187_StadtBILD_Februar_2019
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
Vorwort<br />
Wir leben derzeit in einer langen Friedensphase.<br />
Den furchtbaren zweiten Weltkrieg überstand die<br />
Stadt fast ohne Schäden, so dass die herrlichen alten<br />
Barock- und Renaissancehäuser in der Altstadt<br />
sowie die schönen Gründerzeitbauten des Jugendstils<br />
täglich viele Touristen in die Stadt locken. Doch<br />
auch in Görlitz gab es nicht nur Friedenszeiten. Einer<br />
der längsten und schlimmsten Kriege, von dem<br />
auch die Stadt grausam heimgesucht wurde, war<br />
der Dreißigjährige Krieg. Katholisches Kaiserreich<br />
und aufmüpfige protestantische Fürsten trugen<br />
die Auseinandersetzung um die wahre Religion auf<br />
den Köpfen und in den Städten des Reiches aus.<br />
Wallensteins Truppen belagerten und eroberten<br />
auch die Stadt Görlitz und plünderten die Stadt<br />
vollkommen aus. Selbst die Zivilbevölkerung wurde<br />
oft grausam vergewaltigt und ermordet. Zusätzlich<br />
fiel in diese Zeit in den heißen Sommermonaten<br />
eine lange Dürreperiode mit Mißernten. (Und dies<br />
obwohl es damals noch keine Dieselfahrzeuge und<br />
Kohlekraftwerke gab). Auch der Winter 1621 war<br />
so streng, dass selbst die Brunnen einfroren. Wolfsrudel<br />
näherten sich der Stadt und verängstigten die<br />
Bevölkerung. In einem sehr informativen Beitrag<br />
unseres Ratsarchivars Siegfried Hoche wird diese<br />
Zeit vor unseren Augen noch einmal lebendig.<br />
Um so erfreulicher ist die eingangs erwähnte heutige<br />
lange Friedensperiode mit dem Erhalt der wertvollen<br />
Görlitzer Bausubstanz. Dabei ist ein Architekt<br />
beinahe in Vergessenheit geraten, dem wir viele<br />
Bauten des Wiener Jugendstils in den gründerzeitlichen<br />
Quartieren der Stadt verdanken, nämlich<br />
dem 1859 am Obermarkt geborenen Gerhard Röhr.<br />
Wir bringen deshalb in dieser Ausgabe den ersten<br />
Teil eines Biogramms des Heimatforschers Harald<br />
Wenske, welcher sich mit der Jugend und Entwicklung<br />
des jungen Gerhard Röhr beschäftigt.<br />
Und Görlitz war zu allen Zeiten eine lebendige und<br />
sportbegeisterte Stadt. Eine eigentlich als elitär verschriene<br />
Sportart, der Fechtsport. Er hatte schon<br />
seit dem 17. Jahrhundert in Görlitz viele Anhänger<br />
und brachte etliche Landes- und sogar Deutsche<br />
Meister hervor, wie 2018 die erst 13-jährige Schülerin<br />
Kimberly Walther. Ein Grund mehr, auch dieser<br />
Sportart und seiner Entwicklung in Görlitz einen<br />
Beitrag zu widmen.<br />
Görlitz war zu allen Zeiten auch eine Stadt reich an<br />
Kultur, die das Leben und die Entwicklung der Stadt<br />
prägte. Nun hat die Stadt eine Kulturentwicklungsplanung<br />
(KEP) mit Ausblick auf das Jahr 2030 als<br />
Entwurf erstellt, der de facto einen Ausblick auf die<br />
Entwicklung der Kulturlandschaft in den nächsten<br />
Jahren geben soll. Wenn man sieht, wie lebendig<br />
Kultur ist und welchen zeitgenössischen Strömen<br />
sie ständig ausgesetzt ist, erscheint dieser Ausblick<br />
ein wenig gewagt, da sich die Entwicklungen<br />
schlecht einschätzen lassen.<br />
Liebe Leserinnen, liebe Leser, machen Sie deshalb<br />
reichlich Gebrauch von Ihrem Recht der Mitwirkung<br />
bis zum 21. <strong>Februar</strong> <strong>2019</strong>. Näheres finden sie unter:<br />
www.goerlitz.de/Goerlitzer-Kultur-2030.html<br />
Mit dieser kleinen Aufgabe versehend, wünschen<br />
wir Ihnen einen hoffentlich milden und angenehmen<br />
<strong>Februar</strong>!<br />
Ihre StadtBild Redaktion<br />
anzeige<br />
Einleitung<br />
3
Friedrich Paul Gerhard Röhr –<br />
Architekt G. Röhr<br />
Geburtshaus Gerhard Röhr, Obermarkt 14<br />
Görlitz wirbt weltweit mit seiner<br />
Altstadt und den großteils sanierten<br />
Ensemble von Wohn- und Geschäftsbauten<br />
aus verschiedenen<br />
Epochen. Die sich anschließende<br />
Innenstadt mit den herrlichen Häusern<br />
der Gründerzeit und des Jugendstils<br />
sind aber erst recht einen<br />
Rundgang wert. Weitgehend in Vergessenheit<br />
geraten ist hierbei, dass<br />
viele dieser schmucken Zeitzeugen<br />
von dem großen Görlitzer Architekt<br />
und Baumeister Gerhard Röhr gestaltet<br />
und errichtet worden. Auf<br />
Schritt und Tritt begegnen wir diesen<br />
prachtvollen Bauten aus der Jahrhundertwende<br />
des ausgehenden<br />
19. und beginnenden 20. Jahrhunderts,<br />
die alle die unverwechselbare<br />
Handschrift dieses großen Baumeisters<br />
tragen.<br />
Ein kurzes und prägnantes Biogramm<br />
über Gerhard Röhr hat der<br />
Historiker Harald Wenske aus Holtendorf<br />
erstellt, welches in Kürze<br />
im Buch: Harald Wenske (Markersdorf)<br />
„Arbeiter am Rauhen Stein -<br />
anzeige<br />
4<br />
Persönlichkeiten
Leben und Werk eines bedeutenden Görlitzer Architekten<br />
Architekt G. Röhr<br />
Freimaurer in Görlitz“ erscheinen<br />
wird. Mit freundlicher Genehmigung<br />
des Autors bringen wir hier schon<br />
einen Vorabdruck über das Leben<br />
und Schaffen Gerhard Röhrs: Gerhard<br />
Röhr wurde als ältester von<br />
insgesamt 8 Kindern, von denen<br />
nur vier ihre Kindheit überlebten,<br />
am 18.7.1859 in Görlitz, Obermarkt<br />
(heutige Nr. 14), geboren. Seine<br />
Mutter Agnes geborene Jurisch war<br />
Hausfrau, während der Vater Johann<br />
Friedrich Röhr als Lehrer tätig<br />
war. Röhr erhielt mit seiner Taufe<br />
am 31.7.1859 in der Görlitzer Kirche<br />
Sankt Peter und Paul neben dem<br />
Vornamen seines Vaters Friedrich<br />
noch die Vornamen Paul Gerhard,<br />
nach dem bekannten Kirchenmusiker<br />
des 17. Jahrhunderts. Gerhard<br />
wuchs mit seinen Geschwistern,<br />
dem Bruder Constantin und den<br />
Schwestern Elise und Sophie, in<br />
einfachen und bescheidenen, aber<br />
harmonischen Familienverhältnissen<br />
auf. Schon in frühester Kindheit<br />
wurden Röhr und seine Geschwis-<br />
Röhr und sein Freund Höer<br />
anzeige<br />
Persönlichkeiten<br />
5
Friedrich Paul Gerhard Röhr –<br />
Architekt G. Röhr<br />
Stipendium aus der Ephraimschen Stiftung, März <strong>187</strong>6<br />
ter zur selbständigen Erfüllung von<br />
Aufgaben herangezogen. Das beschreibt<br />
sein Sohn Hans-Joachim<br />
Röhr wie folgt: „So erzählte mein<br />
Vater oft, dass alle Kinder ihrer Mutter,<br />
einer kleinen, energischen und<br />
temperamentvollen Frau, zur Hand<br />
zu gehen hatten.“ Die Schulzeit von<br />
Gerhard Röhr dauerte von Ostern<br />
1865 bis <strong>187</strong>7. Stationen waren die<br />
Vorschule zum Gymnasium, Realschule<br />
und die Königliche Gewerbeschule.<br />
Von der Prima wurde er<br />
in die Fachklasse für Bauhandwerker<br />
versetzt. Bemerkenswert ist,<br />
dass der Besuch der Königlichen<br />
Gewerbeschule durch ein Stipendium<br />
aus der Ephraimschen Stiftung<br />
gefördert wurde. Wenige Tage nach<br />
Beendigung seiner Schulzeit begann<br />
Gerhard Röhr am 20.8.<strong>187</strong>7<br />
bei dem lnnungs-Maurermeister<br />
Lissel in Görlitz eine Lehre. Lissel<br />
hatte den Auftrag übernommen,<br />
das Görlitzer Hauptsteueramt zu<br />
errichten. Einen interessanten Einblick<br />
in das Leben eines Maurer-<br />
anzeige<br />
6<br />
Persönlichkeiten
Leben und Werk eines bedeutenden Görlitzer Architekten<br />
Architekt G. Röhr<br />
lehrlings schildert Hans-Joachim Röhr:<br />
„Am Sonnabend, dem 25. August <strong>187</strong>7<br />
konnte mein Vater am Schluß der ersten<br />
Arbeitswoche, als erstes sauer und<br />
redlich selbstverdientes Arbeitsgeld Mk<br />
4,60 in Empfang nehmen. 58 Arbeitsstunden<br />
ungewöhnter Tätigkeit waren<br />
es, in sommerlicher Hitze von 6.00 Uhr<br />
morgens bis 8.00 Uhr abends mit einer<br />
Stunde Mittagspause und je einer halben<br />
Stunde für Frühstück und Vesper.“<br />
Beim Bau des Wohnhauses Uferstraße<br />
Ecke Kahle stellte sich Röhr der praktischen<br />
Prüfung durch Görlitzer Baumeister.<br />
Der Gesellenbrief als Maurer wurde<br />
ihm mit dem Datum 1.5.<strong>187</strong>9 ausgestellt.<br />
Die Leistungen von Gerhard Röhr<br />
sind einem anderen prominenten Bauhandwerker<br />
aufgefallen. In seinem mit<br />
12.7.<strong>187</strong>9 datierten Schreiben empfiehlt<br />
Adolf Lämmerhirt, Regierungs-Baumeister<br />
und 1. Lehrer an der Bauschule zu<br />
Deutsch-Krone, Röhr seinen Görlitzer<br />
Berufskollegen. Er hat ihn als einen „geschickten,<br />
fleißigen, und zuverlässigen<br />
Arbeiter für das Zeichenbureau oder den<br />
Bauplatz“ kennen gelernt. Röhr hatte es<br />
nie bereut, eine Maurerlehre begonnen<br />
zu haben. lm Gegenteil, er sprach immer<br />
von seinem Traumberuf, dem er bis an<br />
sein Lebensende treu blieb.<br />
Seine Freizeit nutzte der junge Röhr in<br />
vielfältiger Weise. Lämmerhirts Empfehlung<br />
hatte für Gerhard Röhr auch auf<br />
dem sogenannten gesellschaftlichen<br />
Parkett Vorteile. Nach dem Besuch der<br />
Tanzschule mit allen seinen Freuden<br />
und kleinen Geheimnissen galt Gerhard<br />
als guter Tänzer. Er legte aber auch großen<br />
Wert auf Theaterbesuche. Die Wochenenden<br />
verbrachte Gerhard Röhr mit<br />
Wanderungen in die nähere und weitere<br />
Umgebung von Görlitz. Diese Liebe zur<br />
Natur hat er dann später auch an seine<br />
Kinder weiter gegeben.<br />
Anfang <strong>187</strong>9 erhielt Gerhard Röhr den<br />
Berechtigungsschein zur Teilnahme an<br />
einem einjährigen freiwilligen Militärdienst.<br />
Obwohl er genau wie sein Vater<br />
den Soldatenrock nie getragen hat, war<br />
er ein treuer Bürger des preußischen<br />
Staates und seines Königshauses. Gerhard<br />
Röhr hatte das Bestreben auf Wanderschaft<br />
zu gehen. Zunächst ging er im<br />
anzeige<br />
Persönlichkeiten<br />
7
Friedrich Paul Gerhard Röhr –<br />
Architekt G. Röhr<br />
Zeugniss über eine bestandene Gesellenprüfung, <strong>187</strong>9<br />
Juli <strong>187</strong>9 für mehrere Jahre nach Berlin.<br />
Das damals bereits berühmte Atelier der<br />
Architekten Kayser und von Großheim<br />
war sein Ziel. Das Studium der vorhandenen<br />
Bauten in der Stadt Berlin aber<br />
auch die Mitwirkung beim Errichten neuer<br />
Gebäude hat auf jeden Fall seinen Horizont<br />
erweitert. ln der Mitte des Jahres<br />
1882 war Röhr ein knappes halbes Jahr<br />
für den Görlitzer Baumeister Julius Gros-<br />
anzeige<br />
8<br />
Persönlichkeiten
Leben und Werk eines bedeutenden Görlitzer Architekten<br />
Architekt G. Röhr<br />
Matrikelschein der K.K. technische Hochschule in Wien, 1882<br />
serô tätig, der sein Geschäft zu diesem<br />
Zeitpunkt auf der Luisenstraße hatte.<br />
Gerhard Röhr zog es nach diesem kurzen<br />
Görlitzer Intermezzo wieder in die<br />
Ferne. Diesmal war die Kaiserstadt Wien<br />
sein Ziel. Von Oktober 1882 bis <strong>Februar</strong><br />
1885 war er bei dem österreichischen<br />
Architekten Otto Hieser tätig. Gleich zu<br />
Beginn seines Wiener Aufenthaltes hat<br />
er sich als außerordentlicher Hörer der<br />
anzeige<br />
Persönlichkeiten<br />
9
Friedrich Paul Gerhard Röhr –<br />
Architekt G. Röhr<br />
Anzeige zur Eröffnung des Ateliers für Architektur und<br />
Kunstindustrie, Gerhard Röhr, Architekt, Mittelstraße 26<br />
K.K. Technische Hochschule in Wien<br />
eingetragen. Der lockere Lebensstil<br />
der Wiener und das vielfältige Treiben<br />
in Wien beeindruckten Röhr.<br />
Der ihm gewährte Zutritt zu den<br />
gehobenen Kreisen der Wiener Gesellschaft<br />
machte ihm unter anderem<br />
auch die Teilnahme an exklusiven<br />
Bällen möglich. Es wird ihm<br />
auch große Freude bereitet haben,<br />
für derartige Bälle Einladungen und<br />
die damals üblichen Tanzkarten zu<br />
entwerfen. Lassen wir wieder seinen<br />
Sohn Hans-Joachim zu Wort<br />
kommen: „... und als guter Tänzer<br />
wird er den Damen seiner Gönner<br />
den Dank erwiesen haben“. Diese<br />
Seiten seines Wiener Aufenthaltes<br />
blieben in seinen Erinnerungen<br />
stets lebendig. Der Aufenthalt in<br />
Wien hatte die Erwartungen Röhrs<br />
hinsichtlich der weiteren beruflichen<br />
Qualifizierung erfüllt. Er kehrte Anfang<br />
1885 nach Görlitz zurück, um<br />
wieder für Baumeister Grosser tätig<br />
zu sein. lm August 1886 eröffnete<br />
der nun 27-jährige Röhr unter Hin-<br />
anzeige<br />
10<br />
Persönlichkeiten
Leben und Werk eines bedeutenden Görlitzer Architekten<br />
Architekt G. Röhr<br />
weis auf seine „vieljährige Tätigkeit<br />
in den berühmten Ateliers der Architekten<br />
Herren Kayser und von<br />
Großheim, Berlin, und Otto Hieser,<br />
Wien“ im Grundstück seiner Eltern,<br />
Görlitz, Mittelstraße 26, ein „Atelier<br />
für Architektur und Kunstindustrie“.<br />
Die ersten Aufträge in Form von<br />
Entwürfen für Mietshäuser waren<br />
Ausdruck des Vertrauens, das seine<br />
Auftraggeber ihm entgegenbrachten.<br />
Die erste größere Aufgabe war<br />
für ihn auch in ethischer Hinsicht<br />
eine Herausforderung. Unter seiner<br />
Leitung erfolgte 1888/1889 die<br />
Auflösung der Grabstellen auf dem<br />
Kirchhof der Frauenkirche. Ein Teil<br />
des so frei werdenden Baugrundes<br />
wurde für das von ihm entworfene<br />
und nach dem deutschen Kaiser<br />
Wilhelm I. benannte Theater verwendet.<br />
(Fortsetzung folgt)<br />
Gartenpavillon für die Villa Lüders auf der Schützenstraße,<br />
einer der ersten kleinen Aufträge<br />
Verwendung der Bilder und Texte<br />
mit freundlicher Genehmigung<br />
von Harald Wenske<br />
anzeige<br />
Persönlichkeiten<br />
11
„Zittau im Wandel“ in Wort und Bild –<br />
Buchvorstellung<br />
Mit einem etwas veränderten Blick setzen<br />
jetzt Daniela und Uwe Kahl sowie Peter<br />
Hennig als Fotograf ihr erfolgreiches Projekt<br />
von „Zittau – Gestern und Heute“ aus<br />
dem Jahr 2017 fort. Gerade erschienen<br />
ist, wieder beim Erfurter Sutton Verlag, ihr<br />
neues Fotobändchen „Zittau im Wandel“.<br />
In bewährter Weise stellen sie wieder je<br />
einer historischen Fotografie eine aktuelle<br />
Aufnahme vom möglichst gleichen Standpunkt<br />
aus gegenüber. Dabei lösen sie sich<br />
nun aber häufiger von der Konzentration<br />
auf markante Einzelobjekte im Stadtbild,<br />
zu Gunsten des schweifenden Blicks über<br />
größere Bereiche der Stadtanlage, über<br />
einzelne Viertel hinweg – oder auch in nicht<br />
mehr vorhandene Winkel der Stadt hinein.<br />
Auch einige Situationen an der Peripherie<br />
der Stadtbebauung werden wieder ins<br />
Blickfeld genommen. Die Vogelperspektive<br />
erlaubt eine gute Orientierung, um<br />
Veränderungen und bestimmte räumliche<br />
Entwicklungen in Teilen der Stadtanlage<br />
zu erkennen. Es werden dabei einige sehr<br />
überraschende Momente des Wandels<br />
freigelegt – direkt am Stadtring sowie innerhalb<br />
und außerhalb davon. Die historischen<br />
Vorlagen stammen wiederum vorwiegend<br />
von Amateur-Fotografen und aus<br />
privaten Fotosammlungen, wodurch meistens<br />
individuell sehr persönliche Blickwinkel<br />
garantiert sind. Aber es sollten auch<br />
einige Aufnahmen „zu Wort“ kommen,<br />
deren exponierten Kamerastandpunkte<br />
Amateuren normalerweise kaum zugänglich<br />
sind und die daher für die meisten von<br />
uns als Zittauer den Reiz des Ungewohnten<br />
oder sogar des Ungeahnten haben.<br />
Ein Blick von einem Türmchen der Weberkirche,<br />
einer vom Dach des Altersheims,<br />
aus einem Fabrikgebäude heraus oder der<br />
Blick vom Bautzner Torturm. Nicht immer<br />
war es praktisch möglich, den historischen<br />
Blickwinkel punktgenau erneut zu treffen<br />
– ihm aber doch sehr nahe zu kommen.<br />
So manche minutiös genaue Recherche<br />
war dazu vorher nötig. Im Falle des nicht<br />
mehr vorhandenen Torturms wählte der<br />
Fotograf Peter Hennig heute den um einige<br />
Meter versetzten Turm des Johanneums<br />
als seinen Ausgangspunkt. Auch<br />
einige kulturell bewegte Momente aus<br />
dem Stadtleben wurden eingefangen –<br />
z.B. eine dicht umvölkerte Elefantenschau<br />
anzeige<br />
12<br />
Buchvorstellung
Buchvorstellung<br />
hinter dem Rathaus am<br />
Rathausplatz oder die stolz<br />
betuchte Bürgerschaft bei<br />
einer feierlichen Denkmaleinweihung<br />
– nicht zu vergessen,<br />
auch den politischen<br />
Zeitumständen geschuldete,<br />
temporäre Akzentsetzungen<br />
der Nachkriegszeit die heute<br />
längst vergessen sind. Das<br />
Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
bald abgerissene, damals<br />
älteste Wohnhaus in Zittau,<br />
gibt einen Eindruck, wie<br />
unsere Stadt wohl um den<br />
Dreißigjährigen Krieg herum<br />
ausgesehen haben mag. In<br />
knappen Texten zu jedem<br />
Bilderpaar erläutern Daniela<br />
und Uwe Kahl sowohl<br />
die abgebildete historische<br />
Situation als auch die an<br />
dieser Stelle vorgegangenen<br />
Veränderungen. Interessant<br />
fand ich auch, in beiden<br />
Büchern, wie oft sich doch<br />
innerhalb weniger Generati-<br />
anzeige<br />
Buchvorstellung<br />
13
„Zittau im Wandel“ in Wort und Bild –<br />
Buchvorstellung<br />
„Der Zirkus kommt!“ Schon die Tierschau auf dem Rathausplatz war eine Attraktion.<br />
onen die Situation für die sommerlichen<br />
Badefreuden in der Stadt so gravierend<br />
verändert hat, dass sich wohl jeder von<br />
seinem eigenen Erleben in der Kindheit<br />
her wie von Ewigkeit geprägt empfindet,<br />
ohne aber von der jeweils völlig anderen<br />
Situation der Eltern und Großeltern auch<br />
nur eine leise Ahnung zu haben. Wo für<br />
wenige Jahre oder Jahrzehnte Umkleidekabinen,<br />
Sprungbretter- und Türme aus<br />
Holz oder dann aus Beton, Schwimmbassins,<br />
Planschbecken und Liegewiesen<br />
mit einem Fassbrause-Kiosk das Gelände<br />
prägten oder sogar bloß eine einfache<br />
anzeige<br />
14<br />
Buchvorstellung
Buchvorstellung<br />
Zittau, Reichenberger Straße Ecke/Albertstraße<br />
Holzstiege in den Fluss hinabführte, findet<br />
sich heute eine Kleingartenanlage oder<br />
ein „künstlicher“ Feuchtbiotop mit Seerosen<br />
sowie ein Freizeit-, Sport- und Gesundheitscenter<br />
mit Bowlingbahnen und<br />
Sauna.<br />
Rolf Matthes<br />
„Zittau im Wandel“ von<br />
Daniela und Uwe Kahl, Peter Hennig<br />
Erfurt: Sutton Verlag, 2018;<br />
120 Seiten: überwiegend Abbildungen,<br />
2 historische Stadtpläne auf den<br />
Vorsätzen; (Sutton Heimat)<br />
ISBN 978-3-95400-961-9;<br />
Preis: 19,99 Euro<br />
anzeige<br />
Buchvorstellung<br />
15
Der Beginn des Dreißigjährigen Krieg (1618-1624) –<br />
Schätze des Ratsarchiv<br />
„Was nun aus diesem schrecklichen<br />
Handel werden wird, gibt die Zeit. Der<br />
allmächtig stehe den seinen bey, und<br />
rette seyn heiliges Wort und Göttliche<br />
Ehr.“ Diese ahnungsvollen Worte<br />
schrieb der ständig in Prag weilende<br />
Görlitzer Beobachter Zacharias Rosenberg<br />
am Ende seines ausführlichen Berichtes<br />
über den Prager Fenstersturz an<br />
den Rat. Das man vor einem 30 Jahre<br />
währenden, brutal geführten Kriege<br />
mit verheerenden Folgen, mit Pest- und<br />
Hungersnöten stand, ahnte zu diesem<br />
Zeitpunkt auch in Görlitz wohl niemand.<br />
Unter dem im April 1611 von den böhmischen<br />
Ständen gekürten König Matthias<br />
blieb die Konfessionsfrage trotz<br />
eines Majestätsbriefes, welcher den<br />
Protestanten die Ausübung ihrer Religion<br />
zusicherte, in der Schwebe. Als er<br />
im Frühjahr 1818 in Böhmen evangelische<br />
Kirchen in Klostergrab und Braunau<br />
sperren bzw. abreißen ließ, begann<br />
der Böhmische Ständeaufstand mit<br />
dem legendären Prager Fenstersturz.<br />
Aufgebrachte Protestanten warfen zwei<br />
als Vorkämpfer der katholischen Partei<br />
bekannte habsburgische Statthalter aus<br />
dem Fenster des Prager Schlosses. Die<br />
Böhmen begannen auch sofort mit der<br />
Werbung von Truppen. In Böhmen wurde<br />
aus der Ständerebellion im August<br />
1618 der Krieg gegen Habsburg dem<br />
sich auch die schlesischen Stände anschlossen.<br />
Die oberlausitzischen Landstände<br />
beteiligten sich und verhielten<br />
sich politisch erst einmal sehr zurückhaltend.<br />
Im März des Folgejahres starb<br />
Kaiser Matthias. Sein bereits 1617 in<br />
Böhmen zum König gekürter Vetter, der<br />
erzkatholische Ferdinand II. fand unter<br />
den herrschenden Umständen keine<br />
Anerkennung in Böhmen mehr. Die böhmischen<br />
Stände boten nun dem protestantischen<br />
sächsischen Kurfürsten<br />
Johann Georg I. die Wenzelskrone. Er<br />
schlug dieses Angebot aus enttäuschte<br />
so natürlich die protestantische Partei.<br />
Aber der Kurfürst stellte die aus seiner<br />
Sicht bedrohte Reichseinheit über die<br />
Konfessionsfrage. So wählten am 6.<br />
August 1619 auch die Stände der Nebenländer<br />
der böhmischen Krone den<br />
Calvinisten Friedrich von der Pfalz zum<br />
anzeige<br />
16<br />
Geschichte
in Görlitz (Schätze des Ratsarchivs)<br />
Kaiser Ferdinand II.<br />
König (Friedrich V.). Am 10. März 1620<br />
empfingen die Görlitzer Bürgerschaft<br />
und der Rat mit Glockengeläut und Kanonendonner<br />
großer Begeisterung den<br />
neuen Landesherren und übergaben<br />
ihm symbolisch die Stadtschlüssel. Die<br />
Wahl des später als „Winterkönig“ in die<br />
Geschichte eingegangenen Friedrich V.<br />
zum böhmischen König bildete einen<br />
riesigen Affront gegen Kaiser Ferdi-<br />
anzeige<br />
Geschichte<br />
17
Der Beginn des Dreißigjährigen Krieg (1618-1624) –<br />
Schätze des Ratsarchiv<br />
nand II, welchem es aber überraschend<br />
schnell gelang, sich mit dem finanziell<br />
potenten Kurfürsten von Sachsen Johann<br />
Georg I. zu verbünden und so<br />
die bitter nötige Waffenhilfe von ihm zu<br />
erhalten. Als Ausgleich für die Kriegskosten<br />
verpfändete ihm der Kaiser die<br />
beiden Markgraftümer Ober- und Niederlausitz.<br />
Der Besitz dieser Territorien<br />
passte freilich in das politische Konzept<br />
des Kurfürsten. Angesichts seines starken<br />
Heeres, schien die Besetzung der<br />
Oberlausitz und Schlesiens schnell und<br />
unblutig zu erfolgen. Kamenz unterwarf<br />
sich bereits am 11. September. Überraschend<br />
wurde Bautzen jedoch durch<br />
eine Streitmacht König Friedrichs unter<br />
dem Markgrafen Johann Georg von<br />
Jägerndorf besetzt. Nach dreiwöchiger<br />
Belagerung eroberten das 12.000 Mann<br />
zählende kursächsische Heer unter Graf<br />
von Mansfeld die völlig durch Bomben<br />
und Brände zerstörte Stadt. Löbau ergab<br />
sich nach kurzer Belagerung am 27.<br />
November. Auch Görlitz litt bereits seit<br />
September unter den böhmisch-schlesischen<br />
Besatzungstruppen des Markgrafen<br />
von Brandenburg-Jägerndorf. Nun<br />
befürchtete man ein ähnliches Schicksal,<br />
wie das der Bautzener. Die Görlitzer<br />
mussten Schanzen aufschütten, die<br />
Tore wurden verrammelt, die Brücke<br />
am Hothertor abgerissen. Kontributionen,<br />
die Unterbringung und Verpflegung<br />
der einige Tausend Mann zählenden<br />
Armee kostete Görlitz bis zu deren<br />
Abzuge am 27. <strong>Februar</strong> 1621 mehr als<br />
6225 Schock Groschen. Plünderungen<br />
und Vergewaltigungen durch marodierende<br />
Söldner gehörten zum Alltag der<br />
Görlitzer. Um die Disziplin der Truppen<br />
musste gar auf dem Obermarkt einen<br />
Galgen aufgestellt werden. Aber erst<br />
einmal, schien ein Glücksstern über<br />
der Stadt zu leuchten. Denn bereits am<br />
8. November erlitt König Friedrich gegen<br />
die kaiserlichen Truppen in der Schlacht<br />
am Weißen Berge bei Prag die entscheidende<br />
militärische Niederlage. Dieses<br />
Ereignis, der plötzlich einbrechende<br />
schneereiche Winter, aber auch die erfolgte<br />
Verpfändung der Oberlausitz an<br />
den sächsischen Kürfürsten führten<br />
dazu, dass letzterer weniger grausam<br />
anzeige<br />
18<br />
Geschichte
in Görlitz (Schätze des Ratsarchivs)<br />
und entschlossen die Eroberung Schlesiens<br />
und des Restes des Landes fortführte.<br />
Er war natürlich darauf bedacht,<br />
die wirtschaftliche Substanz des Landes<br />
nicht nachhaltig zu schädigen. Denn<br />
Steuergelder konnten nur möglichst<br />
unzerstörte Städte und Dörfer liefern.<br />
Bereits am 21. <strong>Februar</strong> 1621 unterwarf<br />
man sich dem sächsischen Kurfürsten.<br />
Zwei Fähnlein sächsischer Truppen (250<br />
Mann) besetzten daraufhin im März die<br />
Stadt. Nach der Huldigung des neuen<br />
Landesherren Kurfürst Johann Georg I.<br />
auf dem Landtag in Kamenz erschien<br />
jener am 28. Juli 1621 auch in Görlitz.<br />
Am 30. Juli hörte er in der Peterskirche<br />
eine Messe des Oberpfarrers und erbitterten<br />
Böhme-Widerparts Gregor Richters.<br />
Am Abend jenes Tages speiste der<br />
Kurfürst gemeinsam mit dem gesamten<br />
Rat. Die erste Phase des langen Krieges<br />
war, anders als etwa im stark zerstörten<br />
Bautzen relativ glimpflich für die Görlitzer<br />
verlaufen. Obwohl es für einige<br />
Jahre auf dem Schlachtfeld ruhig blieb,<br />
blieben die Zeitumstände bedrückend.<br />
Raubende Banden entlassener Söldner<br />
sorgten für Angst und Schrecken auf<br />
den Landstraßen. Der Görlitzer Rat sah<br />
sich trotz drückender Schulden veranlasst<br />
60 Mann zu werben, um diese Marodeure<br />
permanent und wirksam zu bekämpfen.<br />
Zudem stiegen die Preise für<br />
Lebensmittel ins Unermessliche. Dies<br />
hatte viele Ursachen. Zum einen lag das<br />
an den Folgen der grassierenden Münzwirren<br />
der Kipper- und Wipperzeit. Zudem<br />
ernährte auch in Görlitz der Krieg<br />
den Krieg. Die durchziehenden Söldnerheere<br />
requirierten alle denkbaren Nahrungsmittel,<br />
was allein schon zu deren<br />
Verknappung und Verteuerung führte.<br />
Dazu kamen extreme klimatische Verhältnisse<br />
(Kälte, Dürre) in den Jahren<br />
1621 bis 1627, welche permanente<br />
Missernten verursachten und die Menschen<br />
auf das Schlimmste plagten. Im<br />
Januar 1621 herrschte ein solch extremer<br />
Frost, dass die meisten Brunnen,<br />
Rohrbütten und Röhrwasser in den<br />
Häusern zufroren. Die Mägde schlugen<br />
sich an der letzten noch sprudelnden<br />
Rohrbütte um das knappe Wasser. Das<br />
Wild in der Heide war nahezu ausge-<br />
anzeige<br />
Geschichte<br />
19
Der Beginn des Dreißigjährigen Krieg (1618-1624) –<br />
Schätze des Ratsarchiv<br />
rottet. Rudel von 6-10 Wölfen<br />
kamen bzw. näherten sich<br />
den Vorstädten, versuchten<br />
sogar in die Häuser der umliegenden<br />
Dörfer einzudringen.<br />
Die hungrigen Kreaturen<br />
fielen bei Bihain einige Bauern<br />
an und verletzten sie schwer.<br />
Am 11. August 1622 kam es<br />
zu Hungerunruhen. Mangel<br />
und schlechte Münzen führten<br />
dazu, dass fremde Kaufleute<br />
Nahrungsmittel für gutes<br />
Geld aus der Stadt führten.<br />
Der Markt war dadurch völlig<br />
leer. Görlitzer Bürger plünderten<br />
darauf Kaufläden, der Rat<br />
musste eingreifen und 14 der<br />
Tumultierer verhaften lassen.<br />
Auch die Bierpreise stiegen<br />
ins Unermessliche. Im Winter<br />
1624 durften die Besitzer<br />
der Brauhöfe nicht mehr das<br />
ihnen nach dem Braurecht<br />
zustehende Quantum brauen.<br />
Das Getreide was so knapp<br />
und teuer, dass man es für<br />
anzeige<br />
20<br />
Geschichte
in Görlitz (Schätze des Ratsarchivs)<br />
Brot nötiger brauchte. Die Hoffnung<br />
auf Frieden bestand nur kurze Zeit. Die<br />
schlimmsten Nöte sollten erst folgen.<br />
Görlitz im 30-jährigen Krieg – Sterbenszeiten<br />
und Kriegsgräuel<br />
Die an Kursachsen durch Kaiser Ferdinand<br />
II. verpfändete Oberlausitz lag<br />
für einige Jahre fern der Schlachtfelder.<br />
Die rigide Rekatholisierungspolitik<br />
des Kaisers seit 1629 und die brutale<br />
Kriegführung dessen Heerführers Tilly,<br />
besonders 1631 in Norddeutschland<br />
aber auch in Kursachsen, trieben den<br />
sächsischen Kurfürsten an die Seite<br />
des Schwedenkönigs Gustav Adolfs. Mit<br />
ihm ging er am 11. September 1631<br />
eine militärische Allianz ein. Bereits am<br />
6. Oktober rückte ein gewaltiges kaiserliches<br />
Heer unter Marschall von Tieffenbach,<br />
plündernd und mordend in die<br />
Oberlausitz ein, und besetzte vier Tage<br />
später das nur spärlich verteidigte Görlitz<br />
kampflos. In den nächsten Monaten<br />
war die Stadt immer wieder wechselnd<br />
in sächsischer oder kaiserlicher Hand.<br />
Die beiden Folgejahre sollten zu den<br />
schlimmsten in der Stadtgeschichte<br />
werden. Jahrelange Missernten, Plünderungen<br />
und Verwüstung besonders<br />
der Dörfer sorgten für eine schwelende,<br />
permanente Hungersnot. Die Pest traf<br />
nun auf die physisch stark geschwächten<br />
Menschen. Allein im Jahre 1632<br />
starben 6105 Görlitzer, mehr als die<br />
Hälfte der Einwohnerschaft der Stadt<br />
an der Seuche. Im Oktober 1633 wichen<br />
die sächsischen Truppen vor dem<br />
gefürchteten Heer Albrecht von Wallensteins<br />
aus der Oberlausitz zurück. Der<br />
Obristleutnant von Rochau und 300<br />
Elitesoldaten des Wilsdruffschen Regiments<br />
erhielten jedoch den Auftrag,<br />
Görlitz unter allen Umständen zu verteidigen.<br />
Wallensteins Truppen schlossen<br />
die Stadt am 30. Oktober ein. Das<br />
Hauptquartier nahm der Feldmarschall<br />
im Leopodshainer Schloss (Lagow). Der<br />
sächsische Kommandat lehnte trotz<br />
verzweifeltem Flehens der Bürgerschaft<br />
das Angebot Wallensteins ab, bei freiem<br />
Abzuge die Stadt zu übergeben. So<br />
begann ab 14.00 Uhr die vier Stunden<br />
währende Beschießung von Görlitz.<br />
anzeige<br />
Geschichte<br />
21
Der Beginn des Dreißigjährigen Krieg (1618-1624) –<br />
Schätze des Ratsarchiv<br />
Mehr als 300 Schüsse gingen auf die<br />
Stadt nieder. Die Befestigungen am Hälterberg<br />
(Jüdenring) wurden dabei zerstört.<br />
Aber wiederum lehnt von Rochau<br />
ein erneutes Kapitulationsangebot ab.<br />
Darauf erstürmten unter schrecklichen<br />
Verlusten drei Regimenter Wallensteins<br />
die Stadt gegen 19.00 Uhr. Nur von<br />
Rochau und einige seiner Söldner verschanzten<br />
sich noch im „Kaisertrutz“.<br />
Es folgten die schlimmsten Stunden<br />
des gesamten Krieges für die Görlitzer<br />
Bürger. Die Stadt fiel nun der brutalen<br />
Plünderung anheim. Die Berichte in den<br />
Görlitzer Chronika zeichnen ein plastisches<br />
wie schreckliches Bild dieser Ereignisse.<br />
Systematisch schlug man mit<br />
Äxten und Keulen die Tore und Türen<br />
auf. Das Bitten besonders bereits völlig<br />
verarmter Bürger um Schonung, steigerte<br />
die Grausamkeit der entmenschten<br />
Söldner nur noch mehr. In ihrer Wut<br />
wegen der fehlenden Beute mordeten<br />
sie die ohnehin schon am schrecklichsten<br />
leidenden Menschen in ihren Häusern.<br />
Besonders die Frauen litten. Es<br />
wurden „viel ehrliche Frauen und Jungfrauen<br />
geschändet und um ihre Ehre<br />
gebracht, das vor Gott zu erbarmen gewesen…ja<br />
die Wände, Holz und Steine<br />
hätten fast Blut schwitzen und weinen<br />
mögen“, schreibt ein Zeitgenosse. Fast<br />
hätte Görlitz das Schicksal Magdeburgs<br />
ereilt. Denn infolge der wüsten, nächtlichen<br />
Plünderungen, begannen drei<br />
Brauhöfe mit ihren Hinterhäusern auf<br />
dem Obermarkt sowie einige Gebäude<br />
auf der Klostergasse zu brennen. Auch<br />
das Gymnasium im alten Kloster geriet<br />
schon in Gefahr sich zu entzünden. Dieser<br />
Umstand bewegte wohl Feldmarschall<br />
Ilow, der Plünderei ein Ende zu<br />
setzen. Seinem Befehl kamen die Söldner<br />
aber kaum nach. Erst als er und<br />
einer seiner Generäle einige Plünderer<br />
niederstach, beruhigte sich die Lage etwas.<br />
Aber noch am folgenden Morgen<br />
ließ er einen Plünderer am Haken für<br />
den Bierkegel an einem Hause auf der<br />
Langenstraße hängen. Den Bürgern gelang<br />
es so, die drohende Brandkatastrophe<br />
zu verhindern. Am gleichen Tage ergab<br />
sich der Obristleutnant von Rochau<br />
im Kaisertrutz. Er wurde sehr unehren-<br />
anzeige<br />
22<br />
Geschichte
in Görlitz (Schätze des Ratsarchivs)<br />
haft erschossen und dessen Leichnam<br />
im Zwinger zur Schau gestellt. Erst am<br />
4. November zog Wallenstein mit seinem<br />
Heere ab. Auch 1633 wütete noch<br />
die Pest. Man zählte 726 Tote unter<br />
den Bürgern sowie 435 dahingeraffte<br />
Soldaten. Im Jahre 1634 litt man unter<br />
ständigen Scharmützel und Raubzügen<br />
marodierender Söldner aber besonders<br />
unter den wechselnden Besatzungen<br />
der kaiserlichen Truppenkörper. Denn<br />
bei diesen handelte es sich um bunt zusammengewürfelte<br />
Söldnerhaufen, in<br />
denen Glücksritter aus Spanien, Italien<br />
und Kroatien sich brutal zu bereichern<br />
suchten. Am 30. Mai 1635 endlich Hoffnung<br />
auf ein Ende des Leids. Der sächsische<br />
Kurfürst und der Kaiser schlossen<br />
in Prag Frieden. Da der Kaiser die<br />
Forderungen des Kürfürsten für die bisher<br />
geleisteten Kriegsdienste in Höhe<br />
von 72 Tonnen Goldes nicht begleichen<br />
konnte kamen die beiden Lausitzen als<br />
erblich, eigentümlich und unwiderruflich<br />
aber als „ein rechtes Mannlehen<br />
der Krone Böhmens“ an Kursachsen.<br />
Die Konfessionellen Verhältnisse und<br />
die Landesverfassung sollten jedoch<br />
unangetastet bleiben. Im Oktober 1637<br />
huldigten die Oberlausitzer Stände dem<br />
neuen Landesherren förmlich auf dem<br />
Görlitzer Rathaus. Die Hoffnung auch<br />
der Görlitzer auf Frieden erfüllte sich jedoch<br />
nicht. Denn mit dem Prager Friedensschluss,<br />
bei dem der Kurfürst die<br />
Schweden nicht konsultiert hatte, geriet<br />
man mit ihnen in den Kriegszustand.<br />
Immerhin blieb die Oberlausitz vor weiteren<br />
direkten Kriegslasten bis in das<br />
Jahr 1639 verschont. Dann begann die<br />
letzte Phase dieses schrecklichen Krieges<br />
für sie.<br />
Siegfried Hoche<br />
Ratsarchivar<br />
anzeige<br />
Geschichte<br />
23
Fechtsport im Aufwind –<br />
im Aufwind<br />
Der Fechtsport Verein Görlitz e.V. kann<br />
auf eine lange Tradition zurückblicken.<br />
Unter der Rubrik „Turnverein“ wird er<br />
bereits im Jahre 1847 als Abteilung<br />
Fechten aufgeführt und in diesem Zusammenhang<br />
auf die Haupt-Turnhalle<br />
Lessingstraße und Annenkapelle verwiesen.<br />
Nicht nur als Zweikampfsportart<br />
galt Fechten auch als Duell-Methode<br />
mittels Hieb- und Stichwaffen unter Verwendung<br />
von Degen, Florett, Säbel, Stilett,<br />
Bajonett, Lanze, sogar Feldspaten.<br />
Noch heute gehört zu mancher Parade-<br />
Uniform eines Offiziers symbolisch das<br />
Tragen eines „Ehrendolches“. Hauen<br />
und Stechen um die Ehre im Rahmen<br />
eines Duells wurde später durch Pistolen<br />
ersetzt. Erinnert sei daran, dass Alexander<br />
Puschkin und der Arbeiterführer<br />
Ferdinand von Lasalle dabei tödlich verletzt<br />
worden sind. Heutzutage liefern<br />
sich bekannte Persönlichkeiten und Politiker<br />
ein TV-Duell mit heftigen „Wortge-<br />
anzeige<br />
24<br />
Geschichte
Noch immer kreuzen sich in Görlitz die Klingen<br />
Fechtsport im Aufwind<br />
fecht“, jedoch ohne tödliches Schlachtgetümmel.<br />
Gesichtsmasken machen das<br />
Fechten nahezu gefahrlos. Im 17. Jahrhundert<br />
existierte die erste Fechtschule.<br />
Seit 1896 gilt die Sportart als Olympische<br />
Disziplin. Nachdem Motto „ohne<br />
Duell kein Mann“ kämpften Studenten<br />
in Burschenschaften und „Schlagenden<br />
Verbindungen“ nach vorgeschriebenem<br />
Zeremoniell um ihre Ehre. Als lebenslanger<br />
Beweis für Mut und Männlichkeit<br />
konnte jeder den „Schmiss“ (Narben<br />
nach Verletzung an der Wange) bewundern.<br />
Mitunter soll sich so mancher<br />
Schmiss selbst zugefügt worden sein,<br />
um lebenslang Mut und Männlichkeit<br />
zu Schau zu tragen. 1921 nahmen die<br />
Görlitzer Fechter erstmals an einem Turnier<br />
teil und erkämpften in Dresden im<br />
Jahre 1924 den ersten Sieg. Im Jahre<br />
1945 wurde der Fechtsportbund durch<br />
die Besatzungsmacht unter Verweis auf<br />
das geltende Waffenbesitzgesetz verboten.<br />
Als im Jahre 1953 Fechten wieder<br />
anzeige<br />
Geschichte<br />
25
Fechtsport im Aufwind –<br />
im Aufwind<br />
erlaubt wurde, erfolgte die Gründung<br />
der „Fechtsportgemeinschaft der Baufachschule<br />
Görlitz“. Unter dem Trainer<br />
Heinrich Heinrich wurde sie schließlich<br />
in die BSG (Betriebssportgemeinschaft<br />
Aufbau Mitte) umgewandelt. Der Deutsche<br />
Fechterbund wurde am 20. Juli<br />
1958 in Leipzig gegründet, besaß 80<br />
Vereine mit insgesamt 4420 Mitgliedern.<br />
Im Jahre 2017 zählte der Deutsche<br />
Fechtverband 23000 Mitglieder.<br />
Als 1958 der jahrelange verdienstvolle<br />
Trainer Heinrich Heinrich verstarb, oblag<br />
die Sektionsleitung vorübergehend seiner<br />
Ehefrau. Ein Höhepunkt Im Görlitzer<br />
Fechtsport bestand in der Gründung<br />
eines Trainingszentrums im Jahre 1968.<br />
Trainiert wurde in der Sporthalle Tivoli,<br />
später Königshufen der langjährigen<br />
Familientradition folgend, übernahm die<br />
fachliche Anleitung der Sohn Gerhart<br />
Heinrich. Bis in die Gegenwart wird der<br />
Schwerpunkt auf eine starke Jugendgruppe<br />
gelegt. Nachwuchsfechter ab 8<br />
anzeige<br />
26<br />
Persönlichkeiten
Noch immer kreuzen sich in Görlitz die Klingen<br />
Fechtsport im Aufwind<br />
Jahren trainieren aktuell in dem Neubau<br />
der Sporthalle am Windmühlenweg<br />
in Königshufen. Vorübergehend wurde<br />
auch ein hauptamtlicher Trainer für die<br />
Görlitzer „Kaderschmiede“ tätig. Es erfolgten<br />
Delegierungen an das Kinderund<br />
Jugendsportzentrum in Dresden.<br />
Im Jahre 1978 fanden in der Stadthalle<br />
Görlitz die Juniorenmeisterschaften im<br />
Fechten statt. Folgerichtig blieben auch<br />
spätere nationale und internationale Erfolge<br />
ehemaliger Görlitzer Fechter nicht<br />
aus. Für einen der erfolgreichsten Fechter<br />
der damaligen DDR stand mit Klaus<br />
Schenkel ebenfalls die Wiege in Görlitz.<br />
Mit 22 Jahren wurde er in die Nationalmannschaft<br />
der DDR berufen, trainierte<br />
beim ASK Vorwärts in Leipzig. 1964 und<br />
1967 Vize - Meister in dieser Disziplin.<br />
1990 trainierte er als Bundestrainer<br />
den Nachwuchs im „Fechtklub Tauber-<br />
Bischofsheim“. Mit 24 Fechtsportlern erfolgte<br />
am 24. März 2017 die Teilnahme<br />
an den Europameisterschaften in Tiflis.<br />
1990 würde der Fechtsportverein Görlitz<br />
gegründet. Die Leitung des Vereins liegt<br />
seitdem in den Händen des 3 köpfigen<br />
Vorstandes unter Leitung von Jürgen<br />
Riemann.<br />
Die Entwicklung gerade nach 1990 war<br />
von Erfolgen aber auch von Tiefschlägen<br />
geprägt. Dabei war das Hochwasser<br />
der Neiße mit dem Bruch des Witka-<br />
Staudammes ein Schlüsselereignis. Bei<br />
dieser Katastrophe verlor der Verein<br />
seine komplette Ausrüstung. Bedingt<br />
durch den Neubau der Sporthalle in<br />
Königshufen war der Verein temporär<br />
anzeige<br />
Persönlichkeiten<br />
27
Fechtsport im Aufwind –<br />
im Aufwind<br />
in der Hirschwinkel Turnhalle. In einem<br />
Kellerraum wurde das teuer Fechtmaterial<br />
verstaut. Dieser Raum stand 2 Tage<br />
unter Wasser. Somit konnten Waffen,<br />
Fechtanzüge, Masken, Fechtbahnen und<br />
elektronische Geräte nicht mehr genutzt<br />
werden. Zudem hatte der Verein bis zur<br />
Fertigstellung des Neubaus dadurch keine<br />
feste Trainingsstätte. Die Vereinsführung<br />
nahm diese Herausforderung an.<br />
Durch großzügige Unterstützungen mit<br />
Material, Spenden und Fördermitteln<br />
konnte ein Teil der Ausrüstung wiederbeschafft<br />
und somit der Fortbestand des<br />
Vereins gesichert werden.<br />
In den letzten Jahren wurde im Vorstand<br />
neue Strategien entwickelt. So ist seit 3<br />
Jahren ein zusätzlicher Talent-Trainer<br />
aus der Region im Einsatz. Gemeinsam<br />
mit den Übungsleitern Gerd Heinrich,<br />
Olaf Dietrich und Michael Knispel werden<br />
die Kinder und Jugendlichen an den<br />
Fechtsport herangeführt und entwickelt.<br />
Dabei ist natürlich auch der Fokus auf<br />
anzeige<br />
28<br />
Geschichte
Noch immer kreuzen sich in Görlitz die Klingen<br />
Fechtsport im Aufwind<br />
den nationalen Bereich.<br />
Jahrelanges zielstrebiges Training wurde<br />
vor Kurzem wieder belohnt, als die<br />
13-jährige Schülerin des Görlitzer „Curie-Gymnasiums“<br />
Kimberly Walther vom<br />
Fechtsportverein Görlitz in Heidenheim<br />
2018 Deutsche Meisterin im Degenfechten<br />
der B-Jugend wurde.<br />
Der Verein trainiert gegenwärtig in Altersklassen<br />
Schüler ab 8 Jahren 2x wöchentlich.<br />
Nachwuchs ist immer herzlich<br />
anzeige<br />
Geschichte<br />
29
Fechtsport im Aufwind<br />
im Aufwind<br />
„Nischen-Hobby“ boomt seit ca. 20 Jahren<br />
das historische Fechten, beispielsweise<br />
im Dresdner „Schwertspiel-Verein“<br />
oder in der Leipziger „Stahl-Akademie“.<br />
Schau-Fechten auf Mittelalter-Märkten<br />
zieht zwar so manchen Zuschauer an,<br />
hat aber mit den Paraden eines sportlichen<br />
Wettkampes nicht das Geringste<br />
zu tun.<br />
Dr. Bernhard Wolf<br />
(Unterstützung Jürgen Riemann)<br />
willkommen.<br />
Auch für die „Alte Herren“ oder Interessierte<br />
jenseits des Kinder und Jugendalters<br />
gibt es die Möglichkeit jeweils am<br />
Donnerstag die Klingen zu kreuzen.<br />
Beim Fechten handelt es sich demnach<br />
um eine anspruchsvolle und attraktive<br />
Sportart für alle Altersklassen. Haftete<br />
ihr in der Vergangenheit ein gewisser<br />
elitärer Ruf an, findet heute jedermann<br />
unabhängig von seiner sozialen und beruflichen<br />
Herkunft Zugang. Als eine Art<br />
Die Landesmeisterschaften<br />
in Königshufen findet am<br />
30./31. März <strong>2019</strong> in der<br />
Sporthalle statt!<br />
anzeige<br />
30<br />
Impressum:<br />
Herausgeber (V.i.S.d.P.):<br />
incaming media GmbH<br />
Geschäftsführer:<br />
Andreas Ch. de Morales Roque<br />
Carl-von-Ossietzky Str. 45<br />
02826 Görlitz<br />
Ruf: (03581) 87 87 87<br />
Fax: (03581) 40 13 41<br />
info@stadtbild-verlag.de<br />
www.stadtbild-verlag.de<br />
Geschäftszeiten:<br />
Mo. - Fr. von 9.00 bis 17.00 Uhr<br />
Druck:<br />
Graphische Werkstätten Zittau GmbH<br />
Verantw. Redakteur:<br />
Andreas Ch. de Morales Roque<br />
(Mitglied im Deutschen<br />
Fachjournalistenverband)<br />
Redaktion:<br />
Dr. Ernst Kretzschmar<br />
Dipl. - Ing. Eberhard Oertel<br />
Dr. Ingrid Oertel<br />
Bertram Oertel<br />
Anzeigen verantw.:<br />
Dipl. - Ing. Eberhard Oertel<br />
Mobil: 0174 - 31 93 525<br />
Teile der Auflage werden auch kostenlos<br />
verteilt, um eine größere Verbreitungsdichte<br />
zu gewährleisten. Für eingesandte<br />
Texte & Fotos übernimmt der<br />
Herausgeber keine Haftung. Artikel, die<br />
namentlich gekennzeichnet sind, spiegeln<br />
nicht die Auffassung des Herausgebers<br />
wider. Anzeigen und redaktionelle<br />
Texte können nur nach schriftlicher<br />
Genehmigung des Herausgebers verwendet<br />
werden<br />
Anzeigenschluss für die <strong>Februar</strong>-<br />
Ausgabe: 15. <strong>Februar</strong> <strong>2019</strong><br />
Redaktionsschluss:<br />
20. <strong>Februar</strong> <strong>2019</strong><br />
Geschichte
GWZ