02.05.2023 Aufrufe

156. Ausgabe Mai 2023

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Stadtleben<br />

je unangenehmer und bedrohlicher wir<br />

die Gegenwart empfinden. Studienergebnisse<br />

zeigen, dass wir unsere eigene<br />

Kindheit als positiver und glücklicher<br />

wahrnehmen, je bedrückender<br />

wir die aktuelle Realität wahrnehmen.<br />

Früher war alles besser?<br />

Retromanie, Nostalgie oder einfach Gegenwartsflucht<br />

könnte man das nennen.<br />

Denn was wir im Rückblick als positiv<br />

und bereichernd wahrnehmen,<br />

muss mit der tatsächlichen Vergangenheit<br />

gar nichts zu tun haben. Doch<br />

die Retromanie hat eine ganze Reihe<br />

von Vorteilen und hilft uns sogar dabei,<br />

die eigene Gegenwart besser auszuhalten…<br />

Wie Erinnerungen konkret entstehen,<br />

wird noch erforscht. Unstrittig ist dabei<br />

aber, dass wir unsere Erinnerungen<br />

selbst kreieren. Ebenso unzweifelhaft<br />

ist, dass wir dabei die wichtigen Punkte<br />

unserer Biographie abspeichern.<br />

Wie wir uns später an bestimmte Ereignisse<br />

erinnern, hängt mit unserer Stimmung<br />

zusammen, in der wir sie abspeichern.<br />

Aber auch das ist nicht in Fels<br />

gemeißelt. Wir können die Erinnerung<br />

an unser erstes Praktikum mit einem<br />

guten Gefühl in unserem Oberstübchen<br />

ablegen und uns später trotzdem über<br />

die fehlende Bezahlung oder das unbrauchbare<br />

Praktikumszeugnis ärgern.<br />

Je öfter wir mit einem schlechten Gefühl<br />

und Ärger daran zurückdenken, umso<br />

negativer färben wir die Erinnerung ein.<br />

Anders gesagt: Was heute noch eine<br />

schöne und positive Erinnerung ist,<br />

kann in einigen Jahren schon ganz anders<br />

aussehen. Es gibt also nicht die<br />

eine Erinnerung an die Vergangenheit,<br />

sondern jedes Mal, wenn wir an etwas<br />

Bestimmtes denken, verändern wir es<br />

ein Stückchen in eine andere Richtung.<br />

Einziger Trost: Das scheint sich mit<br />

den Jahren schrittweise zu ändern.<br />

Wenn wir älter werden, fallen uns zunehmend<br />

Momente aus der Vergangenheit<br />

ein, die mit angenehmen Gefühlen<br />

verknüpft sind. Das liegt vermutlich daran,<br />

dass das Gehirn negative Erfahrungen<br />

mit der Zeit anders verarbeitet.<br />

Man nimmt das Schlechte, das einem<br />

widerfährt – und auch das Schlechte,<br />

an das man sich erinnert –, nicht mehr<br />

so persönlich.<br />

Das entspricht auch unserer Alltagserfahrung:<br />

In der Kindheit können uns<br />

Schicksalsschläge im ersten Moment<br />

leichter umwerfen als mit 80 Jahren.<br />

Das Alter mag den Menschen morsche<br />

Gelenke bescheren – aber vermutlich<br />

auch ein dickeres Fell.<br />

14 05/<strong>2023</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!