Held:innen-Taten in Krisenzeiten: Das Ehrenamtsmagazi
Seit dem Jahr 2022 macht ein Begriff die Runde, den die Wissenschaftler Thomas Homer-Dixon, Ortwin Renn, Johan Rockstrom, Jonathan F. Donges und Scott Janzwood geprägt haben: „Polykrise“ . Ihre These: Unsere Welt wird nicht nur von einer immer größer werdenden Anzahl an Krisen gebeutelt. Diese Krisen scheinen auch miteinander verknüpft. Durchschaubar sei das bislang nicht, ebenso wenig erforscht. Sie waren überzeugt, das müsse sich ändern. Dass es im Augenblick nicht die eine Krise gibt, sondern zumeist mehrere zusammenspielen und zu unterschiedlichen Konsequenzen führen, das hat auch das Team von Aktion Musik / local heroes e.V. erfahren. Im Rahmen ihrer zweiten Publikation untersuchten sie „Held:innen-Taten in Krisenzeiten“. Fokus ihrer Recherchen und der dazugehörigen wissenschaftlichen Untersuchung war (natürlich) das Thema Musik. Sie wollten wissen: Was bedeutet „Krise“ in diesem Zusammenhang? Und welche Konsequenzen entstanden und entstehen daraus?
Seit dem Jahr 2022 macht ein Begriff die Runde, den die Wissenschaftler Thomas Homer-Dixon, Ortwin Renn, Johan Rockstrom, Jonathan F. Donges und Scott Janzwood geprägt haben: „Polykrise“ . Ihre These: Unsere Welt wird nicht nur von einer immer größer werdenden Anzahl an Krisen gebeutelt. Diese Krisen scheinen auch miteinander verknüpft. Durchschaubar sei das bislang nicht, ebenso wenig erforscht. Sie waren überzeugt, das müsse sich ändern.
Dass es im Augenblick nicht die eine Krise gibt, sondern zumeist mehrere zusammenspielen und zu unterschiedlichen Konsequenzen führen, das hat auch das Team von Aktion Musik / local heroes e.V. erfahren. Im Rahmen ihrer zweiten Publikation untersuchten sie „Held:innen-Taten in Krisenzeiten“. Fokus ihrer Recherchen und der dazugehörigen wissenschaftlichen Untersuchung war (natürlich) das Thema Musik. Sie wollten wissen: Was bedeutet „Krise“ in diesem Zusammenhang? Und welche Konsequenzen entstanden und entstehen daraus?
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
PORTRAIT
BUSINESS INSIGHTS
DEEPER KNOWLEDGE
LOCAL HEROES
IHR SPIELT DIE MUSIK.
DAS MAGAZIN
SEITE 16
PORTRAIT | GERHARD KÄMPFE
DER
TAUSENDSASSA
Gerhard Kämpfe KULTURMANAGER
UND PRODUZENT
Ob als Musik-, Hörfunk- oder
Fernsehproduzent, Kulturmanager,
Festivalveranstalter, Komiker oder
Dozent – Gerhard Kämpfe ist wohl
jemand, den man als Tausendsassa
bezeichnen kann. Seit nunmehr
vier Jahrzenten aktiv, ist Kämpfe
nicht mehr aus der Kulturszene
wegzudenken und hat in Krisenzeiten
gelernt, flexibel zu sein und
sich auf das Positive zu konzentrieren.
Angefangen hat Gerhard Kämpfe
in den 70er Jahren als Künstler:innenmanager.
Später wurde er Produzent,
um den kreativen Prozess
der Musikproduktion aktiv mitzugestalten.
Im Laufe der Jahre hat
er in den verschiedensten Genres
und mit einer Vielzahl von Künstler:innen,
von Singer-Songwritern
wie Bernard Brink und Roland
Kaiser bis hin zu Rockbands und
Jazz-Rock-Formationen, zusammengearbeitet.
Darüber hinaus war er auch im
Fernsehen und Hörfunk als Produzent
aktiv und hat eine besondere
Leidenschaft für jüdischen Humor
entwickelt. Als Komiker tritt er
auch heute noch auf diversen Bühnen
Deutschlands auf, erstmals im
Rahmen der Jüdischen Kulturtage,
die Kämpfe fünf Jahre lang als
Intendant begleitete.
Zudem veranstaltet Gerhard Kämpfe
seit 1992 das Classic Open-Air
Festival auf dem Gendarmenmarkt
in Berlin. An fünf Juli-Abenden finden
verschiedene Konzerte statt,
mit Auftritten von Solist:innen wie
„NICHT AUF EINE BÜHNE ZU KÖNNEN, WENN DAS DEINE LEIDENSCHAFT
IST, DAS IST (…) EIN STARKER VERLUST AN LEBENSQUALITÄT.“
José Carreras oder Montserrat
Caballé bis hin zu Gruppen wie
Buena Vista Social Club oder den
Scorpions mit Orchesterbegleitung
und Themenabenden rund
um Komponisten wie Mozart oder
Wagner. Seit 2021 ist er Intendant
des Dessauer Kurt-Weill-Festes
und hatte in diesem Rahmen auch
die ersten Berührungspunkte mit
den local heroes.
Als Konzertveranstalter hat ihn die
Pandemie am meisten getroffen.
Konzerte fielen aus, Mitarbeitende
verließen die Branche und die Besucher:innen
blieben weiter lange
vorsichtig, bevor sich langsam
wieder so etwas wie Normalität im
Kulturbetrieb einstellte. Auch das
Classic Open-Air Festival musste
in den Pandemiejahren ausfallen
und findet erst 2025 wieder statt,
da zwischenzeitlich Sanierungsarbeiten
am Gendarmenmarkt
begannen.
Das Ausfallen von Konzerten hatte
natürlich in erster Linie finanzielle
und ökonomische Auswirkungen.
Kämpfe schaffte es nur mit Hilfe
des ehemaligen Berliner Kultursenators
Ausfallhonorare für die
Künstler:innen und Musiker:innen
zu zahlen. Dies entlastete die
Menschen nicht nur finanziell, sondern
wurde auch als Zeichen der
Anerkennung gedeutet. Doch er
selbst musste auch schauen, dass
die ökonomische Schieflage, die
durch ausgefallene Konzerte und
fehlende Einnahmen einerseits und
weiter laufende Kosten und Ausgaben
andererseits, ausgeglichen
wurde und das vorhandene Kapitel
sorgsam verwaltet wurde.
Diese Situation wurde zur psychischen
Belastungsprobe: „Nicht auf
eine Bühne zu können, wenn das
deine Leidenschaft ist, das ist (…)
ein starker Verlust an Lebensqualität“,
so Kämpfe im Interview. Auch
unter den Konzertbesucher:innen
herrschte eine starke Verunsicherung
und der Stellenwert des
Sektors Kultur verschob sich.
In Krisenzeiten stünden die Grundbedürfnisse
im Vordergrund: Könne
man seine Familie ernähren?
Miete zahlen? Für die Schulkosten
der Kinder aufkommen? Das sind
alles Dinge, die Vorrang hätten,
und da stünde und stände auch in
möglichen künftigen Krisensituationen
die Kultur hinten an. Nichtsdestotrotz
haben die Freude über
wiederstattfindende Veranstaltungen
und das dankbare Annehmen
von Kulturangeboten Kämpfe gezeigt,
dass Kultur ein unverzichtbarer
Bereich des gesellschaftlichen
Lebens ist.
Generell ließ sich Gerhard Kämpfe
nicht von der Krise entmutigen und
versuchte, stets positiv zu bleiben
und sich auf die Solidarität zu
besinnen, die insbesondere in Krisenzeiten
verstärkt zum Vorschein
kommt.
Da ehrenamtliche Tätigkeiten im
weiteren Sinne der Gemeinschaft
und ihrem Wohl dienen und diese
in Krisenzeiten gefährdet sind,
wird auch das Ehrenamt umso
wichtiger. Als Beispiele für diese
Solidarität nennt Kämpfe die
Waldbrände in Brandenburg in den
vergangenen Jahren, die ohne die
Hilfe der Freiwilligen Feuerwehren
nicht so einfach zu löschen und zu
bändigen gewesen wären.
Auch die große Hilfsbereitschaft
während der Fluten im Ahrtal oder
des anhaltenden Angriffskriegs auf
die Ukraine und der daraus resultierenden
Flucht vieler Ukrainer:innen
nach Deutschland hat gezeigt,
dass ehrenamtliche Tätigkeiten
unerlässlich sind, um in Krisenzeiten
aufeinander Acht zu geben und
das gesellschaftliche Miteinander
zu stärken.
Diese Solidarität beobachtete
Kämpfe auch in seiner Branche, wo
festangestellte Musiker:innen ihre
Ausfallhonorare mit freiarbeitenden
Musiker:innen teilten oder sie
ihnen gänzlich überließen. Andere
taten sich zusammen, wenn sie
merkten, dass es befreundeten
Musiker:innen finanziell nicht gut
ging und unterstützen diese dann
gemeinsam: „Solche Aktionen
haben mich dann schon auch sehr
glücklich gestimmt und gezeigt,
dass auch Solidarität möglich ist“,
erzählt Kämpfe.
Ehrenamtliches Engagement hilft
nicht nur den Menschen, die diese
Unterstützung benötigen, sondern
auch denjenigen, die diese Hilfe
leisten. Es bereichert einen also
auch persönlich und bietet Erfüllung.
Dies erfuhr Kämpfe vor allem in
den Jahren als ehrenamtlicher
Dozent an der FU Berlin. Dort
empfand er das Ehrenamt als ein
stetes Geben und Nehmen. Indem
er Studierenden etwas beigebracht
und sie an seinem Know-how
teilhaben lassen hat, hat er sich
selbst noch mal intensiv mit den
Inhalten beschäftigt, was seine
Expertise und sein Wissen weiter
bereicherte.
Das wurde ihm auch so von den
Studierenden reflektiert und diese
Erfahrung im Ehrenamt schätzt er
sehr, „dass man als ehrenamtlich
tätiger Mensch eine Reflexion bekommt,
die einem selbst mindestens
so gut tut wie demjenigen, für den
man das Ehrenamt ausführt.“
Um die Potenziale des Ehrenamtes
nachhaltig auch in der Zukunft
zu stärken, muss laut Kämpfe
die gesellschaftliche Bedeutung
ehrenamtlicher Tätigkeiten stärker
hervorgehoben und das Bewusstsein
für diese geschärft werden.
Kämpfe sagt, dass ehrenamtliches
Engagement insbesondere „medial,
also sowohl im Netz als auch
in den Printmedien, vielleicht noch
etwas mehr hervorgehoben werden
müsste“. Auch das Weitergeben
von Wissen durch ältere Menschen
versteht Kämpfe als essenziell und
schlägt vor, dass solche möglichen
ehrenamtlichen Tätigkeiten
beispielsweise auch durch den
Gesetzgeber implementiert werden
können, indem Rahmenbedingungen
dafür geschaffen werden.
Darüber hinaus sollten bereits
Schüler:innen lernen, welche positiven
Aspekte das ehrenamtliche
Arbeiten mit sich bringt und dass
auch sie, indem sie anderen Menschen
helfen, davon profitieren.
SEITE 17
PORTRAIT | GERHARD KÄMPFE
BILDER: CHRISTOPH EISENMENGER
TEXT: RUBI MURUGESAPILLAI