15.09.2022 Aufrufe

Venntrilogie Ostbelgien – Wandermagazin 216

Autor Michael Sänger zu Besuch in Ostbelgien auf dem neuen Fernwanderweg „Venntrilogie“, wo Belgien am höchsten, der deutschen Grenze am nächsten und das größte Hochmoor Europas am mächtigsten ist

Autor Michael Sänger zu Besuch in Ostbelgien auf dem neuen Fernwanderweg „Venntrilogie“, wo Belgien am höchsten, der deutschen Grenze am nächsten und das größte Hochmoor Europas am mächtigsten ist

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RegioPanorama<br />

<strong>Venntrilogie</strong><br />

<strong>Ostbelgien</strong><br />

<strong>Venntrilogie</strong>, <strong>Ostbelgien</strong>, Hohes Venn


REGIOPANORAMA VENNTRILOGIE <strong>–</strong> WEITWANDERN DURCH OSTBELGIEN<br />

2 WANDERMAGAZIN Herbst 2022


Hecken sind lebendige Zäune.<br />

Sie strukturieren den Blick in die Ferne,<br />

begrenzen den Nahraum und vieles mehr.<br />

© <strong>Wandermagazin</strong>, M. Sänger<br />

Wo die Zäune<br />

leben<br />

<strong>Venntrilogie</strong>:<br />

Weitwandern durch <strong>Ostbelgien</strong><br />

Der Norden von <strong>Ostbelgien</strong> ist das Land der lebenden Zäune.<br />

Hecken begrenzen öffentliche Feldwege, frieden Wiesen und Weiden ein.<br />

Sie geben den Blicken Halt. Sie strukturieren den mal gewellten, mal sanft<br />

ansteigenden, grünen Naturteppich und zeichnen jede Delle, jeden Hügel nach.<br />

Es sind Gehölzstreifen voller Leben. Heimat von Insekten und Vögeln. Lebensraum<br />

für Igel, Marder & Co. Sie liefern sogar Früchte und Brennholz, dienen als<br />

Eigentumsgrenzen und schützen vor rauen Westwinden. Mal sind sie nur einen<br />

Meter, mal drei und mehr Meter hoch. Im Frühjahr ein weißer Blütensaum,<br />

im Sommer voller überbordender Grünschattierungen und<br />

im Herbst eine Sinfonie in Gelb-, Braun- und Rottönen.<br />

www.wandermagazin.de<br />

3


REGIOPANORAMA ERZGEBIRGE VENNTRILOGIE <strong>–</strong> WANDERN <strong>–</strong> WEITWANDERN IM UNESCO DURCH WELTERBE OSTBELGIEN<br />

Hohes Venn<br />

Breitwandkino<br />

in Urzeitnatur<br />

Das Hohe Venn ist ein gewaltiges Hochmoor. Das Massiv von Stavelot<br />

ragt an der Grenze zu Deutschland 694 m in die Höhe. Schiefertone aus den<br />

Tiefen einer 500 Millionen Jahre alten Erdzeit bilden ein leicht geneigtes<br />

Flachdach. Ein Quadratmeter Moor von 20 cm Dicke saugt locker 72 kg<br />

Wasser auf! Das Klima auf Belgiens First trägt arktische Züge, der Boden<br />

ist wasserundurchlässig und im Weststau atlantischer Winde fällt reichlich<br />

Regen. Hinzu kommt Spagnum, eine kleine wurzellose Sporenpflanze.<br />

Sie entzieht dem Regenwasser die Nährstoffe und bildet riesige<br />

Torfmoosteppiche. Das Venn ist ein 10.000 Jahre altes Urzeitkino<br />

in dem 360 Grad-Breitwandfilmvorführungen in 3D warten.<br />

4 WANDERMAGAZIN Herbst 2022


Was Du siehst, ist aus einer anderen Zeit.<br />

Rund 10.000 Jahre ist das Venn im Kern nahezu<br />

unberührt geblieben. Urzeitfeeling!<br />

© Chris Eyre-Walker<br />

www.wandermagazin.de<br />

5


REGIOPANORAMA VENNTRILOGIE <strong>–</strong> WEITWANDERN DURCH OSTBELGIEN<br />

6 WANDERMAGAZIN Herbst 2022


Auch das bietet die <strong>Venntrilogie</strong>:<br />

Talsperren wie hier bei Robertville<br />

im Tal der Warche<br />

© Chris Eyre-Walker<br />

Arduenna<br />

Waldreiches<br />

Hochland<br />

In den Höhlen der Warche, so der Volksmund, hausen kleine bärtige Kobolde,<br />

die Sotê. Ob die Heinzelmännchen beim Wiederaufbau von Burg Reinhardstein<br />

nachgeholfen haben? Schon denkbar angesichts der kuriosen Geschichte des<br />

kühnen Wächters im Warchetal. Am Nordufer der Warche endet der Naturpark<br />

Venn-Eifel. Südlich schließen sich die Ausläufer der Ardennen an.<br />

Die Kelten nannten sie „Arduenna“, was soviel wie Hochland bedeutet.<br />

Interessant: die 40,4 km lange Warche entspringt als einer der wenigen Vennflüsse<br />

nicht im Hohen Venn, sondern in 640 m Höhe bei Büllingen. Zweimal lässt sie<br />

sich zu veritablen Talsperren aufstauen. Mal Kerbtal, mal Mäanderkönigin <strong>–</strong><br />

Wanderspannung pur ist garantiert.<br />

www.wandermagazin.de<br />

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REGIOPANORAMA VENNTRILOGIE <strong>–</strong> WEITWANDERN DURCH OSTBELGIEN<br />

Was für ein Erlebnis <strong>–</strong> Wandern auf Holzstegen<br />

durch eine außergewöhnliche Landschaft<br />

© Chris Eyre-Walker<br />

Die <strong>Venntrilogie</strong><br />

Drei, drei, zwei<br />

TEXTE: MICHAEL SÄNGER<br />

Drei Landschaften, drei Flüsse, zwei Sprachen <strong>–</strong> ein<br />

Weg. Ganz im Osten von Belgien. Dort wo das Land<br />

am höchsten, der deutschen Grenze am nächsten und<br />

das größte Hochmoor Mitteleuropas am mächtigsten<br />

ist. Hier warten bizarre Geschichten und kuriose<br />

Geschichte auf Wandernde. Die <strong>Venntrilogie</strong> <strong>–</strong> kann<br />

ein Wanderweg spannender sein?<br />

Straßennamen und Schilder mit Namen wie „Vierländerweg“<br />

oder „Vierländerpunkt“ oben am Dreiländereck, dem Startort<br />

der 108 km langen Route, irritieren vermutlich. Dahinter steckt<br />

eine kuriose Geschichte. Die <strong>Venntrilogie</strong> startet exakt unterhalb<br />

des 50 m hohen Baudouin-Turms in 323 m Höhe.<br />

OFFIZIELLE EINWEIHUNG IM FRÜHJAHR 2023<br />

Seit einigen Jahren entwickelt Jef Schuwer, viersprachiger Projektentwickler<br />

und studierter Touristiker bei der Tourismusagentur<br />

<strong>Ostbelgien</strong>, einen neuen Stern am ostbelgischen Wanderhimmel.<br />

Es ist der erste qualitätsgeprüfte Weitwanderweg durch<br />

<strong>Ostbelgien</strong>. In diesem Herbst steht die Beschilderung, im kommenden<br />

Frühjahr wird er offiziell eröffnet. Das Projekt wird<br />

Begegnungen mit dem Weidevieh gehören im Land der Hecken dazu<br />

© Chris Eyre-Walker<br />

von der EU finanziell unterstützt. Die Wanderroute folgt drei<br />

Flusstälern, wechselt dabei auch dreimal scheinbar mühelos die<br />

Sprachgrenzen zwischen Deutsch und Französisch und führt<br />

durch drei faszinierend unterschiedliche Landschaften.<br />

DAS HECKENLAND Der nördliche Teil <strong>Ostbelgien</strong>s ist etwas<br />

für Burgenfreunde. Einige Burgen, Wasserburgen und Schlösser<br />

liegen direkt am Weg. Zum Beispiel die Eyne- oder Emmaburg<br />

über der Göhl südlich von Kelmis (mehr zur Geschichte<br />

s. S. 56). Oder die kompakte Wasserburg von Raeren mit dem<br />

sehenswerten Töpfereimuseum. In Eynatten kann man gleich<br />

zwei Wasserburgen bestaunen. Der Norden <strong>Ostbelgien</strong>s ist aber<br />

insbesondere ein Hecken- und Wiesenland. Alle Dörfer und<br />

Orte liegen eingebettet in einem von Hecken, Gehölzstreifen<br />

und kleinen Wäldern gesäumten grünen Teppich aus Wiesen<br />

und Weiden. Kurios ist die Geschichte von Neutral Moresnet.<br />

Der Ministaat entstand, weil sich der Wiener Kongress 1815<br />

um die Kelmiser Zinkmine stritt. Der Zwergstaat, kaum größer<br />

als 3,6 km 2 , mit Esperanto als Nationalsprache, eigener Nationalhymne,<br />

Flagge und eigenen Briefmarken, existierte von 1816<br />

bis 1919. Das also war das vierte Land!<br />

DER SCHWAMM IN DER HÖHE Die zweite Charakterlandschaft<br />

der <strong>Venntrilogie</strong> ist das Hohe Venn. Das größte<br />

Hochmoor Mitteleuropas und in seinem Kern seit seiner Entstehung<br />

vor rund 10.000 Jahren nahezu unberührt. Die <strong>Venntrilogie</strong><br />

nutzt ganz geschickt das Tal der Hill als Pfadfinder. Sie<br />

ist einer der markantesten Vennflüsse. Wandernde werden im<br />

großen Bogen praktisch von hinten auf die leicht abgeschrägte<br />

Hochfläche des Wallonischen Venn geführt. Eine Passage der<br />

Superlative. Man gewinnt durch das teils tief eingekerbte Tal<br />

der Hill auf größtenteils wunderschönen Pfaden allmählich an<br />

Höhe, bestaunt, wie sich die Vegetation von Hochwald zur Farnund<br />

Grasweide und zum puren Moor mit weißen Wollgrastupfern,<br />

Heidekraut und Torfmoospulten verändert. Eine un-<br />

8 WANDERMAGAZIN Herbst 2022


vergleichlich inspirierende und beeindruckende Annäherung.<br />

Irgendwann verläuft sich die Hill in ungezählte Rinnsale, während<br />

der Wanderweg auf Holzstegen Belgiens höchstem Punkt,<br />

dem Signal de Botrange, entgegenstrebt. Das ist großes Kino!<br />

Nicht minder spannend ist der Abstieg nach Malmedy, wenn es<br />

gilt, den teils wilden Bachtälern verschiedener Vennbäche wie<br />

der Bayehon, Ghaster oder des Trôs Marêts mal talwärts, mal<br />

aufwärts zu folgen. Das ist einfach nur schön.<br />

ZWISCHEN VENN UND ARDENNEN Und nochmals<br />

verlässt man eine Sprach- und Kulturgrenze. Hier Malmedy<br />

mit seinem fröhlichen Savoir-vivre zwischen ehrwürdiger<br />

Kathedrale und den Zeugen einstiger Blüte der Lederwarenund<br />

Papierindustrie. Dort am Ende dann das deutschsprachige<br />

Bergdorf Bütgenbach, zwischen zwei Talsperren an der kraftvoll<br />

strömenden Warche gelegen. Während das Hohe Venn an<br />

das Nordufer der Warche reicht, stoßen von Süden die Ausläufer<br />

der Ardennen an den einzigen Fluss <strong>Ostbelgien</strong>s, dessen<br />

Ursprung nicht im Hochmoor liegt. Die beiden Talsperren sind<br />

Zeugnisse ausgereifter Ingenieurskunst, der Weg selbst zieht<br />

an der Kammlinie entlang, nimmt dann Reißaus ins Tal und<br />

wechselt erst am Fuße der kühnen Burg Reinhardstein wieder<br />

das Warcheufer. Zwergenhafte, bärtige Kobolde sollen hier in<br />

den Höhlen und Felsnischen hausen. Von den Heinzelmännchen<br />

gibt es einige Geschichten (s S. 63). Nach der Talsperre<br />

von Robertville erreicht die <strong>Venntrilogie</strong> wieder Hecken- und<br />

Weidenland. Es erinnert an den Start der Streckenwanderung<br />

im Land der lebenden Hecken.<br />

DIE ETAPPENORTE Dreiländerpunkt als Startort,<br />

Eynatten, Eupen (Bahnanschluss und künftig auch Anschluss<br />

an den Eifelsteig), Signal de Botrange (Bushaltestelle Richtung<br />

Eupen), Malmedy, Robertville und Zielort Bütgenbach<br />

<strong>Venntrilogie</strong><br />

Vaals<br />

S<br />

Vaalserberg<br />

p<br />

325 m<br />

Kelmis<br />

Lontzen<br />

Eupen<br />

Walhorn<br />

Kettenis<br />

Etappenort<br />

Einkehrmöglichkeit<br />

Übernachtungsmöglichkeit<br />

Haltepunkt Abholpunkt oder ÖPNV nach Malmedy<br />

Brandenberg<br />

p<br />

351 m<br />

Hauset<br />

Eynatten<br />

Raeren<br />

Lichtenbusch<br />

WESERTALSPERRE<br />

(LAC D‘EUPEN)<br />

Belgien<br />

NATURPARK<br />

HOHES VENN <strong>–</strong> EIFEL<br />

EINKEHR & ÜBERNACHTUNG Kelmis, Hauset,<br />

Eynatten, Raeren, Eupen, Signal de Botrange (nur Einkehr),<br />

Hotel „Mont Rigi“ (1,5 km entfernt), Sourbrodt, „Ferme<br />

Libert“, Malmedy, Robertville, Weywertz und Bütgenbach<br />

MARKIERUNG Die abgebildete Markierung findet man auf<br />

allen sogenannten Knotenpunkten (diese gibt es allerdings zur<br />

Zeit nur im deutschsprachigen Bereich) oder anderen Wegepfosten.<br />

Etwas kleiner wird zwischen Knoten- und wichtigen<br />

Wegpunkten mit dem Hinweis „<strong>Venntrilogie</strong>“ markiert.<br />

AN- UND ABREISE, MOBILITÄT Mit der Bahn nach Eupen<br />

reisen, von dort per Bus zum Dreiländereck. Alternativ mit der<br />

Bahn bis Bf Aachen-Rothe Erde, Bus 25 bis Vaals Busstation<br />

und mit Bus 259 zum Dreiländerpunkt. Die Abreise erfolgt per<br />

Bus über Malmedy, Verviers nach Eupen und weiter mit der<br />

Bahn. Zwischen Bütgenbach und Malmedy verkehren Busse.<br />

Von Signal de Botrange per Bus nach Eupen. In den Bussen<br />

kann man Fahrkarten kaufen.<br />

TOUREN-APP<br />

www.ostbelgien.eu/de/wandern/wanderroutenplaner<br />

Ferme Libert<br />

NATURPARK HOHES VENN <strong>–</strong><br />

EIFEL/PARC NATUREL HAUTES<br />

FAGNES-EIFEL<br />

Mont Rigi<br />

Mont<br />

Signal de Botrange<br />

p<br />

694 m<br />

Longfaye<br />

Signal de Botrange<br />

Sourbrodt<br />

Robertville<br />

Steling<br />

p<br />

658 m<br />

NATURPARK<br />

HOHES VENN <strong>–</strong> EIFEL<br />

Küchelscheid<br />

INFO- UND KARTENMATERIAL<br />

SOWIE EINE AUSWAHL BUCHBARER PAKETE<br />

Tourismusagentur <strong>Ostbelgien</strong> <strong>Venntrilogie</strong><br />

Hauptstraße 54, B-4780 St. Vith<br />

Tel. 0032/80/28 20 91 (Zentrale 0032/80/22 76 64)<br />

info@ostbelgien.eu<br />

www.ostbelgien.eu, www.venntrilogie.eu<br />

Meiz<br />

Malmedy<br />

Baugnez<br />

Burg<br />

Reinhardstein<br />

Waimes<br />

Champagne<br />

Nidrum<br />

Bütgenbach<br />

www.wandermagazin.de<br />

9


REGIOPANORAMA VENNTRILOGIE SCHWÄBISCHE <strong>–</strong> WEITWANDERN ALB<br />

DURCH OSTBELGIEN<br />

GÖHL<br />

DIE KURVENREICHE<br />

Zwei Wandertage voller Hochgenüsse. Vom Vaalser Berg durch den ehemaligen Zwergstaat<br />

Neutral-Moresnet mit Zeugen alten Bergbaus und wilden Pfaden. Die schöne Göhl weist den Weg<br />

zur Emmaburg. Schloss Thor, die Hammerbrücke, Eynattens Wasserburgen und immer wieder<br />

Hecken, Weiden und Wiesen. Vom Töpferdorf Raeren geht es durch den Hertogenwald nach<br />

Eupen, Hauptstadt der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens.<br />

AUF ZUR GÖHL Der Wald öffnet sich<br />

wenig später, die Route turnt bergab und<br />

nähert sich dem Kelmiser Ortsteil Neu-Moresnet.<br />

Der Weg ins Tal des Tuljebaches,<br />

vorbei an der Stauanlage Heimbach, beoben:<br />

Typisch: Wiesenstiegel<br />

© Chris Eyre-Walker<br />

unten:<br />

Gebüschstreifen sind<br />

Lebensraum für Schmetterlinge,<br />

Vögel und<br />

Säugetiere<br />

© <strong>Wandermagazin</strong>,<br />

M. Sänger<br />

Schnell ist der Trubel unter dem Baudouinturm<br />

am Dreiländereck verstummt.<br />

Der alte Limburgische Reichswald verschluckt<br />

mich förmlich. Ich schreite beschwingt<br />

aus. Wundervoll!<br />

reitet mir größtes Vergnügen. Hin und her windet sich die Route<br />

durch ein Meer blühender Weidenröschen zu einem schmiedeeisernen<br />

Gatter. Dahinter öffnet sich eine sonnenüberflutete Wiese.<br />

Wow! Hinter mir ein erster Blick auf Kelmis, einstige Hauptstadt<br />

des Zwergstaates Neutral-Moresnet (mehr dazu, s. S. 62).<br />

ERZÄHLENDE LANDSCHAFT Inzwischen hat mich die<br />

Göhl begrüßt. Steile Kalksteinwände zeugen von ihrer Kraft.<br />

Seltsame Steinmauern, Reste einer zerstörten Brücke und massive<br />

Eisengitter säumen den Weg entlang der Göhl durch dunklen<br />

Wald. Dann quert die Route die Göhl und steigt unterhalb<br />

der Emma- oder Eyneburg (die schöne Geschichte dazu, s. S. 62)<br />

an. Es beginnt eine sensationelle Pfadpassage. Am Ende<br />

führen „Weidedurchlässe“ aus dem Wallheckenpfad hinein ins<br />

lauschige Hohnbachtal. Zauberhaft, wie die Route nach dem<br />

Oskarstollen dem mäandernden Hohnbach folgt. Umwerfend<br />

danach die von Hecken gesäumte Wiesen- und Weidenpassage<br />

hinauf zum Dorf Astenet.<br />

DIE MONSTERBRÜCKE UND EIN BESCHISSENER BERG<br />

Auffällig in Astenet sind die massiven Bauernhäuser aus Bruchstein<br />

oder Schloss Thor aus dem 18. Jh. Wieder tanzt der Weg<br />

über Wiesen hinunter zum Lontzener Bach. Es folgt ein wilder<br />

Auf- und Ab-Parcours im Gehölzstreifen des Baches. Mal am<br />

Rande von Weiden, dann wieder durch buschähnliches Gelände<br />

mit Stegen und Handläufen. Herrlich! Da ist sie wieder, die Göhl.<br />

Sie weist den Weg zu einer monströsen Brücke. Auf 1,1 km Länge<br />

10 WANDERMAGAZIN Herbst 2022


Das Vlattenhaus in Eynatten<br />

reicht in die Anfänge des Etappenortes zurück<br />

© <strong>Wandermagazin</strong>, M. Sänger<br />

Tourentipp<br />

<strong>Venntrilogie</strong> Abschnitt 1<br />

Heckenland<br />

Streckentour Dreiländereck <strong>–</strong> Eynatten <strong>–</strong> Eupen<br />

Länge: 42,5 km • 2 Tage, ca. 11,45 Std.<br />

Höhenmeter: p 320 m q 383 m • Schwierigkeit:<br />

Start/Ziel: Dreiländereck/B-4700 Eupen, Fußgängerzone<br />

(Klötzerbahn) • An- und Abreise: ÖPNV: Bf Aachen<br />

Rothe Erde, Bus 25 Vaals, Bus 225 Dreiländereck / Bf<br />

Eupen; PKW: NL Vaals, Viergrenzenweg oder B-4851<br />

Gemmenich, Routes des Trois Bornes / B-4700 Eupen<br />

überspannt ein Eisenbahnviadukt auf 22 bis zu 52 m hohen Pfeilern<br />

die Göhl. Wie klein ich mir darunter vorkomme! Vom Göhltal<br />

zieht ein Pfad hinauf zum „Beschissenen Berg“. „Beschissen“? Zu<br />

gerne wüsste ich warum, denn eine hübsch positionierte Bank mit<br />

Blick auf Weidengelände lädt sogar zur gemütlichen Rast. Und<br />

wieder schmiegt sich der Weg an die Göhl. Der heckengesäumte<br />

Pfad von der ehemaligen Kupfermühle führt hinauf nach Hauset,<br />

das „Dorf an der Göhl“.<br />

WASSERBURGEN, MÖHREN & DAS TÖPFERDORF<br />

Der Etappenort Eynatten überrascht mit zwei Wasserburgen, die<br />

sich bis ins 14. Jh. nachweisen lassen. Von hier führt die Route, wie<br />

sollte es auch anders sein, von Weide zu Wiese und zur nächsten<br />

Weide. Mal folge ich ahnungsvoll Tretspuren im Gras, mal werde<br />

ich durch ein Heckenspalier geleitet. Im Weiler Berlotte überrascht<br />

das klitzekleine Möhrenmuseum. In dem schmalen Backsteinturm<br />

gibt es Wunderliches zur Möhre in Selbstbedienung zu<br />

bestaunen. Einige Wiesen, Weiden, Hecken und Durchlässe später<br />

erreiche ich auf einer Anhöhe Raeren. Das deutschsprachige Töpferdorf<br />

erlangte Weltruhm u.a. durch seine Dreihenkel-, Zylinderbauch-<br />

und Bartmannkrüge. Zu sehen ist alles im Töpfermuseum<br />

in der Raerener Wasserburg.<br />

Am Dreiländerpunkt startet die <strong>Venntrilogie</strong>. Sie<br />

führt über den Vaalserberg durch den ehemaligen<br />

Limburger Reichswald hinunter nach Neu-Moresnet<br />

und dann auf schönen Pfaden um Kelmis herum.<br />

Vom Tal der Göhl geht es ins Hohnbachtal (Reste des<br />

Bergbaus), dann erst dem Hohnbach folgend später<br />

hinauf nach Astenet. Vom Lontzener Bach geht es<br />

wieder zur Göhl und unter dem großen Eisenbahnviadukt<br />

hindurch auf den „Beschissenen Berg“. Der<br />

Göhl folgend erreicht man Hauset und später Eynatten<br />

(Etappenort). Von hier geht es über heckengesäumte<br />

Wiesen, Weiden und durch Heckenspaliere in<br />

das Töpferdorf Raeren mit sehenswertem Töpfermuseum<br />

in der Wasserburg. Die folgende Wiesen- und<br />

Weidenpassage führt durch den großen Hertogenwald<br />

bis zum Etappenziel des 2. Wandertages <strong>–</strong><br />

Eupen. Tipp: Kurz vor Eupen soll es demnächst einen<br />

Zubringer zum Eifelsteig geben.<br />

EUPEN <strong>–</strong> EHRWÜRDIGE HAUPTSTADT Rasch verschluckt<br />

mich oberhalb von Raeren der Hertogenwald. Schön<br />

begehbare Waldwege in mit Fichten besetzten Wald bereiten<br />

mich auf den Einzug in eine waschechte Hauptstadt vor. Vorher<br />

lasse ich mich von dem wildromantischen Diepbachtal begeistern.<br />

(Tipp: Hier ist ein Anschluss zum Eifelsteig bei Roetgen in<br />

Planung.) Dann begrüßt mich die Pfarrkirche St. Nikolaus und<br />

über die Schulstraße steige ich in die Oberstadt von Eupen ab,<br />

Hauptsitz des Parlaments, der Regierung und des Ministeriums<br />

der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens. Der Gang durch<br />

die ehemalige Tuchmachermetropole ist eindrucksvoll. Dass ich<br />

dann im Kloster Heidberg in einer Nonnenzelle übernachte, passt<br />

perfekt zu der an Überraschungen reichen <strong>Venntrilogie</strong>.<br />

www.wandermagazin.de<br />

11


REGIOPANORAMA VENNTRILOGIE SCHWÄBISCHE <strong>–</strong> WEITWANDERN ALB<br />

DURCH OSTBELGIEN<br />

DIE HILL<br />

NASSE VENN-GRENZE<br />

Zwei weitere geniale Wandertage <strong>–</strong> versprochen. Aus Eupen durch das Hilltal hinauf<br />

ins Hohe Venn. Wilde Pfade, canyonartige Passagen und Holzstege warten. Schmaler<br />

und schmaler werdend, führt die Hill hinauf zur Signal de Botrange, Belgiens Dachfirst.<br />

Im zweiten Teil folgt die Route wilden Vennbächen, mal bergab, mal bergauf und steigt<br />

schließlich nach Malmedy ab, der quirligen Stadt am Ausgang des Warchetals.<br />

oben:<br />

Wanderpassage durchs<br />

Tal der Trôs Marêts<br />

unten:<br />

Die Hill hat sich verabschiedet.<br />

Hier herrscht<br />

Unendlichkeit.<br />

Fotos: © <strong>Wandermagazin</strong>,<br />

M. Sänger<br />

Eupen, fünf Uhr morgens. Die Glocken<br />

schlagen zur fünften Stunde. Es dämmert<br />

und mit acht Grad ist es reichlich frisch.<br />

Auf geht‘s. Erst hinauf zur Kapelle Johannes<br />

der Täufer, dann blicke ich von der<br />

Moorenhöhe auf die Unterstadt vor mir<br />

und auf eine graugrüne Mauer, die sich wie<br />

mit dem Lineal gezogen über mir abhebt.<br />

Das Hohe Venn. Da will ich hin ...<br />

VON DER SCHWARZEN BRÜCKE INS VENN Die Stadt<br />

der Tuchmacher verlasse ich entlang der Hill. An der Schwarzen<br />

Brücke endet der Asphaltbelag und ein stimmenreiches Vogelkonzert<br />

begrüßt mich. Ab hier nutzt die Route immer wieder<br />

sensationell schöne Passagen dicht an oder über der Hill. Mal ist<br />

es ein frisch bewachsener Schwemmfächer, mal windet sich der<br />

Weg über Felsen auf schmalstem Pfad. Dann begleitet man wieder<br />

nahezu ebenerdig die bernsteinfarbene Hill, die sich geräuschvoll<br />

über unzählige Gesteinsbrocken stürzt oder zwischen rippenartig<br />

aufgerichteten Schieferfelsen geräuschlos in moorigen Gumpen<br />

dümpelt. Wieder wird es wild, der Weg klettert als Felssteig steil<br />

bergauf und führt auf einer breiten Forststraße in einem großen<br />

Rechtsbogen auf die Rückseite des Wallonischen Venns.<br />

FARNWEIDEN, MOOSPULTE, HOLZSTEGE Ich fühle<br />

mich an Schottlands wilden Norden erinnert <strong>–</strong> doch ich bin in<br />

Belgien. Kurz nach dem Zufluss des Spohnbaches führt die Route<br />

über eine Holzbrücke auf die andere Seite zum Grand Bongard<br />

(übersetzt Baumgarten). Es folgt das Sahnehäubchen. Hüfthoch<br />

bedecken Gräser und Farne das nur noch locker mit Birken und<br />

vereinzelten Nadelbäumen bestandene Tor ins Herz des Hohen<br />

Venns. Links gibt die Hill, seit Jahrhunderten Eigentums-, Forst-,<br />

Landes- und Sprachgrenze, das sichere Geleit. Erste Holzstege helfen<br />

die dunkelbraunen Moorlöcher zu überbrücken. (Tipp: Sollte<br />

an der zweiten Brücke die rote Fahne gehisst sein, besteht Brandgefahr.<br />

Dann bitte die ausgezeichnete Alternativroute wählen.)<br />

12 WANDERMAGAZIN Herbst 2022


Links die Hill, nun schon deutlich schmaler,<br />

rechts eine Wandertrasse wie gemalt<br />

© <strong>Wandermagazin</strong>, M. Sänger<br />

Tourentipp<br />

<strong>Venntrilogie</strong> Abschnitt 2<br />

Hohes Venn<br />

Streckentour Eupen <strong>–</strong> Signal de Botrange - Malmedy<br />

Länge: 44,3 km • Dauer: 2 Tage, ca. 12,5 Std.<br />

Höhenmeter: p 813 m q 716 m • Schwierigkeit:<br />

Start/Ziel: B-4700 Eupen, Fußgängerzone (Klötzerbahn)/B-4960<br />

Malmedy, Place Albert 1er • An- und<br />

Abreise: ÖPNV: Bf Eupen / Bus 395 nach Verviers und<br />

per Zug oder per Bus 725 nach Eupen oder zu deutschen<br />

Zielen PKW: B-4700 Eupen / B-4960 Malmedy,<br />

Rue Frederic Lang<br />

Leicht steigt die Route nun an, die Bäume weichen einer schütteren<br />

Vegetation aus zwergwüchsigen Birken, Heidekraut und<br />

Gräsern. Ich betrete Urzeitland! Seit fast 10.000 Jahren unberührt,<br />

archiviert der bis zu acht Meter dicke Torfkörper akribisch, was<br />

Wind, Pollen und Regen eintragen. Ich fühle mich soooo klein<br />

mit Hut in dieser schier unendlichen Weite. Von einer Aussichtsplattform<br />

kann ich die Unendlichkeit rückblickend noch einmal<br />

„greifen“. Hinter mir liegt die Signal de Botrange, Etappenort mit<br />

kleinem Restaurant, Parkplatz, mit Bushaltestelle Richtung Eupen<br />

und einem Turm zur ständigen Brandwache.<br />

WILDE TÄLER, EIN CANYON UND MALMEDY Der<br />

vierte Wandertag startet an der Signal de Botrange und führt<br />

zunächst zum informativen Naturparkhaus. Kurz vor dem<br />

Venndorf Sourbrodt beginnt eine wilde Wanderpartie. Hauptdarsteller<br />

ist der Vennbach Ghaster (wallonisch Ruisseau d`Hâste).<br />

Links und rechts hüpft der Pfad unentwegt auf und ab. Wahnsinn.<br />

Im Tal der Bayehon ist damit Schluss und es geht wieder bergauf.<br />

Der breite Weg wird schmal und schmäler, führt vorbei am größten<br />

Wasserfall des Venns und an der Eiche aller Eichen (wallonisch<br />

Lu Tchân as Tchân). Ab hier wechseln sich Wiesen- und Forstwege<br />

bis zur Querung der Nationalstraße 68 ab. Dann lasse ich meine<br />

Seele wieder von ausgesucht schönen Saum- und Traumpfaden<br />

streicheln. Kurz vor dem Frainou-Venn (die Geschichte dazu, s.<br />

S. 63) folge ich nämlich bergab dem „Rau des Trôs Marêts“. Der<br />

Vennbach springt quicklebendig über Stock und Stein. Talwärts<br />

hat er eine gut 100 Meter tiefe und enge Schlucht gegraben. Die<br />

<strong>Venntrilogie</strong> steigt natürlich in den Canyon hinein. Ich klettere an<br />

Seilen über Geröll und vom Hochwasser angeschwemmte Baumstämme.<br />

Eine Brücke führt auf die andere Talseite, gibt den Blick<br />

rückwertig auf einen Wasserfall frei, bevor es wieder aufwärts der<br />

„Ferme Libert“ entgegen geht. Bis nach Malmedy ist es nun nicht<br />

mehr weit. Noch ein kurzer Besuch der Eremitage Saint Antoine<br />

und dann sehe ich schon die Doppeltürme der Kathedrale von<br />

Malmedy, die Altstadt und das Warchetal vor mir. Was für ein<br />

Wandertag!<br />

Aus der Oberstadt in Eupen geht es über die Moorenhöhe<br />

in die Unterstadt zum Zusammenfluss von<br />

Weser und Hill. Die Hill begleitet den Weg dann nahezu<br />

für ihren gesamten Verlauf. Ab der schwarzen<br />

Brücke folgen wildromantische Pfade, breite Forstwege<br />

und Steigpassagen in einem unberührten Tal.<br />

Man gewinnt allmählich an Höhe und gelangt unterhalb<br />

des Herzoghügels auf die andere Hillseite und<br />

folgt einem wunderschönen, teils mit Holzstegen<br />

versehenen Pfad bis zu einer zweiten Brücke. Achtung:<br />

Wenn hier die rote Flagge zu sehen ist, darf<br />

der weitere Weg durch das Venn nicht begangen<br />

werden, dann bitte die ausgewiesene Umleitung bis<br />

Signal de Botrange wählen. Die Signal de Botrange<br />

markiert das heutige Etappenziel. Mit dem Bus fährt<br />

man zurück nach Eupen. Am folgenden Tag steigt<br />

man hier wieder ein und erlebt größten Wanderspaß<br />

in den Tälern der Vennbäche Ghaster, Bayehon und<br />

Trôs Marêts. Wasserfälle, ein Canyon und traumhaft<br />

schöne Passagen führen über die Ferme Libert nach<br />

Malmedy.<br />

www.wandermagazin.de<br />

13


REGIOPANORAMA VENNTRILOGIE <strong>–</strong> WEITWANDERN DURCH OSTBELGIEN<br />

WARCHE<br />

DIE SCHNELL FLIESSENDE<br />

Die Schlusspunkte der <strong>Venntrilogie</strong> setzen Warche und Ardennenausläufer. Aussichtsbalkone und<br />

Saumpfade führen zur Burg Reinhardstein. Die Route klettert hinauf zum fjordähnlichen Stausee von<br />

Robertville. Weiter geht es an und über der Warche zur einstigen Vennbahn. In Höhe Weywertz zieht<br />

die Route durch einen Wiesenteppich mit eindrucksvoller Heckeneinfassung hinauf nach Bütgenbach.<br />

oben:<br />

Holzsteg über einen der<br />

Seitenarme der Talsperre<br />

von Robertville<br />

unten:<br />

Napoleonsfelsen<br />

im Warchetal<br />

Fotos: © <strong>Wandermagazin</strong>,<br />

M. Sänger<br />

Adieu Malmedy! Das Treiben auf dem<br />

Place Albert 1er mit seinem Obelisken<br />

von 1781 im Herzen der Altstadt ist ein<br />

schöner Kontrast zur völligen Einsamkeit<br />

im Venn. Steil steigt der Weg durch die<br />

Rue Gretedar hinauf zum Kalvarienberg<br />

auf dem Livremont. Erhaben thront die<br />

Bruchsteinkapelle St. Agathe und Apolline<br />

von 1728 auf dem Gipfel. Mon Dieu <strong>–</strong> was<br />

für ein Einstieg!<br />

WASSERKRAFT UND WEITBLICKE Jählings hat die<br />

Warche den von Süden herandrängenden Ardennen Einhalt geboten<br />

und eine tiefe Furche in das Grundgebirge gehobelt. Die <strong>Venntrilogie</strong><br />

nutzt die Kammlinie, um mich mit kühnen Ausblicken zu<br />

verwöhnen. Der braune Turm vor Chôdes ist ein wasserwirtschaftliches<br />

Bauwerk. Von hier schießt Wasser aus der Talsperre Robertville<br />

100 m tiefer in das Wasserkraftwerk von Bévercé. Einem Stück<br />

der oberirdischen Pipeline folgt der Wanderweg, bevor er in der<br />

Streusiedlung Chôdes den Kamm erreicht. Fortan tanzen, turnen<br />

und schwingen Saumpfade, kurzzeitig auch Waldwege, knapp<br />

unterhalb der Kammkante durch bewegte und bewegende Vegetation.<br />

Immer wieder öffnen sich herrliche Ausblicke hinüber zum<br />

Hohen Venn und hinunter zu den Warchemäandern.<br />

KÜHNE FESTE, SCHÖNER FJORD Die Traumroute steigt<br />

in Schwüngen ab zum Talboden der Warche. Unten angekommen<br />

staune ich nicht schlecht über den Geröllteppich. Welche Kräfte<br />

entwickelt dieser Fluss! Der Abstecher zur Burg Reinhardstein<br />

muss sein. Trutzig erhebt sich die im 14. Jh. erbaute Burganlage mit<br />

ihren vier Türmen auf felsigem Sporn über dem Tal. Ein Wächter<br />

par excellence (mehr zur Geschichte, s. S. 63). Rasch gelange<br />

ich absteigend wieder zur Warche und steige auf der anderen Seite<br />

steil durch Hochwald auf. Wenig später liegt die 182 m lange und<br />

52 m hohe leicht gebogene Staumauer der Talsperre Robertville<br />

vor mir. Der Wanderpfad wählt nun den schattigen Ufersaum und<br />

schwenkt in einen weit nach Süden hineinragenden Arm. Ich fühle<br />

mich an norwegische Fjorde erinnert. Zurück am See erkenne<br />

14 WANDERMAGAZIN Herbst 2022


Die Warche unterhalb der Burg Reinhardstein <strong>–</strong><br />

über den Steg führt die Route der <strong>Venntrilogie</strong><br />

© <strong>Wandermagazin</strong>, M. Sänger<br />

Tourentipp<br />

<strong>Venntrilogie</strong> Abschnitt 3<br />

Ardennen und<br />

die Warche<br />

Streckentour Malmedy <strong>–</strong> Robertville - Bütgenbach<br />

Länge: 21,8 km • Dauer: 2 Tage, ca. 7 Std.<br />

Höhenmeter: p 497 m q 266 m • Schwierigkeit:<br />

Start/Ziel: B-4960 Malmedy, Place Albert 1er/B-4750<br />

Bütgenbach, Marktplatz • An- und Abreise: ÖPNV: Bf<br />

Verviers oder Eupen, Bus 395 nach Malmedy oder Trois-<br />

Ponts mit Bus 745 / Bus 394 bis Eupen Bushof, Bus 14<br />

bis Aachen Hbf und weiter DB PKW: B -4960 Malmedy,<br />

Rue Frederic Lang / B-4750 Bütgenbach, Marktplatz<br />

ich gegenüber vereinzelt Stege und dann einen Campingplatz mit<br />

Bootsanlegestelle. Kurz darauf, die Glocken von Saint-Joseph in<br />

Robertville läuten gerade zu Mittag, „spuckt“ mich ein schmaler<br />

Pfad in Höhe des Hotels „Des Bains“ an der Nationalstraße 676 aus<br />

und gibt den Blick auf den Etappenort Robertville frei.<br />

EIN FLUSS WIE EIN LIED Die Warche hat etwas Archaisches,<br />

Kraftvolles. Auf der Passage von Robertville kommt man der<br />

schnell eilenden Flussdame immer wieder sehr nah. Kein Wunder,<br />

dass nach Hochwasser die Holzstege mal schief und krumm aussehen.<br />

Also aufgepasst. Hainbuchen, Erlen und Haselnuss wölben ihr<br />

Blätterdach über die quirlige Lebensader. Hier und da ragen moosbewachsene<br />

Felsrippen aus dem Flussbett. Die Flussmusik wechselt<br />

vom melodischen Piano zum eindrucksvollen Forte. Über einen<br />

Jugendzeltplatz gelange ich in einen Bereich der Warche, der auch<br />

als Überflutungsgebiet bei Hochwasser dient. Mannshoch stehen<br />

hier Mädesüß, Weidenröschen, Springkraut und Bärenklau. Wieder<br />

ist die Warche ganz nah, dann führt ein schmaler Steig über<br />

eine Geländestufe hoch am Ufer entlang. Ich bin begeistert. Rechts<br />

tauchen in der Höhe die ersten Häuser von Weywertz auf und der<br />

herrliche Rastplatz „Im Himmelchen“ an der Warche lädt zum Sinnieren<br />

ein. Himmel, wie schön.<br />

Über den Kalvarienberg auf dem Livremont führen<br />

Pfade zu einem Druckbehälter. Von hier wird Wasser<br />

aus der Talsperre von Robertville in das 100 m tiefer<br />

gelegene Kraftwerk von Bévercé gepumpt. Das Bergdorf<br />

Chôdes ist für längere Zeit die letzte Siedlung,<br />

die der an der Kammlinie entlang verlaufende Weg<br />

nimmt. Dann steigt er zur Burg Reinhardstein ins<br />

Warchetal ab. Ein Besuch mit Besichtigung lohnt auf<br />

jeden Fall. Steil geht es dann aufwärts zur Talsperre<br />

von Robertville. Am Seeufer entlang führen herrliche<br />

Pfadstücke und Panoramawege dann zur Brücke<br />

nach Robertville, dem Etappenort. Weiter geht<br />

es an der Talsperre entlang, bis sich der Weg ganz<br />

der schnell fließenden Warche annimmt und über<br />

abenteuerliche Wege bis zu Füßen von Weywertz<br />

folgt. Eine kurze Passage auf der ehemaligen<br />

Vennbahntrasse (heute Radweg) und dann geht es<br />

durch Wiesen, Weiden und Wald hinauf zum Zielort<br />

Bütgenbach.<br />

ADIEU WARCHE, HALLO BÜTGENBACH Am Rastplatz<br />

heißt es Abschied nehmen von der Warche, die man allerdings<br />

am Zielort der <strong>Venntrilogie</strong> mit dem Bütgenbacher Stausee<br />

wieder trifft. Es geht noch einmal mäßig bergan zwischen Weiden,<br />

Wiesen und einigen kleinen Wäldchen vorbei und hindurch.<br />

Schon vor dem deutschsprachigen Weywertz, kurz hinter einem<br />

alten Vennbahnhof auf der nun stillgelegten Bahntrasse, verlässt<br />

die Route die Velotrasse und zieht über kleinere Erhebungen auf<br />

Bütgenbach zu. Wieder gewinnt ein grüner und von Hecken gesäumter<br />

Wiesenteppich die Oberhand. Wenig später gerät der<br />

Kirchturm von Bütgenbach in den Blick. Am Hof Bütgenbach aus<br />

dem 13. Jh. vorbei gelange ich ins Zentrum der deutschsprachigen<br />

Gemeinde. Ich bin am Ziel meiner sechs Wandertage, genehmige<br />

mir eine heiße Schokolade und schließe zufrieden die Augen. Was<br />

war das denn? Traum oder Wirklichkeit?<br />

www.wandermagazin.de<br />

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REGIOPANORAMA VENNTRILOGIE SCHWÄBISCHE <strong>–</strong> WEITWANDERN ALB<br />

DURCH OSTBELGIEN<br />

WAS DIE VENNTRILOGIE<br />

SO ALLES ERZÄHLT …<br />

Interessante und kuriose Geschichten<br />

sowie amüsante Erzählungen aus den drei<br />

Landschaftsbildern der <strong>Venntrilogie</strong>.<br />

Dr. Molly und der<br />

Zwergstaat<br />

Blick auf Kelmis<br />

© <strong>Wandermagazin</strong>, M. Sänger<br />

Die Zinkerzmine in Kelmis war es, über deren künftige Zugehörigkeit sich die „Metternichs“ dieser Welt anno 1815 nicht<br />

einigen konnten. Es entstand der Zwergstaat Neutral-Moresnet. Dass ein gewisser Dr. Wilhelm Molly die Geschicke des<br />

Dorfstaates maßgeblich beeinflusste, klingt alleine schon kurios. Faktenbasiert ist aber auch, dass er Esperanto als Landessprache<br />

einführte, dem Kunststaat zu einer Nationalhymne und eigenen Briefmarken verhalf. 1919 endete der Spuk. Der<br />

Name Kelmis erinnert an den Namen des Zinkerzes: Galmei <strong>–</strong> franz. Calamine. Kalemin war der mittelhochdeutsche Name.<br />

Daraus wurde <strong>–</strong> et voilà <strong>–</strong> Kelmis!<br />

Emma und des<br />

Kaisers Sekretär<br />

Ach, ist das nicht herrlich? Einhard, Biograph Kaiser<br />

Karl des Großen und sein Privatsekretär, hatte sich<br />

in des Kaisers schöne Tochter Emma verliebt. Man<br />

traf sich hier oben auf der Eyne- oder im Volksmund<br />

Emmaburg genannten Anlage. Um verräterische<br />

Spuren eines Mannes von Emmas Kemenate im<br />

frisch gefallenen Schnee zur vermeiden, trug Emma<br />

den Liebhaber huckepack über den Hof. Nicht unbemerkt.<br />

Mehr wird hier nicht verraten.<br />

© Chris Eyre-Walker<br />

Wiesenstiegel-<br />

Einmaleins<br />

Die Weidezu- und -durchgänge sind so verschieden<br />

wie ihre Besitzer. Selten laden schmiedeeiserne<br />

Tore und Türe zum Ein- oder Austritt ein. Meist sind<br />

es Drehkreuze, mal mit stummelförmigen Holzstreben,<br />

mal mit eisernen Stangen. Dann gibt es Wippzugänge,<br />

Schwing- und Klappgatter oder Dreiecksdurchlässe.<br />

Wenn eine Weidefläche aktuell mit Kühen oder Schafen<br />

beweidet wird, kann es unterwegs auch elektrische<br />

Zäune mit isolierten Torgriffen geben.<br />

Eupen, die Kapitale<br />

im Venn<br />

Blick auf die Eupener Unterstadt<br />

© Chris Eyre-Walker<br />

Um an den Anfang von Eupens Geschichte zu gelangen,<br />

müssten wir die Zeitmaschine ins Jahr 1040 dirigieren.<br />

Seither wechselten die Herren wie unsereins das Hemd.<br />

Highlight ist sicher ihre Tuchmachergeschichte, denn<br />

sie steht im Zusammenhang mit der Lage an den Vennflüssen<br />

Weser und Hill. Das extrem weiche Wasser ist<br />

wie geschaffen für das Waschen von Wolle und Garnen.<br />

Über 200 Jahre boomte das Tuchmacherhandwerk, machte viele Kaufleute wohlhabend. Neben den Regierungsgebäuden<br />

der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens ist die Spurensuche der einstigen Tuchmacherblütezeit sehr lohnenswert.<br />

16 WANDERMAGAZIN Herbst 2022


© <strong>Wandermagazin</strong>, M. Sänger<br />

Der letzte<br />

Venn-Einsiedler<br />

Oben im Venn Fraineu sind die Reste der Hütte des<br />

letzten Einsiedlers im Hohen Venn noch zu sehen.<br />

Den sonderlichen Kauz, gelernter Lehrer für Physik<br />

und Mathematik, hatten mehrere Schicksalsschläge<br />

getroffen. Daraufhin entschied er sich 1935, ein<br />

Stück des Venns zu erwerben und hier fortan zu<br />

wohnen. Allen Schicksalsschlägen zum Trotze baute<br />

er seine kärgliche Behausung immer wieder auf. Der<br />

Voksmund taufte ihn auf den Namen Negus <strong>–</strong> die Bezeichnung<br />

für Könige und Kaiser in Äthopien. Warum?<br />

Vermutlich hatte er Ähnlichkeit mit dem letzten<br />

Kaiser Äthopiens Haile Selassi.<br />

Burg<br />

Reinhardstein<br />

Eigentlich wäre sie<br />

heute eine Ruine wie<br />

viele einst stolze Burgen.<br />

Wäre da nicht Jean<br />

Overloop gewesen. Der Professor<br />

und Industrielle hatte an<br />

dem hoch über dem Warchetal gelegenen<br />

Gemäuer einen Narren gefressen und kaufte<br />

1965 die Überreste. Mehr noch, mit der Hilfe<br />

örtlicher Handwerker ließ er Burg Reinhardstein<br />

wieder wie einst entstehen. Bis zu<br />

seinem Tode 1994 wohnte der Burgennarr<br />

selbst auf Burg Reinhardstein. Heute ist sie<br />

ein Publikumsmagnet. Es gibt Gottesdienste,<br />

Konzerte und es werden in diesem Dornröschenschloss<br />

sogar Hochzeiten gefeiert.<br />

Siebenstern<br />

© <strong>Wandermagazin</strong>, K. Lechner<br />

Siebenstern <strong>–</strong><br />

Symbolpflanze<br />

im Hohen Venn<br />

Die zierliche Pflanze wächst im Halbschatten und ist<br />

ein Relikt der letzten Eiszeit. An der zierlichen 6-8 cm<br />

hohen Pflanze gibt es alles siebenfach. Sieben weiße<br />

Blütenblätter, sieben grüne Kelchblätter mit sieben<br />

Staubgefäßen in der Blüte und sieben grüne Laubblätter.<br />

Achja, die Frucht ist eine siebenfach gezahnte Kapsel<br />

mit sieben Samenkörnchen. Sie wächst im Venn und<br />

schmückt alle Schilder am und im Naturschutzgebiet.<br />

Heinzelmännchen<br />

an der Warche<br />

Sie waren klein von Statur, bärtig und sahen aus wie Kobolde.<br />

Wer? Die Sotê. Die dienstbaren Geister wohnten, so der Volksmund,<br />

in den Höhlen des Warchetals. Vielleicht unter der kühnen<br />

Burg Reinhardstein, wo schon lange unterirdische Gänge<br />

vermutet wurden. Aber wehe, wenn sie sich gekränkt fühlten.<br />

Die Zwerge, so heißt es, waren nachtragend, ihre Rache konnte<br />

sehr „süß“ sein. Mehr zu dieser Legende und anderen zur<br />

<strong>Venntrilogie</strong> gibt es in Kürze in einem Begleitbüchlein.<br />

Malmedy <strong>–</strong><br />

Kind der Warche<br />

Nepomuk bewacht die Warchebrücke<br />

© Chris Eyre-Walker<br />

Die Wurzeln der schönen Stadt gehen auf den heiligen Remaclus, Missionsbischof der Ardennen, zurück. Er gründete 648<br />

das Benediktinerkloster Malmedy. Die Abteikirche St. Peter, Paul und Quirin wurde 1921 sogar zur Kathedrale erhoben.<br />

Prägend für die Stadt ist ihre Geschichte der Leder- und Papierindustrie. Eichenwälder für die Lohgerber, das Warchewasser<br />

und Rinder gab es zur Genüge. Leder- und Papierindustrie brachten der Stadt an der Warche Wohlstand und Arbeit.<br />

Man sollte das Malmundarium im ehemaligen Kloster und die Kaufmannsvillen Lang, Villers und Steisel besuchen.<br />

www.wandermagazin.de<br />

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