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Ronny muss zur Volksarmee« Die Garnisonstadt Rathenow ... - MGFA

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ei der NVA. <strong>Die</strong> meisten berichteten,<br />

wie sie unter der langen Trennung von<br />

Freunden und Familie und der Willkür<br />

der Vorgesetzten gelitten hätten. Hier,<br />

im Kollektiv des Kombinats, hätten<br />

die Kollegen schon auf ihre Rückkehr<br />

gewartet. In der chemischen Industrie<br />

würden sie kaum weniger als bei der<br />

Armee verdienen. Manches von dem,<br />

was die Reservisten erzählten, klang<br />

übertrieben, aber vieles schien eben<br />

auch glaubwürdig.<br />

Soldaten von morgen?<br />

Kurz nach Vollendung des 18. Lebensjahrs<br />

erhielt <strong>Ronny</strong> vom Wehrkreiskommando<br />

Bitterfeld die Aufforderung,<br />

<strong>zur</strong> Musterung zu erscheinen.<br />

Als Zeichen seiner politischen Gesinnung<br />

kam er im blauen Hemd der<br />

FDJ. Alle Untersuchungen verliefen<br />

routinemäßig, bis er vor der Musterungskommission<br />

erschien und seine<br />

Bewerbung plötzlich <strong>zur</strong>ückzog. Der<br />

Vorsitzende der Musterungskommission<br />

versuchte es erst mit freundlichen<br />

Worten und redete lange auf ihn ein.<br />

Er appellierte an <strong>Ronny</strong>s Gewissen,<br />

seine Pflicht <strong>zur</strong> Dankbarkeit gegenüber<br />

dem Staat und drohte schließlich,<br />

dass sein Entschluss auch für die<br />

Eltern Konsequenzen haben könnte.<br />

Aber <strong>Ronny</strong>s Entscheidung stand fest.<br />

Er verwies auf das Datum seiner Verpflichtungserklärung:<br />

<strong>Die</strong> Unterschrift<br />

eines Fünfzehnjährigen war auch in<br />

der DDR nicht rechtskräftig. <strong>Ronny</strong><br />

äußerte noch den Wunsch, möglichst<br />

heimatnah eingesetzt zu werden, am<br />

besten als Kraftfahrer oder bei einer<br />

Instandsetzungseinheit.<br />

Der junge Mann war erleichtert und<br />

mit ihm seine Freundin. Er verließ das<br />

Bewerberkollektiv, genauso wie noch<br />

vier andere aus seiner Gruppe. Im Mai<br />

des darauffolgenden Jahres, unmittelbar<br />

vor Abschluss des Abiturs, erhielt<br />

<strong>Ronny</strong> ein Einschreiben mit Ort und<br />

Zeitpunkt für den Sammeltransport<br />

und der Adresse des neuen <strong>Die</strong>nstortes<br />

– Laufbahn: Mot.-Schützen, <strong>Die</strong>nstort:<br />

Drögeheide. <strong>Ronny</strong> hatte noch nie<br />

von diesem Ort gehört und war enttäuscht,<br />

dass sich seine Hoffnungen<br />

nicht erfüllt hatten. Ähnlich ging es<br />

vielen seiner Klassenkameraden. Um<br />

sicher einen Studienplatz zu bekommen,<br />

hatten sich viele für drei Jahre<br />

als Unteroffizier auf Zeit verpflichtet.<br />

<strong>Die</strong> Verwendungswünsche, die sie bei<br />

der Verpflichtung angegeben hatten,<br />

fanden aber nur bei den wenigsten<br />

Berücksichtigung. Ein guter Freund<br />

von <strong>Ronny</strong> hatte sich nur unter der<br />

Maßgabe verpflichtet, für drei Jahre<br />

<strong>zur</strong> Volksmarine gehen zu können.<br />

Jetzt war er bei den den Pionieren in<br />

Hagenow eingeplant. Für eine Eingabe<br />

war es zu spät, außerdem wussten<br />

die »Soldaten von morgen« gar nicht,<br />

an wen sie ihre Beschwerde hätten<br />

richten müssen. <strong>Die</strong> bunten Informationsmaterialen,<br />

die sie im Wehrunterricht<br />

und im Wehrkreiskommando<br />

erhalten hatten, gaben darüber keine<br />

Auskunft.<br />

»I see a bad moon rising,<br />

I see trouble on the way«<br />

Am Tag des <strong>Die</strong>nstantritts fuhr <strong>Ronny</strong><br />

früh morgens mit einem überfüllten<br />

Zug in den Norden der Republik. <strong>Die</strong><br />

Luft war alkoholgeschwängert, die<br />

Stimmung bei einigen aufgekratzt, bei<br />

den meisten gedrückt. Im Nachbarabteil<br />

wurden Lieder gegrölt: »I see<br />

a bad moon rising, I see trouble on<br />

the way« von Creedence Clearwater<br />

Revival ließ wenig Gutes erahnen.<br />

Am Bahnhof Pasewalk erwarteten sie<br />

bereits Offiziere, die <strong>zur</strong> Eile mahnten<br />

und die Wehrpflichtigen auf Lkw<br />

verfrachteten. <strong>Die</strong> Fahrt führte durch<br />

ein Waldgebiet, wo sich Fuchs und<br />

Hase gut‘ Nacht sagten. Als sich die<br />

Ladeluke öffnete, spürte <strong>Ronny</strong> sofort<br />

einen anderen Rhythmus und eine<br />

ungewohnte Lautstärke.<br />

Der Kommandeur der Ausbildungseinheit<br />

begrüßte sie im Mot.-Schützenregiment<br />

9 mit dem Ehrennamen<br />

»Max Renner«. <strong>Die</strong> Vorgesetzten waren<br />

energisch, barsch und erwarteten<br />

von den Neuen, dass sofort alles funktionierte.<br />

Kaum ein Satz kam ohne die<br />

Füllwörter »hier«, »dort« und »machen<br />

se« aus. <strong>Ronny</strong> <strong>muss</strong>te sich schnell<br />

umstellen, denn jeder Schritt wurde<br />

hier befohlen. <strong>Die</strong> ersten Wochen waren<br />

körperlich sehr fordernd. Nicht<br />

der obligatorische 3000-m-Lauf jeden<br />

Morgen vor dem Frühstück, sondern<br />

die Gefechtsausbildung brachte selbst<br />

den guten Sportler an seine Grenzen.<br />

Vieles hatte sich <strong>Ronny</strong> ganz anders<br />

vorgestellt. <strong>Die</strong> Unterkünfte waren<br />

sauber, aber in einem heruntergekommenen<br />

Zustand. 100 Soldaten <strong>muss</strong>ten<br />

sich fünf Toiletten teilen. Noch schlimmer<br />

stand es bei den Duschen, die<br />

nur einmal in der Woche aufgesucht<br />

werden durften. Der strenge Geruch,<br />

den <strong>Ronny</strong> zu Anfang bei seinen Kameraden<br />

verspürte, fiel ihm nach einigen<br />

Wochen nicht mehr auf. Alle<br />

schimpften über die unbequeme Uniform<br />

und das wenig abwechslungsreiche<br />

und manchmal sogar unappetitlich<br />

zubereitete Essen. Während<br />

sich die Versorgung der Soldaten auf<br />

das Nötigste konzentrierte, standen<br />

die Gefechtsfahrzeuge in gepflegten<br />

und beheizten Hallen. <strong>Die</strong> intellektuellen<br />

Herausforderungen waren gering<br />

und die Regeln innerhalb des<br />

»Objekts«, wie die Kaserne genannt<br />

wurde, schnell zu lernen: Wer sich<br />

unterordnete, anpasste und funktionierte,<br />

brauchte von den Vorgesetzten<br />

nichts zu befürchten. Das galt auch für<br />

den langweiligen Politunterricht, von<br />

den Soldaten »Rotlichtbestrahlung«<br />

genannt, in dem nur Platz für ideologische<br />

Worthülsen, aber nicht für offene<br />

Diskussionen war.<br />

Geschlossene Gesellschaft<br />

Am meisten bedrückte <strong>Ronny</strong> das<br />

menschliche Miteinander. Der Umgang<br />

unter den Soldaten war schroff,<br />

und oft wurden die Wehrpflichtigen<br />

wegen Kleinigkeiten angebrüllt. Vor<br />

Überprüfungen spürten die Soldaten<br />

die Anspannung der Vorgesetzten. Um<br />

ein gutes Ergebnis zu erzielen, griffen<br />

sie zuweilen sogar zu unlauteren<br />

Mitteln. Während sich zu den jungen<br />

Unteroffizieren schnell ein kumpelhaftes<br />

Verhältnis entwickelte, blieben<br />

die Berufsunteroffiziere und Offiziere<br />

für die Wehrpflichtigen unnahbar. Vielen<br />

jüngeren Vorgesetzten fehlte es an<br />

persönlicher Autorität und praktischer<br />

Erfahrung, während die Älteren oft<br />

frustriert ihren <strong>Die</strong>nst versahen. Über<br />

das Gebaren der Berufsunteroffiziere<br />

und ihr Bildungsniveau machten sich<br />

vor allem die Soldaten mit höherem<br />

Bildungsabschluss lustig. Obwohl ein<br />

striktes Alkoholverbot innerhalb der<br />

Kaserne bestand, kam es immer wieder<br />

vor, dass die Vorgesetzten morgens<br />

angetrunken zum <strong>Die</strong>nst erschienen.<br />

Knapp die Hälfte der Berufskader in<br />

der Kompanie lebte ohne ihre Familie<br />

am Standort. <strong>Die</strong> meisten sahen Frau<br />

und Kinder nur im Abstand mehrerer<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />

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