Das Magazin Nr.1/22
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Retrospektiv<br />
Julian Lage<br />
<strong>Das</strong>s das Cover des aktuellen Albums von Julian Lage,<br />
»Squint«, dem Artwork von »Midnight Blue« ähnlich ist,<br />
mit dem der Gitarrist Kenny Burrell vor fast 60 Jahren<br />
gleichsam die Blaupause für den Hardbop und Soul-Jazz<br />
dieser Zeit lieferte, wie sie damals überaus populär waren,<br />
kommt nicht von ungefähr. Zum einen ist »Squint«<br />
gleichzeitig das Blue-Note-Debüt des 1987 in Kalifornien<br />
geborenen Gitarristen Lage. Zum anderen schielt<br />
(»schielen« ist die deutsche Übersetzung des englischen<br />
Verbs »to squint«) Lage tatsächlich auch auf diese Jahre<br />
Anfang der 1960er, als auf Blue Note einige stilbildende<br />
Gitarristen ihre Alben veröffentlichten. Neben Burrell fällt<br />
einem Grant Green ein, die beide die Gitarre mit einem<br />
so bluesigen, gleichermaßen erdigen wie sahnigen Ton<br />
zu spielen wussten. »Ich hatte das Gefühl, eine Platte machen<br />
zu müssen, die einerseits in der Blue-Note-Historie<br />
verwurzelt ist, andererseits aber auch klar meine eigene<br />
Persönlichkeit widerspiegelt«, erläutert Lage.<br />
Aufgenommen hat Lage seine neue Platte, nachdem er<br />
Anfang 2020 mit seinem Trio mit Jorge Roeder (Bass)<br />
und Dave King (Drums) eine Woche lang im legendären<br />
New Yorker Jazzclub Village Vanguard aufgetreten<br />
war. An diesen sechs Abenden spielten die drei Musiker<br />
ausschließlich Originalstücke des Gitarristen; ungewöhnlich,<br />
denn bis dato fiel Lage vor allem durch seine<br />
eigenwilligen und feinsinnigen Interpretationen fremder<br />
Stücke auf. Die Musiker waren also gut gerüstet, als sie<br />
im August 2020 ins Studio gingen, um die elf Songs von<br />
»Squint« aufzunehmen. Sollte anfangs Lages Jazzmusik<br />
noch eine positive Botschaft übermitteln, so änderte sich<br />
dieser Plan durch die Corona-Pandemie mit ihren Lockdowns,<br />
in denen das Album dann entstanden ist. Durch<br />
die Erfahrungen während dieser aufwühlenden Monate<br />
hat der emotionale Gehalt der Musik noch zugenommen,<br />
haben die Stücke mit dem antizipierenden Zusammenspiel<br />
von Lage, Roeder und King noch an Tiefgründigkeit,<br />
an diskursiver Eloquenz und Reife dazugewinnen<br />
können.<br />
Lage und sein Bassist Roeder kennen sich seit 2009.<br />
Damals erschien das Debütalbum »Sounding Point« des<br />
Gitarristen, bei dem Roeder mit dabei war. Beide verbindet<br />
eine Vorliebe für avancierte Popmusik, beide haben<br />
darüber einen eigenen Zugang in den nahezu grenzenlosen<br />
Kosmos des »Great American Songbook« bekommen,<br />
beide lieben es, aktuelle Songs ebenso wie<br />
historische im Gestaltungsprozess der Interpretation neu<br />
zu formen und sich einzuverleiben. King komplettiert seit<br />
2019 dieses Trio. Mit dem Jazzpiano-Trio The Bad Plus<br />
war der Schlagzeuger zuvor gleichermaßen berühmt wie<br />
berüchtigt dafür, Rocksongs wie beispielsweise Nirvanas<br />
»Smells Like Teen Spirit« in eine aktuelle, improvisierte<br />
Musik zu transformieren.<br />
Konzerttermin<br />
Samstag, 2. April 20<strong>22</strong>, 20:00<br />
Julian Lage Trio<br />
Julian Lage Gitarre<br />
Jorge Roeder Kontrabass<br />
Dave King Drums<br />
Hat sich das Julian Lage Trio auf dem letzten Album<br />
»Love Hurts« noch ausschließlich dem traditionsreichen<br />
»Great American Songbook« aus der Perspektive von<br />
Musikern von Heute genähert, so kehrt man auf »Squint«<br />
dieses Prinzip um und spielt ausschließlich Originale,<br />
die genauso zeitlos klingen wie diese alten Songs, obwohl<br />
(oder gerade weil?) sie die Moderne der Musik per<br />
se in sich tragen. <strong>Das</strong> hat einen simplen Grund, so Lage:<br />
»Obwohl ich natürlich Dave und Jorge im Kopf hatte, als<br />
ich die Stücke schrieb, so habe ich mir dennoch oftmals<br />
vorgestellt, wie meine Musik klingen würde, wenn sie<br />
von historischen Jazzgrößen gespielt würde – von Billy<br />
Higgins, Art Taylor oder Wilbur Ware.« <strong>Das</strong> ist auch der<br />
Garant dafür, warum Konzerte mit dem Julian Lage Trio<br />
so anheimelnd retrospektiv klingen, als würde man dessen<br />
Jazzmusik seit jeher kennen.<br />
Martin Laurentius<br />
Julian Lage<br />
46 <strong>Das</strong> <strong>Magazin</strong><br />
<strong>Das</strong> <strong>Magazin</strong><br />
47