse – „vollziehe und werde<br />
vollzogen“ – kann vermutet werden, dass der mit einem<br />
Wildgetreide befasste Personenkreis sich zumindest<br />
nicht mutwillig dieser Aufgabe entziehen darf. Ob die<br />
Mühe zu einem Ergebnis im Sinne der Steiner’schen Antwort<br />
führt, kann nur die Zukunft weisen.<br />
3 Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Ge-<br />
Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen<br />
der Landwirtschaft“, Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1985.<br />
4 Meyer, Thomas: „Ein Leben für den Geist- Ehrenfried Pfeiffer“,<br />
Basel,1999<br />
Seite 57
Arbeit am Dasypyrum villosum<br />
Weiterführende bzw. aktuelle Literatur:<br />
Seite 58<br />
Das Wesen der Pflanze<br />
„Mitteilungen aus der Arbeit“ des Keyserlingk-Institutes<br />
„Infobrief Saatgutfonds“ Zukunftsstiftung Landwirtschaft, Christstraße 9,<br />
D - 44789 Bochum.<br />
Grohmann, Gerbert: „Die Pflanze als dreigliedriges Wesen in ihrer Wechselbeziehung zu Erde und Mensch“<br />
Mos, Uwe: „Die Wildgrasveredlung“, Verlag Goetheanum.
Einführung in die goetheanistische<br />
Erkenntnisweise –<br />
anhand der Metamorphose der Pflanze als<br />
Grundlage neuer Züchtungsmethoden<br />
Reinhild Frech-Emmelmann<br />
Die Metamorphose der Pflanze<br />
Rudolf Steiner hat über die naturwissenschaftlichen<br />
Studien Goethes ein Werk verfasst, in welchem die Metamorphose<br />
der Pflanze als Grundlage der Pflanzenbetrachtung<br />
dient.1<br />
In der Botanik wird die Metamorphose definiert als Prozess<br />
der Umbildungen und Umwandlungen der Grundorgane<br />
(Wurzel, Sprossachse, Blatt) der Pflanzen.<br />
Der goetheanistische Ansatz einer Annäherung an die<br />
Pflanze:<br />
Um in das Bildungsgeheimnis der Pflanzen einzusteigen,<br />
ist es wichtig die Pflanze vorurteilsfrei zu betrachten.<br />
Man sollte alles botanische Vorwissen zunächst ablegen.<br />
Einfach die Erscheinung der Pflanze konkret beschreiben<br />
und daraus Schlüsse ziehen. Wesentlich ist also die<br />
Konzentration auf die Phänomene der Pflanze und das<br />
Sich-Üben in der Anschauung derselben.<br />
Definition: Metamorphose in der Botanik<br />
Metamorphose im räumlichen Sinn<br />
Die im Samenkorn veranlagte Pflanze zwängt sich aus<br />
ihrer konservierenden Hülle. Das Samenkorn schwillt an,<br />
die Hülle platzt auf. Auf der einen Seite strebt der Keimling<br />
dem Licht zu, auf der anderen Seite zwängt er sich<br />
mit den Wurzeln in die Tiefe.<br />
1 Steiner, Rudolf,: „Goethes Weltanschauung“, Rudolf Steiner<br />
Verlag, 1999<br />
Die Metamorphose der Pflanzen<br />
Ziel ist die Streckung nach oben und die Verbindung<br />
mit den Erdentiefen.<br />
Organ der Pflanze für den Trieb nach oben ist der Stängel.<br />
Es gibt den sich immer wiederholenden Trieb der<br />
Pflanzen, sich nach oben dem Lichte zuzuwenden, und<br />
sich gleichsam entgegengesetzt mit der Wurzel nach<br />
unten zu verankern. Dieser Aufrichtetrieb ist der vertikale<br />
Trieb, und wird auch als vertikale Tendenz bezeichnet.<br />
Darüber hinaus existiert bei den Pflanzen der horizontale<br />
Trieb oder die horizontale Tendenz. Das beginnt mit<br />
den Keimblättern und allen darauffolgenden Blättern am<br />
Stengel. Sie bieten der Erdoberfläche ihre Breitseite dar.<br />
Auch in der Sphäre darunter, im Wurzelbereich, gibt es<br />
horizontale Verästelungen.<br />
Über dem Erdorganismus bildet sich eine grüne Pflanzendecke,<br />
vergleichbar einer grünen Höhle, einer lebendigen<br />
Haut, während gleichzeitig aus dem Erdinneren<br />
sich ein Strahlenleib von immer wieder neuen Pflanzen<br />
generiert, die auskeimen, vertikal nach oben durchstoßen<br />
und zur Sonne drängen.<br />
Das Allgemeine<br />
Allen Pflanzen gemeinsam ist die Urpflanze.<br />
Es liegt eine Ureinheit vor, bestehend aus:<br />
Knoten – Stängelstück – Blatt.<br />
Jede Pflanze hat ihre eigene Entwicklungsfolge.<br />
Bei jedem Blatt gibt es einen Knoten, mit dem es am<br />
Stängel ansitzt.<br />
Zu jedem Knoten gehört ein entsprechendes Stängelstück<br />
und vice versa, zu jedem Stängelstück gehört ein<br />
entsprechendes Blatt.<br />
Der Stängel trägt die Blattorgane. Er verbindet die Wurzeln<br />
mit den Blättern.<br />
Seite 59
Generell wird die horizontale Tendenz immer wieder<br />
durch die vertikale Tendenz durchstoßen.<br />
Alle Pflanzen dieser Erde sind auf dieser Ureinheit aufgebaut.<br />
Das Individuelle<br />
Der Ablauf der Entwicklungsfolge ist sowohl in der vertikalen,<br />
als auch in der horizontalen Richtung individuell<br />
verschieden und variabel.<br />
Jede Pflanze hat auch einen eigenen Entwicklungsrhythmus.<br />
Die immanente Abfolge ist beeinflussbar von äußeren<br />
Faktoren, wie Temperatur, Feuchtigkeit, Licht, Bodenbeschaffenheit,<br />
etc.<br />
Mit dem Emporsteigen der Blätter geht die Formverwandlung<br />
einher.<br />
Entwicklungshistorisch ist die Blüte die höchste Ausformung<br />
der Pflanze.<br />
Zur Vertiefung des oben Gesagten nachfolgend einige<br />
Beispiele:<br />
Schildampfer<br />
Hat blaugrüne Blätter und unscheinbare Blüten.<br />
Die Blätter sind in ihrer Ausformung nicht gleich. Sie werden<br />
nach oben hin kleiner und spitzer.<br />
Die untersten Blätter haben beim Blattstängel Einbuchtungen<br />
und sehen eher herzförmig aus.<br />
Man kann das Fortschreiten der Veränderung nur verstehen,<br />
wenn man das jeweils nächste Blatt in Hinblick<br />
auf das vorangehende in kontinuierlicher Abfolge betrachtet.<br />
Man versteht z. B. nicht die Form des obersten Blattes<br />
im Vergleich mit dem untersten. Man würde denken, es<br />
Seite 60<br />
Die Metamorphose der Pflanzen<br />
sind Blätter von verschiedenen Pflanzen.<br />
Innerhalb der Pflanze gilt also das Prinzip der Polaritäten<br />
und der Steigerung.<br />
Skabiose<br />
Das unterste Blatt ist löffelartig, das oberste nur spitz.<br />
Die zweite Blattreihe ist löffelartig, jedoch mit Blatteinschnitt.<br />
In der dritten Reihe wird der Blatteinschnitt noch größer.<br />
In der vierten Reihe entsteht eine völlig neue Blattform.<br />
Es bilden sich Blattreihen zweiter und dritter Ordnung,<br />
gleichzeitig wird der Ausgestaltungshöhepunkt erreicht.<br />
Durch die verlaufende Betrachtung vom untersten zum<br />
obersten Blatt kann das Prinzip der Steigerung miterlebt<br />
werden.
Mauerlattich<br />
Das unterste Blatt ist gegliedert, das oberste nur noch<br />
eine kleine Blattspitze, das sogar den Stängel umhüllt. Sie<br />
sind also ganz verschieden und vordergründig ohne Zusammenhang.<br />
Hier wirken Polarität und Steigerung im Goetheschen<br />
Sinne sogar in sehr extremer Ausprägung.<br />
Dieses Prinzip der Polarität und Steigerung findet sich<br />
bei allen Blütenpflanzen in irgendeiner Modifikation wieder.<br />
Man kann den dynamischen Prozess der Formenumwandlung<br />
nur durch genaues Betrachten verstehen und<br />
so die Pflanze in ihrem Wesen begreifen.<br />
Gut wahrnehmbar ist dieser Prozess in den Wechselwirkungen<br />
zwischen den Blättern und den Blüten:<br />
Nach der Metamorphose der Blätter, die nach oben hin<br />
immer kleiner werden, bis sie letztlich ausgelöscht sind,<br />
folgt als Krönung die Blüte. Das Blütenprinzip wirkt in die<br />
Metamorphose in den Blättern hinein.<br />
Dabei werden unterschiedliche Entwicklungsausformungen<br />
beobachtet.<br />
Die Metamorphose der Pflanzen<br />
• Die Blätter wachsen am Stängel entlang.<br />
Es gibt verschiedene Anordnungsvariationen der Blätter<br />
entlang des Stängels.<br />
Immer jedoch nehmen sie nach oben hin ab, d. h. sie werden<br />
weniger hinsichtlich Dichte, Anzahl und Größe und<br />
lassen somit Platz, um an der Spitze die Ausformung einer<br />
Blüte zu ermöglichen.<br />
Das Blütenprinzip ist stark und bewirkt die Metamorphose<br />
der Blätter.<br />
z. B.: Skabiose<br />
• Die Blätter und die Blüten wachsen am Stängel<br />
entlang.<br />
Das Blütenprinzip ist schwach. Es gibt meist keine Metamorphose<br />
in den Blättern.<br />
Seite 61
Die Blüten wachsen abwechselnd mit den Blättern direkt<br />
am Stängel; z. B.: Hahnenfuß<br />
Hahnenfuß<br />
•Die Blätter und die Blüte sind in großer Distanz.<br />
Das Blütenprinzip wirkt auch hier schwach.<br />
Alle Blätter scheinen herabgesenkt zu einer Rosette.<br />
Seite 62<br />
Die Metamorphose der Pflanzen<br />
Der Blütenimpuls ist zu weit von den Blättern entfernt.<br />
Er erreicht die Blätter nicht mehr, daher findet auch keine<br />
Formverwandlung statt. z. B.: Spitzwegerich<br />
Spitzwegerich<br />
Ähnliches Prinzip findet man auch bei Fingerhut und<br />
Königskerze.<br />
• Nur Blätter – keine Blüten:<br />
Das Blütenprinzip fehlt. Der Blütenimpuls ist nicht vorhanden,<br />
es werden überhaupt keine Blüten ausgebildet.<br />
Diese Pflanzen haben sehr schön ausgeformte Blätter, es<br />
gibt jedoch keine Blattverwandlung.
z. B.: Farne<br />
Farne 1<br />
Metamorphose im zeitlichen Sinn<br />
Im Laufe der Evolution haben die Pflanzen Metamorphosen<br />
zu höheren Stufen der Ausformungen vollzogen.<br />
Die Urpflanzen der Vergangenheit waren sehr ähnlich den<br />
heutigen Farnen und den Schachtelhalmen. Mit diesen<br />
Arten ragen sie als Relikte einer alten Zeit in unsere Gegenwart<br />
herein.<br />
Fossile Funde dokumentieren, dass früher ganz andere<br />
Pflanzen existierten, die auf einem anderen Niveau gelebt<br />
haben.<br />
Die Metamorphose der Pflanzen<br />
Die Farne und Schachtelhalme der Jetztzeit sind also<br />
Boten aus der Vergangenheit.<br />
Farne 2<br />
Die Farne bestehen aus Wurzeln, Stängeln und sind<br />
reich gegliedertem Blattwerk. Die Blätter sind alle gleich.<br />
Man kann sich hier keine Blüte denken, da keine Metamorphose<br />
stattfindet, die das Blattwerk auslöscht.<br />
Samen werden in Gefäßen an der Blattunterseite ausgebildet.<br />
Man sieht kleine braune Kapseln. Der Sporenstaub<br />
fällt zur Erde. Es bildet sich ein unscheinbarer Vorspross<br />
aus, von dem sexuell differenzierte Fortpflanzungszellen<br />
gebildet werden. Somit hat die Fortpflanzung der Farne<br />
auch etwas Tierisches.<br />
Seite 63
Die Fortpflanzung der Farne erfolgt im Generationswechsel,<br />
d. h. geschlechtliche und ungeschlechtliche Generationen<br />
wechseln sich ab.<br />
Die Fortpflanzung findet also außerhalb der Pflanze<br />
statt und Bedarf eines Zwischenprozesses, des Vorsprosses.<br />
Farne haben keine Staubgefäße und keine Samenkapseln,<br />
sondern nur den Sporenstaub. Das ist Blütenstaub<br />
und Samenkorn in einem.<br />
Bei Blütenpflanzen verläuft die Fortpflanzung linear an<br />
der Pflanze, nämlich als Blatt-, Blüten- und Samenprozess.<br />
Die Befruchtung findet durch ein Insekt, oder durch<br />
den Wind statt.<br />
Abb. 8: Schachtelhalm<br />
Seite 64<br />
Die Metamorphose der Pflanzen<br />
Der Schachtelhalm ist ein weiteres rezentes Beispiel einer<br />
überlebenden Pflanze aus der Vergangenheit.<br />
Die Ausgestaltung ist reduziert auf das Stängelhafte.<br />
Die Fortpflanzung ist ähnlich wie bei den Farnen.<br />
Niedere Pflanzen haben Fortpflanzungsorgane und<br />
Fortpflanzungsprozesse getrennt. Zwei Stadien müssen<br />
kombiniert werden.<br />
Auf der höheren Entwicklungsstufe bedarf es nicht<br />
mehr dieses triebhaften Zwischenprozesses.<br />
Die Ausformung einer Blüte ist die Transformation in<br />
eine höhere Entwicklungsstufe.<br />
Die Befruchtung erfolgt innerhalb der Pflanze in der<br />
Sphäre des Lichtes.<br />
Denkt man sich die zwei Pflanzen - Farne und Schachtelhalme<br />
- zusammen, erkennt man zwei Formenprinzipien:<br />
das Stängelhafte<br />
die feingliedrige Blattausformung<br />
In dieser gemeinsamen Optik erscheinen uns die Doldengewächse.<br />
Doldengewächs<br />
(wilde Möhre)<br />
Dazu gehören z. B. Karotten,<br />
Kümmel, Dill, Fenchel, Petersilie,<br />
Pastinake, Koriander, Sellerie,<br />
und viele mehr.<br />
Ihnen allen liegt ein gewisses<br />
Urbild zugrunde. Sie vereinen<br />
Formprinzipien ähnlich den Farnen<br />
und den Schachtelhalmen.<br />
Sie sind aber entwickelt zu einer
völlig eigenständigen Art.<br />
Sie bilden bereits Blüten aus und dieser Blühimpuls wirkt<br />
auch hier umgestaltend.<br />
Die Blätter erfahren eine Ausdehnung und zur Blüte hin<br />
eine Zusammenziehung und Auslöschung.<br />
Gleichsam wie auf einer höheren Stufe entstehen ein „gegliedertes<br />
Farnblatt“ und die Blütendolde.<br />
Goethe spricht vom „Typus“ einer Pflanze.<br />
Der Typus ist sich auch in der Metamorphose treu geblieben.<br />
Zitat Goethe: „Jedes Lebendige ist kein Einzelnes, sondern<br />
eine Mehrheit. Selbst insofern es als Individuum<br />
erscheint, bleibt es doch eine Versammlung von lebenden,<br />
selbstständigen Wesen, die der Idee der Anlage nach<br />
gleich sind, in ihrer Erscheinung gleich oder ähnlich sind<br />
oder werden können. Diese Wesen sind teils ursprünglich<br />
schon verbunden, teils binden und vereinigen sie sich. Sie<br />
entzweien sich und suchen sich wieder und bewirken so<br />
eine unendliche Tradition nach allen Seiten.“<br />
Unsere Kulturpflanzen sind keine Metamorphose der<br />
Wildpflanzen.<br />
Kulturpflanzen sind Blütenpflanzen, die in einem gewissen<br />
Stadium der Blattmetamorphose angehalten wurden<br />
und dort jung geblieben sind, was sich in der Süße<br />
äußert.<br />
Sie haben auch den Blühimpuls, konnten aber im Laufe<br />
der Entwicklung eine größere Steigerung erfahren.<br />
Sie wurden durch menschliches Zutun in Form von Samenselektion<br />
und/oder durch Veränderung der äußeren<br />
Einflüsse auf den chronologischen Sprossungstrieb, verändert.<br />
Damit z. B. aus dem wilden Salat, dem Mauerlattich,<br />
ein Kultursalat geworden ist, hat man den Prozess der<br />
Die Metamorphose der Pflanzen<br />
ersten Stufe, in dem die Blätter breit und massig sind,<br />
ausgedehnt.<br />
Durch diese Ausdehnung wurden zusätzlich breite Blätter<br />
geschaffen.<br />
Die Ausformung einer Kulturpflanze kann durch langjährige<br />
Selektion der Samen erfolgen, die zur Auswahl<br />
führenden Beobachtungen werden an der ganzen Pflanze<br />
gemacht..<br />
Ein Beispiel: Martin Schmidt, ein Getreidezüchter aus<br />
dem Osten Deutschlands, begann 1947/48 beim Roggen<br />
mit Beobachtung und Auslese zu experimentieren. Er entwickelte<br />
die „Ährenbeetmethode“. Dabei werden die Körner<br />
in der Reihenfolge, wie sie in der Ähre stecken, in den<br />
Boden eingebracht. Er entdeckte, dass sich jeweils die<br />
Körner der sechsten Lage am besten entwickelten. Durch<br />
Selektion nach den Ergebnissen dieser Beobachtungen,<br />
durch Beachten kosmischer Rhythmen, sowie durch<br />
Wechsel von winternahen und winterfernen Aussaatterminen<br />
und anderen begleitenden Maßnahmen gelang es<br />
ihm binnen 16 Jahren die Roggenähre auf 32 Körnerlagen<br />
zu vergrößern.<br />
Diese Erkenntnisse können aber nicht für alle Getreidearten<br />
generalisiert werden. Es muss quasi in jedem<br />
Einzelfall eigenständig beobachtet werden, welche Lagen<br />
sich bei den gegebenen Bedingungen am besten entwickeln.<br />
Das Lebendige der Pflanze kann gefördert werden, z.<br />
B. durch die Verbesserung der Standortbedingungen, der<br />
Bodenqualität, etc.<br />
Seite 65
Zusammenfassung<br />
Unsere heutigen Kulturpflanzen sind Blütenpflanzen,<br />
bei denen menschliches Gestalten mit hineinwirkt.<br />
In ihrer Ausformung können Pflanzen, durch Samenauslese,<br />
Saatzeitpunkte in Bezug auf Gestirnkonstellationen<br />
vom Menschen beeinflusst werden, Diese Auswahlkriterien<br />
haben Bedeutung bis hinein in die Lebensmittelqualität,<br />
wobei es letzten Endes nicht die Stoffe sind, die<br />
Leben erhaltend wirken, sondern die aus dem Lebensprozess<br />
der Pflanze frei werdenden Kräfte.<br />
Aus dem Gesagten ergibt sich die Dringlichkeit einer<br />
beobachtenden Forschung bei Züchtung, Anbau und Erhaltung<br />
von Kulturpflanzen.<br />
Wir können die Metamorphose der Pflanzen hin zu Blütenpflanzen<br />
nur verstehen, wenn wir die Blütenpflanzen<br />
kennen. Man muss also stets die nächste höhere Entwicklungsstufe<br />
kennen, um die vorangegangene Entwicklung<br />
rezipieren zu können. Wollte man die derzeitigen Blütenpflanzen<br />
verstehen, müsste man deren kommende nächste<br />
höhere Ausformung kennen, also die Pflanzenform<br />
nach der Blütenpflanze.<br />
Methodisch kann man nur aus der Anschauung heraus<br />
versuchen Erkenntnisse abzuleiten, sowie aus der systematischen<br />
akribischen Beobachtung der Entwicklungsprozesse<br />
Schlussfolgerungen zu treffen über das Wesen<br />
und die Bedürfnisse der Pflanze. Durch langfristiges<br />
empirisches Vergleichen gelingt es uns annähernd die<br />
Intention der pflanzlichen Verwandlungen zu erahnen,<br />
ihre Veränderungen zu antizipieren. Mit rein kognitiver<br />
Analyse ist die Metamorphose und das Wesen der Pflanze<br />
nicht begreifbar.<br />
Reinhild Frech Emmelmann hielt diesen Vortrag am 12.<br />
12. 2008 in der Ringvorlesung „Biologisch dynamischer<br />
Landbau.“<br />
Frau Frech-Emmelmann ist Geschäftsführerin bei<br />
Seite 66<br />
Die Metamorphose der Pflanzen<br />
Fa. Reinsaat KG in St. Leonhard im Hornerwald und trägt<br />
dort die Verantwortung für die Pflanzenzüchtung.<br />
Das Ziel ist, auf Basis <strong>biodynamische</strong>r und organisch -<br />
biologischer Arbeitsweise die Vielfalt und Nachhaltigkeit<br />
von Gemüse-, Kräuter- und Blumenpflanzen zu sichern.<br />
Es geht um die Züchtung von samenfesten, schmackhaften<br />
Sorten, die regional gut angepasst sind, und um<br />
die Verbindung von Qualität und Ertragssicherheit.<br />
Die methodischen Grundlagen von Frau Frech-Emmelmann<br />
sind die anthroposophische Pflanzenbetrachtung<br />
und das Buch über die Metamorphose im Pflanzenreich<br />
von Dr. Gerbert Grohmann.2 Sie nimmt regelmäßig an<br />
Züchtungstagungen in der Schweiz, in Deutschland und<br />
in Italien teil.<br />
Quellenverzeichnis<br />
Grohmann, Dr. Gerbert: „Metamorphosen im<br />
Pflanzenreich, Verlag Freies Geistesleben, 3. Aufl. 1990,<br />
Goethe, J. W. „Die Metamorphose der Pflanzen“, 1790<br />
Steiner, Rudolf,: „Goethes Weltanschauung,<br />
Rudolf SteinerVerlag, 1999<br />
2 Grohmann, Gerbert: „Metamorphosen im Pflanzenreich“, Verlag<br />
Freies Geistesleben, 3. Aufl. 1990, (Erstauflage aus 1935.<br />
Er war ein Zeitgenosse von Rudolf Steiner)
Annäherung an den Erdapfel<br />
Oskar Grollegger<br />
Herkunft und Geschichte<br />
Die geografische Herkunft ist eindeutig zu klären;<br />
er stammt ursprünglich aus den Hochtälern Südamerikas.<br />
Ab der Mitte des 16. Jahrhunderts verbreitete<br />
sich von Spanien ausgehend dieses Nachtschattengewächs<br />
vorerst als Zierpflanze in verschiedenen Varianten<br />
in Europa. Verschiedene Varianten deswegen,<br />
weil der Erdapfel stark auf die Tageslänge reagiert.<br />
Die Formen um den Äquator und nördlich davon bilden<br />
nur bei einer Tageslänge von 12 Stunden Knollen<br />
aus. Im südlichen Teil von Südamerika – Chile, Peru<br />
– stimmen die Taglängen mit unseren besser überein,<br />
daher wurde Saatgut zunehmend aus diesem Gebiet<br />
bezogen.<br />
Botanik<br />
Die Gattung Solanum umfasst weltweit cirka 1500<br />
Arten, nach anderen Quellen sogar bis zu 3000, was<br />
einen der größten Verwandtschaftskreise im Pflanzenreich<br />
darstellt. Die Palette reicht vom Schwarzen<br />
Nachtschatten über den Erdapfel zu Paradeisern und<br />
Tabak. Von der Genetik her sind unsere inzwischen<br />
heimischen Formen tetraploid. Das heißt, es befinden<br />
sich 48 Chromosomen in einer Zelle. Die meisten<br />
Wildformen haben 24 Chromosomen, d.h. sie sind<br />
diploid. Man weiß nicht dezidiert, wie der Schritt zur<br />
Kulturpflanze vor sich gegangen ist. Es ist das glei-<br />
Annäherung an den Erdapfel<br />
che Problem wie bei Weizen, Dinkel und Paradeisern.<br />
Zur Verdeutlichung der Problematik soll ein Absatz<br />
aus einem Vortrag von Prof. Hermann Kuckuck, vom<br />
Institut für Angewandte Genetik in Burgwedel zitiert<br />
werden:<br />
Die Entstehung von nacktkörnigen hexaploiden<br />
Kulturformen wird auf die Wirkung eines Faktors Q<br />
zurückgeführt, der wahrscheinlich durch eine Duplikation<br />
im Chromosom 5A entstanden ist. Er hat eine<br />
pleiotrope Wirkung, indem er die typischen Spelta-<br />
Merkmale wie Spindelbrüchigkeit beim Drusch,<br />
fester Spelzenschluß, und geschulterte Hüllspelzen<br />
unterdrückt. Sie kann aber auch durch die Summierung<br />
kleiner Mutationsschritte entstanden sein, wie<br />
aus der Analyse einer größeren Sammlung aus dem<br />
Spelta-Anbaugebiet im Iran wahrscheinlich gemacht<br />
worden ist.<br />
Zu der auffallend größeren Formenmannigfaltigkeit<br />
der hexaploiden Weizen haben auch spontane<br />
Kreuzungen mit Roggen und Aegilopsarten beigetragen,<br />
und zwar durch Addition und Substitution<br />
von Fremdchromosomen, ferner durch Translokationen<br />
und Einlagerung fremder Chromatinstücke in<br />
Weizenchromosomen.“ 1 Diese genaue Zitierung erfolgt,<br />
um zu verdeutlichen, dass zumindest ein Teil<br />
der Nutzpflanzen in ihrer Hereinnahme durch den<br />
Menschen, nicht durchgehend genetisch dokumetierbar<br />
sind.<br />
1 Kuckuck, Hermann: Aus: „ Aktuelle Probleme der <strong>landwirtschaft</strong>lichen<br />
Forschung“; 9. Seminar – Abstammung der<br />
Kulturpflanzen und die Erhaltung des natürlichen Formenreichtums;<br />
Bundesversuchsanstalt Linz, 1982; S 14.<br />
Seite 67
Botanisch ist die Knolle eine Sprossverdickung, die Früchte<br />
sind Beeren mit einer hohen Anzahl von Samen.<br />
Diese Samen sind nur für die Zucht von Bedeutung.<br />
Der Erdapfel ist ein Selbstbefruchter. Pflanzenphysiologisch<br />
sind die oberirdischen Stängel und die unterirdischen<br />
Stolonen dasselbe. Die zwei bis zehn Stängel<br />
sind meist dreikantig, die Stolonen rund und hell. Wenn<br />
Letztere unter Lichteinfluss geraten, werden sie zu Stängeln<br />
mit verkümmerten Laubblättern. Der Sprosscharakter<br />
der Knollen zeigt sich durch das Vorhandensein<br />
der Augen; das sind genau genommen Knospen, welche<br />
eine bestimmte Anordnung aufweisen. Diese Anordnung<br />
geht aus vom Nabel – das ist der Anwachspunkt an der<br />
Stolone – und entwickelt sich spiralförmig ansteigend<br />
zur Krone.<br />
Seite 68<br />
Annäherung an den Erdapfel<br />
Ernährungsphysiologische Bedeutung<br />
Der Erdapfel ist in seinen verschiedenen Zubereitungen<br />
ein wichtiges Grundnahrungsmittel. Ursprünglich in<br />
Südamerika, später in Europa, Asien und den USA. Zum<br />
Vergleich zwei Anbauzahlen aus den 1990er Jahren:<br />
Erdapfel weltweit 18.000.000 ha<br />
Weizen 350.000.000 ha.<br />
Ernährungsphysiologisch ist der Eiweißgehalt bedeutsam<br />
durch den basischen Überhang, und außerdem die<br />
hohen Gehalte an Kohlehydraten und Kalium. In der anthroposophischen<br />
Ernährungslehre haben Erdäpfel keinen<br />
hohen Stellenwert. Nach ihr werden durch den reichlichen<br />
Genuss die Sinnestätigkeiten negativ beeinflusst.<br />
Die Kartoffelesser von Vincent van Gogh<br />
In der Tiermedizin gelten sie als Diätetikum bei Übersäuerung<br />
des Rindes. Gefährlich ist das Verfüttern von<br />
angekeimten Erdäpfeln, welche eine Alkaloidvergiftung<br />
hervorrufen können. Im Laufe des Keimungsvorganges<br />
und bei starker Lichteinstrahlung bildet sich massiv Solanin;<br />
die Symptome sind Lähmungserscheinungen im
Gehirn, Rückenmark und Herz.<br />
Das vorhandene Vitamin C kommt hauptsächlich im<br />
Inneren der Knolle vor, kann also beim Schälen nicht<br />
verloren gehen. Ernährungspolitische Bedeutung hat der<br />
Erdapfel 1845 und einige Folgejahre danach durch das<br />
massive Auftreten der Kraut- und Knollenfäule in Irland<br />
erlangt. Die dadurch entstandene Hungersnot forderte<br />
hunderttausende Todesopfer und zwang in den Folgejahre<br />
eine Million Iren zur Auswanderung nach Nordamerika.<br />
Anbau<br />
Der beste Boden für den Anbau von Erdäpfeln ist der<br />
berühmte sandig-lehmige, tiefgründige, lockere, humusreiche<br />
Boden. In der Bodenreaktion sind Erdäpfel tolerant;<br />
optimal ist der leicht saure Boden (um ph – Wert<br />
6). Das Umbauen soll im Herbst erfolgen, vor allem in<br />
trockenen Lagen, wo dadurch die kostbare Winterfeuchtigkeit<br />
erhalten bleibt. Die Düngungsempfehlungen reichen<br />
je nach Lehrbuch von 20.000–40.000 kg Mist pro<br />
ha. In der <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft achten wir<br />
besonders darauf, dass ein gut ausgereifter Kompost<br />
verwendet wird.<br />
Die Keimung kommt im Zuge der Erwärmung indirekt<br />
in Gang durch die Rückbildung von keimhemmenden<br />
Stoffen und gleichzeitig durch die verstärkte Bildung von<br />
Zucker- und Eiweißstoffen um die Augen herum.<br />
Das Kronenauge nimmt eine beherrschende Stellung<br />
ein und verhindert oft das Austreiben der übrigen Augen.<br />
Sollte dieser Prozess zu lange vor dem Anbauter-<br />
Annäherung an den Erdapfel<br />
min in Gang gekommen sein, wäre das Entfernen dieses<br />
Keimes ratsam.<br />
Für Betriebe mit einer starken Personaldecke oder<br />
auch für Kleingärtner gibt es ein paar den Ertrag steigernde<br />
Maßnahmen:<br />
• Die erste wäre das Durchschneiden des Erdapfels,<br />
sodass eine Kronen- und eine Nabelhälfte<br />
entsteht. Wenn man nicht am Saatgut<br />
sparen muss, sollte man nur die Kronenhälfte<br />
anbauen.<br />
• Gleichwertige Hälften bekommt man beim so<br />
genannten Brückenschnitt, cirka vier Wochen<br />
vor der Pflanzung. Dabei wird der Erdapfel der<br />
Länge nach bis auf einen 2 cm langen Steg am<br />
Nabelende durchgeschnitten.<br />
• Dann gibt es noch den Reizschnitt, bei dem<br />
in der Querrichtung der Erdapfel umrundend<br />
eingeschnitten wird. Dadurch keimen auch die<br />
nabelseitigen Augen leichter, weil der Kronenkeim<br />
nicht so stark ziehen kann.<br />
• Eine extreme Methode, Saatgut zu sparen, stellt<br />
das Herausschneiden von Augen mit einem Keil<br />
vom Fruchtfleisch von cirka 3 cm Länge dar.<br />
Die Mindesttemperatur für den Anbau wird für vorgekeimtes<br />
Saatgut mit 6°-10°C angegeben. Vorgekeimt deshalb,<br />
weil bei dieser Temperatur nur das Weiterwachsen<br />
der Keime möglich ist, aber nicht das Austreiben.<br />
Seite 69
Beim Früherdäpfel-Anbau empfiehlt sich generell ein<br />
Vorkeimen. Wird am Tageslicht vorgekeimt, ist auf das<br />
Auftreten von Blattläusen zu achten; Tabakrauch kann<br />
als Gegenmittel angewendet werden. 9°-13°C wäre für<br />
diesen Anbau der optimale Temperaturbereich. Bei höheren<br />
Temperaturen bilden sich zu verholzte Keime, die<br />
zu viele Nährstoffe verbrauchen. Nach der Weiterlagerung<br />
im Dunkeln ist es vorteilhaft, das Pflanzgut am<br />
Vortag der Auspflanzung ans Tageslicht zu bringen, weil<br />
dann die Keime nicht so leicht brechen und auch die<br />
Schockwirkung herabgemindert wird.<br />
Die technischen Daten für den Anbau sind vorgegeben<br />
durch die Spurweite der Geräte. 50-75 cm Reihenabstand<br />
und 28-42 cm Abstand in der Reihe sind das Spektrum.<br />
Sonderformen im Früherdäpfel-Anbau sind Verfahren<br />
unter Vliesbedeckung oder mit kleinen Folientunnels für<br />
jede einzelne Zeile. Die Pflanztiefe reicht von 10cm in<br />
leichten bis 5cm in schweren Böden.<br />
Nach Maria Thun ist der beste Zeitpunkt zum Auslegen<br />
für die Ernte als Saaterdäpfel, wenn Sonne und Mond<br />
gemeinsam im Widder stehen. 2<br />
Zwischen Anbau und Aufgang ist eine konsequente<br />
Unkrautbekämpfung die beste Basis für ein gelingendes<br />
weiteres Vorgehen. Hierbei ist zu erwähnen, dass das<br />
Ziehen von Dämmen bereits im Herbst durchgeführt<br />
werden kann, um den Unkrautdruck zu vermindern.<br />
2 Der genaue Saatzeitpunkt wird jährlich im Aussaatkalender von<br />
Maria Thun angeführt.<br />
Seite 70<br />
Annäherung an den Erdapfel<br />
Nach dem Legen wird blind gestriegelt; eventuell mit<br />
einer angehängten Kettenschleppe. Bis zum Schließen<br />
des Bestandes sollte mehrere Male gehackt und gehäufelt<br />
werden, wobei die Bodenbewegung auch die Nährstoffverfügbarkeit<br />
erhöht.<br />
Anwendung der Spritzpräparate<br />
Diese beginnt mit dem Einarbeiten des Fladenpräparates<br />
und dem Ausbringen des Mistkompostes im<br />
Herbst.<br />
Zur Bodenbearbeitung im Frühjahr wird Hornmist großtropfig<br />
ausgebracht; vorteilhaft am späten Nachmittag.<br />
Zeitgleich mit dem Hacken und Häufeln wird feinst<br />
verteilt am frühen Morgen Hornkiesel versprüht. Die<br />
Meinungen gehen auseinander, ob insgesamt vier Kieselspritzungen<br />
vertretbar sind. Verschiedene in der<br />
Zeitschrift „Lebendige Erde“ 3 angeführte Versuche mit<br />
Hornkiesel haben ergeben, dass bei einer späten Anwendung<br />
die Chlorophyllwerte höher waren als bei den<br />
unbehandelten Pflanzen. Für die Pflanze würde das eine<br />
längere Assimilationsdauer und damit ein längeres Knollenwachstum<br />
bedeuten. Gleichzeitig lässt sich vermuten,<br />
dass die Ausreifung der Knollen harmonischer vor sich<br />
gehen kann, als bei einem abrupten Laubverlust durch<br />
die Krautfäule. Ein weiterer Schluss daraus müsste sein,<br />
dass dadurch die Haltbarkeit eine bessere ist.<br />
3 Lebendige Erde, Mr. 4, 2007 „Zum Anwendungszeitpunkt von<br />
Hornkiesel“, Dr. Jürgen Fritz
Krankheiten und Schädlinge<br />
Beginnend mit dem großflächigen und industriellen<br />
Anbau sind weitere Krankheiten bekannt geworden, die<br />
sich auf Pilze, Bakterien oder Viren zurückführen lassen.<br />
Die gefährlichste Krankheit ist die Kraut- und Knollenfäule,<br />
welche durch den Pilz Phytophtora infestans hervorgerufen<br />
wird. Warme und feuchte Witterung ist die<br />
beste Voraussetzung, dass diese Krankheit großflächig<br />
und gleichzeitig auftreten kann. Die Züchtung absolut<br />
resistenter Sorten ist bis heute noch nicht gelungen, da<br />
der Pilz sich äußerst flexibel an neue Gegebenheiten anpassen<br />
kann.<br />
In der Steiermark gibt es einen Phytophtora–Warndienst<br />
mit Evidenzflächen in Hartberg und im Grazerfeld.<br />
Nachdem im <strong>Demeter</strong>bereich Kupfermittel nicht<br />
angewendet werden, leitet das über auf das von Maria<br />
Thun entwickelte Verfahren zur Verhinderung der Krautfäule.<br />
Frau Thun hat ein Verfahren entwickelt, das die Krautfäule<br />
verhindern soll: 4 Dabei wird an einem Blatttag, (sobald<br />
sich das zweite Blattpaar entfaltet hat) am Abend<br />
Brennnesseltee gespritzt. Sodann folgen im Neun-Tage-<br />
Abstand am Morgen von Wurzeltagen Teespritzungen<br />
von Schafgarbe, Kamille, Löwenzahn und Brennnessel in<br />
der angegebenen Reihenfolge.<br />
Von den tierischen Schädlingen sind der Kartoffelkäfer<br />
und der Drahtwurm die bekanntesten. Lebensweise des<br />
Erdäpfelkäfers: Erscheinen der ersten Käfer bei 10-15° C<br />
4 Thun, Maria: „Mein Jahr im Garten“, Kosmos Verlag, Stuttgart, 2004.<br />
Annäherung an den Erdapfel<br />
Bodentemperatur. Eistadium an der Unterseite der Blätter<br />
5-15 Tage. Ein Weibchen kann im Lauf einer Saison bis<br />
zu 800 Eier legen. Larvenstadium: 14-21 Tage<br />
Entwicklung als Käfer im Boden: ca eine Woche<br />
Was insgesamt einer Zeitspanne von fünf bis sechs<br />
Wochen für die Entwicklung einer neuen Käfergeneration<br />
entspricht. Winterschlaf zum Teil ab Ende des Sommers;<br />
in einer Tiefe von 50-70 cm.<br />
Nahrungsquellen: Der Großteil der Solanacaen<br />
(außer den Blättern des Erdapfels die Blätter von Paradeiser,<br />
Stechapfel, Bittersüß auch noch Kohl und Melde).<br />
Zur Abtötung der Larven der Erdäpfelkäfer gibt es Mittel<br />
auf der Basis des Bacillus Thuringiensis oder auf der<br />
Basis des Neembaumes. In der <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft<br />
gibt es auch noch die Möglichkeit der Veraschung.<br />
Zu angegebenen Konstellationen können Käfer<br />
oder Larven gesammelt und in einem Holzfeuer verbrannt<br />
werden. Die Asche wird verrieben und potenziert.<br />
Sie kann als Ursubstanz auf die Erde gestreut werden<br />
oder als Spritzung auf dem Feld ausgebracht werden.<br />
Zunehmenden Schadensdruck verursachen Nematoden.<br />
Die erste Gegenmaßnahme wäre eine Erhebung der<br />
Befallsdichte durch eine Bodenprobe. Walter Sorms regt<br />
an, den Nematoden durch einen vorherigen Anbau von<br />
Ackersenf entgegenzutreten.<br />
Es muss dies jedoch ein nematodenresistenter Senf<br />
sein, der für sein Wirksamwerden mindestens eine Vegetationszeit<br />
von sechs Wochen benötigt. Da im Frühjahr<br />
für diese Maßnahme eine wahrscheinlich nur zu kurze<br />
Zeitspanne zur Verfügung steht, wäre sie im Herbst vorzunehmen.<br />
Die grundsätzlichste Gegenmaßnahme ist<br />
Seite 71
noch immer das Einhalten längerer Anbauintervalle<br />
(sechs Jahre).<br />
Die Stellung in der Fruchtfolge<br />
Die gebräuchlichste und beste Vorfrucht sind Leguminosen<br />
oder Grünbrache.<br />
Die Erdäpfel selbst sind wieder die beste Vorfrucht für<br />
Wintergetreide.<br />
Zwei Verfahren zur Gesundung von Erdäpfelsaatgut<br />
Um den Abbauvorgang des eigenen Saatgutes zu verhindern<br />
oder zumindest zu verlangsamen, gibt es ein paar<br />
Möglichkeiten, die allerdings einen unterschiedlich hohen<br />
Zeitaufwand erfordern.<br />
• Die einfachere Methode wäre der Anbau der<br />
im folgenden Jahr benötigten Samenmenge in<br />
einer ausgewiesenen Erdäpfel-Gunstlage. Eine<br />
solche wird durch folgende Kriterien ausgewiesen:<br />
mineralreicher Unterboden, eine an die Obergrenze<br />
der Anbau-Möglichkeit heranreichende<br />
Seehöhe sowie eine hohe Intensität der Sonneneinstrahlung.<br />
Indem dieser Hof in unserem Fall<br />
ein <strong>Demeter</strong>betrieb sein sollte, der diese Menge<br />
an Erdäpfeln in seine Fruchtfolge einbauen muss,<br />
ist die Auswahl an Partnerbetrieben gering. Die<br />
Intervalle dieser Maßnahme können nur an den<br />
Ergebnissen der Beobachtung des Erntegutes<br />
angesetzt werden.<br />
• Eine andere Möglichkeit, die zwar innerhalb<br />
Seite 72<br />
Annäherung an den Erdapfel<br />
des eigenen Hofes sich vollziehen kann, aber<br />
insgesamt viel mehr Handarbeit erfordert, wäre<br />
der Saatgutanbau im Wald.<br />
Es könnte eine geeignete Schlagfläche sein,<br />
oder eine gerade sich ergebende Rodungsfläche.<br />
Von besonderem Wert wäre die zusätzliche<br />
Möglichkeit, das anfallende Astholz verbrennen<br />
zu können. Diese Art von Brandwirtschaft wird<br />
wahrscheinlich in manchem Zeitgenossen den<br />
Eindruck einer Sünde an der Umwelt erwecken.<br />
Zumindest das marginale Anwenden dieses Verfahrens<br />
möge zur Relativierung des Problems<br />
beitragen. Die großflächige Anwendung der<br />
bäuerlichen Brandwirtschaft war zwar schon<br />
dem Erzherzog Johann ein Dorn im Auge, es hat<br />
aber auch fundiert argumentierende Befürworter<br />
gegeben. Einer davon war DI Fritz Schneiter.<br />
Er war nahezu 70 Jahr lang Landes-Alminspektor<br />
und Tierzucht-Inspektor. 1879 geboren, hatte er<br />
genügend praktischen Einblick, auch in die Auswirkungen.<br />
Die Landwirtschaftlich-chemische<br />
Landesversuchsanstalt hat im Jahre 1933 Bodenproben<br />
von<br />
11 steirischen Brandwirtschafts-Betrieben vor<br />
bzw. nach dem Brennen entnommen.<br />
Die Mittelwerte ergaben folgende Ergebnisse:<br />
vorher nachher<br />
ph-Wert: 4,4 5,1<br />
Kalk in %: 0,262 0,402<br />
Kali in %: 0,142 0,192<br />
Stickstoff in %: 0,411 0,585
Die Zunahme an Nährstoffen wurde erst in zweiter Linie<br />
der verbliebenen Asche zugeschrieben. „Die veredelnde<br />
Brennwirkung im schweren Boden wird als Lockerung<br />
der kolloiden Struktur, Aufschließen von mineralischen<br />
Nährstoffen und Reinigung bezeichnet.“ 5<br />
• Die arbeitsaufwändigste und unwägbarste<br />
Möglichkeit der Erzielung einer Hofsorte ist<br />
das Aussäen der eigenen Samen (nicht der<br />
Knollen!). Dazu müssen die Beeren gesammelt<br />
und wie die Tomatensamen gewonnen<br />
werden. Im Bereich der Biodynamik lässt sich<br />
die Hoffnung geltend machen, dass eine, dem<br />
Hoforganismus entsprechende Spezies sich<br />
entwickelt.<br />
• Um eine wertvolle Sorte zu regenerieren,<br />
kann die oben angeführte Methode, kräftige<br />
Augen heraus zu schneiden, praktiziert werden.<br />
Die Augen mit nur wenig Fruchtfleisch aus zu<br />
pflanzen kann einen eventuellen Befallsdruck<br />
für etliche Jahre verhindern helfen.<br />
Dieser Vortrag wurde von Oskar Grollegger in der Arbeitsgruppe<br />
Kärnten-Steiermark am 1.März 2009 am<br />
Birkenhof gehalten.<br />
5 Schneiter, Fritz: „Agrargeschichte der Brandwirtschaft“,<br />
Historische Landeskommission für Steiermark, 25.Bd. 1970. S 17<br />
Annäherung an den Erdapfel<br />
Seite 73
Zum Wesen des Haustieres<br />
Elisabeth Stöger<br />
Historisches<br />
Der Beginn der Domestikation von Wildtieren markiert<br />
einen tiefen Einschnitt in der Entwicklung der Menschheit.<br />
Er bedeutet den Übergang von der Lebensweise der<br />
Jäger und Sammler zu einer gemeinsamen Lebensform<br />
von Tier und Mensch in all ihren Facetten. Das Tier wird<br />
aus seiner Wildheit hereingeholt in das „Haus“. Es gibt<br />
keine ausreichende naturwissenschaftliche Erklärung für<br />
dieses Geschehen. Dieser Vorgang lässt vermuten, dass<br />
zu einem bestimmten Zeitpunkt der Menschheitsentwicklung<br />
der Wolf dem Menschen in gewisser Weise entgegenkam<br />
– d.h., dass gleichzeitig die Bewusstheit des<br />
Menschen anfing die Instinkthaftigkeit des Tieres sich<br />
zunutze zu machen.<br />
Der Hund<br />
Das erste nachweisbare Haustier ist der Hund. Der<br />
Hund ist ein Rudeltier. In einem Rudel herrscht eine genaue<br />
Hierarchie. Diese Hierarchie ermöglichte es dem<br />
Menschen, den Hund an sich zu binden, indem er in<br />
die Rolle des Rudelführers treten konnte. Auffällig ist die<br />
hohe Formbarkeit des Hundes sowohl der Größe, der<br />
Form, der Farben, als auch der Verwendung nach. Man<br />
betrachte diese Vielfältigkeit vom Pekinesen bis zum<br />
Neufundländer.<br />
Das Schaf und die Ziege<br />
Ab dem 8. Jahrtausend v. Ch. beginnt der Mensch<br />
Wildschafe und Wildziegen zu domestizieren. Wir sind<br />
angehalten, die beiden Vorgänge – Domestikation und<br />
Seite 74<br />
Wesen des Haustieres<br />
Zähmung – deutlich zu unterscheiden. Unter Zähmung<br />
verstehen wir die Abrichtung eines Einzeltiers für unterschiedliche<br />
Zwecke. Von Zähmung sprechen wir, wenn<br />
wir zum Beispiel einen mutterlosen Jungfuchs ins Haus<br />
holen und „dressieren“. Von Domestikation hingegen<br />
kann erst gesprochen werden, wenn viele Vertreter einer<br />
Tierart in die Haustierform hereingeholt werden.<br />
So können wir bei Rind, Schaf und Ziege von Domestikation<br />
sprechen.<br />
Betrachtet man die Ursprungsgebiete der heutigen<br />
Schafe und Ziegen, so wird deutlich, dass die momentane<br />
Haltung die meisten Exemplare in Lebensräume<br />
zwingt, die ihnen nicht förderlich sind. Wenn Ziegen<br />
schon in Niederungen gehalten werden müssen, dann<br />
sollte wenigstens die Lichtkraft eine hohe sein. Am gravierendsten<br />
wirkt sich diese falsche Haltung im häufig<br />
auftretenden Parasitendruck aus.<br />
Vom sozialen Bereich her betrachtet brauchen die meisten<br />
Schafrassen viel mehr das Gefüge einer Herde als<br />
Ziegen. Es ist interessant zu beobachten, welche Tierarten<br />
als Einzeltiere domestiziert werden und welche als<br />
Herde.<br />
Auch das Schwein wurde in dieser Zeit in menschliche<br />
Obhut genommen.<br />
Im folgenden Jahrtausend beginnen Mensch und Rind<br />
sich anzunähern. Konzentriert man den Blick nicht nur<br />
auf die Domestikation von Tieren, so erkennt man, dass<br />
es auch der Zeitpunkt war, an dem bestimmte Gräser<br />
von einzelnen kundigen Menschen in die Richtung von<br />
Nahrungspflanzen verändert wurden.<br />
Alle bis hierher hereingenommenen Tierarten stellen<br />
keine Nahrungskonkurrenz zum Menschen dar, sondern<br />
fressen, was dieser nicht verwerten kann. Dazu kommt,<br />
dass die Tiere selbst zunehmend zur Quelle von Nahrungsmitteln<br />
werden.<br />
Vom Zeitlauf her ging die nächste Domestikation um<br />
4000 v. Ch. mit dem Wildpferd vonstatten.
Wesen des Haustieres<br />
Hund Wolf - Canis lupus mehrfach in verschiedenen Gebieten<br />
in Eurasien und Nordamerika,<br />
13 000 - 7 000 v. Chr.<br />
Katze Wildkatze - Felis silvestris Nordafrika und Vorderasien, in<br />
Ägypten im 2. Jt. v. Chr.<br />
Pferd Wildpferd - Equus ferus mehrfach in verschiedenen Gebieten<br />
Eurasiens, in Europa ab dem frühen<br />
4. Jt. v. Chr.<br />
Schwein Wildschwein - Sus scrofa mehrfach in verschiedenen Gebieten<br />
Asiens,<br />
in Vorderasien im 8. Jt. v. Chr.<br />
Ziege Bezoarziege - Capra aegagrus Vorderasien, etwa 8 000 v. Chr.<br />
Schaf Wildschaf - Ovis ammon Vorderasien, etwa 8 000 v. Chr.<br />
Rind Ur - Bos primigenius Vorderasien, 2. Hälfte 8. Jt. v. Chr.<br />
Taube Felsentaube - Columba livia Vorderasien, 5. Jt. v. Chr.<br />
Huhn Bankivahuhn - Gallus gallus Südostasien, Industal-Kultur, 3. Jt. v.<br />
Chr., ältere Belege aus China<br />
Gans Graugans - Anser anser mehrfach in verschiedenen<br />
Gebieten, in Ägypten in der 2. Hälfte<br />
des 3. Jt. v. Chr., in Europa in der<br />
Spätbronzezeit<br />
Honigbiene Honigbiene - Apis mellifera in verschiedenen Gebieten,<br />
Hausbienenhaltung seit dem<br />
Neolithikum, in Ägypten mindestens<br />
seit 3. Jt. v. Chr.<br />
Seite 75
Überragende Ergebnisse, was die Gewöhnung an den<br />
Menschen, verbunden mit höchsten Zuchtleistungen angeht,<br />
brachte der Umgang mit dem Pferd im arabischen<br />
Raum.<br />
Relativ spät erscheinen archäologische Funde der<br />
Katze. Im ägyptischen Raum, wo diese Funde gemacht<br />
wurden, erlangte sie einen hohen kultischen Status, der<br />
aus heutiger Sicht nur mehr sehr schwer nachvollzogen<br />
werden kann. Von der Lebensweise her ist die Katze kein<br />
Rudeltier. Daher ist auch die Stelle des Leittieres unbesetzt,<br />
was den Umgang mit Katzen mit deutlich mehr<br />
Unwägbarkeiten ausstattet als den Umgang mit einem<br />
Hund.<br />
Dass die einzelnen Domestikationszeiträume wirkliche<br />
Zeit-Fenster waren, lässt sich schon daraus ersehen,<br />
dass solche Vorgänge zu keiner späteren Zeit mehr<br />
aufgetreten sind.<br />
Wenn heute Haustiere verwildern, werden sie, vorausgesetzt<br />
sie überleben, wenigstens nicht in absehbarer<br />
Zeit wieder zu Wildtieren. Als der Dingo, welcher<br />
2500 v. Ch. als Haustier nach Australien kam, mit der<br />
Zeit verwilderte, wurde er doch nicht wieder zum Wolf.<br />
Veränderungen, welche beobachtet werden können, wenn<br />
Wildtiere in die Haustierform übergeführt werden:<br />
Das vordergründig Auffälligste sind die enormen Steigerungen<br />
in der Fleisch-, Milch- und Legeleistung. Auch<br />
die Anzahl der Jungen pro Geburt ist stark angestiegen.<br />
Seite 76<br />
Wesen des Haustieres<br />
So hat eine Wildschweinmutter pro Wurf vier bis sechs<br />
Frischlinge, während eine Hausschweinmutter pro Wurf<br />
etwa 12 bis 15 Ferkel bringt. Ein Wildhuhn hat pro Jahr<br />
20 bis 30 Eier potenziell angelegt, eine Legehenne bis<br />
zu 300. Dagegen degenerieren die Sinnesorgane; das<br />
Vorderhirn nimmt im Volumen bis zu 70% ab.<br />
Was sich offensichtlich den beschriebenen Steigerungen<br />
entgegenstellt, ist die Kleinheit des dargestellten<br />
keltischen Rindes im Vergleich mit dem Urrind.
Die Dreigliederung bei Mensch und Tier<br />
1<br />
2<br />
3<br />
1 2 3<br />
1. Nerven- Sinnes-System (Kopfpol)<br />
2. Ryhtmisches System (Herz, Lunge)<br />
3. Stoffwechselgliedmaßensystem<br />
(Stofwechsel und Reproduktion)<br />
Die Zuordnung ergibt sich aus der Betonung des jeweiligen<br />
Systems.<br />
Charakteristische Vertreter für die Region des Nerven-<br />
Sinnespols sind beispielsweise die Maus und der Adler,<br />
während für die Stoffwechselregion das Rind als Hauptrepräsentant<br />
bekannt ist. Das Rhythmische System wird<br />
vertreten durch Löwenartige.<br />
Da dieser Vortrag hauptsächlich für Biodynamikerinnen<br />
und Biodynamiker gehalten wird, konzentrieren<br />
wir uns in weiteren Fragen der Dreigliederung auf das<br />
Rind.<br />
Wir können beim Rind eine Art zeitliche Dreigliederung<br />
bemerken: es frisst acht Stunden, es käut acht Stunden<br />
wieder und es ruht acht Stunden. Interessant ist die<br />
Wesen des Haustieres<br />
Tatsache, dass die reine Schlafzeit nicht mehr als eine<br />
Stunde beträgt.<br />
Das Besondere im Verdauungsgeschehen des Rindes:<br />
Das Rind ist in der Lage Zellulose zu verdauen. Es geschieht<br />
dies in den drei Vormägen durch unterschiedliche<br />
Mikroorganismen. Wegen des Volumens des zu<br />
Verdauenden nehmen diese drei Mägen auch den halben<br />
Brustraum ein. Im vierten Magen ist die Verdauung<br />
ähnlich der menschlichen. Das Wiederkäuen dient nicht<br />
nur der Zerkleinerung des Futters, sondern auch der Vorbeugung<br />
der Übersäuerung. Erkennbar ist die Übersäuerung<br />
am Abweichen vom Optimum an Wiederkäuschlägen,<br />
welches zwischen 50 und 100 Schlägen liegt. Der<br />
Blättermagen ist kein Hohlraum, sondern ist ausgefüllt<br />
mit Blättern, welche das Heraussaugen des Wassers<br />
aus dem Nahrungsbrei bewerkstelligen. Der Pansen ist<br />
durch viele Einbuchtungen so ausgestattet, dass der Innenraum<br />
vergrößert wird. Sehen wir hin auf die Entwicklung<br />
der Mägen beim Einzeltier, so muss gesagt werden,<br />
dass beim Kalb nur durch die Aufnahme von Rohfaser<br />
die richtige Entwicklung des ersten Vormagens gewährleistet<br />
wird.<br />
Wovon lebt die Kuh?<br />
Die Zellulose kann es nicht sein; diese wird von Mikroorganismen<br />
verdaut, welche die Fähigkeit haben,<br />
sich sehr rasch zu vermehren und dadurch das eigentliche<br />
Futter für die Kuh abzugeben. Es ist nahezu handgreiflich<br />
zu spüren, welch sensible Höchstleistung hier<br />
stattfindet. Diese Höchstleistung findet schon unter<br />
„normalen“ Fütterungs- und Leistungsbedingungen<br />
statt. Nachdem aber die genetischen Grenzen – was<br />
die Leistung betrifft – enorm nach oben verschoben<br />
worden sind, eine wiederkäuergerechte Fütterung aber<br />
an Volumensgrenzen stößt, ist eine Art von Dauerstress<br />
Seite 77
das Ergebnis. Der optische Eindruck so einer Kuh lässt<br />
diese Diagnose schwer aufkommen; jedoch sprechen die<br />
Fakten Unfruchtbarkeit, Durchfall und Aggression eine<br />
deutliche Sprache.<br />
Die richtige Zuordnung der Fütterung:<br />
Pferd Rind Schwein<br />
Blüte/Sonne Blatt/Halbschatten Wurzel/Schatten<br />
Tiere mit betontem Nerven-Sinnessystem brauchen<br />
für ihre Nahrung energiereiches Futter (Körner für Vogelartige),<br />
Tiere mit Stoffwechselbetonung brauchen Rohfaser<br />
und solche mit einer Betonung des Rhythmischen Systems<br />
verlangen nach eiweißreicher Fütterung (Fleisch).<br />
Die Mineralstoffgabe aus der Sicht der Referentin:<br />
Im Akutfall müssen Mineralstoffgaben verabreicht werden,<br />
langfristig muss jedoch auf eine Änderung der<br />
Grundsituation hingearbeitet werden. Allerdings ist sogar<br />
dafür die Ausgangslage schwierig, da die einseitigen<br />
Züchtungstendenzen und deren Ergebnisse nur minimale<br />
Verbesserungsschritte zulassen. Am Beispiel der<br />
Putenzucht soll dieser Umstand sichtbar gemacht werden:<br />
Die Puten sind so auf Gewichtszunahme gezüchtet<br />
worden, dass eine putengerechte Fütterung diesem Potential<br />
der Gewichtszunahme einfach nicht mehr gerecht<br />
werden könnte.<br />
Umgelegt auf die Rinderhaltung im <strong>biodynamische</strong>n<br />
Landbau bedeutet dies, dass wir mit dem Laubheu der<br />
Mineralstoffversorgung nur dann genügen können, wenn<br />
die Tiere nicht einseitig überzüchtet sind.<br />
Eine zunehmende Polarisierung erfolgt im Zuge der Tierhaltung<br />
in die Bereiche Nutztiere und Hobbytiere.<br />
Nutztiere leiden unspezifisch unter einer Art von<br />
Seite 78<br />
Wesen des Haustieres<br />
Versachlichung, verbunden mit einer Abnahme an Zuwendung.<br />
Hobbytiere leiden an einer Art von Vereinnahmung, ausgelöst<br />
durch eine egoistisch ausgerichtete Zuwendung.<br />
Die Krankheitsbilder weisen im Großen ebenfalls in zwei<br />
Richtungen:<br />
Die Nutztiere leiden gewissermaßen symptomloser, zu<br />
bemerken ist auf jeden Fall eine Form auflösende Tendenz.<br />
Man denke an das Weichwerden der Klauen oder<br />
die symptomlose Sterilität.<br />
Hobbytiere nähern sich in ihren Krankheitsbildern dem<br />
Menschen an: Diabetes, Tumore, Übergewicht…<br />
Ausblick<br />
Wie nun ersichtlich ist, sind bereits in beiden Tierhaltungsformen<br />
Grenzen überschritten, ist die Tierhaltung<br />
in Bereiche gekommen, wo Sympathie-Mittel keine Hilfe<br />
mehr sein können. Verzicht ist zwar ein bedrohlicher Begriff<br />
geworden, aber ungeachtet dessen wird kein Weg<br />
ihn umgehen können.<br />
Aus der Sicht des <strong>biodynamische</strong>n Landbaues ist im<br />
Nutztierbereich das Verzichten auf gewisse genetisch<br />
ermöglichte Höchstleistungen der einzig gangbare Weg.<br />
Es kann nicht sein, dass der Begriff „ökonomisch“ so untrennbar<br />
mit „Leistungssteigerung“ verknüpft ist.<br />
Im Fall der Hobbytiere ist zwar das Drama der Preissituation<br />
kein Thema; sehr wohl ist aber der Begriff des<br />
Verzichtens die Klippe, die nicht zu umschiffen sein wird.<br />
Der vorhin thematisierte Egoismus ist zwar diffiziler als<br />
in der Nutztierhaltung, bietet aber genügend Auftreff-<br />
Fläche um Verzicht zu üben.
Literatur:<br />
Benecke, Norbert: „Der Mensch und seine Haustiere –<br />
Die Geschichte jahrtausendealten Beziehung“, Konrad<br />
Theiss Verlag, Stuttgart, 1994<br />
Spranger, Jörg (Hrsg.): „Lehrbuch der anthroposophischen<br />
Tiermedizin“; Sonntagverlag, Stuttgart, 2007<br />
Schad Wolfgang: „Säugetiere und Mensch“, Verlag<br />
Freies Geistesleben, Stuttgart, 1971<br />
Nickel, Richard; Schummer, August; Seiferle, Eugen:<br />
„Lehrbuch der Anatomie der Haustiere“, Bd.1, Bewegungsapparat,<br />
Parey-Verlag<br />
Frau Dr. Stöger hielt diesen Vortrag am 14. Februar am<br />
Wurzerhof und am 15. Februar in Maribor.<br />
Elisabeth Stöger arbeitet als Tierärztin in Kärnten.<br />
Wesen des Haustieres<br />
Seite 79
Biodynamische Betrachtungen über das<br />
Tier(ische) in der Landwirtschaft und in uns<br />
Überlegungen zur Haustierhaltung hinsichtlich der<br />
Auswirkung auf den lanwirtschaftlichen Organismus<br />
Wilhelm Erian<br />
Persönliches zur Einführung:<br />
1973 fragte ihn der Vater: „Wirst du den Stall übernehmen,<br />
wenn du die Schule abgeschlossen hast? Ich kann<br />
den Melker nicht mehr bezahlen.“ Er verneinte, der Vater<br />
verkaufte seine Fleckviehherde.<br />
Sein Großvater meinte damals: „Für die Zucht einer<br />
Fleckviehherde braucht man ein ganzes Leben!“<br />
Wilhelm Erian hat schließlich 1979 doch den elterlichen<br />
Hof in Pacht übernommen.<br />
Er verkaufte sein Auto, kaufte zwei Kühe und begann,<br />
gegen den Willen seines Vaters, biologisch zu wirtschaften.<br />
Bald hatte er sieben Kühe, jedoch keine wurde trächtig.<br />
Sein Vater, der im Zweitberuf Tierarzt war, und W. Erian<br />
hatten nichts unversucht gelassen. So wurde als letzte<br />
Option Dr. Selinger, ein nach der Methode der Homöopathie<br />
arbeitender Tierarzt, konsultiert.<br />
Sein Rat war: „Füttern Sie keine Mineralstoffmischung,<br />
kein junges Gras, junges Heu, Silage, etc. Stattdessen<br />
lassen sie die Tiere nur noch auf überständige Weiden<br />
gehen, füttern sie nur noch Stroh, altes Heu, Kleie, Laubheu.“<br />
Nach kurzer Zeit wurden fünf von sieben Kühen trächtig.<br />
Daraufhin wurde in Zusammenarbeit mit dem homöopathischen<br />
Tierarzt die Bewirtschaftung des<br />
Hofes analysiert.<br />
• Gibt es Hecken auf den Feldrainen?<br />
• Welche Fruchtfolgen werden gemacht?<br />
• Wie oft werden die Wiesen gemäht?<br />
Seite 80<br />
Biodynamische Betrachtungen<br />
• Welche Tiergemeinschaften gibt es am Hof?<br />
• Wird der Wald miteinbezogen in die<br />
Tierfütterung?<br />
• Werden den Kühen Rüben gefüttert?<br />
• Wie erfolgt der Weidegang der Tiere?<br />
All das und noch viele weitere Fragen führten zu einer<br />
kompletten Umstellung des Betriebes.<br />
Wieder einige Jahre später wurde das Thema Zucht in<br />
Angriff genommen. Es gibt dabei zwei Herangehensweisen:<br />
o Zucht aus materialistischer Sicht, orientiert<br />
ausschließlich an Leistungskriterien.<br />
o Zucht, um das Wesen des Tieres zu verstehen,<br />
das Wesen weiterzuentwickeln, es auf eine<br />
höhere Stufe zu bringen.<br />
Die Umgestaltung des Betriebes entwickelte sich zu<br />
einem Schulungsprozess für den Menschen selbst. Es<br />
handelt sich nicht um eine Landbaumethode, sondern<br />
um eine Lebenseinstellung.<br />
Warum halten wir am Hof Tiere?<br />
Wirtschaftliche Aspekte<br />
Hohe Wertschöpfung<br />
Innere Betriebsaufstockung, das heißt man kann mehr<br />
Tiere halten, das Einkommen steigern ohne die Fläche<br />
zu vermehren.<br />
Industrielles Denken, d.h. Spezialisierung und Rationalisierung,<br />
arbeitsteiliges Wirtschaften (nur Viehhaltung,<br />
nur Ackerbau).
Organische Aspekte<br />
Definition „Organismus“ in der Biologie: Ein Organismus<br />
ist das einzelne Lebewesen als die Gesamtheit<br />
der funktionell verbundenen und sich gegenseitig beeinflussenden<br />
Organe.1<br />
Er ist ein belebter Naturkörper, dessen<br />
Glieder zweckhaft aufeinander abgestimmt<br />
sind und die einander bedingen. Er ist immer<br />
mehr als die Summe seiner einzelnen Organe.<br />
Nun, was hat das mit der Landwirtschaft zu tun?<br />
Für Rudolf Steiner gleicht kein anderer Bereich des Lebens<br />
sosehr der menschlichen Individualität wie ein<br />
(freilich ideal gestalteter) Bauernhof.2<br />
Vom <strong>landwirtschaft</strong>lichen Organismus zur <strong>landwirtschaft</strong>lichen<br />
Individualität<br />
Organismen in der oben definierten Ausprägung<br />
waren vorhanden, bevor der Mensch in die Natur<br />
eingegriffen hat. Der Mensch hat seine eigenen Vorstellungen<br />
entwickelt, Kultur geschaffen, und in die<br />
Natur hinein getragen. Das ist so lang gut gegangen,<br />
solange er bereit war, sich an bestimmte Grenzen zu<br />
halten. (Literaturempfehlung „Erysichton-Mythos der<br />
Griechen)3<br />
Lange vor der ökonomischen Wissenschaft haben<br />
1 Lexikon<br />
2 Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum<br />
Gedeihen der Landwirtschaft“, Rudolf Steiner Verlag, 4. Auflage,<br />
Dornach, 2005<br />
3 Publius Ovidius Naso: „Metamorphoses“, Buch 8,<br />
Vers 738-878, 8 n.Chr.<br />
Biodynamische Betrachtungen<br />
diese Mythen die Beziehungen zwischen Wirtschaft und<br />
Ökologie mit erstaunlichem Durchblick behandelt.<br />
Das einzig wirklich Freie am Menschen ist sein Geist.<br />
Alle Handlungen aus diesem Geist heraus haben Auswirkungen<br />
auf das Umfeld.<br />
Geht man in die Natur, so erscheint sie uns als Freiraum-<br />
„die freie Natur“.<br />
Die Natur hat aber ihre Gesetzmäßigkeiten. Naturgesetze<br />
stellen eine ungemein strenge Ordnung dar. Der<br />
allergrößte Teil dessen, was sich nicht an die Naturgesetze<br />
hält, fällt aus dem Leben heraus, d.h. es stirbt<br />
gleich oder bleibt unfruchtbar.<br />
Immer dann, wenn der Mensch ein System fand, in<br />
dem die Naturreiche neben den menschlichen Bedürfnissen<br />
auch ihr Recht bekamen, entstanden Hochkulturen.<br />
Wir stehen heute an einem Punkt, wo wir uns nicht mehr<br />
zurückziehen und alles der Natur überlassen können,<br />
denn mit dem Auszug aus dem „Paradies“<br />
(= Selbstabnabelung vom Instinkt) hat der Mensch<br />
eigene Erkenntnismöglichkeiten entwickelt und damit<br />
Mitverantwortung für die Schöpfung übernommen.<br />
Wenn es der Mensch also versteht aus diesen einzelnen<br />
Gliedern, den Organen eines <strong>landwirtschaft</strong>lichen<br />
Betriebes, einen Organismus zu bilden, fließt natürlich<br />
seine eigene Weltanschauung, seine ganze Persönlichkeit<br />
mit ein in diesen belebten Naturkörper. Sofern es gut<br />
gelingt, wird der Bauernhof zu der von Rudolf Steiner oft<br />
erwähnten <strong>landwirtschaft</strong>lichen Individualität.<br />
Am Hof unterscheiden wir folgende Organe<br />
•Boden (Auch er ist für sich ein Lebewesen.<br />
Jedes Lebendige hat sein eigenes<br />
Eiweißmuster. Es konnte nachgewiesen<br />
Seite 81
Seite 82<br />
werden, dass es im Boden ein eigenständiges<br />
Eiweißmuster gibt, das zu keinem pflanzlichen<br />
oder tierischen Organismus gehört. Es wird von<br />
der Erde selbst gebildet. Es existiert also ein Bodenleben<br />
unabhängig von den Bodenorganismen.)<br />
•Pflanze<br />
•Tier<br />
•Mensch<br />
Alle vier Organe müssen immer in ihrer Gesamtheit<br />
betrachtet werden. Wenn sich ein Teil ändert, hat das<br />
Auswirkungen auf alle anderen.<br />
Es gibt im <strong>landwirtschaft</strong>lichen Zusammenhang<br />
Grundweisheiten, die dieses Zusammenwirken der Organe<br />
aufzeigen:<br />
Die Wiese ist die Mutter des Ackers<br />
Das, was der Bauer am Acker macht, ist genau das Gegenteil<br />
von dem, was die Natur will.<br />
Ackerbau ist eine einseitige Bepflanzung. Der Bauer will,<br />
dass nur eine Kulturpflanze in einem Jahr auf einem Feld<br />
wächst.<br />
„Der Bauer will Einfalt, die Natur will Vielfalt.“4<br />
Die Wiese, gemeint ist dabei das richtig bewirtschaftete<br />
Dauergrünland, ist ein Beispiel für natürliche Vielfalt mit<br />
stabilem Ökosystem.<br />
Mit dem Anbau von Kulturpflanzen macht der Mensch<br />
aber genau das Gegenteil dessen, was die Natur will. Diese<br />
will nämlich möglichst große Vielfalt an verschiedenen<br />
Pflanzen und Tieren.<br />
4 Originalzitat Erian<br />
Biodynamische Betrachtungen<br />
In einem Urwald wächst hoch Aufschießendes neben<br />
Kriechendem, üppig Grünendes neben zart Sprossendem,<br />
Mehrjähriges neben Kurzlebendem, Tiefwurzler<br />
neben Flachwurzler.<br />
Es gibt einen steten Auf- und Abbau von organischer<br />
Substanz; ein perfektes Kreislaufsystem. Ein aktives Bodenleben<br />
sorgt für „ewiges“ Leben.<br />
Dieses perfekte System der Viefalt finden wir in analoger<br />
Form auf unseren Höfen in richtig bewirtschafteten Dauerwiesen.<br />
Es ist völlig falsch Grünlandflächen alle paar Jahre umzubrechen<br />
und ein Wechselwiesensystem einzuführen.<br />
Nur in „alten“ Wiesen steckt die Kraft der Dauerwiese.<br />
Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hat der<br />
Botaniker Voisin immer wieder auf die segensreiche<br />
Wirkung der Dauerwiese hingewiesen.5 Sie ist auch das<br />
einzig heute bekannte „Heilmittel“, um die weltweit auftretende<br />
Unfruchtbarkeit bei Rindern zu beheben. Denn<br />
es ist doch die Kuh, die durch die modernen Landbau-,<br />
Zucht- und Haltungsmethoden zur Repräsentantin für<br />
die so genannte „symptomlose Sterilität“ wurde.<br />
Gibt man den Tieren Gras von der Wiese und bringt<br />
dann den Dünger auf dem Acker aus, gleicht man den<br />
Eingriff ins Ackerland aus, was eine wichtige zusätzliche<br />
Möglichkeit zum Fruchtfolgewechsel ist.<br />
Die Fruchtfolge ist nichts anderes als ein zeitliches<br />
Aufeinander von verschiedenen Pflanzen, statt des von<br />
der Natur angestrebten räumlichen Nebeneinanders von<br />
verschiedenen Gewächsen. Das Zulassen eines gewissen<br />
Unkrautbesatzes ist ein Schritt zur Förderung der<br />
Selbstheilungskräfte des Organismus Boden. Denn bei<br />
genauem Hinschauen finden jene Pflanzen die besten<br />
5 Voisin, Andrè: „Die Produktivität der Weide,“ BVL, 1958
Keim- und Wachstumsbedingungen auf einem<br />
bestimmten Standort, die der Boden dort am dringendsten<br />
braucht.<br />
Unkräuter scheinen etwas ins Gleichgewicht bringen<br />
zu wollen, das unharmonisch ist, wie etwa verstärktes<br />
Auftreten von Disteln das Vorhandensein eines Pflugsohlenverdichtungshorizontes<br />
anzeigen kann, Ampfer<br />
stauende Nässe im Untergrund, die Brennnessel kommt,<br />
wenn organische Substanz aufzuarbeiten ist und so fort.<br />
Wie jeder weiß, sinkt bei erhöhtem Unkrautbesatz der<br />
Ertrag. Damit ist man beim Kern des Problems angelangt<br />
und bei einem Grundprinzip des Lebens:<br />
„Langfristige Gesundheit und Fruchtbarkeit gibt es nur<br />
bei einem gewissen Verzicht auf materiellen Ertrag.“6<br />
Rudolf Steiner spricht davon, dass Pflanzen die Erde<br />
beleben, Tiere sie beseelen. 7<br />
Das Gras auf der Wiese wächst auf und kommt in die<br />
Blüte. Von der Form her gibt es Analogien bei den Staubgefäßen<br />
der Blüten zu den Geschlechtsorganen des<br />
weiblichen Rindes. Es besteht im übertragenen Sinne ein<br />
direkter Zusammenhang, der in der folgenden Redensart<br />
zum Ausdruck kommt: „So wie die Blume auf der Wiese<br />
blüht, so blüht die Kuh den Stier entgegen.“<br />
Die Blüten sind für die Stärkung der Reproduktionskraft<br />
der Kuh zuständig.<br />
Düngen heißt nicht die Pflanze ernähren, sondern den<br />
Boden beleben!<br />
Ein Boden ohne belebende Organismen, sowohl<br />
pflanzlicher als auch tierischer Natur, ist nicht vorstellbar.<br />
6 Originalzitat Erian<br />
7 Vgl. Steiner s.o.<br />
Biodynamische Betrachtungen<br />
Der Boden als solches ist wiederum ein in sich geschlossener<br />
Organismus, dessen einzelne Glieder sich gegenseitig<br />
bedingen und zweckhaft aufeinander abgestimmt<br />
sind.<br />
Was ist das Belebende beim Mist, was wirkt belebend<br />
für den Boden?<br />
Dr. Selinger sagte: „Der Regenwurm ist nichts anderes<br />
als eine frei gewordene Wurzel.“<br />
Betrachtet man den Schnitt durch die Spitze einer<br />
Wurzel und durch die des Regenwurmes, lassen sich<br />
ganz große Analogien feststellen. Beide haben eine<br />
Schleimschicht, die es erst ermöglicht, den Boden zu<br />
durchdringen.<br />
Es erfolgt also eine unglaublich große Schleimausscheidung<br />
der Wurzeln in den Boden hinein.<br />
Eine einzige Maispflanze scheidet in einer Vegetationsperiode<br />
bis zu 1,5 t Schleimstoffe in den Boden hinein<br />
ab.<br />
Leben entsteht immer im Bereich von Schleimhäuten:<br />
im Ei ebenso wie in der Gebärmutter. So ist speziell dieser<br />
schleimige Bereich um die ganz feinen Wurzeln herum<br />
der ideale Lebensraum für die Bodenlebewesen.<br />
Ein besonders wertvoller Dünger ist der Taubenmist.<br />
Die äußerlich weiße Schicht des Exkrementes ist Schleimhaut.<br />
Bei Hühnern erneuert sich die Darmschleimhaut<br />
alle zwei Tage.<br />
Diese durch den Mist ausgebrachte Schleimhaut hat die<br />
bodenbelebende Wirkung.<br />
Seite 83
Deshalb ist es auch das Ziel bei der Fütterung vom<br />
Rind, dass der ausgeschiedene Mist von richtiger Qualität<br />
ist. Richtig in der Konsistenz und glänzend von der<br />
Schleimhaut.<br />
Wie wird das erreicht?<br />
R. Steiner: „Man sollte sich bei der Fütterung an der<br />
ganzen Pflanze orientieren.“8<br />
Wurzel – Stängel – Blatt – Blüte – Frucht<br />
All das muss in der Fütterung enthalten sein, nur so ist<br />
die Fütterung richtig.<br />
Wurzel: Die weißfleischige Wasserrübe für den erwachsenen<br />
Wiederkäuer, die Karotte für Jungtiere. Jeweils nur<br />
in maßvollen Mengen (3–5 kg/Tier u. Tag an Rüben,<br />
1kg/Tier u. Tag an Karotten) W.Erian: „Die Futterrübe<br />
und Karotten erscheinen mir als Bauer in der Rinderfütterung,<br />
aber auch bei Schwein, Schaf, Pferd, Ziege und<br />
Huhn als unverzichtbar.“<br />
Stängel: Dieser ist nur dann als wiederkäuergerecht<br />
anzusehen, wenn er eine gewisse Reife erreicht. Ob der<br />
geforderte Reifegrad erreicht ist, lässt sich zuallererst<br />
8 Steiner, s.o.<br />
Seite 84<br />
Biodynamische Betrachtungen<br />
am Mistfladen ablesen, bei Hartkäseerzeugung nach<br />
mindestens sechsmonatiger Reifung am Käsegeschmack<br />
erkennen.<br />
Blatt u. Blüte: Ausgereiftes Gras. Bei Untersuchung<br />
einer wildlebenden Wisentherde in Mitteleuropa hat<br />
sich gezeigt, dass August und September die natürliche<br />
Hauptkonzeptionszeit ist.<br />
Will der Bauer, dass seine Kühe in der Zeit des Tierkreiszeichens<br />
Stier, also im Mai, brünstig werden, so muss er<br />
seine Fütterung so gestalten, dass er ihnen jene Blütenkräfte,<br />
die verstärkt brunstauslösend wirken, im Frühjahr<br />
zuführt. Ein alter Bauernspruch sagt. „Grumet nicht vor<br />
Lichtmess“, was heißt, dass feines blütenreiches Futter<br />
erst nach dem 2. Februar verfüttert werden soll.<br />
Frucht: Getreide, aber nur als Gewürz, als Lockmittel.<br />
Hier wird das Schmachtkorn, Bruchkorn, Kümmerkorn<br />
verwendet, eben nur jenes, das für den Menschen nicht<br />
geeignet ist.<br />
Jeder Betrieb braucht daher auch eine bestimmte Fläche<br />
zum Getreideanbau. Die Ernte wird durchgeputzt, zwei<br />
Drittel davon sollten für den Menschen bleiben, ein<br />
Drittel für die Tierfütterung.<br />
Diese Menge muss reichen für die Kühe, für die<br />
Schweine und für die Hühner.<br />
Danach richtet sich auch die Menge der Schweine und<br />
die Anzahl der Hühner, die auf einem Hof gehalten werden<br />
können. Denn für diese Tiere ist Getreide die Futterbasis,<br />
nicht für die Rinder.<br />
Schwein und Huhn sind in jener Anzahl am Hof sinnvoll,<br />
als für sie zu verwertende Nahrungsmittel, die für<br />
die menschliche Ernährung nicht geeignet sind, anfallen:<br />
Das „Saugrasl“, die „Saukartoffel“ (sehr kleine,<br />
verletzte, grünlich verfärbte), die Molke, die Heublumen,<br />
Küchenabfälle.
Beherzigen wir diese grundlegenden Dinge nicht, dann<br />
gilt auch weiterhin:<br />
„Das Vieh der Reichen frisst das Brot der Armen.“<br />
Die heute üblichen Feldfutter, aber auch Grünlandmischungen<br />
mit rasch wachsenden, massenbildenden Gräsern,<br />
bergen oft die Gefahr in sich – vor allem in Verbindung<br />
mit „triebiger“ Düngung – dass durch den dichten,<br />
raschen Bewuchs Blätter im unteren Teil der Pflanze gelb<br />
und faulig werden. Um dem vorzubeugen, mäht der Bauer<br />
früher - unreifes Futter bewirkt rascheres Wachstum<br />
der Jungtiere, reichlichere Milchbildung und transferiert<br />
so die Unreife vom Feld in den Stall. Stoffwechselprobleme<br />
beim Tier sind die Folge.<br />
Ist die Verdauung des Rindes gestört, hat das Tier Durchfall,<br />
beginnt ein Teufelskreislauf.<br />
Der schlechte Mist kommt aufs Feld, das Bodenleben<br />
wird schlecht gefördert. Der Boden bringt minderwertigere<br />
Pflanzen hervor, was wieder als schlechtes Futter<br />
für die Tiere dient, usw..<br />
Die Möglichkeiten einzugreifen bestehen nur über die<br />
Fütterung, indem das Gras erst gemäht wird, wenn es<br />
voll ausgereift ist, d. h. die Wiese schon in leicht bräunlichem<br />
Schleier erscheint.<br />
Ideal sind unterschiedliche Mähzeiten, denn einmal<br />
im Jahr soll jedes Wiesestück voll ausreifen können.<br />
Ist aus den oben genannten Gründen nur junges Futter<br />
anzubieten, so kann mit der Zufütterung von Stroh ein<br />
Ausgleich erreicht werden. Natürlich ist die Milchleistung<br />
bei dieser Fütterung nicht optimiert, aber langfristig gesehen<br />
wird nur so das Leben am Hof aufrecht erhalten,<br />
bleibt das System im Gleichgewicht.<br />
Für die <strong>landwirtschaft</strong>liche Individualität vollzieht sich<br />
die beste kosmische Analyse (also das Entstehen der be-<br />
Biodynamische Betrachtungen<br />
sten Lebensmittelqualität) von selber im Zusammenleben<br />
eines mit Pflanzen bewachsenen Gebietes mit dem,<br />
was an Tieren in diesem Gebiet lebt. Das bedeutet, dass<br />
die Tiere das richtige Maß dessen fressen, was die Erde<br />
hergeben kann an Pflanzen. Denn das Tier liefert aus<br />
seiner Organisation heraus, auf der Grundlage eines solchen<br />
Futters, den besonders geeigneten Mist für diesen<br />
Boden, wo die Pflanzen wachsen.<br />
Das führt hin zu einem anderen Grundsatz der <strong>biodynamische</strong>n<br />
Wirtschaftsweise:<br />
Die Systemgeschlossenheit<br />
„Alles, was von außen in einen <strong>landwirtschaft</strong>lichen<br />
Betrieb eingebracht wird an Hilfsstoffen, Futter- oder<br />
Düngemitteln ist anzusehen als ein Heilmittel für eine<br />
bereits erkrankte Landwirtschaft.“9<br />
Auch Wildtiere müssen miteinbezogen werden: Kriechtiere,<br />
Raubtiere, Amphibien, Vogel- und Insektenwelt.<br />
Nachdem die letztgenannten in der biologischen<br />
Schädlingsbekämpfung eine zentrale Stellung einnehmen,<br />
brauchen sie, sollen sie im Gesamtsystem wirksam<br />
werden, einen Lebensraum. Hier soll noch einmal auf die<br />
Bedeutung von Hecken und Wald, Gewässer- und Biotopflächen<br />
hingewiesen werden.<br />
Wie stellt man die Stickstoffversorgung im Boden sicher?<br />
Als Problemlöser bietet sich die Kleebrache innerhalb<br />
der Fruchtfolge an. Die beste Verwertung erfolgt über<br />
den Wiederkäuer (im mitteleuropäischen Raum in erster<br />
Linie das Rind), ist er doch in der Lage, aus Zellulose<br />
menschlich verwertbares Eiweiß zu erzeugen.<br />
9 Steiner, s.o.<br />
Seite 85
Was stärkt den Verdauungsapparat des Rindes?<br />
• Ausgereiftes Futter<br />
• Laubheu<br />
- gewonnen aus den Hecken der Feldraine. Jede<br />
Wiese und Ackerlandschaft braucht zur Nützlingsförderung<br />
und Laubheugewinnung Hecken.<br />
„Jede Weide eine Hecke.“ Bei der Pflege fällt das<br />
sogenannte Laubheu an, das für den Wiederkäuer<br />
einen unverzichtbaren Teil der Wochenration<br />
darstellt. Zusammen mit im Winter angebotenem<br />
Nadelbaumreisig stellt das Laubheu die Mineralstoffversorgung<br />
der Tiere sicher.10<br />
Martin Buber soll gesagt haben: „Wir müssen dem<br />
Nutzen des scheinbar Nutzlosen wieder mehr Raum<br />
geben.“11<br />
• Salzverabreichung<br />
Dr. Selinger erinnerte die Bauern immer wieder<br />
daran, dass jedes Organ, das nicht sinnvoll tätig<br />
sein kann, degeneriert.<br />
Wird das lebensnotwendige Salz, so wie heute<br />
üblich, dem Futter beigemengt, wird es an den<br />
Speicheldrüsen sozusagen vorbeigeschluckt, erzeugt<br />
es im Magen eine Übersäuerung. In der<br />
Folge werden die säureproduzierenden Drüsen<br />
träge, der gesamte Verdauungstrakt verliert<br />
an Verdauungskraft. Zufütterung von Mineralstoffen<br />
wird notwendig. Durch eine schlechtere<br />
Verdauung sinkt die Mistqualität, ein minderwertiger<br />
Mist erzeugt kein wertvolles Futter, und<br />
Futter minderer Qualität erfordert den Einsatz<br />
von Futterergänzungsmitteln, wie Mineralstoffe<br />
und Vitamine in konzentrierter Form.<br />
10 Machatschek, Michael: „Laubgeschichten: Gebrauchswissen<br />
einer alten Baumwirtschaft, Speise- und Futterlaubkultur“, Böhlau<br />
Verlag, Wien, 2002.<br />
11Buber, Martin<br />
Seite 86<br />
Biodynamische Betrachtungen<br />
Richtig ist Salzverabreichung nur in Form von<br />
Natursteinsalzblöcken, denn bei der schleckenden<br />
Salzaufnahme wird das Salz im Maul<br />
abgepuffert und kommt neutral im Magen an.<br />
Mineralstoffmischungen sollten auf keinen Fall<br />
zugefüttert werden. Wenn das Rind immer wieder<br />
Mineralstoffe erhält, wird der Verdauungstrakt<br />
geschwächt.<br />
Was schwächt aus der Sicht des <strong>biodynamische</strong>n<br />
Landbaues die Verdauungsorgane des Rindes?<br />
• Unreifes Futter<br />
• Mineralstoffmischungen<br />
Sie haben denselben Effekt wie der Handelsdünger<br />
für den Acker. Man erspart dem Verdauungstrakt<br />
die Extraktion der Stoffe aus dem Futter,<br />
und gibt diese in einer leicht löslichen Form.<br />
Langfristige Folge ist die Rückbildung der Verdauungskraft.<br />
Das Organ wird geschwächt.<br />
• Silage<br />
Silagefutter soll, wenn überhaupt, nur zeitlich<br />
und mengenmäßig begrenzt eingesetzt<br />
werden, ein verträgliches Maß erscheint 1/3<br />
der Gesamttagesration gerechnet nach der<br />
Trockensubstanz und max. 1/3 des Jahres.<br />
Der Pansen ist eine hochpräzise Gärkammer.<br />
Das Rind bekommt mit der Silage ständig etwas<br />
Vorverdautes. Der Verdauungsapparat verliert<br />
an Kraft.<br />
Die angesprochenen Verdauungskraftschwächungen<br />
sind nicht kurzfristig sichtbar, sondern wirken sich erst<br />
nach mehreren Generationen aus; man rechnet im
Allgemeinen mit 12, das wären beim Rind rund 60 Jahre.<br />
Aus all diesen aufgelisteten Tatsachen ergibt sich die<br />
Notwendigkeit einer vielseitigen Betriebsführung, die<br />
Notwendigkeit für eine große Diversität am Hof.<br />
Emotionale Aspekte<br />
Tiere vermitteln Ruhe und Herzenswärme, Rhythmus<br />
und Ordnung, Schönheit und Anmut.<br />
Woher kommt die Sehnsucht nach Tieren?<br />
• Das Tier gibt Körperwärme, gemütlich und<br />
angenehm wie ein Kachelofen- aber auch jene<br />
Wärme, die unser Herz erwärmt. Die Ruhe, die<br />
in einem Stall spürbar ist, wirkt auf Menschen<br />
beruhigend wie ein sanft wogendes Meer.<br />
• An der Kuh besonders faszinierend und heilsam<br />
erscheint ihr Rhythmus.<br />
Vor allem Rinder behalten ihren Rhythmus stets<br />
bei und lassen sich nur schwer aus diesem<br />
periodischen Wechsel von Fressen und Wiederkauen,<br />
Schlafen und Wachen usw. bringen.<br />
„Wenn du dich vor Stress nicht mehr kennst,<br />
dann setze dich vor eine Kuh und schau<br />
ihr beim Wiederkauen zu, wie sie langsam<br />
ihren Unterkiefer hin und her<br />
wiegt.“ War Großvaters Rat, wenn Herr<br />
Erian wieder einmal gestresst war.<br />
• Die Ordnung, die in einer Herde vorherrscht,<br />
lässt erkennen, dass hier eine ähnliche Rhythmisierung<br />
vorliegt, nach der im Einzeltier<br />
die einzelnen Körperfunktionen ablaufen: In<br />
einer Herde weiden die Tiere gemeinsam,<br />
rasten gemeinsam, gehen gemeinsam zur<br />
Tränke. Jedes Tier hat seinen festen Platz, der<br />
Biodynamische Betrachtungen<br />
äußere Kreis der Herdenmitglieder „wächst“<br />
allmählich in die Mitte hinein. Jedes Tier<br />
hat sein Recht und auch seine Pflicht.<br />
• Die Schönheit und Anmut. Damit ist die<br />
persönliche Beziehungsebene gemeint,die<br />
innere Vertrautheit.<br />
Was ist das Wesen, das Wesentliche am Tier?<br />
Wenn man sich zum Beispiel eine Kuh vorstellt, und<br />
alles was an dieser Kuh physisch sichtbar ist, sich wegdenkt,<br />
dann bleibt letztendlich das Wesen der Kuh übrig.<br />
Dieses Wesen besteht aus Trieben, vor allem Hunger,<br />
Durst, Sexualtrieb, Bedürfnisse nach sozialen Kontakten,<br />
usw..<br />
R. Steiner: „Das Tier ist die Verkörperung von Trieben.“12<br />
Mit domestizierten Tieren tritt man in eine Wechselbeziehung.<br />
Zähmung schafft Vertrautheit.<br />
Sie verändert das Wesen. Gewisse Triebe schwächen<br />
sich ab. Das Tier verliert die Wildheit und die Angst.<br />
Trotzdem aber bleibt es die Verkörperung von Trieben.<br />
Es geht immer um Interaktion mit einem triebhaften<br />
Wesen.<br />
Im Gegensatz dazu hat der Mensch gelernt seine Triebe<br />
zu beherrschen.<br />
Die Auseinandersetzung mit dem Tier ist zugleich die<br />
beste Schule für den Menschen.<br />
Das Haustier ist andererseits Spiegelbild des menschlichen<br />
Wesens.<br />
In jenem Maß, wie es gelingt das Tier zu beherrschen,<br />
mit ihm vertraut zu werden, in dem Ausmaß gelingt es<br />
auch, mit den eigenen Trieben vertraut zu werden und<br />
12 Steiner, s.o.<br />
Seite 87
sie zu beherrschen.<br />
Tierzucht ist also als ein Wechselspiel zu verstehen,<br />
bei dem das Tier und der Mensch die Chance auf eine<br />
Weiterentwicklung haben. Das ganz konkrete Verhalten<br />
meiner Tiere im Stall ist der Spiegel, indem ich meinen<br />
eigenen Weg des Mensch-Werdens verfolgen kann.<br />
Die schönste Beschreibung einer Zähmung findet man<br />
bei Saint-Exupéry in seiner Erzählung „Der kleine Prinz“.<br />
Zur Vorgeschichte: Der „Kleine Prinz“ (er stellt in Exupérys<br />
Vorstellung den Menschen dar) ist ein Außerirdischer,<br />
der für eine Zeit die Erde besucht und hier unter<br />
anderem auf einen Fuchs trifft…<br />
„Wer bist du?“ fragte der kleine Prinz. „Du bist sehr<br />
hübsch“. „Ich bin ein Fuchs“, sagte der Fuchs. „Komm<br />
und spiel mit mir“, schlug der kleine Prinz vor. „Ich kann<br />
nicht mit dir spielen“, sagte der Fuchs. „Ich bin noch<br />
nicht gezähmt!“ Nach einiger Überlegung sagte der kleine<br />
Prinz: „Was bedeutet das – zähmen?“ „Das ist eine<br />
in Vergessenheit geratene Sache“, sagte der Fuchs. „Es<br />
bedeutet: sich vertraut machen.“ „Vertraut machen?“<br />
wiederholte der kleine Prinz fragend. „Gewiss“, sagte<br />
der Fuchs. „Du bist für mich nichts als ein kleiner Knabe,<br />
der hunderttausend anderen Knaben völlig gleicht. Ich<br />
brauche dich nicht, und du brauchst mich ebenso wenig.<br />
Ich bin für dich nur ein Fuchs, der hunderttausend<br />
anderen Füchsen gleicht. Aber wenn du mich zähmst,<br />
werden wir einander brauchen. Du wirst für mich einzig<br />
sein auf der Welt… Wenn du mich zähmst, wird mein<br />
Leben wie durchsonnt sein. Ich werde den Klang deines<br />
Schrittes kennen, der sich von allen anderen unterscheidet.<br />
Die anderen Schritte jagen mich unter die Erde.<br />
Der deine wird mich wie Musik aus dem Bau locken.<br />
Und dann schau! Siehst du da drüben die Weizenfelder?<br />
Ich esse kein Brot, für mich ist der Weizen nutzlos. Die<br />
Weizenfelder erinnern mich an nichts. Du aber hast wei-<br />
Seite 88<br />
Biodynamische Betrachtungen<br />
zenblondes Haar. Oh, es wird wunderbar sein, wenn du<br />
mich einmal gezähmt hast! Das Gold der Weizenfelder<br />
wird mich an dich erinnern. Und ich werde das Rauschen<br />
des Windes im Getreide lieb gewinnen.“<br />
Der Fuchs verstummte und schaute den Prinzen lange<br />
an: „Bitte… zähme mich!“ sagte er dann. „Ich möchte<br />
wohl“, antwortete der kleine Prinz, „aber ich habe nicht<br />
viel Zeit. Ich muss Freunde finden und viele Dinge kennenlernen.“<br />
„Man kennt nur die Dinge die man zähmt“,<br />
sagte der Fuchs. „Die Menschen haben keine Zeit mehr,<br />
irgendetwas kennenzulernen. Sie kaufen sich alles fertig<br />
in den Geschäften. Aber da es keine Kaufläden für<br />
Freunde gibt, haben die Leute keine Freunde mehr. Wenn<br />
du aber einen Freund willst, so zähme mich!“ „Was muss<br />
ich da tun?“ fragte der kleine Prinz. „Du musst sehr geduldig<br />
sein“, antwortete der Fuchs. „Du setzt dich zuerst<br />
ein wenig abseits von mir ins Gras. Ich werde dich so<br />
verstohlen, so aus dem Augenwinkel ansehen, und du<br />
wirst nichts sagen. Die Sprache ist die Quelle aller Missverständnisse.<br />
Aber jeden Tag wirst du dich ein bisschen<br />
näher setzen können…“<br />
So machte denn der kleine Prinz den Fuchs mit sich<br />
vertraut. Und als die Stunde des Abschieds nahe war:<br />
„Ach!“ sagte der Fuchs, „ich werde weinen“. „Das ist deine<br />
Schuld“, sagte der kleine Prinz, „ich wünschte nichts<br />
Übles, aber du hast es gewollt, dass ich dich zähme…“<br />
„Gewiss“, sagte der Fuchs. „Aber nun wirst du weinen!“<br />
sagte der kleine Prinz. „Bestimmt“, sagte der Fuchs.<br />
„So hast du also nichts gewonnen!“ „Doch“, sagte der<br />
Fuchs, „ich habe die Farbe des Weizen gewonnen.“ Zum<br />
Abschied hatte der Fuchs dem kleinen Prinzen noch zwei<br />
Geheimnisse versprochen: „Adieu“, sagte der kleine<br />
Prinz. „Adieu“, sagte der Fuchs.<br />
„Hier ist mein Geheimnis. Es ist ganz einfach:<br />
Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche
ist für die Augen unsichtbar.“13<br />
Die Zähmung eines Tieres vererbt sich nicht, sie bleibt<br />
nicht erhalten. Die Zähmung muss in jeder Generation<br />
neu errungen werden. Dieser Erziehungsvorgang ist<br />
beim Tier ganz ähnlich wie beim Menschen.<br />
Will man ein Rind zähmen, muss man beim Kalb beginnen.<br />
Man sollte bei der Geburt anwesend sein. Das<br />
Wesen, das unmittelbar nach der Geburt gesehen und<br />
gehört wird, wird als Muttertier anerkannt. (Siehe Verhaltensforschung<br />
v. Konrad Lorenz.)<br />
Bezogen auf die Kuh heißt das, sich möglichst früh in<br />
die Beziehung Kuh und Kalb hineinzudrängen. Das mag<br />
zunächst einen rohen Eindruck erwecken, aber es bringt<br />
für beide Seiten positive Errungenschaften.<br />
Man muss mit unendlicher Geduld (wie sie auch die<br />
Kuhmutter besitzt) durch Hand- und Körperkontakt und<br />
durch oftmaliges Anreden des Tieres eine Beziehung herstellen.<br />
Für das Kalb wird man Mutterersatz und später<br />
Herdenmitglied, für die Kuh wird man zum Kalbersatz.<br />
So entsteht der wünschenswerte Zustand, dass die Kuh<br />
die Milch uns schenkt. Denn Milch wird von einem Säugetier<br />
nur dann abgegeben, wenn das Jungtier auf seine<br />
Ernährung angewiesen ist. Weder vorher, noch nachher<br />
wird Milch produziert. Milch wird also nur in der Phase<br />
abgegeben, wo das Muttertier stärken und beglücken<br />
will. Im übertragenen Sinn kann gesagt werden: Milch<br />
ist flüssiggewordene Liebe.<br />
Unter diesen Umständen gibt uns die Kuh ihre Milch<br />
freiwillig.<br />
In jedem Gegenstand, der uns umgibt, steckt etwas<br />
von dem Menschen, der ihn gefertigt hat. Seine Idee, seine<br />
investierte Kraft, etc.. Je individueller etwas hergestellt<br />
13 De Saint-Exupery, Antoine: „ Le petit prince“, Ins<br />
Deutsche übersetzt von Leitgeb Grete und Josef, Rauch,<br />
58.Auflage,Gallimard, Paris, 1946<br />
Biodynamische Betrachtungen<br />
wurde, desto mehr transportiert es etwas vom Wesen<br />
seines Schöpfers oder seiner Schöpferin. Je industrieller<br />
das Ding entstanden ist, desto weniger hat es etwas von<br />
der Persönlichkeit mitbekommen.<br />
Übertragen auf die Milch bedeutet dies, dass in der<br />
Milch auch immer etwas vom Wesen der Kuh enthalten<br />
ist, sowie auch von ihrem menschlichen Betreuer oder<br />
der Betreuerin. Das heißt entweder Geduld, Liebe, Hinwendung,<br />
Verständnis, Ruhe, oder auf der anderen Seite<br />
Aggression, Gewalt, Missmut, Stress, Angst.<br />
All das wird ebenfalls mit der Milch konsumiert und im<br />
Zuge der Verdauung absorbiert.<br />
R. Steiner: „Es gibt keine Tierzucht ohne Selbstzucht.“14<br />
Der Mensch muss sehr selbstbeherrscht sein, damit er<br />
überhaupt ein Tier züchten und zähmen kann.<br />
Die zur Tierzucht notwendige seelische Grundhaltung<br />
wird also von Selbstzucht, Demut, Opferbereitschaft geprägt.<br />
All das kann aber nicht verordnet werden, sondern<br />
nur aus dem freien Entschluss des Menschen hervorgehen.<br />
Das Grundlegende, auf das es bei der Tierhaltung<br />
wirklich ankommt, kann nicht per Gesetz geregelt werden.<br />
Es kursiert noch eine andere Meinung: „Der Mensch<br />
ist der Parasit des Haustieres.“<br />
Das wirft die Frage auf: Woher nimmt der Mensch das<br />
Recht ein Mitgeschöpf, ein Tier überhaupt zu nutzen?<br />
Sein Fleisch zu verzehren, seine Milch zu nehmen, es in<br />
einem beschränkten Raum zu halten?<br />
Mit der Zähmung eröffnet der Mensch dem Tier eine<br />
14 Steiner, Rudolf: Register zur R. Steiner Gesamtausgabe,<br />
4.Bände, Rudolf Steiner Verlag, Dornach,1998<br />
Seite 89
Welt, die sich außerhalb seines instinkthaften und triebhaften<br />
Lebens befindet. Nur durch die Ermöglichung einer<br />
anderen Ebene, einer Höherstufung des tierischen<br />
Wesens scheint der Mensch die Berechtigung zu haben,<br />
das Tier zu nutzen.<br />
Zitat von Saint Exupery aus dem kleinen Prinzen: „ Du<br />
bist zeitlebens verantwortlich für das, was du dir vertraut<br />
gemacht hast.“15<br />
Das Folgende wird Zarathustra zugeschrieben: „ Wenn<br />
in dir gute Eigenschaften keimen, dann kannst du ein<br />
Tier zähmen. Dann kannst du ihm einweben deine guten<br />
Eigenschaften. Denn wenn der Mensch die Natur so<br />
lässt, wie sie ist, treibt alles in Wildheit hinein.“<br />
Lässt man Kuh und Kalb natürlich, gut versorgt, aber<br />
alleine aufwachsen, werden sie scheu, wild und unzugänglich.<br />
Sie müssen dann mit Gewalt gefangen oder<br />
geschossen werden. Somit würde sich auch der Mensch<br />
wieder zurückentwickeln zum Sammler und Jäger.<br />
Rudolf Steiner: „Das Tier kann sich von selbst nicht höher<br />
entwickeln, es braucht den Menschen dazu.“16 Konkret<br />
bedeutet das Gesagte: Fellpflege von Hand, tägliche<br />
körperliche Kontaktaufnahme (vor allem mit den Jungtieren),<br />
oftmaliges Ansprechen, Anlernen der Tiere zum<br />
Führen am Halfter und wenn möglich zur Zugarbeit, eigene<br />
Vatertierhaltung (Als erstes entsteht das Kalb im<br />
Kopf des Züchters oder der Züchterin, daher braucht er<br />
oder sie eine ganz konkrete Vorstellung dieses Kalbes.<br />
Zum Aussuchen eines Vatertiers genügt daher nicht der<br />
Besamungskatalog.)<br />
15 Exupery,s.o.<br />
16 Steiner, Rudolf, geisteswissenschaftliche Grundlagen...<br />
Seite 90<br />
Biodynamische Betrachtungen<br />
Für die Herdengröße ist der betreuende Mensch das<br />
Maß und nicht der Umsatz, die Wirtschaftlichkeit oder<br />
die Fläche.<br />
Die einzelnen Herdenmitglieder müssen ihm so nahe<br />
sein, dass er alle mit Namen ansprechen kann und auch<br />
die Nachzucht kennt. Nachdem diese Fähigkeit unterschiedlich<br />
ausgeprägt ist, kann man keine absolute Zahlenobergrenze<br />
angeben. Es sollte sich aber nach all dem<br />
bisher Gesagten jede/r überlegen, ob Tierzucht in Herden,<br />
in denen die Identifizierung nur mehr anhand von<br />
Nummern erfolgt, tier- und menschengerecht ist?<br />
Ist ein Tier richtig gezähmt worden und mit seiner<br />
Bezugsperson eng vertraut, dann können sich die Umgebungsbedingungen<br />
verändern und das Tier wird trotzdem<br />
nicht sehr gestresst sein, solange dieser Mensch bei<br />
ihm ist.<br />
In letzter Konsequenz verhält sich das auch so, wenn<br />
das Tier zur Schlachtung geführt wird. Es soll bis zur<br />
Betäubung von der vertrauten Bezugsperson begleitet<br />
werden.<br />
Dr. Selinger wurde nicht müde die Bauern und Bäuerinnen<br />
daran zu erinnern, dass der Mensch am Tier<br />
nichts tun oder auch lassen kann, was nicht früher oder<br />
später an ihnen selbst sichtbar und wirksam wird.<br />
Anforderungen an den Stall<br />
Betrachtet man eine Rinderherde auf der Weide, so erkennt<br />
man, dass jede Kuh ihren ganz individuell großen<br />
„Sicherheitsraum“ beansprucht um sich wohlzufühlen.<br />
Ein Anbinden in einem Stallgebäude eines ähnlich großen<br />
Raumes mit den von der Kuh auf der Weide gewählten<br />
Ausweichdistanzen, ist aus finanziellen und vielerorts
äumlichen Gründen nicht möglich.<br />
Die Anbindehaltung ermöglicht dem Einzeltier einen<br />
geschützten Bereich, wo es Futter, Wasser, und einen<br />
Ruheplatz vorfindet. Deshalb bekennt sich die <strong>Demeter</strong>bewegung<br />
auch nach wie vor zur, von einfühlsamen<br />
Bauern/Bäuerinnen gehandhabten Praxis der Anbindehaltung,<br />
unter der Bedingung ausreichend breiter und<br />
langer, strohgepolsterter Stand- und Liegeplätze, mit<br />
einer Anbindung, die alle üblichen Bewegungsabläufe<br />
ohne Behinderung zulässt, weiters wöchentlich mehrmals<br />
Auslauf auf Wiesenflächen im Winter und im Sommer<br />
Tages- und Nachtweide.<br />
„Ich wehre mich ganz entschieden gegen das Hinterwäldler-Image,<br />
das man Bauern zukommen lässt, die<br />
nicht von Neuerungen, wie z.B. dem Laufstall begeistert<br />
sind. Denken Sie an eine Seilmannschaft, die in eine<br />
Wand einsteigt und wegen einer falsch gewählten Route<br />
umkehren muss: Da ist dann plötzlich der Letzte am<br />
Seil der Erste der Mannschaft. Ich hoffe, Sie haben aus<br />
dem Gesagten und zwischen den Zeilen stehenden Ungesagten<br />
herausgespürt, dass artgerechte Tierhaltung<br />
für den <strong>Demeter</strong>bauern und die <strong>Demeter</strong>bäuerin etwas<br />
anderes bedeutet als das Einhalten von Tierhaltungsmindeststandards.<br />
Das, was aus dem freien Fühlen, Denken<br />
und Wollen der Menschen hervorgeht, sollte einfließen<br />
in eine dem Menschen gerecht werdende Haltung dem<br />
Tier gegenüber. Für uns <strong>Demeter</strong>bauern und -bäuerinnen<br />
ist die Art und Weise des Umgangs mit dem Tier<br />
eine Bewusstseinsentwicklung, die man nicht mit Richtlinien<br />
steuern kann. Alle Änderungen in der bäuerlichen<br />
Kultur fanden aus einem neu gewonnenen Erkennen<br />
heraus statt und nicht aufgrund von Vorschriften. Denn<br />
alles Erzwungene wird über kurz oder lang unfruchtbar.<br />
Letztendlich geht es in unserem bäuerlichen Bemühen ja<br />
darum, aus dieser menschlichen Haltung dem Tier und<br />
der Erde gegenüber, Qualitäten in den Lebensmitteln zu<br />
Biodynamische Betrachtungen<br />
erzeugen, die den Menschen so ernähren, dass er in seinem<br />
Mensch-Sein gefördert wird.“17<br />
Organismus Bauernhof<br />
Zu diesem Themenkreis gehören in der <strong>biodynamische</strong>n<br />
Landwirtschaft natürlich auch die Kompostierung der<br />
tierischen Exkremente und die Umsetzungsförderung<br />
durch die <strong>biodynamische</strong>n Kompost- und Spritzpräparate,<br />
Umfang, Vielfalt und Zucht der Haustierhaltung,<br />
die Bedeutung der Kuh als zentrales Tier mitteleuropäischer<br />
Landwirtschaft, die Notwendigkeit der<br />
Bienenhaltung und Fragen der Pflanzenzucht und der<br />
Bodenbearbeitung besprochen. Aber auch die Vermittlung<br />
der Erkenntnis, dass der Bauernhof nicht an<br />
den äußeren Grundgrenzen endet, sondern vor allem<br />
nach unten und oben im wahrsten Sinne des Wortes<br />
kosmische Dimensionen besitzt und welche Auswirkungen<br />
das auf Erde, Pflanze, Tier und Mensch mit<br />
sich bringt.<br />
Die <strong>biodynamische</strong> Landbaumethode wurde aus der<br />
Anthroposophie heraus entwickelt. Anthroposophie<br />
bedeutet wörtlich „übersetzt“ Wissen (Lehre) vom oder<br />
über den Menschen.<br />
Sie geht davon aus, dass das Wesentliche am Menschen<br />
seine geistig-seelische Dimension ist: Sie nimmt<br />
einen innersten Geistes- und Seelenkern an, das den äußeren<br />
Wahrnehmungsorganen verborgene Wesen des<br />
Menschen.<br />
Ein entscheidender Faktor im ganzen <strong>landwirtschaft</strong>lichen<br />
System kommt, soll aus dem <strong>landwirtschaft</strong>lichen<br />
Organismus eine <strong>landwirtschaft</strong>liche Individualität<br />
werden, aber dem Menschen zu.<br />
17 Erian im Vortrag<br />
Seite 91
Grundsätzlich sollte man sich die Frage stellen, welche<br />
Art von Beruf der des Bauern, der Bäuerin ist?<br />
Produzierend oder dienstleistend ?<br />
Die Tätigkeit des Bauern/der Bäuerin ist vor allem die<br />
Hege und Pflege des Lebens am Feld, auf der Wiese, im<br />
Wald, im Stall, im Haus, und ist damit eine vorwiegend<br />
soziale Tätigkeit.<br />
Immer wenn in einem sozialen Beruf das wirtschaftliche<br />
Element (die politische Forderung der letzten Jahre<br />
geht in die Richtung: „Der Bauer muss endlich Unternehmer<br />
werden.“) die Oberhand gewinnt, zieht sich ganz<br />
einfach das Leben zurück. Die ewig schöpferische Kraft,<br />
die immer wieder neues Leben schafft, ist daher nicht<br />
mit dem materiellen Ertragsdenken vereinbar. Natürlich<br />
lebt der Bauer finanziell vom Verkaufserlös dessen, was<br />
sein Betrieb an Erträgen hervorbringt. Die Schwierigkeit<br />
liegt im Maßhalten.<br />
Walter Haim, ein <strong>Demeter</strong>bauer aus dem Allgäu hat es<br />
so ausgedrückt: „Je mehr der Bauer erzeugt, desto geringer<br />
werden seine Erzeugnisse bewertet.“<br />
Dieser mehr oder weniger soziale, demütige oder herrschende,<br />
dem Leben ehrfurchtsvoll oder fordernd gegenüber<br />
stehende Mensch ist also das wesentliche Element,<br />
das darüber entscheidet, ob sich ein <strong>landwirtschaft</strong>licher<br />
Betrieb höher und weiter entwickelt.<br />
Persönlicher Eindruck und Würdigung<br />
Die Begeisterung, mit der Wilhelm Erian das Thema<br />
in seinem Vortrag vermittelt hat, steckt an und reißt<br />
mit. Die aus dem Stegreif immer wieder eingeflossenen<br />
Erfahrungshinweise und praktischen Tipps und der lockere,<br />
dynamische Vortrag suggerieren das Gefühl, als<br />
wäre es ein Beruf von müheloser Leichtigkeit. Wissend<br />
um die Realität bleibt doch der Eindruck von Freude und<br />
Zufriedenheit.<br />
Seite 92<br />
Biodynamische Betrachtungen<br />
Wilhelm Erian hielt den Vortrag am 18. Dezember 2008<br />
im Rahmen der Ringvorlesung<br />
Der Vortrag, wurde bearbeitet von Regina Enzenhofer.
Praktische Maßnahmen zur<br />
Parasitenregulierung<br />
Eine Methode empfohlen vom Tierarzt und<br />
Biodynamiker Dr. Leopold Selinger<br />
Hannes Neuper<br />
Die Ziege und das Schaf – beide etwa 8000 v. Chr. in<br />
Vorderasien domestiziert – gehören neben dem Hund<br />
(13000-7000 v. Chr. in Eurasien und Nordamerika) zu<br />
den ältesten Weggefährten des Menschen. Durch die<br />
Domestizierung dieser Tiere hat der Mensch die Verantwortung<br />
für ihre Lebensbedingungen übernommen. Sollen<br />
die Tiere gesund und fruchtbar bleiben, dann müssen<br />
diese Bedingungen auch mit den Bedürfnissen dieser<br />
Tiere übereinstimmen. Und dazu müssen wir die geforderten<br />
Bedingungen aus dem Wesen der betreffenden<br />
Tierart gewissermaßen herauslesen.<br />
So sprechen wir in der <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft<br />
nicht von einer artgerechten, sondern von einer<br />
wesensgerechten Tierhaltung. Das Wesen eines Tieres<br />
lässt sich beschreiben als ein Zusammenspiel von Anatomie,<br />
Stoffwechsel, Erbgut und Embryologie, Verhalten<br />
und Seelenleben. Letzteres wird, weil nur schwer zu erfassen,<br />
oft außer Acht gelassen. Eine Annäherung an<br />
dieses Wesen führt uns zu seiner Wildform. Hier finden<br />
wir erste Hinweise auf seinen Lebensraum und dessen<br />
Eigenheiten.<br />
Schafe und Ziegen wurden in Vorderasien domestiziert.<br />
Sie wurden vorwiegend im Kargen gehalten, die<br />
Herden waren klein, Schafwolle war ein begehrtes und<br />
notwendiges Produkt.<br />
Erkunden wir die Schafhaltung in Europa in den letzten<br />
Jahrhunderten, so finden wir die Schafe und Ziegen<br />
immer in kargen Landstrichen oder in Haltesituationen,<br />
wo die Tiere sich das Futter in unwegsamen, zum Teil<br />
Biodynamischer Parasitenregulierung Landbau<br />
steinigen, auf jeden Fall aber kärglichen Weidebedingungen<br />
suchen mussten.<br />
Gegenwärtige Situation<br />
Auf der Suche nach Alternativen in der Landwirtschaft<br />
vor ca. 25-30 Jahren, kam nun bei uns die Schaf- und Ziegenhaltung<br />
auf Koppeln in Mode. Die Milch von Ziege<br />
und Schaf wird durch die ständig steigende Kuhmilchunverträglichkeit<br />
zunehmend begehrter.<br />
Die größte Herausforderung für den Stoffwechsel bei<br />
Ziege und Schaf ist die Beweidung von Fettwiesen. Die<br />
Ziege ist ein Feinschmecker – Kräuter, Blätter, Knospen<br />
und Rinden werden bevorzugt. Die wesensgemäße Ziegennahrung<br />
entspricht mit ihren Wärmesubstanzen, wie<br />
ätherischen Ölen und Harzen sowie in ihrer großen Vielfalt<br />
blühender Pflanzen, der Sinneswelt dieser Tiere. Die<br />
Ziege ist überdies der ausgeprägteste Luftweider unter<br />
den Haustieren. Zwingt man sie, ausschließlich Gras<br />
vom Boden zum fressen, erweist sie sich als hochgradig<br />
anfällig für Parasiten.<br />
Nach Dr. Selinger soll sich die Wiederkäuerfütterung am<br />
Bild der Pflanze orientieren.<br />
Eine Pflanze besteht aus: Wurzel, Stängel, Blatt und Blüte<br />
Bereits 1923 weist Rudolf Steiner auf die Heilwirkung der<br />
Roten Rübe im Zusammenhang mit Darmwürmern hin.<br />
Über den Zusammenhang von Wurm, Dunkelheit und<br />
Dumpfheit<br />
Schafe und Ziegen, die auf Fettwiesen gehalten werden<br />
und da vorwiegend junges Gras fressen, nehmen zuviel<br />
unreifes Eiweiß auf. Ihre Verdauungsorgane können das<br />
nicht in der richtigen Weise verarbeiten. Dadurch werden<br />
Seite 93
die kleinen Wiederkäuer mit ihrem sehr langen Darmsystem,<br />
welches ungefähr der 25 fachen Körperlänge entspricht,<br />
anfällig für Parasiten.<br />
Durch die Aufnahme des zu unreifen Grases kommt<br />
es zu einer „dumpfen“ Atmosphäre im Verdauungsbereich.<br />
Damit wird die Bedingung geschaffen, in welcher<br />
der Wurm sich wohl fühlt.<br />
Denn für den Wurm ist eine dunkle, dumpfe Umgebung<br />
die natürliche, ideale Lebensbedingung. Es ist hilfreich,<br />
sich vorzustellen wo die Heimat des Wurmes ist,<br />
welches Milieu er bevorzugt und welche Bedingungen<br />
ihn vertreiben.<br />
Dazu brauchen wir nur beobachtend in unserer Umwelt<br />
leben. Was passiert mit einem Wurm, der sich zu<br />
lange im Sonnenlicht aufhält?<br />
Über solche Fragestellungen kommen wir bald zu<br />
praktikablen Lösungen. Es wird dann einsehbar, dass<br />
eine Heilung und Besserung dadurch erreicht werden<br />
kann, dass wir Licht in diesen dunklen Bereich hineinbringen.<br />
Dies können wir durch eine spezielle Ernährung<br />
der Tiere erreichen.<br />
Dazu müssen wir uns aber zuerst fragen, wie wir über<br />
die Pflanzen Licht in die Verdauung bringen können.<br />
Im <strong>biodynamische</strong>n Landbau werden in dieser Situation<br />
folgende Maßnahmen empfohlen:<br />
Seite 94<br />
• den Tieren blütenreiches Futter anbieten,<br />
• die Weiden mit Hornmist- und Hornkieselspritzungen<br />
behandeln und<br />
• den Tieren täglich kleine Mengen von<br />
Wurzelfrüchten zufüttern.<br />
Biodynamischer Parasitenregulierung Landbau<br />
Den Tieren blütenreiches Futter anbieten:<br />
Es ist darauf zu achten, dass die Weiden reich sind an<br />
Blühendem. Dazu zählen auch blühende Gräser. Weiters<br />
sollen die Weiden von Hecken umgeben sein, damit<br />
die Schafe und Ziegen auch Blätter von Sträuchern und<br />
eventuell Sprossholz bekommen.<br />
Die Weiden mit Hornmist- und Hornkieselspritzungen<br />
behandeln<br />
Durch die Anwendung der beiden Spritzpräparate werden<br />
die Lebensprozesse im Boden und die Lichtprozesse<br />
in der Pflanze angeregt. Dr. Selinger sprach immer wieder<br />
davon, dass wir unsere Weiden zu „Almen“ machen<br />
müssen. Wir wissen, dass die heilende Qualität der Almen<br />
für unsere Tiere in der Lichtstärke ihrer Pflanzen<br />
liegt. Dieses Wissen sollte uns dazu führen, die „Lichtverhältnisse“<br />
auf unseren Weiden zu überdenken.<br />
Als letzte Möglichkeit, Licht in den Verdauungsraum
parasitenbefallener Schafe und Ziegen zu bringen, bietet<br />
sich darin an, wenn den Tieren täglich kleine Mengen<br />
von Wurzelfrüchten zugefüttert werden.<br />
Um diese Maßnahme verstehen zu können, müssen<br />
wir uns ein wenig an das Bildekräftewirken der Natur annähern.<br />
Wir unterscheiden die Pflanzen nach ihrer Organbetonung.<br />
Die Karotten, Rüben und Rohnen sind Wurzelfrüchte,<br />
weil ihr betontes Organ die Wurzel ist. Aus der<br />
Bildekräfteforschung wissen wir, dass die Karotte die<br />
Fähigkeit hat, das Sonnenlicht in ihre Wurzel hineinzuverdichten.<br />
Und wieder ist es die unbefangene Beobachtung,<br />
welche uns das gleiche sagt: Da ist einerseits die<br />
Farbe und andererseits die Strahlenstruktur, welche sich<br />
zeigt, wenn wir eine Karotte quer durchschneiden. Ähnliche<br />
Verhältnisse finden wir in der weißfleischigen Rübe<br />
und in der Roten Rübe.1<br />
Wenn wir nun diese Früchte an die Schafe und Ziegen<br />
verfüttern, werden in der Verdauung Lichtkräfte freigesetzt<br />
und es kommt zu einer Aufhellung der Atmosphäre<br />
im Verdauungsraum. Auf diese Weise können wir mit<br />
Geduld und Konsequenz durch eine richtige Fütterung<br />
dem Wurm die Lebensgrundlagen im Darmbereich der<br />
betroffenen Tiere entziehen.<br />
Es reicht die Gabe einer Karotte oder einer Roten Rübe<br />
pro Tier und Tag. Hat man diese Möglichkeit nicht, dann<br />
kann man im Winter eine Kur durchführen. Die Tiere bekommen<br />
28 Tage lang Rote Rüben gefüttert. Frau Maria<br />
Thun, die nun schon über Jahrzehnte Konstellationsforschung<br />
betreibt, wies in diesem Zusammenhang darauf<br />
hin, dass man für diese spezielle Anwendung der Roten<br />
Rübe, diese jeweils zwei Tage vor Vollmond säen, hacken<br />
und ernten sollte.2 Die Bearbeitung der Wurzel zur Voll-<br />
1 Wertvolle Hinweise zum Wirken der Roten Rübe finden Sie bei:<br />
Pelikan, Wilhelm: „Heilpflanzenkunde“, Band 1, Philosophischanthroposophischer<br />
Verlag, Dornach, 1988<br />
2 Frau Maria Thun gibt alljährlich „Die Aussaattage“ heraus. Diese<br />
Biodynamischer Parasitenregulierung Landbau<br />
mondzeit schwächt die den Mondenrhythmen unterworfenen<br />
Reproduktionskräfte der Parasiten.<br />
Verbindet man nun diese wesengerechte Fütterung<br />
mit einem guten Weidemanagement und eventuell sogar<br />
mit einer Alpung der Tiere, so kann weitgehend auf<br />
Medikamente zur Entwurmung verzichtet werden.<br />
Hannes Neuper hat diesen Vortrag bei den<br />
BIO AUSTRIA Bauerntagen 2009 gehalten.<br />
Schriften beruhen auf ihrer Konstellationsforschung und geben<br />
wertvolle Hinweise auf günstige Sä-, Pflanz- und Hackzeitpunkte.<br />
Seite 95
Tierzucht im geschlossenen Organismus<br />
einer Landwirtschaft<br />
Leopold Selinger<br />
Ein wesentlich anderer Blick<br />
In diesem Vortrag weist Dr. Selinger auf geisteswissenschaftliche<br />
Zusammenhänge hin zwischen Mensch und<br />
Tier, welche sich bis hinein in die Physiologie und Anatomie<br />
zeigen. Praktische Aspekte der Tierhaltung – im<br />
Sinne von Haltungsanleitungen – werden in diesem Vortrag<br />
nicht behandelt.<br />
Es sind Bilder und Fakten, welche den bäuerlichen Menschen<br />
zum Nach-Denken bringen können.<br />
Es bleibt uns nicht erspart, diese Bilder selbst geistig zu<br />
einem Ganzen zusammenzufügen.<br />
Tierhaltung<br />
Tierzucht, Tierfütterung, Tierhaltung gehen als Tätigkeiten<br />
vom Menschen aus. In der Praxis enthält daher<br />
immer jeweils die eine Tätigkeit auch die beiden anderen.<br />
Sie stehen zueinander in einem ähnlichen Verhältnis<br />
dreigegliedert, wie die menschliche Erscheinung selber<br />
dreigliedrig organisiert erscheint in den Tätigkeiten, die<br />
sich über die Kopforganisation, die Brustorganisation,<br />
die Gliedmaßenorganisation vollziehen.<br />
Diese Tätigkeiten gehen vom Bewusstsein aus.<br />
Und dieses ist in Bezug auf die Landwirtschaft ein<br />
differenziertes.<br />
Im Bewusstsein des Menschen, vor allem des Landwirtes,<br />
der Landwirtin entwickelte sich die Vorstellung:<br />
Landwirtschaft ist ein Gewerbe, welches zum Zwecke<br />
hat, durch Produktion von vegetabilischen und tierischen<br />
Substanzen Gewinn zu erzeugen oder Geld zu<br />
erwerben. 1<br />
1 Vgl. Thaer, Albrecht Daniel: „Grundsätze der rationellen LW“<br />
Seite 96<br />
Biodynamischer TierzuchtLandbau<br />
Verständlicherweise erstrebt heute ein fortschrittliche/r<br />
Landwirt/in den finanziell notwendig erscheinenden Gewinn<br />
durch Leistungssteigerung. Er/sie läuft Gefahr, das<br />
Maß zu verlieren.<br />
Der/die traditionelle Landwirt/in wiederum hält fest an<br />
Methoden, die sich in der Vergangenheit bewährt haben;<br />
er/sie läuft Gefahr, neue Ideen, wie sie die Entwickelung<br />
fordert, nicht oder nicht rechtzeitig zu ergreifen.<br />
Der/die so genannte alternative Landwirt/in erkennt<br />
wohl die Gefahren beider Richtungen; rein naturwissenschaftliche<br />
Erkenntnismöglichkeit vermag ihm/ihr aber<br />
nicht die nötige innere Sicherheit zu geben für ihr/sein<br />
Bemühen. Er/sie läuft Gefahr, idealistischen Vorstellungen<br />
zu sehr Raum zu geben. Naturgemäß bot sich<br />
dem/der fortschrittlichen Landwirt/in die Hühnerhaltung<br />
an. Die Vogelnatur des Huhnes ist weitgehend bodenunabhängig<br />
und schien deshalb geeignet für nahezu<br />
vollkommen klimatisierte, automatisierte Käfighaltung<br />
und komplettiertes Alleinfutter als Fertigfutterkonserve.<br />
Wirtschaftlich verlockend schien es dann, auch in der<br />
Kuhhaltung ebenso zu verfahren. Die Kuh aber ist weitgehend<br />
bodenabhängig. Sie wurde bald zum Paradebeispiel<br />
für symptomlose Sterilität, unspezifische Katarrhe<br />
und ihre Virusbegleitung, Spurenelementemangel und<br />
Wurmbefall. Eine Neuorientierung wurde notwendig, so<br />
genanntes biologisches Denken.<br />
Notgedrungen lernen wir heute die Erde nicht mehr<br />
ansehen als ein Staubkorn im Weltall, sondern als eine<br />
Art lebendigen Organismus und den Menschen als ein<br />
geistiges Wesen, welches das Antlitz der Erde verändert.<br />
Es lässt seine Menschlichkeit einfließen in das Leben<br />
dieser Erde – freilich auch alles, was am Menschen des<br />
Menschen unwürdig erscheint.<br />
Anthroposophisch orientierte, das heißt vom Menschen<br />
ausgehende geisteswissenschaftliche Erkenntnis, sagt:<br />
Wenn der Mensch geboren wird, wird er durch den Tier-
kreis in den tierischen Kreis von Adler, Löwe und Kuh hinein<br />
geboren. Erblickt er so das Licht der Welt, vernimmt<br />
er den Lockruf des Dreigetiers, lernt ihr Wesen kennen.<br />
Durch die Zuneigung oder Abneigung, die er während<br />
seines Aufenthaltes in der Tierkreissphäre entwickelt,<br />
erfährt er seelisch-geistige Verwandtschaften. Im Innersten<br />
seiner Seele aber trägt er das Menschenbild mit<br />
sich, als sein Idealbild. Das will er im Dasein zwischen<br />
Geburt und Tod verlebendigen.<br />
Je nachdem er im physischen Leben den Ruf der Tiere<br />
beantworten lernt, trägt er sein Menschenbild intensiviert<br />
mit sich im Tode in die geistige Welt zurück. Er<br />
muss lernen, sich dem Tierischen zu entreißen, aus dem<br />
Tierischen herauszuwachsen, mit solchem Bestreben<br />
sein ganzes Wollen allmählich zu durchdringen, so dass<br />
es sein Wille wird.<br />
Tierzucht, Tierfütterung, Tierhaltung sind die Möglichkeit,<br />
tierisches Blut so zu beeinflussen, dass Adel am<br />
Tier erscheinen, innerhalb der Arten sich verbreiten und<br />
durch Generationen höher entwickeln kann.<br />
Es lautet der Lockruf der Tiere – es sind nach christlicher<br />
Überlieferung die evangelischen Tiere – denen in<br />
der geistigen Welt gegenübersteht der Mensch als Engelwesen:<br />
„Die Adlerwesenheit selber ist es, die hörbar wird für<br />
das Unterbewusstsein des Menschen. Das ist der verlockende<br />
Ruf:<br />
Lerne mein Wesen erkennen!<br />
Ich gebe dir die Kraft,<br />
im eignen Haupte<br />
ein Weltenall zu schaffen.<br />
So spricht der Adler.<br />
Biodynamischer TierzuchtLandbau<br />
Das ist der Ruf von oben, der heute die Menschen vereinseitigen<br />
will.“2<br />
„Und es gibt einen zweiten Lockruf. Das ist derjenige,<br />
der aus der mittleren Region kommt, da, wo die Kräfte<br />
des Kosmos die Löwennatur formen, da, wo die Kräfte<br />
des Kosmos aus dem Zusammenflusse von Sonne und<br />
Luft jenes Gleichmaß der Rhythmen, der Atmung und<br />
der Blutzirkulation bewirken, wie es die Löwennatur konstituiert.<br />
Lerne mein Wesen erkennen!<br />
Ich gebe dir die Kraft,<br />
im Schein des Luftkreises<br />
das Weltenall zu verkörpern.<br />
So spricht der Löwe.“3 Er repräsentiert die Mitte.<br />
Lerne mein Wesen erkennen!<br />
Ich gebe dir die Kraft<br />
Waage, Meßlatte und Zahl<br />
dem Weltenall zu entreißen.<br />
So spricht die Kuh.“4<br />
Auf der Erde muss der Mensch lernen zu antworten:<br />
Ich muß lernen:<br />
O Kuh,<br />
deine Kraft aus der Sprache,<br />
die die Sterne mir offenbaren.<br />
2 Steiner, Rudolf: „Der Mensch als Zusammenklang des schaffen-<br />
Steiner, Rudolf: „Der Mensch als Zusammenklang des schaffenden,<br />
bildenden und gestaltenden Weltenwortes“; Rudolf Steiner<br />
Verlag, Dornach 1993, S 33<br />
3 ebenda S 34<br />
4 ebenda S 35<br />
Seite 97
Das Zweite, wovon der Mensch sich sagen muß:<br />
Seite 98<br />
Ich muß lernen:<br />
O Löwe,<br />
deine Kraft aus der Sprache,<br />
die in Jahr und Tag<br />
der Umkreis in mir wirket.<br />
Und das Dritte, was der Mensch lernen muß, ist:<br />
O Adler,<br />
deine Kraft aus der Sprache,<br />
die das Erd-Entsprossene in mir erschafft.“5<br />
So muss der Mensch seinen Dreispruch entgegensetzen<br />
den einseitigen Lockrufen, jenen Dreispruch, dessen<br />
Sinn die Einseitigkeiten zum harmonischen Ausgleich<br />
bringen kann. Er muss lernen zur Kuh zu schauen, aber<br />
von der Kuh, nachdem er sie gründlich empfunden hat,<br />
aufzuschauen zu dem, was die Sprache der Sterne offenbart.<br />
Er muss lernen aufzurichten den Blick zum Adler,<br />
und nachdem er die Natur des Adlers gründlich in sich<br />
empfunden hat, mit dem Blick, mit dem, was ihm die<br />
Natur des Adlers gegeben hat, hinunterzuschauen auf<br />
das, was in der Erde sprießt und sprosst und auch im<br />
Menschen in seiner Organisation wirkt von unten herauf.<br />
Und er muss lernen den Löwen so anzuschauen, dass<br />
ihm vom Löwen geoffenbart wird, was Wind und Wetter<br />
im Jahreslaufe in dem ganzen Erdenleben, in das der<br />
Mensch eingespannt ist, bewirken.6<br />
Damit ist ausgesprochen, dass der Mensch lernen<br />
muss der Verführung (dem Lockruf) dem bloß intellektuellen,<br />
verstandesmäßigen Beurteilen zu widerstehen,<br />
5 ebenda S. 42.<br />
6 ebenda S. 43.<br />
Biodynamischer TierzuchtLandbau<br />
dass er lernen muss den alles bestimmenden Materialismus<br />
zu überwinden, um das Maß und den Rhythmus zu<br />
finden, die ihn eigentlich erst befähigen, am Lebendigen<br />
zu arbeiten.<br />
Will man wirklich die Erde im Sinne der Menschheitsentwickelung<br />
beleben, beseelen, durchgeistigen, wird<br />
es notwendig sein, gerade die Tierhaltung in der Landwirtschaft<br />
zu orientieren am Bild der vier Wesensglieder,<br />
welche der Mensch ausgebildet hat:<br />
Seinen physischen Leib,<br />
seinen Ätherleib,<br />
seinen Astralleib und<br />
sein Ich.<br />
Der Empfindungsleib, die Empfindungsfähigkeit oder<br />
der Seelenleib des Menschen und der Seelenleib des<br />
Tieres, genauer gesagt der Tierarten, stehen in realem,<br />
das heißt geistigem Zusammenhang, besonders durch<br />
die Vorstellungen, Gefühle und Willensimpulse, die wir<br />
in den Schlaf hinein nehmen oder nach dem Tode in die<br />
geistige Welt einbringen.<br />
Was sich vollzieht in unseren Einschlaf- und Aufwachträumen,<br />
ist etwas, das sich vollzieht auf jener Bewusstseinsstufe,<br />
die das Tier im Leben verkörpert.<br />
Wir müssen nur lernen ein Tier bildhaft anzuschauen<br />
und dieses Bild bis in die anatomischen Tatsachen hinein<br />
zu verfolgen, die es sichtbar machen.<br />
Ein Huhn zum Beispiel, bildet kein Zwerchfell aus, das<br />
die Körperhöhle in Brust- und Bauchraum scheidet. Ein<br />
Zwerchfell ist nur in Resten angedeutet am Rippenbogen.<br />
Der ganze Vogelkörper ist gleichsam ein Kopf, der<br />
Brust– und Bauchorgane in sich trägt.<br />
Eine Kuh ist gleichsam ein Bauch, der seine Weisheit,<br />
seine ganze tierische Weisheit in der Dickdarmspirale
gipfeln lässt, das Wiederkäuen nahezu minutiös rhythmisiert,<br />
an seinen Pulsschlägen ordnet.<br />
Wir können in der Praxis erleben, wenn wir eine Herde<br />
betreuen – 30, 40 Jahre hindurch vielleicht – dass letzten<br />
Endes eine Kuhhaltung nicht gedeihen kann ohne entsprechende<br />
Hühnerhaltung und umgekehrt.<br />
Es handelt sich ja darum, eine <strong>landwirtschaft</strong>liche Individualität<br />
einzurichten im Hinblick auf die kosmischqualitative<br />
Analyse, die sich vollzieht im Zusammenleben<br />
eines gewissen mit Pflanzen bewachsenen Gebietes mit<br />
dem, was an Tieren in diesen Gebieten lebt. Dem richtigen<br />
Maß an Kühen Pferden und anderen Tieren… Eine<br />
<strong>landwirtschaft</strong>liche Individualität wird ja zum lebendigen<br />
Spiegel für die Entwicklung einer menschlichen Individualität<br />
zur selbständigen Persönlichkeit.<br />
Die Bildung warmen roten Blutes und einer knöchernen<br />
Wirbelsäule bietet die Möglichkeit äußere Kälte aktiv<br />
zu überwinden. Der Mensch ist nur wirklich gesund,<br />
wenn er eine mittlere Körpertemperatur von 36-37° C<br />
entwickeln und aufrecht erhalten kann. Ein Pferd ist gesund<br />
zwischen 37,5-38,5°, der Hund bei 37,5-39°, die Kuh<br />
bei 37,5-39,5°, die Katze bei 38-40°, das Schwein und das<br />
Schaf bei 38,5-40°, die Ziege bei 38,5-40,5°, das Huhn bei<br />
40-43° und die Taube bei 41-44,1°C.<br />
Die ganze Palette der engeren Haustiere ist für den<br />
Menschen ein richtiges Wärmeorgan, mit dem er hineinwirkt<br />
in das Naturwachstum.<br />
Müsste er selber diese Temperaturen entwickeln, würde<br />
er nicht mehr klar denken können, würde zuletzt innerlich<br />
wie verbrennen, im Fieber phantasieren.<br />
Alles was der Mensch an fester Nahrung zu sich<br />
nimmt, muss in der Verdauung verflüssigt werden, sodann<br />
gasförmig werden, flüchtig werden und zuletzt in<br />
körpereigene Wärme verwandelt werden. Diese ist verwandt<br />
mit der geistigen Wärmeentwicklung; aus ihr heraus<br />
findet erst ein Neuaufbau statt.<br />
Biodynamischer TierzuchtLandbau<br />
Tierfütterung<br />
Etwa um 1820 wurde die Fruchtfolge der Dreifelderwirtschaft:<br />
Winterung-Sommerung-Brache erweitert und<br />
intensiviert durch die bewusste Eingliederung von Kleeanbau.<br />
1868 verfügte der Staat die verbilligte Abgabe von Salz<br />
an die Landwirtschaft. In den letzten zweihundert Jahren<br />
wurde das Körpergewicht der Kuh ungefähr verdoppelt,<br />
die Milchmenge vervierfacht, die Lebenserwartung aber<br />
verringerte sich um ein Drittel.<br />
Die Zuchtreife, das heißt Zuchtgebrauch, wurde immer<br />
näher an die Geschlechtsreife herangerückt.<br />
Auch das Hühnereigewicht wurde auf das Doppelte<br />
gesteigert, die Legeleistung verdreifacht.<br />
Die gesamte Haustierfütterung wurde – wie naturnotwendig<br />
– immer mehr belastet durch Mineralstoffgaben,<br />
Vitamingaben, Hormongaben, vor allem aber durch<br />
notwendig erscheinende Antiparasitika. Spurenelementemangel<br />
wurde das Problem unserer Zeit.<br />
Das Tier ist geistig anzusehen als ein Dunkelraum,<br />
erfüllt mit lebendiger, aber dumpfer Wärme, bedürftig<br />
des Lichtes. Licht kommt an das Tier heran durch Sonne,<br />
Mond und Sterne. Ebenso durch die Zuneigung, die<br />
der Mensch den Tieren angedeihen lässt; vor allem aber<br />
durch die Pflanzen, die der Mensch an seine Haustiere<br />
verfüttert.<br />
Salz macht Durst, Salz macht wasserschwer, salzfeuchte<br />
Luft macht Hunger.<br />
Wässrig gestautes organisches Gewebe ist schwieriger<br />
zu durchlichten, zu durchluften, zu durchwärmen, zu<br />
rhythmisieren. Rhythmisch geordneter Wechsel von<br />
Aufquellen und Entquellen, von Ödemisierung und<br />
Entwässerung organischen Gewebes ist die Grundlage<br />
aller Verdauungsprozesse, die Grundlage der Brunsterscheinungen,<br />
der Einleitung der Geburtsvorgänge, dem<br />
Seite 99
Einsetzen der Laktation und ihrer Beendigung. Ist das<br />
harmonische Ineinandergreifen dieser Vorgänge im Organismus<br />
gestört, entsteht in einzelnen Organen so etwas<br />
wie ein Eigensinn und ein Eigenwille gegenüber dem<br />
Gesamtorganismus.<br />
Aber auch gegenüber einzelnen Organen können<br />
sich dieser Eigenwille und dieser Eigensinn bis zur Unverträglichkeit<br />
steigern und ausarten in verschiedenste<br />
Allegien.<br />
Die tierischen Verdauungskräfte entzünden sich an<br />
den verschiedenen Futterqualitäten für den grobstofflichen<br />
Abbau und Aufbau. Ein feinster, ganz intimer<br />
Stoffwechsel vollzieht sich über die Aufnahme und das<br />
Verarbeiten der Sinneswahrnehmungen, der Sinneseindrücke.<br />
Feinster und gröbster Stoffwechsel bekommt<br />
seine elementare Ordnung über den Rhythmus von Ein-<br />
und Ausatmen – bis hinein in den Kreislauf.<br />
Tierische Brunst können wir ansehen als physiologische<br />
Entzündung, die sich staut und im Befruchtungsvorgang<br />
ihre Lösung findet und in der Fortpflanzung zur<br />
Fruchtbildung führt.<br />
Etwas abstrakt ausgedrückt: Die charakterisierenden<br />
Elemente der Entzündung sind:<br />
Seite 100<br />
• calor – Erwärmen bis Erhitzen<br />
• rubor – Röten bis Blasenbilden<br />
• dolor – empfindsam Werden bis<br />
zur Schmerzhaftigkeit<br />
• tumor – Schwellung mit der Neigung<br />
entweder zur Verhärtung oder zur Nekrose.<br />
Aus der Beobachtung zweier Wisentherden – insgesamt<br />
575 weibliche Tiere – welche in Wildparks gehalten<br />
wurden ohne weitere Beeinflussung des Menschen, ergab<br />
sich aus den während eines Jahreslaufes anfallenden<br />
Geburten die entsprechende Kurve für das Eintreten der<br />
Biodynamischer TierzuchtLandbau<br />
Konzept Geburt<br />
Konzeptionsbereitschaft der Tiere:<br />
Die Grafik zeigt deutlich auf, dass zwei Aspekte in ihr<br />
enthalten sind: Die auffällige Spitze der Konzeptionsbereitschaft<br />
zeigt massiv eine Fortführung des Blühprozesses<br />
hinein in die Fruchtbarkeit.<br />
Gleichzeitig ist dadurch der höchste Anteil der Geburten<br />
zu einem Zeitpunkt des Jahreslaufes angelegt,<br />
der ein gesichertes Überwintern der Jungtiere gewährleistet.<br />
Den Sprung von Natur zu Kultur dokumentiert die<br />
heutige Gepflogenheit, die Kühe zum größten Teil im<br />
April, Mai einer Konzeption zuzuführen. Nach einem<br />
Blick auf die Skizze ist dies jedoch exakt der Zeitpunkt,<br />
wo in der Natur signifikant die wenigsten Befruchtungen<br />
stattfinden. Die Frage muss erlaubt sein, ob durch die<br />
Hereinnahme als Haustier auch die Biologie solche<br />
Sprünge – ohne Schaden zu erleiden – vollziehen kann.<br />
Diese Grafik macht deutlich, dass Fütterung mit Blühendem<br />
Einfluss ausübt auf die Reproduktionsvorgänge.<br />
Man kann gut verstehen, dass der Lebensprozess der
Pflanze – es ist ihr Wachstumsprozess auf der Erde –<br />
zum Urheilprozess für das Tier wird.<br />
Es sind die metamorphosierten, potenzierten, dynamisierten<br />
Empfindungskräfte, die sich ausdrücken in<br />
Hunger, Durst und Geschlechtlichkeit und zur Triebhaftigkeit<br />
werden, zur Leidenschaft sich steigern und einmünden<br />
in Begierden. Was sich zwischen Epiphyse und<br />
Hypophyse staut und entladen kann, den Instinkt der<br />
Art stärken oder schwächen kann bis in Überempfindlichkeit,<br />
Nervosität hinein, aber auch bis in Abartigkeit<br />
oder gar Verlust.<br />
Die Sicherheit des Instinktes, der das Tier traumhaft<br />
sicher leitet, findet ihr physisches Korrelat in der Gehirnsandbildung,<br />
derer die Gruppenseele des Tieres in ähnlicher<br />
Weise bedarf wie die Individualseele des einzelnen<br />
Menschen.<br />
Für den Landwirt/ die Landwirtin ist es wichtig zu<br />
wissen, dass die Kuh nur das wissen kann, was sie verdaut;<br />
dass sie eine Veranlagung in sich trägt, die ähnlich<br />
wirkt wie beim Menschen die Erinnerungskräfte. Die Kuh<br />
macht es freilich äußerlich, sie käut wieder, damit es ihr<br />
richtig in Fleisch und Blut übergehen kann. Sie braucht<br />
die Anregung zum Wiederkäuen, dann produziert sie<br />
Speichel, durch den sie in besonderer Weise die Erdenstoffe<br />
alkalisieren kann – Speichel: ph-Wert 8.<br />
Für die Erde ist dieser Alkalisierungsprozess wichtig,<br />
und auch für den Züchter/ die Züchterin, denn der Weg<br />
zum reinen Blut beginnt zwischen Alkalität und Säuerung.<br />
Er macht möglich, dass Eisen richtig in das Eiweiß<br />
des Blutes aufgenommen werden kann.<br />
Wenn wir versuchen den geschlossenen Organismus<br />
zu überschauen und zu durchschauen, können wir uns<br />
folgende Bilder machen:<br />
Den Erdboden und die Pflanze, welche von diesem aus<br />
ins Licht der Sonne wächst, um der Festigkeit willen Wurzeln<br />
bildet, sich als Blatt über die Erdoberfläche hin aus-<br />
Biodynamischer TierzuchtLandbau<br />
breitet, an der Sonne zum Blühen kommt und ihr Wachstum<br />
beendet, Frucht und Samen bildet.<br />
Die Kuh auf der Weide, in der Kuh das Verdauungssystem<br />
mit seinen Schleifen und der Dickdarmspirale und<br />
deren Umkehrpunkt.<br />
Die aus der Verdauungskraft geformte, strukturierte<br />
Darmabsonderung, die zum Dünger wird und an die<br />
Wurzelregion der Pflanze herankommt, abermalig dem<br />
Wachstum Triebkraft vermittelnd.<br />
Ein solches Bild vermag viele offenbare Geheimnisse<br />
an uns heranzutragen. Geisteswissenschaftliche Forschung<br />
vermittelt uns, dass wir heute in einer Kulturperiode<br />
leben, die eine Art Wiederholung der altägyptischen<br />
Kultur darstellt, diese wieder eine Art Wiederholung jener<br />
Zeit, in der Mensch- und Tierwesen sich aneinander zu<br />
entwickeln begonnen haben. Mysterienweisheit sprach<br />
davon, dass der gute Hirte über seine Herde wacht in<br />
allen Phasen des Lebens; sie nie sich selbst überlässt,<br />
immer seine Hand am Tier hält.<br />
Seite 101
Heute, nahezu 2000 Jahre nach dem Mysterium von<br />
Golgotha können wir in neuer Weise lernen die Metamorphose<br />
zu erfassen, die sich vollzieht über den<br />
Menschwerdeprozess bis hinein in die physische Ausgestaltung<br />
tierischen und pflanzlichen Lebens, in welcher<br />
alle Organbildekräfte sich veranlagen im Bild der Knospe.<br />
In der Dickdarmspirale erfährt pflanzliches Wachstum<br />
seinen Umkehrpunkt in sich selber.<br />
Tierzucht<br />
Ein bäuerlicher Wahrspruch lautet:<br />
Seite 102<br />
Dürste, auf dass du wissest, was Wasser ist:<br />
hungere, auf dass du wissest, was Brot ist;<br />
opfere, auf dass du wissest was Blut ist;<br />
züchte, auf dass du wissest was Ordnung ist.<br />
Aus einem solchen Bewusstsein heraus kann man verstehen<br />
lernen, dass dann, wenn der Mensch eine reine<br />
Vorstellung von seinem Zusammenhang mit dem Geistigen<br />
hat, er auch eine gesundende Ich-Vorstellung entwickelt.<br />
Macht sich der Mensch eine falsche Vorstellung<br />
von dem Geistigen, so wird das von Geschlecht zu Geschlecht<br />
weitergetragen und beginnt sich als Krankheit,<br />
als Siechtum zu äußern. Richtige Gedanken bewirken<br />
Gesundheit, falsche Gedanken bewirken Krankheit: „…<br />
das Physische wird gedeihen, wenn man an die richtige<br />
Vorstellung vom Geistigen anknüpft…“7.<br />
Dem geübten Züchter muss ein Ideal vorschweben,<br />
und dieses bildet das geistige Modell für seine<br />
wirkliche Zukunftsherde. Durch Training der Tiere in<br />
der Jugend wird erreicht Vollblütigkeit, Nervigkeit und<br />
7 Steiner, Rudolf: Krankheitsformen und Krankheitsursachen,<br />
Vortrag, Berlin 10.-16.11.1908<br />
Biodynamischer TierzuchtLandbau
insbesondere die Ausbildung des Herzens als Quelle der<br />
Lebensenergie. Herzfehler, die in der Jugend entstehen,<br />
können das ganze Leben nicht mehr geheilt werden. 8<br />
Die Eigenschaften gerade der höheren Tiere zeigen in<br />
vielen Fällen keinen vollkommenen klaren Mendelismus,<br />
sondern unvollkommene Dominanz und unvollkommene<br />
Aufspaltung. Die Ursachen sind zu suchen in den<br />
zunehmend beschleunigten, d.h. in der embryonalen<br />
Entwicklung vorverlegten Differenzierungsvorgänge der<br />
Gewebs- und Organbildungen.<br />
Mit den Hochleistungsrassen unserer Haustiere haben<br />
wir es heute zu tun mit einem Erbe aus der Vorstellungs-<br />
und Willenswelt unserer unmittelbaren Vorfahren.<br />
Durch die Hinweise im Landwirtschaftlichen Kurs ist<br />
es heute möglich, aus sich änderndem Bewusstsein konkret<br />
das Haustierwesen zu beeinflussen. Wir müssen es<br />
freilich aus Einsicht wollen. Dazu wird es notwendig sein<br />
zu beachten,<br />
dass Masttendenzen nicht Zuchtziele werden dürfen; sondern<br />
Mast findet ihre Berechtigung an den Tieren, die von<br />
der eigentlichen höheren Entwicklung naturgemäß ausgeschieden<br />
werden;<br />
dass Zuchtreife im Grunde verknüpft ist mit der Reife in<br />
der Zahnbildung; erst das vollkommen gehärtete Gebiss ermöglicht<br />
den notwendigen Homöopathisierungsprozess für<br />
Potenzierung und Dynamisierung der tierischen Verdauung;<br />
der einzelne Zahn ist das Bild einer Knospe, das fertige Gebiss<br />
das Bild einer Blüte aus Marmor;<br />
dass nicht der Boden die Pflanze hervorbringt, sondern<br />
die Pflanzen den Boden<br />
(Entstehung der anorganischen Stoffe, v. Herzeele 1876,<br />
Preuss 1899, Dr. Hauschka 1946)<br />
8 Pettera, Güterinspektor, Mähren, 1911<br />
Biodynamischer TierzuchtLandbau<br />
dass der Mensch zum Maß der Dinge wird, indem er sich<br />
bewusst durchchristet;<br />
dass der Mensch das Maß in diesem Sinne an Pflanze und<br />
Tier heranbringt, sich mit dem Sonnenwesen durchdringt,<br />
welches alles auf der Erde in drei großen Rhythmen ordnet<br />
durch Lebenslauf, durch Jahreslauf, durch Tageslauf.<br />
Was berechtigterweise in Zukunft auch in Zahlen berechnet<br />
werden kann, muss jetzt erweitert und vertieft<br />
werden, d.h. belebt werden durch ein „Bildhaft-Schauen-<br />
Lernen“. Denn eine „Art“ ist ihrem Wesen nach geistiger<br />
Natur, ist und bleibt naturgemäß äußerer, sinnlicher Beobachtung<br />
verborgen, kann aber bildhaft immer klarer<br />
erfasst werden.<br />
Wir sind heute natürlich noch weit vom Ziel entfernt,<br />
die Kuh, unser hauptsächliches Milch- und Düngertier<br />
edel gezüchtet zu haben, ähnlich wie zum Beispiel das<br />
Pferd durch den Araber. Aber es ist notwendig ein Ziel zu<br />
haben, denn Tierzucht, Erziehung, Zähmung des Tieres<br />
ist dasselbe, nur auf einer niederen Stufe, wie es auf einer<br />
höheren Stufe für den Menschen Erziehung, Selbsterziehung,<br />
Selbstzucht ist. Und gerade die Kuh hat mit dem<br />
Menschen gemeinsam, dass sich ihre Keimesentwicklung<br />
neun Sonnenmonate oder zehn Mondenumläufe<br />
im Inneren der eigenen Körperwärme vollzieht.<br />
Diesen Vortrag hat Dr. Selinger 1994 in Idriat gehalten.<br />
(Frau Selinger hat die Verwendung dieses Vortrages für<br />
diesen <strong>Sammelband</strong> erlaubt.)<br />
Seite 103
Die Regionalwert AG - Bürgeraktiengesellschaft<br />
Christian Hiß<br />
Christian Hiß führt mit einer historischen Betrachtung<br />
der umwälzenden ökonomischen und gesellschaftspolitischen<br />
Entwicklungen der letzten Jahrzehnte hin zum<br />
Thema von Kooperationen in der Landwirtschaft. Er beschreibt<br />
die Entwicklungen mit Bezug auf seinen Hof.<br />
Geografisches und Geologisches<br />
Eichstetten bei Freiburg im Breisgau liegt an der Burgundischen<br />
Pforte. Die Durchschnittstemperatur beträgt<br />
9,6° C. Bis zu 30 m starke Lößschichten liegen auf vulkanischer<br />
Unterlage. Das warme Klima begünstigt die vom<br />
Boden her gegebene Fruchtbarkeit. Das bildete auch die<br />
Voraussetzung, dass die <strong>landwirtschaft</strong>lichen Strukturen<br />
sich so kleinflächig entwickeln konnten und gleichzeitig<br />
lebensfähig waren.<br />
1963 gab es in Eichstetten bei einer Gesamtgemarkungsgröße<br />
von 1000 ha und bei 2000 Einwohner und<br />
Einwohnerinnen 300 Vollerwerbs<strong>landwirtschaft</strong>en. Jeder<br />
Hof hatte einen Stall, Wein-, Gemüse- und Getreidebau.<br />
Nach nur 40 Jahren existiert keiner dieser Ställe mehr.<br />
Der Weinbau wurde hoch gepuscht, der Ackerbau in die<br />
Ebene verlagert.<br />
Eichstetten am Kaiserstuhl ist die Wiege des ökologischen<br />
Landbaues in Deutschland<br />
Die Entwicklung des ökologischen Landbaues in<br />
Deutschland ging von Eichstetten aus.<br />
Eckdaten:<br />
1953 stellt der Vater von Christian Hiß seinen Hof auf<br />
die <strong>biodynamische</strong> Bewirtschaftungsweise um. Er ist<br />
mit der Idee während seiner Gefangenschaft in England<br />
Seite 104<br />
Biodynamischer Die Regionalwert Landbau AG<br />
bekannt geworden.<br />
1960 gibt es im Ort bereits sieben <strong>Demeter</strong>betriebe.<br />
1972 wird Bioland1 gegründet. Dr. Müller2 versucht den<br />
Betrieb Hiß für die organisch-biologische Landwirtschaft<br />
zu gewinnen. Der Hof Hiß bleibt der <strong>biodynamische</strong>n<br />
Idee verbunden. Es kommt zur Spaltung im Dorf.<br />
Die Hälfte der <strong>Demeter</strong>höfe wechselt zur organisch- biologischen<br />
Wirtschaftsform.<br />
2005: 22% der Gemarkung werden ökologisch bewirtschaftet.<br />
Im Vergleich: Bundesweit werden 4% ökologisch<br />
bewirtschaftet.<br />
Christian Hiß lernt konventionellen Gartenbau und<br />
baut anschließend eine eigene Gärtnerei auf; er und seine<br />
Frau betreiben die Gärtnerei auf <strong>biodynamische</strong>r Basis.<br />
Sie arbeiten mit dem elterlichen Hof zusammen.<br />
Viele Themen, einerseits ökonomischer, andererseits<br />
sozialer Art drängen sich zunehmend ins Bewusstsein.<br />
• Die Saatgutfrage – Mitarbeit am Aufbau der Saatgutinitiative<br />
Bingenheim.<br />
• Die Frage der Beschäftigungsformen in der Landwirtschaft<br />
– Ablehnung der Saisonarbeitskräfte, Versuch<br />
mit Fachkräften, Lehrlingen, Praktikanten und Praktikantinnen<br />
in einem geordneten Beschäftigungsverhältnis zu<br />
arbeiten.<br />
• Pädagogik und Landwirtschaft – Gründung einer gemeinnützigen<br />
Schulprojekte GmbH.<br />
• Arbeitstherapien auf dem Hof – viele schwächere<br />
Menschen suchen sinnvolle und Orientierung gebende<br />
Arbeit auf Höfen.<br />
• Verwertungsgedanke – Verwertung jener Produkte,<br />
die am Markt nicht verkauft werden konnten: Gründung<br />
einer Verwertungsküche.<br />
• Energieproduktion – welche Möglichkeiten bieten<br />
sich an, am Hof Energie zu erzeugen.<br />
1 Größter Bioverband in Deutschland<br />
2 Begründer der organisch biologischen Landwirtschaft
Alle diese Aktivitäten sind enorm wichtig für die Landwirtschaft.<br />
Sie können aber kaum von einem Familienbetrieb<br />
getragen werden.<br />
Als Hauptprobleme stellen sich die Kapitallast und Unterschiedlichkeit<br />
der Bereiche dar.<br />
Unterschiedlichkeit der Bereiche<br />
Damit die einzelnen Fachbereiche gut geführt werden<br />
können, braucht es eine gewisse Professionalität.<br />
Man kann nicht verlangen, dass ein guter Käser auch ein<br />
guter Pflanzenzüchter ist oder eine gute Gärtnerin eine<br />
perfekte Bäckerin. Diese Professionalität ruft nach einer<br />
guten Ausstattung des jeweiligen Bereiches. Durch diese<br />
gegenseitige Bedingung wird eine entsprechende finanzielle<br />
Ausstattung nötig.<br />
Das wirft die Frage nach der Bewältigung der Kapitallast<br />
auf.<br />
Die oben angesprochenen vielseitigen Aufgaben der<br />
Landwirtschaft führen in die Gefahr der Verzettelung in<br />
vielen Bereichen. Der Kernbereich leidet darunter. Um<br />
wiederum die einzelnen Bereiche ordentlich auszustatten,<br />
braucht es Geld.<br />
Diese grundsätzlichen Überlegungen, die Erkenntnis,<br />
dass ein Familienbetrieb dies nicht alles leisten kann,<br />
die Situation auf den Höfen und die Idee, den eigenen<br />
Kindern die Wahl offen zu halten, führten bei Christian<br />
Hiß zum Nachdenken und zur Suche nach geeigneten<br />
Rechtsformen.<br />
Verschiedene Modelle wurden in Betracht gezogen:<br />
• ein gemeinnütziger Verein,<br />
• eine Genossenschaft,<br />
• eine Stiftung,<br />
• eine gemeinnützige Aktiengesellschaft.<br />
Christian Hiß untersuchte diese Formen, die es<br />
möglich machen, einen Familienbetrieb in eine andere<br />
Biodynamischer Die Regionalwert Landbau AG<br />
Rechtsform überzuführen und eventuell mit anderen Höfen<br />
zusammenzuschließen. Keine der genannten Formen<br />
stimmte mit seinen Zielvorgaben vollends überein.<br />
Diese Zielvorgaben waren:<br />
o Die Wertschöpfungskette sollte zur Gänze in der Region<br />
bleiben – Saatgut, Energie, Pädagogik, Handel, Vermarktung,<br />
Verarbeitung – nach dem Motto: „Vom Acker<br />
bis auf den Teller“.<br />
o Die Möglichkeit sollte geboten werden, dass sich die<br />
einzelnen Bereiche spezialisieren können.<br />
o Es sollte eine Form sein, welche es dem Unternehmen<br />
erlaubt, Betriebe in der Region zu kaufen und dann<br />
zu verpachten.<br />
o Viele Bürger und Bürgerinnen in der Region sollten<br />
mit Hilfe dieser neuen Rechtsform in die Landwirtschaft<br />
eingebunden werden; die Beziehung sollte nicht nur<br />
mehr über Markt und Verbrauch gegeben sein.<br />
o Den einzelnen Hofstellen sollte damit die Möglichkeit<br />
geboten werden, zu einem Ganzen zusammenzuwachsen.<br />
Motto: „Jeder weiß von jedem.“<br />
o Die Verantwortung für die Landwirtschaft sollte verteilt<br />
werden. Auch die Bürger und Bürgerinnen der Region<br />
sollten diese mittragen.<br />
Frühere Versuche, Kooperationen zu bilden, zum Beispiel<br />
über eine enge Zusammenarbeit mit den Verbrauchern<br />
oder Verbraucherinnen, führten zwar oftmals zu<br />
tiefen Freundschaften, sicherten aber nicht das Überleben<br />
des Hofes. Es wurde klar: Wenn die Zielvorgaben<br />
erreicht werden sollen, muss beim Kapital angesetzt<br />
werden.<br />
Außerdem brauchen zielgerichtete Änderungsvorhaben<br />
reale Ansprechpartner, damit nicht zu viel beim frommen<br />
Wunsch: „Die Gesellschaft sollte…“ hängen bleibt.<br />
Seite 105
Und so endete die Suche nach einer Rechtsform 2005 in<br />
der Bildung der<br />
Regionalwert AG – Bürgeraktiengesellschaft.<br />
Daten und Fakten:<br />
• Grundkapital 1.400.000.-<br />
• 320 Aktionäre und Aktionärinnen<br />
(Mindestaktieneintrag: 500.-)<br />
• Die AG sammelt Kapital, kauft neue Betriebe<br />
an und verpachtet sie an qualifizierte Pächter<br />
und Pächterinnen. Die Pachtkriterien werden<br />
zusammen mit den Aktionären und Aktionärinnen<br />
erstellt.<br />
• Christian Hiß führt die Geschäfte und bildet mit<br />
einem zweiten Vorstandsmitglied den Vorstand.<br />
Der Vorstand beruft die Hauptversammlung ein<br />
und erstellt den Geschäftsbericht.<br />
• Der Aufsichtsrat wurde vom Vorstand bestellt.<br />
(Späterhin soll er gewählt werden.)<br />
• Es gibt Aktionärstage. Das sind Informationstage,<br />
an denen Aktionäre und Aktionärinnen die<br />
Höfe besichtigen und Fragen stellen können.<br />
• Ankauf von Höfen muss vom Aufsichtsrat<br />
genehmigt werden.<br />
• Die Rendite wird durch zwei unterschiedliche<br />
Berichte errechnet:<br />
Einmal muss der betriebswirtschaftliche Bericht ausgearbeitet<br />
werden, in welchem alle Geldflüsse dokumentiert<br />
sind. Gibt es einen monetären Gewinn, so wird er in<br />
diesem Bericht ausgewiesen.<br />
Aber die Rendite wird auch noch durch einen volkswirtschaftlichen<br />
Bericht bestimmt: Anhand von 64 Indkatoren<br />
wird die sozial-ökologische Wertschöpfung erhoben,<br />
welche über ein erfolgreiches Arbeiten entscheiden.<br />
Diese 64 Indikatoren reichen von der Frage, ob samen-<br />
Seite 106<br />
Biodynamischer Die Regionalwert Landbau AG<br />
festes Saatgut verwendet wird, über die Energiebilanz,<br />
den Verzicht auf Saisonarbeitskräfte zugunsten fixer Anstellung,<br />
über Fragen nach belegten Ausbildungsplätzen<br />
bis hin zur Bodenfruchtbarkeit. Die Indikatoren geben<br />
Auskunft über die Ergebnisse in Bezug auf qualitative<br />
Werte, die Nachhaltigkeit, die Ressourcenschonung und<br />
so fort. Das führt zu einer intensiven Auseinandersetzung<br />
zwischen den Aktionären und Aktionärinnen und<br />
den Bauern und Bäuerinnen. Christian Hiß meint, dass<br />
die jetzige Finanzkrise dem ganzen Unternehmen sehr<br />
förderlich ist, weil dadurch attraktiv wird, in soziale und<br />
regionale Werte zu investieren.<br />
Er bringt ein anschauliches Beispiel aus dem Alltag,<br />
welches zeigt, wie sehr noch um gegenseitiges Verständnis<br />
gerungen werden muss:<br />
Es wurde beschlossen, dass ein Stall gebaut werden<br />
soll. Nun musste aber unmittelbar neben dem Stall<br />
auch ein Wohnhaus gebaut werden, damit die Pächter<br />
und Pächterinnen dort leben können. Das warf viele Fragen<br />
für die Aktionäre und Aktionärinnen auf: Braucht es<br />
unbedingt eine Wohnstatt in unmittelbarer Umgebung<br />
zum Stall? Damit wurde eine ernste Problematik in der<br />
Tierhaltung angesprochen – die Beziehung Tier Mensch<br />
in der <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft. Nach guter Diskussion<br />
wurde das Haus bewilligt. Aber es kamen Fragen<br />
nach den Standards auf. Wie muss ein Haus für eine<br />
Bauernfamilie ausgestattet sein? Welchen Luxus braucht<br />
eine Bauernfamilie? Könnte man da nicht einiges einsparen?<br />
Und plötzlich sind alle Beteiligten mit sozialen Fragen<br />
konfrontiert.<br />
Auch bei der Festlegung der Pacht muss um gegenseitiges<br />
Verständnis gerungen werden. Wie hoch soll die<br />
Pacht sein? Soll sie der ortsüblichen Pacht angepasst<br />
werden oder soll sie nach anderen Kriterien festgelegt<br />
werden? Die Pachthöhe ist letztendlich mitbestimmend,<br />
ob es eine Rendite gibt. Eine Aktiengesellschaft
ist kein ruhiger Hafen. Die Verständnisarbeit zwischen<br />
Aktionären und Aktionärinnen und Pächtern und Pächterinnen<br />
ist hier unerlässlich. Es wird dann funktionieren,<br />
wenn das Ziel, sinnvolle Landwirtschaft in der Region zu<br />
betreiben, immer im Blickpunkt bleibt und wenn die Indikatoren<br />
zeigen, dass Landwirtschaft neben den rein monetären<br />
Werten noch andere Werte hervorbringen kann.<br />
In diesem Zusammenhang tauchen dann tief greifende<br />
Fragen auf. Was macht die Landwirtschaft wirklich? Sind<br />
Bodenfruchtbarkeit und Tierfruchtbarkeit die wirklichen<br />
Ziele? Samenfestigkeit beim Saatgut?<br />
Plötzlich werden diese Fragen nun auch von Menschen<br />
diskutiert, die mit der Landwirtschaft nichts zu<br />
tun hatten.<br />
Was eine Sozialgemeinschaft entscheidet, hat durch<br />
die Auseinandersetzung mehr Substanz, wird eher<br />
durchgetragen. Auch der Weltagrarbericht aus 2006, an<br />
welchem 400 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen<br />
gearbeitet haben, spricht für solche Modelle.<br />
Es ist hilfreich, sich ins Bewusstsein zu rufen, dass der<br />
Anteil jener Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten,<br />
rapid geschrumpft ist und wohl auch deswegen politisch<br />
nicht mehr wirklich relevant ist.<br />
In Deutschland waren 1800 noch 75% der Bevölkerung<br />
in der Landwirtschaft tätig, 1900 waren es 45% und<br />
2009 sind es 2,5%.<br />
Relevant aber ist die Ernährungssicherheit. In diesem<br />
Zusammenhang wird schon von einer Landwirtschaft<br />
gesprochen, welche über Satelliten gesteuert wird, damit<br />
sichergestellt werden kann, dass jeder Quadratmeter<br />
<strong>landwirtschaft</strong>licher Fläche effektiv genutzt wird.<br />
Regionale Zusammenschlüsse erscheinen hier als wirklichkeitsnahe<br />
und sinnvolle Alternativen am Horizont.<br />
Christian Hiß, Gärtnermeister, <strong>Demeter</strong>bauer,<br />
Vorstand der Regionalwert AG<br />
Christian Hiß hat diesen Vortrag am 22.März 2009 am<br />
Wegwartehof in Merkenbrechts gehalten.<br />
Biodynamischer Die Regionalwert Landbau AG<br />
Seite 107
Biodynamischer Landbau als Antwort auf die<br />
Kultur- und Ökologiekrise in der Landwirtschaft<br />
Waltraud Neuper<br />
1996 gab Günter Rohrmoser, Sozialphilosoph an<br />
der Universität Stuttgart-Hohenheim, ein Buch heraus<br />
mit dem Titel: „Landwirtschaft in der Ökologie- und<br />
Kulturkrise“ 1 . Da Landwirtschaft und Philosophie untrennbar<br />
mit meinem Leben verbunden sind, hat diese<br />
Verknüpfung sofort viele Fragen ausgelöst:<br />
• - Was ist überhaupt eine Krise?<br />
• - Wie kommt jemand zu einer<br />
• solchen Aussage?<br />
• - Befindet sich die Landwirtschaft wirklich<br />
• in einer Krise?<br />
• - Wer oder was ist zu verstehen unter<br />
• „die Landwirtschaft“ und<br />
• - was haben wir zu verstehen unter einer<br />
• Kulturkrise oder Ökologiekrise in Bezug<br />
• auf die Landwirtschaft?<br />
•<br />
Der bewährte Blick in den Duden hilft bei der Klärung:<br />
Der Begriff Krise kann den Höhepunkt einer gefährlichen<br />
Entwicklung andeuten, oder Ausdruck sein für eine Entscheidungssituation<br />
beziehungsweise eine gefährliche<br />
Situation. 2<br />
Die „Landwirtschaft“ an sich gibt es nicht. Wir müssen<br />
uns entscheiden, ob wir mit Landwirtschaft jenes<br />
Arbeitsfeld meinen, auf welchem Menschen die Natur<br />
zur Produktion bestimmter Güter bearbeiten oder ob wir<br />
1 Rohrmoser, Günter: „Landwirtschaft in der Ökologie- und<br />
Kulturkrise“, Gesellschaft für Kulturwissenschaft e.V.,<br />
Bietigheim/Baden, 1996.<br />
2 Hrsg: Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion, „Duden“,<br />
Bd.5.Dudenverlag, Mannheim/Wien/Zürich, 1974.<br />
Seite 108<br />
Biodynamischer Landbau<br />
jene Flächen meinen, welche mit Kulturpflanzen bebaut<br />
werden.<br />
Für unseren Belang meinen wir die Gesamtheit der<br />
handwerklichen, technischen und sozialen Tätigkeiten,<br />
welche sich auf den Höfen zeigt zusammen mit ihren<br />
Auswirkungen auf die Natur, auf die betroffenen Menschen<br />
und in weiterer Folge auf jene Menschen, welche<br />
die Produkte aus der Landwirtschaft als Nahrungsmittel<br />
konsumieren.<br />
Was lässt die unermüdlichen Mahner nun an eine Krise<br />
denken? Ist gemeint, dass<br />
- der bäuerliche Bevölkerungsanteil<br />
rapid schrumpft (in Ö 3,2%)<br />
- immer weniger Menschen ihre<br />
Zukunft in der Landwirtschaft sehen?<br />
- man so wenig in der Landwirtschaft verdient?<br />
- die Arbeit in der Landwirtschaft gesellschaftlich<br />
keine hohe Wertschätzung findet?<br />
- damit einhergehend der soziale Status der<br />
bäuerlichen Gesellschaftsschicht<br />
niedrig und daher nicht erstrebenswert ist?<br />
- Werttragende Sozial- und<br />
Lebensformen verfallen?<br />
- die Lebensmittelqualität zu wünschen<br />
übrig lässt?<br />
- die Fruchtbarkeit im Boden, bei den<br />
Tieren und in den Pflanzen zurückgeht?<br />
- der Klimawandel bedrohliche<br />
Konsequenzen in Aussicht stellt?<br />
- viel zu viele Menschen nicht<br />
genug zu essen haben?<br />
- das Lebendige an sich durch einseitige technische<br />
Entwicklungen bedroht ist?<br />
- es auf dem Saatgutsektor zur<br />
Monopolisierung kommen könnte?
- der Einsatz von gentechnisch<br />
verändertem Saatgut, verbunden<br />
mit Vergaben von Patentrechten<br />
auf lebendige Organismen wie ein Damoklesschwert<br />
über der Landwirtschaft hängt?<br />
- bürokratische Reglementierungen Bauern<br />
bewegen könnten, die Landwirtschaft<br />
aufzugeben?<br />
- die Industrialisierung in der Landwirtschaft<br />
der Tendenz zu großflächigen Einheiten<br />
zum Durchbruch verhilft?<br />
- Anbau in unseren Lagen unrentabel wird,<br />
da in klimatischen und geologischen<br />
Gunstlagen und in Ländern mit weniger<br />
entwickelten Sozialstrukturen<br />
ökonomisch vorteilhafter produziert<br />
werden kann?<br />
- die Nahrungsmittelbranche zunehmen<br />
zum Objekt für Spekulationen auf<br />
dem undurchsichtigen Finanzmarkt wird?<br />
- von dort ausgehend mit den Preisen<br />
jongliert wird?<br />
- die ansteigende Produktion von Biosprit<br />
für Spekulationen auf dem Getreidesektor<br />
interessant wird?<br />
Manche dieser Fragen und Vermutungen könnten wir<br />
in die apokalyptischen Prophezeiungen vom Untergang<br />
der Landwirtschaft einreihen. Rohrmoser führt Friedrich<br />
Engels und Friedrich Nietzsche an, welche die Marginalisierung<br />
und Atomisierung der Landwirtschaft schon im<br />
19. Jahrhundert vorausgesagt haben. 3<br />
Die meisten der oben angeführten Vermutungen stärken<br />
die Pessimisten, wonach es mit der Landwirtschaft<br />
3 Vgl. Rohrmoser. Kapitel: „Ethische Verantwortung im Umgang<br />
mit der Natur“<br />
Biodynamischer Landbau<br />
auf jeden Fall bergab geht oder verschleiert ausgedrückt,<br />
dass sie sich im Transformationsstadium befindet. Sie<br />
nehmen den Qualitätsverlust ernst, unterhalten sich<br />
über den Klimawandel, schauen nachdenklich auf die<br />
Patentierung von Leben oder die Monopolisierung des<br />
Saatgutes. Aber im Großen und Ganzen meinen diese<br />
Pessimisten, dass dies eben die Entwicklung sei, gegen<br />
die man nichts unternehmen kann.<br />
Von diesen Aussichten doch leicht beunruhigt schlagen<br />
manche dann die Seiten im Internet auf, welche Informationen<br />
über die Landwirtschaft in der EU bereithalten<br />
und lesen über die Lage der Bauern nach. Da ändert<br />
sich das Bild relativ schnell. Von „gut versorgten“ Bauern<br />
ist da die Rede, dass Klimaschutz und Ressourcenmanagement<br />
in den besten Händen sind, dass Gentechnik<br />
den Hunger in der Welt eindämmen und dass die Landwirtschaft<br />
politisch thematisiert wird und deshalb nichts<br />
zu fürchten habe. Gut abgesicherte Verträge regeln die<br />
Aktionen und Transaktionen in der Landwirtschaft.<br />
Ob die Landwirtschaft sich in der Krise befindet ist<br />
demnach eine Frage des Standortes oder danach, ob man<br />
ein Apokalyptiker, ein Pessimist oder ein gut informierter<br />
Bürger ist.<br />
Es ist klar: Auf diese Weise kommen wir zu keinem Urteil.<br />
Aber welches Kriterium könnten wir finden, damit<br />
eine sinnvolle Anschauung der Situation möglich wird?<br />
Ich werde versuchen, solche Beurteilungskriterien an<br />
den zwei großen, weit in die Zukunft weisenden geistigen<br />
Impulsen, welche Rudolf Steiner 1924 gegeben hat,<br />
zu entwickeln.<br />
1. Impuls:<br />
Rudolf Steiner führte die Teile der Landwirtschaft über<br />
in ein Ganzes<br />
Um die wahre Dimension dieses Bewusstseinsschrittes<br />
verständlich machen zu können, muss ich ein wenig<br />
Seite 109
ausholen.<br />
Rudolf Steiner hat seinen Kurs genannt:<br />
„Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen<br />
der Landwirtschaft“<br />
und Johannes Toegel hat es in der Ringvorlesung unternommen,<br />
über die drei Ebenen der Wirklichkeit einen<br />
Weg dorthin aufzuzeigen. Ich knüpfe an seine Ausführungen<br />
an, mit dem Hinweis auf unseren Begriff von<br />
Kultur.<br />
Dieser leitet sich her vom lateinischen Begriff colere,<br />
colui, cultum, und beschreibt Kulturschaffende menschliche<br />
Fähigkeiten: Bauen, Pflegen, Wahren, Ausbilden,<br />
Sorge tragen, Veredeln, Achten und Ehren. Diese Fähigkeiten<br />
haben mit der Landwirtschaft in zweifacher Weise<br />
zu tun:<br />
Sie sind vom Menschen in seiner Auseinandersetzung<br />
mit der Natur und mit dem<br />
Geistigen entwickelt worden.<br />
Im Grunde sind sie alle Ausprägungen eines<br />
sozialen Handelns. Jegliches verantwortungsvolle<br />
Handeln in der Landwirtschaft ruht in<br />
der einen oder anderen Form auf diesen<br />
Fähigkeiten auf.<br />
Seit der Mensch – in der Sprache der Genesis 4 - durch<br />
seine Verführbarkeit das Paradies verlassen musste, verlor<br />
er auch die bis dahin aufrechte Einheit mit der Natur. 5<br />
Durch mühsames Sammeln und Jagen musste er sein<br />
Überleben sichern. Es ist soziologisch noch nicht ausgehandelt,<br />
ob das Teilen der Beute mit der Gruppe der<br />
erste Schritt zum Verpflegen war, oder die Pflege und<br />
4 Genesis 3,23<br />
5 Heute klingt diese Einheit noch an in einer dunklen Sehnsucht,<br />
wenn Menschen vom Leben im „Einklang mit der Natur“<br />
schwärmen; deshalb ist dieser Begriff auch so werbewirksam.<br />
Seite 110<br />
Biodynamischer Landbau<br />
Ernährung der Kinder durch die Frauen. 6<br />
Ohne die Entwicklung des Sorge tragens füreinander<br />
innerhalb der Gruppen, hätte die Menschheit nicht überleben<br />
können.<br />
Zu gleicher Zeit treten jene Rituale und Opferhandlungen<br />
auf, welche über die Natur hinaus weisen. Wir finden<br />
diese Ansätze in allen Religionen wieder, als Fähigkeiten<br />
nennen wir sie Achten und Ehren.<br />
Mit der Sesshaftwerdung – der großen <strong>landwirtschaft</strong>lichen<br />
Revolution – beginnt der Mensch – wieder im<br />
Worte der christlichen Bibel – sich die Erde untertan zu<br />
machen. Auf der ökonomischen Ebene beginnt der Handel,<br />
Märkte werden geschaffen, Herrschaftsstrukturen<br />
entstehen. Diese Phase ist wohl als Verdichtungsgeschehen<br />
zu bezeichnen. Auf der materiellen Ebene erlernt<br />
der Mensch die Fähigkeit des Bauens und Bebauens;<br />
und des Veredelns. Es gelingt, aus Wildgräsern Getreide<br />
zu züchten. Bestimmte wilde Tiere werden ins Haus<br />
genommen.<br />
In seinem geistigen Ausdruck war der Mensch hier<br />
noch ganz bestimmt von der Empfindungsseele. Er handelte<br />
vornehmlich aus der Empfindung. Am Übergang<br />
zu der Zeit, die wir historisch schon einigermaßen gut<br />
überblicken – also die goetheschen 3000 Jahre – lockerte<br />
sich das enge Verhältnis Mensch-Natur weiter.<br />
Die Natur wird zwar noch mythisch interpretiert und<br />
als organisch empfunden; aber dieses Verständnis beginnt<br />
sich allmählich zu verändern. Die Grundherrschaft<br />
kommt auf. Darauf kann gar nicht genug Augenmerk<br />
gelegt werden: Grund und Boden werden langsam ins<br />
Eigentum genommen – unter die Herrschaft eines Einzelnen<br />
oder Institution genommen.<br />
Die Fähigkeit des Wahrens und Bewahrens entwickelt<br />
6 Sorgo Gabriele: „Abendmahl in Teufels Küche“, Styria Verlag,<br />
2006.
sich über die Ebene des ursprünglichen Aufbewahrens<br />
hinaus.<br />
Mit dem Übergang zur Neuzeit fängt der Mensch zunehmend<br />
an aus der Verstandesseele zu handeln. Das<br />
Naturverständnis verändert sich dahingehend,<br />
dass der Mensch sich emanzipiert von der Vorstellung,<br />
dass die Natur die Schöpfung Gottes sei.<br />
Das mechanistische Weltbild von Descartes (1596-<br />
1650) und Bacon (1561-1626) leitet die Ära des wissenschaftlichen<br />
Strebens nach Beherrschung der Natur ein.<br />
Der Bereich des Ökonomischen gewinnt durch die stetig<br />
wachsende Bedeutung des Geldes an Aufmerksamkeit<br />
und Macht. In der Landwirtschaft kommt es zur Kapitalisierung<br />
und Intensivierung. Mit der industriellen Revolution<br />
wird der letzte Schritt der Objektivierung von<br />
Natur vollzogen:<br />
Natur wird nun aufgefasst als zusammengesetzt aus<br />
Teilen, als Materie. In dieser Materie sind die einzelnen<br />
Teile durch kausale Funktionen miteinander verbunden.<br />
Die Vorstellung von der Natur als ein lebendiges Ganzes<br />
verblasst.<br />
Wenn man diesen Gedanken weiterspinnt, kann man<br />
sagen: Im Verständnis des naturwissenschaftlichen Menschen<br />
ist zu dieser Zeit die Natur zu einer stofflichen<br />
Ressource geworden. In der Forschung wird sie in immer<br />
kleinere Teile zerlegt. Über die Landwirtschaft werden die<br />
Gesetze der Industrie gestülpt, die Vorgänge werden automatisiert,<br />
Technisierung und Intensivierung führen zur<br />
Atomisierung; Monokulturen entstehen. Arbeit wird zur<br />
Ware. Grund und Boden wird zu Spekulationsgut. Die Industrielle<br />
Revolution und der erstarkende Kapitalismus<br />
vollenden gewissermaßen diesen Prozess des Auseinanderdriftens<br />
von Natur und Kultur. „Für Wissenschaft<br />
und Technik ist die Natur eine wertneutrale, vergegenständlichte<br />
Faktenwelt geworden“ 7 , sagte Hans Jonas.<br />
7 Jonas, Hans: „Das Prinzip Verantwortung“, Frankfurt, 1979<br />
Biodynamischer Landbau<br />
Dieser Vorgang wird auch in der Landwirtschaft sichtbar.<br />
Die Hofeinheiten werden aufgeteilt in Wirtschaftszweige,<br />
die Vielfalt fällt einer mechanischen Rationalisierung zum<br />
Opfer, das Hofganze zerfällt also in wirtschaftsrelevante<br />
Segmente.<br />
Der Boden wird zum Standort der Pflanzen, Tierhaltung<br />
wird zur Tierproduktion und Fruchtbarkeit zur Reproduktionsmöglichkeit.<br />
Diese Struktur der Landwirtschaft<br />
hat sich seit damals nicht mehr verändert; nur<br />
der Technisierungs- und Automatisierungsgrad hat zugenommen.<br />
Und die Dimensionen verlieren sich im rein<br />
materialistischen Wertmassstäben.<br />
Das große Verdienst Rudolf Steiners<br />
Rudolf Steiner hat in dieses Chaos der in ihre Teile<br />
zerbrechenden Landwirtschaft, in dieses atomistische<br />
Durch- und Nebeneinander einen geistigen Ordnungsimpuls<br />
gesetzt. Es ist seiner geisteswissenschaftlichen<br />
Forschung zu danken, dass es ihm gelungen ist, die<br />
Teile in einem funktionalen Kreislauf zusammen zu denken<br />
und damit Kosmos, Erde, Boden, Pflanze, Tier und<br />
Mensch bewusst zu verbinden.<br />
Steiner gibt der Natur über seine goetheanistische Naturbetrachtung,<br />
jenes Leben zurück, welches die Aufklärung<br />
ihr abgesprochen hat.<br />
Damit setzt er einen Impuls, der die Voraussetzung<br />
schafft, die Landwirtschaft als organisches Ganzes erfassen<br />
zu können.<br />
In dieser Weise legte er den Grundstein für die <strong>biodynamische</strong><br />
Landwirtschaft.<br />
2. Impuls:<br />
Er hat mit großer geistiger Wahrnehmungsfähigkeit<br />
auf die zerstörerische Kraft einer rein materialistischen<br />
Weltauffassung hingewiesen.<br />
Seite 111
„Und so kann sich heute auch schon der materialistische<br />
Landwirt, wenn er überhaupt nicht ganz dumpf<br />
dahinlebt, sondern etwas nachdenkt über die Dinge, die<br />
sich ja täglich oder wenigstens jährlich ergeben, ungefähr<br />
ausrechnen, in wie viel Jahrzehnten die Produkte so<br />
degeneriert sein werden, dass sie noch im Laufe dieses<br />
Jahrhunderts nicht mehr zur Nahrung der Menschen dienen<br />
können.<br />
Also es handelt sich dabei durchaus um eine<br />
Frage, die im allereminentesten Sinne, ich möchte sagen,<br />
kosmisch- irdische Frage ist. Gerade bei der Landwirtschaft<br />
zeigt es sich, dass aus dem Geiste heraus, Kräfte<br />
geholt werden müssen, die heute ganz unbekannt sind,<br />
und die nicht nur die Bedeutung haben, dass etwa die<br />
Landwirtschaft ein bisschen verbessert wird, sondern die<br />
Bedeutung haben, dass überhaupt das Leben der Menschen<br />
– der Mensch muss ja von dem leben, was die<br />
Erde trägt – , eben weitergehen könne auf Erden, auch<br />
im physischen Sinne.“ 8<br />
Steiner sieht die fatalen Konsequenzen eines rein<br />
materialistischen Handelns schon voraus. Er weist auf<br />
die Notwendigkeit hin, ein Bewusstsein zu entwickeln,<br />
sowohl von den Zusammenhängen zwischen Mensch<br />
und Natur, als auch zwischen Individuum und Gemeinschaft.<br />
8 Steiner, Rudolf: „Landwirtschaftlicher Kurs“, S 12<br />
Seite 112<br />
Biodynamischer Landbau<br />
Bis hinein ins zwanzigste Jahrhundert lebten die<br />
Menschen eingebunden in größere Zusammenhänge.<br />
Gemeinschaften, welche von einer<br />
höheren Instanz geleitet wurden.<br />
Das bedeutet, dass die Regeln, nach denen<br />
die Menschen handelten, von einer<br />
übergeordneten Instanz vorgegeben<br />
wurden. Solche Instanzen finden wir bei<br />
allen Völkern und in allen Kulturen:<br />
die Mysterien, die Klöster, die Pharaonenpriester<br />
und so fort.<br />
Das Ideal der Freiheit des Individuums<br />
Durch die Individualisierung tritt der<br />
einzelne Mensch heraus aus diesen<br />
Gemeinschaften und Traditionen und<br />
beginnt sein Handeln zunehmend<br />
selbst zu bestimmen.<br />
Das bedeutet, dass er sich ein Bewusstsein<br />
von seinem Tun erringen muss.<br />
Er ist aufgefordert, seine eigenen<br />
ethischen Maßstäbe zu finden.<br />
Mit diesem Schritt in die eigene Freiheit kann er aber<br />
auch die Verantwortung für sein Handeln nicht mehr delegieren.<br />
Jeder muss sein Handeln selbst prüfen, muss<br />
sich darüber Rechenschaft ablegen, ob es dem sozialen<br />
Miteinander auf diesem Planeten zuträglich ist. Darin<br />
sind alle Fragen nach Nachhaltigkeit, Umgang mit Ressourcen,<br />
Verbindlichkeit im sozialen Miteinander, Solidarität<br />
im Ökonomischen eingeschlossen.<br />
Wir können einen Weg heraus aus der Krise nur finden,<br />
wenn wir bedenken, dass alle Kultur bestimmt ist
durch unser Verhältnis zur Natur. Es geht darum ein<br />
neues Denken, ein neues Bewusstsein zu finden über<br />
dieses Verhältnis.<br />
Verbunden mit den Anregungen und den Hinweisen<br />
im Landwirtschaftlichen Kurs können die angesprochenen<br />
Kulturfähigkeiten helfen eine neue <strong>landwirtschaft</strong>liche<br />
Kultur zu schaffen.<br />
Verpflegen<br />
Verpflegen ist wohl die tiefste Dimension der <strong>biodynamische</strong>n<br />
Landwirtschaft.<br />
Hier geht es ganz essentiell um die Einstellung zum<br />
anderen Menschen. Die große Frage lautet: Welche Lebensmittel<br />
bringe ich aus meiner Landwirtschaft hervor?<br />
Denke ich die Lebensmittel nur stofflich, beurteile ich<br />
sie ausschließlich nach Ergebnissen verschiedener Analysen?<br />
Oder ist es mir ein Anliegen, Lebensmittel hervorzubringen,<br />
welche den Menschen auch Nahrung sind für<br />
Seele und Geist?<br />
Insofern ein Bauer/ eine Bäurin menschengerechte<br />
Lebensmittel herstellen will, muss er/sie sich mit „dem<br />
Menschen“ beschäftigen. Das bringt ihn/sie zum Nachdenken<br />
über die Dreigliederung des menschlichen Organismus,<br />
über die Zusammenhänge von Krankheit<br />
und Gesundheit, über das Seelische und das Geistige,<br />
das Ätherische und das Ich-Bewusstsein hin zu den Tätigkeiten<br />
des Denkens, des Fühlens und des Wollens.<br />
Dieses Nachdenken verbunden mit dem Wunsch<br />
lebenfördernde Nahrungsmittel herzustellen, führt zu<br />
einem behutsameren Umgang mit dem Lebendigen, mit<br />
der Natur. Ihre Wachstumsprozesse, ihre Rhythmen und<br />
Zyklen bis hin zur Reife rücken stärker ins Bewusstsein.<br />
Biodynamischer Landbau<br />
Bebauen<br />
In der Entscheidung, wie der Boden gepflügt oder<br />
auch nicht gepflügt wird, drückt sich das Verständnis<br />
des Bauern für den Boden aus. Es wird sichtbar, ob er<br />
imstande ist, diesen Boden als lebendigen Organismus<br />
aufzufassen. Die Frage nach einem bodengerechten Bebauen<br />
führt über das Umschichten der Erde hinaus direkt<br />
zur Kompostbereitung unter Hinzunahme der Kompostpräparate,<br />
zur Anwendung der Präparate Hornmist und<br />
Hornkiesel, zur Fruchtfolge und zu heilenden Maßnahmen<br />
mit speziellen Heilkräuter-Tee-Anwendungen. Auch<br />
die Konstellationsforschung wird ins Bewusstsein hereingenommen.<br />
Ein fragender, beobachtender Umgang mit<br />
dem Boden zwingt den Bauern/ die Bäurin zu überlegen,<br />
wie schwer die Maschinen sein dürfen, mit welchen er/<br />
sie das Feld bearbeitet, bei welchem Feuchtigkeitsgrad<br />
er/sie ins Feld hinein fährt. Er/sie beginnt eine Empfindung<br />
dafür auszubilden und langsam entwickelt er/sie in<br />
sich eine Bodenkultur.<br />
Bewahren<br />
Das Rätsel des Lebens und seiner Entstehung liegt<br />
trotz großer wissenschaftlicher Anstrengungen noch immer<br />
im Dunkeln. Wir können nur die Bedingungen schaffen,<br />
dass dieses Leben weiterleben kann. Dass auf den<br />
Feldern Pflanzen wachsen, Tiere sich vermehren.<br />
Wir wissen aus vielen Berichten, wie ganze Landstriche<br />
unfruchtbar gemacht werden (Abholzungen in den<br />
Regenwäldern und anschließender Raubbau, Verwüstung,<br />
Erosionsschäden,…) und dass die Unfruchtbarkeit<br />
bei den Tieren zunimmt.<br />
Das Bewahren der Möglichkeit des Lebendigen wird<br />
damit zur großen Aufgabe. Die Menschen in der <strong>biodynamische</strong>n<br />
Landwirtschaft sind herausgefordert, jene<br />
Seite 113
Zusammenhänge in den Naturreichen zu erfassen, die<br />
Leben ermöglichen. Bei den Pflanzen ist es die umfassende<br />
Frage der Züchtung, die Erhaltung und Pflege von<br />
samenfesten Sorten. Es bedarf der bewussten Hinwendung,<br />
der aufwändigen Auseinandersetzung und des<br />
Verzichts auf ein einseitiges, quantifizierendes Denken<br />
und Wollen. In diesem Fall schafft gerade dieser Verzicht<br />
Kultur. Die Opferung einer reinen Leistungsorientierung<br />
ist auch im Stall zu bringen. Die entsprechende Fütterung,<br />
die ernsteste Zuchtauswahl muss hier das Tun leiten.<br />
So auch die geistige Beschäftigung mit den Themen<br />
des Organismus und der Lebensprozesse. Die Übung,<br />
den Blick immer wieder aufs Ganze zu richten, wird zur<br />
täglichen Notwendigkeit.<br />
Veredeln<br />
Diese Fähigkeit ist in besonderer Weise mit der Biodynamik<br />
verbunden. Das Bestreben, das Lebendige bis<br />
Seite 114<br />
Biodynamischer Landbau<br />
in die Lebensmittel hinein zu bergen und zu bewahren,<br />
zeichnet die Bemühungen in der <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft<br />
aus. Die Einsicht, dass EDEL MACHEN nicht<br />
auf Kosten des Lebendigen betrieben werden darf, ist<br />
hier schon weit entwickelt.<br />
Veredeln bedeutet tendenziell das Verbessern bereits<br />
vorhandener Qualitäten. Damit ist auch die Zuchtarbeit<br />
angesprochen. Diesmal nicht im Sinne der Erhaltung<br />
der Lebensmöglichkeiten, sondern in der bewussten<br />
Auswahl bestimmter Zuchtmerkmale. In diesem Zusammenhang<br />
ist die geistige Beschäftigung mit den Vorstellungen<br />
über Zucht von größter Bedeutung, damit die<br />
Auswahl nicht zur Manipulation wird.<br />
In der Beschäftigung mit der Zucht sind höchste ethische<br />
Wertmaßstäbe zu suchen. Die Frage nach dem<br />
Maßhalten – bei den Griechen eine der vier Kardinaltugenden<br />
– spielt dabei eine große Rolle.<br />
Veredeln enthält als Wortstamm „edel“ und dies<br />
verweist uns auf die ästhetische Dimension alles Seienden.<br />
Darum darf bei der Zucht die ästhetische Dimension,<br />
sowohl der Form als auch der Farbe und Größenverhältnisse<br />
nach, niemals außer Acht gelassen werden. Im<br />
Bedenken und geistigen Bewegen dieser Einzelfaktoren<br />
und gesamtbildlichen Elemente bei Zuchtüberlegungen<br />
schulen wir als Menschen auch unsere eigene ästhetische<br />
Urteilskraft. Wir lernen dabei, unsere intuitive<br />
Wahrnehmung zu erfassen.<br />
Die Welt des Seienden ist nicht nur zu beurteilen nach<br />
Masse und Gewicht, sondern auch nach Schönheit und<br />
Proportion.<br />
Achten<br />
Von Kultur können wir nur sprechen, wenn menschliches<br />
Tun Ausdruck einer physischen, seelischen und
geistigen Tätigkeit wird. Damit ist gemeint, dass wir<br />
als Menschen das rein instinktive Handeln übersteigen<br />
müssen, indem wir unsere seelischen und geistigen Dimensionen<br />
aufrufen.<br />
Vom Wortstamm her finden wir den Begriff achten<br />
noch in anderen Wörtern beachten, betrachten und beobachten.<br />
Diese haben alle mit dem Schauen, dem Hinschauen,<br />
dem inneren und äußeren Anschauen zu tun.<br />
Es ist im Vortrag von Wilhelm Erian sehr schön<br />
beschrieben, wie im beobachtenden, betrachtenden<br />
und beachtenden Hinschauen auf ein lebendiges Wesen<br />
Beziehung entsteht. Durch ein rein materielles Taxieren<br />
bleibt dieser Zugang verwehrt. Denn nur in dem Augenblick,<br />
wo ich das Lebendige in diesem anderen Wesen<br />
erfasse, erkenne ich es als ein Mitgeschöpf und wird es<br />
eine Sehnsucht in mir auslösen, es näher kennen zu lernen.<br />
In diesem Kennenlernen zeigen sich die wesensgemäßen<br />
Merkmale wie von selbst, durch die Hinwendung<br />
sehe ich als Mensch, was dieses andere Wesen – sei es<br />
Tier oder Pflanze oder Boden – braucht. Dies lässt in<br />
der Seele des Menschen eine Fähigkeit wachsen, welche<br />
wir mit Achten bezeichnen. Dieses Achten ist aber kein<br />
Soll-Gebot, wie wir es in den Religionen als Verhaltensanleitung<br />
finden. Dieses Achten entwickelt sich im be-<br />
Biodynamischer Landbau<br />
achtenden und betrachtenden Beziehungsgeschehen im<br />
Seelischen des Menschen zu einem integralen Bestandteil<br />
seiner Persönlichkeit. Es beinhaltet die Möglichkeit<br />
sich auf alles Lebendige auszuweiten. Das schafft auch<br />
ein Bewusstsein von der Ganzheit der Schöpfung.<br />
Mit dieser Kulturfähigkeit verbunden ist die spirituelle<br />
Ausformung dieses Geschehens – das Ehren. Es zeigt<br />
von tiefem Verständnis, wenn ein Mensch für das je Vorgefundene<br />
ein Gefühl der Dankbarkeit und des Ehrens<br />
entwickeln kann.<br />
Rudolf Steiner zeigt in seinem Buch „Wie erlangt man<br />
Erkenntnisse der höheren Welten“ den Schulungsweg<br />
auf, welcher zu dieser Kulturfähigkeit führen kann. 9<br />
Mit diesen Ausführungen möchte ich einen Weg<br />
aufzeigen, wie wir als bewusst handelnde<br />
Individuen durch die Verwirklichung unserer Kulturfähigkeiten<br />
und der Beachtung der Hinweise<br />
zur <strong>biodynamische</strong>n Landwirtschaft eine neue<br />
Kultur auf den Höfen entwickeln können.<br />
Diesen Vortrag hielt Waltraud Neuper am 23.1.2009 im<br />
Rahmen der Ringvorlesung an der Universität für Bodenkultur<br />
in Wien.<br />
9 Steiner, Rudolf: „Wie erlangt man Erkenntnisse der<br />
höheren Welten?“, Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1982<br />
Seite 115
Seite 116<br />
Biodynamischer Landbau
Biodynamischer Landbau<br />
Entwicklung von Naturverständnis, Kulturfähigkeiten und Aspekte von Wirtschaftlichkeit - (Tafelbild übertragen)<br />
Epochale Paradies Vertreibung Seßhaftwerdung Mittelalter Neuzeit Industrielle Revolution<br />
Enttwicklung Mensch ist Mensch bleiebt Mensch beginnt sich Verständnis von Natur Zunehmende Emanzi- Natur wird rein stofflich<br />
ineins mit der verbunden mit der die Erde untertan zu teilweise noch my- pation des Menschen begriffen; Natur ist nicht<br />
Natur und dem Natur - stellt sich machen. thisch, aber schon von der Natur als mehr beseelt;<br />
Göttlichen, ihr aber objektiv Ganzheitliches, Übergang zur Auffas- Schöpfung. Entwick- Natur wird nicht mehr als<br />
Geistigen. gegenüber. mystisches Natur- sung der Natur als lung des mechanisti- lebendiges Ganzes ver-<br />
(Gen3,23) verständnis ein Organismus schen Weltbildes. standen; Natur wird ge-<br />
Beherrschung der Na- dacht als Materie und<br />
tur als Ziel der Naturwissenschaften.<br />
Teilchen.<br />
Aspekte der Überleben sichern, Tauschhandel, Landwirtrschaft wird Technische Beherr- Gesetze der Industriali-<br />
Entwicklung Stillen der biologi- Märkte, zunehmend Medium schung der Natur sierung werden auf die<br />
der Wirtschaft schen Bedürfnisse. Herrschaftsstrukturen der Politik. wird Thema. Landwirtschaft übertragen:<br />
Hierarchien Grundherrschaft; Landwirtschaftl. Technisierung<br />
Entwicklung Entwicklung Landwirtrschaftliche Produkte werden in Intensivierung<br />
der der Kulturfähig- Produkte werden Geld verwandelt. Automatisierung folgen.<br />
Kultur- keiten aus dem Verpflegen der Handelsgut. Akkumulation. Künstliche Verknappung<br />
fähigkeiten Sozialen Gruppe, der Bauen, Bebauen Beginn der Kapitali- zur Preis- und Marktge-<br />
Gemeinschaft Veredeln Bewahren sierung der Land- staltung. Die Landwirt-<br />
Sorge Tragen Ausbilden wirtschaft, Intensi- schaft wird zur großen<br />
vierung durch Technik Industrieanlage.<br />
Achten und Ehren des Göttlichen in Ritualen<br />
und Düngung. Arbeit wird zur Ware.<br />
Entwicklung der<br />
Seelenanteile<br />
E M P F I N D U N G S S E E L E<br />
Noch ganz<br />
V E R S T A N D E S S E E L E<br />
unbewusst E N T W I C K L U N G D E S D E N K E N S A U S D E M T U N<br />
Seite 117
Autorenliste:<br />
Florian Amlinger ist Diplom-Agraringenieur,<br />
Gründungs- und Vorstandsmitglied<br />
Europäisches Kompost Netzwerk (ECN/ORBIT<br />
e.V.) Vorsitzender des Fachnormenkomitees:<br />
„Biologische Abfallbehandlung und -verwertung“<br />
des Österreichischen Normungs-instituts.<br />
Markus Buchmann, Dr. lebt in Winterthur<br />
und arbeitet seit 14 Jahren als freier Mitarbeiter<br />
in der Getreide-züchtung Peter Kunz, einem<br />
Züchtungsunternehmen, das Weizen- und<br />
Dinkelsorten für biologischen und biologischdynamischen<br />
Anbau züchtet. Außerdem amtiert<br />
er als Vorstand im Verein für Bildekräfteforschung.<br />
Er bearbeitet Forschungsprojekte im<br />
Bereich Lebensmittelqualität unter der speziellen<br />
Fragestellung: Was ist die besondere Qualität<br />
an Produkten aus <strong>biodynamische</strong>m Anbau?<br />
Wilhelm Erian Ing., ist <strong>Demeter</strong>bauer in Kraindorf<br />
in Kärnten.<br />
Reinhild Frech-Emmelmann ist Geschäftsführerin<br />
und Pflanzenzüchterin bei Fa. ReinSaat KG.<br />
Oskar Grollegger: Seit 1977 Erhaltung von Getreide-<br />
Landsorten, Beobachtung von Phaseolus Populationen.<br />
Bertold Heyden Dr.: Studium der Biochemie.<br />
Promotion: Grundlagenforschung in der Molekularbiologie,<br />
Max-Planck-Institut für Virus-forschung,<br />
Tübingen. 1974: drei Jahre Mitarbeit am C.G. Carus<br />
Institut, Niefern-Öschelbronn (Krebstherapie; Heilmittel<br />
aus der Mistel), Arbeitsgebiet: Goetheanistische<br />
Seite 118<br />
Biodynamischer Autorenliste Landbau<br />
Botanik. 1977: zehn Jahre Lehrer für Biologie und Chemie<br />
an der Freien Waldorfschule am Bodensee, Überlingen-<br />
Rengoldshausen.1987: Gründung „Verein zur Förderung<br />
der Saatgutforschung im biologisch-dynamischen<br />
Landbau e.V.“ und des Keyserlingk-Institut (1988).<br />
Seitdem in Zusammenarbeit mit biologischdynamischen<br />
Bauern am Bodensee: Saatgutforschung<br />
und Getreidezüchtung (Weizen und Roggen)<br />
durch Auslese aus Hofsorten. Ab Herbst 2003:<br />
Anbau der neu selektierten Regionalsorten in<br />
Kooperation mit vier Bäckereien am Bodensee.<br />
Laufende Forschungsprojekte: (1)<br />
Bedeutung der Grannenbildung und (2) Züchtung<br />
und erste Anbauversuche mit einem Wildgetreide<br />
(Dasypyrum villosum).<br />
Christian Hiß aus Freiburg im Breisgau ist<br />
Gärtnermeister, Gründer und Vorstandsmitglied der<br />
Regionalwert –AG.<br />
Rudolf Keiblinger-Bartsch, Mag. leitet als<br />
Geschäftsführer die sozialtherapeutische Einrichtung<br />
„Lebensgemeinschaft Wurzerhof“.<br />
Ursula Kothny: Geboren 1953 in Nürnberg; Besuch<br />
der dortigen Waldorfschule; Studium der Soziologie.<br />
Seit 1978 <strong>biodynamische</strong> Bäuerin in der Oststeiermark;<br />
Ausbildungen in Organisationsentwicklung, Biografiearbeit,<br />
Gerontologie.<br />
Als Bäuerin setzt sie sich vor allem mit Fragen der fossilen<br />
Energienutzung auseinander. Wie wirkt der tägliche<br />
stundenlange Umgang mit Verbrennungsmotoren auf<br />
die Persönlichkeit und die individuelle Entwicklung?<br />
Welche sozialen, ökonomischen und organisatorischen<br />
Bedingungen sind notwendig, damit <strong>landwirtschaft</strong>liche<br />
Betriebe zu Oasen für geistige Entwicklung werden<br />
können und somit Lebens- und Arbeitsstätten für<br />
spirituelle Entfaltung?
Hannes Neuper: Von 1983 bis 2006 <strong>Demeter</strong>landwirt<br />
in der Steiermark.<br />
Vorstand der <strong>Demeter</strong> Produkte GmbH.<br />
Waltraud Neuper, Mag. war Lehrerin,<br />
<strong>Demeter</strong>bäuerin, arbeitet mit am Aufbau einer<br />
Weiterbildung für <strong>biodynamische</strong> Lebensfelder.<br />
Leopold Selinger, Dr. war Tierarzt in Kärnten<br />
und zählt zu jenem Menschenkreis, welcher den<br />
Österreichischen <strong>Demeter</strong>bund in Österreich<br />
aufbauen half. Er begleitete die Arbeitsgruppe Kärnten/<br />
Steiermark mit seinem Fachwissen als Tierarzt<br />
und mit seinem Verständnis von Anthroposophie.<br />
Walter Sorms: Landwirtschaftsmeister, seit 1985 bewirtschaftet<br />
er mit seiner Frau das Hofgut Rengoldshausen<br />
am Bodensee.<br />
Elisabeth Stöger, Dr., arbeitet als Tierärztin in<br />
Kärnten.Frau Dr. Stöger wurde 1965 in St. Pölten,<br />
NÖ. geboren. Studium der Veterinärmedizin in Wien,<br />
Promotion 1996. Seit 1996 tierärztlich tätig in Kärnten<br />
mit Schwerpunkt Wiederkäuer in verschiedenen<br />
Tierarztpraxen. Seit 1990 Beschäftigung mit<br />
Homöopathie und Phytotherapie, seit 1994 Mitglied<br />
der Internationalen Gesellschaft für Anthroposophische<br />
Tiermedizin (IGAT).<br />
2005-2008 Durchführung des Projektes<br />
„Wiederkäuer-gesundheit im Biolandbau“ mit<br />
Bestandsberatungen und -sanierungen und<br />
Fortbildung für Landwirte österreichweit<br />
Johannes Toegel, Dr. Mag., Musiker, Theologe und<br />
Philosoph, lebt abwechselnd auf einem Kärntner Bergbauernhof<br />
und in einer Einsiedelei im Himalaja. Arbeitet<br />
zusammen mit einem tibetischen Meister seit<br />
mehr als 25 Jahren an der Verbindung von östlicher und<br />
westlicher Kultur und Spiritualität, Seminarleiter und<br />
Biodynamischer Autorenliste Landbau<br />
Meditationslehrer, Begründer und Leiter des Wisdom<br />
Science Project.<br />
Johannes Zwiauer, Dr. Jahrgang 1922, war fast<br />
fünf Jahrzehnte Produktionsleiter und zuletzt pharmazeutischer<br />
Geschäftsführer der Firma WELEDA<br />
Wien und in der Anthroposophischen medizinischpharmazeutischen<br />
Bewegung durch Vorträge, Seminare<br />
und schriftliche Arbeiten bis heute tätig.<br />
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