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Zeitreise nach Nordhastedt

Friedhofskultur, Erinnerungskultur, Tradition, Heimat, letzter Garten, Identität, Dithmarschen, Ahnen finden, nach Ahnen forschen, Religion, Trost, Hoffnung, Zuversicht, Frieden, Auferstehung, Leben nach dem Tod...

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Friedhofskultur – Heimat – Identität - Familie<br />

Was bleibt von der <strong>Zeitreise</strong> <strong>nach</strong><br />

<strong>Nordhastedt</strong>?<br />

Ein Grabstein – sonst nichts?<br />

Wie vergänglich ist doch alles Zeug, das man um und mit sich<br />

sammelt! In wieviel Bedrängnis bringt man sich Zeit seines<br />

Lebens, weil man Dinge erledigt, die keinen bleibenden Wert<br />

haben! Bei Nachlassauflösungen erfahren wir schmerzlich, dass<br />

die einst gehegten und gepflegten Lieblingsstücke in den Müll<br />

wandern und die Erinnerungen ausgelöscht werden. Selbst die<br />

steinernen Zeugen gelebten Lebens auf den Friedhöfen<br />

verkommen zu gesichtslosen, leeren Blättern und sind nichts.<br />

Wie wohltuend, findet man einen Stein, der sich über<br />

Jahrhunderte in seiner Symbolkraft gegen die Einheitsästhetik<br />

der neueren Zeit durchgesetzt hat.<br />

© peterzornig@chello.at Meine Geschichte - Meine Geschichten


Friedhofskultur – Heimat – Identität - Familie<br />

An einem schauderhaft nebligen, diesigen Novembersamstag<br />

verlasse ich Heimat, Ahnenforschung in Dithmarschen am grauen<br />

Meer. Verlasse ich Schwestern, Nichten, Tanten – liebenswerte<br />

Zeitgenossen - der längst verstorbenen Eltern und die zurück<br />

gebliebene Zeugen einer in Kürze der Vergessenheit<br />

anempfohlener Zeit - auch meines Lebens.<br />

Eine Woche intensiver Auseinandersetzung mit dem Klang, den<br />

Gerüchen und den Bildern der Kindheit, liegen hinter mir. Nun<br />

geht es zurück in die Gegenwart. Ich verlasse mein, mir<br />

permanent vor Augen stehendes, in den Ohren liegendes mein<br />

ganzes Gemüt prägendes „Museum“ - jedoch nicht fluchtartig.<br />

Im Gegenteil.<br />

Bewusst meide ich den geraden Weg der landschaftserschließen<br />

den Schnellstraßen, die alles vernichten, was einst bedeutend für<br />

das Leben der Menschen war. Ich wähle den Weg in wenig<br />

gekannte Richtungen und entschließe mich, hin zu den Gräbern<br />

der Vorfahren meiner Mutter, einen Umweg machend, um ihnen<br />

ein Lebewohl zu sagen.<br />

Ich durchquere eine mir endlose scheinende Gegend, von denen<br />

Mutter erzählte, dass sie als junge Frau Ängste ausstehend mit<br />

dem Fahrrad oft zwei bis drei Stunden unterwegs war, um mit<br />

ihrem ältesten Sohn im Fahrradkorb heimwehstillend, in ihr<br />

Elterndorf <strong>nach</strong> <strong>Nordhastedt</strong> zu fahren.<br />

Aus dem Vermächtnis der Mutter, habe ich aus der Frühzeit der<br />

Fotographie eine in Glas gegossene Abbildung der kleinen<br />

Wehrkirche von <strong>Nordhastedt</strong>, die aus Felssteinen der Gegend<br />

errichtet, die letzten 700 Jahre überdauert hat.<br />

Freundlich reckt sich mir nun ihr zierlicher Dachreiter aus der<br />

Nebeldecke entgegen. Morgen ist hoher evangelischer Feiertag.<br />

Vor dem Totensonntag wird hier in besonderer Weise der<br />

Verstorbenen gedacht. Der große, friedliche Gottesacker hat<br />

seinen schlichten Charakter bewahrt und symbolisiert durch<br />

seine Anlage eine vergangene, dörfliche Atmosphäre. Sie bezog<br />

die Verstorbenen ins Leben mit ein und stellte sie – verpflichtend<br />

für die Nachkommen – in den Mittelpunkt des Geschehens.<br />

Ich durchschreite die Gräberzeilen, Schritt um Schritt, meine<br />

Augen gleiten über jeden Stein, so wie ich es auch in den<br />

vergangenen Tagen auf vielen Kirchhöfen hier getan habe. Ich<br />

habe sie, wie man hier dazu sagt, besucht, mein Gedächtnis<br />

aufrufend <strong>nach</strong> Namen, <strong>nach</strong> Erzählungen aus den Familien.<br />

© peterzornig@chello.at Meine Geschichte - Meine Geschichten


Friedhofskultur – Heimat – Identität - Familie<br />

Aber viele Dokumente auf glänzendem Marmor versagen die<br />

Auskunft. Sie sind leer, denn ohne Namen, ohne Tag und Jahr,<br />

erzählen sie nichts. Wenige Ausnahmen gibt es. Ich finde<br />

welche, die mir vertraut sind. Ihre Daten und ausführliche<br />

Beschreibung sind schnell notiert, auch andere Denkmäler der<br />

Vergangenheit, die den Ort an zentralen Stellen zieren, nehme<br />

ich inhaltlich mit.<br />

Die Zeit gemahnt zur Weiterreise, das Flugzeug wartet nicht<br />

auf mich im entfernten Hamburg. Es ist neblig trüb. Umständlich<br />

suche ich meinen Weg zurück, lasse mich verführen, durch<br />

winkelige, alte, verträumte Dörfer zu fahren.<br />

Ein Straßenschild weist <strong>nach</strong> Vaale. Meine Gedanken wandern zu<br />

Theodor Storm, der hier seinen Lebensabend verbracht hat.<br />

Dann bin ich wieder auf mehrspurigen Bahnen – ...und zurück<br />

im Jetzt.<br />

Wochen später übertrage ich das hastig Niedergeschriebene der<br />

Grabsteine aus <strong>Nordhastedt</strong> auf meinen Datenträger und hoffe,<br />

es wird bewahrt – für einen, der sucht, wie ich gesucht habe.<br />

Wohl weil er so schlicht ist – stellvertretend für seine Zeit –,<br />

vielleicht auch weil er wohl so alt ist – er mag der älteste Zeuge<br />

des ganzen Friedhofs sein – hat man ihn an zentraler Stelle<br />

platziert, aufbewahrt für die Nachfolgenden, gehauen aus dem<br />

aufstrebend hohem Sandstein , mit verzierter Haube in<br />

ausschweifenden Schleifen, als Krönung des langen,<br />

gemeinsamen Lebens der hier Ruhenden.<br />

Ein Grabstein, der mir besonders gefallen und dessen Inschrift<br />

ich jetzt übertrage. Was ich jedoch nicht wusste: Es ist der<br />

Grabstein meiner mütterlichen Ururgroßmutter der mich zu<br />

diesem Besuch bewegte.<br />

Sie führte mich in den letzten Stunden in der Heimat sachte zu<br />

sich, rief sich mir in Erinnerung, da ich ihnen zum ersten Mal seit<br />

vielen Jahren wieder ganz nah sein konnte.<br />

„Siehe, ich will euch senden den Propheten Elia, ehe der große und<br />

schreckliche Tag des HERRN kommt. Der soll das Herz der Väter bekehren zu<br />

den Söhnen und das Herz der Söhne zu ihren Vätern, auf dass ich nicht<br />

komme und das Erdreich mit dem Bann schlage.“ AT, Maelachi 3:24<br />

© peterzornig@chello.at Meine Geschichte - Meine Geschichten


Friedhofskultur – Heimat – Identität - Familie<br />

Grabsteintext<br />

Hier ruhet<br />

Catharina Magdalena Ohlen geb. Ohldefest<br />

13 Okt.1819 - 9 Jan. 1899<br />

Weinend legen wir dich nieder<br />

in dein stilles Schlafgemach<br />

niemals sehen wir uns wieder.<br />

Darum weinen wir dir <strong>nach</strong>.<br />

Doch es schlägt für uns die Stunde.<br />

Wo wir uns einst wiedersehn<br />

wenn vereint zum schönsten Bunde<br />

wir vor Gottes Throne steh‘n.<br />

Der Grabstein wird heute auf dem Friedhof in<br />

<strong>Nordhastedt</strong> als besonderer Stein gehegt.<br />

Jürgen Ohlen<br />

geb. 14.6.1819<br />

in Lütjenbornhodt<br />

gest. 27.1.1908<br />

in <strong>Nordhastedt</strong><br />

Catharina Magdalena<br />

Oldefest<br />

geb. 13.10.1819<br />

in Vaalermoor<br />

gest. 9.1.1899<br />

in <strong>Nordhastedt</strong><br />

lebten seit 25.11.1847<br />

im Ehestande,<br />

zählten 9 Leibeserben<br />

© peterzornig@chello.at Meine Geschichte - Meine Geschichten

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