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JusKnacker - Januar'12 - StV Juridicum Salzburg

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<strong>JusKnacker</strong> 11<br />

Am Puls der europäischen<br />

Privatrechtsentwicklung<br />

Das vergangene Jahr 2011 stand<br />

aus zivilrechtlicher Sicht in Österreich<br />

ganz im Zeichen des 200-jährigen<br />

„Geburtstags“ des ABGB.<br />

Zugleich schreitet die europäische<br />

Integration auch im Bereich des<br />

Privatrechts mit großen Schritten<br />

voran. Der Fachbereich Privatrecht<br />

an unserer Fakultät hat diese bestimmenden<br />

Themen gemeinsam<br />

aufgegriffen und – neben einer<br />

Reihe anderer Veranstaltungen –<br />

am 30.9.2011 eine Tagung unter<br />

dem Generalthema „Das ABGB auf<br />

dem Prüfstand des Draft Common<br />

Frame of Reference – Eine Standortbestimmung<br />

anlässlich des<br />

200-Jahre-Jubiläums des ABGB“<br />

ausgerichtet.<br />

Der „Draft Common Frame of Reference“<br />

(DCFR) – was ist das?<br />

Den DCFR kann man am besten<br />

wohl als eine Art Modellgesetz bezeichnen,<br />

das ein großes, über 150<br />

ZivilrechtlerInnen umfassendes europäisches<br />

Forschernetzwerk im<br />

Auftrag der EU-Kommission auf<br />

rechtsvergleichender Grundlage<br />

erarbeitet hat. Ausgehend von Bestimmungen<br />

des allgemeinen Vertragsrechts<br />

(etwa zu den Bereichen<br />

Vertragsabschluss, Willensmängel,<br />

Stellvertretung und Leistungsstörungen),<br />

wofür auf Vorarbeiten der<br />

so genannten Lando-Kommission<br />

aufgebaut werden konnte, umfasst<br />

der DCFR insbesondere weite Teile<br />

des besonderen Vertragsrechts<br />

(zB Kauf- und Dienstleistungsver-<br />

von Ass.-Prof. Dr. Wolfgang Faber<br />

träge, Mobilienleasing, persönliche<br />

Sicherungsgeschäfte), Delikts- und<br />

Bereicherungsrecht, Regelungen<br />

zur Eigentumsübertragung und zu<br />

dinglichen Sicherungsrechten an<br />

beweglichen Sachen und „Trusts“.<br />

Die sechsbändige Abschlusspublikation<br />

(siehe Foto) mit über 6.500<br />

Druckseiten ist Ende 2009 erschienen<br />

1 . Das Werk enthält – aufgeteilt<br />

in zehn „Bücher“ – Regelungsvorschläge<br />

in Artikelform, denen jeweils<br />

umfangreiche Erläuterungen<br />

(„Comments“) und eine rechtsvergleichende<br />

Übersicht („Notes“)<br />

zur Rechtslage in den einzelnen<br />

europäischen Staaten angeschlos-<br />

1 Von Bar/Clive (Hrsg), Principles, Definitions<br />

and Model Rules of European Private<br />

Law – Draft Common Frame of Reference<br />

(DCFR) Full Edition (2009).<br />

sen sind. Einer der sechs Bände,<br />

nämlich jener zu Buch VIII über<br />

den Eigentumserwerb an beweglichen<br />

Sachen, ist übrigens unter<br />

maßgeblicher <strong>Salzburg</strong>er Beteiligung<br />

entstanden: Diesen knapp<br />

1.200-seitigen Teil des DCFR habe<br />

ich gemeinsam mit der früher in<br />

<strong>Salzburg</strong> und nun an der Uni Graz<br />

lehrenden Professorin Brigitta Lurger<br />

mit Unterstützung einer kleinen<br />

Gruppe von ProjektassistentInnen<br />

beigesteuert.<br />

Ass.-Prof. Dr. Faber mit der sechsbändigen „Full Edition“ des<br />

Draft Common Frame of Reference (DCFR)<br />

Dem DCFR kommt übrigens keinerlei<br />

Rechtsverbindlichkeit zu. Es<br />

handelt sich um eine wissenschaftliche<br />

Grundlagenarbeit, auf der –<br />

sofern sie für überzeugend erachtet<br />

wird – der Unionsgesetzgeber bei<br />

der Erlassung neuer Rechtsakte<br />

aufbauen kann. Auch nationale Gesetzgeber<br />

können für Reformen auf<br />

einzelstaatlicher Ebene auf diese<br />

Vorarbeiten zurückgreifen 2 .<br />

Tagung ABGB – DCFR<br />

Hier hakte die schon erwähnte<br />

<strong>Salzburg</strong>er Tagung ein: Erscheint<br />

es für das 200-jährige, durch Rechtsprechung<br />

und Lehre aus- und<br />

teilweise umgeformte ABGB empfehlenswert,<br />

sich – in Einzelfragen<br />

oder allenfalls hinsichtlich ganzer<br />

Rechtsinstitute – nach Vorbild der<br />

Vorschläge des DCFR weiterzuentwickeln?<br />

Dieser Frage gingen<br />

nach einem Einleitungsreferat von<br />

Prof. Brigitta Lurger sechs Lehrende<br />

des hiesigen Fachbereichs Privatrecht<br />

nach – wobei erwartungsgemäß<br />

nicht nur das ABGB auf<br />

den Prüfstand des DCFR gestellt<br />

wurde, sondern umgekehrt auch<br />

das europäische Modellregelwerk<br />

auf den Prüfstand des zwar alten,<br />

aber flexiblen und in der Praxis den<br />

Bedürfnissen des Lebens vielfach<br />

angepassten ABGB.<br />

Eines kann vorweggenommen<br />

werden: In vielen der untersuchten<br />

Bereiche schneidet nach Ansicht<br />

der Referenten das ABGB im direkten<br />

Vergleich gar nicht übel ab.<br />

So arbeitete Prof. Georg Graf in<br />

seinem Beitrag zum Recht der Willensmängel<br />

und Leistungsstörungen<br />

beispielsweise heraus, dass<br />

der DCFR in vielen wesentlichen<br />

Punkten dem österreichischen Irrtumsrecht<br />

sehr nahe steht, viel näher<br />

als etwa dem deutschen BGB.<br />

Prof. Christian Rabl zog das zwar<br />

knappe, aber von klaren Konzep-<br />

2 Soweit bekannt, wurden zB Teile von<br />

Buch VIII des DCFR bereits von der<br />

schottischen Law Commission und bei den<br />

abschließenden Arbeiten an einem neuen<br />

ungarischen Zivilgesetzbuch berücksichtigt.<br />

ten geleitete ABGB-Werkvertragsrecht<br />

dem DCFR-Ansatz eines<br />

viel weiter reichenden Rechts der<br />

Dienstleistungsverträge deutlich<br />

vor. Einem momentan besonders<br />

aktuellen Thema wandte sich Prof.<br />

Andreas Kletečka in seinem Referat<br />

zum Deliktsrecht zu, zumal<br />

ein Ministerialentwurf zur Reform<br />

des österreichischen Schadenersatzrechts<br />

bereits angekündigt ist.<br />

Er hob einige innovative Ansätze<br />

des DCFR hervor, sparte aber<br />

auch nicht mit kritischen Anmerkungen,<br />

etwa zur Regelungsdichte<br />

und Komplexität des DCFR. Auch<br />

der Befund von Prof. Peter Mader<br />

zum Bereicherungsrecht fiel ambivalent<br />

aus: Zwar leidet das Bereicherungsrecht<br />

des ABGB gerade<br />

an seiner starken Zersplitterung,<br />

während der DCFR mit der (wohl<br />

gerade auch aus Studierendenperspektive)<br />

grundsätzlich attraktiven<br />

Idee eines Einheitstatbestands<br />

zu punkten versucht; doch fällt<br />

die DCFR-Regelung letztlich sehr<br />

komplex aus und führt zu einzelnen<br />

fragwürdigen Ergebnissen,<br />

die sich mit der im ABGB vorgenommenen<br />

Differenzierung in verschiedene<br />

Tatbestände vermeiden<br />

lassen. Praktisch alles richtig gemacht<br />

wurde nach Einschätzung<br />

von Prof. Michael Rainer hingegen<br />

bei den Regelungen zur Eigentumsübertragung<br />

an Mobilien<br />

in Buch VIII des DCFR (was den<br />

Verfasser dieser Zeilen naturgemäß<br />

freut). Abschließend habe ich<br />

selbst zum Recht der dinglichen<br />

Mobiliarsicherheiten referiert. Meines<br />

Erachtens liefert Buch IX des<br />

DCFR hierzu Ansätze, die man für<br />

Österreich mittelfristig durchaus<br />

ernsthaft diskutieren sollte – auch<br />

wenn sie grundlegendes Umdenken<br />

erfordern.<br />

Neueste Entwicklungen auf EU-<br />

Ebene<br />

Schneller als erwartet beginnt<br />

der DCFR nun auch bereits konkrete<br />

Spuren im Unionsprivatrecht<br />

zu hinterlassen: Die EU-Kommission<br />

hat im Oktober 2011 einen<br />

Verordnungsvorschlag für ein „Gemeinsames<br />

Europäisches Kaufrecht“<br />

(Common European Sales<br />

Law, kurz CESL) 3 veröffentlicht<br />

– neben der kürzlich im Amtsblatt<br />

kundgemachten „Verbraucherrechte-Richtlinie“<br />

4 mit Änderungen<br />

vor allem für Fernabsatz- und<br />

Haustürgeschäfte sicherlich der<br />

Höhepunkt in der Entwicklung des<br />

EU-Privatrechts im vergangenen<br />

Jahr. Dieser CESL-Entwurf beinhaltet,<br />

insoweit dem UN-Kaufrecht<br />

vergleichbar aber vom Regelungsumfang<br />

her viel weiter gehend,<br />

materielles Einheitsrecht, das die<br />

Parteien eines grenzüberschreitenden<br />

Kaufvertrags als anwendbares<br />

Recht wählen können. Dieser<br />

186 Artikel starke Entwurf baut<br />

in weiten Bereichen ziemlich direkt<br />

auf den Vorschlägen des DCFR<br />

auf.<br />

Uns Privatrechtlern stehen also<br />

weiterhin spannende Zeiten bevor.<br />

Für Sie als Studierende können<br />

sich aus den erwähnten Rechtsakten<br />

und dem DCFR übrigens<br />

haufenweise interessante Dissertations-<br />

und Diplomarbeitsthemen<br />

ergeben. Auch für rechtsvergleichende<br />

Arbeiten bieten die „Notes“<br />

des DCFR einen reichen Fundus<br />

an weitgehend sonst nicht zugänglichem<br />

Grundlagenmaterial.<br />

Ass.-Prof. Dr. Wolfgang Faber<br />

3 KOM(2011) 635 endg.<br />

4 RL 2011/83/EU über die Rechte der Verbraucher,<br />

ABl L 304/64 vom 22.11.2011.

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