Von Finnland lernen?! Nach - Perspektive 21
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[ wo ein rad ins andere greift ]<br />
Trotz einiger objektiver Vorteile gilt<br />
<strong>Finnland</strong> keinesfalls als ein harmonisches<br />
Modell der Sozialpolitik 5 , sondern auch<br />
die genannten zentralen Bereiche der Gesellschaftsgestaltung<br />
sind gegenwärtig in<br />
einer Arena heftiger Auseinandersetzungen:<br />
Brauchen junge Familien mehr Betreuungsangebote?<br />
Wie können die Arbeitgeberkosten<br />
bei Schwangerschaft, Elternschaft<br />
und Krankheit des Kindes gerechter<br />
zwischen den Arbeitgebern beider<br />
Eltern geteilt werden? In diesen komplexen<br />
Fragestellungen bahnt sich eine neue<br />
<strong>Perspektive</strong> an, die zeigt, dass <strong>Finnland</strong><br />
zwar in mancher Hinsicht eine vorbildliche<br />
arbeitsmarktfreundliche Familienpolitik<br />
entwickelt hat, aber erst mühsam<br />
dabei ist, in eine familienfreundliche<br />
Arbeitsmarktpolitik umzusteigen.<br />
Historische und aktuelle<br />
Züge des finnischen Modells<br />
<strong>Finnland</strong> gehört zu den Ländern, die –<br />
auf Grund der elterlichen Erwerbsmuster<br />
und Betreuungskulturen der<br />
Kinder –, in der vergleichenden sozialpolitischen<br />
Forschung 6 der Kategorie<br />
Doppelkarrieremodell zugeordnet werden.<br />
7 In diesem Modell sind sowohl<br />
Mann wie auch Frau in Vollzeit be-<br />
schäftigt, und die Kinderbetreuung wird<br />
von formellen Organisationen, in <strong>Finnland</strong><br />
hauptsächlich von kommunalen<br />
Einrichtungen, geleistet.<br />
Frauen haben die<br />
Männer überholt<br />
Rein theoretisch besitzen in diesem<br />
Modell beide Eltern, unabhängig vom<br />
Geschlecht, die Option, ihr Leben<br />
möglichst vielfältig zu gestalten und alle<br />
Lebensbereiche, inklusive Beruf und<br />
Kinder, gleichmäßig zuzulassen. Vor die<br />
Entscheidung „entweder das Eine oder<br />
das Andere“ werden die finnischen Eltern<br />
in dieser Frage gar nicht gestellt. In<br />
der Praxis verteilt sich diese Vielfalt<br />
dennoch ungleichmäßig: Die Chancen<br />
der Vielfalt im Sinne von Familienarbeit<br />
und Betreuungszeiten neben der<br />
Berufstätigkeit werden – trotz gesetzlich<br />
garantierter Rechte und finanziellen<br />
Ausgleichs – von den Vätern erst in geringem<br />
Maße wahrgenommen.<br />
Frauen machen fast die Hälfe (47<br />
Prozent) der Arbeitskraft in <strong>Finnland</strong><br />
aus und arbeiten in der Regel in Vollzeit.<br />
Die Frauen haben die Männer<br />
des Landes in der Erwerbstätigkeit<br />
nicht nur eingeholt, sondern im Bil-<br />
5 Vergessen darf man nicht, dass <strong>Finnland</strong> wie jede Gesellschaft auch ihre besonderen Probleme hat. Um einige zu nennen; international<br />
gesehen ist die Selbstmordrate der finnischen Männer extrem hoch, eine überdurchschnittlich hohe Anzahl von Frauen sterben<br />
wiederum durch Familiengewalt. Das öffentliche Gesundheitssystem weist große Funktionsprobleme auf und die regionale Ungleichheit<br />
in der Versorgung der Bürger/innen mit öffentlich existentiellen Dienstleistungen nimmt besorgniserregend zu.<br />
6 Siehe z.B. Jane Lewis, Erwerbstätigkeit und Betreuungsarbeit, in: Gerhard, Knijn, Weckwert (Hg.), a.a.O., Seite 29-52 sowie Birgit<br />
Pfau-Effinger, Change of Family Policies in the Social-cultural Context of European Societies, in: Compartative Social Research, 18<br />
(1999), Seite 135-159.<br />
7 Siehe Lewis, ebd., Pfau-Effinger, ebd.<br />
perspektive<strong>21</strong><br />
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