Held:innen-Taten in Krisenzeiten: Das Ehrenamtsmagazi
Seit dem Jahr 2022 macht ein Begriff die Runde, den die Wissenschaftler Thomas Homer-Dixon, Ortwin Renn, Johan Rockstrom, Jonathan F. Donges und Scott Janzwood geprägt haben: „Polykrise“ . Ihre These: Unsere Welt wird nicht nur von einer immer größer werdenden Anzahl an Krisen gebeutelt. Diese Krisen scheinen auch miteinander verknüpft. Durchschaubar sei das bislang nicht, ebenso wenig erforscht. Sie waren überzeugt, das müsse sich ändern. Dass es im Augenblick nicht die eine Krise gibt, sondern zumeist mehrere zusammenspielen und zu unterschiedlichen Konsequenzen führen, das hat auch das Team von Aktion Musik / local heroes e.V. erfahren. Im Rahmen ihrer zweiten Publikation untersuchten sie „Held:innen-Taten in Krisenzeiten“. Fokus ihrer Recherchen und der dazugehörigen wissenschaftlichen Untersuchung war (natürlich) das Thema Musik. Sie wollten wissen: Was bedeutet „Krise“ in diesem Zusammenhang? Und welche Konsequenzen entstanden und entstehen daraus?
Seit dem Jahr 2022 macht ein Begriff die Runde, den die Wissenschaftler Thomas Homer-Dixon, Ortwin Renn, Johan Rockstrom, Jonathan F. Donges und Scott Janzwood geprägt haben: „Polykrise“ . Ihre These: Unsere Welt wird nicht nur von einer immer größer werdenden Anzahl an Krisen gebeutelt. Diese Krisen scheinen auch miteinander verknüpft. Durchschaubar sei das bislang nicht, ebenso wenig erforscht. Sie waren überzeugt, das müsse sich ändern.
Dass es im Augenblick nicht die eine Krise gibt, sondern zumeist mehrere zusammenspielen und zu unterschiedlichen Konsequenzen führen, das hat auch das Team von Aktion Musik / local heroes e.V. erfahren. Im Rahmen ihrer zweiten Publikation untersuchten sie „Held:innen-Taten in Krisenzeiten“. Fokus ihrer Recherchen und der dazugehörigen wissenschaftlichen Untersuchung war (natürlich) das Thema Musik. Sie wollten wissen: Was bedeutet „Krise“ in diesem Zusammenhang? Und welche Konsequenzen entstanden und entstehen daraus?
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
PORTRAIT
BUSINESS INSIGHTS
DEEPER KNOWLEDGE
LOCAL HEROES
IHR SPIELT DIE MUSIK.
DAS MAGAZIN
SEITE 34
PORTRAIT | AB GEHT DIE LUTZI
Benjamin Haupt und unterstützt
durch die Initiative „barrierefrei
feiern“, wurde sich gemeinsam in
das Thema eingearbeitet, etwa via
eines Workshops mit eben jenen
Expert:innen der Initiative „barrierefrei
feiern“.
Die ersten Erkenntnisse ergaben
sich schnell: Ein inklusives
Festival bedeutet ein „normales
Miteinander“ aller Menschen. Die
Bemühungen dürfen sich nicht
nur auf eine Zielgruppe – etwa
Rollstuhlfahrer:innen – konzentrieren.
Es galt und gilt bis heute, das
„Mindset“ zu verändern und zudem
offen bei jenen nachzufragen, die
es betrifft. Scheu ist ebenso fehl
am Platz wie „übermäßiges Taktgefühl“.
Denn: „Die Kompromissbereitschaft
bei Betroffenen ist groß“,
so die Botschaft der Initiative
„barrierefrei feiern“.
Die Initiative machte von Anfang
an deutlich. Am Ende machen viele
kleine Schritte den Unterschied.
Gesagt, getan: Für das „ab geht die
Lutzi“ startete „Phase 1“. Der Aufbau
eines regionalen Netzwerks
ist bis heute in vollem Gange. Den
Anfang machte eine erste Geländebegehung
samt Begutachtung
kritischer Stellen am Gelände.
Und auch virtuell wird die Parole
der Stunde „Hinkommen, reinkommen,
klarkommen“ verfolgt. Der
Online-Auftritt wurde mittlerweile
überarbeitet. Eine eigene Seite zur
Barrierefreiheit und die Anpassung
der FAQ ist umgesetzt, ebenso
der gesamte Homepage-Auftritt in
leichter Sprache. Es versteht sich
von selbst, dass die Macher Telefonnummern
und Kontaktadressen
kommunizieren. Auch eine detaillierte
Beschreibung dessen, was
die Besucher:innen vor Ort vorfinden,
findet sich auf ihrer Seite.
Das Angebot, sich vorab beim „ab
geht die Lutzi“-Team zu melden,
um Bedarfe zu klären, war für sie
ebenfalls ein logischer Schritt.
Und was verändert sich auf dem
Festival gerade selbst? „Auf jeden
Fall nicht nur die Bodenbeläge“,
schmunzelt Klaus Schmitt. „Wichtig
ist uns – neben einer Umgestaltung
der Umgebung – dass das
gesamte Team sensibilisiert wird“,
betont Christian Stahl. Es gehe
darum, Situationen zu erkennen,
schnell unterstützen zu können
und insgesamt angemessen zu
reagieren. „Das erachten wir als unverzichtbaren
Aspekt einer sensiblen
Umgebung und gleichberechtigten
Teilhabe.“ Die Festival-Crew wurde
daher von Expert:innen in eigener
Sache geschult, um die Belange
der Besucher:innen mit Behinderung
bestmöglich verstehen und
umsetzen zu können. „Außerdem
haben wir auf dem Festival ein
Awareness-Team im Einsatz, damit
sich alle Besucher:innen sicher und
damit wohl fühlen können“, ergänzt
Klaus Schmitt.
Doch das ist bei Weitem nicht
alles. Das Team lernt permanent
dazu und baut sein Angebot
Stück für Stück aus. So können
Inhaber:innen eines Schwerbehindertenausweises
mit dem Zusatz
„B“ kostenlos eine Begleitperson
ihrer Wahl mitbringen. Zudem
machen die Festival-Macher auf
die nächstgelegene barrierefreie
Bahn-Haltestelle, etwa 800 Meter
vom Festivalgelände entfernt, aufmerksam.
Der Weg vom Bahnhof
Rottershausen bis zum Festivalgelände
ist selbstverständlich ebenfalls
barrierefrei und beschildert.
„AM LUTZI FESTIVAL IST FAST
JEDER WILLKOMMEN. WIR HABEN
KEINEN PLATZ FÜR RASSISMUS,
SEXISMUS, ABLEISMUS ODER
JEGLICHE ANDERE ART VON DIS-
KRIMINIERUNG“, SAGT KLAUS
SCHMITT.
„ZUKÜNFTIG MÖCHTEN WIR AUCH UNSEREN CAMPINGPLATZ
VOLLUMFÄNGLICH BARRIEREFREI GESTALTEN“, KÜNDIGEN DIE FESTI-
VAL-MACHER AN.
Wer diese Strecke nicht bewältigen
kann, dem werden barrierefreie Taxi-Shuttle
aus der Region ans Herz
gelegt. Direkt vor dem Festivaleingang
befinden sich außerdem
ausreichend, gekennzeichnete Behindertenparkplätze.
Fahrdienste
können nach Voranmeldung sogar
bis zum Festivalgelände einfahren.
Angebote für Blinde gibt es ebenfalls.
„Unser Awareness-Team bietet
blinden und sehbehinderten Besucher:innen
einen Abholdienst ab der
nächstgelegenen Haltestelle Bahnhaltepunkt
Rottershausen an“, erklärt
Christian Stahl. „Einfach vorab
bei uns melden. Zertifizierte Assistenz-
und Blindenführhunde sind auf
dem Lutzi Festival natürlich willkommen.“
Zusammen mit einer Expertin
von „aktiv.mit.rolli“ hat das
„Lutzi“-Team das Festivalgelände
auf Barrierefreiheit überprüft.
Stufen oder Unebenheiten wurden
auf allen Publikums- und Sozialflächen
mit mobilen Rampensystemen
und/oder Schwerlastmatten
beseitigt. Sollte jemand aufgrund
von Mobilitätseinschränkungen
vor Ort Unterstützung benötigen,
kann er oder sie sich an das
Awareness-Team wenden, ebenso,
wenn es darum geht, einen Elektrorollstuhl
aufzuladen. Für freie Sicht
gibt es ein erhöhtes Podest an der
Hauptbühne des Festivals. Ein Teil
der Theken an Essens- und Getränkeständen
wurde abgesenkt. Ein
barrierefreier Toilettencontainer
befindet sich im Infield. Auf dem
Campingplatz gibt es außerdem
eine barrierefreie Toilette (DIXI).
Darüber hinaus gibt es 50 genderneutrale
Toiletten. Wer duschen
möchte, kann dies im Backstage
barrierefrei tun.
Und was, wenn der Festival-Trubel
zu viel wird? „Auf dem Gelände
befindet sich ein reizarmer Ruhebereich,
der in besonderen Fällen, etwa
zur medizinischen Selbstversorgung
oder zum Stressabbau als Rückzugsort
genutzt werden kann“, erläutert
Christian Stahl.
„Phase 2“ zündet 2023. „Schon
im Vorfeld der ‚Lutzi‘ 2022 hat sich
gezeigt, dass wir das ein oder andere
mit kreativen Ideen und etwas
Improvisation in der Organisation
hinbekommen und 2023 umsetzen
können“, sagt Christian Stahl, der
gemeinsam mit seinem Team weit
in die Zukunft denkt. Mit Spannung
blicken sie auf die Erkenntnisse,
die sich bereits ergeben haben
und noch ergeben werden. Klar sei
aber schon jetzt: „Es gibt einige,
grundlegende Punkte, die nicht ohne
größere Investitionen zu bewältigen
sein werden.“ Dazu gehört etwa das
Programm in Gebärdensprache
übersetzen zu lassen. „Selbstverständlich
freuen wir uns dennoch
über gehörlose Besucher:innen und
versprechen, im Rahmen unserer
Möglichkeiten eine adäquate Kommunikation
zu ermöglichen.“
Die Anstrengungen in Rottershausen
haben sich herumgesprochen.
Das Festival wurde mit dem Bayerischen
Popkulturpreis 2022 in der
Kategorie „Soziale Nachhaltigkeit“
ausgezeichnet. In der Begründung
heißt es: „Nicht zuletzt stellen die
Organisator:innen ihr erworbenes
Wissen und daraus folgende Erkenntnisse
zur Barrierefreiheit auf
lokaler Ebene für weitere Vorhaben
zur Verfügung und dienen damit gewissermaßen
als Botschafter:innen
für das Thema Barrierefreiheit und
Kultur in der Region.“
SEITE 35
PORTRAIT | AB GEHT DIE LUTZI
BILDER: DAVID LEHMANN / AB GEHT DIE LUTZI
TEXT: NICOLE OPPELT