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LOKALES<br />
AUF DIE<br />
OHREN!<br />
PODCASTS AUS<br />
BREMEN<br />
„Wir lassen <strong>Bremen</strong> erzählen!“<br />
„Eine Stunde reden“ / Bei <strong>Bremen</strong>-Zwei-Podcasthost Mario Neumann kommen alle 14 Tage<br />
Zufallsbegegnungen aus <strong>Bremen</strong> und umzu zu Wort, die ihm die Geschichte(n) ihres Lebens erzählen.<br />
Fotos: Radio <strong>Bremen</strong>/ Josephine Gotzes<br />
16<br />
Ein Podcast ohne Promis, ohne Promo,<br />
ohne große Namen. Das Konzept von<br />
<strong>Bremen</strong>-Zwei-Redakteurin Nicole<br />
Ritterbusch klingt zunächst ungewöhnlich.<br />
Aber es geht auf – denn sie und Podcasthost<br />
Mario Neumann sind überzeugt, dass<br />
jeder Mensch eine Geschichte zu erzählen<br />
hat. Alle zwei Wochen stellt sich der Reporter<br />
deshalb mit seinem Schild „Eine Stunde<br />
reden?“ auf eine Straße irgendwo in <strong>Bremen</strong><br />
und wartet – bis er jemanden gefunden<br />
hat, der 60 Minuten mit ihm über die<br />
kleinen und die großen Fragen des Lebens<br />
sprechen will. Es geht um Erfolg und Scheitern,<br />
um verpasste und gelebte Träume, um<br />
eine turbulente Jugend oder die große Liebe<br />
– kurz, um echte Geschichten aus <strong>Bremen</strong><br />
und umzu. Im Gespräch verraten die beiden,<br />
wem sie mit ihrem Podcast eine Stimme<br />
geben und warum ihr Konzept im Radio<br />
ganz besonders gut funktioniert.<br />
Wie sind die „Gespräche mit Unbekannten“<br />
entstanden und warum im Radio?<br />
Ritterbusch: Ich liebe das Spontane und<br />
das Einfach-mal-machen und bin überzeugt<br />
davon, dass jeder Mensch eine Geschichte<br />
zu erzählen hat. Diese in <strong>Bremen</strong><br />
zu finden, war und ist die Idee meines<br />
Konzepts – wir nehmen uns Zeit zum Zuhören<br />
und geben Raum zum Erzählen.<br />
Also haben wir irgendwann Mario mit<br />
unserem selbst gebastelten Schild auf den<br />
Marktplatz geschickt, um zu schauen, was<br />
passiert. Wollen Menschen überhaupt reden?<br />
Und auch: Wollen andere die Einblicke<br />
in unbekannte Lebensgeschichten hören?<br />
Schnell stellte sich heraus: Sie wollen!<br />
Neumann: Ich finde Menschen an sich<br />
einfach faszinierend, doch die wirklich gesellschaftsrelevanten<br />
Geschichten sind oft<br />
versteckt und finden wenig Platz in den<br />
Nachrichten. Wir wollen diese herauskitzeln<br />
und den Menschen aus unserer Mitte<br />
eine Stimme geben. Was treibt sie um,<br />
welche Sorgen, Ängste oder Freuden haben<br />
sie? Es geht in der Sendung nicht um Voyeurismus,<br />
sondern darum, zu teilen und<br />
das Miteinander begreifbar zu machen. Das<br />
Radio hat anderen Medien dabei viel voraus,<br />
denn die Intimität des Gesprächs wird<br />
rein akustisch vermittelt, es gibt keine störenden<br />
oder ablenkenden visuellen Faktoren.<br />
Das merken sowohl meine Gesprächspartner:innen<br />
als auch die Hörer:innen. Sie<br />
können einfach mal erzählen oder einfach<br />
mal zuhören. Unser Format ist ja auch nie<br />
auserzählt, jede Folge birgt etwas Neues.<br />
Wie bereiten Sie sich auf die Gäste vor?<br />
Neumann: Wenn ich mit meinem Schild<br />
losziehe, möchte ich neugierig und vorurteilslos<br />
unterwegs sein und offen für die<br />
Geschichten und die Schicksale, die kommen.<br />
Nicht ich stehe im Mittelpunkt, sondern<br />
mein Gast, das ist die Essenz unserer<br />
Sendung. Die Herausforderung liegt für<br />
mich darin, das Steuer abzugeben und mich<br />
einzulassen auf die individuelle Perspektive.<br />
Ich weiß vorher nie, was auf mich zukommen<br />
wird. Auf dieses Unbekannte und<br />
Spontane zu reagieren ist das Anspruchsvolle<br />
an unserem facettenreichen Format.<br />
Während des Gesprächs landen wir oft bei<br />
persönlichen Lebensgeschichten. Das erfordert<br />
Mut seitens der Gäste – und viel<br />
Vertrauen in mich. Als Host ist es meine<br />
Aufgabe, mit Fingerspitzengefühl für die<br />
Gäste da zu sein und sie, das ist ganz wichtig,<br />
auch mal schweigen zu lassen.<br />
Mit welchen Gefühlen gehen Sie selbst<br />
aus den Gesprächen heraus?<br />
Neumann: Ich spreche mit Menschen, deren<br />
Lebensweg oft wirklich sehr holprig verlaufen<br />
ist und die oft tragische Schicksale zu tragen<br />
haben. Es geht um Trauer, Tod oder Tabuthemen<br />
wie Missbrauch, Mobbing und Depressionen.<br />
Das macht das Zuhören unglaublich<br />
hart, die Geschichten tun auch mir weh und<br />
sind schwer auszuhalten. Nach den Aufzeichnungen<br />
bin ich deshalb oft platt und emotional<br />
verausgabt. Aber auch glücklich und<br />
dankbar, dass mir meine Gäste ihr Vertrauen<br />
geschenkt und mich an ihrem Leben haben<br />
teilhaben lassen. Denn trotz allem hören ich<br />
und wir ja auch viele schöne Geschichte voller<br />
Hoffnung, Lebensfreude und Zukunftspläne.<br />
Was bleibt von einem Menschen, den<br />
man eine Stunde lang kennengelernt hat?<br />
Neumann: „Eine ganze Stunde nur für<br />
mich? Warum wollt ihr das hören?“, das<br />
höre ich tatsächlich häufig. Es ist herzerwärmend,<br />
wie sich die Gäste mir anvertrauen,<br />
wie sie ihre Lebensgeschichte erzählen<br />
und damit auch anderen Mut machen. Eine<br />
Frau hat es mal toll formuliert, als sie mir<br />
sagte, ich strahle eine solche Ruhe aus, die<br />
es ihr leicht mache, sich endlich mal alles<br />
von der Seele reden zu können. Die Bindung,<br />
die bei diesen Gesprächen entsteht,<br />
bleibt oft bestehen. Ich schätze mich glücklich,<br />
so viele spannende Persönlichkeiten<br />
während unserer preisgekrönten Podcast-<br />
Reise schon kennengelernt zu haben.<br />
Das Interview führte Svenja Conrad.<br />
„Eine Stunde reden“<br />
Hier geht‘s zu den Folgen: