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Held:innen-Taten in Krisenzeiten: Das Ehrenamtsmagazi

Seit dem Jahr 2022 macht ein Begriff die Runde, den die Wissenschaftler Thomas Homer-Dixon, Ortwin Renn, Johan Rockstrom, Jonathan F. Donges und Scott Janzwood geprägt haben: „Polykrise“ . Ihre These: Unsere Welt wird nicht nur von einer immer größer werdenden Anzahl an Krisen gebeutelt. Diese Krisen scheinen auch miteinander verknüpft. Durchschaubar sei das bislang nicht, ebenso wenig erforscht. Sie waren überzeugt, das müsse sich ändern. Dass es im Augenblick nicht die eine Krise gibt, sondern zumeist mehrere zusammenspielen und zu unterschiedlichen Konsequenzen führen, das hat auch das Team von Aktion Musik / local heroes e.V. erfahren. Im Rahmen ihrer zweiten Publikation untersuchten sie „Held:innen-Taten in Krisenzeiten“. Fokus ihrer Recherchen und der dazugehörigen wissenschaftlichen Untersuchung war (natürlich) das Thema Musik. Sie wollten wissen: Was bedeutet „Krise“ in diesem Zusammenhang? Und welche Konsequenzen entstanden und entstehen daraus?

Seit dem Jahr 2022 macht ein Begriff die Runde, den die Wissenschaftler Thomas Homer-Dixon, Ortwin Renn, Johan Rockstrom, Jonathan F. Donges und Scott Janzwood geprägt haben: „Polykrise“ . Ihre These: Unsere Welt wird nicht nur von einer immer größer werdenden Anzahl an Krisen gebeutelt. Diese Krisen scheinen auch miteinander verknüpft. Durchschaubar sei das bislang nicht, ebenso wenig erforscht. Sie waren überzeugt, das müsse sich ändern.

Dass es im Augenblick nicht die eine Krise gibt, sondern zumeist mehrere zusammenspielen und zu unterschiedlichen Konsequenzen führen, das hat auch das Team von Aktion Musik / local heroes e.V. erfahren. Im Rahmen ihrer zweiten Publikation untersuchten sie „Held:innen-Taten in Krisenzeiten“. Fokus ihrer Recherchen und der dazugehörigen wissenschaftlichen Untersuchung war (natürlich) das Thema Musik. Sie wollten wissen: Was bedeutet „Krise“ in diesem Zusammenhang? Und welche Konsequenzen entstanden und entstehen daraus?

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PORTRAIT

BUSINESS INSIGHTS

DEEPER KNOWLEDGE

LOCAL HEROES

IHR SPIELT DIE MUSIK.

DAS MAGAZIN

SEITE 50

PORTRAIT | JONAS OCHS

DER

FACKELTRÄGER

Jonas Ochs DIPLOM-PÄDAGOGE /

RAPPER

„Bambärch, bassd scho!“, ruft Jonas

Ochs dem Publikum mit voller

Kraft entgegen. Und man möchte

dem Frontmann der Bamberger

Rap-Combo „Bambägga“ aus voller

Kehle zustimmen. Zumindest im

Mikrokosmos dieser seit 18 Jahren

bestehenden Formation aus

Oberfranken scheint die Welt in

Ordnung. Doch ist sie es wirklich?

Der 38-jährige Familienvater ist

ein umtriebiger Geist und in vielen

Bereichen ehrenamtlich engagiert.

Sich immer wieder auf neue Situationen

einstellen, Krisen meistern

– das gehört für ihn im Beruf und

in seinem musikalischen Hobby

dazu. „Egal, was wir machen, ob es

die ehrenamtliche Arbeit mit Behinderten,

in der Musik, aber auch in

der Organisation von Konzerten oder

Kulturveranstaltungen ist: Das waren

riesengroße Herausforderungen, die

uns immer wieder auf den Prüfstand

gestellt haben“, blickt er auf die

vergangenen Jahre zurück. Pandemie,

Ukraine- und Klimakrise,

Inflation – alle diese Dinge haben

ihn auf verschiedenste Weise und

teils in „extremer Form“ getroffen.

Immer wieder hätten sich seine

Mitstreiter:innen und er gefragt:

„Was wollen wir? Was können wir?

Was ist möglich und wie können wir

kreativ mit den Dingen umgehen, die

wir jetzt als Hürden vor uns haben?“

Insbesondere die Corona-Krise habe

sich eingebrannt, meint er. „Sie hat

dem Kulturbereich, in dem wir viel

ehrenamtlich organisieren, komplett

den Boden unter den Füßen weggezogen.“

„ICH MÖCHTE MIT MENSCHEN IN KONTAKT TRETEN, VON IHNEN

LERNEN, MICH WEITERBILDEN. DAS IST DAS IST MEIN ANTRIEB, MEINE

ENERGIE“, SAGT JONAS OCHS.

In dieser Situation wollten sie als

kleines Kollektiv mit ihrer langjährigen

Erfahrung Vorbild sein und

„ein Stück weit als Fackelträger“

vorweg gehen, um zumindest ein

„kleines Streichholz der Hoffnung“

zu tragen und den Menschen

Mut zu machen. Jonas und seine

Freunde fackelten (im wahrsten

Sinne des Wortes) nicht lange. Sie

gingen nach draußen. „Wir haben

mit 100 Meter Abstand in abgesperrten

Ebenen Outdoor-Konzerte mit

Masken gemacht“, erzählt er. „Wir

haben versucht Streaming-Konzerte

zu spielen. Wir sind zu den Leuten

nach Hause und haben auf Balkonen

gespielt.“

Zu seinen schönsten Erfahrungen

gehört eine kleine Hip-Hop-Konzertreihe

durch Seniorenheime.

Wer jetzt denkt, diese „Welten“

passen nicht zueinander, der irrt.

„Diese Menschen waren zeitweise in

einem Hochsicherheitstrakt und hatten

überhaupt keinen Kontakt mehr

zu Kultur. Also mussten wir genau

dort hin“, erinnert sich Jonas.

Sein Instinkt gab ihm Recht. Die

Freude sei riesig und die daraus

entstandene Euphorie ansteckend

gewesen. Aus einem ersten Experiment

wurde eine ganze Tour.

Diese führte sie zu zahlreichen

Einrichtungen und ließ am Ende

sogar einen Film daraus entstehen.

Möglichkeiten finden und

diese auch ausschöpfen – das ist

in Bamberg gelungen und nach

Meinung von Jonas auch das, was

Ehrenamt ausmacht. Jonas ist

überzeugt, dass so etwas gerade

in der nicht-beruflichen Situation

besser gelingen kann als im Job.

Der Schlüssel ist „Herzblut“. Im

Ehrenamt könnten Dinge mit

„voller Liebe und Hingabe“ angegangen

werden, weil sie eine „sehr

bewusste Entscheidung“ seien.

„Diese Herangehensweise ist hundertprozentig

ehrlich!“ Diese These

trifft im Fall von Jonas und seinen

Mitstreiter:innen vollends zu.

„Krisen spornen mich extrem an. Sie

sind für mich Motivation und lassen

mich ‚out of the box‘ denken“, sagt

er.

Dieser Effekt setze gerade dann

ein, wenn um ihn herum Menschen

aufgeben. „Ich schüttele mich kurz

zwei Tage und dann bin ich Feuer

und Flamme. Krisen zwingen mich,

kreativ zu sein und aus meiner Komfortzone

herauszukommen.“

Die veränderten Rahmenbedingungen

während der Corona-Krise

haben auch ihn vor so manche

Herausforderung gestellt. Scharfe

Auflagen durch Ämter und Behörden

waren aber nur eine Seite der

Medaille. Augenscheinlicher ist für

Jonas eine andere Beobachtung –

bis heute. „Die Menschen scheinen

gefühlt gehetzter. In ihrem Alltag ist

weniger Zeit für Ehrenamt. Einige

vermitteln das Gefühl, es geht auch

ohne – auch ohne Kultur, insbesondere

Musik. Und zu guter Letzt gibt

es jene, die glauben, es geht sogar

ohne Mitmenschen.“ In seinen

Augen sei das eine fatale Entwicklung.

Gerade das Ehrenamt lebe

davon, Dinge gemeinsam zu erschaffen.

„Wenn plötzlich diese Gemeinschaft,

wie etwa in der Coronakrise,

von so viel Skepsis geprägt ist,

dann ist das eine ganz schön große

Herausforderung diesen ‚Spirit‘ am

Leben zu erhalten.“ Die bislang erlebten

Krisen empfindet er daher

als „traumatisierend und bereichernd“

zugleich. „Bereichernd, weil

sich das Mindset geändert hat und

noch mal klarer wurde, was ist mir

eigentlich im Leben wichtig?“ Traumatisierend,

weil Krisen natürlich

auch Angst machen würden. Wie

erkläre ich das meinen Kindern?

Wie wird deren Zukunft aussehen?

Aber auch, wie geht es kurzfristig

weiter? Seine größte Stütze waren

und sind seine Familie und seine

Freund:innen. Sie geben Rückhalt.

Sie bestärken und erden ihn. „Krisen

lassen dich auch klarer in deinen

Gedanken werden“, ist er überzeugt.

Man lernt, wie sehr man sich auf

sich selbst verlassen könne, wie

resilient man sei. „Wer ein Ehrenamt

ausübt, der muss eine stabile

Person sein. Es ist keine Therapie,

sondern eine Überzeugung. Und diese

hat mich über die Jahre wachsen

lassen – eine geniale Selbsterfahrung!“

Sein Blick in die Zukunft ist

optimistisch. „Gerade junge Leute

haben Bock. Sie brauchen lediglich

Ideen. Das ist unsere Aufgabe. Wir

müssen es ihnen vorleben und das,

was sie tun, auch wertschätzen.“

Kleines Budget – große Bühne?

Jonas und seine Crew sind in Bamberg für sogenannte „Pop-up-

Konzerte“ bekannt. Sie treten auf Balkonen, in Kunstwerkstätten

oder in Galerien auf. Das sei eine gute Methode, sich mit wenig

Aufwand und kaum finanziellen Mitteln langfristig eine große Bühne

zu schaffen. Als Künstler:in sei dafür nicht nur das eigene Können

ausschlaggebend. „Das Wichtigste sind Verlässlichkeit, Respekt und

Authentizität“, sagt Jonas Ochs. Er rät, die Dinge selbst in die Hand

zu nehmen und aktiv auf Lokalitäten zuzugehen. Gemeinsam kann

dann überlegt werden, wer aus dem Kollektiv was geben könne.

„Die daraus entstehende Summe ist entscheidend – nicht die Gage oder

potenzielle Einnahmen der Veranstalter:innen.“ Einmal gestartet, könne

das einen echten „Schneeballeffekt“ haben. „Denkt in kleinen Schritten

und nicht in ausverkauften Arenen.“ Der Spirit verbreite sich, ist er

sich sicher. Für „Bambägga“ zahlt sich das so entstandene Netzwerk

seit vielen Jahren aus. Und es trägt sie weiter – zum Beispiel mit

dem Goethe-Institut durch die große, weite Welt.

SEITE 51

PORTRAIT | JONAS OCHS

BILDER: DAVID LEHMANN

TEXT: NICOLE OPPELT

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