02.08.2023 Aufrufe

Held:innen-Taten in Krisenzeiten: Das Ehrenamtsmagazi

Seit dem Jahr 2022 macht ein Begriff die Runde, den die Wissenschaftler Thomas Homer-Dixon, Ortwin Renn, Johan Rockstrom, Jonathan F. Donges und Scott Janzwood geprägt haben: „Polykrise“ . Ihre These: Unsere Welt wird nicht nur von einer immer größer werdenden Anzahl an Krisen gebeutelt. Diese Krisen scheinen auch miteinander verknüpft. Durchschaubar sei das bislang nicht, ebenso wenig erforscht. Sie waren überzeugt, das müsse sich ändern. Dass es im Augenblick nicht die eine Krise gibt, sondern zumeist mehrere zusammenspielen und zu unterschiedlichen Konsequenzen führen, das hat auch das Team von Aktion Musik / local heroes e.V. erfahren. Im Rahmen ihrer zweiten Publikation untersuchten sie „Held:innen-Taten in Krisenzeiten“. Fokus ihrer Recherchen und der dazugehörigen wissenschaftlichen Untersuchung war (natürlich) das Thema Musik. Sie wollten wissen: Was bedeutet „Krise“ in diesem Zusammenhang? Und welche Konsequenzen entstanden und entstehen daraus?

Seit dem Jahr 2022 macht ein Begriff die Runde, den die Wissenschaftler Thomas Homer-Dixon, Ortwin Renn, Johan Rockstrom, Jonathan F. Donges und Scott Janzwood geprägt haben: „Polykrise“ . Ihre These: Unsere Welt wird nicht nur von einer immer größer werdenden Anzahl an Krisen gebeutelt. Diese Krisen scheinen auch miteinander verknüpft. Durchschaubar sei das bislang nicht, ebenso wenig erforscht. Sie waren überzeugt, das müsse sich ändern.

Dass es im Augenblick nicht die eine Krise gibt, sondern zumeist mehrere zusammenspielen und zu unterschiedlichen Konsequenzen führen, das hat auch das Team von Aktion Musik / local heroes e.V. erfahren. Im Rahmen ihrer zweiten Publikation untersuchten sie „Held:innen-Taten in Krisenzeiten“. Fokus ihrer Recherchen und der dazugehörigen wissenschaftlichen Untersuchung war (natürlich) das Thema Musik. Sie wollten wissen: Was bedeutet „Krise“ in diesem Zusammenhang? Und welche Konsequenzen entstanden und entstehen daraus?

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PORTRAIT

BUSINESS INSIGHTS

DEEPER KNOWLEDGE

LOCAL HEROES

IHR SPIELT DIE MUSIK.

DAS MAGAZIN

SEITE 15

SEITE 14

PORTRAIT | VERA LÜDECK

„Es ist zurzeit für Newcomer:innen

im musikalischen Sektor eine denkbar

ungünstige Zeit anzufangen“,

erzählt Vera.

Angesichts der Herausforderungen

der Pandemie war sie gezwungen,

noch flexibler zu sein.

Sie musste die Entwicklungen zu

den Coronaregelungen genauestens

und tagesaktuell beobachten

und umsetzen; schauen, inwiefern

Veranstaltungen überhaupt

durchgeführt werden durften.

Dabei wurden auch grundsätzliche,

„schon fast philosophische

Fragen diskutiert“, beispielsweise

ob ungeimpfte Personen zu den

Konzerten kommen dürfen, was

auch anstrengend war. Dazu kam

eine enorme Doppelbelastung, da

alle Veranstaltungen mehrfach geplant

wurden, da man nie wusste,

unter welchen Konditionen und

Bedingungen die Events durchgeführt

werden durften. Innerhalb

weniger Tage mussten da Pläne

komplett umgeschmissen und neu

konzipiert werden. Vera hat also,

so wie viele andere Menschen in

der Branche auch, doppelt gearbeitet.

Ein besonders schmerzhaftes

und einprägsames Ereignis war

für Vera der Moment, als ausgerechnet

am Tag des Aufbaus der

Ausstellung „Starting Pop“ der

Lockdown ausgerufen wurde. Über

ein Jahr hatte ein Team daran

gearbeitet und sie konnte schließlich

nicht stattfinden. Obwohl sie

und alle Beteiligten das Beste aus

dieser Situation machten, waren

die Arbeit und die Anstrengungen

eines ganzen Jahres hinfällig.

Eine weitere Herausforderung, die

Vera benennt, war der verstärkte

Kontakt und Austausch mit den

unterschiedlichen niedersächsischen

Ministerien. Zwar gab es

viele Unterstützungsmaßnahmen

auf Bundesebene, die Musiker:innen

in Anspruch nehmen konnten,

aber diese waren leider zu bürokratisiert,

was die langjährige Musikerförderin

sehr verärgert hat.

Sie weiß von Musiker:innen, die

„das Geld zurückzahlen mussten,

weil ihr Einkommen 10 Cent über der

zulässigen Grenze lag“.

Doch statt sich der Ohnmacht

einer scheinbar perspektivlosen

Situation hinzugeben, hat Vera

ihre Fähigkeiten und ihre Position

genutzt, um für die Szene

zu kämpfen. Der Fokus ihrer

ehrenamtlichen Arbeit hat sich

in Richtung Schwerpunktunterstützung

von Soloselbstständigen

verändert, da sie gemerkt hat, „wie

fragil diese Szene und wie unterstützenswert

das aber auf der anderen

Seite ist“. Sie setzt sich dafür ein,

dass es ein besseres Auffangnetz

für eben diese Gruppe von Soloselbstständigen

gibt, damit diese

auch Krisenzeiten möglichst gut

überstehen können. Sie fordert

beispielsweise Mindestgagen und

-honorare und eine Arbeitslosenversicherungen

für Künstler:innen

ein.

Einen positiven Aspekt, den die

Pandemie hervorgebracht hat,

ist laut Vera Lüdeck das Thema

Digitalisierung. Ohne die Pandemie

hätte es nicht die Möglichkeit und

vor allem die Gelder gegeben, so

schnell neue digitale Infrastrukturen

aufzubauen, um z.B. digitale

Workshops und Tutorials anbieten

zu können.

Auch Streaming oder andere

digitale Anwendungen wären ohne

die finanzielle Unterstützung nicht

umsetzbar gewesen. Durch diese

neuen digitalen Tools sind auch

heute noch Mitgliederversammlungen

per Zoom möglich, die auch

Menschen, die nicht aus Hannover

kommen, wahrnehmen können.

Jedoch führe das auch dazu, dass

man sich entfremdet. Der persönliche

Kontakt fällt weg.

Vera Lüdeck konnte auch persönlich

an den Ausnahmesituationen

wachsen und hat gemerkt, „dass

ich doch wesentlich mehr schaffe,

als ich immer so denke“ und „dass

im Grunde alles immer irgendwie gut

wird“. Ohne die Unterstützung ihrer

Kolleg:innen, ihres Teams, Netzwerk-

und Kooperationspartner:innen

wäre dies für die Hannoveranerin

aber nicht denkbar gewesen.

Sie ist seither dankbarer und

demütiger geworden. Vera schätzt

sich glücklich, dass sie einen Job

ausüben darf, der ein geregeltes

Einkommen bringt und sie nicht

davon abhängig ist, durch Auftritte

oder freiberufliche Tätigkeiten ihr

Geld verdienen zu müssen.

„DURCH EIN SO STARKES NETZWERK [WIE LOCAL HEROES] SIND WIR

NATÜRLICH AUCH GESTÄRKT.“

Diese verstärkte Dankbarkeit bekommt

Vera auch auf der anderen

Seite mit, wenn sich Teilnehmende

der Frauenmusiktage oder des

MädchenMusikCamps EMMA bei

ihr bedanken und so glücklich

darüber sind, dass diese Veranstaltungen

wieder stattfinden

können. Das ist das, was für Vera

das Ehrenamt ebenfalls ausmacht,

dass es ein gegenseitiges Geben

und Profitieren ist.

Was sich an ihrem ehrenamtlichen

Engagement geändert hat, ist,

dass sie sich eher überlegt, womit

sie ihre Zeit verbringen möchte

und vermutet, dass das auch für

viele andere so sein wird. Die

Frage nach der politischen, ökologischen

und ökonomischen Sinnhaftigkeit

eines ehrenamtlichen

Projektes wird vermehrt gestellt

werden: „Warum mache ich das?

WARUM

MACHE ICH

DAS?

Und was hat das für Auswirkungen,

was ich hier tue? (…) Ist es nachhaltig?

(…) Identifiziere ich mich

politisch mit dem, was ich hier tue

und was bringt mir das?“ Außerdem

werden laut Vera die Menschen nicht

mehr „so langfristig ehrenamtlich

engagiert sein, sondern eher kürzer

und eher öfter auch mal wechseln.“

Es ist zwingend notwendig, dass

die hauptamtlichen Strukturen im

Bereich Popularmusik gestärkt

werden, um den vielfältigen Anforderungen

der ehrenamtlichen

Tätigkeiten gerecht zu werden

und diese weiter ermöglichen zu

können.

Vor allem braucht die niedersächsische

Popularmusikszene viel

mehr finanzielle Förderung, damit

Projekte realisiert und Menschen

bezahlt werden können.

PORTRAIT | VERA LÜDECK

BILDER: CHRISTOPH EISENMENGER

TEXT: RUBI MURUGESAPILLAI

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