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81_Ausgabe Maerz 2010

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Vorwort<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

„Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb<br />

es, um es zu besitzen!“ Wer zitiert nicht<br />

immer wieder einmal die schon in Schülertagen<br />

gehörten Klassikerworte? Aber mit dem<br />

geistigen Erben ist das nicht so einfach. Wer<br />

denkt nicht an die Blamage der Stadt am 10.<br />

November 2009, als es am 250. Geburtstag<br />

des Nationaldichters von offizieller Seite nicht<br />

einmal zu einem Blumengebinde am Schillerdenkmal<br />

reichte? Man denke an frühere<br />

Schillerehrungen bei uns mit Schulfeiern,<br />

Theateraufführungen, Straßenbenennung,<br />

Deutschaufsätzen, festlich dekorierten Schaufenstern<br />

der Buchhandlungen... Wenigstens<br />

hatten die „Freunde der Stadtbibliothek“ mit<br />

einer Lesung vorgesorgt. Ein Stadtrat war im<br />

dicht gefüllten Vortragsraum im Neubau allerdings<br />

nirgends auszumachen. Kann ja mal<br />

passieren. Mal? Mit Grausen sehen Touristen<br />

den völlig verschmutzten und kaum noch<br />

identifizierbaren Goethekopf am Denkmal<br />

beim Blockhaus. Lieblos wie ein ausrangiertes<br />

Möbelstück entsorgt steht die Johannes-<br />

Wüsten-Büste vor der Hauswand, zerkratzt<br />

und über sich zwei Schrifttafeln – oder sollte<br />

es eine modernistische Installation sein? An<br />

der Apotheke am Demianiplatz erinnert eine<br />

Tafel an Werner Finck; welcher Schüler von<br />

der Annengasse weiß – im Gegensatz zu älteren<br />

Touristen – mit dem Namen etwas anzufangen?<br />

Welcher Schüler (oder auch Lehrer)<br />

der Melanchthonschulen kann sagen, was<br />

sich hinter den Namen Arndtstraße und Fichtestraße<br />

verbirgt? (Zur Zeit wollen politische<br />

Wirrköpfe den Namen „Ernst-Moritz-Arndt-<br />

Universität“ in Greifswald tilgen.) Was wissen<br />

die hiesigen Studenten über Jacob Böhme,<br />

dessen Denkmal fast vor der Hochschultür<br />

steht? Was hören sie von ihren Professoren<br />

darüber? Was fällt dem Spaziergänger auf<br />

der Landeskrone vor dem Theodor-Körner-<br />

Denkmal ein? Mühelos ließen sich mehrere<br />

Seiten mit solchen beliebigen Beispielen aus<br />

dem städtischen Alltag füllen. Dafür jagen<br />

die hiesigen Oberglobalisierer von „Event“ zu<br />

„Event“, „Good bye, Deutschland!“ eben.<br />

Hinnehmen müssen wir das nicht. Aber die<br />

Gutwilligen müssen selbst etwas tun, bei sich,<br />

den Enkeln und Nachbarn mit der Pflege der<br />

Heimatverbundenheit beginnen. Jetzt zum<br />

Beispiel erinnern wir an den 1933 aus Görlitz<br />

vertriebenen Dichter Paul Mühsam, der vor 50<br />

Jahren starb, ohne Görlitz je wiedergesehen<br />

zu haben. Auch ihm ist eine Straße am südlichen<br />

Stadtrand gewidmet. Wer in Weinhübel<br />

weiß etwas über ihn? Auf die Mithilfe vieler<br />

Görlitzer hofft Ihr<br />

Ernst Kretzschmar<br />

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Einleitung<br />

3


Paul Mühsam<br />

Mühsam<br />

in Zittau und Görlitz –<br />

Mit den Eltern kurz vor dem Umzug nach Zittau<br />

Vor 40 Jahren brachte der Seekreis-Verlag<br />

Konstanz zum 10. Todestag des Dichters<br />

Paul Mühsam eine Auswahl aus seinem<br />

Werk heraus. Das Buch enthielt eine<br />

Reihe von Beispielen aus Lyrik-Zyklen. Bei<br />

ihrem ersten Besuch nach 1933 in Görlitz<br />

brachten die Töchter Else Levi-Mühsam<br />

und Lotte Markowicz 1978 einige Exemplare<br />

der Werkausgabe mit. So wurde es<br />

endlich auch bei uns möglich, das literarische<br />

Erbe des Dichters dem Vergessen zu<br />

entreißen und einer neuen Generation zu<br />

erschließen. Dies geschah erstmals am 9.<br />

November 1978 in einer Gedenkveranstaltung<br />

im Museum Neißstraße 30 der Städtischen<br />

Kunstsammlungen Görlitz zum 40.<br />

Jahrestag der „Kristallnacht“. An gleicher<br />

Stelle gab es im März 1980 unter dem Titel<br />

„Heimgekehrt nach fünf Jahrzehnten“<br />

zum 20. Todestag Paul Mühsams einen<br />

Abend mit Kurzvorträgen und Lesungen,<br />

an denen auch die kürzlich verstorbenen<br />

Literaturfreunde Horst Wenzel und Heinz-<br />

Gerold Briese großen Anteil hatten. Hohe<br />

Teilnehmerzahlen bezeugten das damals<br />

starke Interesse an ortsgeschichtlichen<br />

Rückblicken, insbesondere auch zur Geschichte<br />

der Görlitzer Juden. Zur Woche<br />

der Heimatgeschichte und Denkmalpflege<br />

1988 konnte der Kulturbund Görlitz<br />

einen Veranstaltungszyklus hoher Qualität<br />

zur Geschichte und Kultur der Juden<br />

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4<br />

Titel |


Zum 50. Todestag<br />

50. Todestag<br />

Johanneum Zittau um 1900<br />

in Görlitz anbieten. Veranstaltungen der<br />

Evangelischen Akademie und kirchlicher<br />

Jugendgruppen in der Stadt bewiesen in<br />

gleicher Weise diese beachtlichen Informationsbedürfnisse.<br />

Paul Mühsam wurde am 17. Juli 1876 in<br />

Brandenburg/Havel geboren. Die Eltern<br />

waren Marcus Mühsam, Schuhhändler,<br />

und seine Frau Flora, geborene Wallach,<br />

mit schlesischen und rheinisch-westfälischen<br />

jüdischen Vorfahren. Auf der Suche<br />

nach einem festen Wohnsitz übersiedelte<br />

die Familie 1880 nach Chemnitz,<br />

wo Paul 1883 in die Höhere Knabenschule<br />

und 1887 in das humanistische Gymnasium<br />

kam. 1890 mit dem Umzug nach<br />

Zittau begann für Paul hier die Schulzeit<br />

am Gymnasium Johanneum. Nach<br />

der Reifeprüfung 1896 studierte er Jura<br />

in Freiburg, München, Leipzig und Berlin.<br />

Nach der Promotion 1890 und juristischer<br />

Tätigkeit in Mittenwalde und Berlin<br />

ließ er sich 1905 in Görlitz nieder. 1909<br />

heiratete er Irma Kaufmann aus Dresden<br />

und wohnte von da an bis 1933 im Hause<br />

Bismarckstraße 4. Das Ehepaar hatte<br />

drei Töchter – Else (geboren 1910),<br />

Lotte (1912) und Hilde (1918). Während<br />

des I. Weltkrieges arbeitete Paul Mühsam<br />

in der Zentrale des Roten Kreuzes<br />

in Berlin. Seine Praxis als Rechtsanwalt<br />

und Notar (gemeinsam mit Dr. Kunz) lag<br />

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Titel |<br />

5


Paul Mühsam<br />

Mühsam<br />

in Zittau und Görlitz –<br />

Irma Mühsam mit den Töchtern Else und Lotte<br />

über dem Schuhgeschäft Rauch an der<br />

Ecke Berliner Straße/Mittelstraße (heute<br />

Dr.-Friedrichs-Straße). Nach dem<br />

Beginn der Judenverfolgungen<br />

1933 entschloß sich die Familie<br />

zur Auswanderung nach Palästina<br />

und siedelte sich in Haifa an.<br />

Irma Mühsam starb 1946. 1954<br />

zog Paul Mühsam nach Jerusalem<br />

um, wo ihn Tochter Else liebevoll<br />

betreute. Dort starb er am<br />

11. März 1960.<br />

Erst im 5. Lebensjahrzehnt erkannte<br />

er seine Berufung als<br />

Dichter und veröffentlichte in rascher<br />

Folge in schmalen Bänden<br />

weltanschauliche Lyrik von gedanklicher<br />

Tiefe und erlesener<br />

Sprachkultur, darunter „Worte an<br />

meine Tochter“ (1917), „Gespräche<br />

mit Gott“ (1918), „Aus dem<br />

Schicksalsbuch der Menschheit“<br />

(1919), „Der Hügel“ (1921), „Der<br />

ewige Jude“ (1923), „Sonette aus<br />

der Einsamkeit“ (1924), „Vom<br />

Sinn des Lebens“ (1926). Zwischen<br />

1935 und 1955 verfaßte<br />

er seine Lebenserinnerungen „Ich bin ein<br />

Mensch gewesen“; sie erschienen 1989<br />

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6<br />

Titel |


Zum 50. Todestag<br />

50. Todestag<br />

auszugsweise im Union-Verlag Berlin-Ost<br />

und im Bleicher-Verlag Gerlingen. Der gesamte<br />

literarische Nachlaß wird im Deutschen<br />

Literaturarchiv Marbach verwahrt<br />

und betreut. Frühe Werkausgaben und<br />

alle Neuerscheinungen findet man in den<br />

Beständen der Oberlausitzischen Bibliothek<br />

der Wissenschaften Görlitz, ebenso<br />

ein vollständiges Typoskript der Lebenserinnerungen<br />

(2161 Seiten in fünf Bänden,<br />

durch Einschübe ergänzt) und Fotokopien<br />

von Tagebüchern.<br />

Mit der östlichen Oberlausitz verbinden<br />

sich wesentliche Lebensstationen von<br />

Paul Mühsam. In Zittau besuchte er das<br />

traditionsreiche Johanneum; Lehre und<br />

Schulalltag, Stadt und Landschaft werden<br />

in den Lebenserinnerungen ausführlich<br />

und lebendig geschildert. Hier begann<br />

mit dem Mitschüler Bernhard Jakubowsky<br />

(1875-1957) eine prägende und treue<br />

Freundschaft für das ganze Leben. Der<br />

Freund war nach dem Studium Jurist in<br />

Dresden. In Zittau starben Vater (1914)<br />

und Mutter (1908) und wurden auf dem<br />

Friedhof der jüdischen Gemeinde beigesetzt;<br />

ihre Gräber findet man dort noch<br />

Dichterurlaub in Thüringen um 1925<br />

heute. Mit den aufgezeichneten Erinnerungen<br />

an die Zittauer Jahre hinterließ<br />

Paul Mühsam für die stadtgeschichtliche<br />

Forschung aufschlußreiche Hinweise zur<br />

Landschaft, zur Jugendkultur und zum<br />

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Titel |<br />

7


Paul Mühsam<br />

Mühsam<br />

in Zittau und Görlitz –<br />

Buchumschlag “Der ewige Jude” 1923<br />

Alltag der Stadt.<br />

Ein besonders inniges Verhältnis gewann<br />

Paul Mühsam zu Görlitz. Diese Stadt empfand<br />

er zeitlebens als eigentliche Heimat.<br />

Das galt vor allem für die beruflich und literarisch<br />

produktivste Zeit zwischen 1918<br />

und 1933. Seine Lebenserinnerungen, Tagebücher<br />

und Briefe sind unverzichtbare<br />

Quellen zum politischen, wirtschaftlichen,<br />

sozialen und vor allem geistigen Leben im<br />

Zentrum der preußischen Oberlausitz. In<br />

seinen 28 Görlitzer Jahren gestaltete er<br />

auf vielfältige Weise das humanistische<br />

Geistesleben in Görlitz mit, insbesondere<br />

in der Literarischen Gesellschaft und der<br />

Gesellschaft für antike Kultur. Er hielt Vorträge,<br />

las aus eigenen Werken, beteiligte<br />

sich 1925 am Jahrbuch der Görlitzer<br />

Künstlerschaft unter Johannes Wüsten.<br />

Freundschaftlich verbunden war er mit<br />

Landgerichtsdirektor Dr. Erich Schwenk,<br />

Kaufmann und Herausgeber Ludwig Kunz<br />

(literarische Zeitschrift „Die Lebenden“),<br />

der Familie Rosenthal, aus der mit Tochter<br />

Mira (Lobe) eine bekannte Autorin<br />

hervorging, und Redakteur Otto Schlüter<br />

vom Neuen Görlitzer Anzeiger. Er lebte<br />

mit den geistigen Schätzen des Judentums,<br />

lehnte jedoch Absonderung und<br />

Selbstgerechtigkeit im Umgang mit den<br />

anderen Weltreligionen ab. Ihm schwebte<br />

vor, daß in ferner Zukunft eine einzige<br />

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8<br />

Titel |


Zum 50. Todestag<br />

50. Todestag<br />

Weltreligion der menschlichen Brüderlichkeit<br />

entstehen könnte. Allzu genau wußte<br />

er um die Hindernisse auf dem Wege<br />

dorthin.<br />

Einen herausragenden Beitrag leistete<br />

seine Tochter Else, die nach seinem<br />

Tode für längere Zeit nach Deutschland<br />

zurückkehrte, um durch Lesungen, Vorträge<br />

und Buchausgaben das Werk ihres<br />

Vaters in den deutschen Sprachraum<br />

zurückzuholen und so vor dem<br />

Vergessenwerden zu bewahren. So erschienen<br />

Neuauflagen oder Erstauflagen<br />

„TAO. Der Sinn des Lebens“, „Der ewige<br />

Jude“, „Der Hügel“, „Glaubensbekenntnis“,<br />

„Sonette an den Tod“, „Spiegelbild<br />

eines Welterlebens“ und die Werkauswahl<br />

„Seit der Schöpfung wurde gehämmert<br />

an deinem Haus“ und die Auswahl<br />

aus den Tagebüchern. Nach sorgfältigen<br />

Vorarbeiten veröffentlichte sie die Dokumentenbände<br />

„Vollkommeneres wurde<br />

nie und wird nicht werden als die Liebe –<br />

Aus dem Briefwechsel von Paul und Irma<br />

Mühsam“ (1985), „Artur Silbergleit und<br />

Paul Mühsam – Zeugnisse einer Dichterfreundschaft“<br />

(1994) und „In alter, treuer<br />

Freundschaft – Briefwechsel zwischen<br />

Felix A. Voigt und Paul Mühsam“ (2005).<br />

(Voigt war Lehrer an der Luisenschule<br />

und dem Gymnasium Augustum in Görlitz,<br />

dann Oberstudiendirektor in Kreuzburg<br />

und nach seiner Entlassung 1933<br />

Mitarbeiter Gerhart Hauptmanns.) Seit<br />

1978 besuchte Else Levi-Mühsam etliche<br />

Male Görlitz und gewann hier viele neue<br />

Freunde. Sie gestaltete Lesungen und<br />

Vorträge im Museum, in Seniorenheimen,<br />

Jugendgruppen, Schulen und Buchhandlungen.<br />

Für ihre Verdienste um die Verbreitung<br />

der Werke ihres Vaters und um<br />

die internationale Verständigung wurde<br />

ihr 1992 die Ehrenbürgerschaft der Stadt<br />

Görlitz verliehen. Sie starb 2004 in Jerusalem,<br />

wo sie ihre letzten Lebensjahre in<br />

einem Heim verbracht hatte, in ständiger<br />

Verbindung zu Verlagen und Forschern in<br />

Deutschland und ihren Freunden, auch in<br />

Görlitz, die sie (wie der Verfasser dieser<br />

Zeilen) auch in Jerusalem besuchten.<br />

Man wird darauf zu achten haben, dass<br />

all die Sympathiebekundungen bei der<br />

Verleihung der Ehrenbürgerschaft nach<br />

ihrem Tode nicht allzu bald in Verges-<br />

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Titel |<br />

9


Paul Mühsam<br />

Mühsam<br />

in Zittau und Görlitz –<br />

Exlibris, gestaltet von dem sorbischen<br />

Künstler Martin Neumann-Nechern<br />

senheit geraten. Noch gibt es gelegentlich<br />

Lesungen in kirchlichen Veranstaltungen<br />

und Bibliotheken. Das Anliegen der<br />

Ehrenbürgerin, den literarischen Nachlass<br />

von Paul Mühsam weiterhin wissenschaftlich<br />

zu erschließen und zu veröffentlichen,<br />

ist nun in die Verantwortung<br />

der Stadt und ihrer Bürger übergegangen.<br />

Es bleibt eine Ehrenschuld für Zittau<br />

und Görlitz. Ein gelungener Beitrag war<br />

1998/1999 die Sonderausstellung „Juden<br />

in der Oberlausitz“ in den Stadtmuseen<br />

Zittau, Löbau, Hoyerswerda, Bautzen und<br />

Görlitz. Museen und Bibliotheken sollten<br />

auch in Zukunft Denkanstöße geben und<br />

verfügbare Buchausgaben nachdrücklich<br />

empfehlen.<br />

1948 schrieb Paul Mühsam in seinem Zyklus<br />

„Sonette an den Tod“ über eine Hoffnung,<br />

die uns anrührt:<br />

„Da sitzt ein Suchender beim Lampenschein<br />

Und liest ein Buch, drin er sich wiederfindet<br />

–<br />

Ein Buch von mir – und horcht in mich<br />

hinein<br />

Und hüllt sich tief in meine Worte ein.<br />

Und manches, was es ihm vom Glauben<br />

kündet,<br />

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10<br />

Titel |


Zum 50. Todestag<br />

50. Todestag<br />

Paul Mühsams Töchter Else und Lotte beim ersten Wiedersehen mit Görlitz 1978<br />

Schlägt wie ein Blitz in seinen Sinn und<br />

zündet.<br />

Ganz nah fühlt er sich mir, nicht mehr allein,<br />

Dort, wo ein Band geschwisterlich uns<br />

bindet.<br />

So wird er noch in meinem Buche lesen<br />

Und mit mir denken, ob er gleich nicht<br />

spürt,<br />

Dass längst der Tod mich ließ im Grab<br />

verwesen.<br />

Fortwirkt der Geist, vom Sterben unberührt,<br />

Und ohne dass sein Wirken Grenzen fände,<br />

Und ich in ihm, bis an der Zeiten Ende.“<br />

Dr. Ernst Kretzschmar<br />

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Titel |<br />

11


ALAJACQUARD –<br />

Textilkunst von Angelika Rösner (Foto: Angelika Rösner)<br />

ALAJACQUARD heißt ein zeitgenössisches<br />

Kunstprojekt, das vom 2. Mai bis<br />

zum 27. Juni <strong>2010</strong> in Görlitz / Zgorzelec<br />

zu sehen sein wird. Aus verschiedenen<br />

Perspektiven werden Prägungen<br />

und Wandlungsprozesse der Textilindustrie<br />

im Dreiländereck an der Neiße thematisiert.<br />

Historischer Referenzpunkt ist<br />

dabei die Mechanisierung<br />

der Webstühle durch Joseph-Marie<br />

Jacquard im<br />

Jahr 1805.<br />

Der dadurch ausgelöste<br />

industrielle Um- und Einbruch<br />

der Textilkultur in<br />

der Mitte des 19. Jh. verlangte<br />

zahlreichen Menschen<br />

eine ähnlich tiefgreifende<br />

Neuorientierung<br />

unter veränderten Lebensumständen<br />

ab, wie<br />

wir sie in der Gegenwart<br />

nach der politischen Wende<br />

von 1989/90 erlebt haben.<br />

Das Ausstellungsprojekt<br />

ALAJACQUARD hebt ein<br />

historisches Paradigma für diese Herausforderung<br />

ins Bewusstsein. Gesellschaftliche<br />

Veränderungen, die Lebensentwürfe<br />

radikal umformen, sind für die<br />

Menschen in unserer Region nichts Abstraktes,<br />

sondern in den letzten zwanzig<br />

Jahren gelebter Alltag.<br />

Die Thematik wird aus vier Perspekti-<br />

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12<br />

Ausstellung |


ALAJACQUARD<br />

hier laufen Fäden zusammen<br />

ven heraus, in vier verschiedenen Ausstellungen<br />

beleuchtet. Die Ausstellungen<br />

berichten von kunsthandwerklichen<br />

Traditionen, technischen Triumphen<br />

und gesellschaftlichen Entwicklungen:<br />

in Görlitz interpretiert durch zeitgenössische<br />

künstlerische Ausdrucksformen<br />

und in Zgorzelec mit Einblicken in historische<br />

Prozesse der Textilherstellung.<br />

Die Ausstellungen in Görlitz und Zgorzelec<br />

werden durch einen „Projektpfad“<br />

verbunden und im September <strong>2010</strong> im<br />

Industriemuseum Ennepetal-Altenvoerde<br />

in der Metropole Ruhr zusammengeführt.<br />

So spinnen sich thematisch und<br />

geographisch Fäden durch die Euroregion<br />

Neiße und quer durch Deutschland<br />

zwischen den Kulturstädten Görlitz/<br />

Zgorzelec und der Kulturhauptstadt Europas<br />

RUHR.<strong>2010</strong>. Das Projekt ALAJAC-<br />

QUARD steht unter der Schirmherrschaft<br />

von Dr. Fritz Pleitgen, Vorsitzender der<br />

Geschäftsleitung der RUHR.<strong>2010</strong> GmbH.<br />

Vernissage und Ausstellungsstationen<br />

Die Vernissage findet am 1.Mai <strong>2010</strong> in<br />

vier Ausstellungsstationen statt:<br />

14.00 Uhr Annenkapelle, Görlitz, Annengasse<br />

/ Ecke Steinstraße<br />

15.00 Uhr Historisches Hallenhaus Untermarkt<br />

25, Görlitz<br />

16.00 Uhr Lausitzmuseum / Muzeum Luzyckie,<br />

Zgorzelec, ul. Daszynskiego 15<br />

17.00 Uhr Dom Kultury, Zgorzelec, ul.<br />

Parkowa 1<br />

Zur Unterstützung der Ausstellungen<br />

des Projektes ALAJACQUARD wurden<br />

von den Projektträgern, dem Freundeskreis<br />

der Heimatpflege des Landkreises<br />

Görlitz und dem Lausitzmuseum (Muzeum<br />

Luzyckie), Förderanträge bei den<br />

Geschäftsstellen der Euroregion Neiße<br />

eingereicht.<br />

StadtBild stellt in seinen nächsten Folgen<br />

alle Ausstellungsteile des Projektes<br />

ALAJACQUARD näher vor.<br />

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Ausstellung |<br />

13


Das reiche<br />

reiche<br />

Görlitz –<br />

Görlitz<br />

Leidenschaftlich, mit viel Wut im Bauche<br />

malträtierte nicht zum ersten und letzten<br />

Male Max Giesner, Ober - Moyser Rittergutsbesitzer,<br />

und, wie er sich auch selbst<br />

juristisch korrekt bezeichnete, „Görlitzer<br />

Landsasse“, am 8. Dezember 1921 seine<br />

Schreibmaschine. Dessen Klagen und Beschwerden<br />

füllten mittlerweile dicke Ordner<br />

des Reichsgerichtes, der preußischen<br />

Gerichte und anderer staatlicher Behörden.<br />

„Überreste aus der Vergangenheit<br />

sind in keinem deutschen Lande so häufig,<br />

als in der Oberlausitz“, so stellte er<br />

verbittert fest. Womit er durchaus Recht<br />

hatte. Konkret ging um die sogenannten<br />

Landsassengüter sowie den städtische<br />

Grundbesitz im Landkreis. Die Landsassendörfer<br />

standen unter der Lehnsherrschaft<br />

von Görlitz, konnten durch deren<br />

Besitzer aber durchaus verkauft oder<br />

vererbt werden. Der Erwerber musste<br />

zwingend das Görlitzer Bürgerrecht inne<br />

haben und wurde so zum „Landsassen“.<br />

Der Gutsherr selbst und sein Gut unterlagen<br />

der städtischen Gerichtsbarkeit. Die<br />

Strafgerichtsbarkeit übte der Rat über<br />

alle Bewohner der Landsassendörfer aus.<br />

Zudem mussten die Landsassengüter die<br />

geforderten Landessteuern gemeinsam<br />

mit der Stadt aufbringen. Dies sorgte für<br />

Konflikte mit dem Adel. Denn jedes Dorf,<br />

welches mit Görlitz „mitlitt“ („mitleidend“-<br />

mitsteuernd), schwächte die Steuerkraft<br />

der Landstände und stärkte die der<br />

Stadt. Wenn 100 Taler landesherrliche<br />

Steuern aufzubringen waren, hatten der<br />

Adel oder die „Landschaft“ der Oberlausitz<br />

ca. 56 Taler, die Sechsstädte 44 Taler<br />

zu zahlen. Jedes Dorf also, welches<br />

aus dem Steuerverband der „Landschaft“<br />

fiel, erhöhte den Beitrag, den jeder einzelne<br />

adlige Grundherr zu entrichten hatte,<br />

und senkte wiederum die Steuerbelastung<br />

der Stadtbürger. Eines der vielen<br />

Vorrechte des Görlitzer Rates bezüglich<br />

der Landsassengüter bestand tatsächlich<br />

noch im 20. Jahrhundert und erregte den<br />

sicherlich berechtigten Zorn des bereits<br />

zitierten Max Giesner. Die Rede ist vom<br />

Vorkaufsrecht des Görlitzer Magistrates,<br />

das nach den Reformen im 19. Jahrhundert<br />

nun quasi privatrechtlich fortwirkte.<br />

Damit verfügte der Magistrat über ein<br />

überaus wichtiges juristisches Instru-<br />

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14<br />

Geschichte |


Das<br />

eine Stadt<br />

reiche<br />

mit Immobilienreichtum<br />

Görlitz<br />

ment, um den städtischen<br />

Grundbesitz zu erweitern,<br />

was er auch weitblickend<br />

und strategisch handelnd<br />

tat. So gelang es der<br />

Stadt, den Grundbesitz<br />

immer mehr zu vergrößern,<br />

zu arrondieren und<br />

somit gewinnbringend zu<br />

machen. Noch im Jahre<br />

1924 kamen 40%<br />

der städtischen Einnahmen<br />

aus Forsten, Landgütern<br />

und den städtischen<br />

Betrieben, Mittel,<br />

wie Giesner durchaus<br />

richtig bemerkt, welche<br />

dem Landkreis entzogen<br />

wurden. Von 1000 Mark,<br />

welche die Stadt an Löhnen<br />

zahle oder im Stadttheater<br />

investiere, würden<br />

400 Mark aus dem<br />

Landkreise abgezapft<br />

und jenen immer weiter<br />

schwächen. Giesners<br />

kluge Argumente sollten<br />

Landsteuerbuch 1700<br />

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Geschichte |<br />

15


Das reiche<br />

reiche<br />

Görlitz<br />

Görlitz<br />

Verbündete im Landkreis gewinnen helfen.<br />

Verständlich, denn das Görlitzer Vorkaufsrecht<br />

minderte den Verkaufswert<br />

seines Gutes beträchtlich. Giesner scheiterte<br />

letztlich kläglich vor den Gerichten.<br />

Die Fakten bezüglich der Görlitzer Besitztümer<br />

bleiben allerdings bis heute beeindruckend.<br />

Im Jahre 1928 besaß die Stadt<br />

im Landkreis Güter mit 1466 ha Land.<br />

Dazu gehörten Hennersdorf, Kunnerwitz,<br />

Nieder-Langenau, Lauterbach,<br />

Ober-Leopoldshain, Nieder-Moys, Penzig<br />

und Ober-Sohra. Die Görlitzer Heide<br />

umfasste 29.688 ha. Außerdem verfügte<br />

das Zentralhospital über 3611 ha Forst<br />

(Oberförsterei Rietschen). Der Stadtkreis<br />

umfasste im Jahre 1925 etwa 1884 ha,<br />

wovon der Stadt selbst 35% gehörten.<br />

19 Güter im Landkreis unterlagen noch<br />

dem Vorkaufsrecht der Stadt Görlitz.<br />

Dazu gehörten die Güter in Deutsch-Ossig,<br />

Girbigsdorf, Köslitz, Leopoldshain,<br />

Lissa, Ludwigsdorf, Klein-Neundorf, Nikrisch<br />

(Hagenwerder), Rauschwalde,<br />

Nieder-Sohra, Sohrneundorf mit Florsdorf,<br />

Schlauroth und Zodel.<br />

Görlitz blieb bis zum Jahre 1945 neben<br />

Nürnberg der größte kommunale Grundbesitzer.<br />

Dieses gewaltige und profitabel<br />

genutzte städtische Vermögen ermöglicht<br />

in der Tat gewaltige Investitionen,<br />

Errichtung und Unterhalt von Museen,<br />

Theatern und Sportstätten. Die Görlitzer<br />

zahlten neben den Wiesbadnern und<br />

Osnabrückern die geringsten Kommunalsteuern<br />

und Abgaben. In der Stadt konnte<br />

eine weitsichtige Stadtplanung erfolgen<br />

und umgesetzt werden. Auch Görlitz<br />

litt unter der verheerenden Hyperinflation<br />

der Jahre 1922 und 1923. Aber bedingt<br />

durch den immensen Grundbesitz<br />

verlor die Stadt weit weniger Vermögen<br />

als viele andere deutsche Kommunen.<br />

Heute sind aus sehr unterschiedlichen<br />

Gründen vergleichsweise nur noch bescheidene<br />

Reste des Grundbesitzes und<br />

der städtischen Unternehmen geblieben.<br />

Mit Blick auf die Vergangenheit könnte<br />

man resümieren: Es gilt sie zu mehren<br />

und zu bewahren.<br />

Siegfried Hoche, Ratsarchivar<br />

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16<br />

Geschichte |


Görlitzer Medien vor<br />

Medien<br />

60 Jahren –<br />

In der Januar-<strong>Ausgabe</strong> <strong>2010</strong> dieser Publikation<br />

war ein Beitrag der Görlitzer Pressegeschichte<br />

gewidmet. Eine Ergänzung<br />

soll hier angefügt werden: Betriebszeitungen.<br />

Sie erschienen von Anfang der<br />

50er Jahre an bis zur Wendezeit in fast<br />

allen DDR-Großbetrieben; also auch im<br />

Waggonbau, im Görlitzer Maschinenbau<br />

und in den Feinoptischen Werken. Sie<br />

waren auf Beschluss der SED-Führung<br />

ins Leben gerufen worden, um die Belegschaftsmitglieder<br />

über das Betriebsgeschehen<br />

zu informieren mit dem Ziel,<br />

höchstmögliche Leistungen in der Produktion<br />

zu erzielen – also die Planerfüllung<br />

voranzutreiben – und zum Anderen<br />

über propagandistische sowie agitatorische<br />

Beiträge die Politik der SED und der<br />

DDR-Regierung zu unterstützen und das<br />

Wirken der SED-Betriebsparteiorganisation<br />

ins rechte Licht zu rücken. Im Waggonbau<br />

erschien „Der Waggonbauer“,<br />

im Maschinenbau (GMB) „Die Turbine“<br />

und im Feinoptischen Werk „Das Objektiv“<br />

– einmal wöchentlich oder alle 14<br />

Tage kostenlos für jeden Betriebsangehörigen.<br />

Das Format der Zeitungen glich<br />

der des „Landskron-Echo“.<br />

Parallel dazu hatte die SED-Führung zu<br />

gleicher Zeit verfügt, in den DDR-Großbetrieben<br />

auch Betriebsfunkstudios mit<br />

derselben Zielrichtung einzurichten. Beide<br />

Medien standen unter Anleitung der<br />

SED-Betriebsparteiorganisation. Was<br />

die dazu beauftragten Genossen daraus<br />

machten, war von ihrer Qualifikation<br />

und vom Wohlwollen, Verständnis<br />

sowie Dirigismus des Parteisekretärs<br />

abhängig. Solche Studios entstanden<br />

um 1950 im Waggonbau, dem Görlitzer<br />

Maschinenbau (GMB) und etwas<br />

später im Bekleidungswerk Salomonstraße.<br />

Sie unterhielten die Kolleginnen<br />

und Kollegen während der Mittagspause<br />

mit Musik, die im GMB etwa<br />

70 % der Sendezeit ausmachte, informierten<br />

über das Betriebsgeschehen,<br />

berichteten über den Betriebssport, die<br />

Kulturarbeit sowie über Entwicklungen<br />

der Stadt. Der Betriebsfunk des Görlitzer<br />

Maschinenbau sendete anfangs auch<br />

zur Frühstückspause, die dann später<br />

zugunsten einer längeren Mittagszeit<br />

abgeschafft wurde. Dazu kam musikalische<br />

Unterhaltung 15 Minuten vor Beginn<br />

und am Ende der Normalarbeitszeit.<br />

Alle Produktionshallen und Verwaltungs-<br />

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18<br />

Geschichte |


Görlitzer<br />

Die Betriebszeitungen<br />

Medien<br />

Sendepult GMB-Studio in der Erstausstattung, etwa 1952<br />

abteilungen waren mit Lautsprechern<br />

vernetzt, einige standen auch im Betriebshof,<br />

so dass fast überall der Betriebsfunk<br />

gehört werden konnte. Aber<br />

dort, wo er sich in der Pausenzeit vor<br />

allem an die in der Produktion tätigen<br />

Kolleginnen und Kollegen richten sollte,<br />

war das Hören schwierig, weil auch einige<br />

Großmaschinen weiter liefen.<br />

Das Betriebsfunkstudio des Görlitzer<br />

Maschinenbau – wie auch das im Waggonbau<br />

und im Bekleidungswerk - war<br />

technisch gut ausgestattet<br />

und wurde im<br />

Laufe der Zeit immer<br />

wieder auf den neuesten<br />

Stand gebracht.<br />

Es verfügte zunehmend<br />

über ein umfangreiches<br />

Archiv mit<br />

populärer Tanz-, Unterhaltungs-<br />

und E-<br />

Musik. Dafür sorgten<br />

der Redakteur Günter<br />

Rathaj und der Rundfunktechniker<br />

Hans-<br />

Günter Wünsche, die<br />

sich ständig bemühten, durch Musikmitschnitte<br />

vom DDR-Rundfunk und andere<br />

Quellen den Bestand zu erweitern. Sie<br />

wagten auch Experimente, die eigentlich<br />

nicht statthaft waren. Bei gutem UKW-<br />

Empfang, der im Görlitzer Raum selten<br />

vorkam, schnitten sie Musik Westberliner<br />

Sender mit. Die UKW-Sende- und<br />

Empfangstechnik befand sich Mitte der<br />

50er Jahre gerade erst in der Einführung<br />

und war demzufolge noch schwach. Aber<br />

mit der Installierung eines UKW-Senders<br />

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Geschichte |<br />

19


Görlitzer Medien vor<br />

Medien<br />

60 Jahren –<br />

Nach der technischen Erneuerung, 1956<br />

auf der Landeskrone 1956, der das Programm<br />

von Radio DDR in die östliche<br />

Oberlausitz ausstrahlte, verbesserten<br />

sich die Bedingungen zum Mitschneiden<br />

von Musik. Anfang 1960 verfügte das<br />

Musikarchiv über etwa 1000 Titel.<br />

Der verantwortliche Redakteur Günter<br />

Rathaj bemühte sich, die Betriebsfunksendungen<br />

in Wort und Musik nach dem<br />

Geschmack der Belegschaft zu gestalten<br />

und die oft strenge Parteipolitik und<br />

–diktion allgemeinverständlich zu artikulieren.<br />

Mitte der 50er Jahre<br />

regte die FDJ-Leitung<br />

des Betriebes<br />

an, auch Sendungen<br />

speziell für die Jugend<br />

des Betriebes ins Programm<br />

zu bringen.<br />

Das gelang. Vier junge<br />

Leute zeigten dafür<br />

Interesse und konnten<br />

für die Umsetzung<br />

dieser Idee gewonnen<br />

werden. Von<br />

nun an gestalteten sie<br />

einmal in der Woche eine Jugendsendung,<br />

die über das und aus dem FDJund<br />

Jugendleben informierte; garniert<br />

mit viel Musik, die den Geschmack der<br />

jungen Leute treffen sollte. Vier kreative<br />

junge Leute, die vom Journalismus wenig<br />

Ahnung hatten, stürzten sich – wie<br />

man heute sagt – ehrenamtlich in diese<br />

ungewohnte Tätigkeit. Wir orientierten<br />

uns an ähnlichen Sendungen des<br />

DDR-Rundfunks. Das muss wohl gelungen<br />

sein, denn im Laufe der Zeit wurde<br />

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20<br />

Geschichte |


Görlitzer<br />

Die Betriebszeitungen<br />

Medien<br />

der Görlitzer Stadtfunk, der seinen Sitz<br />

im Verwaltungsgebäude Brüderstraße<br />

neben dem Rathausturm hatte, auf diese<br />

spezielle Sendung aufmerksam. Von<br />

nun an übertrug er sie regelmäßig über<br />

die Lautsprecher im Stadtgebiet. Man<br />

konnte das „Jugendmagazin“ aus dem<br />

Görlitzer Maschinenbau also auch am<br />

Marienplatz, dem Karl-Marx-Platz (Wilhelmsplatz),<br />

vor dem Bahnhof, am Luther-<br />

und Sechsstädteplatz hören. Aber<br />

meist gingen Wort und Musik im Straßenlärm<br />

unter.<br />

Eine zeitweise beliebte Sendung des<br />

GMB-Betriebsfunks Mitte der 50er Jahre,<br />

auf die die Kolleginnen und Kollegen<br />

voller Spannung warteten, war eine satirische<br />

Viertelstunde „Quergefunktes“.<br />

Diese 15 Minuten gestalteten Betriebsfunkredakteur<br />

Günter Rathaj und Rudi<br />

Bienert, Mitarbeiter der produktionsvorbereitenden<br />

Abteilung Technologie. Sie<br />

hatten Talent, Freude und Spaß an der<br />

Formulierung kaberettistischer und satirischer<br />

Texte, die Schwächen und Mängel<br />

im Alltag des Görlitzer Maschinenbau<br />

aufs Korn nahmen. Mit rundfunkspezifischen<br />

technischen und akustischen Mitteln<br />

gestalteten sie in aufwändiger Form<br />

nach der regulären Arbeitszeit die Sendungen;<br />

sparten nicht mit Kritik und Satire.<br />

Damals war dies in den Anfangsjahren<br />

der DDR noch möglich, trotz sich<br />

verschärfender Parteipolitik. Mit Rudi<br />

Bienerts Weggang Ende der 50er Jahre<br />

zum Sender Cottbus als Reporter und<br />

Redakteur endete dieses Kapitel Betriebsfunkgeschichte.<br />

Wie auch die kontinuierliche Sendetätigkeit<br />

des GMB-Betriebsfunks mit dem<br />

Ausscheiden von Günter Rathaj aufhörte.<br />

Er wechselte in den 60er Jahren in<br />

das inzwischen dem Sender Dresden angegliederte<br />

ehemalige sorbische Studio<br />

Görlitz an der Heinzelstraße, das dann<br />

einige Jahre bis zur Auflösung aus dem<br />

ostsächsischen Gebiet berichtete. (siehe<br />

auch: StadtBILD“ Nr. 37/Februar 2006).<br />

Mit der Wende 1989/1990 kam das Aus<br />

für die Betriebsfunkstudios und Betriebszeitungen.<br />

Nicht nur in Görlitz.<br />

Wolfhard Besser<br />

Quelle: Werkfoto/ privat<br />

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Geschichte |<br />

21


Ernst<br />

Der Ernst-Geißler-Park –<br />

Park<br />

Östlich der Promenade (Dr.- Kahlbaum-<br />

Allee) befanden sich Viehweiden. Das<br />

Nutzungsrecht hatten Gärtner vor dem<br />

Frauentore, an der Salomonstraße, Krölstraße,<br />

Biesnitzer Gasse, Sommer- und<br />

Konsulgasse, in der Kahle und an der<br />

Reichertstraße. Sie gaben dafür einen<br />

gewissen Zins.<br />

Die beiden Abbildungen zeigen dieses<br />

Gelände links in einem Stadtplan<br />

von 1759 und rechts in einem Plan von<br />

1850. (Am Kolbe-Teich und rechts ne-<br />

Südvorstadt um 1770 Viehweide späterer Stadtpark<br />

ben Schmidts Garten erstreckte sich der<br />

Geißler-Park Der Kolbe-Teich war das<br />

Zentrum des Geißlerischen Anwesens.<br />

Diese Gerechtigkeiten wurden ab 1829<br />

abgelöst, indem an die Hutungsberechtigten<br />

(Berechtigung zum Weiden von<br />

Vieh) die Ablösung mit einer Landentschädigung<br />

erfolgte. Die Stadt behielt<br />

den nördlichen Teil für sich. Dort wurde<br />

der Stadtpark unter Oberbürgermeister<br />

Demiani angelegt. Kleine Stücke des<br />

Landes weiter im Süden erhielten die<br />

früheren Nutznießer als Eigentum.<br />

Sie verkauften ihr<br />

zugeteiltes Land meist für<br />

einen Spottpreis, und es<br />

wurden dort Gartenanlagen<br />

und Sommerwohnungen<br />

eingerichtet. Die schönste<br />

und umfassendste Anlage<br />

schuf Ernst Friedrich Geißler.<br />

Im Neuen Görlitzer Anzeiger<br />

(NGA Nr. 79, Beilage<br />

vom 3.4.1927), ist folgendes<br />

nachzulesen: Seit 1839<br />

hatte Ernst Geißler das notwendige<br />

Gelände zusam-<br />

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22<br />

Geschichte |


Der<br />

Ein bedauerlicher<br />

Ernst<br />

Verlust<br />

Geißler Park<br />

Gleicher Plan um 1850<br />

mengekauft in vielen einzelnen Teilen.<br />

Zunächst kaufte er einen Gartenteil vom<br />

Tuchwalkermeister Fehler für 100 Taler,<br />

1845 eine Parzelle von Johann Traugott<br />

Wünsche für 1000 Taler, 1846 Hutungsabfindungen<br />

vom Tierarzt Anders<br />

für 100 Taler und vom Schmiedemeister<br />

Anders für 500 Taler, 1854 für 100 Taler<br />

von Freifrau von Friesen, eine Hutungsentschädigung,<br />

die vorher seit 1845<br />

dem Kaufmann Moritz Ferdinand Bauer<br />

und dem Kaufmann Friedrich Wilhelm<br />

Demisch gehört hatte. Schließlich 1856<br />

noch für 500 Taler eine Landung<br />

von der Witwe Henriette<br />

Schmidt geb. Reimann<br />

und 1864 eine solche von<br />

Carl Samuel Geißler (sein<br />

Bruder) für 500 Taler, der<br />

die Landung 1863 von Carl<br />

August Weidner erworben<br />

hatte. (Landung war eine<br />

Hypothekenbezeichnung<br />

für ein bestimmtes Gebiet,<br />

welches sich vom Stadtpark<br />

bis zur Landskronbrauerei<br />

erstreckte). Das waren<br />

insgesamt 7 Parzellen bzw. Hutungen<br />

für 2800 Taler. Mit Zielsicherer beharrlichkeit<br />

hatte also Ernst Geißler diese<br />

Grundstücke erworben.<br />

Der daraufhin in diesem Grundstück angelegte<br />

Park (Geißler-Park) wurde einer<br />

öffentlichen Nutzung zugänglich<br />

gemacht. In dieser Zeit wurde auch die<br />

Schmidtstraße (jetzt Louis-Braille-Straße)<br />

ausgebaut und erweitert. Für diesen<br />

Ausbau gab Geißler ein Stück seines<br />

Grundstückes ab, und er erhielt dafür einen<br />

Streifen in der Nähe des Tivolis, wo<br />

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Geschichte |<br />

23


Ernst<br />

Der Ernst-Geißler-Park –<br />

Park<br />

ursprünglich eine Sandgrube und später<br />

ein Ententeich war. Sein Grundstück<br />

hatte eine Größe von 87 Quadratruten.<br />

(Altdeutsches Längenmaß, 1 Rute entsprach<br />

2,8 bis 5,3 Meter)In diesem Falle<br />

betrug die Fläche des Parks etwa 2,1<br />

ha.<br />

Welch schöner Park war entstanden!<br />

Der alte Kolbeteich bildete den Mittelpunkt<br />

der Anlagen. In ihm spiegelten<br />

sich das stolze, schlossartige Gebäude<br />

(welches ab 1860 errichtet wurde) und<br />

die mit einem Turm versehene Gärtnerei,<br />

an die sich die Stallungen anschlossen,<br />

wider. Die Lage des Anwesens war<br />

begrenzt von der Schmidtstraße, der<br />

Promenade (Dr.- Kahlbaum Allee) und<br />

der Brückenstraße.<br />

Seine Villa stand etwa dort, wo sich jetzt<br />

das Jacob-Böhme-Denkmal befindet.<br />

In folgenden Zeitetappen vollzog sich<br />

die Bebauung;<br />

– Bau der Villa 1860, Bezug 1861<br />

– Bau eines Gewächshauses 1861<br />

– Bau eines Ananashauses 1862<br />

– Bau einer Gärtnerei und Kutscherwohnung<br />

nebst Stall und Remise 1873<br />

Die rechts davon an der Neiße liegende<br />

Tuchfabrik gehörte dem Bruder von<br />

Ernst Geißler Carl Samuel Geißler und<br />

firmierte unter diesem Namen Feintuchfabrik<br />

C S Geißler bis 1872. Ernst Friedrich<br />

Geißler war Inhaber der Vierradenmühle<br />

sowie der Tuchfabriken in Köslitz<br />

(Kozlice) und Nieda (Niedow) sowie des<br />

Braunkohlenwerkes Berzdorf. Im Jahre<br />

1903 wurden 17 Erben von Ernst<br />

Geißler Eigentümer des Grundstückes<br />

und dessen Bebauung (die Ehefrau von<br />

Ernst Geißler Minna Emilie geb. Richter<br />

verstarb am 4.11.1901). Die Erben verkauften<br />

im Jahre 1904 das Grundstück<br />

an die Görlitzer Firma Lippmann Co, die<br />

daraufhin den Antrag stellte, das Grundstück<br />

bebauen zu dürfen. Dieser Antrag<br />

wurde durch die Stadt abgelehnt mit der<br />

Begründung, dass eine Parzellierung<br />

der Hofräume nicht möglich sei. Anfang<br />

August 1905 erwarb der Geheime Kommerzienrat<br />

und Ehrenbürger der Stadt<br />

Görlitz Otto Müller das Grundstück und<br />

liess die vorhandene Bebauung abreißen.<br />

Heute steht kein Stein mehr auf dem<br />

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24<br />

Geschichte |


Der<br />

Ein bedauerlicher<br />

Ernst<br />

Verlust<br />

Geißler Park<br />

ten um die Begründung<br />

dieses Richterspruches,<br />

der einem so schönen,<br />

so stattlichen, so unverbrauchten<br />

und so geräumigen<br />

Gelände, das mitten<br />

in dem öffentlichen<br />

Parke in hervorragender<br />

Weise öffentlichen, edelsten<br />

Zwecke hätte dienen<br />

können, das Todesurteil<br />

sprach. Trauernd wird<br />

man daran denken, welche<br />

hohen Werte hier<br />

spurlos vernichtet wurden,<br />

die der Stadt, sei es<br />

für öffentliche, sei es für<br />

private Zwecke unendlich<br />

Lage der Geißler-Villa im Stadtplan von 1898 (Pfeil Mitte unten)<br />

viel hätten sein kön-<br />

nen. Kaum je hat sich ein<br />

anderen. Selbst das herrliche, für große<br />

Verhältnisse erbaute Haus inmitten des<br />

prächtigen Parks mit seinen Säulen am<br />

Eingange, seinen Sälen und seiner aussichtsreichen<br />

Veranda im Obergeschoss<br />

mussten weichen. Geheimnisvolles Dunkel<br />

schwebt für den nicht Eingeweih-<br />

so gewaltiger Umschwung in so kurzer<br />

Frist von wenig mehr als 40 Jahren vollzogen.<br />

Sei wie es sei, wir kennen nicht die Beweggründe<br />

des Geheimen Kommerzienrates<br />

Otto Müller für diese Maßnahme.<br />

Otto Müller überschrieb nach Neuanlage<br />

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Geschichte |<br />

25


Ernst<br />

Der Ernst-Geißler-Park –<br />

Park<br />

des Parks dieses Grundstück<br />

der Stadt Görlitz<br />

und liess es im Grundbuch<br />

als Parkanlage<br />

eintragen. Später wurde<br />

der Park-Otto-Müller<br />

Park genannt und nach<br />

1945 Park des Friedens.<br />

Weitere Informationen<br />

findet der Leser bei Richard<br />

Jecht (Topographie<br />

der Stadt Görlitz)<br />

und in der Beilage I des<br />

neuen Görlitzer Anzeigers<br />

vom 3. April 1927<br />

(Bilder aus der Görlitzer<br />

Vergangenheit – Ernst-<br />

Geißler-Park)<br />

Wolfgang Stiller<br />

Wohnhaus im Ernst-Geißler-Park um 1900<br />

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26<br />

Geschichte |


Winterfreuden zum Jahreswechsel 1978/79<br />

Es ist ja wohl unbestritten, dass uns der<br />

Winter in diesen Wochen auch in unseren<br />

Breiten wieder einmal ordentlich<br />

zu schaffen macht. Beim fast täglichen<br />

Beräumen des Gehweges riefen die Berge<br />

von Schnee unweigerlich Erinnerungen<br />

an den Jahreswechsel 1978/1979 wach.<br />

Wir wohnten zu diesem Zeitpunkt noch<br />

in Görlitz - Weinhübel. Verwandte hatten<br />

uns zum Jahreswechsel nach Röderland<br />

(bei Elsterwerda) zum Feiern eingeladen.<br />

Nach Anhören der Wetterlage entschlossen<br />

wir uns, nicht mit dem „Trabi“, sondern<br />

mit der Bahn zu fahren. Nichts ahnend<br />

bestiegen wir am 29. Dezember den<br />

Zug in Richtung unseres Fahrtzieles. Alle<br />

freuten wir uns auf eine Feier in Familie.<br />

Dann endlich, der letzte Tag des Jahres<br />

war gekommen. Der Blick zum Himmel<br />

verhieß nichts Gutes.<br />

Am Nachmittag begann es zu schneien.<br />

Aufkommende Windböen heulten um das<br />

Haus. Doch keiner von uns dachte, dass<br />

es so derb kommen würde.<br />

Mitten in der Silvesterstimmung erlosch<br />

urplötzlich das Licht. Es sollte in dieser<br />

Nacht bis zur Schlafenszeit nicht wiederkehren.<br />

Bei Kerzenschein, Skat und Rommé<br />

ließ es sich dennoch aushalten. „Prosit<br />

Neujahr!“<br />

Am Neujahrstag war in den späten Nachmittagsstunden<br />

die Heimreise nach Görlitz<br />

geplant. Doch es gab kein Fortkommen.<br />

Nachdem uns in Elsterwerda auf Anfrage<br />

die Bahn mit der Lage vertraut gemacht<br />

hatte, kehrten wir um und in den Schoß<br />

der Familie zurück.<br />

Am zeitigen Morgen des 2. Januar der<br />

nächste Anlauf. Nach endlosem Warten in<br />

Riesa waren wir gegen 10.00 Uhr in Dresden<br />

angekommen. Der mürrisch dreinblickende<br />

Bahnangestellte war wenig<br />

erfreut, als wir ihm unseren Zielort nannten.<br />

„Wo wollen Sie hin, nach Görlitz, da<br />

wissen wir noch nicht, ob da überhaupt<br />

heute noch ein Zug hinfährt!“ Doch wir<br />

hatten Glück, die Bahn ließ wenig später<br />

einen mit zwei Diesellocks vorgespannten<br />

unbesetzten Doppelstockzug, bestehend<br />

aus vier Wagen, in den Dresdener Hauptbahnhof<br />

einfahren. Ich erspare mir an dieser<br />

Stelle nähere Einzelheiten. Nur soviel:<br />

Wie eine wildgewordene Tierherde, jede<br />

gute Kinderstube vergessend, drängte die<br />

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Erinnerungen |<br />

27


Winterfreuden zum Jahreswechsel 1978/79<br />

Sächsische Zeitung, 5.1.1979<br />

unübersehbare Menschentraube<br />

mit und ohne Gepäck in Richtung<br />

haltender Zug. Dieser hielt zu unserem<br />

Glück sehr weit vorn, schon<br />

außerhalb der Überdachung. Wir<br />

hatten deshalb sehr gute Chancen<br />

für einen Sitzplatz.<br />

Nach öfterem Halt auf freier Strecke<br />

kamen wir gegen 15 Uhr in<br />

Görlitz an. Aber es sollte noch<br />

schlimmer kommen. Auf dem<br />

Bahnhofsvorplatz stehend, um uns<br />

herum aufgetürmte Schneemassen,<br />

warteten wir auf Bus oder<br />

Bahn Richtung Weinhübel. Doch<br />

der Stadtverkehr ruhte aus den<br />

bekannten Gründen. Bepackt mit<br />

Koffer, diversen Reisetaschen und<br />

Beuteln strebten wir dem Taxistand<br />

entgegen. Nach längerem Warten<br />

bei Wind und Frost bekamen wir<br />

tatsächlich ein solches Gefährt.<br />

Als wir dem Fahrer unser Fahrtziel<br />

Weinhübel nannten, meinte<br />

er „Auch das noch! Ich hab in der<br />

Stadt schon Probleme!“ Er sollte<br />

Recht behalten. Nach mehr oder<br />

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28<br />

Erinnerungen |


Winterfreuden<br />

Und wir haben es doch geschafft!<br />

weniger gefahrvollem Rutschen hatten<br />

wir den Weinberg hinter uns gelassen. In<br />

Höhe des Zeltgartens begann das Taxi zu<br />

holpern. Der Fahrer stieg aus und besah<br />

sich die Räder. Reifenpanne vorn rechts.<br />

„Tut mir leid, aber Sie müssen hier aussteigen,<br />

ich kann so nicht weiter. Sie können<br />

warten, aber nicht im Auto. Ich berechne<br />

Ihnen nur den halben Preis.“ Kurze Beratung.<br />

Ergebnis: wir laufen. Also Gepäck<br />

aufnehmen und zu Fuß bis ins südliche<br />

Neubaugebiet (damals Straße der Kraftwerker).<br />

Es war schon fast zu dunkel. Mit<br />

einigen Verschnaufpausen war es endlich<br />

geschafft. Die Wohnung war kalt, aber wir<br />

waren dem heimischen Herd nahe.<br />

Am 3. Januar ließen die Straßenverhältnisse<br />

bereits in den Morgenstunden einen<br />

Schienenersatzverkehr mit Bussen ab<br />

Weinhübel zu. Viele konnten dadurch ihren<br />

Betrieb wieder erreichen. Doch an die<br />

eigene Arbeit im Betrieb war nicht zu denken.<br />

Vorrangig kam es jetzt darauf an, das<br />

eigene Betriebsgelände und die Zufahrten<br />

zu beräumen. Die Betriebe erhielten Auflagen<br />

zur Abstellung von Arbeitskräften<br />

für den Winterdienst im Stadtgebiet. Der<br />

öffentliche Personennahverkehr musste<br />

wieder in Gang gebracht werden. Gemeinsam<br />

mit den Beschäftigten anderer<br />

Görlitzer Betriebe wurden auch einzelne<br />

abkömmliche Mitarbeiter des damaligen<br />

VEB Kondensatorenwerk Görlitz „Wilhelm<br />

Pieck“ zur Freimachung von Weichen und<br />

Gleisen an neuralgischen Punkten eingeteilt.<br />

So rückte auch ich mit Schippe, Hacke<br />

und Besen ausgerüstet den Schneemassen<br />

zu Leibe. Ich war mit anderen<br />

Kollegen rund um den Demianiplatz/Postplatz<br />

eingesetzt. Der Spaß und das Lachen<br />

über einen Witz kamen dabei auch<br />

nicht zu kurz. Dank des unermüdlichen<br />

Einsatzes der vielen Helfer aus allen gesellschaftlichen<br />

Bereichen konnte in den<br />

Mittagsstunden des gleichen Tages auf<br />

einigen Abschnitten der Fahrbetrieb der<br />

Straßenbahn wieder aufgenommen werden.<br />

Langsam kehrte die Normalität zurück.<br />

Heute, fast genau 30 Jahre später,<br />

hatte ich beim Schreiben dieser Erinnerung<br />

das Gefühl, als wäre es erst gestern<br />

gewesen.<br />

Hans - Georg Hoffmann, Röderland<br />

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Erinnerungen | 29


Hommage an eine Kirche –<br />

Touristen aus nah und fern werden bei<br />

Führungen durch die Görlitzer Altstadt<br />

auch Historisches über die auf dem Obermarkt<br />

erbaute Dreifaltigkeitskirche, die<br />

frühere Klosterkirche, erfahren. Für mich<br />

sollte dieses sakrale Bauwerk in Teilen<br />

meines Lebens von Bedeutung sein.<br />

Als wir 1950 als Umsiedlerfamilie nach<br />

Görlitz kamen, ahnte ich nicht im Entferntesten,<br />

in welcher Beziehung ich einmal zu<br />

dieser Stätte christlichen Glaubens stehen<br />

würde. An der Elisabethstraße bekamen<br />

wir eine Wohnung zugewiesen. Es ergab<br />

sich, das neue Schuljahr hatte gerade begonnen,<br />

die Einweisung in die damalige<br />

Grundschule 10, gleich gegenüber unseres<br />

neuen Zuhause. Mutter legte sehr viel<br />

Wert auf eine christliche Erziehung. Ich<br />

ging in den Religionsunterricht, dem der<br />

Konfirmationsunterricht folgte. Begonnen<br />

hatte ihn Pfarrer Brüning. Wir Kinder gingen<br />

gern hin. Er machte oft kleine Späßchen.<br />

Es war immer sehr lustig. Doch eines<br />

schönen Tages erteilte er keinen Unterricht<br />

mehr. Ein anderer Pastor übernahm<br />

die Vorbereitung für unsere Konfirmation.<br />

Es war Pfarrer Reinhold Heuser, welcher<br />

seit Jahren seine Wirkungsstätte in<br />

der Dreifaltigkeitskirche hatte. Da ging es<br />

dann schon etwas religiöser zu. Er war es<br />

auch, der mich im Jahr 1954 konfirmierte.<br />

Ich trug dazu einen blauen Nadelstreifenanzug.<br />

Es war eine Maßanfertigung von<br />

einem Schneidermeister. Die Hosenbeinlinge<br />

flatterten beim Laufen nur so um<br />

die Fußgelenke. Zu den Feierlichkeiten in<br />

der elterlichen Wohnung war auch Pfarrer<br />

Heuser eingeladen. Er hatte die Einladung<br />

dankend entgegengenommen und weilte<br />

am Nachmittag für kurze Zeit inmitten der<br />

Familienangehörigen und den Gästen. Darauf<br />

war ich mächtig stolz.<br />

Ein Jahr später zogen wir in eine größere<br />

Wohnung in die Straße „Grüner Graben“.<br />

Diese Straße war gleichfalls bezirklich<br />

der Dreifaltigkeitskirche zugeordnet.<br />

Jeden Sonntag war für die Familie Kirchgang.<br />

Und man kann sicher sein, diese<br />

Treue bleibt einem Pastor nicht verborgen.<br />

Er kennt seine Schäfchen ganz genau. Im<br />

Laufe der Zeit entstand zwischen Herrn<br />

Heuser und uns eine persönliche Verbindung.<br />

Eines Tages fragte er mich, was ich<br />

denn einmal werden möchte? Ich weiß es<br />

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30<br />

Erinnerungen |


Hommage<br />

und einen ihrer Pfarrer<br />

Obermarkt mit Dreifaltigkeitskirche<br />

noch wie heute, Straßenbahnführer hatte<br />

ich geantwortet. Er fiel aus allen Wolken.<br />

„Mein Gott, Junge, das ist doch kein Beruf<br />

fürs Leben“, sagte er, seine Augen verdrehend.<br />

Er wollte unbedingt einen Pfarrer<br />

aus mir machen.<br />

Nun, ich bin weder Pfarrer, noch Straßenbahnführer<br />

geworden. Während meiner<br />

Lehrzeit im VEB Waggonbau Görlitz schloß<br />

ich mich mit anderen gleichaltrigen Jungen<br />

und Mädchen einer kirchlichen Laienspielgruppe<br />

an. Die Texte stammten aus<br />

kirchlichen Verlagen. Unsere öffentlichen<br />

Auftritte hatten wir zu besonderen Anlässen<br />

zumeist im Wichernhaus. Gelesen und<br />

geprobt wurde in der Sakristei und im Diakonissenhaus<br />

an der Langenstraße. Auch<br />

im nahegelegenen Reichenbach hatten wir<br />

ein Gastspiel. Den Zuschauern, zumeist<br />

Gemeindemitglieder der Dreifaltigkeitskirche,<br />

gefielen unsere Aufführungen. Neben<br />

einer sinnvollen Freizeitbeschäftigung hatten<br />

wir vor allem Freude und Spaß an der<br />

Sache. Auch Pfarrer Heuser sah´s mit Vergnügen<br />

und war mächtig stolz auf seine<br />

„Junge Gemeinde“. Aus Anlaß seines 25.<br />

Dienstjubiläums im Jahr 1959 an dieser<br />

seiner Wirkungsstätte bereiteten wir ein<br />

Programm vor, welches in würdigem Rahmen<br />

ebenfalls im Wichernhaus aufgeführt<br />

wurde.<br />

Meine erste Rolle hatte ich als „Knecht“ in<br />

dem Stück „Das Geheimnis vom verlorenen<br />

Sohn“. Danach übernahm ich auch<br />

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Erinnerungen |<br />

31


Hommage an eine Kirche<br />

Mittelschiff und Altar nach der Renovierung 1910<br />

größere Rollen. An zwei dieser Figuren<br />

erinnere ich mich noch sehr genau. Einmal<br />

stellte ich einen ständig angetrunkenen<br />

Mann namens „Motz“ dar, welcher mit<br />

dem Dorfpfarrer eine Wette eingeht. Meine<br />

schönste und ausdruckstärkste Rolle hatte<br />

ich als Landesfürst in einem fiktiven Land<br />

des fernen Ostens. Mein Gegenpart war<br />

ein einfacher Bauer namens Ling Than.<br />

Die Professionalität des Laiendarstellers in<br />

dieser Rolle rührte das Publikum jedesmal<br />

zu Tränen. Ich glaube, es war das emotionalste<br />

und nachhaltigste Stück während<br />

unseres Bestehens. Betreut wurden wir<br />

bei diesem Stück von einem Schauspieler<br />

des Gerhart-Hauptmann-Theaters Görlitz.<br />

Hans - Georg Hoffmann, Röderland<br />

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32<br />

Erinnerungen |


Johann Brussig<br />

Brussig<br />

Komponist Johann Brussig<br />

Das volkskünstlerische Gesamtwerk<br />

unseres Heimatkomponisten<br />

besteht hauptsächlich<br />

aus Balltänzen und<br />

Blasmärschen. Diese werden<br />

auch heute noch gern<br />

aufgeführt. Selbst die Uni<br />

Bamberg und die fränkische<br />

Forschungsstelle bezeichnen<br />

Johann Brussig als einen<br />

Großen der Blas- und Volksmusik.<br />

Doch nicht immer war<br />

Johann Brussig ein Musiker,<br />

und es wurde ihm mit Ausnahme<br />

seines Talents nichts<br />

in die Wiege gelegt.<br />

Er wurde am 27.10.1867<br />

in Noes bei Rothenburg in<br />

eine Häuslerfamilie geboren.<br />

Während seiner Schulzeit in<br />

der Dorfschule Noes wurde<br />

sein musikalisches Talent<br />

durch den Rothenburger<br />

Kantor entdeckt und durch<br />

dessen Geigenunterricht gezielt<br />

gefördert. Als Jugendlicher arbeitete<br />

er sehr hart in der Holzstoff- und Lederpappenfabrik<br />

Lodenau / Zoblitz, um zum<br />

Lebensunterhalt der Familie beizutragen.<br />

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Persönlichkeiten |<br />

33


Johann Brussig<br />

Brussig<br />

–<br />

Nach den langen Arbeitstagen und trotz<br />

des täglichen Fußmarsches eignete sich<br />

Johann Brussig das Trompetenspiel an<br />

und spielte in der Kapelle des Rothenburger<br />

Musikvereins mit. Seine ersten<br />

kleinen Kompositionen wurden im Verein<br />

aufgeführt. Die Musikstücke erfreuten<br />

sich großer Beliebtheit auch bei anderen<br />

Musikern. So fing der junge Komponist<br />

an, seine Stücke aufzuschreiben.<br />

1899 heiratete Johann Brussig und führte<br />

mit seiner Frau ein Lebensmittelgeschäft<br />

in Rothenburg. In dieser Zeit widmete er<br />

seine ganze Freizeit dem Musizieren und<br />

Komponieren.<br />

Noch vor dem ersten Weltkrieg entstanden<br />

viele Tanz- und Marschkompositionen<br />

und kleine Konzertstücke, die er<br />

im eigenen Notenverlag veröffentlichte.<br />

Er gab sein Geschäft auf, kaufte sich<br />

am Rothenburger Bahnhof ein größeres<br />

Hausgrundstück und lebte von diesem<br />

Zeitpunkt an von seiner Musik und der<br />

Arbeit mit seinem Verlag. Er betrieb einen<br />

Notenversand in alle Teile Deutschlands<br />

und viele Länder der Erde weit in<br />

den Zweiten Weltkrieg hinein.<br />

Johann Brussig lebte aber nicht nur für<br />

seine Musik, sondern nahm auch Anteil<br />

am gesellschaftlichen Leben in seiner<br />

Stadt. So wurde die erste elektrische<br />

Straßenbeleuchtung in Noes durch<br />

ihn finanziert. Der Rothenburger Schule<br />

spendierte er für den Musikunterricht<br />

ein Markenklavier. Jungen talentierten<br />

Musikern, die sich kein Instrument leisten<br />

konnten, stand er hilfreich zur Seite.<br />

Durch den Krieg, den Tod seiner Frau,<br />

die Zwangsevakuierung im Februar 1945,<br />

die Plünderung und Verwüstung seines<br />

Anwesens, auf das er im Sommer 1945<br />

völlig verarmt zurückgekehrte, blieb ihm<br />

der große Erfolg versagt. Diese Umstände<br />

hatten Johann Brussig zu einem gebrochenen<br />

Mann gemacht. Er verstarb<br />

am 23.2.1946.<br />

Auf dem Rothenburger Friedhof wurde er<br />

am 26.2.1946 beigesetzt. Von den zahlreichen<br />

Musikern, deren Förderer er gewesen<br />

war, konnten nur drei ihren Dank<br />

und letzten Gruß erweisen. Alle anderen<br />

hatten den Krieg nicht überlebt.<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet sein<br />

Name in Vergessenheit. Nur wenige äl-<br />

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34<br />

Persönlichkeiten |


Eine<br />

Nie vergessener<br />

kleine<br />

Rothenburger<br />

Erinnerung<br />

Johann Brussig als Militärtrompeter (2. Reihe, dritter von rechts)<br />

tere Musiker interpretierten seine Werke<br />

vor einem Publikum, das von einem Rothenburger<br />

Komponisten keine Ahnung<br />

hatte.<br />

Johann Brussigs Melodien werden heute<br />

wieder überall gerne gespielt. Vor allem<br />

Laienkapellen haben seine Werke<br />

in ihrem Repertoire. Diese Kompositionen<br />

zeichnen sich durch bodenständige<br />

Schlichtheit aus und begeistern ein breites<br />

Publikum. Aus der Feder Johann Brussigs<br />

stammen u. a. Kaisermarsch, Antonie-Marsch,<br />

Gartenlaube-Walzer, Töne der<br />

Liebe-Walzer, oder auch Maiglöckchen<br />

und Lustige Welt als Polka.<br />

Irina Scheuner<br />

Rothenburger Stadtmuseum<br />

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Persönlichkeiten |<br />

35


Park- und Gartenstadt<br />

und Gartenstadt<br />

Görlitz (Teil III)<br />

Verlassen wir den Park des Friedens,<br />

und der weitere Weg führt uns entlang<br />

der Dr.- Kahlbaum-Allee zum Neiße-Radund<br />

Wanderweg sowie zum Brauhaus<br />

Obermühle und vorbei zum Aufstieg zur<br />

Friedenshöhe.<br />

Die Vorgeschichte<br />

als Konsul- bzw.<br />

Obermühle<br />

Vor dem Jahr 1830<br />

hatte die Mühle eine<br />

bewegte Geschichte<br />

mit Wechsel vieler<br />

Besitzer, baulichen<br />

Veränderungen und<br />

der Produktpalette<br />

z.B. als Ölmühle.<br />

Am 15. April 1830<br />

ging die damalige<br />

Konsulmühle in<br />

Flammen auf. Schon<br />

bald danach wurde<br />

sie mit neuen Gebäuden<br />

durch den<br />

Bauherren Vater<br />

wieder aufgebaut.<br />

Ausschnitt Stadtplan, 1867<br />

Auch in der weiteren Geschichte erfuhr<br />

die Mühle Erneuerungen z.B. mit großem<br />

Lager, Wohngebäuden und Räumen<br />

für die laufende Erweiterung der<br />

Produktionspalette einer Mühle - nicht<br />

nur für die Mehlsorten, sondern auch<br />

z.B. für Mohn.<br />

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36<br />

Geschichte |


Die Friedenshöhe mit Blockhaus<br />

Kahnstation mit Mühle und Wehr, 1930<br />

Ab 1954 übernahm der letzte Mühlenbesitzer<br />

Ernst Apelt (1909 - 1993) von den<br />

Vorgängern Gierth und den Gebrüdern<br />

Schreiber diese historische Mühle.<br />

Am 24. Mai 1994 wurde sie aus ökonomischen<br />

Gründen und wegen fehlender<br />

Nachfolger geschlossen. Die Gegend um<br />

die Obermühle war lange Zeit der am<br />

wenigsten beachtete und zugängliche<br />

Teil des Heimatflusses Neiße.<br />

Erst mit Beginn der „Paddelboot - Ära“<br />

wurden die Schönheiten des Flussteils<br />

erschlossen. Es entstanden Kahnstationen,<br />

auch Badeanstalten und Ausflugslokale.<br />

Mit einer romantischen Kahnfahrt<br />

bis zum Wehr nach dem damaligen<br />

Leschwitz - Posottendorf genoß man<br />

den Reiz dieses Flussabschnittes.<br />

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Geschichte |<br />

37


Park- und Gartenstadt<br />

und Gartenstadt<br />

Görlitz (Teil III)<br />

Brauhaus Obermühle, 2008<br />

Auch heute wird man durch eine Kahnausleihe<br />

zu einer Bootsfahrt auf der<br />

Neiße eingeladen. Diese wurde am 11.<br />

Juni 1999 wieder eingeweiht. Das Brauhaus<br />

Obermühle war einst das Sozialgebäude<br />

der Mühle bis 1994. Am 10.<br />

April 2001 wurde es als Gaststätte mit<br />

eigener Bierproduktion eröffnet. In den<br />

weiteren Jahren ist diese durch eine<br />

Terrasse und eine Pension für Radfahrer<br />

erweitert worden. Von der Terrasse<br />

genießt man einen beeindruckenden<br />

Blick auf den Viadukt, das große Wehr<br />

und die Kahnausleihe. Der Viadukt ist<br />

1844 - 1847 erbaut worden. An einer<br />

Tafel am Bogen in Richtung Neißeweg<br />

ist die Inschrift zu erkennen „Unter der<br />

Regierung Friedrich Wilhelm IV. ange-<br />

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38<br />

Geschichte |


Die Friedenshöhe mit Blockhaus<br />

Ansichtskarte Viadukt mit Fußgängerbrücke<br />

legt“. Der Viadukt war eine der sieben<br />

Brücken, welche über die Neiße führten.<br />

Am 7. Mai 1945 wurden alle Brücken gesprengt<br />

und vom Viadukt 2 Bögen. Man<br />

gelangt durch den Viadukt an die Reste<br />

einer Fußgängerbrücke.<br />

Diese Brücke wurde 1893 in Stahlkonstruktion<br />

mit Abgang zur Neißeinsel gebaut.<br />

Sie war der Brückenschlag zu beliebten<br />

Ausflugszielen gegenüber der<br />

Neiße. So war es möglich, zur bekannten<br />

Milchkuranstalt, dem Jägerwäldchen,<br />

den Tennisplätzen, dem Kanuclub<br />

und zur Kleingartenanlage sowie dem<br />

Vereinshaus zu gelangen. In Ergänzung<br />

zum offiziellen Übergang auf die Neißeinsel<br />

zum Ausflugslokal mit Biergarten<br />

gab es kurzzeitig eine Holzbrücke. Ge-<br />

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Geschichte |<br />

39


Park- und Gartenstadt<br />

und Gartenstadt<br />

Görlitz (Teil III)<br />

genüber den Resten der<br />

Fußgängerbrücke am Neißeweg<br />

gelangt man nach<br />

einem beschwerlichen Aufstieg<br />

und vielen Stufen zur<br />

Friedenshöhe.<br />

Die Friedenshöhe mit<br />

Blockhaus<br />

Eine romantische 0,4 Hektar<br />

große Gartenanlage,<br />

hoch über der Neiße am<br />

städtischen Blockhaus gelegen.<br />

1871 wurde erstmals<br />

diese im Stil einer<br />

kleinen Gartenanlage erschaffen.<br />

Der Name ist als<br />

Verweis auf das Ende des<br />

Deutsch - Französischen<br />

Krieges 1871 zu verstehen.<br />

Eine neue Umgestaltung<br />

erfuhr die Friedenshöhe<br />

1952, 1965 und<br />

2003. Neben den heutigen<br />

drei Kunststeinguss - Figurengruppen<br />

des Bautzener<br />

Bildhauers Rudolf Ender- Vogeltränke mit Häuschen, 2005<br />

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40<br />

Geschichte |


Die Friedenshöhe mit Blockhaus<br />

Schönes Detail mit Aussichtspunkt, 1999<br />

lein (1908 - 1985) ist die<br />

überdachte Vogeltränke<br />

ein markantes Wahrzeichen<br />

der Anlage. Auch hat<br />

man von hier aus einen<br />

einzigartigen Blick auf den<br />

weiteren Flußlauf der Neiße,<br />

die Nebenarme sowie<br />

bei guter Sicht bis ins Riesen-<br />

und Isergebirge.<br />

Bereits 1952 war die Umgestaltung<br />

das Werk von<br />

Gartenbaudirektor Henry<br />

Kraft (1899 - 1979), der<br />

1939 in Görlitz Nachfolger<br />

von Parkdirektor Heinrich<br />

Diekmann wurde. Noch<br />

heute entsprechen zahlreich<br />

geschaffene Anlagen<br />

seinen Entwürfen wie<br />

die Zwingeranlage und die<br />

Ochsenbastei im „Nationalen<br />

Aufbauwerk“, Berggarten,<br />

Birkenwäldchen<br />

und der Goldfischteich im<br />

Stadtpark sowie der Ölberggarten.<br />

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Geschichte |<br />

41


Park- und Gartenstadt<br />

und Gartenstadt<br />

Görlitz (Teil III)<br />

Ansichtskarte Denkmal Prinz Friedrich Karl von Preußen<br />

Geht man weiter über die Überführung<br />

einer Eisenbahnbrücke der Strecke nach<br />

Breslau, so gelangt man an das Blockhaus.<br />

Dort war einst der Standort des<br />

Denkmals Prinz Friedrich Karl von Preußen<br />

(1828 - 1885). Sein ausgestreckter<br />

Arm zeigte in Richtung des Länderecks.<br />

Die Statue wurde von Franz Ochs (1852<br />

- 1903) geschaffen und stand ab 1891<br />

auf einem 4m hohen Sockel aus schwedischem<br />

Granit und die Plattform aus<br />

rotem bearbeitetem Natursteinquader.<br />

Dieser fand Verwendung bei der Anlage<br />

des Mahnmals für die Opfer des Faschismus<br />

1948 für das große Dreieck<br />

auf dem Karl-Marx-Platz und heute wieder<br />

Wilhelmsplatz.<br />

Im Hintergrund des Denkmals am Block-<br />

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42<br />

Geschichte |


Die Friedenshöhe mit Blockhaus<br />

haus gab es bis Mitte der<br />

50er Jahre die Traditionsgaststätte<br />

für Vereine mit<br />

Biergarten und um das<br />

Denkmal ein Rondell mit<br />

Bänken. Erbaut wurde dieses<br />

Gebäude als Befestigung<br />

zum Schutz der Brücke<br />

- deshalb der Name.<br />

Danach war das Blockhaus<br />

Kindertagesstätte mit Hort<br />

und Kindergarten. Auch<br />

von hier aus bietet sich<br />

ein schöner Blick auf das<br />

Tal der Neiße, den Viadukt<br />

und bei klarer Sicht auf das<br />

Isergebirge.<br />

Wenn du erst über den<br />

Berg bist,<br />

geht es rasch auch bald<br />

wieder abwärts.<br />

Wie wahr!<br />

Texte und aktuelle Fotos:<br />

H.-D. Müller<br />

Blockhaus als Kindertagesstätte, 2008<br />

Impressum:<br />

Herausgeber (V.i.S.d.P.):<br />

StadtBILD-Verlag<br />

Inh. Thomas Oertel<br />

Carl-von-Ossietzky Str. 45<br />

02826 Görlitz<br />

Ruf: (035<strong>81</strong>) 87 87 87<br />

Fax: (035<strong>81</strong>) 40 13 41<br />

E-Mail: info@stadtbild-verlag.de<br />

www.stadtbild-verlag.de<br />

Geschäftszeiten:<br />

Mo. - Fr. von 9.00 bis 17.00 Uhr<br />

Druck:<br />

www.print-mania.de<br />

Verantw. Redakteur:<br />

Kathrin Drochmann<br />

Redaktion:<br />

Dr. Ernst Kretzschmar,<br />

Dipl. Ing. Eberhard Oertel,<br />

Dr. Ingrid Oertel<br />

Layout:<br />

Kathrin Drochmann,<br />

Marnie Willig, Marion Schneider<br />

Anzeigen verantw.:<br />

Dipl. Ing. Eberhard Oertel<br />

Mobil: 0174 - 31 93 525<br />

Bertram Oertel<br />

Mobil: 0151 - 144 31 311<br />

Teile der Auflage werden auch<br />

kostenlos verteilt, um eine größere<br />

Verbreitungsdichte zu gewährleisten.<br />

Für eingesandte Texte &<br />

Fotos übernimmt der Herausgeber<br />

keine Haftung. Artikel, die<br />

namentlich gekennzeichnet sind,<br />

spiegeln nicht die Auffassung des<br />

Herausgebers wider. Anzeigen und<br />

redaktionelle Texte können nur<br />

nach schriftlicher Genehmigung<br />

des Herausgebers verwendet werden.<br />

Anzeigenschluss für die April-<strong>Ausgabe</strong>:<br />

15. März <strong>2010</strong><br />

Redaktionsschluss: 15. März <strong>2010</strong><br />

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Geschichte |<br />

43


Görlitzer<br />

Geschichten vom Görlitzer Stadtverkehr –<br />

Bereits im Januarheft<br />

bildete der Marienplatz<br />

das Thema des<br />

Beitrages. Diesmal ist<br />

er gewissermaßen die<br />

Kulisse für einige aus<br />

heutiger Sicht recht<br />

abenteuerlich anmutende<br />

Omnibusse, wie<br />

sie von den späten<br />

40er bis zum Beginn<br />

der sechziger Jahre<br />

im städtischen Buslinienverkehr anzutreffen<br />

waren. Zugleich gestatten die<br />

Bilder einen kleinen Einblick in das System<br />

der Haltestellen auf bzw. an diesem<br />

Platz, wobei dies hier noch nicht einmal<br />

vollständig ist. Zu keiner Zeit sollte<br />

er wieder eine derart wichtige Rolle im<br />

Görlitzer Stadtbusverkehr spielen.<br />

Nachdem bereits gegen Ende der dreißiger<br />

Jahre in Görlitz ein Busverkehr<br />

zwischen dem Flugplatz (damals Fliegerhorst)<br />

und Leopoldshain im heute<br />

polnischen Teil der Stadt Görlitz belegt<br />

ist, kam es nach dem Zusammenbruch<br />

Hansa Lloyd Mercur IV NP von 1937, am Naturkundemuseum 1956<br />

des öffentlichen Verkehrs bei Kriegsende<br />

in der zweiten Hälfte der 40er Jahre<br />

wieder zu zaghaften Versuchen, einen<br />

städtischen Busverkehr ins Leben<br />

zu rufen. Ein Mercedes der Erstausstattung<br />

konnte wieder in unsere Stadt zurückgeführt<br />

werden und war etwas später<br />

einige Jahre unter der Nummer 3 im<br />

Einsatz. Dieser allein hätte aber lange<br />

nicht ausgereicht für die Aufnahme eines<br />

Linienverkehrs.<br />

Ende 1948 stellte die KVG Sachsen ihre<br />

Geschäftstätigkeit als Privatunternehmen<br />

ein und übergab den Betrieb an<br />

das Land Sachsen. Einige Jahre spä-<br />

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44<br />

Geschichte |


Vorkriegsoldtimer im Busverkehr der fünfziger Jahre<br />

gelangten in kurzen<br />

Abständen jeweils<br />

zwei große Henschel-<br />

Busse annähernd<br />

gleicher Bauart und<br />

zwei unterschiedliche<br />

Hansa- Lloyd – allesamt<br />

aus der zweiten<br />

Hälfte der 30er Jahre<br />

stammend - noch im<br />

Postoutfit in unsere<br />

Henschel 6 J5N von 1939 an der Elisabethstraße, 1956<br />

Stadt und erhielten<br />

ter, nämlich im Juni 1953, endete der nach ihrem Neuaufbau die Nummern<br />

Personenverkehr der Deutschen Post 5 bis 8. Eine Zugmaschine unbekannter<br />

Herkunft zum Personeneinsatz mit<br />

in der DDR. Beide Unternehmen deckten<br />

gemeinsam den Regionalverkehr ab einem Busanhänger ergänzte mit der<br />

und verfügten zu ihrer aktiven Zeit auch Nummer 9 den bescheidenen Fuhrpark.<br />

über Linien durch bzw. nach Görlitz. In In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre<br />

begann der Rückzug dieser hochbe-<br />

den Jahren 1948/49 übernahm die Görlitzer<br />

Straßenbahn von der KVG Sachsen tagten Oldtimer aus dem Linienverkehr.<br />

zwei Büssing 4500 T von 1944 mit vereinfachten<br />

Kriegsaufbauten, einen Büstere<br />

Nutzung in anderen Busunterneh-<br />

Die Mehrzahl von ihnen erfuhr eine weising<br />

500 T von 1942 sowie insgesamt men. Der Mercedes LO 2600 mit der<br />

vier Schumann- Busanhänger (unter ihnen<br />

zwei mit Kriegsaufbau) und setzge<br />

Monate durch ein genauso altes ähn-<br />

Nr. 3 wurde 1962 noch einmal für wenite<br />

sie nach deren Aufarbeitung mit den liches Fahrzeug ersetzt, welches einst<br />

Nummern 1, 2, 4, 10-13 ein. 1951-52 in Dessau gefahren ist. Mit Wagen Nr. 4<br />

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Geschichte |<br />

45


Görlitzer<br />

Geschichten vom Görlitzer Stadtverkehr<br />

Büssing 4500 T von 1944, im Mai 1956 beim Demianiplatz<br />

– 1956 nach einem schweren Verkehrsunfall<br />

neu aufgearbeitet- endete im Februar<br />

1963 der Stadtlinieneinsatz mit<br />

Vorkriegsbussen. Den Unterlagen nach<br />

sollen beide Büssing mit Kriegsaufbauten<br />

(Nr. 1 und 2) 1957 bzw. 1960 neue<br />

Reisebuskarosserien der Firma Fleischer<br />

in Gera erhalten haben, bildlich belegt<br />

ist aber nur ein Fahrzeug ohne angeschriebene<br />

Nummer, und der Wagen Nr.<br />

1 soll Zeitzeugen zufolge<br />

noch bis Mitte<br />

der 60er Jahre mit<br />

seinem Behelfsaufbau<br />

zum Einsatz gekommen<br />

sein. Wenigstens<br />

zwei der Bushänger<br />

sind 1956 gegen<br />

relativ neue W 701-<br />

Anhänger (Baujahr<br />

1955) anderer Unternehmen<br />

getauscht<br />

worden. Über diese Fahrzeuggruppe<br />

wird zu einem späteren Zeitpunkt zu<br />

berichten sein. Spätestens 1968 waren<br />

die letzten Vorkriegsoldtimer aus dem<br />

Görlitzer Omnibusalltag verschwunden<br />

(beim Kraftverkehr Görlitz wohl bereits<br />

etwas früher).<br />

(Fortsetzung folgt)<br />

Andreas Riedel, Wiesbaden<br />

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46<br />

Geschichte |

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