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Klaus Hock | Claudia Jahnel | Klaus-Dieter Kaiser (Hrsg.): Mission in Film und Literatur (Leseprobe)

Mission hat in Film und Literatur weiterhin Konjunktur – sei es explizit wie in Scorseses »Silence« (2016) oder in der Netflix-Neuverfilmung von »Black Narcissus« (2020), sei es en passant wie im »Kanonenboot am Yangtse-Kiang« (1966) oder implizit wie in Herzogs »Der Nomade – Auf den Spuren von Bruce Chatwin«. Die Beiträge dieses Bandes befassen sich mit der Inszenierung von Mission in Romanen und Filmen. Dabei zeigen sich verbindende Motive wie etwa das der Grenzüberschreitung, der Begegnung mit dem »Fremden«, des Scheiterns oder der Auseinandersetzung mit Kolonialismus und Macht. Gleichzeitig bleibt in der Spannung von Fiktion und Faktizität, Story und History das Verständnis von Mission offen und entzieht sich klassischen historischen, religionswissenschaftlichen und interkulturell-theologischen Deutungsmustern.

Mission hat in Film und Literatur weiterhin Konjunktur – sei es explizit wie in Scorseses »Silence« (2016) oder in der Netflix-Neuverfilmung von »Black Narcissus« (2020), sei es en passant wie im »Kanonenboot am Yangtse-Kiang« (1966) oder implizit wie in Herzogs »Der Nomade – Auf den Spuren von Bruce Chatwin«.
Die Beiträge dieses Bandes befassen sich mit der Inszenierung von Mission in Romanen und Filmen. Dabei zeigen sich verbindende Motive wie etwa das der Grenzüberschreitung, der Begegnung mit dem »Fremden«, des Scheiterns oder der Auseinandersetzung mit Kolonialismus und Macht. Gleichzeitig bleibt in der Spannung von Fiktion und Faktizität, Story und History das Verständnis von Mission offen und entzieht sich klassischen historischen, religionswissenschaftlichen und interkulturell-theologischen Deutungsmustern.

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26 Georg Seeßlen<br />

akzeptiert, um e<strong>in</strong> Modell des Friedens <strong>und</strong> der Gerechtigkeit zu errichten. Dessen<br />

Ausstrahlungskraft ist so groß, dass sich sogar der Sklavenhändler Mendoza<br />

zum Guten wendet <strong>und</strong> den Pater bei se<strong>in</strong>en Absichten nach Kräften unterstützt.<br />

Doch als die Kolonialmächte Spanien <strong>und</strong> Portugal e<strong>in</strong>en neuen Vertrag über das<br />

Dschungelgebiet aushandeln, der die Gr<strong>und</strong>lage e<strong>in</strong>er rücksichtslosen Unterdrückung<br />

<strong>und</strong> Ausbeutung liefert, zerbricht diese Insel des Friedens, Pater Gabriel<br />

<strong>und</strong> die <strong>Mission</strong> geraten zwischen die politischen Fronten <strong>und</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en blutigen<br />

Krieg, <strong>in</strong> dem auch die katholische Kirche e<strong>in</strong>e unrühmliche, realpolitische Rolle<br />

spielt. Mendoza entscheidet sich für den Kampf, Gabriel für Gewaltlosigkeit<br />

bis zum Schluss. Das Massaker an se<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>de kann er nicht verh<strong>in</strong>dern,<br />

nur mit ihnen sterben. Am Ende wird noch e<strong>in</strong>mal deutlich, dass hier verhandelt<br />

wird, was diese Welt eigentlich ist. Von Gott gewollt, von Menschen gemacht? Als<br />

Gabriel e<strong>in</strong>em Mann aus se<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>de entgegenhält, dass Gott die Welt aus<br />

Liebe erschaffen hat, entgegnet der verzweifelt, Gott habe die Welt doch schon<br />

verlassen, <strong>und</strong> auch Gabriel muss erkennen: »Wenn Macht Recht ist, hat die Liebe<br />

ke<strong>in</strong>en Platz <strong>in</strong> der Welt!« Das f<strong>und</strong>amentale Scheitern der christlichen <strong>Mission</strong><br />

hat etwas von e<strong>in</strong>er Endzeit; selbst der Chronist dieses <strong>Film</strong>s, der päpstliche Gesandte<br />

Altamirano, bekennt am Ende <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bericht, er fühle sich seitdem wie<br />

tot. Entlassen werden wir mit dem H<strong>in</strong>weis, dass Unterdrückung <strong>und</strong> Ausbeutung<br />

der Menschen <strong>in</strong> dieser Weltregion bis heute nicht aufgehört haben.<br />

So düster sehen es nicht alle <strong>Film</strong>e, die das Verhältnis von Kolonialismus <strong>und</strong><br />

<strong>Mission</strong> behandeln. In die politischen Widersprüche der <strong>Mission</strong> führte auch das<br />

Historiendrama »Die <strong>Mission</strong>ar<strong>in</strong>« von Lars-Gunnar Lotz (2021), nämlich zu e<strong>in</strong>em<br />

Kapitel der deutschen Kolonialgeschichte. Die junge <strong>Mission</strong>ar<strong>in</strong> L<strong>in</strong>a versucht<br />

auf e<strong>in</strong>er Südsee<strong>in</strong>sel, auf der 3 000 Natives <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Gruppe von<br />

Deutschen leben, zwischen den Kulturen zu vermitteln, die immer wieder ane<strong>in</strong>andergeraten,<br />

weil die Deutschen <strong>in</strong> ihrer Bauwut <strong>und</strong> Ignoranz so rücksichtslos<br />

s<strong>in</strong>d, dass sie e<strong>in</strong>en Aufstand provozieren. Nun geht es darum, e<strong>in</strong> Massaker<br />

durch die herbeigerufene Kriegsmar<strong>in</strong>e zu verh<strong>in</strong>dern. E<strong>in</strong>mal mehr also muss<br />

<strong>Mission</strong> sich im Namen der Menschlichkeit gegen den politischen Auftraggeber<br />

wenden <strong>und</strong> kann sich dabei auf die kirchliche Hierarchie selbst nicht verlassen.<br />

So gelangen wir <strong>in</strong> den unterschiedlichsten Erzählungen immer wieder zu dem<br />

Punkt, an dem <strong>Mission</strong>ar<strong>in</strong> oder <strong>Mission</strong>ar e<strong>in</strong>er f<strong>und</strong>amentalen E<strong>in</strong>samkeit ausgesetzt<br />

s<strong>in</strong>d. Aufgebrochen, um e<strong>in</strong>e neue <strong>in</strong>nere <strong>und</strong> äußere Ordnung zu errichten,<br />

f<strong>in</strong>den sie sich <strong>in</strong> der Situation e<strong>in</strong>es vollkommenen Chaos wieder, <strong>in</strong> der sie<br />

sich von allen Menschen, <strong>und</strong> vielleicht auch von Gott, verlassen fühlen.<br />

Wissen wir nun mehr über das Wesen <strong>und</strong> die Aufgaben von <strong>Mission</strong>? Vielleicht<br />

kehren wir mit e<strong>in</strong>em k<strong>in</strong>dlichen Publikum an ursprünglichere Bilder <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>facheren filmischen Sprache zurück.<br />

Das K<strong>in</strong>o hat die Geschichte, die Funktion <strong>und</strong> den Mythos des <strong>Mission</strong>ars<br />

<strong>und</strong> der <strong>Mission</strong>ar<strong>in</strong> also ganz <strong>und</strong> gar nicht e<strong>in</strong>deutiger oder lesbarer gemacht,<br />

als es vordem <strong>und</strong> immer noch im realen Leben oder <strong>in</strong> den Diskursen ist. Aber es<br />

kann helfen, auf die <strong>in</strong>neren <strong>und</strong> äußeren Widersprüche zu reagieren, die längst<br />

Teil unserer geme<strong>in</strong>samen Geschichte geworden s<strong>in</strong>d.

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