Diakonie im Blick - Winter 2021
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DIALOG<br />
DIALOG<br />
CORONA-SCHUTZIMPFUNG?!<br />
Eine geistliche Sicht von Michael Mertins,<br />
Superintendent <strong>im</strong> Ev. Kirchenkreis Minden.<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
die <strong>Diakonie</strong> Stiftung Salem ist genauso wie der Ev. Kirchenkreis<br />
Minden Teil unserer Gesellschaft. Auch in <strong>Diakonie</strong><br />
und Kirche gibt es viele Menschen, die sich gegen<br />
Covid-19 <strong>im</strong>pfen ließen und lassen – und andere,<br />
die diese Schutz<strong>im</strong>pfung ablehnen, obwohl dafür bei<br />
ihnen keine medizinischen Gründe vorliegen. Mich irritiert<br />
das. Ich kann es gar nicht begreifen! Wer für die<br />
<strong>Diakonie</strong> Stiftung Salem arbeitet, z. B. in der stationären<br />
oder ambulanten Pflege oder auch in anderen Arbeitsbereichen,<br />
der oder die hat doch täglich Menschen vor<br />
Augen, die besonders gefährdet wären, wenn sie sich<br />
unge<strong>im</strong>pft mit Covid-19 infizieren würden. Und auch in<br />
den Kirchengemeinden und in den Arbeitsfeldern der<br />
Synodalen Dienste begegnen Mitarbeiter/innen täglich<br />
vielen Menschen, bei denen ohne Schutz<strong>im</strong>pfung das<br />
hohe Risiko eines schweren Infektionsverlaufs bestehen<br />
würde. Inzwischen besteht dieses Risiko ja zunehmend<br />
auch für junge Erwachsene ohne Vorerkrankungen, wie<br />
die Belegsituation der Intensivstationen – übrigens auch<br />
<strong>im</strong> Mindener Klinikum – zeigt. Von diesen Covid-Patienten/innen<br />
sind mehr als 90 % nicht ge<strong>im</strong>pft. Dennoch<br />
lehnen einzelne Mitarbeiter/innen auch in der DSS und<br />
in Kirchengemeinden noch <strong>im</strong>mer die rettende Schutz<strong>im</strong>pfung<br />
ab! Warum? Warum ist die Angst vor befürchteten<br />
Nebenwirkungen der Impfung größer als die<br />
Angst vor den schrecklichen Infektionsfolgen, die einem<br />
doch tagtäglich vor Augen stehen, wenn man hinsieht<br />
– ganz zu schweigen von den Langzeitfolgen, unter denen<br />
viele leiden müssen, die von einer Covid-19-Infektion<br />
genesen sind, aber auf Dauer z. B. nicht mehr richtig<br />
schmecken oder riechen können.<br />
Gegen die weltweite Pandemie haben wir in<br />
Deutschland genug rettenden Impfstoff für alle zur<br />
Verfügung – Impfstoff, der in den Entwicklungsländern<br />
dringend benötigt wird. Bei uns aber muss er<br />
weggekippt werden, weil Menschen die Impfung<br />
verweigern. Wie kann das sein? Ja, es gibt schl<strong>im</strong>me<br />
Fake-News, Lügen und Hassparolen, mit denen sogenannte<br />
„Querdenker“ Angst und Verunsicherung<br />
insbesondere in den sozialen Medien verbreiten. Darauf<br />
will ich hier gar nicht eingehen. Da kann ich nur<br />
jeder und jedem raten, der Vernunft und den wissenschaftlich<br />
fundierten Informationen, nicht<br />
aber den Angstmachern zu trauen. Diese verfolgen<br />
politische Ziele und nutzen die Angst<br />
der Leute aus. Denen will ich hier gar keine<br />
weitere Aufmerksamkeit schenken. Aber denjenigen,<br />
die religiöse Beweggründe gegen<br />
das Impfen anführen, schon. Auch sie tragen<br />
mit dazu bei, dass unser Landkreis seit einiger<br />
Zeit die höchste Inzidenz in ganz NRW<br />
hat (Stand heute, 41. KW). Dazu kann und<br />
muss ich als Theologe und Superintendent<br />
etwas schreiben. Denn es ist theologisch völlig<br />
falsch, wenn sich Menschen nicht <strong>im</strong>pfen<br />
lassen, weil sie diese Verweigerung für ein<br />
frommes Gottvertrauen halten. Gott werde<br />
sie schon schützen und wenn nicht, dann sei<br />
es eben sein Wille; der Impfbefürworter dagegen<br />
rechne weniger mit Gott und seiner<br />
Hilfe. Wer so denkt, der oder die verhöhnt Gott, der<br />
seine Schöpfung erhalten will. Gott will, „dass allen<br />
Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der<br />
Wahrheit kommen“ (1. T<strong>im</strong>otheus 2,4). Gott will,<br />
dass seine Menschenkinder gesund leben können.<br />
Wenn jemand erkrankt und schweres Leid tragen<br />
muss, dann ist das nicht etwa Gottes Strafe (vgl. Johannes-Evangelium<br />
9,1-7; Lukas-Evangelium 13, 1-5).<br />
Es ist gar nicht fromm, sich nicht <strong>im</strong>pfen zu lassen,<br />
um auf Gottes Hilfe zu warten, während Gott uns mit<br />
dem Impfstoff doch längst seine Hilfe anbietet. Ich<br />
danke Gott jeden Tag dafür, dass er meine flehenden<br />
Gebete um Rettung aus dieser Seuche erhört hat. Wie<br />
viele andere habe auch ich täglich darum gebetet,<br />
dass Gott die Arbeit der Wissenschaftler/innen segnen<br />
möge, damit wir bald einen wirksamen Schutz<br />
gegen Corona haben. Nun ist es in Rekordzeit gelungen,<br />
alle notwendigen Testreihen abzuschließen und<br />
wirksamen Impfstoff für alle in unserem Land bereitzustellen.<br />
Anzunehmen, der Impfstoff sei unsicher,<br />
weil er in relativ kurzer Zeit erforscht und zugelassen<br />
wurde, das ist pure Angst und entbehrt jeglicher<br />
wissenschaftlichen Grundlage. Wer so denkt und die<br />
Impfung verweigert, versäumt es, Gott dafür zu danken,<br />
dass gute Schutz<strong>im</strong>pfungen jetzt schon möglich<br />
gemacht worden sind. Gott hilft uns bereits. Wir verpassen<br />
seine Hilfe, wenn wir stattdessen das Impfen<br />
und Gottes Schutz als Alternativen verstehen. Wer<br />
so denkt und Impfen ablehnt, der oder die vertraut<br />
gar nicht auf Gott, sondern versucht ihn und fordert<br />
von Gott einen anderen Schutz ein als den, den Gott<br />
uns schon längst darreicht. Es war ja der Teufel in<br />
der Wüste, der von Jesus verlangte, so fromm zu sein,<br />
dass er <strong>im</strong> Vertrauen auf Gottes Schutz sich leichtfertig<br />
in die Tiefe stürzen sollte. Gott werde ihn schon<br />
schützen. Jesus aber widerstand dem Versucher und<br />
zitierte das Alte Testament: „Du sollst Gott nicht versuchen“<br />
(vgl. Matthäus-Evangelium 4,5-7). Es gibt<br />
eine vermeintliche Frömmigkeit, die Jesus selbst als<br />
falsch zurückweist. Ich erlebe sie in diesen Tagen <strong>im</strong><br />
Kreis Minden-Lübbecke bei religiös motivierten Impfgegnern/innen.<br />
Die persönliche Meinung ist in unserem Land frei<br />
– Gott sei es gedankt. Aber die Haltung zur Corona-Schutz<strong>im</strong>pfung<br />
ist m. E. nicht Sache der Privatmeinung.<br />
Wenn es keine medizinischen Gründe gibt,<br />
die gegen die Schutz<strong>im</strong>pfung sprechen, ist diese<br />
keine Geschmacksfrage, zu der man als Christenmensch<br />
diese oder eine andere Haltung einnehmen<br />
kann. Denn es geht um die Gesundheit, ja um das<br />
Leben – um mein eigenes und das meiner Mitmenschen!<br />
Dazu hat Jesus verbindlich das Nötige gesagt:<br />
„Du sollst Gott lieben über alle Dinge und deinen<br />
Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Markus-Evangelium<br />
12,29-31). Mit der Schutz<strong>im</strong>pfung schütze ich<br />
mich selbst und meinen Nächsten, dem ich bei der<br />
täglichen Arbeit in <strong>Diakonie</strong> oder in Kirche begegne.<br />
Deshalb lässt sich das evangelische Profil von <strong>Diakonie</strong><br />
und Kirche nicht vereinbaren mit der Ablehnung<br />
der Schutz<strong>im</strong>pfung aus religiösen Gründen.<br />
Aus Liebe zum<br />
Büro<br />
Manche lehnen die Impfung ab, weil sie staatlichen<br />
Anweisungen nicht trauen. Das hat damit zu tun,<br />
dass sie selbst oder ihre Vorfahren schl<strong>im</strong>me Erfahrungen<br />
mit den totalitären Reg<strong>im</strong>en in der ehemaligen<br />
UDSSR oder DDR machen mussten. Andere sind aktuell<br />
vor Willkürherrschaft und staatlichem Unrecht<br />
in ihren He<strong>im</strong>atländern geflohen. Deshalb sind sie<br />
nun besonders vorsichtig, wenn der Staat Impfungen<br />
empfiehlt. Wir leben aber hier und heute – Gott sei es<br />
gedankt – in einem freiheitlichen Rechtsstaat. Es ist<br />
an der Zeit, dass die üblen Machthaber der Vergangenheit<br />
ihren bösen Einfluss verlieren und die verletzten<br />
Seelen endlich frei werden von den früheren Einschüchterungen.<br />
Wer sich trotz übler Unrechtsreg<strong>im</strong>e<br />
in anderen Ländern nun hier und heute <strong>im</strong>pfen lässt,<br />
der oder die ist schon frei und kann Verantwortung<br />
für sich und für seine Mitmenschen übernehmen. Er<br />
oder sie folgt der freien Vernunft und praktiziert Jesu<br />
Gebot der Nächstenliebe. Wer aber ohne medizinische<br />
Not die Impfung verweigert, weil er mit „denen<br />
da oben“ schlechte Erfahrungen erinnert, der oder<br />
die lässt den totalitären Reg<strong>im</strong>en der Vergangenheit<br />
ihren späten Triumph.<br />
Ich wünsche uns allen, dass wir uns nicht von Ängsten,<br />
sondern vom Vertrauen in Gott leiten lassen und<br />
der Nächstenliebe unter uns Raum geben. „Furcht ist<br />
nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe<br />
treibt die Furcht aus“ – denn: „Gott ist die Liebe“ (1.<br />
Johannesbrief 4,16.18). Nicht die Angst, die sich verweigert,<br />
sondern die Liebe, die Verantwortung übern<strong>im</strong>mt,<br />
wird unserer Gesellschaft guttun und die Risse<br />
heilen. Darum bitte ich Sie: Wenn bei Ihnen medizinisch<br />
nichts dagegenspricht, dann lassen auch Sie<br />
sich <strong>im</strong>pfen. Helfen Sie mit, die Seuche zu überwinden.<br />
Das hat Gottes Verheißung!<br />
Ihr Michael Mertins<br />
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