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Ypsilon (02/2023) - Gemeinsam stark - Demokratie Leben

Gemeinsam stark - Demokratie Leben

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X an Y<br />

Die dunkle Seite<br />

Fotos: iStock/Prostock-Studio; PicturePeople<br />

Beobachtet wurde dabei die längerfristige Änderung der Parameter<br />

in Ländern, die von autokratischen zu demokratischen<br />

Regierungsformen wechseln. Dabei zeigt sich, dass auf einzelnen<br />

Gebieten vorübergehend auch Verschlechterungen eintreten<br />

können. Was sich in welchem Ausmaß verbessert, hängt<br />

auch von geografischer Lage, natürlichen Ressourcen, Traditionen,<br />

Verhältnis zu Nachbarländern und anderem ab. Auch können<br />

Autokratien auf einzelnen Feldern kurzfristig erfolgreicher<br />

sein. Mittel- und langfristig sprechen die Zahlen aber eindeutig<br />

für die <strong>Demokratie</strong>.<br />

Ein Land wird derzeit gerne als Gegenbeispiel zur Rede vom<br />

„<strong>Demokratie</strong>-Vorteil“ ins Treffen geführt: die Volksrepublik<br />

China. Deren Führung hat es geschafft, durch rasche Übernahme<br />

und innovative Weiterentwicklung zeitgenössischer<br />

Technologie wirtschaftlich mitzuhalten und erfolgreich zu sein.<br />

Drei Voraussetzungen dafür sind in China gegeben: eine „hohe<br />

Staatskapazität“, das heißt ein leistungsfähiges Verwaltungssystem,<br />

politische Stabilität durch <strong>stark</strong>e Repression und militärische<br />

Stärke und eine Kultur, in deren Tradition Pflicht und Akzeptanz<br />

von Autorität höher stehen als Selbstentfaltungswerte.<br />

Ob und wie lange das Modell erfolgreich ist, wird sich erst zeigen.<br />

Wie demokratisch ist Österreich?<br />

Ein viel beachteter Messwert ist der <strong>Demokratie</strong>-Index der britischen<br />

Zeitschrift „The Economist“. Er vergibt für die einzelnen<br />

Länder Punkte in fünf Kategorien: Wahlverfahren und Pluralismus,<br />

Arbeitsweise der Regierung, politische Teilhabe, politische<br />

Kultur und Bürgerrechte. Je nach erreichter Punktezahl werden<br />

die Staaten in vier Kategorien eingeteilt: vollständige oder unvollständige<br />

<strong>Demokratie</strong>, Mischform aus <strong>Demokratie</strong> und Autokratie,<br />

autoritäres Regime. Norwegen führt diese Liste aktuell<br />

vor Neuseeland an, Österreich liegt auf Rang 20 von insgesamt<br />

24 Ländern, die als „vollständige <strong>Demokratie</strong>n“ eingestuft werden.<br />

Wer meint, damit könne man sich als Österreicher entspannt<br />

zurücklehnen, irrt gewaltig. Der <strong>Demokratie</strong>-Monitor des<br />

SORA-Instituts, erhoben und präsentiert im Herbst 2<strong>02</strong>2, zeigt:<br />

Nur mehr 34 Prozent der Menschen über 16 Jahre sind der<br />

Meinung, dass das politische System in Österreich derzeit sehr<br />

gut bzw. ziemlich gut funktioniert; 2018 waren es noch 64 Prozent.<br />

Für den Rest funktioniert es weniger oder gar nicht gut.<br />

Im Gegensatz dazu ist das Vertrauen in Justiz, Polizei und Behörden<br />

über die fünf Erhebungsjahre hinweg konstant geblieben.<br />

Der Vertrauensverlust trifft also in erster Linie die demokratisch<br />

gewählten Vertretungsorgane – das politische System ist mit einer<br />

Krise der Repräsentation konfrontiert. Diese umfasst auch die<br />

Parteien: 2018 fanden 13 Prozent der Menschen keine Partei, die<br />

ihre politischen Anliegen vertritt, inzwischen sind es 38 Prozent.<br />

„Arbeiten eh nix, zum Bundesheer müssen sie<br />

auch nicht. Das Wahlrecht sollte man ihnen<br />

nehmen, den Weibern!“ Zugreisen sind Zeitreisen,<br />

könnte man glauben. Doch die ÖBB haben<br />

die Physik noch nicht überlistet. Zugreisen<br />

geben Einblick in Diskussionen, die aus längst<br />

vergangenen Zeiten scheinen. 15-Jährige, die in<br />

aller Lautstärke fordern, ihren Müttern, Schwestern,<br />

Klassenkolleginnen das grundlegende<br />

demokratische Recht schlechthin zu nehmen.<br />

Weil sie ja eh so faul seien, „die Weiber“.<br />

Eine dunkle Zivilgesellschaft, die die Freiheit und<br />

Gleichheit aller als Grundlage von <strong>Demokratie</strong><br />

ablehnt, breitet sich in Online-Foren, Freundeskreisen,<br />

Schulhöfen und Vereinslokalen aus.<br />

Die Frau, die sich dem Herrschaftsanspruch der<br />

Ordnung widersetzt, sich den „natürlichen<br />

Verhältnissen“ nicht fügt oder die schlicht nicht<br />

in das Bild der braven Gespielin passt, wird<br />

radikal vernichtet. Erst durch Gedanken, dann<br />

durch Worte und schließlich durch Taten.<br />

Die Reisegespräche im Zug, die gezielte Entwürdigung<br />

von Frauen in politischen Funktionen, die<br />

körperliche Gewalt bis hin zum Femizid – sie<br />

sind Ausdruck der dunklen Zivilgesellschaft, die<br />

<strong>Demokratie</strong> aushöhlt und letztlich erstickt.<br />

„Sind ja nur ein paar Pubertäre …“, „Ja, der war<br />

halt verzweifelt und einsam …“, „Warum muss<br />

sie auch …“, „Die Frauen kriegen heute eh alles,<br />

da muss Mann sich wehren …“ – Sie kennen diese<br />

„Entschuldigungen“? Ich kenne sie zur Genüge.<br />

Manchmal laut, manchmal verschämt leise und<br />

manchmal sogar von Frauen selbst vorgetragen.<br />

<strong>Demokratie</strong> lebt vom lebendigen Austausch<br />

zwischen allen Bürgerinnen und Bürgern, die<br />

gemeinsam nach <strong>Leben</strong>sformen suchen, die ein<br />

<strong>Leben</strong> in Freiheit und Fülle für alle ermöglichen.<br />

Das erfordert, mutig aufzustehen, wenn die<br />

dunkle Seite der Zivilgesellschaft um sich greift.<br />

Weil es nicht nur „ein paar Hormongesteuerte“<br />

sind, sondern die Zukunft unserer <strong>Demokratie</strong>.<br />

Mag. Dr. Michaela Quast-<br />

Neulinger MA,<br />

Ass.-Prof.in für Fundamentaltheologie<br />

und Religionswissenschaft,<br />

forscht und lehrt<br />

an der Universität Innsbruck<br />

mit dem Schwerpunkt politische<br />

Theologie und interreligiöser<br />

Dialog.<br />

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