02.08.2023 Aufrufe

Held:innen-Taten in Krisenzeiten: Das Ehrenamtsmagazi

Seit dem Jahr 2022 macht ein Begriff die Runde, den die Wissenschaftler Thomas Homer-Dixon, Ortwin Renn, Johan Rockstrom, Jonathan F. Donges und Scott Janzwood geprägt haben: „Polykrise“ . Ihre These: Unsere Welt wird nicht nur von einer immer größer werdenden Anzahl an Krisen gebeutelt. Diese Krisen scheinen auch miteinander verknüpft. Durchschaubar sei das bislang nicht, ebenso wenig erforscht. Sie waren überzeugt, das müsse sich ändern. Dass es im Augenblick nicht die eine Krise gibt, sondern zumeist mehrere zusammenspielen und zu unterschiedlichen Konsequenzen führen, das hat auch das Team von Aktion Musik / local heroes e.V. erfahren. Im Rahmen ihrer zweiten Publikation untersuchten sie „Held:innen-Taten in Krisenzeiten“. Fokus ihrer Recherchen und der dazugehörigen wissenschaftlichen Untersuchung war (natürlich) das Thema Musik. Sie wollten wissen: Was bedeutet „Krise“ in diesem Zusammenhang? Und welche Konsequenzen entstanden und entstehen daraus?

Seit dem Jahr 2022 macht ein Begriff die Runde, den die Wissenschaftler Thomas Homer-Dixon, Ortwin Renn, Johan Rockstrom, Jonathan F. Donges und Scott Janzwood geprägt haben: „Polykrise“ . Ihre These: Unsere Welt wird nicht nur von einer immer größer werdenden Anzahl an Krisen gebeutelt. Diese Krisen scheinen auch miteinander verknüpft. Durchschaubar sei das bislang nicht, ebenso wenig erforscht. Sie waren überzeugt, das müsse sich ändern.

Dass es im Augenblick nicht die eine Krise gibt, sondern zumeist mehrere zusammenspielen und zu unterschiedlichen Konsequenzen führen, das hat auch das Team von Aktion Musik / local heroes e.V. erfahren. Im Rahmen ihrer zweiten Publikation untersuchten sie „Held:innen-Taten in Krisenzeiten“. Fokus ihrer Recherchen und der dazugehörigen wissenschaftlichen Untersuchung war (natürlich) das Thema Musik. Sie wollten wissen: Was bedeutet „Krise“ in diesem Zusammenhang? Und welche Konsequenzen entstanden und entstehen daraus?

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

PORTRAIT

BUSINESS INSIGHTS

DEEPER KNOWLEDGE

LOCAL HEROES

IHR SPIELT DIE MUSIK.

DAS MAGAZIN

SEITE 16

PORTRAIT | GERHARD KÄMPFE

DER

TAUSENDSASSA

Gerhard Kämpfe KULTURMANAGER

UND PRODUZENT

Ob als Musik-, Hörfunk- oder

Fernsehproduzent, Kulturmanager,

Festivalveranstalter, Komiker oder

Dozent – Gerhard Kämpfe ist wohl

jemand, den man als Tausendsassa

bezeichnen kann. Seit nunmehr

vier Jahrzenten aktiv, ist Kämpfe

nicht mehr aus der Kulturszene

wegzudenken und hat in Krisenzeiten

gelernt, flexibel zu sein und

sich auf das Positive zu konzentrieren.

Angefangen hat Gerhard Kämpfe

in den 70er Jahren als Künstler:innenmanager.

Später wurde er Produzent,

um den kreativen Prozess

der Musikproduktion aktiv mitzugestalten.

Im Laufe der Jahre hat

er in den verschiedensten Genres

und mit einer Vielzahl von Künstler:innen,

von Singer-Songwritern

wie Bernard Brink und Roland

Kaiser bis hin zu Rockbands und

Jazz-Rock-Formationen, zusammengearbeitet.

Darüber hinaus war er auch im

Fernsehen und Hörfunk als Produzent

aktiv und hat eine besondere

Leidenschaft für jüdischen Humor

entwickelt. Als Komiker tritt er

auch heute noch auf diversen Bühnen

Deutschlands auf, erstmals im

Rahmen der Jüdischen Kulturtage,

die Kämpfe fünf Jahre lang als

Intendant begleitete.

Zudem veranstaltet Gerhard Kämpfe

seit 1992 das Classic Open-Air

Festival auf dem Gendarmenmarkt

in Berlin. An fünf Juli-Abenden finden

verschiedene Konzerte statt,

mit Auftritten von Solist:innen wie

„NICHT AUF EINE BÜHNE ZU KÖNNEN, WENN DAS DEINE LEIDENSCHAFT

IST, DAS IST (…) EIN STARKER VERLUST AN LEBENSQUALITÄT.“

José Carreras oder Montserrat

Caballé bis hin zu Gruppen wie

Buena Vista Social Club oder den

Scorpions mit Orchesterbegleitung

und Themenabenden rund

um Komponisten wie Mozart oder

Wagner. Seit 2021 ist er Intendant

des Dessauer Kurt-Weill-Festes

und hatte in diesem Rahmen auch

die ersten Berührungspunkte mit

den local heroes.

Als Konzertveranstalter hat ihn die

Pandemie am meisten getroffen.

Konzerte fielen aus, Mitarbeitende

verließen die Branche und die Besucher:innen

blieben weiter lange

vorsichtig, bevor sich langsam

wieder so etwas wie Normalität im

Kulturbetrieb einstellte. Auch das

Classic Open-Air Festival musste

in den Pandemiejahren ausfallen

und findet erst 2025 wieder statt,

da zwischenzeitlich Sanierungsarbeiten

am Gendarmenmarkt

begannen.

Das Ausfallen von Konzerten hatte

natürlich in erster Linie finanzielle

und ökonomische Auswirkungen.

Kämpfe schaffte es nur mit Hilfe

des ehemaligen Berliner Kultursenators

Ausfallhonorare für die

Künstler:innen und Musiker:innen

zu zahlen. Dies entlastete die

Menschen nicht nur finanziell, sondern

wurde auch als Zeichen der

Anerkennung gedeutet. Doch er

selbst musste auch schauen, dass

die ökonomische Schieflage, die

durch ausgefallene Konzerte und

fehlende Einnahmen einerseits und

weiter laufende Kosten und Ausgaben

andererseits, ausgeglichen

wurde und das vorhandene Kapitel

sorgsam verwaltet wurde.

Diese Situation wurde zur psychischen

Belastungsprobe: „Nicht auf

eine Bühne zu können, wenn das

deine Leidenschaft ist, das ist (…)

ein starker Verlust an Lebensqualität“,

so Kämpfe im Interview. Auch

unter den Konzertbesucher:innen

herrschte eine starke Verunsicherung

und der Stellenwert des

Sektors Kultur verschob sich.

In Krisenzeiten stünden die Grundbedürfnisse

im Vordergrund: Könne

man seine Familie ernähren?

Miete zahlen? Für die Schulkosten

der Kinder aufkommen? Das sind

alles Dinge, die Vorrang hätten,

und da stünde und stände auch in

möglichen künftigen Krisensituationen

die Kultur hinten an. Nichtsdestotrotz

haben die Freude über

wiederstattfindende Veranstaltungen

und das dankbare Annehmen

von Kulturangeboten Kämpfe gezeigt,

dass Kultur ein unverzichtbarer

Bereich des gesellschaftlichen

Lebens ist.

Generell ließ sich Gerhard Kämpfe

nicht von der Krise entmutigen und

versuchte, stets positiv zu bleiben

und sich auf die Solidarität zu

besinnen, die insbesondere in Krisenzeiten

verstärkt zum Vorschein

kommt.

Da ehrenamtliche Tätigkeiten im

weiteren Sinne der Gemeinschaft

und ihrem Wohl dienen und diese

in Krisenzeiten gefährdet sind,

wird auch das Ehrenamt umso

wichtiger. Als Beispiele für diese

Solidarität nennt Kämpfe die

Waldbrände in Brandenburg in den

vergangenen Jahren, die ohne die

Hilfe der Freiwilligen Feuerwehren

nicht so einfach zu löschen und zu

bändigen gewesen wären.

Auch die große Hilfsbereitschaft

während der Fluten im Ahrtal oder

des anhaltenden Angriffskriegs auf

die Ukraine und der daraus resultierenden

Flucht vieler Ukrainer:innen

nach Deutschland hat gezeigt,

dass ehrenamtliche Tätigkeiten

unerlässlich sind, um in Krisenzeiten

aufeinander Acht zu geben und

das gesellschaftliche Miteinander

zu stärken.

Diese Solidarität beobachtete

Kämpfe auch in seiner Branche, wo

festangestellte Musiker:innen ihre

Ausfallhonorare mit freiarbeitenden

Musiker:innen teilten oder sie

ihnen gänzlich überließen. Andere

taten sich zusammen, wenn sie

merkten, dass es befreundeten

Musiker:innen finanziell nicht gut

ging und unterstützen diese dann

gemeinsam: „Solche Aktionen

haben mich dann schon auch sehr

glücklich gestimmt und gezeigt,

dass auch Solidarität möglich ist“,

erzählt Kämpfe.

Ehrenamtliches Engagement hilft

nicht nur den Menschen, die diese

Unterstützung benötigen, sondern

auch denjenigen, die diese Hilfe

leisten. Es bereichert einen also

auch persönlich und bietet Erfüllung.

Dies erfuhr Kämpfe vor allem in

den Jahren als ehrenamtlicher

Dozent an der FU Berlin. Dort

empfand er das Ehrenamt als ein

stetes Geben und Nehmen. Indem

er Studierenden etwas beigebracht

und sie an seinem Know-how

teilhaben lassen hat, hat er sich

selbst noch mal intensiv mit den

Inhalten beschäftigt, was seine

Expertise und sein Wissen weiter

bereicherte.

Das wurde ihm auch so von den

Studierenden reflektiert und diese

Erfahrung im Ehrenamt schätzt er

sehr, „dass man als ehrenamtlich

tätiger Mensch eine Reflexion bekommt,

die einem selbst mindestens

so gut tut wie demjenigen, für den

man das Ehrenamt ausführt.“

Um die Potenziale des Ehrenamtes

nachhaltig auch in der Zukunft

zu stärken, muss laut Kämpfe

die gesellschaftliche Bedeutung

ehrenamtlicher Tätigkeiten stärker

hervorgehoben und das Bewusstsein

für diese geschärft werden.

Kämpfe sagt, dass ehrenamtliches

Engagement insbesondere „medial,

also sowohl im Netz als auch

in den Printmedien, vielleicht noch

etwas mehr hervorgehoben werden

müsste“. Auch das Weitergeben

von Wissen durch ältere Menschen

versteht Kämpfe als essenziell und

schlägt vor, dass solche möglichen

ehrenamtlichen Tätigkeiten

beispielsweise auch durch den

Gesetzgeber implementiert werden

können, indem Rahmenbedingungen

dafür geschaffen werden.

Darüber hinaus sollten bereits

Schüler:innen lernen, welche positiven

Aspekte das ehrenamtliche

Arbeiten mit sich bringt und dass

auch sie, indem sie anderen Menschen

helfen, davon profitieren.

SEITE 17

PORTRAIT | GERHARD KÄMPFE

BILDER: CHRISTOPH EISENMENGER

TEXT: RUBI MURUGESAPILLAI

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!