Held:innen-Taten in Krisenzeiten: Das Ehrenamtsmagazi
Seit dem Jahr 2022 macht ein Begriff die Runde, den die Wissenschaftler Thomas Homer-Dixon, Ortwin Renn, Johan Rockstrom, Jonathan F. Donges und Scott Janzwood geprägt haben: „Polykrise“ . Ihre These: Unsere Welt wird nicht nur von einer immer größer werdenden Anzahl an Krisen gebeutelt. Diese Krisen scheinen auch miteinander verknüpft. Durchschaubar sei das bislang nicht, ebenso wenig erforscht. Sie waren überzeugt, das müsse sich ändern. Dass es im Augenblick nicht die eine Krise gibt, sondern zumeist mehrere zusammenspielen und zu unterschiedlichen Konsequenzen führen, das hat auch das Team von Aktion Musik / local heroes e.V. erfahren. Im Rahmen ihrer zweiten Publikation untersuchten sie „Held:innen-Taten in Krisenzeiten“. Fokus ihrer Recherchen und der dazugehörigen wissenschaftlichen Untersuchung war (natürlich) das Thema Musik. Sie wollten wissen: Was bedeutet „Krise“ in diesem Zusammenhang? Und welche Konsequenzen entstanden und entstehen daraus?
Seit dem Jahr 2022 macht ein Begriff die Runde, den die Wissenschaftler Thomas Homer-Dixon, Ortwin Renn, Johan Rockstrom, Jonathan F. Donges und Scott Janzwood geprägt haben: „Polykrise“ . Ihre These: Unsere Welt wird nicht nur von einer immer größer werdenden Anzahl an Krisen gebeutelt. Diese Krisen scheinen auch miteinander verknüpft. Durchschaubar sei das bislang nicht, ebenso wenig erforscht. Sie waren überzeugt, das müsse sich ändern.
Dass es im Augenblick nicht die eine Krise gibt, sondern zumeist mehrere zusammenspielen und zu unterschiedlichen Konsequenzen führen, das hat auch das Team von Aktion Musik / local heroes e.V. erfahren. Im Rahmen ihrer zweiten Publikation untersuchten sie „Held:innen-Taten in Krisenzeiten“. Fokus ihrer Recherchen und der dazugehörigen wissenschaftlichen Untersuchung war (natürlich) das Thema Musik. Sie wollten wissen: Was bedeutet „Krise“ in diesem Zusammenhang? Und welche Konsequenzen entstanden und entstehen daraus?
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PORTRAIT
BUSINESS INSIGHTS
DEEPER KNOWLEDGE
LOCAL HEROES
IHR SPIELT DIE MUSIK.
DAS MAGAZIN
SEITE 28
PORTRAIT | MARCO HEIDE
DER ANPACKER
Marco Heide JOURNALIST &
FAMILIENVATER
Marco Heide ist 34 Jahre alt und
Familienvater. Als Journalist hatte
er local heroes kennengelernt.
Daraus entstand eine enge Zusammenarbeit
mit den von ihm
mitgegründeten „Kickerfreunden
Salzwedel“. Vor allem nach der
Coronakrise machte er als Ehrenamtler
und Veranstalter erstaunlich
positive Erfahrungen.
Herausforderungen meistern
und sich täglich neuen Aufgaben
stellen, ist für Marco Heide Alltag.
Wenn ein Problem auftaucht,
will er es einfach lösen. Und das
schafft er auch. Doch dass er und
seine „Kickerfreunde“ ihre Sportund
Kulturveranstaltungen im
„Eskadron“ schon nach einem
guten halben Jahr wieder einstellen
mussten, hat das Team sehr
hart getroffen.
Und auch die fehlenden Kontakte
zerrten an den Nerven. 2014 hatte
Marco mit einigen Freunden einen
kleinen Kickerverein gegründet, der
zunächst in der Kneipe kickerte.
„Aber wir hatten schon den Hintergedanken,
das Kickern vom reinen
Kneipenimage zu befreien“, erzählt
Marco. Indirekt beteiligt an der
Gründung war damals auch der
Aktion Musik / local heroes e.V.:
„Bei den Kickerturnieren hat sich die
Kerngruppe gefunden.“ Im soziokulturellen
Zentrum Hanseat e.V.,
wo der Musikverein sitzt, wurden
damals Turniere via Livestream
zusammen mit dem Offenen Kanal
Kanal übertragen.
MARCO HEIDE SCHEUT KEINE HERAUSFORDERUNG.
ABER DIE ERZWUNGENE KONTAKTLOSIGKEIT WÄHREND DER CORONA-
LOCKDOWNS GING IHM SEHR AN DIE NERVEN.
Aus dem kleinen Verein mit rund
einem Dutzend Mitgliedern ist im
Laufe der Jahre ein Kicker- und
Kulturverein geworden, dem heute
90 Leute angehören. Marco Heide
ist bis heute Vorsitzender des
Vereins. Mittlerweile hat der Verein
eine eigene Mannschaft, die
im regulären Liga-Spielbetrieb ist
– weshalb der Verein vor einigen
Jahren in den Landessportbund
Sachsen-Anhalt und damit auch in
den Kreissportbund (KSB) Salzwedel
aufgenommen wurde.
Ein weiteres Standbein des Vereins
sind Kulturveranstaltungen: „Wir
haben von Anfang an mit Aktion
Musik / local heroes zusammengearbeitet“,
erzählt Marco. „Irgendwann
waren wir dann so weit, dass wir
gesagt haben, wir wollen selbst Musikveranstaltungen
machen. Mittlerweile
machen wir teilweise mehrere
Konzerte im Monat, Standard sind
dabei 50 bis 100 Besucher:innen.“
Marco ist überzeugt davon, dass
man „einfach viel mehr machen“
kann, wenn man zusammenarbeitet.
Und Aktion Musik ist für ihn
seit Jahren ein wichtiger Unterstützungspartner.
„Die Coronazeit brachte echt viele
Probleme mit sich. Wir waren ja erst
2019 in die neue Location umgezogen.
Und kaum ein halbes Jahr später
kamen die Lockdowns“, erinnert
sich Marco.
Glücklicherweise gab es einige
Förderprogramme, sodass die
„Kickerfreunde“ nie in große finanzielle
Not geraten sind. Vorteilhaft
war auch, dass der Verein Mitglied
im KSB ist, so konnten auch Gelder
aus der Sportförderung beantragt
werden. Auch eine schockierend
hohe Energiekosten-Nachzahlung
konnte durch Fördergelder bezahlt
werden. Die organisatorischen
und finanziellen Probleme „wuppte“
Marco. „Aber emotional bin ich
an meine Grenze gestoßen. Wenn
du veranstaltest und häufig unter
Leuten bist und dann gibt es keine
Veranstaltung, also auch keine Kontakte
mehr. Das geht schon an die
Nerven.“ Dabei hatten die „Kickerfreunde“
noch Glück. Sie konnten
sich mit ein paar Leuten quasi
privat in „ihre“ Kneipe setzen. „Wir
waren froh, das nutzen zu können“,
sagt Marco rückblickend.
Trotzdem sieht er sich von den Krisen
nicht persönlich betroffen: „Ich
bin jemand, der ein Problem einfach
lösen will, wenn es auftaucht. Punkt
aus. Wir haben es bisher immer geschafft,
schnell zumindest Informationen
zu sammeln und eine Klärung
zu bewirken. Ich kann gar nicht
sagen, inwieweit mich die Krisen in
irgendeiner Form in meinem Handeln
beeinflusst haben.“
Für die „Kickerfreunde“ hatte die
Coronakrise – wenn auch erst
nachdem sie zu Ende war – außerordentlich
positive Effekte, die
auch die ehrenamtliche Arbeit entscheidend
veränderten.
Als es wieder Veranstaltungen
geben durfte, stieg das Interesse
enorm. „Alles, was wir anboten, hat
bombastisch funktioniert“, erzählt
Marco. „Und auch der Verein entwickelte
sich rasant“. 2023 steht
bereits zum dritten Mal das Vereinsfest
in Salzwedel unter seiner
Obhut – eine Veranstaltung mit
zahlreichen Kooperationspartner:innen
und mehreren tausend
Besucher:innen. Eine solche Großveranstaltung
erfordert professionelle
Kompetenzen. Indirekt ist
es der Coronakrise zu verdanken,
dass das Team professionelle Organisationsstrukturen
entwickelte.
Auch Marco musste sich umstellen:
„Für mich ist es die größte Herausforderung,
Sachen abzugeben.
Ich lerne das jetzt und das tut auch
dem Verein gut.“
Vor allem änderte sich die Zusammenarbeit.
Die Kommunikation
wurde digitalisierter, Vorstandssitzungen
und andere Treffen im Hybridformat
zur Normalität. „Ein paar
Dinge sind halt einfach praktisch.
Die haben wir dann auch übernommen.
Das hat die Vorstandsarbeit
schon sehr verändert“, sagt Marco.
Mit dem Wachstum wurde es
schwierig, das Gemeinschaftsgefühl
aufrechtzuerhalten.
Das ist noch nicht „zu 100 Prozent“
gelungen, wie Marco sagt,
aber dem Verein ist es wichtig, den
alten Zusammenhalt wiederherzustellen.
Für die Zukunft wünscht
Marco sich, dass ehrenamtliche
Tätigkeit gesellschaftlich mehr
Wertschätzung erfährt. „Gerade im
ländlichen Raum werden Kulturangebote
fast ausschließlich von
Ehrenamtlichen organisiert. Sie
haben mehr als einen netten Dank
verdient“, so Marco. „Vielleicht
ist es ein Hirngespinst, aber nach
meiner Meinung braucht es eine Art
Grundeinkommen für Ehrenamtliche,
die sich gesellschaftlich engagieren.
Dann könnten sie sich mit voller
Energie hauptamtlich einsetzen.“
Durch ihren unermüdlichen Einsatz
und die Fähigkeit, sich jeden
Tag auf neue Herausforderungen
einstellen zu können, sind die
„Kickerfreunde Salzwedel“ gut
durch die Krise/n gekommen. Doch
Marco wünscht sich etwas: „Wenn
es erneut eine solch massive Krise
geben sollte, dann soll die Politik
von Anfang an finanzielle Sicherheit
schaffen und keinen brutalen Lockdown
verordnen. Denn es ist wichtig,
dass die Zwischenmenschlichkeit,
die für die wohlige Wärme im Alltag
ganz wichtig ist, erhalten bleibt“.
"ALS ES WIEDER VERANSTALTUNGEN GEBEN DURFTE, STIEG DAS INTE-
RESSE ENORM", BLICKT MARCO HEIDE AUF DEN NEUSTART ZURÜCK.
SEITE 29
PORTRAIT | MARCO HEIDE
BILDER: CHRISTOPH EISENMENGER
TEXT: ANGELIKA BLANK